Alle Jahre wieder: Streupflicht vor deutschen Gerichten
Der erste Schnee ist gefallen, die Temperaturen sinken – es ist also Zeit, sich einmal mit den rechtlichen Aspekten rund um das Thema „Streupflicht“ zu beschäftigen.
Öffentliches Recht: Streupflicht der Kommunen
Eine einheitliche gesetzliche Regelung der Streupflicht auf öffentlichen Straßen gibt es nicht. Dies verwundert nicht, handelt es sich doch sachlich um einen Bereich der Gefahrenabwehr, für den die Länder zuständig sind. Bei Verletzung der Streupflicht kommen etwa Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 BGB) in Betracht. Auch die Reichweite der Streupflicht ist uneinheitlich. Innerhalb geschlossener Ortschaften müssen nur verkehrswichtige und gefährliche Stellen gestreut werden (BGH, Urteil vom 5. 7. 1990 – III ZR 217/89, NJW 1991, 33). Eine aktuelle Entscheidung des LG Coburg verdeutlicht die einzelfallbezogene Vorgehensweise der Gerichte: Eine Hallenbadbesucherin war auf dem Parkplatz vor dem Bad gestürzt und hatte sich verletzt. Die Stadt könne hierfür jedoch nicht belangt werden, denn auch wenn es leicht geschneit hatte, sei die Stadt nicht verpflichtet gewesen, innerhalb einer kurzen Zeitspanne den Parkplatz zu räumen und zu streuen. Denn im Verhältnis zu den Straßen handele es sich bei dem Hallenbadparkplatz um eine untergeordnete Verkehrsfläche. Außerdem hätte die Klägerin die Möglichkeit gehabt, einen gestreuten Weg zum Hallenbad zu nehmen, der nur einen sehr kurzen Umweg bedeutet hätte.
Zivilrecht: Streupflicht von privaten Grundstücksbesitzern
Die Räum- und Streupflicht für öffentliche Gehwege wird üblicherweise – etwa durch kommunale Satzung – auf die privaten Anlieger der Straße übertragen. So ermächtigt etwa in Baden-Württemberg ist § 41 Abs. 2 Straßengesetz die Städte und Gemeinden, in Streupflichtsatzungen die Straßenanlieger zum Räumen und Streuen verpflichten.
Eine Streupflicht kann private Grundstücksbesitzer auch über die allgemeine deliktsrechtliche Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht treffen (S. hierzu ausführlich MüKo-BGB/Wagner, 5. Auflage 2009, § 823 BGB Rn. 448 ff.). Es handelt sich dann um originäre Streupflichten, also nicht um eine Pflicht, die sich von der des Staates ableitet. So können Privatleute verpflichtet sein, öffentliche Straßen zu streuen, wenn sie für ihre Vereisung verantwortlich sind , so etwa der Betreiber eines Kraftwerks, dessen Kühltürme Wasserdampf freisetzen, der sich auf den anliegenden Straßen niederschlägt (MüKo-BGB/Wagner, 5. Auflage 2009, § 823 BGB Rn. 446).
Zivilrecht: Streupflicht von Mietern oder sonstigen Dritten?
Die Eigentümer einer Mietwohnung übertragen die Streupflicht wiederum regelmäßig im Wege eines Vertrages auf die Mieter oder einen Hausmeisterservice.
Eine interessante zivilrechtliche Entscheidung in diesem Zusammenhang stellt das Urteil des BGH vom 22. 1. 2008 (VI ZR 126/07, NJW 2008, 1440) dar. Die Bewohnerin einer Mietwohnung war in diesem Fall gestürzt und hatte sich verletzt, weil trotz Schnee- und Eisglätte der Eingangsbereich nicht hinreichend bestreut war. Die Stadt Berlin hatte die ihr obliegende Räum- und Streupflicht auf die Hauseigentümer übertragen. Der Eigentümer des betreffenden Grundstücks hatte seinerseits seit über zehn Jahren einen Dritten (die Beklagte) mit der Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten betraut. Die nach § 6 I Straßenreinigungsgesetz Berlin vorgeschriebene Übertragungsanzeige an die Stadt Berlin fehlte für den Winter 2000/2001.
Der BGH entschied, dass in dieser Konstellation nicht nur Ansprüche gegen den Eigentümer, sondern auch gegen den Dritten, der mit den Streupflichten betraut worden war, in Betracht kommen. Verkehrssicherungspflichten (des Eigentümers) könnten mit der Folge eigener Entlastung delegiert werden.
„Die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen verkürzen sich dann auf Kontroll- und Überwachungspflichten. Wer sie übernimmt, wird seinerseits deliktisch verantwortlich. Voraussetzung hierfür ist, dass die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird.“
Im vorliegenden Fall sei dabei irrelevant, dass die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht rechtsfehlerhaft erfolgte, weil die nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderliche Anzeige der Übertragung gegenüber der zuständigen Behörde nicht ordnungsgemäß vorgenommen wurde.
„Die deliktische Einstandspflicht des mit der Wahrnehmung der Verkehrssicherung Beauftragten besteht auch dann, wenn der Vertrag mit dem Primärverkehrssicherungspflichtigen nicht rechtswirksam zu Stande gekommen ist. Entscheidend ist, dass der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Verkehrssicherung für den Gefahrenbereich übernimmt und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den primär Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf das Tätigwerden des Beauftragten verlässt. Dieser ist auf Grund der von ihm mitveranlassten neuen Zuständigkeitsverteilung für den übernommenen Gefahrenbereich nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen verantwortlich. Insofern ist seine Verkehrssicherungspflicht nicht abgeleiteter Natur. Vielmehr erfährt sie mit der Übernahme durch den Beauftragten in seine Zuständigkeit eine rechtliche Verselbstständigung. Er ist es fortan, dem unmittelbar die Gefahrenabwehr obliegt und der dafür zu sorgen hat, dass niemand zu Schaden kommt. Inhalt und Schutzbereich dieser verselbstständigten Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich allein danach, was objektiv erforderlich ist, um mit der Gefahrenstelle in Berührung kommende Personen vor Schaden zu bewahren.“
Neben diesen deliktsrechtlichen Fragen deutet der BGH jedoch noch an, dass auch vertragliche Ansprüche in Betracht kommen (in einer gutachterlichen Lösung vorrangig zu prüfen). Der zwischen dem Eigentümer und dem Dritten geschlossene Vertrag könnte nämlich Schutzwirkungen zugunsten der Mieter haben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter sind:
- Leistungsnähe des Dritten
- Einbeziehungsinteresse des Gläubigers
- Erkennbarkeit für den Schuldner
- Subsidiarität
Diese können vorliegend bejaht werden, insbesondere kommen hier die Mieter bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung (Streupflicht) in Berührung und der Gläubiger (Eigentümer) hat ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung der Mieter in den Schutzbereich des Vertrags. Dies dürfte auch für den Beklagten erkennbar gewesen sein. Der Anspruch aus dem Vertrag mit SchuWizgDritter ist hier auch nicht subsidiär gegenüber den deliktsrechtlichen Ansprüchen, denn diese stellen keine gleichwertige Alternative dar. S. ausführlich zum Vertrag mit SchuWi unseren Lernbeitrag vom 22. August 2011.
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