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Schlagwortarchiv für: Verkehrssicherungspflicht

Gastautor

BGH: Haftung für Hindernisse auf einem Waldweg

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Staatshaftung, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Ansgar Kalle veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Lehrstuhl Prof. Dr. Stefan Greiner.
Die hier zu besprechende Entscheidung des BGH (Urt. v. 23. April 2020 – Az. III ZR 251/17 = NJW 2020, 3106) setzt sich mit zwei Grundlagenthemen des Deliktsrechts auseinander: den Verkehrssicherungspflichten und der Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens. Beide Themen haben gemeinsam, dass ihre überzeugende Bewältigung in Klausuren eine am Sachverhalt orientierte, lebensnahe und wertungsmäßig überzeugende Argumentation voraussetzt. Damit eignen sie sich aus Prüfersicht hervorragend, um Argumentationsvermögen zu testen. Dementsprechend handelt es sich um beliebte Klausurthemen.
I. Sachverhalt (verkürzt und vereinfacht)
Der Kläger fuhr mit seinem neuen, mit Klickpedalen ausgestatteten Mountainbike mit ca. 16 km/h über einen ihm bislang unbekannten und unbefestigten Feldweg durch einen Wald. Dieser stand im Eigentum der beklagten Gemeinde und war für Radfahrer zugelassen. Auf dem Feldweg befand sich eine Absperrung. Diese bestand aus zwei parallel verlaufenden Stacheldrähten, die in einer Höhe von 60 bzw. 90 cm verliefen und über den Weg gespannt waren. An den Drähten war das Verkehrszeichen 260 angebracht, das Kraftfahrzeugen die Durchfahrt verbot. Der Bürgermeister der Gemeinde hatte das Hindernis errichten lassen, um illegale Abfallentsorgung zu verhindern. Der Bürgermeister der Beklagten inspizierte das Hindernis ca. einmal pro Monat.
Der Kläger kannte das Hindernis nicht und war daher überrascht, als er es bemerkte. Er versuchte, sein Fahrrad durch eine Vollbremsung rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Bei seinem Bremsmanöver verlor er die Kontrolle über das Fahrrad, stürzte kopfüber in den Draht und zog sich erhebliche Verletzungen zu.
Nun begehrt der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld von der Gemeinde.
Anmerkung: Neben der Gemeinde wurden die beiden für den Wald zuständigen Jagdpächter verklagt. Für das Verständnis der examensrelevanten Aspekte genügt es jedoch, den Anspruch gegen die Gemeinde in den Blick zu nehmen. Im Folgenden soll daher allein dieser erörtert werden.
II. Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. Art. 34 S. 1 GG
Da der Anspruch einen potentiellen Verstoß gegen eine Amtspflicht zum Gegenstand hat, ist die Prüfung nicht mit § 823 Abs. 1 BGB einzuleiten, sondern mit § 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. Art. 34 S. 1 GG als lex specialis (zum Konkurrenzverhältnis und zur Abgrenzung von allgemeiner Deliktshaftung und Amtshaftung anschaulich OLG Koblenz, Urt. v. 18.3.2016 – 1 U 832/15 = NJW-RR 2016, 796).
1. Beamter im haftungsrechtlichen Sinn & Amtshandeln
Der Bürgermeister der Beklagten ist unzweifelhaft Beamter im haftungsrechtlichen Sinn. Als solcher gilt nicht nur jeder Statusbeamte, sondern darüber hinaus jede andere Stelle, die hoheitlich handelt (Voßkuhle/Kaiser JuS 2015, 1076). Dies trifft auf den Bürgermeister zu, da dieser zahlreiche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, z.B. die Verwaltung der gemeindeeigenen Straßen und Feldwege. Der Aufbau des Hindernisses geschah zur Erfüllung dieser Aufgabe, mithin nicht in privater, sondern in amtlicher Funktion.
2. Verletzung einer Amtspflicht
Problematischer ist das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung. Die Gemeinde trug nach dem einschlägigen Landesrecht (§§ 9 Abs. 1 S. 1, 10 Abs. 4 S. 1, 15 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. a StrWG SH) in ihrem Hoheitsgebiet die Straßenbaulast. Daher war sie u.a. dafür verantwortlich, dass ihre Feldwege sicher genutzt werden konnten (näher Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 31 ff.). Somit ergab sich bereits aus öffentlichem Recht eine ausdrückliche Amtspflicht in Form einer Verkehrssicherungspflicht.
Es stellt sich die Frage, ob die Gemeinde diese Pflicht durch den Aufbau des Hindernisses verletzt hat. Anknüpfungspunkt des deliktischen Vorwurfs ist also eine mittelbare Verletzungshandlung, das Schaffen einer Gefahrenquelle.
Der Adressat einer Verkehrssicherungspflicht hat – so der BGH – „die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern“ (BGH, Urt. v. 23.4.2010 – Az. III ZR 251/17 = NJW 2020, 3106 Rn. 24 mwN). Die Gemeinde hätte also verhindern müssen, dass es zu Gefahrensituationen kommt. Damit war es ihr insbesondere verwehrt, eine ungesicherte Gefahrquellen zu schaffen.
Zu klären ist damit zunächst, ob es sich beim Stacheldraht um eine Gefahrenquelle handelte. Indem die Gemeinde einen Stacheldraht über einen Feldweg aufspannte, schuf sie die Gefahr, dass Personen mit diesem kollidierten und sich dabei verletzen. Diese Gefahr war erheblich: Zum einen barg der Stacheldraht aufgrund seiner Beschaffenheit beachtliches Verletzungspotential. Zum anderen war er dünn und daher schwer zu erkennen. Schließlich handelte es sich um ein äußerst unübliches Hindernis, mit dem Wegnutzer nicht zu rechnen hatten und das daher überraschend wirkte.
Zur Gefahrverringerung beschränkte sich die Gemeinde im Wesentlichen darauf, ein Verkehrsschild an den Drähten zu befestigen. Gemessen an der Erheblichkeit der Gefahr war diese Maßnahme nicht ausreichend: Die Montage des Hinweisschilds konnte die Gefährlichkeit des Stacheldrahts kaum verringern. Vielmehr war das Schild Bestandteil des ungewöhnlichen Hindernisses. Sein Aussagegehalt war irreführend, da das Verbot von Kraftfahrzeugen Radfahrern suggerierte, dass ihr Verkehrsmittel auf dem Weg genutzt werden konnte. Damit trug das Schild eher zur Gefahrerhöhung als zur -verringerung bei.
Zu ihrer Entlastung trug die Gemeinde drei Einwände vor, die der BGH jedoch mit Recht allesamt als unbeachtlich verwarf.
Zunächst argumentierte die Gemeinde, dass der Draht bereits aus einer Entfernung von zehn bis 15 Metern sichtbar war. Dies war für den BGH jedoch irrelevant, da dies nichts daran änderte, dass der Draht ein tückisches Hindernis war, das leicht übersehen werden konnte.
Weiterhin argumentierte die Gemeinde, dass der Weg nur selten von Radfahrern genutzt wurde. Auch diesen Einwand wies der BGH zurück: Da der Weg für den Radverkehr freigegeben war, hatte die Gemeinde Gefahren für Radfahrer zu minimieren. Damit durfte sie vermeidbare Gefahrquellen gar nicht erst schaffen. Dass der Weg nur selten genutzt wurde, reduziere allenfalls den Umfang der gebotenen Verkehrssicherung, rechtfertige aber keine Gefahrschaffung.
Schließlich trug die Gemeinde vor, dass sie ihre Verkehrssicherungspflicht an die Jagdpächter übertragen hatte und daher nicht für die Verletzung dieser Pflichten verantwortlich gemacht werden konnte. Jedoch war zum einen nicht bewiesen, dass die Beklagte ihre Pflicht delegiert hatte; hierzu hätte es einer eindeutigen Vereinbarung bedurft (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2008 – VI ZR 126/07 = NJW 2008, 1440 Rn. 9). Zum anderen hätte eine Delegation lediglich dazu geführt, dass sich die Verkehrssicherungspflicht zu einer Kontroll- und Überwachungspflicht weiterentwickelt hätte (anschaulich Förster JA 2019, 1, 5; Beispiel in Gutachtenform bei Greiner/Kalle, Fallsammlung Schuldrecht II, 2. Aufl. 2020, Fall 48). Auch gegen eine solche Pflicht hätte die Gemeinde indessen verstoßen, weil der Bürgermeister das Hindernis kannte und hiergegen nichts unternahm.
3. Zwischenergebnis
Im Übrigen ist der Tatbestand des Amtshaftungsanspruchs ohne Weiteres gegeben. Die Gemeinde ist passivlegitimiert, da die persönliche Haftung des Bürgermeisters nach der Anvertrauenstheorie gemäß Art. 34 S. 1 GG auf die Gemeinde übergeleitet wird (vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 113 f.; zum Hintergrund der Haftungsüberleitung vertiefend Sauer JuS 2012, 695 ff.).
4. Haftungsprivilegierungen
Bevor der Amtshaftungsanspruch jedoch zugesprochen wird, sind die zahlreichen Privilegierungen des § 839 BGB anzudenken. Im Fall kommt eine nur subsidiäre Haftung der Gemeinde gemäß § 839 Abs. 1 S. 2 BGB in Betracht, da der Bürgermeister in Bezug auf die Verletzung des Klägers lediglich fahrlässig iSv. § 276 II BGB gehandelt hat. Allerdings rechtfertigt sich die Subsidiaritätsklausel historisch nur dadurch, dass sich die Amtshaftung vor Inkrafttreten von Art. 34 GG nicht gegen den Staat, sondern gegen den Beamten persönlich gerichtet hatte. Deshalb legt der BGH das Fahrlässigkeitsprivileg mittlerweile restriktiv aus. So findet es unter anderem keine Anwendung auf die Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten (vgl. BGH, Urt. v. 1.7.1993 – III ZR 167/92 = BGHZ 123, 102, 104 f.).
5. Mitverschulden
Schließlich bleibt zu klären, ob der Anspruch des Klägers wegen Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen ist.
Man könnte dem Kläger zunächst vorwerfen, zu schnell gefahren zu sein, um Hindernisse rechtzeitig wahrnehmen zu können. Dies wäre ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 S. 4 StVO gewesen. In der Tat scheint es naheliegend, dem Kläger ein zu hohes Tempo vorzuwerfen, weil er nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte, als er das Hindernis wahrnahm. Allerdings findet das Sichtfahrgebot seine Grenze im Vertrauensgrundsatz. Der Verkehrsteilnehmer muss bei der Wahl seiner Geschwindigkeit nicht damit rechnen, dass Objekte, die anfänglich nicht als Gefahrenquelle erkennbar sind, sich später völlig überraschend als Hindernisse zu erkennen geben. Andernfalls würde das Pflichtenprogramm von Verkehrsteilnehmern überspannt werden. Der Stacheldraht war ein solches Hindernis, mit dessen Vorliegen der Kläger in keiner Weise rechnen musste und das im Rahmen des Sichtfahrgebots nicht sinnvoll berücksichtigt werden konnte. Daher kann dem Kläger kein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 4 StVO vorgeworfen werden.
Auch die Durchführung der Vollbremsung kann dem Kläger nicht als Mitverschulden angelastet werden. Selbst wenn diese zu abrupt durchgeführt worden wäre, wäre dies nicht schuldhaft gewesen. Der Kläger wurde durch das Hindernis derart überrascht, dass er kaum Reaktionszeit hatte. In dieser Notsituation kann ihm ein evtl. überstürztes und unvorsichtiges Verhalten nicht vorgeworfen werden.
Da der Kläger ein neues Fahrrad nutzte, könnte man ihm weiterhin vorwerfen, nicht hinreichend mit dem Bremsverhalten vertraut gewesen zu sein. Hierfür fehlt es jedoch an hinreichenden Anhaltspunkten. Es ginge zu weit, dem Kläger allein wegen der Neuheit des Fahrrads abzuverlangen, sich so langsam zu bewegen, dass er selbst auf unvorhersehbare Gefahren angemessen reagieren kann.
Der BGH hielt es allerdings für möglich, dass den Kläger ein geringes Mitverschulden (bis zu 25 %) traf, weil er anstelle der herkömmlichen Fahrradpedale eine Klickpedale nutzte. Von einem Mitverschulden dürfte auszugehen sein, wenn der Kläger die Sicherheit des Fahrrads durch diese Modifikation beeinträchtigt hätte. Da die Vorinstanz hierzu jedoch keine Feststellungen getroffen hatte, verwies der BGH den Sachverhalt diesbezüglich zur Klärung zurück.
III. Prozessuales Problem: Heilung von Zustellungsmängeln nach § 189 ZPO
Neben den materiell-rechtlichen Fragen des Deliktsrechts warf der Fall ein interessantes prozessuales Zustellungsproblem auf. Die Zustellung von Klagen ist gelegentlich Thema in Examensklausuren. Die einschlägigen Vorschriften, insb. § 167 ZPO, sollten daher in der Examensvorbereitung zumindest einmal gelesen werden.
Im Fall wurde die Klage gegen die Gemeinde dem Bürgermeister zugestellt. Nach dem einschlägigen Kommunalrecht (§ 3 AmtsO SH) war dieser jedoch nicht gesetzlicher Vertreter der Gemeinde. Damit war die Zustellung der Klageschrift gemäß § 170 Abs. 1 S. 2 ZPO anfänglich unwirksam. Jedoch bestellte die Gemeinde später einen Prozessbevollmächtigten, dem sie die Klageschrift übergab. Hierdurch wurde der Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO geheilt.

19.10.2020/4 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-10-19 08:21:072020-10-19 08:21:07BGH: Haftung für Hindernisse auf einem Waldweg
Dr. Sabine Vianden

OLG Hamm: Neues zur Verkehrssicherungspflicht

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Gleich in zwei kürzlich veröffentlichten Pressemitteilungen des OLG Hamm wird mit den Verkehrssicherungspflichten ein echter Prüfungsklassiker angesprochen. Dabei geht das Gericht auf die Fragen ein, in welchem Maße die Betreiber eines Supermarktes bzw. einer Diskothek dafür zu sorgen haben, dass ihre Kunden sich nicht verletzen, und inwiefern von diesen wiederum Eigenverantwortlichkeit zu fordern ist.
I. Sachverhalte
In beiden Fällen waren die jeweiligen Kläger aufgrund einer unerwarteten Beschaffenheit des Bodens zu Fall gekommen und hatten sich dabei in nicht unerheblichem Maße verletzt.
In der ersten Konstellation, die dem Urteil vom 05.04.2016 (Az.: 9 U 77/15) zugrunde liegt, endete eine Silvesterparty blutig: Die Nacht zum 01.01.2009 verbrachten die Klägerin und ihre Freunde in einer Bottroper Diskothek. In den frühen Morgenstunden kam sie jedoch auf der Tanzfläche zu Fall und zog sich aufgrund am Boden liegender Scherben eine tiefe Schnittverletzung an der rechten Hand zu. Diese wurden von den herbeigerufenen Sanitätern versorgt. Aufgrund der erlittenen physischen und psychischen Beeinträchtigungen verlangte die Dame u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 200.000 Euro. Die Betreiber der Disko waren allerdings der Meinung, die Klägerin habe im alkoholisierten Zustand ihr Glas fallen lassen und anschließend in eben jene Scherben gestürzt.
In der zweiten Fallgestaltung (13.09.2016 – Az.:9 U 158/15) zog sich ein zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alter Mann einen komplizierten Bruch seines linken Oberarms zu als er vor einem Supermarkt über eine 3 cm hohe Unebenheit der Gehwegplatten stürzte. Aus diesem Grund verlangte er von dem Supermarkt Zahlung von Schadensersatz, u.a. eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500 Euro.
II. Allgemeines zu Verkehrssicherungspflichten
In beiden Fällen stützten die Kläger ihr Schadensersatzverlangen darauf, dass die Betreiber des Supermarktes bzw. der Diskothek nicht ihren Verkehrssicherungspflichten nachgekommen seien. Diese werden vom BGH, u.a. in dem Urteil zu dem Sturz vor dem Supermarkt, wie folgt umschrieben:
„Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei ist zu beachten, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht zu erreichen und nach der berechtigten Verkehrsauffassung auch nicht zu erwarten ist. Deshalb umfasst die rechtlich gebotene Verkehrssicherung lediglich die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.“
Typische Fallgruppen sind dabei die Übernahme einer Obhutspflicht für das gefährdete Rechtsgut oder die Schaffung und Unterhaltung einer Gefahrenquelle. Die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht selbst und die Bestimmung ihres Umfangs hat sich an verschiedenen Kriterien wie der wirtschaftlichen Zuordnung der Gefahrenquelle und der Beherrschbarkeit der Gefahr, der Zumutbarkeit von Maßnahmen für den Verantwortlichen, der Möglichkeit Dritter, Maßnahmen zum Selbstschutz zu ergreifen und der Sicherheitserwartungen selbiger zu orientieren.
Das Stichwort „Verkehrssicherungspflicht“ fällt besonders häufig im Zusammenhang mit deliktischen Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB. Dort werden sie bei dem zweiten Prüfungspunkt, der Handlung bzw. dem pflichtwidrigen Unterlassen des Anspruchsgegners relevant. Dabei ist jedoch nicht jedes Unterlassen tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Rechtsgutsverletzung. Das Unterlassen ist vielmehr nur dann haftungsbegründend, wenn eine Handlungspflicht bestand. Eine solche besteht, wenn den Unterlassenden eine Verkehrssicherungspflicht trifft. Kann die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bejaht werden, so ist auch die Rechtswidrigkeit indiziert.
Allerdings spielen Verkehrssicherungspflichten auch innerhalb von vertraglichen (z.B. im Fall des Diskobesuches) und vertragsähnlichen (aufgrund des Sturzes vor dem Supermarkt kommt je nach Fallgestaltung ein vertraglicher Anspruch oder einer aus c.i.c. in Betracht) Schadensersatzansprüchen eine Rolle, dort dann im Rahmen der Pflichtverletzung.
III. Die Urteile
1. Sturz in der Disko
Im Fall der in der Diskothek gestürzten Frau war das Gericht in Anbetracht der Beweissituation davon überzeugt, dass sich die Flüssigkeit, auf der sie ausgerutscht war, ebenso wie die Scherben, an den sie sich dann verletzt hatte, bereits vor ihrem Sturz auf dem Boden befunden hatten und nicht etwa von einem von ihr selbst fallengelassenen Glas herrührten. Da die Klägerin so eine objektive Pflichtverletzung der Beklagten nachgewiesen habe, hätte es nun an dieser gelegen sich diesbezüglich zu entlasten. Nach Ansicht des BGH sei aber weder ein Organisationsverschulden noch Mängel bei der Ausführung getroffener Organisationsanordnungen auszuschließen gewesen. Ein Mitverschulden der Klägerin aufgrund von Alkoholisierung sei demgegenüber nicht nachgewiesen worden.
Hier spricht der BGH ein weiteres insbesondere aus dem Deliktsrecht und auch im Zusammenhang mit Verkehrssicherungspflichten bekanntes Klausurproblem an, nämlich das sog. Organisationsverschulden. Grundsätzlich haftet ein Geschäftsherr schon nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB für deliktische Handlungen seines Verrichtungsgehilfen, kann sich aber gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren, wenn er diesen sorgfaltsgemäß ausgewählt und überwacht hat. Daneben kann aber – und dies wird insbesondere in den Fällen, in denen die Exkulpation gelingt relevant – eine Haftung des Geschäftsherrn nach § 823 Abs. 1 BGB für die Verletzung von Organisationspflichten, als Unterfall der Verkehrssicherungspflichten, bestehen. Im konkreten Fall käme diesbezüglich beispielsweise in Betracht, dass der Betreiber der Diskothek seine Mitarbeiter nicht in ausreichendem Maße dazu angewiesen hat, regelmäßig zu kontrollieren, ob sich Scherben auf dem Boden befinden.
2. Sturz vor dem Supermarkt
Im Fall des vor dem Supermarkt gestürzten Mannes wurde neben der Pressemitteilung auch bereits das Urteil veröffentlicht. Darin äußert sich der BGH konkret zu den Anforderungen, die an den Supermarktbetreiber zu stellen waren:
„Ein Gehweg muss sich grundsätzlich in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befinden, der eine möglichst gefahrlose Benutzung zulässt. Daraus folgt nicht, dass die Verkehrsfläche schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein muss. Wie andere Verkehrsteilnehmer auch haben Fußgänger die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen, wie sie sich ihnen erkennbar zeigen, sowie mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen und sich hierauf einzustellen. Insoweit muss sich der Fußgänger den gegebenen Wegeverhältnissen anpassen und hat den Weg so zu benutzen, wie er sich ihm offensichtlich darstellt.“
Unebenheiten zwischen 2,0 und 2,5 cm seien dabei noch hinzunehmen. Im konkreten Fall befanden sich in dem Bereich, in dem der Kläger gestürzt war jedoch Unebenheiten von bis zu 3 cm. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt es aber nicht darauf an, dass der Verletzte beweisen kann genau an einer Stelle von >2,5 cm gestürzt zu sein:
„Steht fest, dass der Geschädigte im Bereich einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle gestürzt ist, spricht nach ständiger Rechtsprechung (…) der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sich hier die Vernachlässigung der Verkehrssicherungspflicht im Sinne der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schadenereignis ausgewirkt hat. (…) Vielmehr obliegt es der Beklagten nachzuweisen, dass der Kläger an der Kante in einem Bereich hängen geblieben ist, der einen geringeren Höhenunterschied als 2,0 cm oder 2,5 cm aufweist, bzw. der Kläger aus Gründen gestürzt ist, die nicht auf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht beruhen.“
Grundsätzlich hat das OLG also einen Verstoß des Supermarktes gegen dessen Verkehrssicherungspflichten angenommen. Dennoch wurde dem Kläger nicht in vollem Umfang ein Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen. Nach Ansicht des Gerichts traf ihn bei dem Sturz nämlich ein Mitverschulden von 50 %, weil auch er schlichtweg hätte besser aufpassen müssen:
„Eine völlige Gefahrlosigkeit eines Gehwegs kann von den Kunden bzw. Passanten nicht erwartet werden. (…) Auch der Fußgänger in einem Gehwegbereich muss daher auf seinen Weg achten. Dabei ist danach zu differenzieren, in welchem Umfang der Fußgänger durch die Umgebung abgelenkt ist. So wird man in einer Fußgängerzone konzedieren müssen, dass der Passant genau das macht, was er machen soll, nämlich auf die Auslagen achten. Eine solche Ablenkung liegt hier nicht vor. Der Bereich des Treppenaufgangs ist ungeschickt ausgeführt. (…) Angesichts dessen musste der Kläger, wenn er die den Treppenaufgang abgrenzende Mauer schon in einem engen Bogen nimmt, dann auch seinen Blick unmittelbar vor dem Übergang nach unten richten. Der Sturz war dann vermeidbar. Die danach erforderliche Aufmerksamkeit hat der Kläger nicht aufgebracht.“
IV. Fazit
Die Inhalte von Verkehrssicherungspflichten wurden sowohl von den Obergerichten als auch dem BGH schon mehrfach konkretisiert. Weitere Beiträge auf juraexamen.info findet ihr u.a. hier, hier, hier und hier. Es handelt sich nicht nur um eine in der Praxis relativ häufig auftretende Thematik, sondern auch um einen für Examensklausuren bestens geeigneten Anknüpfungspunkt. Weitere Problemkreise, die in diesem Zusammenhang typischerweise eine Rolle spielen können sind die Haftung für eigenes und fremdes Verschulden (auch das Stichwort: Dezentralisierter Entlastungsbereich), im Bereich der c.i.c. auch der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (das seine Eltern begleitende Kind, das vor dem Supermarkt stürzt). Eine Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten, sowie bereits entschiedenen Sachverhalten lohnt sich also und kann im Ernstfall Inspiration für die eigene Argumentation bieten!

01.02.2017/2 Kommentare/von Dr. Sabine Vianden
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sabine Vianden https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sabine Vianden2017-02-01 10:00:242017-02-01 10:00:24OLG Hamm: Neues zur Verkehrssicherungspflicht
Dr. Stephan Pötters

Notiz: KG Berlin verneint Streupflicht auf Abkürzungswegen

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Angesichts der aktuellen Hitzewelle thematisch nicht ganz passend, aber dafür rechtlich immer aktuell: die Streupflicht. Wir haben bereits mehrfach zu examensrelevanten Entscheidungen rund um Räum- und Streupflichten berichtet. Sowohl im öffentlichen Recht als auch im Zivilrecht lassen sich hierzu Fälle stellen.
Zivilrechtliche Grundlagen einer Streupflicht für Grundstückseigentümer
Die Räum- und Streupflicht für öffentliche Gehwege wird üblicherweise – etwa durch kommunale Satzung – auf die privaten Anlieger der Straße übertragen. Darüber hinaus – und dies ist sicherlich die in der Klausur häufiger vorkommende Variante – kann eine Streupflicht private Grundstücksbesitzer über die allgemeine deliktsrechtliche Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht treffen (s. hierzu ausführlich MüKo-BGB/Wagner, 5. Auflage 2009, § 823 BGB Rn. 448 ff.), insbesondere bei nicht-öffentlichen Gehwegen. Es handelt sich dann um originäre Streupflichten, also nicht um eine Pflicht, die sich von der des Staates ableitet.
Entscheidung des KG Berlin
Vor diesem Hintergrund lehnte das KG Berlin (Urteil vom 23.04.2014 – 11 U 12/13) eine Räum- und Streupflicht für Abkürzungswege ab, zumindest wenn ein ordnungsgemäß geräumter Weg zur Verfügung steht. Die Orientierungssätze des Urteils lauten:

1. Eine Räum- und Streupflicht auf einer Abkürzung außerhalb des geräumten Gehweges kommt nur dann in Betracht, wenn diese Abkürzung vom Grundstückseigentümer jedenfalls teilweise geräumt wurde und dadurch bei Passanten den Eindruck erwecken konnte, dass dieser Weg sicher passierbar ist.
2. Der Verkehrssicherungspflichtige muss als Normadressat der örtlichen Straßengesetze aus dem Wortlaut der Norm zweifelsfrei entnehmen können, in wieweit sich dessen Räum- und Streupflicht erstreckt. Hält er sich an diese Vorgaben, so liegt kein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht vor.
3. Sofern ein Passant aus Bequemlichkeit eine Abkürzung benutzt, obwohl ihm ein geräumter und gestreuter Weg zur Verfügung steht, so kann dies nicht auf Gefahr des Verkehrssicherungspflichtigen hin geschehen.

Lesehinweise
Zur Vertiefung des Themas Räum- und Streupflichten sei auf nachfolgende ältere Beiträge hingewiesen:

  • Räum- und Streupflicht auf Kundenparkplatz
  • Kein SchE bei erkennbar nicht  geräumten Weg
  • Grundlagen: Streupflicht vor deutschen Gerichten
  • Delegation der Verkehrssicherungspflicht auf Nachbarn

03.07.2015/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2015-07-03 08:00:182015-07-03 08:00:18Notiz: KG Berlin verneint Streupflicht auf Abkürzungswegen
Gastautor

LG Frankfurt: Alleinhaftung des Fußgängers bei Sturz auf erkennbar nicht geräumtem Gehweg

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Wir freuen uns, heute eine Gastbeitrag von Lars Stegemann veröffentlichen zu können. Er befasst sich diesmal mit der Reichweite von Räum- und Streupflichten auf privaten Gehwegen.
Das LG Frankfurt entschied mit Urteil vom 21.11.2013 (Az.: 2-05 O 444/12), dass Schadensersatzansprüche eines Fußgängers wegen Verletzung von Räum- und Streupflichten bei einem Sturz auf einem erkennbar nicht geräumten Gehweg wegen überwiegenden Mitverschuldens ausgeschlossen sein können.
Sachverhalt
Dem Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde: In den Tagen vor dem streitgegenständlichen Unfall hatte es mehrfach geschneit. Die Klägerin, wohnhaft in den USA, traf am Tag des Unfalls mit dem Flugzeug aus den USA kommend ein und ließ sich mit einem Taxi vor das Haus der Beklagten fahren. Um zum rückwärtig gelegen Eingang zu gelangen, nahm sie einen schmalen Weg entlang der Rückseite des Anwesens. Der Weg war gut sichtbar nur teilweise vom Schnee befreit und vollständig von einer dicken Eisschicht bedeckt. Bereits nach wenigen Schritten stürzte die Klägerin.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten, der Eigentümerin des Grundstücks, Schadensersatz in Höhe von 82.821,13 € sowie ein angemessenes Schmerzensgeld auf Grund der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Zu Recht?
Entscheidung des LG Frankfurt
Das LG Frankfurt hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Ansprüche der Klägerin hätten sich sowohl aus § 823 Abs. 1 BGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB ergeben können (s. ausführlich zu Schadensersatzansprüchen auf Grund der Verletzung von Räum- und Streupflichten unseren älteren Übersichtsbeitrag).
Bereits die Verletzung der Verkehrssicherungspflichten war zwischen den Parteien streitig. Während die Klägerin der Beklagten vorwarf, ihren Räum- und Streupflichten nicht nachgekommen zu sein oder zumindest ihren Überwachungspflichten nicht genügt zu haben, verwies die Beklagte auf die Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf die Nebenintervenientin und die Erfüllung ihrer damit einhergehenden Kontrollpflichten (vgl. bereits hier; ferner BGH, Urteil vom 22.1.2008, VI ZR 126/07, NJW 2008, 1440).
Das LG Frankfurt ließ offen, ob die Beklagte zumindest die bei ihr im Falle der Delegierung verbleibenden Kontrollpflichten erfüllt hat, und ging von einem vollständigen Anspruchsausschluss wegen überwiegenden Mitverschuldens gem. § 254 Abs. 1 BGB aus. Ein solcher Anspruchsausschluss komme in Betracht, wenn dem Verhalten eines der Beteiligten für die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts überragende Bedeutung zukomme. Hierfür wird üblicherweise eine Mitverschuldensquote im Rahmen der maßgeblichen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge von 80-90% genannt (Palandt/Grünberg, 70. Auflage 2011, § 254 Rn. 57 ff., 64 ff.).
Dazu führt das Gericht aus, dass jeder Verkehrsteilnehmer sich auf die durch Schnee und Eis entstehenden Gefahren einstellen und zur Schadensverhütung im eigenen Interesse die Maßnahmen ergreifen müsse, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten seien. Insbesondere seien erkennbare, besondere Gefahrenlagen zu umgehen, ein verkehrsgerechtes Verhalten an den Tag zu legen und man dürfe sich der Gefahr nur nach sorgfältiger Abwägung von Beherrschbarkeit und Gefährlichkeit aussetzen.
Die durch den nicht ausreichenden Winterdienst entstandene Gefahrenlage sei erkennbar und der Klägerin wohl auch bewusst gewesen. Nach Auskunft der Klägerin war eine Benutzung des vereisten Weges nicht zwingend, sodass die Klägerin die Gefahrenquelle hätte meiden müssen. Zumindest hätte sie ihn zur Schadensvermeidung im eigenen Interesse nicht mit nicht rutschfesten Schuhen betreten dürfen. Insbesondere sei die Klägerin auf Grund des Schuhwerks, ihres Alters und des langen Fluges nicht in der Lage gewesen, die Gefahrensituation zu bewältigen.
Stellungnahme
Die Entscheidung des LG Frankfurt ist zu begrüßen. Mit Recht hebt das Gericht hervor, dass eine durch Schnee und Glatteis hervorgerufene Gefahrenlage keineswegs zwingend zu einem Sturz führen muss, sondern es auch maßgeblich auf das Verhalten des Geschädigten ankommt. Nach § 254 Abs. 1 BGB hat sich jeder Verkehrsteilnehmer im eigenen Interesse so zu verhalten, dass Schäden möglichst unterbleiben. Überzeugend stellt das Gericht in Anknüpfung an das OLG Hamm (Urteil vom 5.6.1998 – 9 U 217/97, NZV 1999, 127) hier die Leitlinie auf, dass vermeidbare Gefahrenquellen grundsätzlich zu umgehen sind, zumindest aber mögliche Maßnahmen zur Bewältigung der Gefahr zu ergreifen sind.
Im Zusammenhang mit Räum- und Streupflichten sollte deshalb nicht nur das damit einhergehende Problem der Verkehrssicherungspflichten, insbesondere ihre Begründung und ihr Prüfungsstandort, bekannt sein. Es ist darüber hinaus stets an eine Obliegenheitsverletzung durch den Geschädigten zu denken, die nach § 254 BGB zu einer Anspruchskürzung oder, wie das LG Frankfurt in der Entscheidung betont, in besonderen Konstellationen zu einem vollständigen Anspruchsausschluss führen kann.

11.09.2014/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-09-11 08:30:222014-09-11 08:30:22LG Frankfurt: Alleinhaftung des Fußgängers bei Sturz auf erkennbar nicht geräumtem Gehweg
Maria Lohse

LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Mit rechtskräftigem Urteil vom 04.03.2014 hat das LG Coburg (Az.: 22 O 619/13) entschieden, dass Schadensersatz wegen einer Verletzung durch eine ordnungsgemäß abgestellte, umgefallene Tür nicht verlangt werden kann.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist in einem Kindergarten als Raumpflegerin angestellt. Der Beklagte ist Handwerker. Er führte in dem betreffenden Kindergarten Baumaßnahmen durch. Im Rahmen dessen hatte er selbst oder einer seiner Mitarbeiter die Zugangstür zu einem Waschraum ausgehängt und in dem Waschraum an eine Wand gelehnt. Als die Klägerin den Waschraum reinigen wollte, stellte sie fest, dass durch die angelehnte Tür der Zugang zu einer Toilettenkabine versperrt war. Bei dem Versuch, die angelehnte Tür beiseite zu schieben, fiel diese der Klägerin auf den Arm. Dadurch kam die Klägerin zu Fall und geriet teilweise unter die Tür. Bei der anschließenden Untersuchung im Krankenhaus stellte sich heraus, dass der linke Oberarm der Klägerin gebrochen war. Sie wurde daraufhin 5,5 Monate krankgeschrieben.
Die Klägerin verlangte in dem gegenständlichen Verfahren vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von 3000,- € für die entstandenen Heilbehandlungskosten und den Verdienstausfall sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000,- €.
Entscheidung:
Das LG Coburg hat die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
A. Schadensersatz
Zunächst könnte der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 3000,- € gegen den Beklagten zustehen.
I. § 823 Abs. 1 BGB
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten könnte gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung der Klägerin ist eingetreten. Sie hat sich durch den Vorfall den linken Oberarm gebrochen. Insofern ist eine Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit eingetreten.
2. Kausale Handlung/pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten
Diese Rechtsgutsverletzung müsste durch ein kausales Handeln oder Unterlassen des Beklagten eingetreten sein.
a) Handeln des Beklagten
Ein Handeln des Beklagten, das unmittelbar zur Verletzung der Klägerin führte, ist nicht ersichtlich.
b) Pflichtwidriges Unterlassen
Allerdings käme ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten in Betracht. Das setzte voraus, dass er durch das Anlehnen der ausgehängten Tür an die Wand des Waschraumes eine Gefahrenquelle geschaffen hätte, deren Sicherung ihm deswegen oblegen hätte. Es geht hier damit um die Frage, ob eine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten bestanden hat, die er durch fehlende Sicherungsmaßnahmen verletzte.
Nach ständiger Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine naheliegende Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Entscheidend ist dabei aber, dass nicht jeder abstrakten Gefährdung vorbeugend begegnet werden kann und muss. Es geht nur um die Verhinderung von Schädigungen Dritter, die im typischen Gefahrenbereich der jeweiligen Gefahrenquelle liegen und dem Verkehrssicherungspflichtigen unmittelbar ersichtlich sind oder sein müssen. Nicht jede eingetretene, noch so abgelegene Eventualität kann von der Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen erfasst sein. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten siehe auch hier, hier und hier.
Das LG Coburg verneinte das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflicht in der konkreten Situation. Dabei betonte es, dass kein allgemeiner Grundsatz existiere, dass Dritte vor Selbstgefährdungen zu schützen seien. Das Aushängen einer Tür im Rahmen handwerklicher Arbeiten stelle kein sorgfaltswidriges Verhalten dar. Auch die an eine benachbarte Wand angelehnte Tür sei für sich genommen keine Gefahrenquelle. Für eine unsachgemäße Aufstellung der Tür sei nichts vorgetragen worden. Daher konnte die Gefahr, die sich hier durch die Verletzung der Klägerin realisiert hat, erst dadurch eintreten, dass das Verhalten der Klägerin – nämlich das Wegschieben der angelehnten Tür – hinzutrat.
Zwar könnte eine Haftung ausnahmsweise auch bei sorgfaltswidrigem Verhalten des Geschädigten anerkannt werden, dies jedoch nur, sofern dessen Fehlverhalten vorhersehbar und naheliegend sei. Das mag zwar beim Beiseiteschieben der Tür zum Zwecke der Reinigung des kompletten Waschraums der Fall gewesen sein. Hinzu kommen müsste aber für eine Haftung des Beklagten, dass der Geschädigte selbst die Gefahr nicht erkennen und infolgedessen ihr nicht begegnen konnte. Das sei nach Ansicht des Landgerichts hier nicht der Fall gewesen. Der Klägerin habe die Gefahr des Umfallens der nicht befestigten, sondern nur angelehnten Tür durchaus ersichtlich sein müssen. Dann aber hätte sie Schutzvorkehrungen zu ihrer eigenen Sicherheit treffen müssen. Da sie dies nicht getan habe, könne das Fehlverhalten der Geschädigten dem Beklagten nicht zugerechnet werden.
Mangels Bestehens einer Verkehrssicherungspflicht kommt eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht.
II. § 831 BGB
Auch eine Haftung des Beklagten aus § 831 BGB wegen einer etwaigen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch einen seiner Mitarbeiter kommt nicht in Betracht. Zwar handelt es sich bei den Mitarbeitern des Beklagten um dessen Verrichtungsgehilfen, da sie von ihm zu einer Verrichtung in weisungsabhängiger Stellung bestellt wurden. Unabhängig von der offenbar unaufklärbaren Frage, wer die Tür tatsächlich ausgehängt und an die Wand gelehnt hat, käme aber selbst dann, wenn der Beklagte daran in Person nicht beteiligt war, eine Haftung aus § 831 BGB nicht in Betracht. Nach den obigen Ausführungen bestand nämlich eine Verkehrssicherungspflicht wegen der angelehnten Tür nicht – weder für den Beklagten, noch für einen seiner Mitarbeiter.
III. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht nicht.
B. Schmerzensgeld
Darüber hinaus besteht ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gemäß § 253 Abs. 2 BGB nicht. Dieser scheitert schon an der fehlenden Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.
C. Ergebnis
Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes, noch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.
Stellungnahme:
In der vorliegenden Entscheidung des Landgerichts wird die begrüßenswerte Tendenz der Rechtsprechung abermals erkennbar, die an sich anerkannten Grundsätze zur Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, die im Falle ihres Vorliegens sowohl über das fehlende Erfordernis einer verletzenden Handlung, wie auch über die Schwierigkeiten der Konstruktion eines Verschuldens in derartig gelagerten Fällen hinweg hilft, nicht ausufern zu lassen. Erfasst sein soll ja gerade nicht jede noch so fernliegende Gefahr, die sich aber gleichwohl realisiert hat.
Sehr schön lässt sich an der Begründung des Gerichts ersehen, dass die Bestimmung der Existenz einer Verkehrssicherungspflicht stets denselben Argumentationssträngen folgt. Auch in der vorliegenden Entscheidung ist eine stringente Weiterführung der längst etablierten Grundsätze erkennbar, die eine konsequente Aufteilung der jeweiligen Risikosphären in den Mittelpunkt stellen.
Für die Prüfungspraxis lässt sich daraus folgendes ziehen: Die Thematik rund um die Verkehrssicherungspflichten ist von nach wie vor hoher Relevanz. Entsprechende Aufgabenstellungen können sicher gelöst werden, indem der Examenskandidat die bekannten und stets von den Gerichten wiederholten Grundsätze darstellt und sie auf den individuellen Fall anwendet.
 
 

22.08.2014/3 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-08-22 14:00:502014-08-22 14:00:50LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür
Maria Lohse

OLG Hamm: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers einer Wasserrutsche

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Mit Urteil vom 06.05.2014 (Az.: 9 U 13/14) hat das OLG Hamm über den Umfang der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers einer wellenförmigen Wasserrutsche entschieden.
Sachverhalt:
Die 22-jährige Klägerin besuchte im Juli 2009 das von der Beklagten betriebene Freibad. In diesem befand sich eine wellenförmige Wasserrutsche. Daran befanden sich Hinweise, die den potentiellen Nutzer darüber informierten, welche Rutschhaltung – nämlich eine sitzende, bei der der Oberkörper nach vorne gebeugt werden sollte – er einzunehmen hatte. Weitere Hinweisschilder, insbesondere ein Hinweis auf ein gesteigertes Gefahrenpotential für Verletzungen aufgrund der Wellenkonstruktion der Rutsche, waren nicht angebracht. Die Klägerin zog sich bei der Benutzung der Rutsche eine Berstenfraktur an der Lendenwirbelsäule zu. Sie verlangt von der Beklagten Schadensersatz sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 30000,- €. Zur Begründung verweist sie darauf, dass wegen des erhöhten Gefahrenpotentials der Rutsche aufgrund ihrer Konstruktion der Beklagten die Pflicht oblegen hätte, dies den Nutzern durch Anbringung entsprechender Hinweise mitzuteilen. Wäre dies geschehen, so hätte sie, die Klägerin, von einer Benutzung der Rutsche abgesehen. In der Vergangenheit war es bereits zu ähnlichen Rutschunfällen in der Anlage der Beklagten gekommen.
Das LG Paderborn hat eine Haftung der Beklagten erstinstanzlich verneint. Auf die von der Klägerin eingelegte Berufung wurde die Sache in zweiter Instanz vor dem OLG Hamm verhandelt.
Entscheidung:
Das OLG Hamm hat das erstinstanzliche Urteil des LG Paderborn bestätigt und einen Anspruch der Klägerin verneint.
A. Schadensersatz
I. §§ 280 I, 241 II BGB
Ein Anspruch aus vertraglicher Schutzpflichtverletzung stand der Klägerin nach Ansicht des Gerichts zunächst nicht gemäß §§ 280 I, 241 II BGB zu.
1. Schuldverhältnis
Ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien lag vor. Bei der Benutzung eines privatrechtlich betriebenen Freibades handelt es sich um ein gemischtes Vertragsverhältnis, das wesentlich von dem Element der temporären Miete der Einrichtung durch den Nutzer gemäß § 535 BGB geprägt ist.
2. Pflichtverletzung
Als Pflichtverletzung kam eine vertragliche Schutzpflichtverletzung gemäß § 241 II BGB in Betracht. Inhalt derselben ist, dass die vertraglich verbundenen Parteien zur Rücksichtnahmen und zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen zugunsten berührter Rechtsgüter der jeweils anderen Partei verpflichtet sind. Sie bezwecken somit den Schutz des Integritätsinteresses des Vertragspartners. Die vertragliche Sicherungspflicht verläuft dabei parallel zur deliktsrechtlich geschuldeten Verkehrssicherungspflicht des Betreibers, was sich bereits aus der häufig vorliegenden Anspruchskonkurrenz ergibt, die zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung in derartigen Fallkonstellationen besteht. Die zu den Verkehrssicherungspflichten entwickelten Grundsätze gelten daher auch hinsichtlich der vertraglichen Sicherungspflicht im Rahmen der §§ 280 I, 241 II BGB. Nach ständiger Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann und muss. Denn eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar und würde auch den Rahmen dessen überschreiten, was dem Anlagenbetreiber zugemutet werden kann (zu den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht siehe auch hier, hier hier und hier).
Vorliegend hatte die Beklagte lediglich einen Hinweis an der Rutsche angebracht, der auf die einzuhaltende Rutschposition hinwies. Ein darüber hinausgehender Hinweis auf die gesteigerte Gefährlichkeit der wellenförmig konstruierten Rutsche wurde nicht angebracht. Dies war nach Ansicht des Gerichts auch nicht erforderlich, um der Sicherungspflicht des Anlagenbetreibers zu genügen. Die Rutschenkonstruktion selbst entsprach den Vorgaben der betreffenden DIN-Normen. Im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme hatte sich ergeben, dass die Rutschenkonstruktion an sich, sofern der Nutzer die richtige Sitzhaltung einnehme, keine erhöhte Verletzungsgefahr im Vergleich zu anders konstruierten Rutschen in sich berge. Bei vorgebeugter Sitzhaltung sei es physikalisch nicht möglich, dass der Benutzer an den wellenförmigen Ausbuchtungen des Streckenverlaufs von der Rutschfläche abhebe. Dies könne nur dann geschehen, wenn eine aufrechte Sitzposition durch den Nutzer eingenommen werde. Dann könne es aufgrund des beschriebenen „Abhebeeffektes“ im Einzelfall auch durch eine unglückliche Weiterentwicklung des Rutschverlaufs und insbesondere durch Einnahme einer unbeabsichtigten Rückenlage zu Verletzungen kommen.
Dies bedeute, dass die Konstruktion der Rutsche in Wellenform nicht an sich eine höhere Verletzungsgefahr für den Nutzer begründe. Diese erhöhte Verletzungsgefahr entstehe erst durch die falsche Benutzung der Rutsche. Der Pflicht zur Vorbeugung einer falschen Benutzung habe die Beklagte hier aber durch Anbringung des Hinweises auf die einzunehmende Sitzposition genügt.
Die Beklagte habe daher keine ihr obliegende Sicherungspflicht verletzt.
3. Ergebnis
Der Schadensersatzanspruch wegen vertraglicher Schutzpflichtverletzung stand der Klägerin daher nicht zu.
II. § 823 I BGB
Auch der deliktische Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB scheitert nach den obigen Erwägungen am Vorliegen einer verletzten Verkehrssicherungspflicht, die sich nach denselben Grundsätzen bemisst wie die vertragliche Schutzpflicht nach § 241 II BGB.
III. Ergebnis
Die Klägerin hat weder aus §§ 280 I, 241 II BGB, noch aus § 823 I BGB einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte.
B. Schmerzensgeld
Auch ein Schmerzensgeld kann von der Klägerin nicht mit Erfolg verlangt werden. Nach § 253 II BGB kann ein solches nur geltend gemacht werden wegen der Verletzung des Körpers und der Gesundheit, wenn auch ein Anspruch auf Schadensersatz mit Erfolg geltend gemacht werden kann.
C. Ergebnis
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte.
Stellungnahme:
Das Urteil des OLG Hamm ist nach meiner Ansicht zutreffend. Das Gericht nimmt hier eine auf alle beteiligten Interessen hinreichend Rücksicht nehmende Abwägung zwischen dem Schutzinteresse des Rutschenbenutzers und der in angemessenem Umfang gehaltener Sicherungspflicht des Anlagenbetreibers vor.
Die Entscheidung befindet sich damit auch auf der allgemeinen Linie der Rechtsprechung zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers von Wasserrutschanlagen. Die Thematik war in der Vergangenheit schon häufig Gegenstand von Entscheidungen. Um nur einige Beispiele zu benennen: Das OLG Hamm hatte sich bereits im Jahre 1999 (Az.: 9 U 16/95) mit dem Umfang der Sicherungspflicht des Betreibers von Wasserrutschen zu befassen und befand damals, dass die Einhaltung der entsprechenden DIN-Normen nicht automatisch eine Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht implizieren könne. Vielmehr müssten auch die konkret gegebenen Benutzungsanweisungen auf ihre Tauglichkeit zur Vermeidung angelegter Gefahren hin überprüft werden. Der BGH hat mit Urteil vom 03.02.2004 (Az.: VI ZR 95/03) entschieden, dass es nicht von der Verkehrssicherungspflicht des Wasserrutschenbetreibers umfasst sei, regelmäßig die Beachtung einer an der Rutsche angebrachten Ampelanlage durch die Nutzer zu überwachen. Gegenstand einer Entscheidung des OLG Koblenz aus 2010 (Az.: 8 U 810/09) war wie hier die Frage, ob eine vorhandene Hinweisbeschilderung den Anforderungen der Sicherungspflichten genüge. Hier wurde ausdrücklich auf eine Notwendigkeit der Einzelfallbetrachtung abgestellt und auch im dortigen Fall die Beschilderung der Anlage für ausreichend gehalten.
Das Urteil besitzt durchaus Examensrelevanz. Es bietet Gelegenheit, die Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht allgemein abzuprüfen unter besonderer Berücksichtigung der inzwischen umfangreichen Rechtsprechung zur Sicherungspflicht des Wasserrutschenbetreibers. Außerdem bietet die Aufgabenstellung Raum für eigene Argumentation auch in Bezug auf die Anwendbarkeit der zu § 823 BGB entwickelten Grundsätze der Verkehrssicherungspflichten im Rahmen des vertraglichen Anspruchs aus § 280 I, 241 II BGB.

30.06.2014/0 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-06-30 14:00:402014-06-30 14:00:40OLG Hamm: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers einer Wasserrutsche
Tom Stiebert

Notiz: Warum man mit 75 Jahren und 125 kg nicht an der Stange tanzen sollte…

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…zeigt ein aktuelles Urteil des AG München.
Der Kläger machte gegenüber einem Verein, bei dem er einen Ballettkurs für Senioren gebucht hatte und dessen Mitglied er war, Schadensersatzansprüche wegen diversen Verletzungen geltend, die er sich an der Ballettstange zugezogen hatte. Begründung war, dass der Verein durch die Ballettstange eine Gefahr begründet hat, die sich realisierte und der Verein dabei seine Schutzpflichten vernachlässigte. Aufmerksame Leser werden sicherlich merken, worum es geht: Um die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Eine solche wurde vom AG verneint.
Den gesamten – recht kuriosen – Fall findet ihr hier im juris Rechtsportal.
Vertiefend zu Verkehrssicherungspflichten, die äußerst examensrelevant sind, seien folgende Fälle empfohlen
– Zur Verkehrssicherungspflicht bei Bäumen
– Zur Haftung des Waldbesitzers
– Zur Haftung des Autofahrers bei Mitnahme von Kindern
– Zur Haftung des Saunabetreibers
– Zur Haftung eines Baumarktinhabers
– Zur Haftung eines Treibjagdveranstalters

26.05.2014/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-05-26 14:57:372014-05-26 14:57:37Notiz: Warum man mit 75 Jahren und 125 kg nicht an der Stange tanzen sollte…
Maria Lohse

OLG Oldenburg: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers alter Schlossanlagen

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Mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 28.02.2014 (Az.: 11 U 75/13) hat das OLG Oldenburg entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch beim Sturz in einer alten Schlossanlage nicht schon dadurch gegeben ist, dass sich am Unfallort eine Stolperfalle befand.
Sachverhalt:
Die Klägerin besuchte im Mai 2012 im Rahmen einer Gartenausstellung das Schloss Ippenburg in Bad Essen. Im Rahmen dieses Besuchs stürzte sie im Eingangsbereich des Ausstellungsgeländes und verletzte sich schwer. Grund für den Sturz war ein Stolpern der Klägerin über einen sog. Auflaufbock gewesen, eine Art Stütze aus Metall, auf der das Eingangstor im geschlossenen Zustand aufliegt. Da das Tor offen stand, stellte der Auflaufbock durch eine nicht unmittelbar sichtbare Erhöhung im Boden eine Stolperfalle dar.
Die Klägerin verlangt vom beklagten Schlosseigentümer und Veranstalter der Ausstellung Schadensersatz für die eingetretenen Verletzungen.
Das LG Osnabrück lehnte den Schadensersatzanspruch in erster Instanz ab. Das Urteil wurde vom OLG Oldenburg nun bestätigt.
Entscheidung:
Das OLG hielt den Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB nicht für gegeben.
I.  Haftungsbegründender Tatbestand
Der Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass eine Rechts- oder Rechtsgutsverletzung kausal durch ein Handeln oder Unterlassen des Schädigers eingetreten ist, das Handeln oder Unterlassen rechtswidrig und schuldhaft erfolgte.
1. Rechts- oder Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung ist in Form der Körper- und Gesundheitsverletzung bei der Klägerin eingetreten.
2. Handlung oder pflichtwidriges Unterlassen
Dies müsste auf ein Handeln oder Unterlassen des Beklagten zurückgehen.
Handlung meint schon nach dem allgemeinen Wortverständnis ein aktives Tätigwerden auf Seiten des Schädigers. Vorliegend ist jedoch keine Handlung des Schlosseigentümers ersichtlich, an welche zur Zurechnung der Rechtsgutsverletzung angeknüpft werden könnte.
In Betracht kommt daher nur ein sorgfaltswidriges Unterlassen, das zur Rechtsgutsverletzung geführt haben könnte. Jedoch ist nicht jedes Unterlassen tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Rechtsgutsverletzung. Das Unterlassen ist vielmehr nur dann haftungsbegründend, wenn eine Handlungspflicht bestand. Eine solche besteht, wenn den Unterlassenden eine Verkehrssicherungspflicht trifft.
Exkurs: 
a) Wann besteht eine Verkehrssicherungspflicht?
Die Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht scheint dort gerechtfertigt, wo erhöhte Sicherungsmaßnahmen vom Verantwortlichen gefordert werden können. Das kann aus verschiedenen Gründen der Fall sein, etwa bei der Übernahme einer Obhutspflicht hinsichtlich des gefährdeten Rechtsguts oder Rechtsgutsträgers oder aufgrund der Schaffung und Unterhaltung einer Gefahrenquelle. Die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht selbst und die Bestimmung ihres Umfangs hat sich an verschiedenen Kriterien wie der wirtschaftlichen Zuordnung der Gefahrenquelle und der Beherrschbarkeit der Gefahr, der Zumutbarkeit von Maßnahmen für den Verantwortlichen, der Möglichkeit Dritter, Maßnahmen zum Selbstschutz zu ergreifen und der Sicherheitserwartungen selbiger zu orientieren.
Daraus resultieren einige Fallgruppen von Tätigkeiten oder Betrieben, in deren Zusammenhang die Auferlegung von Verkehrssicherungspflichten anerkannt ist. Allen Fallgruppen gemeinsam ist, dass sie eine Steigerung des allgemeinen Lebensrisikos durch den Betrieb oder die Tätigkeit voraussetzen.
b) Welche anerkannten Fallgruppen gibt es?
aa) Schaffung und Betrieb einer Gefahrenquelle
In Fällen der Schaffung und Erhaltung von Gefahrenquellen etwa ist die Auferlegung von Verkehrssicherungspflichten gerechtfertigt durch den wirtschaftlichen Nutzen, den der Berechtigte daraus zieht. Ein Extrembeispiel für diese Fallgruppe wäre etwa der Betrieb eines Atomkraftwerks. Die Verkehrssicherungspflicht, die dem Betreiber aufgebürdet wird, kann quasi als Kehrseite der erteilten Genehmigung für den Betrieb betrachtet werden.
bb) Verkehrseröffnung
Ein weiterer anerkannter Anwendungsfall ist die Öffnung einer Anlage für den Verkehr. Der Betreiber der Anlage zieht ebenso wie derjenige, der die Gefahrenquelle eröffnet und betreibt, einen wirtschaftlichen Nutzen aus ihr. Gemeint sind hier etwa die typischen Fälle des Betriebs eines Schwimmbades oder eines Kinderspielplatzes. Die Haftung kann jedoch nur angemessen sein für solche Schäden, die typischerweise mit der bestimmungsgemäßen Eröffnung der Anlage einhergehen. Das heißt, dass Schäden, welche aus einer Zweckentfremdung der Anlage durch die Besucher entstehen, nicht kompensierbar sind.
cc) Inverkehrbringen von Sachen
Darüber hinaus ist auch das Inverkehrsbringen von Sachen als Fallgruppe der Verkehrssicherungspflichten anerkannt. Hier erscheint die Statuierung einer Verkehrssicherungspflicht aus Gründen der Zustandsverantwortlichkeit und abermals wegen des wirtschaftlichen Nutzens auf Seiten des Vertreibenden verhältnismäßig. Der Distributor von Spülmaschinen etwa hat nicht nur für deren Funktionsfähigkeit zum bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auch dafür zu sorgen, dass ein Gebrauch der Maschine möglich ist, ohne dass sie oder andere Sachen beschädigt werden.
dd) Haftungsübernahme
Verkehrssicherungspflichten können zudem aus einer Haftungsübernahme resultieren. Dazu muss der Pflichtige Sicherungspflichten etwa aufgrund seiner beruflichen Stellung oder aus einer persönlichen Vereinbarung heraus übernommen haben. Die Rechtfertigung einer Haftungsbegründung für ein Unterlassen ist hier sowohl die fehlende Selbstschutzmöglichkeit Dritter wie auch deren Sicherungserwartung gegenüber dem Pflichtigen.
All diesen Fällen der Konstruktion von Verkehrssicherungspflichten ist gemein, dass sich der Haftungsumfang nach den gleichen Kriterien bemisst. Er ist jeweils im Einzelfall zu bestimmen und orientiert sich daran, was dem Pflichtigen in der konkreten Situation zumutbar ist und vom schutzbedürftigen Dritter erwartet werden kann. Der Umfang der Sicherungspflicht kann von Warnung und Instruktion zum Zwecke des Ergreifens von Selbstschutzmaßnahmen bis hin zu Gefahrverhütungs- und –beseitigungspflichten reichen. Auch objektive Kriterien wie der Umfang eines etwaig zu erwartenden Schadens und der Wert der bedrohten Rechtsgüter fließen in die Bestimmung des Umfangs im Einzelfall mit ein.
Für die vorliegende Konstellation hat das OLG Oldenburg das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Auflockbocks verneint.
Zwar handelt es sich hier um einen Fall der Öffnung einer Anlage für den Verkehr, sodass die Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht aus dieser Fallgruppe naheliegen könnte. Die Besucher einer solchen alten Schlossanlage träfen jedoch gesteigerte Sorgfaltspflichten. Insbesondere wäre ihnen erkennbar, dass keine Barrierefreiheit im Bereich von Eingängen und Toren solcher Anlagen gewährleistet sein könne. Die Klägerin hätte bei erhöhter Aufmerksamkeit erkennen können, dass eine Erhöhung im Bodenbereich besteht. Der Sturz wäre somit vermeidbar gewesen.
Die geforderte Sorgfalt habe sie hingegen nicht beachtet, sodass der Unfall ihr selbst und nicht dem Anlagenbetreiber und Schlosseigentümer wegen dessen pflichtwidrigen Unterlassens zuzurechnen sei.
II. Ergebnis
Die Beklagte trifft nach Ansicht des Gerichts keine Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Stolperfalle. Der haftungsbegründende Tatbestand ist damit schon nicht erfüllt.
Fazit:
Mit dem vorliegenden Urteil werden die Anwendungsfälle der Verkehrssicherungspflicht weiter konkretisiert.
Deutlich wird daraus zunächst, dass es sich bei der Konstruktion von Verkehrssicherungspflichten nicht um eine Art Automatismus handelt, der aus Zweckmäßigkeitserwägungen immer dort herangezogen wird, wo die Anknüpfung an eine aktive Handlung nicht denkbar ist. Dies gilt auch dann, wenn die Gestaltung im Einzelfall grundsätzlich einer zuvor definierten Fallgruppe unterfällt. Betont wird hier vielmehr die Wichtigkeit der Vornahme einer Bewertung und Abwägung im Einzelfall.
Im Ergebnis ist der Entscheidung des Gerichts zuzustimmen. Richtig ist, dass bei derartigen Anlagen aufgrund vormals geltender Standards zur Zeit der Errichtung der Maßstab für die Sicherung nicht zu streng angelegt werden darf. Anderenfalls entstünde nämlich – und hier ist ein Rückbezug zu den oben benannten Kriterien möglich – eine unzumutbare Belastung für den Anlagenbetreiber.
Die Entscheidung ist von Relevanz für das Examen, da sie eine optimale Verknüpfung zwischen der Darstellung erlernten Wissens zur Verkehrssicherungspflicht überhaupt und der Möglichkeit zur Argumentation am konkreten Einzelfall bietet.
 

07.03.2014/0 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-03-07 14:00:482014-03-07 14:00:48OLG Oldenburg: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers alter Schlossanlagen
Maria Lohse

OLG Oldenburg: Haftung des Treibjagdveranstalters aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht

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Das OLG Oldenburg als Berufungsinstanz hat mit Urteil vom 05.12.2013 (Az.: 14 U 80/13) entschieden, dass der Veranstalter einer Treibjagd für Schäden haften muss, die infolge des Jagdgeschehens durch ausbrechende Nutztiere innerhalb des Jagdreviers entstehen, wenn vorher keine Mitteilung an Landwirte erfolgt ist, die ihre Nutztiere innerhalb des Jagdreviers halten.
Sachverhalt:
Im Dezember 2009 veranstalteten die Beklagten in dem von ihnen gepachteten Jagdrevier eine Treibjagd. Daran nahmen mehrere Jäger mit ihren Jagdhunden teil. Innerhalb des Jagdreviers befand sich das landwirtschaftliche Anwesen des Klägers. Er hielt innerhalb einer umzäunten Weide im Jagdrevier seine Rinder. Im Verlauf des Jagdgeschehens lief ein von einem Jagdgast geführter Hund auf die Rinderweide des Klägers. Die dort grasenden drei Rinder wurden dadurch in Panik versetzt und ergriffen die Flucht, wobei sie auch die Umzäunung durchbrachen. Die Weide lag in unmittelbarer Nähe zu mehreren vielbefahrenen öffentlichen Straßen. Nachdem der Kläger die Flucht der Tiere bemerkt hatte, die bis dahin mehrere Kilometer Wegstrecke gelaufen waren, versuchte er, sie wieder einzufangen. Dabei lief er neben einem der Rinder her und versuchte es durch Klopfen auf den Hals zum Laufen in Richtung der Weide zu bewegen. Wegen der bereits eingetretenen Dunkelheit stürzte der Kläger bei dem Versuch und zog sich dabei einen komplizierten Splitterbruch der rechten Hand zu.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen der bei ihm eingetretenen Schäden.
Entscheidung:
Das OLG Oldenburg hat der Klage stattgegeben und die Sache zur Entscheidung über die Höhe des Schadensersatzanspruchs an das Landgericht Osnabrück zurück verwiesen.
Dem Kläger steht nach Ansicht des OLG ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB zu.
A. Haftungsbegründender Tatbestand
Im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestands war vor allem die Bestimmung eines pflichtwidrigen Handelns der Beklagten problematisch.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Verletzung des Eigentums des Klägers lag vor. Die in seinem Eigentum stehenden Rinder entliefen infolge des Jagdgeschehens. Das müsste jedoch auch kausal auf einem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten beruht haben.
2. Handeln oder Unterlassen der Beklagten
Als relevantes Handeln kommt zunächst das Abhalten der Jagd selbst in Betracht. Ohne die Treibjagd im betreffenden Gebiet wären die Schäden beim Kläger nicht eingetreten. Allerdings waren die Veranstalter Pächter des betreffenden Jagdgebiets und somit Jagdausübungsberechtigte. Das Abhalten der Treibjagd an sich ist danach nicht als anknüpfungsfähiges Verhalten tauglich.
Nach Ansicht des Gerichts haben die Beklagten jedoch eine Verkehrssicherungspflicht verletzt.  Verkehrssicherungspflichten dienen dazu, die Haftung bei Unterlassungen zu begründen und bei mittelbaren Rechtsverletzungen zu beschränken. Sie setzen voraus, dass der Pflichtige verantwortlich ist für eine bestimmte Gefahrenquelle. Verkehrspflichten resultieren entweder aus einem erlaubten, aber gefahrträchtigen Verhalten des Pflichtigen oder aus dem Betrieb einer gefahrträchtigen Anlage sowie der Eröffnung einer Einrichtung für den öffentlichen Verkehr.
Es versteht sich von selbst, dass Verkehrssicherungspflichten nicht beliebig überall dort konstruiert werden können, wo eine Haftung auf anderer Grundlage mangels tauglichen Verhaltens, an das angeknüpft werden könnte, ausscheidet. Obgleich mit der Pflichtigkeit stets auch ein Vorteil des Pflichtigen korreliert – er zieht den wie auch immer ausgestalteten Nutzen aus der gefahrträchtigen Handlung oder Anlage – darf der Bogen gleichwohl nicht überspannt werden. Insofern darf die Auferlegung von Sicherungspflichten nicht willkürlich und unverhältnismäßig werden.
Der Inhalt der jeweiligen Pflicht hat sich dabei am konkreten Einzelfall zu orientieren. Abzustellen ist auf die Erwartung der beteiligten Verkehrskreise, wobei als Maßstab die schutzbedürftigste Personengruppe, die mit der Gefahrenquelle bestimmungsgemäß in Kontakt kommt, dienen soll. Für den speziellen Bereich der Jagd sind besondere Verhaltensanforderungen zum einen im BjagdG, zum anderen in den Unfallverhütungsvorschriften Jagd (UVV) normiert. Vorrangig aus diesen Regelungen können Verkehrssicherungspflichten des Jägers resultieren.
Bei Durchsicht der betreffenden Gesetze findet sich keine Vorschrift, die den Veranstalter einer Jagd zur vorherigen Unterrichtung der im Jagdgebiet ansässigen Landwirte verpflichtet. Das Gericht ist gleichwohl der Meinung, dass eine dahingehende Pflicht besteht. Dies ergebe sich aus der allgemeinen Pflicht des Organisators einer Jagd, für die Schadloshaltung Dritter durch jagdtypische Gefahren zu sorgen.
Dazu gehöre auch, dass er sich vor Beginn der Treibjagd darüber informiert, ob sich in dem zu durchjagenden Gebiet Nutztiere befinden und ggf. den Eigentümer derselben über die geplante Jagd zu informieren, sodass er entsprechende Vorkehrungen zum Schutz seines Eigentums treffen kann. Geschieht dies nicht, so habe der Veranstalter zumindest dafür Sorge zu tragen, dass mitgeführte Hunde an der Leine geführt werden und ein angemessener Abstand zu Weiden mit Nutztieren eingehalten wird. Dass eine dahin lautende Pflicht weder im BJagdG, noch in der UVV Jagd geregelt sei, sei unschädlich für deren Annahme im konkreten Fall. Die UVV Jagd sei hinsichtlich bestehender Verhaltenspflichten der angesprochenen Jäger keine abschließende Regelung. Darüber hinaus könnten vielmehr im Einzelfall weitere Verhaltensanforderungen zwingend aufzugeben sein.
3. Kausalität, Rechtswidrigkeit, Verschulden
Die verletzte Verkehrspflicht führte kausal zu den beim Kläger eingetretenen Rechtsverletzungen.
Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Beklagten haben die Verkehrssicherungspflicht auch schuldhaft, nämlich jedenfalls fahrlässig, verletzt.
Der haftungsbegründende Tatbestand ist daher vorliegend erfüllt.
B. Haftungsausfüllender Tatbestand
Auch der haftungsausfüllende Tatbestand war nach Ansicht des Gerichts erfüllt.
Dazu ist erforderlich, dass die eingetretenen Schäden kausal auf der verursachten Rechtsverletzung beruhen und zudem ersatzfähig sind.
1. Kausaler, ersatzfähiger Schadens
a) Ein Schaden ist hier zunächst am Zaun des Klägers eingetreten, den die Rinder bei der Flucht beschädigt haben. Dieser Schaden steht in kausalem Zusammenhang mit der obigen Rechtsgutsverletzung.
b) Weiterhin ist ein Schaden am Körper des Klägers eingetreten. Dieser entstand bei dessen Versuch eines Einfangens der Rinder nach deren kausal verursachter Flucht. Dabei lief der Kläger neben einem der Rinder her und wollte das Tier durch Klopfen auf den Hals in Richtung Koppel treiben. Er stürzte und zog sich einen komplizierten Splitterbruch der rechten Hand zu.
Bei diesem Schaden kann fraglich sein, ob er kausal auf dem pflichtwidrigen Verhalten der Treibjagdveranstalter basiert, das darin bestand, die Verkehrssicherungspflicht zur vorherigen Information ansässiger Landwirte über die bevorstehende Treibjagd zu missachten. Dies erscheint zunächst fraglich, denn der Kläger selbst traf ja vorliegend die Entscheidung, die Tiere bei Dunkelheit wieder einfangen zu wollen und das auf die beschriebene Weise zu tun. Er könnte daher den Kausalverlauf durch ein eigenverantwortliches Dazwischentreten unterbrochen haben.
Nach Ansicht des OLG Oldenburg ist Kausalität jedoch gegeben. Der Kläger habe sich in Anbetracht der Situation angemessen verhalten. Aufgrund der Nähe zu mehreren vielbefahrenen Straßen sei trotz herannahender Abenddämmerung ein sofortiges Einfangen geboten gewesen.
Relevant ist in dem vorliegenden Fall die Herausforderungsproblematik im Schadensersatzrecht. Danach kann der Geschädigte vom Schädiger nach gefestigter Rechtsprechung Ersatz auch für solche Schäden verlangen, die dadurch entstanden sind, dass sich der Geschädigte durch das vorwerfbare Verhalten des Schädigers dazu herausgefordert fühlte, sich in eine Gefahrensituation zu begeben. Zumindest wenn die selbstgefährdende Reaktion auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruhte, haftet der Schädiger für die daraus beim Geschädigten entstandenen Schäden.
So liegt der Fall hier: Das Gericht hielt die Reaktion des Klägers auf die Flucht der Tiere für angemessen und erforderlich. Er durfte sich dazu herausgefordert fühlen. Sein Verhalten in der konkreten Situation sei zwar gefährlich gewesen, aufgrund der gesamten Umstände sei es jedoch als letztes Mittel gerechtfertigt gewesen. Daher komme auch ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 BGB nicht in Betracht. Der eingetretene Schaden sei ihm von den Beklagten vollumfänglich zu ersetzen.
2. Ergebnis
Der haftungsausfüllende Tatbestand ist vollumfänglich erfüllt. Der Kläger kann Schadensersatz für alle eingetretenen Schäden von den Beklagten verlangen.
Stellungnahme:
Die Entscheidung des OLG enthält einige Standardprobleme aus dem Schadensersatzrecht und besitzt daher Examensrelevanz.
Im Ergebnis ist sie insbesondere hinsichtlich der Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht der Jagdveranstalter problematisch. Wie dargestellt existieren spezielle Regelungen im Bereich der Jagd, welche Pflichten des Jägers begründen. Der Schluss des Gerichts, dass die hier geregelten Verhaltensanforderungen nicht abschließend gemeint seien, ist keineswegs zwingend. Insofern könnte hier durchaus von einer Überdehnung der grundsätzlich zulässigen Konstruktion von Verkehrssicherungspflichten gesprochen werden.
Diese Einschätzung wäre jedoch etwas vorschnell. Zu beachten ist nämlich, dass sich die festgestellte Verkehrssicherungspflicht nicht unbedingt aus einer ergebnisorientierten Perspektive des Gerichts ergeben muss, sondern dogmatisch sauberer ebenso gut aus einer Gesamtschau der relevanten Normen aus BjagdG und der UVV Jagd konstruiert werden können: Der Schutzzweck beider Regelwerke ist deutlich darauf gerichtet, den Eintritt jagdtypischer Schäden auch bei unbeteiligten Dritten zu verhindern. Aus diesem erkennbaren Gesetzeszweck ergibt sich bereits zwanglos auch das Streben nach möglicher Verhinderung von Gefahrensituationen im Vorhinein anstelle einer Kompensation im Nachhinein. Informationspflichten sind dabei ein geradezu typisches Instrument präventiver Gegensteuerung im Zivilrecht. Aus dieser Überlegung heraus ist auch der Schritt zu der hier konkret geforderten Information der Landwirte nicht mehr weit, gerade weil für die Annahme von Verkehrssicherungspflichten ja anerkannt ist, dass sie sich am konkret zur Beurteilung stehenden Fall zu orientieren habe.
Diesen Erwägungen entsprechend ist der Bejahung einer solchen Verkehrssicherungspflicht im vorliegenden Fall mE zuzustimmen.
 
 

17.01.2014/4 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-01-17 14:00:462014-01-17 14:00:46OLG Oldenburg: Haftung des Treibjagdveranstalters aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht
Dr. Jan Winzen

OLG Hamm: Zur Verkehrssicherungspflicht des Baumarktbetreibers

Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Klassischer (im prüfungstechnischen Sinne) hätte die Fragestellung, die einer jüngst veröffentlichten Entscheidung des OLG Hamm (9 U 187/12) zugrunde lag, kaum sein können: Haftet der Betreiber eines Baumarkts dem Grunde nach für Schäden, die einer Kundin in Folge des Ausrutschens auf einer verunreinigten Stelle im Kassenbereich des Baumarkts entstanden sind und möglicherweise zukünftig noch entstehen werden?
A. Rechtliche Würdigung
I. Richtige Anspruchsgrundlage: §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB
Der richtigen Anspruchsgrundlage sollte man sich hier unbedingt systematisch nähern (zur Erinnerung: vertraglich – quasi vertraglich – GoA – dinglich – deliktisch/bereicherungsrechtlich, zur Wiederholung dieser wichtigen Zusammenhänge sei an dieser Stelle auf die gut verständliche Darstellung bei Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Auflage, Rn. 7 ff. verwiesen). Anders als in zahlreichen Fällen zur Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (siehe etwa hier, hier und hier) liegt nämlich eine vertragliche Beziehung zwischen den Parteien vor, denn

Indem die Klägerin die Geschäftsräume der Beklagten betreten hat, um Waren zu erwerben, ist gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entstanden.

Da eine Verletzung dieser Pflichten in Rede steht, ist die Anspruchsgrundlage folglich nicht, wie sonst häufig, § 823 Abs. 1 BGB, sondern §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB zu entnehmen.
II. Tatbestandsvoraussetzungen
1. Schuldverhältnis
Die Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses zwischen der Kundin und dem Betreiber des Baumarkts (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) wurde bereits dargelegt.
2. Pflichtverletzung
Der Betreiber des Baumarkts müsste eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. Einem Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB erwachsen insoweit nur die Schutzpflichten des § 241 Abs. 2 BGB. Gegenstand der Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB ist u.a. die Pflicht zur Erhaltung des Integritätsinteresses und folglich – soweit möglich – die Vermeidung von Verletzungen potentieller Vertragspartner.
Zur Konkretisierung der Reichweite dieser Pflicht werden die zu den insoweit inhaltsgleichen Verkehrssicherungspflichten im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen (siehe etwa BGH, Urteil vom 09.09.2008 – VI ZR 279/06 Rz. 9 (juris)). § 241 Abs. 2 BGB ist folglich verletzt, wenn der Baumarktbetreiber eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.
Es empfiehlt sich bei der weiteren Bearbeitung eine zweistufige Prüfung: Zuerst sollte man abstrakt den genauen Inhalt der Verkehrssicherungspflicht bestimmen, um dann im zweiten Schritt die Anwendung auf den konkreten Fall vornehmen zu können.
a) Inhalt der Verkehrssicherungspflicht
Der Prüfungsmaßstab richtet sich nach den zu § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Kriterien:

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.

Einzelhandelsunternehmen sind – das ist in der Rechtsprechung schon lange anerkannt – grundsätzlich Adressaten von Verkehrssicherungspflichten. Dem folgt auch das OLG Hamm:

Diese Verpflichtung trifft auch ein Einzelhandelsunternehmen in Bezug auf seine Geschäftsräume.

 
Im Hinblick auf die Bestimmung der Reichweite der Verkehrssicherungspflicht hat das Einzelhandelsunternehmen

in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass die Kunden durch die angebotene Ware und den Zustand der Geschäftsräume – insbesondere auch des Fußbodens – keine Schäden erleiden.

Der Umfang der damit korrespondierenden Kontrollpflichten

hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab – u.a. von der Kundenfrequenz, der Witterung sowie dem von den zum Verkauf angebotenen Waren ausgehenden Gefahrenpotential.

Verschiedenartige Einzelhandelsunternehmen sind, wie das OLG Hamm ausführt, bereits Gegenstand der Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten gewesen:

  • Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarktes: große Rutschgefahr – Reinigung des Bodens durch eine bestimmte Person in kurzen Abständen (15 bis 20 Minuten) + Überwachung durch die Laden- und Abteilungsaufsicht  (OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 158).
  • Selbstbedienungs-Drogeriemarkt: nur ausnahmsweise Rutschgefahr – regelmäßige Kontrolle (alle 30 Minuten) (OLG Hamm, NJW-RR 2002, 171).
  • Warenhaus: ständige Anwesenheit eines mit der Ladensicherheit betrauten Mitarbeiters + Anweisung aller Mitarbeiter, auf Verunreinigungen zu achten und diese zu beseitigen oder zu melden (OLG Köln, VersR 2009, 233).
  • Lebensmittelmarkt mit einer Größe von 650 m²: Anweisung aller Mitarbeiter, den Zustand des Bodens regelmäßig zu kontrollieren und Verunreinigungen sogleich zu beseitigen + regelmäßige Kontrolle der Einhaltung dieser Weisungen durch den Filialleiter (wobei diese Kontrolle im Kassenbereich alle 10 bis 15 Minuten erfolgt) (OLG Köln, VersR 1997, 1113)

Bei der Bestimmung der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers eines Selbstbedienungsbaumarkts ist vor diesem Hintergrund zu berücksichtigen:

dass ihr Warensortiment zwar nicht das Gefahrenpotential des Warensortiments eines Lebensmittelmarktes, insbesondere einer Obst- und Gemüseabteilung, hat. Die meisten Artikel sind verpackt, so dass eine Rutschgefahr durch den Inhalt der Verpackungen nur bei geöffneten oder beschädigten Verpackungen besteht. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass in dem von der Beklagten betriebenen Baumarkt auch Pflanzen verkauft werden, die üblicherweise nicht verpackt sind. Von diesen Pflanzen geht die Gefahr aus, dass sie Teile – wie z.B. Blätter – verlieren und dass aus der bewässerten Erde Wasser austritt. Insbesondere auch im Hinblick auf diese Gefahr muss der Betreiber eines Baumarktes für regelmäßige Kontrollen sorgen. Diese Verpflichtung betrifft im besonderen Maße den Kassenbereich, den die Kunden mit Waren aller Art passieren und in dem die Aufmerksamkeit durch die ggf. mit sich geführten Waren, das Warensortiment sowie die Verkaufsvorgänge abgelenkt ist. Die Abstände der Kontrollen hängen von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere auch dem Kundenaufkommen.

Daraus ergibt sich nach Ansicht der Gerichts das folgende Pflichtenprogramm:

Bei einem durchschnittlich starken Kundenaufkommen ist eine Kontrolle im Abstand von 30 Minuten erforderlich und ausreichend. Die generelle Anweisung an alle Mitarbeiter, auf Verunreinigungen insbesondere im Kassenbereich zu achten, ist nur dann ausreichend, wenn eine Person für die regelmäßige Kontrolle dieser Anweisung verantwortlich ist und diese auch in kurzen Abständen durchführt.

b) Einhaltung der so besitmmten Verkehrssicherungspflicht durch den Baumarktbetreiber
Der Baumarktbetreiber hat nach Ansicht des OLG Hamm seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, denn:

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist der im Rahmen der sekundären Darlegungslast erfolgte Vortrag der Beklagten, Sichtkontrollen im Kassenbereich hätten in Intervallen von 15 bis 30 Minuten stattgefunden und seien von der Filialleitung regelmäßig überprüft worden, so dass 10 Minuten vor dem Sturz der Zeuge M den Bereich vor der Kasse Nr. 1 überprüft und dabei keine Bodenverunreinigungen festgestellt habe, nicht bewiesen.

In einer Klausur des ersten Staatsexamens würde man hier freilich eher mit einem unstreitigen Sachverhalt konfrontiert werden, dessen Subsumtion dann vermutlich auch keine größeren Schwierigkeiten bereiten dürfte.
c) Zwischenergebnis
Eine Pflichtverletzung im Sinne des §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB liegt in Form der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vor.
3. Kausalität – Anscheinsbeweis
Die entstandenen Schäden müssten kausal auf die Pflichtverletzung zurück zu führen sein. Ein typischer Beklagteneinwand ist insoweit die Behauptung, es sei nicht aufgrund der Verkehrssicherungspflichtverletzung, sondern aufgrund einer anderen Ursache zu dem Sturz gekommen.
Auch im ersten Examen können Sachverhalte mitunter so gestaltet sein, dass die Kausalität nicht mit Sicherheit feststeht. Das ist aber nicht weiter problematisch, wenn und weil dann zumindest feststehen wird, dass zur Zeit des Unfalls eine Flüssigkeit auf dem Boden befand und dass die Klägerin an genau dieser Stelle gestürzt ist. So kann die Entscheidung nämlich auf Grundlage eines Anscheinsbeweises getroffen werden:

Aufgrund des Anscheinsbeweises ist weiter davon auszugehen, dass die Klägerin wegen des verkehrssicherungswidrigen Zustands des Fußbodens gestürzt und sich am Knie verletzt hat. Kann festgestellt werden, dass sich zur Zeit des Unfalls eine Flüssigkeit auf dem Boden befand und dass die Klägerin an dieser Stelle gestürzt ist, so streitet der Anscheinsbeweis dafür, dass die auf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht beruhende Glätte eine Bedingung für den Sturz der Klägerin war, es bei Beachtung der Verkehrssicherungspflicht also nicht zu dem Unfall gekommen wäre.
Weiter ist das Landgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte als Betreiberin des Baumarktes in diesem Fall die tatsächliche Vermutung erschüttern muss, indem sie darlegt und beweist, dass es nicht aufgrund der Verkehrssicherungspflichtverletzung, sondern aufgrund einer anderen Ursache zu dem Sturz gekommen ist. Daran fehlt es vorliegend.

Die Kausalität ist damit im Ergebnis zu bejahen.
4. Verschuldensvermutung (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB)

Die Beklagte hat sich nicht gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entlastet. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, dass ihr die Einhaltung der objektiv erforderlichen Verkehrssicherungspflichten subjektiv in der konkreten Situation nicht möglich oder zumutbar war.

5. Mitverschulden (§ 254 BGB)
Das OLG Hamm nimmt schließlich aber noch ein Mitverschulden seitens der Klägerin an, denn:

Die Klägerin hat durch ihre Unaufmerksamkeit dazu beigetragen, dass es zu dem Sturz gekommen ist. Insoweit ist der vom Landgericht angeführte Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass in einem Selbstbedienungs-Baumarkt eine völlige Gefahrlosigkeit von den Kunden nicht erwartet werden kann. Deshalb sind die Kunden eines Selbstbedienungsgeschäftes veranlasst, sich auf die für das Selbstbedienungssystem typischen und vom Betreiber nie völlig auszuräumenden Risiken einzustellen und durch entsprechende Aufmerksamkeit für die eigene Sicherheit zu sorgen. Die danach erforderliche Aufmerksamkeit hat die Klägerin nicht aufgebracht. Dies folgt bereits aus ihren eigenen Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Dort hat die Klägerin erklärt, sie habe die Lache nicht gesehen, weil sie beim Gehen ja nicht permanent auf den Boden schaue. Des Weiteren hat die Klägerin den Durchmesser der Lache mit 15 bis 20 cm angegeben – einer Größe, die bei gehöriger Sorgfalt ohne weiteres erkennbar ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass – wenn die Klägerin aufmerksam auf den Boden geschaut hätte – sie die Lache erkannt hätte und es nicht zu dem Sturz gekommen wäre.

6. Ergebnis
Der Kundin steht unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB dem Grund nach zu.
B. Fazit
Die Entscheidung des OLG Hamm ist in ihrer gutachterlichen Beurteilung nicht besonders komplex. Die Haftung für aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten entstandene Schäden dürfte wohl den meisten Kandidaten bekannt sein (siehe, neben den eingangs schon genannten, zu weiteren jüngeren Entscheidungen hier, hier und hier). Umso wichtiger ist es sicherlich, präzise zu arbeiten und die wenigen Besonderheiten zutreffend und mit der richtigen Gewichtung zu würdigen. Dass vorliegend eine vertragliche Anspruchsgrundlage und nicht § 823 Abs. 1 BGB zu prüfen ist, sollte deshalb besser nicht übersehen werden (auch wenn die Ergebnisse letztlich nicht von einander abweichen dürften). Der Anscheinsbeweis im Rahmen der Kausalität kommt (insbesondere in der Praxis und im zweiten Examen) regelmäßig bei Verkehrssicherungspflichten und sollte deshalb in seinen Grundzügen auch im ersten Examen bekannt sein (häufiger anzutreffen ist die Figur freilich beim Verkehrsunfall).
Sowohl für die Zusatzfrage im ersten Examen als auch für das zweite Examen (dann prozessual eingekleidet) ist daran zu denken, dass wegen des Schmerzensgeldes ein in der Höhe unbestimmter Klageantrag (Ermessen des Gerichts) gestellt werden sollte. So ist einerseits das Gericht nicht gehindert, ein höheres Schmerzensgeld auszuurteilen (Bindung an den Antrag gem. § 308 Abs. 1 ZPO). Andererseits lässt sich auch das Prozesskostenrisiko vermindern. Die Klage ist freilich nur zulässig, wenn im Hinblick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ein Mindestbetrag angegeben wird. Der Feststellungsantrag (§ 256 ZPO) wegen der Ersatzpflicht für zukünftig noch entstehende Schäden ist nach st. Rspr. nur zulässig, wenn zumindest die Möglichkeit weiterer Schäden besteht, da es andernfalls an dem erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass das OLG Hamm hier als Berufungsgericht über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach durch Teilurteil entscheiden konnte (und musste), § 304 Abs. 1 ZPO. Zur Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Zahlungsansprüche war der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif und daher an das Landgericht zurückzuverweisen.
 

10.06.2013/0 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-06-10 08:00:142013-06-10 08:00:14OLG Hamm: Zur Verkehrssicherungspflicht des Baumarktbetreibers
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Unterlassungsanspruch bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Suchergänzungsvorschlägen bei „Google“

Deliktsrecht, IPR, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

A. Sachverhalt
In einem am 14.05.2013 entschiedenen Fall (VI ZR 269/12) stellte sich dem BGH die Frage, ob Google eine Pflicht zur Prüfung und Löschung von Suchvorschlägen (sog. Autocomplete-Funktion) in seiner Suchmaschine trifft (s. einen Bericht im Tagesspiegel). Bei Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaske erschienen u.a. die Suchvorschläge „Scientology“ und „Betrug“. Dabei stand der Kläger (ein Unternehmen und sein Vorstand) nachweislich nicht in einem Näheverhältnis zu Scientology noch war ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges eingeleitet worden. Daher sah sich der Kläger in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und machte einen Unterlassungsanspruch sowie einen Schadensersatzanspruch gegen Google geltend.
B. Entscheidung
I. Unterlassungsanspruch
Ein Unterlassungsanspruch könnte sich vorliegend aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, 1 I GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) ergeben.
1. Anwendbarkeit deutschen Rechts
Dafür müsste zunächst deutsches Recht überhaupt Anwendung finden. Dies ergibt sich hier daraus, dass der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung im Internet grundsätzlich überall dort ist, wo die Internetseite abrufbar ist, Art. 40 EGBGB. Somit findet nach Wahl des Klägers gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB deutsches Recht Anwendung.
Anm.: Hier findet die Rom II-VO wegen Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO ausnahmsweise keine Anwendung, so dass nach Art. 40 EGBGB anzuknüpfen ist (vgl. auch MüKoBGB/Junker, 5. Aufl. 2010, Art. 40 EGBGB Rn. 20).
2. Voraussetzungen § 1004 Abs. 1 S. 2 analog
Zunächst müsste ein Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut vorliegen. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB schützt in analoger Anwendung neben dem genannten absoluten Rechtsgut Eigentum auch alle von § 823 I BGB umfassten absoluten Rechtsgüter, sog. quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch (vgl. MüKoBGB/Baldus, 6. Aufl. 2013, § 1004 Rn. 32f.). Als verletztes absolutes Rechtsgut kommt hier allein das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in Betracht, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit (grundlegend das sog. Lebach-Urteil des BVerfG v. 5.6.1973 -1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202). Es handelt sich hierbei um ein Rahmenrecht, dessen Grenzen im Einzelfall  nach Abwägung der widerstreitenden Interessen festzulegen sind (MüKoBGB/Wagner, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn. 179).
Gegen eine Beeinträchtigung ließe sich (so die Instanzgerichte, vgl. LG Köln v. 19.10.2011 -28 O 116/11 u OLG Köln 10.05.2012 – 15 U 199/11) anführen, dass Google durch die Suchvorschläge überhaupt keine inhaltliche Aussage über den Kläger trifft. Die Suchvorschläge beruhen auf der Berechnung eines Algorithmus auf der Grundlage der Suchaufträge anderer Nutzer, so dass Google im Einzelfall auf die Suchvorschläge gar keinen Einfluss hat. Hieraus ließe sich ableiten, dass Google mangels genauer Kenntnis auch gar keine inhaltliche Aussage über den Kläger treffen kann und auch keine Aussage Dritter weiter gibt.. Dies ist dem maßgeblichen Durchschnittsinternetnutzer auch bewusst, sodass schon gar keine negative Aussage über den Kläger getroffen wird, sondern eine bloße inhaltsleere Wiedergabe einer mathematischen Berechnung. Außerdem könnte man anführen, dass die automatische Vervollständigung mehrdeutig ist (Ist der Kläger Mitglied oder Gegner von Scientology? Hat er einen Betrug begangen oder kämpft er gegen Betrug?), was bei Durchführung der Suche durch den Nutzer aufgeklärt würde (anders wohl nach der Stolpe-Rechtsprechung (BVerfG v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98): es genügt wenn eine mögliche Aussage persönlichkeitsrechtsverletzend ist, da dann zukünftig anders formuliert werden kann). Daher läge schon keine Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor.
Der BGH hingegen sah eine Beeinträchtigung als gegeben an (vgl. Pressemitteilung 87/2013 v. 14.05. 2013).
Für eine Beeinträchtigung spricht, dass durch die Autocomplete-Funktion von Google dem maßgeblichen Durchschnittsnutzer suggeriert wird, dass die Vorschläge einen gewissen Wahrheitskern beinhalten. Die Autocomplete-Funktion soll dem User ein möglich schnelles und effektives Surfen garantieren. Das bedeutet zugleich, dass die Suchvorschläge zumindest den Anschein erwecken sinnvoll zu sein. Die maßgebliche Aussage wäre also, dass es sinnvoll ist den Kläger zusammen mit dem Begriff „Scientology“ oder „Betrug“ zu suchen. Diese Aussage würde den Kläger dann in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen.
An dieser Stelle müsste der Streit entschieden werden. Hier kommt es entscheidend darauf an, welche Aussage man den Suchvorschlägen beimisst:
Nimmt man an, dass der Suchvorschlag lediglich die Aussage beinhaltet, dass die jeweiligen Begriffe häufig zusammen gesucht worden sind, liegt mangels Unwahrheit keine Beeinträchtigung vor bzw. müsste diese geduldet werden.
Unterstellt man hingegen die Aussage, dass eine inhaltliche Verbindung zwischen Suchwort und Vorschlag besteht, liegt eine Beeinträchtigung wegen Unwahrheit der Aussage vor.
Der BGH führt aus:

„Die Suchwortergänzungsvorschläge „Scientology“ und „Betrug“ bei Eingabe des Vor- und Zunamens des Klägers zu 2 in die Internet-Suchmaschine der Beklagten beinhalten eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger, da ihnen ein fassbarer Aussagegehalt innewohnt, zwischen dem Kläger zu 2 und den negativ belegten Begriffen „Scientology“ und/oder „Betrug“ besteht ein sachlicher Zusammenhang.“

Entscheidend zur Bestimmung des Inhaltes der Aussage muss sein wie der Durchschnittsnutzer den Suchvorschlag versteht. M.E. stellt ein Durchschnittsnutzer bei Suchvorschlägen instinktiv eine Verbindung zwischen Suchwort und Vorschlag her. Eine inhaltliche Verbindung besteht zumindest bis eine weitere Suche das Gegenteil belegt. Es kann aber nicht angenommen werden, dass jeder User eine solche vornimmt. Dann bleibt die unwahre Aussage über die Verbindung zu „Scientology“ und „Betrug“ aber bestehen und beeinträchtigt den Kläger in seinem APR.
Daher liegt m.E. eine Beeinträchtigung des APR des Klägers durch die Suchvorschläge Googles vor (Gegenteil aber sicher gut vertretbar).
Aufgrund der Unwahrheit der Aussage besteht keine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2.  (Anm.: In Fällen der Unklarheit müsste hier eine umfassende Güter-und Interessenabwägung stattfinden, zB Art. 12 GG vs. APR).
Google hat den Nutzer die Vorschläge unterbreitet, ist also Handlungsstörer.

„Diese Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger ist der Beklagten auch unmittelbar zuzurechnen. Sie hat mit dem von ihr geschaffenen Computerprogramm das Nutzerverhalten ausgewertet und den Benutzern der Suchmaschine die entsprechenden Vorschläge unterbreitet.“

Als Rechtsfolge muss Google daher die persönlichkeitsrechtsverletzenden Suchvorschläge „Scientology“ und „Betrug“ löschen.
Der Kläger hat somit einen Anspruch gegen Google auf Löschung der Suchvorschläge „Scientology“ und „Betrug“ in Zusammenhang mit seinem Namen aus § 1004 Abs 1 S. 2 iVm. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.
II. Schadensersatzanspruch wegen Persönlichkeitsverletzung
Hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches stellte sich die praktisch spannende und interessante Frage, ob Google nun alle Suchvorschläge auf etwaige persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte durchsuchen muss und bei Verstößen haftet.
Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 823 Abs.1 iVm. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs.1 GG (APR) in Betracht. Eine Verletzung des APR liegt nach hier vertretener Meinung vor (s.o.).
Fraglich ist, ob auf aktives Tun oder Unterlassen abzustellen ist. Dies ist nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit zu beurteilen. Sicherlich kann Google nicht die Verwendung einer automatisierten Autocomplete-Funktion vorgeworfen werden. Vielmehr kommt ein schuldhaftes Unterlassen der Überprüfung bei Hinweisen auf verletzende Inhalte in Betracht.
Ein Unterlassen ist aber nur dann haftungsauslösend, wenn gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstoßen worden ist. Diese könnte sich aus einer Verkehrspflicht ergeben. Wenn Google die Möglichkeit bereit stellt über eine automatisierte Suchhilfe Inhalte schneller zu finden, muss diese so ausgestaltet sein, dass Dritte nicht in ihren Rechten verletzt werden. Eine Rechtspflicht zum Handeln besteht daher.
Allerdings muss ein Pflichtiger nur solche Maßnahmen ergreifen, die zumutbar und sinnvoll erscheinen. Insofern muss hier der Inhalt der Rechtspflicht Googles bestimmt werden.
Der BGH bezog in seiner Pressemitteilung wie folgt Stellung:

„Der Betreiber einer Suchmaschine ist regelmäßig nicht verpflichtet, die durch eine Software generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt.“

Somit liegt eine Prüfpflicht erst vor, wenn Google Kenntnis von den verletzenden Inhalten hat. Dem ist m.E. zuzustimmen: Die Suchvorschlagsfunktion wäre praktisch nicht mehr rechtmäßig durchzuführen, da diese sich dynamisch an die Suchaufträge anderer Nutzer anpasst. Eine ständige Kontrolle erscheint nicht praktikabel.
Angesichts der in der Regel nur geringen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts wäre eine solche schlicht unzumutbar (wenn nicht ohnehin schon unmöglich).
Mangels Verstoßes gegen eine Rechtspflicht scheidet ein Schadensersatzanspruch daher aus.
Anm.: Insoweit hat der BGH an die Vorinstanz verwiesen; evtl. hat Google durch die Weigerung schon gegen diese Prüfpflicht verstoßen. Wegen der unklaren Rechtslage wird aber wohl ein Verschulden iSd. § 823 Abs. 1 BGB abzulehnen sein.
Zukünftig kommt ein Schadensersatzanspruch allerdings in Betracht, wenn Google trotz Kenntnis der Inhalte diese nicht unverzüglich löscht. Dies ist nun die praktische Folge des Urteils: Google muss ein System zur Verfügung stellen, in dem Betroffene schnell und effizient auf verletzende Inhalte hinweisen können, damit Google diese unverzüglich löscht.
Fazit
Die Lösung des BGH stellt einen gerechten Interessenausgleich dar, der zum einen Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch den Unterlassungsanspruch beseitigt, zum anderen aber Google die Nutzung der Autocomplete-Funktion ohne die ständige Gefahr von Schadensersatzforderungen Dritter ermöglicht.
Für das Examen bietet sich der Fall aufgrund seiner Praxisnähe und zugleich vorhandenen Verbindung zum juristischen Grundwissen (§ 1004, APR, Verkehrssicherungspflichten) sowohl für schriftliche als auch mündliche Prüfungen an. Zumindest die Argumentation bei § 1004 und der Umfang der Verkehrssicherungspflicht sollte daher in Grundzügen bekannt sein.
 

23.05.2013/5 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2013-05-23 10:30:472013-05-23 10:30:47BGH: Unterlassungsanspruch bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Suchergänzungsvorschlägen bei „Google“
Gastautor

OLG Hamm: Reitschule haftet nicht für Sturz einer fünfjährigen Reitschülerin vom Pony

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Das OLG Hamm hat kürzlich den Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht eines Stallbetreibers konkretisiert und dabei die Haftung einer Stallbetreiberin für den Sturz einer Reitschülerin im Rahmen einer Gruppenreitstunde verneint (Urteil vom 11.01.2013 – 12 U 130/12).
Sachverhalt
Die spätere Klägerin meldete sich im September 2010 in einer Reitschule zum Reitunterricht an. Kurz darauf nahm sie in einer Gruppenstunde mit fünf weiteren Mädchen teil. Der Unterricht wurde von einer 20jährigen Aushilfe geleitet, die ein Pony an einer Longe im Kreis um sich herum führte. Das Pony war nicht gesattelt. Die Aushilfe hatte lediglich einen Gurt mit Haltegriff und eine Decke auf dem Rücken verschnallt.
Bei einer Gleichgewichtsübung, bei der die Kinder auf Kommando frei sitzend in die Hände klatschen sollten, fiel die spätere Klägerin, damals fünfjährig, vom Pferd und zog sich einen Armbruch zu. Sie hatte zuletzt vor einem halben Jahr auf einem Pony gesessen.
Das Kind verlangte nun von der Betreiberin der Reitschule Schmerzensgeld. Ferner wollte sie festgestellt wissen, dass die Reitschulinhaberin verpflichtet sei, sämtliche weitere immaterielle sowie materielle Schäden aus dem Reitunfall zu ersetzen.
I. Rechtliche Würdigung
1. Vertraglicher Anspruch aus Garantie- oder Gewährvertrag
Das Gericht verneinte zunächst einen vertraglichen Anspruch der Klägerin aus einem bei der Anmeldung zustande gekommenen Garantie- oder Gewährvertrag. In dem Anmeldeformular hieß es zwar:
„Weiter weise ich darauf hin, dass wir eine gewerbliche Haftpflicht- Versicherung haben, die in der Regel jegliche Unfälle mit dem Pony oder Pferd abdeckt“.
Einen Rechtsbindungswillen maß das Gericht dieser Erklärung zu Recht aber nicht bei, da der Erklärung bei verständiger Würdigung keine generelle Einstandspflicht für Reitunfälle beigemessen werden könne, sondern lediglich als ein allgemeiner Hinweis auf einen bestehenden Versicherungsschutz zu verstehen sei.
2. Anspruch aus § 833 BGB – Tierhalterhaftung
Weiter verneinte das Gericht einen Anspruch aus § 833 BGB, da sich in der eingetretenen Rechtsgutsverletzung keine spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Das Pony habe sich nicht unberechenbar und selbständig verhalten, sondern sei von der Aushilfskraft gesteuert worden und habe sich anweisungsgemäß verhalten.
§ 833 BGB ist im Zusammenhang mit Tieren stets anzusprechen. In der mündlichen Prüfung wäre es wichtig, die von der Norm abgedeckten Gefahren anhand einer sauberen Definition herauszuarbeiten, um dann den Sachverhalt subsumieren zu können.
3. Vertraglicher Anspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 611, 241 Abs. 2, 311 Abs. 1, 278 S. 1, 253 Abs. 2 BGB
In einem weiteren Schritt kommt das Gericht sodann auf den eigentlich examensrelevanten (und auch gegenüber der Tierhalterhaftung vorrangig zu prüfenden) vertraglichen Anspruch zu sprechen: Die Haftung der Betreiberin gemäß §§ 280 Abs. 1, 611, 241 Abs. 2, 278 S. 1, 253 Abs. 2 BGB.
Mit der Anmeldung der Reitschülerin am 15.09.2010 ist zunächst ein Schuldverhältnis zustande gekommen, dessen Schwerpunkt in der Leitung von Reitstunden liegt und daher einen Dienstleistungsvertrag im Sinne von § 611 BGB darstellt.
Den Vertrag hat die Reitschülerin aufgrund ihres Alters zwar nicht selbst abschließen können, Vertragspartner waren vielmehr die Eltern – sie ist aber nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in den Schutzbereich des Vertrages miteinbezogen worden, weil der Reitunterricht ihr gegenüber zu erbringen war.
Als wesentlicher Prüfungspunkt des Falles ist sodann die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Stallbetreiberin zu prüfen. In der Klausur oder in der mündlichen Prüfung sollte hier § 241 Abs. 2 BGB als Anknüpfungspunkt gesehen werden. Sodann muss – wie vom Gericht durchgeführt – zunächst eine Einordnung der Verkehrssicherungspflicht erfolgen. Hier sind die für § 823 BGB entwickelten Fallgruppen zu nennen und der vorliegende Sachverhalt einer dieser zuzuordnen.
Vorliegend hat die Betreiberin mit dem Betrieb der Reitschule eine Gefahrenquelle geschaffen, so dass sie erhöhte Verkehrssicherungspflichten treffen. Nach Ansicht des Gerichts sind der Beklagten aber weder Fehler bei der Organisation, bei der Auswahl des Personals, hinsichtlich einer generellen Aufklärungspflicht noch hinsichtlich des Ablaufs des Reitunterrichts vorzuwerfen.
Darüber hinaus konnte das Gericht auch kein Fehlverhalten der Aushilfe feststellen, welches der Betreiberin gemäß § 278 S. 1 BGB zuzurechnen gewesen wäre. Die Aushilfe kannte das Mädchen bereits von einer früheren Reitstunde und konnte ihre Reitkenntnisse daher einschätzen. Ferner konnte das Gericht nicht feststellen, dass die Aushilfe unaufmerksam oder abgelenkt war.
Insgesamt fehlte es daher an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
4. Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB iVm § 229 StGB
Aus diesem Grund versagte das Gericht auch einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB iVm § 229 StGB.
5. Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB
Dieser Anspruch wurde ebenfalls verneint. Die beschäftigte Aushilfe sei zwar Verrichtungsgehilfe der Betreiberin, und in Ausübung der übertragenen Verrichtung ist auch der objektive Tatbestand einer unerlaubten Handlung verwirklicht worden. Allerdings kann mit den soeben ausgeführten Argumenten der Entlastungsbeweis zugunsten der Betreiberin geführt werden. Dies gilt einerseits für das verkehrsrichtige und damit rechtmäßige Verhalten der Aushilfe und andererseits für den Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 2 BGB. Denn weder in der Auswahl noch bezüglich der Überwachung konnten der Reitstallbetreiberin Fehler nachgewiesen werden.
II. Fazit
Das OLG Hamm hat in einer überzeugenden Entscheidung die einzelnen möglichen Anspruchsgrundlagen dezidiert durchgeprüft. Es hat insbesondere im Rahmen der Prüfung der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht Augenmaß bewiesen. Das Gericht hat zwar deutlich gemacht, dass der Betrieb eines Reitstalls ein gewisses Gefahrenpotential birgt und Unfälle im Umgang mit Kindern und Pferden durch Einhaltung von Sicherungsmaßnahmen möglichst vermieden werden müssen. Die Richter haben aber auch festgestellt, dass es trotz sorgfältiger Auswahl von Personal und Reitpferd zu Stürzen kommen kann. Denn Gefahren in diesem Sport lassen sich zwar durch geschultes und ausreichend verfügbares Personal sowie entsprechend ausgebildete Tiere und Ausrüstung minimieren, gänzlich ausgeschlossen werden können sie dennoch nicht. Darüber müssen sich auch Eltern, die ihren Kindern den Wunsch reiten zu gehen erfüllen wollen, im Klaren sein. Eine Haftung des Reitstallbetreibers kommt bei Einhaltung gewisser Organisations- und Überwachungspflichten dann nicht in Betracht.
Für das Examen sollte man sich die einzelnen Tatbestände merken und die Verortung der Probleme verinnerlichen. Bei einer guten Klausur sollte neben den „Klassikern“ des Vertrags mit Schutzwirkungen und der Verkehrssicherungspflicht in diesen Fällen auch stets an den § 831 Abs. 1 S. 1 BGB gedacht werden. Hier kann noch mit zusätzlichen Argumenten zum Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 2 BGB gepunktet werden.
Autorin des Beitrags ist Charlotte Pötters. Sie ist Referendarin am LG Bonn und promoviert zu einem umsatzsteuerrechtlichen Thema.

15.05.2013/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-05-15 10:00:232013-05-15 10:00:23OLG Hamm: Reitschule haftet nicht für Sturz einer fünfjährigen Reitschülerin vom Pony
Dr. Stephan Pötters

OLG Koblenz: Haftungsfragen bei Sturz wegen Glatteis auf öffentlich zugänglicher Fläche

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Schnee und Glätte vor den Gerichten: Ein juristischer Dauerbrenner
Unfälle aufgrund von Schnee und Glätte sind im Winter in Deutschland leider an der Tagesordnung und so verwundert es nicht, dass die Gerichte immer wieder solche Fälle aufzuarbeiten haben. Auch in der Klausur lassen sich solche Fälle gut abprüfen, denn sie eignen sich hervorragend, um klassische Probleme des Zivilrechts (wie zB Verkehrssicherungspflichten) oder des öffentlichen Rechts (wie zB Probleme zur Störerverantwortlichkeit) einzubauen.
Zu  typischen Problemen rund um die Streupflicht s. unseren älteren Beitrag hier sowie ferner Horst, NZM 2012, 513.
Aktuelle Entscheidung des OLG Koblenz: Sachverhalt
Eine aktuelle Entscheidung des OLG Koblenz (OLG Koblenz v. 19.07.2012 – 5 U 582/12) zeigt, dass nicht immer bei einem Glatteissturz eine Haftung des Grundstückeigentümers bzw. des Adressaten der Streupflicht gegeben sein muss.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: B betreibt eine Bäckerei. Dort wollte K am 24.12.2010 einkaufen. Dazu hatte sie mit ihrem Ehemann gegen 8.15 Uhr den Kundenparkplatz angefahren. Von dort aus wollte sie sich, ihrer Darstellung nach, zunächst in das benachbarte Ladengeschäft des B begeben. Dabei sei sie nach etwa 5 m Fußwegstrecke bei schlechten Lichtverhältnissen auf einer im Durchmesser zumindest 3 m großen Eisfläche ausgeglitten und gestürzt. Im Übrigen war der Parkplatz jedoch ganz überwiegend von Schnee und Eis befreit gewesen. K argumentiert, dass, auch wenn der Parkplatz weithin von Schnee geräumt gewesen sei, der B seiner Verkehrssicherungspflicht nicht genügt habe. Nachfolgend war die K, die mitgeteilt hat, sich Frakturen des Schienbeins und des Wadenbeins zugezogen zu haben, die bis heute noch nicht vollständig ausgeheilt seien, für eine Woche in stationärer Behandlung und, wie sie weiter vorgetragen hat, über mehrere Monate hinweg nicht in der Lage, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und den Haushalt zu führen.
Lösung des OLG Koblenz
Das OLG Koblenz lehnte hier im Ergebnis eine Haftung des B unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten ab. Denkbar wäre vor allem eine Haftung aus c.i.c. (gemäß §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) oder aus Delikt (§ 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht).  Beide Anspruchsgrundlagen würden jedoch eine rechtserhebliche Pflichtverletzung voraussetzen. Diese hat das OLG Koblenz hier überzeugend verneint. Grundsätzlich müsse der B zwar den öffentlich zugänglichen Parkplatz vor seiner Bäckerei benutzergerecht unterhalten. Es könne aber nicht verlangt werden, den gesamten Parkplatz vollständig eis- und schneefrei zu halten.

Es ist anerkannt, dass derjenige, der einen Verkehrsraum eröffnet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen hat, um eine Schädigung Anderer möglichst zu verhindern (BGH VersR 1990, 498; BGH VersR 2002, 247; BGH VersR 2003, 1319; BGH VersR 2005, 279; BGH VersR 2006, 233; BGH NJW 2007, 1683). Das verpflichtet ihn zu den Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für erforderlich erachtet, um Andere vor Beeinträchtigungen zu bewahren. Dabei ist aber zu sehen, dass nicht jeder denkbaren Gefahr vorbeugend begegnet zu werden braucht. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn aus sachkundiger Sicht nahe liegt, dass Rechtsgüter Anderer beeinträchtigt werden (BGH VersR 2006, 233; BGH NJW 2007, 1683; BGH NJW 2010, 1967). Dem allgemeinen Sorgfaltsgebot ist daher regelmäßig durch die Einhaltung des Sicherheitsstandards genügt, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für angemessen erachtet (BGH VersR 1972, 559; BGH VersR 2006, 233; BGH NJW 2007, 1683; BGH NJW 2010, 1967). Damit muss hingenommen werden, dass es von einem fremden Herrschaftsbereich ausgehende Risiken gibt, die der Geschädigte am Ende allein trägt (BGH VersR 1975, 812; BGH VersR 2003, 1319; BGH NJW 2007, 1683). Der Umstand, dass der Sturz der Klägerin ein singuläres Ereignis war, bestätigt die – für den Senat bindende (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) – Würdigung des Landgerichts, die Gefahrenstelle sei trotz der diffusen Lichtverhältnisse erkennbar gewesen. Der Unfall ereignete sich in der aufkommenden Dämmerung, und aus dem Bäckerladen kam Licht. Vor diesem Hintergrund ist eine Schadensersatzhaftung des Beklagten zu verneinen. Öffentliche Parkplätze brauchen nicht uneingeschränkt schnee- und eisfrei gehalten zu werden (Senat NJW 2012, 1667). Glättestellen sind hinzunehmen, falls sie den Weg nicht vollständig versperren und gemieden werden können (BGH VersR 1982, 299; OLG Celle VersR 1995, 598; OLG Karlsruhe VersR 1976, 346); eine geradlinige Verbindung zu den jeweiligen Zielorten muss nicht gewährleistet sein. Es ist sogar hinnehmbar, kurze Strecken („wenige Schritte“) auf nicht geräumtem und nicht gestreutem Terrain zurückzulegen, ehe verkehrssichere Flächen erreicht werden (BGH NJW 1966, 202; BGH VersR 1983, 162; OLG Celle MDR 2004, 554; OLG Jena DAR 2001, 80; OLG Köln VersR 1983, 162). Für über diesen Rahmen hinausgehende Behinderungen des Publikums hat sich im vorliegenden Fall kein greifbarer Anhalt ergeben.

Die Entscheidung zeigt gut, dass trotz eines grundsätzlich strengen Sorgfaltsmaßstabs nicht menschenunmögliches von Verkehrssicherungsverpflichteten verlangt wird. Bei Schnee und Glätte kann eben ein Mindestmaß an Umsicht von allen Betroffenen verlangt werden, sodass bei kleineren gefährlichen Stellen nicht zwingend von einer Haftung auszugehen ist.
Mögliche Abwandlung in der Klausur
In der Klausur ließe sich der Fall noch dadurch verkomplizieren, dass nicht die K selbst, sondern ihr minderjähriges Kind stürzt. Dies wäre dann eine Abwandlung des Salatblattfalls (BGHZ 66, 15). Hier könnten dem Kind unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss zustehen. Ansprüche direkt aus c.i.c. kann das Kind hingegen nicht geltend machen, weil ihm gegenüber keine Vertragsanbahnung vorliegt. Wohl aber ist es vom Schutzbereich des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zwischen Mutter K und dem Bäcker B erfasst (vgl. zum Salatblattfall eine übersichtliche Darstellung auf jurakopf.de; eine Übersicht zum Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter findet sich hier).

07.01.2013/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-01-07 11:00:222013-01-07 11:00:22OLG Koblenz: Haftungsfragen bei Sturz wegen Glatteis auf öffentlich zugänglicher Fläche
Zaid Mansour

Rechtsprechungsübersicht in Zivilsachen

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In der jüngsten Vergangenheit sind einige in materiellrechtlicher Hinsicht durchaus examensrelevante zivilgerichtliche Entscheidungen ergangen, über die der folgende Beitrag einen kurzen Überblick verschaffen soll. Da die Entscheidungsgründe der meisten Urteile bislang noch nicht verfügbar sind, soll ein Verweis auf die entsprechenden Pressemitteilung genügen, um das Problembewußtsein der Examenskandidaten zu sensibilisieren.
I. BGH, Urt. vom 19.12.2012 – VIII ZR 152/12 (§ 536 BGB)

Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen angenommen werden kann, dass Vermieter und Mieter stillschweigend die bei Vertragsabschluss gegebene geringe Belastung durch Verkehrslärm als vertragsgemäßen Zustand der Wohnung vereinbart haben, mit der Folge, dass die Miete bei einer Zunahme des Verkehrslärms gemindert sein kann (Pressemitteilung).

II. BGH, Urt. vom 19.12.2012 – VIII ZR 117/12 (§ 434 BGB)

In der Sache hat der BGH eine Entscheidung zur Haftung des Käufers getroffen, der beim Kauf eines Fahrzeugs von einem Händler einen Gebrauchtwagen als unfallfrei in Zahlung gibt (Pressemitteilung).

III. BGH, Urt. vom 18.12.2012 – X ZR 2/12 (§ 651j BGB, § 651e BGB)

Der BGH hat entschieden, dass ein Reisevertrag über eine Kreuzfahrt wegen höherer Gewalt gekündigt werden darf, wenn die Flugverbindungen zum Ausgangspunkt der Kreuzfahrt wegen eines behördlich angeordneten Flugverbots ausgefallen sind (Kündigung des Reisevertrags wegen Aschewolke).
Der BGH hat dabei judiziert, dass es sich bei dem Vertrag über die Teilnahme an der Kreuzfahrt um einen Reisevertrag i.S.d. § 651a BGB handelt, den der Kläger wirksam wegen höherer Gewalt gemäß § 651j BGB gekündigt hat. Maßgeblich für das Kündigungsrecht sei, dass die individuelle Reise des Reisenden infolge bei Vertragsschluss nicht vorhersehbarer höherer Gewalt nicht stattfinden kann. Hier konnte die Kreuzfahrt als solche zwar durchgeführt werden, an ihr teilzunehmen war den Reisenden jedoch offensichtlich nicht möglich, zumindest aber erheblich erschwert.
Infolge der wirksamen Kündigung durch den Kläger habe die Reiseveranstalterin gemäß § 651j Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 651e Abs. 3 Satz 1 BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren. Die Beklagte könne deshalb vom Kläger keine Erstattung des an die Reiseveranstalterin gezahlten Betrages verlangen. Einen Anspruch auf Erstattung der Anzahlung könne der Kläger hingegen nicht gegen das beklagte Reisebüro, sondern allenfalls gegen die Reiseveranstalterin geltend machen (Pressemitteilung).

IV. OLG Hamm, Urt. vom 14.08.2012 – I-9 U 119/12 (§ 823 BGB)

Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Eigentümerin eines in Bielefeld gelegenen Hauses grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Dritte vor Dachlawinen zu schützen. Zu speziellen Sicherungsmaßnahmen sei der Grundstückseigentümer nur dann verpflichtet, wenn besondere Umstände vorlägen, wie die allgemeine Schneelage des Ortes, eine besondere Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, allgemein ortsübliche Sicherungsvorkehrungen, die konkreten Schneeverhältnisse oder Art und Umfang des gefährdeten Verkehrs. Derartige besondere Umstände seien im Schadensfall nicht festzustellen. Vor möglichen Dachlawinen habe die Eigentümerin auch nicht warnen müssen, weil diese Gefahrenlage für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer rechtzeitig erkennbar gewesen sei (Pressemitteilung).

V. OLG Hamm, Urt. vom 02.10.2012 – I-15 W 231/12 (§ 2247 BGB)

Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Testament nur dann als eigenhändig geschriebenes Testament formgültig ist, wenn es auf einer unbeeinflussten Schreibleistung des Erblassers beruht. Eine Eigenhändigkeit im Sinne der gesetzlichen Vorschrift setzt nach Auffassung des Oberlandesgerichts zwingend voraus, dass der Erblasser die Testamentsniederschrift selbst angefertigt habe. Durch Dritte hergestellte Niederschriften seien immer unwirksam, selbst wenn sie in Anwesenheit des Erblassers nach dessen Willen und Weisungen angefertigt und von ihm unterschrieben worden seien. Die nach dem Gesetz zwingend notwendige Eigenhändigkeit sei nicht gegeben, wenn dem Erblasser die Hand geführt werde und dadurch die Schriftzüge von einem Dritten geformt würden. Der Erblasser müsse die Gestaltung der Schriftzüge selbst bestimmen. Zulässig sei eine unterstützende Schreibhilfe, solange der Erblasser die Schriftzeichen selbst forme. Für ein formgültiges eigenhändiges Testament verlange das Gesetz eine insoweit unbeeinflusste Schreibleistung des Erblassers (Pressemitteilung).

Die genannten Entscheidungen haben teilweise klassisch-zivilrechtlichen Examensstoff  zum Gegenstand, sodass Examenskandidaten die Lektüre der Urteile – gerade im Hinblick auf anstehende mündliche Prüfungen –  anheim gelegt werden kann.
 
 
 
 
 
 
 
 

21.12.2012/0 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-12-21 10:30:012012-12-21 10:30:01Rechtsprechungsübersicht in Zivilsachen
Zaid Mansour

BGH: Zur Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers

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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat kürzlich den Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht eines Waldbesitzers konkretisiert und dabei die Haftung eines Waldbesitzers für die durch einen herabstürzenden Ast verursachte Verletzung eines Fußgängers verneint (Urteil vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11).
I. Was ist passiert?
Die Klägerin spazierte im Juli 2006 bei gutem Wetter und leichtem Wind auf einem Forstwirtschaftsweg durch ein Waldgrundstück des Beklagten. Während des Spaziergangs brach von einer circa 5 m neben dem Weg stehenden Eiche ein langer Ast ab und traf sie am Hinterkopf. Sie erlitt eine schwere Hirnschädigung und nahm den Waldbesitzer daraufhin wegen Schadensersatzes in Anspruch.
Nachdem das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 3. März 2010 – 12 O 271/06) in erster Instanz die Klage abgewiesen hat, legte die Klägerin Berufung ein. Daraufhin gab das Saarländische OLG dem Feststellungsantrag statt und bejahte einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin dem Grunde nach (Urteil vom 9. November 2011 – 1 U 177/10-46). Der Beklagte legte sodann Revision beim BGH ein.
II. Rechtliche Würdigung
Bei der Prüfung eines vorliegend in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB kam es entscheidend darauf an, ob der Waldbesitzer (legaldefiniert in § 4 BWaldG) eine ihn treffende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat (s. dazu auch hier).
Das Saarländische OLG vertrat zunächst die Auffassung, dass ein privater Waldbesitzer jedenfalls eingeschränkt verkehrssicherungspflichtig sei, wenn er Kenntnis davon hat, dass sein Wald regelmäßig von Spaziergängern aufgesucht wird. Er müsse daher im Rahmen gelegentlicher Begehungen seines Waldes die am Rand der Erholungswege stehenden Bäume kontrollieren und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn ihm konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige besondere Gefährdung auffallen. Das Saarländische OLG bejahte diese Haftungsvoraussetzungen, da von dem Baum schon seit längerer Zeit eine akute Gefahr ausgegangen sei, die ein geschulter Baumkontrolleur bei einer Sichtkontrolle vom Boden aus hätte erkennen müssen.
Der BGH vertrat mit Blick auf § 14 BWaldG und den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften  (vorliegend § 25 LWaldG Saarl) hingegen eine andere Sichtweise.

§ 14 BWaldG
(1) Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet. Das Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist nur auf Straßen und Wegen gestattet. Die Benutzung geschieht auf eigene Gefahr. Dies gilt insbesondere für waldtypische Gefahren.
(2) Die Länder regeln die Einzelheiten. Sie können das Betreten des Waldes aus wichtigem Grund, insbesondere des Forstschutzes, der Wald- oder Wildbewirtschaftung, zum Schutz der Waldbesucher oder zur Vermeidung erheblicher Schäden oder zur Wahrung anderer schutzwürdiger Interessen des Waldbesitzers, einschränken und andere Benutzungsarten ganz oder teilweise dem Betreten gleichstellen.
§ 25 LWaldG Saar
(1) Das Betreten des Waldes zum Zweck der naturverträglichen Erholung ist jedermann gestattet. […]
[…]
(5) Die Benutzung des Waldes erfolgt auf eigene Gefahr. Besondere Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten werden nicht begründet.

Dazu heißt es in der Pressemitteilung des BGH:

Nach den im Einklang mit § 14 BWaldG erlassenen landesrechtlichen Vorschriften (hier: § 25 des Waldgesetzes für das Saarland) ist das Betreten des Waldes zu Erholungszwecken jedermann gestattet. Die Benutzung des Waldes geschieht jedoch auf eigene Gefahr. Dem Waldbesitzer, der das Betreten des Waldes dulden muss, sollen dadurch keine besonderen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten erwachsen. Er haftet deshalb nicht für waldtypische Gefahren, sondern nur für solche Gefahren, die im Wald atypisch sind. Dazu zählen insbesondere die Gefahren, die nicht durch die Natur bedingt sind. Die Gefahr eines Astabbruchs ist dagegen grundsätzlich eine waldtypische Gefahr. Sie wird nicht deshalb, weil ein geschulter Baumkontrolleur sie erkennen kann, zu einer im Wald atypischen Gefahr, für die der Waldbesitzer einzustehen hätte.

Danach lässt sich konstatieren, dass keine Verkehrssicherungspflicht für waldtypische Gefahren im Waldbestand allgemein und auch nicht auf allgemeinen Waldwegen besteht. Zu den natur- und waldtypischen Gefahren zählen vornehmlich solche, die von lebenden und toten Bäumen, sonstigem Aufwuchs oder natürlichem Bodenzustand ausgehen oder aus der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Waldes entstehen (vgl. § 2 Abs. 1 LForstG NRW). Eine Haftung kommt demnach nur für atypische Gefahren, d.h. nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung vorgegebene, sondern vom Waldbesitzer selbst geschaffene gefahrbegründende Umstände in Betracht.
III. Fazit
Den vom BGH zur Konkretisierung etwaiger Verkehrssicherungspflichten des Waldbesitzers herangezogenen einfachgesetzlichen Regelungen, wonach den Waldbesitzer keine Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten treffen, liegen im Kern verfassungsrechtliche Erwägungen zugrunde. Eigentum und Besitz an privaten Waldgrundstücken unterfallen mithin dem Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG. Etwaige Einschränkungen dieser verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsposition, wie etwa das Waldbetretungsrecht für Jedermann, hat der Waldeigentümer bzw. Waldbesitzer als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung aus Gründen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinzunehmen. Eine zusätzliche Aufbürdung umfassender Verkehrssicherungspflichten würde Waldgrundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte hingegen in unzumutbarer Weise belasten. Die Entscheidung wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit künftig Gegenstand von Examens,-Übungs- und/oder Semesterabschlussklausuren sein.

05.10.2012/1 Kommentar/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-10-05 08:51:122012-10-05 08:51:12BGH: Zur Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers
Samuel Ju

Alle Jahre wieder kommt das Silvesterfeuerwerk

Zivilrecht

Alle Jahre wieder steht das Silvesterfeuerwerk mit Böllern und Feuerwerksraketen vor der Tür. Es ist gut, sich über den Umfang, aber auch über die Grenzen seiner Sorgfalts- bzw. Verkehrssicherungspflichten im Klaren zu sein.
OLG Schleswig: Eltern dürfen 7 1/2 -jährigem Kind nicht das Abbrennen von Feuerwerkskörpern gestatten
Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein entschied in einem Urteil aus dem Jahr 1997 (5 U 123/97), dass die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzen und nach § 832 BGB haften, wenn sie einem 7 1/2-jährigen Jungen das selbständige Abbrennen von Feuerwerkskörpern gestatten. Die Aufsichtspflicht der Eltern erstrecke sich bis dahin, dass sie bei der Teilnahme am Silvesterfeuerwerk ein Kind dieses Alters nicht aus den Augen lassen dürfen und in Rechnung zu stellen und zu verhindern haben, dass Blindgänger gesucht und erneut gezündet werden.
Sorgfaltspflichten beim Entzünden von Raketen in der Neujahrsnacht
Der BGH hat in einem Urteil aus dem Jahr 1985 (VI ZR 71/84) den Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflichten beim Zünden von Feuerwerkskörpern in der Silvesternacht konkretisiert.
Der BGH in seinem Urteil:

Insbesondere müssen die Personen, die ein Feuerwerk entzünden, einen Standort wählen, von dem aus andere Personen oder Sachen nicht (ernsthaft) gefährdet werden. Da niemals ein Fehlstart von Raketen völlig ausgeschlossen werden kann, muss beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern ein Platz gewählt werden, von dem aus etwa fehlgehende Raketen aller Voraussicht nach keinen nennenswerten Schaden anrichten können.
In der Silversternacht sind darüber hinaus die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern herabgesetzt. Alle Verkehrssicherungspflichten sind grundsätzlich unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu bemessen (BGHZ 34, 206 (206) = NJW 1961, 868). Maßstab für die Verkehrssicherungspflicht ist zwar das zum Schutz von Gefährdeten Erforderliche; jedoch richtet sich das auch danach, welche Maßnahmen diese zu ihrem Schutz vernünftigerweise erwarten können und welche Vorsorge ihnen selbst zum eigenen Schutz möglich und zumutbar ist. Der Verkehrssicherungspflichtige hat daher nur die Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein vernünftiger Angehöriger eines bestimmten Verkehrskreises erwarten darf (BGH, VersR 1967, 1196 (1197); 1972, 559 (560); 1975, 812 und 1981, 482; Mertens, VersR 1980, 402). In der Silvesternacht ist es zulässig und in allen Städten und Gemeinden üblich, nichterlaubnispflichtige Feuerwerkskörper zu zünden. Auf diesen Brauch richtet sich der Verkehr ein, auch was – in vernünftigen Grenzen – die Maßnahmen zum Selbstschutz betrifft. Das entbindet zwar den, der ein Feuerwerk abbrennt, nicht von der Verantwortung dafür, die Feuerwerksköper nur bestimmungsgemäß und unter Beachtung der Gebrauchsanleitung, insbesondere unter Einhaltung der vom Herstellerverlangten Sicherheitsvorkehrungen zu verwenden. Ebensowenig ist er davon befreit, sorgfältig auf besondere Umstände zu achten, aufgrund derer das Abbrennen des Feuerwerks an der von ihm ausgewählten Stelle mit Gefahren verbunden sein kann, die nach Art und Umfang über diejenigen Gefahren hinausgehen, welche trotz vorschriftsmäßiger Handhabung nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Soweit es aber nur um „normale“ Gefährdungen durch erlaubnisfreie Feuerwerkskörper für Personen geht, die sich im Freien in der Nähe der Abschußstellen aufhalten und sich auf das Feuerwerk einstellen können, begründen diese im allgemeinen keine Haftungsverantwortlichkeit. Jeder vernünftige Mensch, der dem Silvesterfeuerwerk zuschaut, richtet sich auf derartige Gefährdungen selbst ein, sofern sie nicht aus Richtungen kommen, aus denen er sie nicht zu erwarten braucht, oder aufgrund anderer besonderer Umstände das Maß der normalerweise zu erwartenden Gefahr übersteigen. Vorkehrungen zum Schutz auch dieses Personenkreises vor den „normalen“ Gefährdungen bedarf es deshalb nicht, jedenfalls nicht in der Neujahrsnacht.

BGH: Kein nachbarrechtlicher Ausgleichanspruch bei Schaden durch Feuerwerksrakete
In einem Urteil vom 18. September 2009 (V ZR 75/08) hat der BGH entschieden, dass dem Eigentümer eines Grundstücks (bzw. dessen Versicherer aus übergegangenem Recht) kein Anspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zusteht, wenn der Nachbar in der Neujahrsnacht eine Feuerwerksrakete zündet und diese ohne Verschulden des Nachbars ein auf dem Nachbargrundstück stehendes Gebäude in Brand setzt. Siehe hierzu auch unseren Artikel zum BGH Urteil.
Viel Erfolg beim Entzünden der Feuerwerksraketen, viel Freude beim Silvesterfeuerwerk und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2011!

31.12.2010/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2010-12-31 09:23:122010-12-31 09:23:12Alle Jahre wieder kommt das Silvesterfeuerwerk

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