LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür
Mit rechtskräftigem Urteil vom 04.03.2014 hat das LG Coburg (Az.: 22 O 619/13) entschieden, dass Schadensersatz wegen einer Verletzung durch eine ordnungsgemäß abgestellte, umgefallene Tür nicht verlangt werden kann.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist in einem Kindergarten als Raumpflegerin angestellt. Der Beklagte ist Handwerker. Er führte in dem betreffenden Kindergarten Baumaßnahmen durch. Im Rahmen dessen hatte er selbst oder einer seiner Mitarbeiter die Zugangstür zu einem Waschraum ausgehängt und in dem Waschraum an eine Wand gelehnt. Als die Klägerin den Waschraum reinigen wollte, stellte sie fest, dass durch die angelehnte Tür der Zugang zu einer Toilettenkabine versperrt war. Bei dem Versuch, die angelehnte Tür beiseite zu schieben, fiel diese der Klägerin auf den Arm. Dadurch kam die Klägerin zu Fall und geriet teilweise unter die Tür. Bei der anschließenden Untersuchung im Krankenhaus stellte sich heraus, dass der linke Oberarm der Klägerin gebrochen war. Sie wurde daraufhin 5,5 Monate krankgeschrieben.
Die Klägerin verlangte in dem gegenständlichen Verfahren vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von 3000,- € für die entstandenen Heilbehandlungskosten und den Verdienstausfall sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000,- €.
Entscheidung:
Das LG Coburg hat die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
A. Schadensersatz
Zunächst könnte der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 3000,- € gegen den Beklagten zustehen.
I. § 823 Abs. 1 BGB
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten könnte gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung der Klägerin ist eingetreten. Sie hat sich durch den Vorfall den linken Oberarm gebrochen. Insofern ist eine Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit eingetreten.
2. Kausale Handlung/pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten
Diese Rechtsgutsverletzung müsste durch ein kausales Handeln oder Unterlassen des Beklagten eingetreten sein.
a) Handeln des Beklagten
Ein Handeln des Beklagten, das unmittelbar zur Verletzung der Klägerin führte, ist nicht ersichtlich.
b) Pflichtwidriges Unterlassen
Allerdings käme ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten in Betracht. Das setzte voraus, dass er durch das Anlehnen der ausgehängten Tür an die Wand des Waschraumes eine Gefahrenquelle geschaffen hätte, deren Sicherung ihm deswegen oblegen hätte. Es geht hier damit um die Frage, ob eine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten bestanden hat, die er durch fehlende Sicherungsmaßnahmen verletzte.
Nach ständiger Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine naheliegende Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Entscheidend ist dabei aber, dass nicht jeder abstrakten Gefährdung vorbeugend begegnet werden kann und muss. Es geht nur um die Verhinderung von Schädigungen Dritter, die im typischen Gefahrenbereich der jeweiligen Gefahrenquelle liegen und dem Verkehrssicherungspflichtigen unmittelbar ersichtlich sind oder sein müssen. Nicht jede eingetretene, noch so abgelegene Eventualität kann von der Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen erfasst sein. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten siehe auch hier, hier und hier.
Das LG Coburg verneinte das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflicht in der konkreten Situation. Dabei betonte es, dass kein allgemeiner Grundsatz existiere, dass Dritte vor Selbstgefährdungen zu schützen seien. Das Aushängen einer Tür im Rahmen handwerklicher Arbeiten stelle kein sorgfaltswidriges Verhalten dar. Auch die an eine benachbarte Wand angelehnte Tür sei für sich genommen keine Gefahrenquelle. Für eine unsachgemäße Aufstellung der Tür sei nichts vorgetragen worden. Daher konnte die Gefahr, die sich hier durch die Verletzung der Klägerin realisiert hat, erst dadurch eintreten, dass das Verhalten der Klägerin – nämlich das Wegschieben der angelehnten Tür – hinzutrat.
Zwar könnte eine Haftung ausnahmsweise auch bei sorgfaltswidrigem Verhalten des Geschädigten anerkannt werden, dies jedoch nur, sofern dessen Fehlverhalten vorhersehbar und naheliegend sei. Das mag zwar beim Beiseiteschieben der Tür zum Zwecke der Reinigung des kompletten Waschraums der Fall gewesen sein. Hinzu kommen müsste aber für eine Haftung des Beklagten, dass der Geschädigte selbst die Gefahr nicht erkennen und infolgedessen ihr nicht begegnen konnte. Das sei nach Ansicht des Landgerichts hier nicht der Fall gewesen. Der Klägerin habe die Gefahr des Umfallens der nicht befestigten, sondern nur angelehnten Tür durchaus ersichtlich sein müssen. Dann aber hätte sie Schutzvorkehrungen zu ihrer eigenen Sicherheit treffen müssen. Da sie dies nicht getan habe, könne das Fehlverhalten der Geschädigten dem Beklagten nicht zugerechnet werden.
Mangels Bestehens einer Verkehrssicherungspflicht kommt eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht.
II. § 831 BGB
Auch eine Haftung des Beklagten aus § 831 BGB wegen einer etwaigen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch einen seiner Mitarbeiter kommt nicht in Betracht. Zwar handelt es sich bei den Mitarbeitern des Beklagten um dessen Verrichtungsgehilfen, da sie von ihm zu einer Verrichtung in weisungsabhängiger Stellung bestellt wurden. Unabhängig von der offenbar unaufklärbaren Frage, wer die Tür tatsächlich ausgehängt und an die Wand gelehnt hat, käme aber selbst dann, wenn der Beklagte daran in Person nicht beteiligt war, eine Haftung aus § 831 BGB nicht in Betracht. Nach den obigen Ausführungen bestand nämlich eine Verkehrssicherungspflicht wegen der angelehnten Tür nicht – weder für den Beklagten, noch für einen seiner Mitarbeiter.
III. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht nicht.
B. Schmerzensgeld
Darüber hinaus besteht ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gemäß § 253 Abs. 2 BGB nicht. Dieser scheitert schon an der fehlenden Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.
C. Ergebnis
Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes, noch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.
Stellungnahme:
In der vorliegenden Entscheidung des Landgerichts wird die begrüßenswerte Tendenz der Rechtsprechung abermals erkennbar, die an sich anerkannten Grundsätze zur Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, die im Falle ihres Vorliegens sowohl über das fehlende Erfordernis einer verletzenden Handlung, wie auch über die Schwierigkeiten der Konstruktion eines Verschuldens in derartig gelagerten Fällen hinweg hilft, nicht ausufern zu lassen. Erfasst sein soll ja gerade nicht jede noch so fernliegende Gefahr, die sich aber gleichwohl realisiert hat.
Sehr schön lässt sich an der Begründung des Gerichts ersehen, dass die Bestimmung der Existenz einer Verkehrssicherungspflicht stets denselben Argumentationssträngen folgt. Auch in der vorliegenden Entscheidung ist eine stringente Weiterführung der längst etablierten Grundsätze erkennbar, die eine konsequente Aufteilung der jeweiligen Risikosphären in den Mittelpunkt stellen.
Für die Prüfungspraxis lässt sich daraus folgendes ziehen: Die Thematik rund um die Verkehrssicherungspflichten ist von nach wie vor hoher Relevanz. Entsprechende Aufgabenstellungen können sicher gelöst werden, indem der Examenskandidat die bekannten und stets von den Gerichten wiederholten Grundsätze darstellt und sie auf den individuellen Fall anwendet.
Es fehlt ein wenig die Erörterung eines Anspruches aus „p.V.V. iVm. Drittschutzwirkung“ o.ä.
Die Geschädigte ist mit durch das Aufstellen der Tür zu Schaden gekommen.
M.E. könnte dann nur ein nachgewiesenes Verschulden der Geschädigten entlasten.
Sollte ein solches fehlen und es trotzdem zu einem Schaden gekommen sein, könnte schon das Aufstellen sorgfaltswidrig sein.
Es könnte dann ja auch bei Anwendung der erforderlicher Sorgfalt ein Schaden möglich, bzw. nicht mehr vermeidbar gewesen sein.
Ein Nachweis für ein Verschulden der Geschädigten könnte vorliegend (nach den Sachverhaltsangaben/ Beweislastfrage) fehlen.
@ bimbam
Eine c.i.c iVm VSD ist hier fernliegend. Dann müsste die Klägerin in den vorvertraglichen Schutzbereich der zwischen dem Kindergarten und der Handwerkerfirma bestehenden Vertragsanbahnungen einbezogen weorden sein. Schon alleine das ist sehr fraglich (Stichwort: Gläubigernähe). Spätestens jedoch bei der Pflichtverletzung, welche nur aus dem Pflichtenprogramm des § 241 II BGB resultieren kann, ist nichts ersichtlich.
Das Aufstellen der Türe war ja gerade nicht sorgfaltswidrig (s. Urteil). Dann kann es im Rahmen von § 241 II auch nicht sorgfaltswidrig werden.
Oder andersherum: Wäre der Unfall dem direkten Vertragspartner passiert, dann würde kein anderes Ergebnis herauskommen. Bei Handwerksarbeiten ist eben damit zu rechnen, dass eine Tür ausgehängt wird. Wenn ich mich dann eigenverantwortlich in Gefahr begebe, kann ich mich hinterher nicht auf die Haftung berufen.
Es ist auch gut, dass dem Menschen noch ein wenig Verstand zugemutet werden kann und nicht jeder gleich für alles haftet.
Mit entscheidend scheint die Frage einer Pflichtverletzung, welche das Gericht verneinen will. Ob eine solche vorliegt oder ausscheidet, könnte man halt problematisieren. Wenn man das tun wollte, könnte man mit erwägen, dies bereits im Rahmen der Erörterung einer Drittschutzwirkung zu tun.