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Schlagwortarchiv für: Baurecht

Marie-Lou Merhi

Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage – ein Grundlagenbeitrag

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Die Fortsetzungsfeststellungsklage gehört zu den Klassikern im öffentlichen Recht. Insbesondere im Polizei- und Ordnungsrecht hat sie große Relevanz, da polizeiliche Maßnahmen ihrer Natur nach auf kurze Zeit angelegt sind und der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme oftmals erst nach deren Erledigung verlangt (Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 36; Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 62). Allerdings können auch im Baurecht Klausurkonstellationen auftreten, bei denen die Prüfung einer Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlich ist. So etwa im Fall einer Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung bei späterem Erlass einer Veränderungssperre (W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 109). Klausurgegenstand kann die Fortsetzungsfeststellungsklage ebenfalls im Kommunalrecht sein. Dies etwa dann, wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Aufsichtsmaßnahme vom Kläger begehrt wird (Piecha, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 65 f.). Der Klausurbearbeiter, dem der prozessuale Einstieg in die Klausur durch eine souveräne Zulässigkeitsprüfung gelingt, hinterlässt direkt einen guten ersten Eindruck beim Korrektor.

Angesichts der Besonderheiten, die sich bei jener Klageart bereits in der Zulässigkeit ergeben, widmet sich der nachfolgende Beitrag den Strukturen und Besonderheiten der Zulässigkeitsprüfung nach § 113 I 4 VwGO.

I. Gesetzliche Regelung in § 113 I 4 VwGO

Gesetzlich geregelt ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in § 113 I 4 VwGO. Der Beginn der Zulässigkeitsprüfung sollte mit dem sorgfältigen Lesen des Normtextes begonnen werden, aus dem sich viele der Zulässigkeitsvoraussetzungen ableiten lassen. Demnach gilt folgendes:

„Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.“, § 113 I 4 VwGO.

II. Statthaftigkeit, § 88 VwGO

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist somit statthaft, wenn der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes begehrt, § 113 I 4 VwGO (So auch Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 3).

1. Vorliegen eines erledigten Verwaltungsaktes

Ausgangspunkt der Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ist somit das Vorliegen eines erledigten Verwaltungsaktes.

Der Begriff des Verwaltungsaktes richtet sich nach § 35 VwVfG und ist insbesondere vom Realakt abzugrenzen, der im Unterschied zum Verwaltungsakt nicht auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist (zum Begriff des Verwaltungsaktes ausführlich Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 420-496).

Der Begriff der Erledigung ist gesetzlich nicht definiert. § 113 I 4 VwGO und § 43 II VwVfG nennen lediglich Beispielfälle. (Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 11 f.). Die Erledigung des Verwaltungsaktes ist dann anzunehmen, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene Beschwer weggefallen ist und die gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsaktes sinnlos wäre. Dies kann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Fall sein (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1422). Dem Klausurbearbeiter sollten dabei insbesondere die folgenden Konstellationen bekannt sein.

Erledigung aus rechtlichen Gründen liegt insbesondere vor:

  • Bei Rücknahme nach § 48 VwVfG oder Widerruf nach § 49 VwVfG des Verwaltungsaktes, § 113 I 4 VwGO, § 43 II VwVfG
  • Bei Eintritt einer auflösenden Bedingung
    • Beispielsweise, wenn der Verwaltungsakt festlegt, dass er im Fall des Eintritts eines bestimmten Ereignisses seine Wirkung verliert (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1422).
  • Bei Fristablauf
    • Exemplarisch, wenn feststeht, dass der Verwaltungsakt nur für eine bestimmt Zeit gilt (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1422).

Erledigung aus tatsächlichen Gründen liegt insbesondere vor:

  • Bei Zeitablauf, § 43 II VwVfG:
    • Beispielsweise erledigt sich das durch Verwaltungsakt bestimmte Verbot, eine bestimmte Demonstration an einem bestimmten Tag abzuhalten, nach Ablauf dieses Tages (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1422).
  • Bei Wegfall des Regelungsobjekts
    • Exemplarisch liegt ein Wegfall des Regelungsobjektes vor, wenn ein Gebäude, wie durch Verwaltungsakt angeordnet, abgerissen wird (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1422).
  • Bei Tod des Adressaten des Verwaltungsaktes, soweit es sich um höchstpersönliche Rechte und Pflichten handelt oder ein Nachfolgetatbestand nicht erfüllt ist. Beispielsweise begründen sich bei der Ernennung zum Beamten höchstpersönliche Rechte und Pflichten, sodass mit dem Tod Erledigung eintritt (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 405).
2. Unmittelbare Anwendung bei Erledigung nach Erhebung der Anfechtungsklage

Nach dem Wortlaut des § 113 I 4 VwGO und dessen systematischer Stellung findet die Fortsetzungsfeststellungsklage dabei nur auf den Fall der Erledigung des Verwaltungsaktes nach Erhebung einer Anfechtungsklage unmittelbar Anwendung (s. dazu Fechner, NVwZ 2000, 121, 122).

Der direkte Anwendungsbereich der Fortsetzungsfeststellungsklage ist somit doppelt begrenzt.

Erstens ist sie in zeitlicher Hinsicht auf die Erledigung nach Klageerhebung und vor einer Entscheidung des Gerichts über die Klage beschränkt (s. dazu Fechner, NVwZ 2000, 121, 122).

Zweitens ist die Fortsetzungsfeststellungsklage unmittelbar lediglich als Fortsetzung einer Anfechtungsklage nach § 42 I Var. 1 VwGO anwendbar. Damit ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in direkter Anwendung auf die Konstellationen beschränkt, bei denen der Kläger ursprünglich die Aufhebung eines ihn belastenden Verwaltungsaktes begehrt hat, § 42 I Var. 1 VwGO(Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 37 – 39).

3. Analoge Anwendung bei Erledigung vor Erhebung der Anfechtungsklage

Allerdings kann es auch zu einer Erledigung des Verwaltungsaktes vor der Klageerhebung kommen. Insbesondere polizeiliche Maßnahmen haben sich regelmäßig bereits erledigt, bevor es zum Verwaltungsprozess kommt (Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 36, 42).

Die Fortsetzungsfeststellungsklage könnte in diesen Fällen nach § 113 I 4 VwGO analog statthaft sein. Eine Analogie setzt das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage voraus (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 365).

a) Planwidrige Regelungslücke

Eine planwidrige Regelungslücke läge vor, wenn keine andere normierte Klageart bei Erledigung vor Klageerhebung einschlägig wäre (Heinze/Sahan, JA 2007, 805, 807; Fechner, NVwZ 2000, 121, 123). Es wäre dann eine in Anbetracht des Art. 19 IV GG nicht zu rechtfertigende Rechtsschutzlücke gegeben (Fechner, NVwZ 2000, 121, 123). An einer planwidrigen Regelungslücke fehlt es somit, wenn der Kläger Rechtsschutz über die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I Var. 1 VwGO erlangen könnte.

Dafür müsste der Kläger die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehren, § 43 I Var. 1 VwGO.

aa) Die allgemeine Feststellungsklage wird dem klägerischen Begehren nicht gerecht

Zwar stellt ein Verwaltungsakt selbst kein festzustellendes Rechtsverhältnis dar (s. dazu ausführlich Heinze/Sahan, JA 2007, 805, 806). Allerdings kommt als festzustellendes Rechtsverhältnis die Berechtigung der Behörde gegenüber dem Adressaten zum Erlass des konkreten Verwaltungsaktes in Betracht (Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 22; Ingold, JA 2009, 711, 713; Schenke, NVwZ 2000, 1255, 1257).

Indes wird eine allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I Var. 1 VwGO, gerichtet auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Berechtigung der Behörde zum Erlass des konkreten Verwaltungsaktes, nicht dem klägerischen Begehren gerecht: Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes. Wird die Berechtigung der Behörde zum Erlass des Verwaltungsaktes festgestellt, lässt dies aber keinen zwingenden Schluss auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu. Insbesondere könnte der erledigte Verwaltungsakt etwa aufgrund eines Ermessensfehlers gleichwohl rechtswidrig sein (Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 23; Ingold, JA 2009, 711, 714).

bb) Die allgemeine Feststellungsklage würde zu System- und Wertungswidersprüchen im Rechtssystem führen

Entscheidend gegen die Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage spricht zudem folgender Gedanke: Wäre die allgemeine Feststellungsklage statthaft, würde vom Zufall des Erledigungszeitpunkt abhängen, welche Klageart statthaft ist. Im Hinblick darauf, dass die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I Var. 1 VwGO und die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO unterschiedliche Sachentscheidungsvoraussetzungen haben, würde somit dem zufälligen Zeitpunkt der Erledigung ein maßgeblicher Stellenwert für die Abwicklung des Rechtsschutzes zukommen, was zu System- und Wertungswidersprüchen im Rechtsschutzsystem führen würde (W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 99; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1421; Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 445; Schenke, NVwZ 2000, 1255, 1257; Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 23).

cc) Zwischenergebnis

Die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I Var. 1 VwGO ist bei Erledigung vor Klageerhebung nicht statthaft, sodass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.

b) Vergleichbare Interessenlage

Das Vorliegen einer vergleichbaren Interessenlage ergibt sich aus der Erwägung, dass es aus der Sicht des Klägers vom Zufall abhängt, ob die Erledigung des Verwaltungsaktes vor Erhebung der Klage oder erst danach eintritt (Grosche/Wedemeyer, ZJS 2022, 889, 891).

4. Analoge Anwendung bei Erledigung nach Erhebung der Verpflichtungsklage

Denkbar ist allerdings auch, dass sich eine Verpflichtungsklage nach Klageerhebung erledigt. Es kommt somit eine analog Anwendung des § 113 I 4 VwGO auf die Verpflichtungssituation in Betracht. Die entsprechende Anwendung des § 113 I 4 VwGO auf die Verpflichtungssituation ist allgemein anerkannt (Sigrid, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, § 113 Rn. 119), sodass längere Ausführungen in einer Klausur nicht erforderlich sind. Es genügt festzustellen, dass eine planwidrige Regelungslücke aufgrund der ansonsten bestehenden Rechtsschutzlücke, die im Hinblick auf Art. 19 IV GG nicht zu rechtfertigen ist, vorliegt (Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 28) und sich die vergleichbare Interessenlage daraus ergibt, dass es für den Kläger keinen Unterschied macht, ob eine Belastung durch einen potentiell rechtswidrigen erledigten Verwaltungsakt oder durch eine ihm potentiell zustehende zunächst versagte oder unterlassene Begünstigung vorliegt (Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 43; Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 28). Ergänzend kann als Argument angeführt werden, dass der Kläger nicht „um die Früchte seiner bisherigen Prozessführung gebracht werden soll“ (Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 113 Rn. 98). Im Hinblick auf die Prozessökonomie erscheint es angebracht, dem Kläger die Möglichkeit zu geben, die Verpflichtungsklage bei Erledigung nach Klageerhebung als Fortsetzungsfeststellungsklage fortzuführen (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 435).

Zu beachten ist, dass mit einer Verpflichtungsklage der Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen begünstigenden Verwaltungsaktes begehrt wird, § 42 I Var. 2  VwGO. Mangels bestehenden Verwaltungsaktes kann die Bestimmung der Erledigung somit nicht wie in der Anfechtungssituation erfolgen (Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 28). Bei der Verpflichtungsklage kommt es entscheidend auf die Erledigung des Klagebegehrens an (Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 113 Rn. 113). Erledigung des Klagebegehrens liegt dabei dann vor, wenn der Verpflichtungsanspruch für den Kläger objektiv sinnlos wird und mit keinen Nutzen mehr für ihn verbunden ist (Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 113 Rn. 113).

5. Doppelte analoge Anwendung bei Erledigung vor Erhebung der Verpflichtungsklage

Problematisch ist die Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage zudem im Fall der Erledigung des Klagebegehrens vor Erhebung der Verpflichtungsklage. Es handelt sich um eine Kombination der soeben erläuterten analogen Konstellationen. Zunächst ist hier zu klären, ob § 113 I 4 VwGO analog auf die Verpflichtungssituation Anwendung findet (siehe Prüfungspunkt II.4.) und anschließend ist zu prüfen, ob § 113 I 4 VwGO analog für den Fall der Erledigung vor Klageerhebung anzuwenden ist (siehe Prüfungspunkt II.3.). Im Ergebnis ist von einer doppelt analogen Anwendung des § 113 I 4 VwGO auszugehen (Senders, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 30).

III. Sonstige Sachentscheidungsvoraussetzungen

Merkposten:Bei der Prüfung der nachfolgenden Sachentscheidungsvoraussetzungen sollte der Klausurbearbeiter folgendes im Hinterkopf behalten: Im Fall der Erledigung nach Klageerhebung handelt es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage um eine Fortsetzung der Ausgangsklage (je nach Fallkonstellation ist die Ausgangsklage eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage). Es müssen deshalb auch die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Ausgangsklage gegeben sein (Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 54). Dies ergibt sich aus der Wertung, dass eine ursprünglich unzulässige Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht allein durch das regelmäßig zufällige Ereignis der Erledigung des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes zu einer zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage werden kann (s. dazu auch Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1432).

1. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog

Zunächst setzt die Fortsetzungsfeststellungsklage unstreitig voraus, dass der Kläger nach § 42 II VwGO analog klagebefugt ist. Im Fall der Erledigung nach Klageerhebung ergibt sich dies aus der bereits dargestellten Erwägung, dass es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage um eine Fortführung der Ausgangsklage handelt und somit auch die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Ausgangsklage vorliegen müssen (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 411; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 54).

Im Fall der Erledigung vor Klageerhebung ergibt sich das Erfordernis aus dem Grund, dass es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage um einen Rechtsbehelf zum Schutz subjektiver Rechte handelt (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 453).

2. Vorverfahren, § 68 I 1 VwGO analog

Aufgrund der Tatsache, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage bei der Erledigung nach Klageerhebung die Ausgangsklage fortsetzt, ist auch für die Fortsetzungsfeststellungsklage die Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 I 1 VwGO erforderlich (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 412). Allerdings ist zu beachten, dass in Nordrhein-Westfalen ein solches Vorverfahren regelmäßig nach § 68 I 2 Hs. 1 VwGO i.V.m. § 110 I JustG NRW entbehrlich ist.

Für den Fall der Erledigung vor Klageerhebung ist es umstritten, ob die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 I 1 VwGO analog erforderlich ist.

Merkposten: Für den Fall, dass das Vorverfahren nach § 68 I 2 Hs. 1 VwGO i.V.m. § 110 I JustG NRW entbehrlich ist, kann im Ergebnis dahinstehen, ob das Vorverfahren erforderlich ist oder nicht!

Zu differenzieren ist zwischen dem unproblematischen Fall der Erledigung nach Ablauf der Widerspruchsfrist nach § 70 I VwGO und dem problematischen Fall der Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist nach § 70 I VwGO.

a) Erledigung vor Klageerhebung und nach Ablauf der Widerspruchsfrist

Erledigt sich der Verwaltungsakt nach Ablauf der Widerspruchsfrist nach § 70 I VwGO ist die Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 454). Grund ist, dass der Verwaltungsakt mit Ablauf der Widerspruchsfrist in Bestandskraft erwächst und damit nicht mehr angreifbar ist (Braun, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 38; Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 454a).

b) Erledigung vor Klageerhebung und vor Ablauf der Widerspruchsfrist

Problematisch ist, ob die Durchführung eines Vorverfahrens vor Ablauf der Widerspruchsfrist notwendig ist.

Für die Erforderlichkeit der Durchführung eines Vorverfahrens wird angeführt, dass Vorverfahren würde auch nach Erledigung des Verwaltungsaktes zweckmäßig sein, da es zu einer Selbstkontrolle der Verwaltung, zur Entlastung der Verwaltungsgerichte und zum Rechtsschutz des Bürgers beitragen würde (W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 127). Die Widerspruchsbehörde könne die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und eine hierdurch bestehende Rechtsverletzung feststellen. Das eine solche Feststellung möglich sei, zeige § 44 V VwVfG (W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 127). Dagegen spricht allerdings, dass das Widerspruchsverfahren auf die Aufhebung beziehungsweise den Erlass des Verwaltungsaktes gerichtet ist und nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit von (erledigten) Verwaltungsakten zum Gegenstand hat (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 454a). Im Fall der Erledigung besteht die Möglichkeit der behördlichen Aufhebung indes nicht mehr (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1431). Zudem kennt die VwGO einen Fortsetzungsfeststellungswiderspruch nicht (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 454a; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1431).

Im Ergebnis ist bei Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist kein Vorverfahren nach § 68 I 1 VwGO statthaft. Ein gleichwohl eingelegter Widerspruch ist unzulässig (Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 454a).

3. Klagefrist, § 74 VwGO, § 58 VwGO analog

Es stellt sich weiterhin die Frage der Fristbindung der Fortsetzungsfeststellungsklage.  Im Fall der Erledigung nach Klageerhebung ist die Wahrung der Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO analog erforderlich. Die unzulässige Ausgangsklage (Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage) kann nicht durch das zufällige Ereignis der Erledigung zu einer zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage werden (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1432).

Für den Fall der Erledigung vor Klageerhebung ist wiederum umstritten, ob die Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO gewahrt werden muss.

Merkposten: Eine Erörterung des Streitentscheids erübrigt sich, wenn nach dem Sachverhalt die Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO eingehalten wurde. Ob die Wahrung der Klagefrist erforderlich ist, kann in diesem Fall dahinstehen.

Zu differenzieren ist zwischen dem unproblematischen Fall der Erledigung nach Ablauf der Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO und dem problematischen Fall der Erledigung vor Ablauf der Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO.

a) Erledigung vor Klageerhebung und nach Ablauf der Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO

Hat sich der Verwaltungsakt oder das Klagebegehren vor Ablauf der Klagefrist erledigt, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig. Der Verwaltungsakt ist bereits bestandskräftig und damit unanfechtbar geworden. Wenn der Kläger es versäumt, fristgerecht eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage einzulegen, ist auch die Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig (Stockebrandt, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 40).

b) Erledigung vor Klageerhebung und vor Ablauf der Klagefrist nach §§ 74, 58 II VwGO

Problematisch ist, ob im Fall der Erledigung vor Ablauf der Klagefrist nach §§ 74 , 58 II VwGO eine Fristbindung nach §§ 74, 58 II VwGO besteht oder das Klagerecht nur durch Verwirkung einzugrenzen ist.

Für das Erfordernis der Fristbindung wird die Rechtsnatur der Fortsetzungsfeststellungsklage als fortgesetzte Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage angeführt (Stockebrandt, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 41). Gegen die Fristbindung spricht allerdings, dass der Sinn und Zweck des Fristsetzungserfordernisses bei Erledigung des Verwaltungsaktes nicht mehr greift. Der Zweck der Fristsetzung besteht darin, die Bestandskraft des Verwaltungsaktes zu sichern (Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 113 Rn. 149). Der Verwaltungsakt kann allerdings nicht in Bestandskraft erwachsen, weil er sich bereits erledigt hat. Zudem wird die Verwaltung vor einer stark verspäteten Einreichung der Klage durch die Notwendigkeit des Vorliegens eines Feststellungsinteresses und dem Grundsatz der Verjährung geschützt (Stockebrandt, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 41).

Somit ist anzunehmen, dass eine Fristbindung nach §§ 74, 58 II VwGO nicht besteht und als zeitliche Begrenzung des Klagerechts die Verwirkung genügt.

4. Fortsetzungsfeststellungsinteresse, § 113 I 4 VwGO

Nach § 113 I 4 VwGO muss zudem ein „berechtigtes Interesse“ des Klägers an der begehrten Feststellung bestehen. Anders als bei der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 I VwGO genügt das Vorliegen eines anzuerkennenden schutzwürdigen Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art nicht. Der Rechtsschutz der VwGO ist grundsätzlich darauf gerichtet, gegen aktuell bestehende Rechtsbeeinträchtigungen vorzugehen, Art. 19 IV GG, sodass es im Fall der Erledigung der Belastung besonders zu begründen ist, weshalb ausnahmsweise dennoch eine gerichtliche Überprüfung möglich sein soll (Bühler/Brönnecke, Jura 2017, 34, 37, Valentiner, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 4 Rn. 51). Das berechtigte Interesse an der Feststellung wird bei Einschlägigkeit bestimmter Fallgruppen angenommen.

a) Konkrete Wiederholungsgefahr

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht, wenn eine Wiederholung der erledigten Maßnahme droht (Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 48).

Voraussetzung ist indes, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die darauf schließen lassen, dass eine erneute Belastung durch einen vergleichbaren und absehbaren Sachverhalt in Betracht kommt (Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 48).

b) Rehabilitationsinteresse

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt zudem vor, wenn die begehrte Feststellung, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war, als Genugtuung oder zur Rehabilitierung notwendig ist, weil der Verwaltungsakt einen objektiv diskriminierenden Charakter hatte und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beeinträchtigt hat(W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 142).

Erforderlich ist, dass dem Verwaltungsakt stigmatisierende Außenwirkung zukommt und diese in der Gegenwart andauert(W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 142).

c) Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses

Weiterhin ist zu beachten, dass derjenige, der durch den inzwischen erledigten Verwaltungsakt wirtschaftliche Nachteile erlitten hat und deshalb auf Schadensersatz oder Entschädigung die Zivilgerichte nach Art. 34 3 GG, § 40 II 1 VwGO anruft, ein berechtigtes Interesse daran hat, dass das Verwaltungsgericht vorher die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts feststellt. An diese Feststellung ist das Zivilgericht gebunden, § 121 VwGO (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1427). In diesem Fall liegt somit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers vor.

Voraussetzung ist, dass die Erledigung erst nach Klageerhebung eingetreten ist und die nachfolgende zivilgerichtliche Klage nicht offensichtlich aussichtslos ist (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1427). Für den Fall, dass sich der Verwaltungsakt bereits vor der Klageerhebung erledigt hat, kann der Kläger direkt Klage zum Zivilgericht erheben. Ein berechtigtes Interesse des Klägers einen vorbereitenden Prozess vor dem Verwaltungsgericht zu führen besteht dann nicht (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1427).

d) Schwerer Grundrechtseingriff

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist zudem bei einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff anzunehmen. Wichtig ist dabei, dass die Schwere des Grundrechtseingriffs dargelegt wird. Wäre jeder Grundrechtseingriff für das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses ausreichend, würde die Voraussetzung praktisch leerlaufen, denn bei belastenden Verwaltungsakten liegt grundsätzlich zumindest ein Eingriff in Art. 2 I GG vor (W.-R. Schenke/R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 146).

e) Verwaltungsakte, die sich typischerweise kurzfristig erledigen

Ein berechtigtes Feststellungsinteresse ist zudem zu bejahen, wenn sich der Verwaltungsakt oder das Verpflichtungsbegehren typischerweise so kurzfristig erledigen, dass andernfalls keine gerichtliche Überprüfung in einem Hauptsachverfahren möglich wäre (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rn. 1427). Als Beispiel kann man sich den polizeilichen Platzverweis nach § 34 PolG NRW merken (Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32  Rn. 1427).

IV. Zusammenfassung

Insgesamt stellt die Prüfung einer Fortsetzungsfeststellungsklage den Klausurbearbeiter vor einige Herausforderungen, die allerdings durch ein sorgfältiges Lesen des Normtextes und Verständnis der Grundstruktur der Klage gut zu meistern sind.

Zusammenfassend ergeben sich für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage folgende Besonderheiten:

  • Im Rahmen der Statthaftigkeit ist zu prüfen, ob die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO direkt oder analog angewendet wird, wobei im letzteren Fall das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage darzulegen ist.
  • Im Fall der Erledigung nach Klageerhebung richten sich die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen nach denen der Ausgangsklage (Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage). Zusätzlich bedarf es nach § 113 I 4 VwGO eines besonderen Feststellungsinteresses.
  • Bei Erledigung vor Klageerhebung ist, solange der Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig geworden ist, streitig, ob ein Vorverfahren nach § 68 I 1 VwGO erforderlich ist und ob eine Fristbindung nach §§ 74, 58 II VwGO besteht. Eines Streitentscheides bedarf es allerdings dann nicht, wenn das Vorverfahren bereits nach § 110 I  JustG NRW entbehrlich ist oder die Frist nach §§ 74, 58 II VwGO eingehalten wurde. Wichtig ist zudem, dass sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht aus dem Interesse des Klägers an der Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses ergeben kann.
28.03.2025/0 Kommentare/von Marie-Lou Merhi
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Marie-Lou Merhi https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Marie-Lou Merhi2025-03-28 08:01:442025-06-03 08:51:07Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage – ein Grundlagenbeitrag
Dr. Sebastian Rombey

Examensrelevante Änderungen der BauO NRW

Aktuelles, Baurecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite

Mit dem 01.01.2019 ist die neue BauO NRW 2018 in Kraft getreten. Diese hält eine Fülle von Änderungen bereit, die sich teils bloß auf die Nummerierung, teils aber auch auf den Inhalt der bauordnungsrechtlichen Normen beziehen. Auf diese Weise soll das landesrechtliche Bauordnungsrecht an europäische Vorgaben sowie an die Musterbauordnung als Vereinbarung aller Bundesländer angeglichen und das Bauordnungsrecht vereinfacht werden. Zudem sollen Bauverfahren beschleunigt, Baukosten reduziert und so Wohnungsbauten gefördert werden (LT-Drucks. 17/2166, S. 1 f.) – hehre Ziele also. Die Neuerungen, die das Baurechtsmodernisierungsgesetz (BauModG NRW v. 12.07.2018) bereithält, sollen nachfolgend auf ihren examensrelevanten Kern reduziert und damit greifbar gemacht werden.
I. Die wichtigsten Änderungen im Detail

  • Bauaufsichtsbehörden: Nun in § 57 BauO NRW n.F. geregelt (vormals §§ 60, 62 BauO NRW a.F.). Danach ist grundsätzlich die untere Bauaufsichtsbehörde zuständig, § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauO NRW n.F.
  • Baurechtliche Generalklausel: Normiert in § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW n.F. (früher § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW a.F.); die versteckte Stellung mag auch daran liegen, dass die Relevanz der baurechtlichen Generalklausel dadurch gesunken ist, dass Baustopp, Nutzungsuntersagung und Abrissverfügung nun durch spezielle Normen geregelt werden (§§ 81, 82 BauO NRW n.F.; s. dazu unten).
  • Rechtsnachfolgeregelung: Bislang war eine Rechtsnachfolge im Bauordnungsrecht gesetzlich nur für die Baugenehmigung als begünstigenden Verwaltungsakt vorgesehen, § 75 Abs. 2 BauO NRW a.F. Mit § 58 Abs. 3 BauO NRW n.F. ändert sich dies jedoch grundlegend; danach wird nicht nur die Geltung bauaufsichtlicher Genehmigungen auf Rechtsnachfolger und Rechtsnachfolgerinnen erstreckt, sondern auch und vor allem die Geltung „sonstiger Maßnahmen“ der Bauaufsichtsbehörden, worunter auch belastende Verwaltungsakte wie insbesondere Baustopp, Nutzungsuntersagung und Abrissverfügung fallen.
  • Genehmigungsbedürftigkeit: Zentralnorm war hierfür bisher § 63 BauO NRW a.F.; diese wurde nun in § 60 BauO NRW n.F. übertragen. Inhaltlich hat sich dabei nur wenig geändert. Wichtig zu erwähnen ist jedoch, dass nunmehr  an das Wort „Anlage“ angeknüpft wird, das als neuer Oberbegriff dient. Gleichwohl fallen auch die bislang allein maßgeblichen „baulichen Anlagen“ hierunter, § 2 Abs. 1 S. 4 BauO NRW n.F.
  • Gebäudeklassen und Genehmigungsfreistellung: Früher war die Genehmigungsfreistellung in § 67 BauO NRW a.F. enthalten, jetzt ist sie in § 63 BauO NRW n.F. zu finden. Hierbei wird neuerdings zwischen fünf verschiedenen Gebäudeklassen differenziert, die in § 2 Abs. 3 BauO NRW n.F. legal definiert werden. Demnach bedarf es keiner Baugenehmigung, wenn eine der in § 63 Abs. 1 BauO NRW n.F. genannten Gebäudeklassen errichtet oder geändert werden soll und die zusätzlichen Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 BauO NRW n.F. vorliegen.
  • Einfaches und vollständiges Baugenehmigungsverfahren: Bislang unter dem Namen „vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren“ in § 68 BauO NRW a.F. geregelt, jetzt unter dem Titel „einfaches Baugenehmigungsverfahren“ in § 64 BauO NRW n.F. normiert. Inhaltliche Neuerungen finden sich kaum, sodass die Bestimmung weiterhin für die Reduzierung des Prüfungsumfangs der Baubehörden bei genehmigungspflichtigen Bauvorhaben von Relevanz ist. Im Zusammenspiel damit steht § 65 BauO NRW n.F., der neu eingefügt wurde und dem Rechtsanwender verdeutlicht, dass eine vollständige Prüfung der  neuen BauO NRW allein bei großen Sonderbauten (enumerativ aufgelistet in § 50 Abs. 2 BauO NRW n.F.) erfolgt.
  • Vorbescheid: Früher in § 71 BauO NRW a.F., jetzt in § 77 BauO NRW n.F. geregelt. Inhaltlich ergibt sich die Neuerung, dass die Geltungsdauer anstelle von zwei Jahren nunmehr drei Jahre beträgt.
  • Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens: § 73 BauO NRW n.F. wurde neu eingefügt und erhält Ergänzungen zur bundesrechtlichen Vorschrift des § 36 Abs. 2 BauGB. Damit treffen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht aufeinander und ergänzen sich gegenseitig. Während das BauGB der geordneten städtebaulichen Entwicklung dient und auf diese Weise bodenrechtliche Spannungen zu vermeiden sucht, ist die BauO NRW als sicherheitspolitische Antwort auf Gefahren zu verstehen, die von Anlagen ausgehen. § 73 BauO NRW n.F. kommt in diesem Zusammenspiel eine Komplementärfunktion zu: § 36 Abs. 2 BauGB bildet die Rechtsgrundlage für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens und nennt den hierfür geltenden materiellen Maßstab, während § 73 BauO NRW n.F. formelle Anforderungen bestimmt (so die Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörde, das Verfahren und die Form).
  • Entfall der aufschiebenden Wirkung einer gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gerichteten Anfechtungsklage: Ganz zentral ist der in § 73 Abs. 3 S. 3 BauO NRW n.F. normierte Ausschluss des Suspensiveffekts für eine gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gerichtete Anfechtungsklage: „Eine Anfechtungsklage hat auch insoweit keine aufschiebende Wirkung, als die Genehmigung als Ersatzvornahme gilt.“ Somit entfaltet § 73 Abs. 3 S. 3 BauO NRW n.F. Wirkung im Rahmen der §§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, 212a BauGB. Dies zwingt dazu, lieber die zu Grunde liegende Baugenehmigung als die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens anzugreifen, was sich auch daraus ergibt, dass § 73 Abs. 3 S. 4 BauO NRW n.F. verhindert, dass Rechtsschutz bei der Kommunalaufsicht eingeholt wird (§ 126 GO NRW wird insoweit ausgeschlossen).
  • Baugenehmigung: Bislang prominent in § 75 BauO NRW a.F. verankert, nunmehr in § 74 BauO NRW n.F. zu finden. Parallel dazu wurde der Bauantrag von vormals §§ 69, 70 BauO NRW a.F. in die §§ 67, 70 BauO NRW n.F. verschoben.
  • Baustopp, Nutzungsuntersagung und Abrissverfügung: Neuerdings speziell in §§ 81, 82 BauO NRW n.F. normiert. Damit muss auf die baurechtliche Generalklausel (früher § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW a.F., jetzt § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW n.F.), auf die diese bauaufsichtsrechtlichen Maßnahmen bislang in NRW gestützt wurden, nur noch selten zurückgegriffen werden. Gleichwohl muss zur Beurteilung der Rechtsmäßigkeit einer solchen bauaufsichtsrechtlichen Maßnahme weiterhin zwischen formeller und materieller Illegalität unterschieden werden:
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04.02.2019/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-02-04 09:01:352019-02-04 09:01:35Examensrelevante Änderungen der BauO NRW
Dr. Yannik Beden, M.A.

Die 15 wichtigsten Begriffe im Bauplanungsrecht

Baurecht, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Von Studenten oftmals unterschätzt, kommt dem öffentlichen Baurecht in der juristischen Ausbildung eine mit dem Polizei- und Ordnungsrecht vergleichbare Klausurrelevanz zu. Einen Überblick zu den Basics im öffentlichen Baurecht wurde bereits in unserem Beitrag vom 20.11.2013 (s. hier) gegeben. Das bundesweit einheitliche Bauplanungsrecht ist dabei besonders häufig Gegenstand von Baurechtsklausuren, da es sich leicht in die Rechtmäßigkeitsprüfung eines baulichen Vorhabens integrieren lässt. Auch wenn in diesem Rechtsgebiet vergleichsweise wenig gefestigte Definitionen von Prüflingen erwartet werden, gibt es einige wenige Begriffe, die jedem Studierenden bekannt sein müssen.
 

  • „Bauliche Anlage“S.v. § 29 I BauGB

ist jede Anlage, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden ist und bodenrechtliche Relevanz hat.
 

  • „Bodenrechtliche Relevanz“ des Vorhabens als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 29 I BauGB

ist gegeben, wenn die bauliche Anlage die in § 1 V BauGB genannten Belange in einer Weise berührt oder berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.
 

  • „Ortsteil“S.v. § 34 I BauGB

ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen, gewachsenen baulichen Siedlungsstruktur ist.
 

  • „Bebauungszusammenhang“S.v. § 34 I 1 BauGB

liegt vor, wenn eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck von Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt.
 

  • „Ortsgebundenheit“S.v. § 35 I Nr. 3 BauGB

besteht, wenn das Vorhaben seinem Wesen nach ausschließlich an einer bestimmten Stelle – aufgrund deren geographischer oder geologischer Eigenart – betrieben werden kann.
 

  • „Erschließung“ S.v. §§ 30 ff. BauGB

erfordert einen Anschluss des Grundstücks zumindest an das öffentliche Straßenverkehrsnetz, die Wasserversorgung und (jedenfalls im Innenbereich) die Stromversorgung und das Abwassersystem
 

  • Gebot der Gebietsverträglichkeit (zu beachten bei §§ 2-9 BauNVO)

ist verletzt, wenn ein Vorhaben in Bezug auf den Gebietscharakter des konkreten Baugebiets in seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt. Notwendig ist eine doppelte, typisierende Betrachtung, nämlich hinsichtlich (1) der typischen Nutzungsweise des Vorhabens und (2) der typischerweise vorherrschenden Nutzungsart des jeweiligen Gebiets.
 

  • Passiver Bestandsschutz

zielt darauf ab, die rechtmäßig erlangte Nutzungsbefugnis an einem Grundstück oder Gebäude auch dann zu aufrechtzuerhalten, wenn die maßgebenden baurechtlichen Vorgaben sich geändert haben und das Bauwerk nach dem aktuell geltenden Recht nicht mehr zulässig wäre.
 

  • Gebot der planerischen Konfliktbewältigung

verpflichtet die Gemeinde, die durch einen Bebauungsplan geschaffenen oder diesem zurechenbare Konflikte im Bebauungsplan selbst zu lösen. Die Planung darf deshalb nicht dazu führen, dass durch den Bebauungsplan hervorgerufene Konflikte zulasten der Betroffenen ungelöst bleiben.
 

  • Kommunales Abstimmungsgebot i.S.v. § 2 II 1 BauGB

fordert in materieller Hinsicht, dass die Bauleitpläne bzw. städtebaulichen Belange der benachbarten Gemeinde von der planenden Gemeinde in ihre Abwägung einbezogen werden. In formeller Hinsicht ist ggf. eine Beteiligung der von der Planung potentiell betroffenen Nachbargemeinde erforderlich.
 

  • Gebot der Rücksichtnahme

bedeutet, dass Vorhaben und Nutzungen, die einander belasten, nur in rücksichtsvoller Art und Weise einander zugeordnet werden sollen. Das Gebot der Rücksichtnahme stellt kein eigenständiges, das gesamte Bauplanungsrecht umfassendes Gebot dar, sondern ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut zur Auslegung baurechtlicher Vorschriften.
 

  • Nachbarn bzw. benachbarte Grundstücke

bedeutet im Baurecht alle Grundstücke, die durch das Vorhaben in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt werden können. Maßgeblich ist sowohl die Art des Vorhabens, als auch dessen konkrete Auswirkungen auf das benachbarte Grundstück. Zu den Nachbarn zählen im Grundsatz alle dinglich Berechtigten, wohingegen obligatorisch Berechtigte nach Ansicht des BVerwG i.d.R. nicht „Nachbarn“ sind.
 

  • Nachbar- bzw. drittschützende Wirkung

entfalten nach der Rechtsprechung des BVerwG alle baurechtlichen Vorschriften, die erkennen lassen, dass in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
 

  • Gebietserhaltungsanspruch

gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht.
 

  • Gebietsprägungserhaltungsanspruch

ist der auf das Baugebiet begrenzte Abwehranspruch eines Dritten gegen ein Vorhaben, das in dem konkreten Baugebiet regelmäßig zulässig, also mit der Gebietsart vereinbar, jedoch (generell) gebietsunverträglich ist, weil es aufgrund seiner Nutzungsweise störend wirkt. Eine konkrete oder individuelle Betroffenheit des Dritten ist nicht notwendig.

30.10.2017/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2017-10-30 12:00:222017-10-30 12:00:22Die 15 wichtigsten Begriffe im Bauplanungsrecht
Tom Stiebert

VG Frankfurt: Neues zum baurechtlichen Drittschutz: Landschaftsschutzverordnung schützt nicht Anwohnerrechte

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Fragen des Drittschutzes sind im Baurecht von erheblicher Bedeutung. Hier sollte zwingend die Rechtsprechung im Auge behalten werden. Einen sehr relevanten Fall hatte das VG Frankfurt am 4.5.2016 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu entscheiden (Az. 8 L 1334/16.F).
I. Sachverhalt
Hier ging es Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Errichtung einer mobilen Flüchtlingsunterkunft in Holzrahmenbauweise als Anlage für soziale Zwecke – Unterbringung von maximal 672 Asylsuchenden, sowie Herstellen von drei Stellplätzen für einen Zeitraum von April 2016 bis 31.12.2018 am „Alten Flugplatz Bonames“ in Frankfurt.
Mehrere Anwohner hatten gegen die hierfür erteilte Baugenehmigung Widerspruch eingelegt und begehren nun die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO. (Hinweis: In Bundesländern ohne Vorverfahren (bspw. NRW – § 110 JustG NRW) würde es insofern um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gehen.
II. Lösungsüberblick
An dieser Stelle soll nicht auf die zahlreichen denkbaren Probleme des einstweiligen Rechtsschutzes eingegangen werden, sondern allein die Problematik der Antragsbefugnis erörtert werden. Zu speziellen Fragen des § 80 Abs. 5 VwGO und zur Wiederholung empfehlen wir unseren Beitrag.
Fraglich war hier, ob sich die Antragssteller auf die Verletzung eigener Rechte stützen können (§ 42 Abs. 2 VwGO). Der Antrag ist nur zulässig, wenn die Erteilung der Baugenehmigung gegen den Schutz des Nachbarn bezweckende Baurechtsnormen verstößt. Im Baurecht ist dies häufig sehr problematisch (siehe unsere umfangreiche Darstellung).
Zur Begründung ihres Begehrens stützten sich die Antragsteller im Wesentlichen auf naturschutzrechtliche Gesichtspunkte, insbesondere die Beeinträchtigung geschützter Arten und den Gewässerschutz. Außerdem sehen sie das auch im Außenbereich Geltung beanspruchende nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzt.
Das VG lehnte teilweise eine Antragsbefugnis bereits deshalb ab, weil die Antragssteller bereits personell nicht in den Schutzbereich nachbarschützender Vorschriften fielen:

Die Unzulässigkeit für zwei Antragsteller folge bereits daraus, dass sie nicht Eigentümer eines in der Nähe des Vorhabens liegenden Grundstücks sind.

Aber auch im Übrigen fehlt es aus Sicht des VG an der Antragsbefugnis.

Bezüglich der übrigen Antragsteller folge die Unzulässigkeit des Eilrechtsschutzbegehrens daraus, dass sie in ihrer eigenen Wohnnutzung durch das Vorhaben nicht eingeschränkt werden. Zudem dienen Vorschriften der Landschaftsschutzverordnung nicht dem Schutz der individuellen Rechte der Anwohner.

Entscheidend war hier insbesondere, ob die Regelungen der Landschaftsschutzverordnung drittschützend sind. Dies war abzulehnen. Auch die Rechtsprechung in anderen Fällen bestätigt das. So hat das VG Sigmaringen bereits 2004 entsprechend geurteilt (4 K 1715/04):

Die Bestimmungen einer Landschaftsschutzverordnung nach § 22 NatSchG BW dienen grundsätzlich ausschließlich den in § 22 NatSchG BW genannten öffentlichen Interessen. Sie dienen insbesondere nicht den privaten Interessen der Grundstückseigentümer im Landschaftsschutzgebiet.

Nach § 22 NatSchG BW dienen Landschaftsschutzgebiete dem besonderen Schutz der Natur und der Landschaft. Sie werden mit dem Ziel eingerichtet, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu erhalten, die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter zu erhalten oder zu verbessern, die Vielfalt, Eigenart oder Schönheit der Natur und Landschaft zu erhalten oder um den besonderen Erholungswert von Natur und Landschaft für die Allgemeinheit zu erhalten, zu steigern oder wiederherzustellen.

Diese, der streitgegenständlichen Entscheidung zugrunde liegenden Bestimmungen dienen nach ihrem Wortlaut und Zweck ersichtlich ausschließlich dem öffentlichen Interesse am Erhalt einer intakten Natur und Landschaft. Sie sind daneben nicht auch zum Schutz des Antragstellers bestimmt. Eine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Antragstellers ist daher ausgeschlossen, so dass es an einer Antragsbefugnis fehlt.

Insofern fehlt es an der Antragsbefugnis. Weder aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich eine solche noch aus der Landschaftsschutzverordnung. Der Antrag war daher abzulehnen.

III. Bewertung und Examensrelevanz

Der Fall ist perfekt für eine mündliche Prüfung geeignet, bei der eine eigenständige Argumentation abverlangt wird. Kenntnisse der Grundlagen des Drittschutzes sind hier unentbehrlich. Aber auch in einer Klausur könnte dieser Teil der Prüfung sehr relevant werden. Der Fall sollte daher auf jeden Fall durchdacht werden.

09.05.2016/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-05-09 08:30:082016-05-09 08:30:08VG Frankfurt: Neues zum baurechtlichen Drittschutz: Landschaftsschutzverordnung schützt nicht Anwohnerrechte
Tom Stiebert

VG Wiesbaden: Hundepension in reinem Wohngebiet nicht zulässig

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Das VG Wiesbaden hat mit Urteil vom 26.02.2016 (Az.: 6 K 251/15.WI) entschieden, dass der Betrieb einer Hundepension in einem Einfamilienhaus in einem reinen Wohngebiet nicht zulässig ist.
Die Prüfung des VG ist beispielhaft für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsprüfung in der Klausur:
Sachverhalt war (vereinfacht) folgender:
Die Kläger, Eigentümer eines Einfamilienwohnhauses, meldeten im Jahr 2008 bei der Gemeinde den Betrieb einer Hundepension als Gewerbe an; eine Genehmigung für den Betrieb einer Hundepension nach dem Tierschutzgesetz erteilte der zuständige Landkreis ebenfalls im Jahr 2008. Seither betrieben die Kläger eine Hundepension. Sie betreuten nach ihren Angaben ihre eigenen drei Hunde und maximal zwei Gasthunde „familiär“ in ihrem Haus, nach Angaben eines Nachbarn deutlich mehr. Auf Hinweis  hat die zuständige Behörde mit Bescheid vom 18.09.2013 ein Nutzungsverbot ausgesprochen, mit dem er den Betrieb einer Hundepension auf dem Wohngrundstück sowie in den Räumlichkeiten des Hauses untersagte. Daraufhin beantragten die Kläger im Februar 2014 eine Genehmigung für die Nutzungsänderung des Hauses zur Hundebetreuung „Hundeferien Rheingau-Taunus“. Die Gemeinde versagte ihr Einvernehmen zu diesem Bauantrag; der Landkreis hatte den Antrag mit Bescheid vom 24.03.2014 abgelehnt, da die geplante Nutzungsänderung den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche.
Nunmehr haben die Kläger Klagen erhoben, mit denen sie sich einerseits gegen ein Nutzungsverbot wandten und andererseits die Erteilung einer Baugenehmigung für eine veränderte Nutzung begehrten.
Entscheidungsgründe
Das VG hat die Klage abgewiesen.
Eine Genehmigung der Nutzungsänderung ist nicht zu erteilen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist das Nutzungsverbot rechtmäßig erteilt worden, da der Betrieb einer Hundepension in dem als Wohnhaus genehmigten Gebäude eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstellt, die Kläger aber keine solche Genehmigung besitzen. Da die Kläger den Betrieb der Hundepension ohne die erforderliche Genehmigung aufgenommen hätten, könnten sie sich auch nicht schutzwürdig darauf berufen, der Betrieb sei ihre Existenzgrundlage.

Zu prüfen war hier folglich nur, ob eine Nutzungsänderung iSd § 63 Abs. 1 BauO NRW vorgelegen habe. Dies wird bejaht. Eine entsprechende Nutzungsänderung bedarf gemäß § 63 Abs. 1 BauO NRW der Genehmigung.

§ 63 BauO NRW bestimmt insofern: (1) Die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 bedürfen der Baugenehmigung

Eine solche Genehmigung ist auch nicht zu erteilen. (§ 63 Abs. 1 BauO NRW iVm 75 BauO NRW). Ihr stehen bauplanungsrechtliche Erwägungen entgegen.
Das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans, der das Grundstück als allgemeines Wohngebiet ausweise und das vorwiegend dem Wohnen diene (vgl. § 30 BauGB iVm. § 4 BauNVO). Zulässig sind dabei insbesondere Wohngebäude.

Darunter falle der gewerbsmäßige Betrieb einer Hundepension jedoch nicht, auch wenn die Hunde „wohnungsmäßig“ betreut würden, also überwiegend im Haus gehalten würden.

Zu problematisieren war hier die Vereinbarkeit mit § 4 BauNVO, hier kam es auf eine eigene Argumentation und Definition des Begriffes Wohngebäude an. Nicht einschlägig war dagegen § 14 BauNVO.
Ob der Betrieb der Hundepension hier stört oder nicht, ist unerheblich.

Es komme nicht darauf an, ob die gewerbliche Hundepension ein störender Gewerbebetrieb sei. Denn der Bebauungsplan schließe ausdrücklich auch sonstige, nicht störende Gewerbebetriebe aus. Damit sei eine Ausnahme nicht möglich.

Auch eine Befreiung nach § 31 BauGB ist unzulässig. Entscheidend ist hier, dass die Grundzüge der Planung nicht verletzt sind. Hier lautet die Begründung des Bebauungsplans: „Um die hohe Wohnqualität nicht zu stark zu beeinträchtigen und um die Anliegerstraßen angesichts der topographisch bedingten schwierigen Verhältnisse nicht durch ein überhöhtes Verkehrsaufkommen zu belasten, werden die ansonsten ausnahmsweise zulässigen Betriebe des Beherbergungsgewerbes, sonstige nicht störende Betriebe, Anlagen für Verwaltungen, Gartenbaubetriebe und Tankstellen ausgeschlossen“. Diesen Zielen würde bei einer Genehmigung zuwidergehandelt.

04.03.2016/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-03-04 16:25:422016-03-04 16:25:42VG Wiesbaden: Hundepension in reinem Wohngebiet nicht zulässig
Gastautor

Jur:next Urteilsbesprechung: „Keine Ferien im Wohngebiet!?“

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Der nachfolgende Beitrag stammt aus unserer gemeinsamen Kooperation mit jur:next und befasst sich mit einem examensrelevanten Urteil des OVG Lüneburg zur Zulässigkeit von Ferienwohnungen im allgemeinen Wohngebiet.
Keine Ferien im Wohngebiet!?

Urteil des 1. Senats des OVG Lüneburg vom 15.01.2015 – 1 KN 61/14 – Thematik: Zur Zulässigkeit von Ferienwohnungen im allgemeinen Wohngebiet sowie den materiellen Anforderungen an eine Veränderungssperre.
I. Zum Sachverhalt
A und B sind Eigentümer eines Baugrundstücks in der kreisangehörigen Stadt T des Landkreises I, welches im Geltungsbereich eines rechtswirksamen Bebauungsplans liegt. Dieser Plan setzt für das Grundstück sowie die weiteren Grundstücke entlang der Straße ein allgemeines Wohngebiet fest. Tatsächlich wird die bauliche Nutzung neben Wohnungen auch von vermieteten Gästeunterkünften (Pensionszimmer, Ferienapartments) geprägt. Die zuständige Bauaufsichtsbehörde gestattete A und B mit Genehmigung vom 10.02.2012 die Errichtung eines Apartmenthauses mit vier Wohneinheiten auf 2 Etagen, wobei Keller und Dachgeschoss des Gebäudes nicht zu Wohnzwecken ausgebaut werden sollten. Tatsächlich errichteten beide aber ein Gebäude mit insgesamt 7 Wohneinheiten unter Nutzung von Dachgeschoss und Keller, von denen 5 als Ferienwohnungen vermietet und weitere 2 als Dauerwohnungen genutzt werden sollten. Bereits am 30.06.2010 war jedoch der Beschluss zur Änderung des Bebauungsplans im dem entsprechenden Gebiet gefasst worden, wobei über konkrete Inhalte keine Übereinstimmung erzielt wurde. Im späteren Verlauf sprach sich jedoch die überwiegende Meinung für die Festsetzung in ein „sonstiges Sondergebietes“ nach § 11 BauNVO aus. So sollte ein „ausgewogenes Nebeneinander der Wohnnutzung und der Kleinbeherbergung“ geregelt werden, sodass letztlich am 16.04.2013 vom Verwaltungsrat eine Veränderungssperre beschlossen wurde. Die Nutzung der Gebäudeeinheiten als Ferienwohnungen untersagte die Bauaufsichtsbehörde mit Verfügung vom 15.10.2013 in der Folge unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Sie verwies auf die „Illegalität“ der tatsächlich errichteten Gebäude, die von der erteilten Baugenehmigung nicht gedeckt seien. Die nachfolgenden Anträge auf nachträgliche Genehmigung des Bauvorhabens wurden abgelehnt. Der daraufhin vor dem Verwaltungsgericht verfolgte Eilrechtsschutz blieb erfolglos. (VG Oldenburg, Beschl. v. 14.04.2014 – 4 B 7040/13 -, bestätigt durch den Senatsbeschluss v. 16.06.2014 – 1 ME 70/14 -, NVwZ-RR 2014, 802.)
A und B möchten nun gegen die vom Rat der Stadt T beschlossene Veränderungssperre gerichtlich vorgehen.
II. Problemaufriss

Die nachfolgende Prüfung der Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags unterscheidet sich von anderen verwaltungsrechtlichen Klagearten in einigen Details, welche aber problemlos aus § 47 VwGO entnommen werden können.
Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO eröffnet. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers (§§ 88, 86 III VwGO). A und B wollen die Veränderungssperre für unwirksam erklären lassen, sodass die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO vorliegen könnten. Instanziell zuständiges Gericht ist nach § 47 I, III VwGO das OVG und als solches das örtlich zuständige in Lüneburg. Die Veränderungssperre wurde vom Verwaltungsrat als Satzung gemäß § 14 BauGB beschlossen und ist demnach zulässiger Antragsgegenstand nach § 47 I Nr. 1 VwGO. A und B sind nach § 47 II VwGO durch die Geltendmachung einer möglichen Verletzung der Baufreiheit aus Art. 14 GG sowie § 70 NBauO (§ 75 BauONRW) antragsbefugt. Auch die Antragsfrist gemäß § 47 II VwGO von einem Jahr seit Erlass der zu kontrollierenden Norm wurde vorliegend eingehalten.
Fraglich ist allein, ob das Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. Dies ist bspw. dann nicht der Fall, wenn die mögliche Unwirksamkeitserklärung des Gerichts ungeeignet ist, die Rechtsstellung des Antragenden zu verbessern (So speziell für den Fall des Normenkontrollantrags in Kopp/Schenke, § 47 VwGO, Rn. 88 ff.). Die Nutzung der Gebäude als Ferienwohnungen ist generell nicht genehmigungsfähig, wenn dies bereits mit dem vorher geltenden Bebauungsplan unvereinbar wäre. In diesem Fall käme es dann auf die Beurteilung der Veränderungssperre gar nicht mehr an. Der geltende Plan setzt für das Grundstück der Antragsteller ein allgemeines Wohngebiet fest, womit fraglich ist, ob Ferienwohnungen hier zulässig sind. Dies ist zumindest zwischen Rechtsprechung und Literatur überaus streitig.
So wurde von den Gerichten vertreten, dass es sich weder um Wohnen i.S.v § 4 I und II Nr. 1 BauNVO, noch um einen Beherbergungsbetrieb i. S. Von § 4 III Nr. 1 BauNVO handelt.(So zuletzt das BVerwG, Urt. v. 11.07.2013 – 4 CN 7.12 -). Dies sei darin begründet, dass Ferienapartments auf die Selbstversorgung der Bewohner angelegt sind und auch keine anderen hotelmäßigen Nebenleistungen erbracht würden. Weiterhin wurde auch eine Einstufung als „sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb“ i.S.v. § 4 III Nr. 2 BauNVO wegen der besonderen Festsetzung nach § 10 BauNVO abgelehnt (In diesem Sinne das OVG Niedersachsen, Urt. v. 24.07.2013 – 1 LB 245/10 -).
Dem wird in der Literatur entgegnet, dass es sich sehr wohl um einen Beherbergungsbetrieb oder als zulässige Form des Wohnens handeln könne (Stock in: König/Roeser/Stock, § 3 BauNVO, Rn. 24 und 41 sowie Fickert/Fieseler, § 3 BauNVO, Rn. 10.1.).
Stellt man darauf ab, dass viele Hotels tatsächlich nur noch Übernachtungen ohne Zusatzleistungen anbieten, ließe sich zudem auch eine Einstufung als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb vertreten. Ein Meinungsentscheid kann jedoch dahinstehen, da ersichtlich ist, dass auch aufgrund der Einzelkasuistik keine einheitliche Auffassung besteht und eine Entscheidung in der Sache geeignet ist, Klarheit über die vorliegende Einstufung der Zulässigkeit im allgemeinen Wohngebiet zu bringen. Somit ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Rechtsstellung der Antragsteller durch den Normenkontrollantrag verbessert werden könnte und das Rechtsschutzbedürfnis ist zu bejahen.
Die Begründetheit des Normenkontrollantrags liegt vor, insoweit die Norm rechtswidrig ist, also die beschlossene Veränderungssperre formelle oder materielle Fehler aufweist. Die vorliegende Norm muss auf einer Ermächtigungsgrundlage beruhen, die selbst wiederum an Art. 80 GG zu messen ist. Die Veränderungssperre wird nach § 14 I i.V.m. § 16 I, II BauGB als Satzung beschlossen. Diese Normen setzen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass einer Satzung fest und genügen damit den Anforderungen aus Art.80 GG.
Innerhalb der formellen Rechtmäßigkeit sind Zuständigkeit, Verfahren, Form und hier insbesondere die ortsübliche Bekanntmachung der Veränderungssperre nach § 16 II BauGB zu prüfen und vorliegend zu bejahen.
Die Norm ist auch materiell rechtmäßig, wenn sie nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, also in der vorliegenden Konstellation mit Landesgesetzen, Landesverfassungsrecht, Bundesgesetzen und dem Grundgesetz vereinbar ist.
Dann müssen zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen. Gemäß § 14 I BauGB kann die Gemeinde eine Veränderungssperre nur dann beschließen, wenn dies zur Sicherung einer inhaltlich konkretisierten Planung für den künftigen Planbereich erforderlich ist und ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans erfolgt ist. Durch den Beschluss des Gemeinderates vom 30.06.2010 zur Änderung des Bebauungsplans war diese Voraussetzung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre (16.04.2013) erfüllt. Die Veränderungssperre müsste auch zur Sicherung der Bauleitplanung der Stadt T erforderlich sein. „Das setzt voraus, dass die Planung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre bereits ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll“ (Rn. 30 des Urteils.). Sinn und Zweck ist, dass die Gemeinde, um über mögliche Ausnahmen von der Veränderungssperre nach § 14 II S.1 BauGB zu entscheiden, bereits konkretisierte inhaltliche Strukturen definiert hat. Dabei müssen zumindest Planungsabsichten über die Art der baulichen Nutzung, wie bspw. Festsetzungen für ein bestimmtes Baugebiet (§ 9 I-II a BauGB) getroffen worden sein (Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 19.02.2004 – 4 CN 13.03 – sowie BVerwG, Urt. v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 -.). . Neben den Niederschriften aus den Ratssitzungen sind hierfür erkennbare Rückschlüsse auch aus anderen Unterlagen und Umständen zulässig.
Die baulichen Vorstellungen der Gemeinde T konkretisierten sich zwar erst nach und nach, jedoch wurden zumindest vor Erlass der Veränderungssperre konkrete Absichten ersichtlich. So fand sich in den Sitzungen eine Ratsmehrheit, die ein „ausgewogenes Nebeneinander der Wohnnutzung und der Kleinbeherbergung“ für die Art der baulichen Nutzung anstrebte.
Fraglich ist, ob es sich insgesamt nur um nachgeschobene Gründe handeln könnte, um das konkrete Bauvorhaben von A und B zu vereiteln. Dann wäre das erforderliche Sicherungsbedürfnis zu verneinen. Es ist jedoch nicht unzulässig, dass die Gemeinde T das Vorhaben der A und B zum Anlass für eine Veränderungssperre genommen hat, da sie mit dieser zugleich hinreichend konkretisierte Planungsabsichten verband (Rn. 32 des Urteils). Zwar wurde mit der tatsächlichen Planung durch ein Büro erst ein halbes Jahr später begonnen, jedoch räumt § 17 I BauGB der Gemeinde 2 Jahre Zeit für ihre Umsetzung ein, die sogar gemäß § 17 II BauGB um 1 Jahr verlängert werden kann. Des Weiteren ist es vorliegend auch nicht relevant, dass die Zielsetzungen erst nach Erteilung der Baugenehmigung definiert wurden, da die Nutzung als Ferienwohnung davon nicht erfasst war und somit auch der Bestandsschutz aus § 14 III BauGB nicht eingreift. Fraglich ist, ob die Planung den Bestimmungen der Baunutzungsverordnung widersprechen und so auf ein unzulässiges Ziel gerichtet sein könnte. Zum einen wird jedoch im Rahmen des Normenkontrollantrags nicht der zukünftige Bebauungsplan selbst, sondern nur die grundsätzliche städtebauliche Machbarkeit der Veränderungssperre geprüft. Zum anderen ist die Zulässigkeit der Festsetzung eines Sondergebietes für Dauer- und Ferienwohnungen zuletzt auch gerichtlich erneut bestätigt worden (OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.09.2014 – 1 KN 123/12 -). Demnach ist die Veränderungssperre der Stadt T sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht rechtmäßig und nicht für unwirksam zu erklären. Diese getroffene Entscheidung des OVG Lüneburg besitzt nach § 47 I VwGO Allgemeingültigkeit.
III. Bedeutung für die Ausbildung

Der verwaltungsrechtliche Normenkontrollantrag gehört sicherlich zu der Klageart, die bei Studierenden nicht nur starke Ängste hervorrufen kann, sondern in der Tat selten eine ganze Examensklausur füllen wird. Letzter Punkt bedeutet jedoch, dass sie umso mehr als Zusatzaufgabe gestellt werden kann. In Kombination mit den Anforderungen an eine Veränderungssperre entsteht so eine Baurechtsklausur, die wie viele ihrer Art noch nicht zum Schwierigsten im Examen gehören. Möchte man jedoch beim Korrektur einen wirklich guten Eindruck hinterlassen, gilt es die Details der Strukturen des Normenkontrollantrags sowie die erwähnten baurechtlichen Probleme zu erkennen und an der richtigen Stelle zu platzieren. Gerade die Frage der Zulässigkeit der Nutzung von Wohnungen als Ferienapartments bekommt nicht zuletzt durch den enormen Erfolg der Plattform „Airbnb“, die solche Angebote vermittelt, eine besondere Aktualität. Darin liegt nicht nur der Reiz dieses Urteils, sondern auch der Fahrplan für jede Examensvorbereitung: altbekanntes und neues verbinden!

18.08.2015/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-08-18 08:00:232015-08-18 08:00:23Jur:next Urteilsbesprechung: „Keine Ferien im Wohngebiet!?“
Anna Ebbinghaus

Grundwissen Baurecht- die Bauordnungsverfügung

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes

Mit unserem Kurzüberblick haben wir euch schon einen ersten Einstieg in das Baurecht gegeben. Einige Themen sollen nun in nächster Zeit vertieft werden. Heute möchten wir die Bauordnungsverfügung näher betrachten:
Die Bauordnungsverfügung
Die Bauaufsichtsbehörden haben auch die Aufgabe, bereits bestehende bauliche Vorhaben zu überwachen. Werden Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere die des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts, festgestellt, so haben die zuständigen Behörden die Möglichkeit, mit verschiedenen Verfügungen den baurechtswidrigen Zustand wieder zu beseitigen (sog. repressive Kontrolle).
I. Überblick über die Verfügungen
Den Bauaufsichtsbehörden stehen eine Vielzahl von Verfügungen zur Wahl.
Besonders examensrelevant sind folgende:
1. Stilllegungsverfügung
Bei noch laufenden Bauarbeiten kann die Behörde ein materiell oder formell illegales Vorhaben mit einer Stilllegungsverfügung stoppen.
2. Abriss-/Beseitigungsverfügung
Ist das bauliche Vorhaben schon fertig gestellt, kann bei Verstößen eine Abriss- oder Beseitigungsverfügung ergehen.
3. Nutzungsuntersagung
Werden bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt, hat die Behörde die Befugnis, dies zu untersagen.
Beispiel: störender Gewerbebetrieb in reinem Wohngebiet
 
II. Ermächtigungsgrundlagen
In den meisten landesrechtlichen Bauordnungen sind für die jeweiligen Verfügungen spezielle Ermächtigungsgrundlagen normiert, zB 89 I Nr. 1 und 2 BauO Nds, Art. 81 BauO Bay, § 64 BauO BW.
Ansonsten ist als Ermächtigungsgrundlage die bauordnungsrechtliche Generalklausel des jeweiligen Landesrechts heranzuziehen, zB § 61 I S2 BauO NRW.
 
III. Prüfungsschema
Zu prüfen ist häufig, ob eine erlassene Bauordnungsverfügung rechtmäßig ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
Gestützt wird die Verfügung entweder auf die nach der jeweiligen Bauordnung bestehende spezielle Ermächtigungsgrundlage oder auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel.
Für NRW: § 61 I S2 BauO NRW ist EGL für alle oben genannten Verfügungen
II. formelle Rechtmäßigkeit
Weiterhin müsste die Verfügung formell rechtmäßig sein.
Zuständig sind die nach dem Landesrecht zu bestimmenden unteren Bauordnungsbehörden,
zB für NRW nach §§ 62, 60 I Nr. 3 BauO NRW.
Daneben ist grundsätzlich eine Anhörung nach § 28 VwVfG des jeweiligen Landes notwendig. Die Verfügungen sind insoweit belastende Verwaltungsakte.
Die Verfügung kann schriftlos ergehen, sofern das Landesrecht nicht etwas anderes vorschreibt. Für NRW zB ergibt sich das Schriftformerfordernis aus § 20 I S1 OBG NRW.
Ergeht der VA schriftlich, ist er nach § 39 VwVfG zu begründen.
III. materielle Rechtmäßigkeit
Auch müsste die Verfügung materiell rechtmäßig sein.
1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
Dazu müssten zunächst die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen.
Sofern die Ermächtigungsgrundlage spezielle Voraussetzungen neben dem Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften enthält, sind diese hier auch zu prüfen.
Das bauliche Vorhaben darf insoweit nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehen.
a) formelle Illegalität
Ein Vorhaben ist formell illegal, wenn es im Widerspruch zu formellen bauordnungsrechtlichen Vorschriften steht.
Hier ist festzustellen, ob eine benötigte Baunehmigung fehlt. Ist dies der Fall, so ist das Vorhaben formell illegal.
b) materielle Illegalität
Steht das Vorhaben materiell-rechtlichen Vorschriften entgegen, ist es materiell illegal.
Einschlägig sind insbesondere Vorschriften des Bauordnungs- und des Bauplanungsrechts ( zB Vereinbarkeit des Vorhabens mit den §§ 29 BauGB).
Ob die materielle Illegalität notwendige Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist, hängt von der Art der Verfügung ab.
Es ist zu differenzieren:
Stilllegungsverfügung
Eine Stilllegungsverfügung kann allein auf die formelle Illegalität gestützt werden. Die materielle Illegalität ist nicht erforderlich. Es genügt also, wenn die erforderliche Baugenehmigung nicht vorliegt oder nicht vollstreckbar ist.
Begründet kann dies damit werden, dass eine Stilllegungsverfügung nur vorrübergehend das Vorhaben stoppt und in der Regel nicht substanzverletzend ist, Muckel, S. 130, Rn. 39. Der Bauherr, der sein Vorhaben noch nicht umsetzt und bis zum Erlass der Baugenehmigung wartet, soll nicht benachteiligt werden gegenüber denjenigen, die einfach ohne Genehmigung mit dem Bau unmittelbar beginnen, Schlichter, JuS 1985, 898; Muckel, S. 127, Rn. 33.
Abriss/Beseitungsverfügung
Auch ist unstreitig, dass eine solche Verfügung aufgrund des starken Eingriffs der formellen und materiellen Illegalität bedarf, Muckel, S. 126, 29; Stollmann, § 19 Rn. 23.
Ausnahmsweise kann die formelle Illegalität ausreichen, wenn mit der auferlegten Beseitigung keine Substanzverletzung oder ein sonstiger irreparabler Nachteil verbunden ist, OVG NRW NVwZ 1995, 718; BauR 1992, 742.
zB Carport, der unproblematisch wieder auf- und abgebaut werden kann
Nutzungsuntersagung
Besonders streitig ist, ob eine Nutzungsuntersagung auch materiell illegal zu sein hat.
Dagegen  soll sprechen, dass sonst eine Nutzung eingeleitet und aufrecht erhalten werde, solange eine Genehmigung nicht erteilt sei, zudem könne der Betroffene einen Antrag auf eine Baugenehmigung noch stellen, Schlichter, JuS 1985, 898; OVG Lüneburg, BauR 2007. Auch droht regelmäßig kein Substanzverlust, so dass vielfach die formelle Illegalität als ausreichend angenommen wird, Stollmann, § 19, Rn. 18 mwN.
Andererseits wird der Betroffene in der Art der Nutzung der baulichen Anlage wesentlich eingeschränkt, weswegen auch mit Hinblick auf Art. 14 GG die formelle Illegalität nicht als ausreichend angesehen werden könnte.
Sachgerechter erscheint es aber, diese Frage im Einzelfall zu entscheiden:
Dabei ist darauf abzustellen, ob die konkrete Verfügung einer Stilllegungsverfügung oder einer dauerhaften Beseitigungsverfügung gleichkommt.
Verbietet die Behörde die Nutzung nur zeitweise und zB nur bis zur Klärung des Verfahrens, werden keine endgültigen Tatsachen geschaffen und die Verfügung hat den Charakter einer (vorübergehenden) Stilllegungsverfügung, die ja auch wieder rückgängig gemacht werden kann. In diesem Fall ist die formelle Illegalität ausreichend, s. zusammenfassend Muckel, S. 130, Rn. 39.
Sofern die Behörde jedoch eine Nutzung dauerhaft untersagt und ggf. auch eine andere Nutzung der baulichen Anlage für den Bürger nicht in Frage kommt, reicht die Unersagung in ihrer Eingriffsintensität so an die Abrissverfügung heran, dass aufgrund des damit verbundenen Substanzeingriffs und mit Hinblick auf Art. 14 GG zusätzlich die materielle Illegalität gegeben sein muss.
In der Falllösung bietet es sich also an, diese Frage nicht pauschal zu entscheiden, sondern die Sachverhaltsangaben in Hinblick auf die Intensität des Eingriffs und die Dauer der Untersagung genau herauszuarbeiten und mit ihnen euren Lösungsweg zu begründen. Korrektoren lieben die Arbeit am Sachverhalt.
Bestandsschutz
Anmerkung: für den passiven Bestandsschutz gibt es verschiedene Prüfungsstandorte: entweder im Rahmen der materiellen Illegalität auf Tatbestandsseite oder im Ermessen („Verstoß gegen Art. 14, passiver Bestandsschutz“). Wo es geprüft wird, ist völlig gleich. Es gilt wie immer der Grundsatz: völlig egal, wo, Hauptsache es wird überhaupt angesprochen, natürlich wird der eigene Aufbau dabei nicht begründet. 
Hier wird die erste Aufbauvariante gewählt: 
Das Vorhaben kann aber dennoch matieriell trotzdem legal sein, wenn es unter Bestandsschutz steht.
Gegen eine vormals genehmigte bauliche Anlage oder Nutzung, die nach jetzigem Recht nicht mehr genehmigt werden könnte, kann die Behörde nicht einschreiten, sog. formeller Bestandsschutz, Muckel, § 7, Rn. 141-143.
Daneben wird vielfach traditionell auch Bestandschutz angenommen, wenn das Vorhaben auch nur zeitweilig- in Anlehnung an § 75 S2 VwGO mind. ein Zeitraum von drei Monaten- dem materiellen Recht entsprochen hat, Muckel, § 9, Rn. 31-32; BVerwG, NJW 1987, 1348.
 
2. richtiger Adressat
a) Grundsatz
Adressat der Verfügung ist der für den baurechtswidrigen Zustand Verantwortliche.
Dies kann der Bauherr oder ein anderer am Bau Beteiligter sein, s. jeweilige landesrechtliche BauO.
Im Übrigen ist der Eigentümer oder Besitzer als Zustands- oder Verhaltensstörer nach allgemeinem Ordnungsrecht pflichtig. Theoretisch kann auch ein Nichtstörer in Betracht kommen,
zB NRW §§ 17,18 OBG NRW.
b) Rechtsnachfolge
In manchen Bundesländern ist dies ausdrücklich geregelt.
Unter Umständen kann sich hier auch das Problem der Rechtsnachfolge stellen.
Die Behörde hat gegen A eine Beseitiungsverfügung erlassen und für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld angedroht. A verkauft das Grundstück später an B.
Fraglich ist, ob und wie die Behörde nun gegen B vorgehen kann.
Ist B Eigentümer und insoweit Zustandsstörer, kann die Behörde gegen ihn eine eigene (originäre) Verfügung erlassen.
Daneben könnte auch die gegen A erlassene Verfügung kraft Rechtsnachfolge gegen B wirken.
Zu diesem Problem vertiefend: Schoch, Eingriffsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörden, Jura 2005, 178.
3. sonstige allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
Anmerkung: Bestimmtheit der Verfügung, der Vorstoß gegen Grundrechte oder das Problem der Verwirkung sollten nur bei Hinweisen im Sachverhalt angesprochen werden.
Auf das Ermessen und die Verhältnismäßigkeit ist allerdings immer, wenn auch in der gebotenen Kürze, einzugehen.
a) Ermessen-keine Ermessensfehler
b) Verhältnismäßigkeit
c) Bestimmtheit
d) Grundrechte im Besonderen, insb. Art 3 I GG
Es kann vorkommen, dass der Bürger vorträgt, dass sein bauliches Vorhaben vielleicht illegal sei, die Behörde aber gegen andere Schwarzbauten oder vergleichbare illegale Nutzungen nicht eingeschritten sei.
Erlässt die Behörde nur eine Verfügung gegen den einen Bürger A, nicht aber gegen B und C, könnte sie möglicherweise gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 I GG verstoßen.
Grundsätzlich herrscht im Polizei- und Ordnungsrecht der Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“ vor.* Das heißt, dass der Einwand, die Behörde lässt andere Bürger unbehelligt, nicht schützt. Die Behörde kann grundsätzlich nach ihrem eigenen Ermessen auswählen, gegen wen sie vorgeht und gegen wen nicht.
Im Bauordnungsrecht ist dieser Grundsatz nach überwiegender Ansicht zumindest aufgeweicht. Die Behörde muss ihrer Entscheidung ein gewisses planerisches Konzept zugrundelegen und kann nicht einfach willkürlich Einzelfälle herausgreifen, OVG Berlin NVWZ 1990, 176; BVerwG, BauR 1999, 734.
Allerdings kann die Behörde Kriterien, wie eine erhöhte Einsturzgefährdetheit oder größerer Nachahmungseffekt als bei den anderen Vorhaben, berücksichtigen. Auch kann die Behörde bei einem laufenden Prüfungsverfahren die Verfügung gegenüber einem Bürger A zurückstellen, gleichzeitig aber schon gegen B, bei dem die baurechtliche Illegalität unproblematisch feststeht, vorgehen, s. dazu Stollmann, § 19, Rn. 35.
*Anmerkung: teilweise wird vertreten, dass der Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“ nur auf der TB-Ebene und nicht im Ermessen zum Tragen kommt. Auch wenn man diesen Begriff auf der Ermessensseite nicht verwenden möchte, so sind die inhaltlichen Argumente aber gleich.
e) Verwirkung
Auf die Möglichkeit der Verwirkung der Einschreitungsbefugnis seitens der Behörde ist einzugehen, wenn zB im Sachverhalt vorgetragen wird, die zuständige Behörde hätte ja wohl von der Rechtswidrigkeit des Vorhabens gewusst, wäre aber sehr lange untätig geblieben.
Damit eine Verwirkung angenommen werden kann, müssen zwei Elemente vorliegen:
Anmerkung: das Problem der Verwirkung kann bei allen Verwaltungsakten in Betracht kommen, die im folgenden genannten Voraussetzungen sind immer gleich:
aa) Umstandsmoment
Die Behörde muss über das bloße Nichtstun hinaus in Kenntnis der baurechtswidrigen Zustände einen Vertrauenstatbestand gesetzt haben, aus dem der Bürger schließen durfte, dass die Behörde nicht einschreiten werde.
 
bb) Zeitmoment
Weiterhin darf die Behörde über einen nicht unerheblichen Zeitraum untätig geblieben sein.
Hinweis für NRW: Das OVG Münster verneint die Möglichkeit der Verwirkung („dass nur Rechte, nicht aber Pflichten- hier das Recht der Bauaufsichtsbehörde, für rechtmäßige Zustände zu sorgen- verwirkt werden kann“, BauR 2009, 857; Stollmann, § 19, Rn. 37.) und löst das Problem über das Bestehen einer eventuellen Pflicht der Behörde zur aktiven Duldung des baurechtswidrigen Zustandes. Die Voraussetzungen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Verwirkung. Auch hier muss die Behörde „in Kenntnis der formellen und ggf. matriellen Illegalität eines Vorhabens zu erkennen g[eben], dass sie sich auf Dauer mit dessen Existens abzufinden gedenkt. (…) [Es] muss den entsprechenenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und ggf. über welchen Zeitraum die Duldung der illegalen Zustände erfolgen soll.“. Im übrigen nimmt das OVG an, dass diese Erklärung, um genügend Vertrauensschutz zu gewähren, wohl schriftlich erfolgen muss.

 
IV. Rechtsschutz
verschiedene Klausurkonstellationen sind denkbar:
A: Die Behörde erlässt eine Bauordnungsverfügung gegen A. Was kann er tun?
Gegen die Bauordnungsverfügung als belastenden Verwaltungsakt ist der Widerspruch, soweit vom jeweiligen Landesrecht vorgesehen, und die Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht statthaft. Zu prüfen ist hier also bespielsweise, ob die Klage des A zulässig und begründet ist.
B: A soll sein baurechtswidriges Haus schnell abreißen. Die Behörde erlässt eine Bauordnungsverfügung und ordnet zudem die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Wie kann A schnell dagegen vorgehen?
Aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. A verbleibt noch der einstweilige Rechtsschutz: Er kann einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V VwGO stellen.
C. B möchte, dass A sein Haus abreißt. Was kann er tun?
B begehrt im Ergebnis die Supendierung der Baugehmigung. Zur Durchsetzung dieses Begehrens kommt ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Baugehmigung gem. §§ 80a III S1, Var. 3, 80a I Nr. 2, Var. 1, 80 V S1 VwGO in Betracht (aA: Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung). Die Baugehmigung ist ein VA mit Doppelwirkung isd 80a I VwGO, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, § 80 II S1 Nr. 3 VwGO iVm 212a BauGB.
Ist die Baugehmigung bestandskräftig, kann B vor dem VG Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Behörde erheben. Die AGL für das Einschreiten der Behörde ergibt sich aus der EGL für das bauordnungsrechtliche Einschreiten, s.o. zB § 61 I S2 BauO NRW. B hat allerdings nur einen Anspruch auf ein Einschreiten der Behörde, wenn ihr Ermessen auf Null in diesem Fall reduziert ist und sie so gezwungen ist, einzuschreiten.
D. A wurde eine Baugehmigung erteilt. Dagegen hat B einen Rechtsbehelf eingelegt, der wegen § 80 II S1 Nr.3 VwGO iVm 212a BauGB keine aufschriebende Wirkung hat. Die Behörde hat daraufhin auf Antrag des B nach § 80a I Nr.2 iVm 80 IV VwGO die Vollziehung der Baugehmigung ausgesetzt. Sie ist nun suspendiert. Was kann A tun, damit er weiterbauen kann?
A hat nun die Möglichkeit, einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nach §§ 80a III S1, 3.Var, 80a I Nr. 1, 80 V S1 zu stellen (aA: Antrag auf Aufhebung der Aussetzungsentscheidung nach 80a III 1,2 Var VwGO).
E. A baut ohne Baugnehmigung. Dagegen hat die Behörde eine Bauordnungsverfügung erlassen, die nicht zur sofortigen Vollziehung ausgesetzt ist. A legt nun einen Rechtsbehelf dagegen ein (Widerspruch oder Anfechtungsklage), welcher hier aufschiebende Wirkung hat. 212a BauGB kommt hier nicht zum Tragen, da es sich nicht um einen Drittrechtsbehelf gegen die Zulassung eines Bauvorhabens handelt. A kann weiterbauen. Wie kann der Nachbar B das verhindern?
Ziel des B ist es, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs des A zu beseitigen.
Dazu kann er einen Antrag an die Behörde stellen: die Behörde kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, vgl. 80a II iVm 80 II S1 Nr. 4 VwGO.
Daneben kann er einen Antrag an das VG stellen auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung nach § 80 III 1,3 Var, 80a II, 80V VwGO.
 
V. Fazit
Die Bauordnungsverfügung ist absoluter Pflichtstoff im Baurecht und sollte insbesondere von jedem Examenskandidaten beherrscht werden. Sie lässt sich prima mit einem Antrag nach §§ 80V, 80a VwGO verbinden. Im Rahmen der matriellen Illegalität kann wunderbar die Zulässigkeit von Vorhaben nach §§29ff BauGB abgeprüft werden. Auch Aspekte des Bestandsschutzes können hier besonders relevant werden.

23.12.2013/3 Kommentare/von Anna Ebbinghaus
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Anna Ebbinghaus https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Anna Ebbinghaus2013-12-23 09:00:282013-12-23 09:00:28Grundwissen Baurecht- die Bauordnungsverfügung
Dr. Stephan Pötters

Grundlagenwissen Baurecht für das Assessorexamen

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht
Das Baurecht muss schon im ersten Staatsexamen in den Grundzügen beherrscht werden, besonders wichtig wird es aber für das Assessorexamen. Viele Probleme des Baurechts müssen dabei als abrufbares Wissen präsent sein, da – anders als etwa im Zivilrecht – keine Kommentierung als Hilfsmittel zugelassen ist. Die nachfolgende Übersicht mit den wichtigsten Wissensbausteinen kann als „Crashkurs“ bzw. Kurzwiederholung vor den Prüfungen dienen.
 
I. Verfassungsrechtliches

1. Bundeskompetenzen nach Art. 74 I Nr. 18, 30 und 31 GG
2. Verwaltungskompetenz der Länder für gesamtes BauR nach Art. 83 GG
3. Planungshoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II GG)
4. „Baufreiheit“ als Teil des Privateigentums nach Art. 14 I 1 GG? Sehr problematisch wegen Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 I 2 GG; idR keine unmittelbaren Ansprüche aus Art. 14 GG ableiten, aber: verfassungskonforme Auslegung des einfachen Baurechts kann mitunter auch in der Klausur wichtig sein, insb. bei § 35 II BauGB (hier idR Ermessensreduktion zugunsten des Bauherren) und bei Verhältnismäßigkeitsprüfung im GefahrenabwehrR
 
II. Der Bebauungsplan
1. Enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung, § 8 BauGB; positive und negative Wirkung, d.h. er bestimmt verbindlich welche Vorhaben zulässig sind i.S.v. §§ 30-33 BauGB
2. Die in § 9 Abs. 1 bis Abs. 4 BauGB genannten Festsetzungen sind eine erschöpfende Aufzählung; Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB müssen solche der BauNVO sein

  • Art der baulichen Nutzung: §§ 1 ff. BauNVO
  • Maß der baulichen Nutzung: §§ 16 ff. BauNVO

3. Rechtsnatur: Satzung (§ 10 BauGB); Rechtmäßigkeit mit Normenkontrolle § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO überprüfbar
4. Formelle Rechtmäßigkeit eines BPlans (insb. § 2 bis § 4c, § 9 Abs. 8 und § 10 BauGB)

  • Aufstellungsbeschluss (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB) und ortsübliche Bekanntmachung
  • Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB, Material: § 1 Abs. 6 und § 1a BauGB)
  • Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB), Ausnahme § 13 Abs. 3, 13a Abs. 2 Nr.1 BauGB
  • Erstellung einer Begründung zum Bebauungsplanentwurf und Anfertigung eines Umweltberichts (§ 2a BauGB)
  • Vorgezogene Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4a BauGB)
  • Vorgezogene Behördenbeteiligung (§ 4 Abs. 1 BauGB, § 4a BauGB)
  • Bekanntmachung von Ort und Dauer der Auslegung (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB)
  • Auslegung des Bebauungsplans (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB)
  • Einholung von Behördenstellungnahmen (§ 4 Abs. 2, § 4a BauGB) und Prüfung
  • Mitteilung des Ergebnisses der Prüfung von Stellungnahmen (§ 3 Abs. 2 Satz 4 und 5 BauGB)
  • Ordnungsmäßiger Satzungsbeschluss (§ 10 Abs. 1 BauGB i.V.m. den landesrechtlichen Gemeindeordnungen)
    –> Vereinbarkeit des Satzungsbeschlusses mit den kommunalrechtlichen Vorschriften!
  • Begründung des Beschlusses (§ 9 Abs. 8 BauGB)
  • Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§ 10 Abs. 2 BauGB)
  • Bekanntmachung des Beschlusses bzw. der Genehmigung (§ 10 Abs. 3 BauGB)

5. Materielle Rechtmäßigkeit eines BPlans

  • Erforderlichkeit der Planung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB)
  • Einhaltung der zulässigen Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 bis 7 BauGB = Typenzwang
  • Anpassungsgebot (§ 1 Abs. 4 BauGB)
  • Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB)
  • Interkommunales Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB)
  • Ordnungsgemäße Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB (die zu berücksichtigenden Belange werden in § 1 Abs. 6 und § 1a BauGB aufgezählt)
  • Fehler im Abwägungsvorgang, die nicht (nur) die Zusammenstellung und Bewertung des Abwägungsmaterials nach § 2 Abs. 3 BauGB betreffen: Abwägungsausfall, Abwägungsfehleinstellung (planfremde Ziele), Abwägungsfehleinschätzung
    –> nach § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB jedenfalls dann beachtlich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind
  • Fehler im Abwägungsergebnis: Abwägungsdisproportionalität –> stets beachtlich!

6. Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit, §§ 214 f. BauGB: Soweit Fehler unbeachtlich sind (§ 214 BauGB) oder unbeachtlich geworden (§ 215 BauGB) sind, ist der Bebauungsplan trotz des Fehlers wirksam und für jedermann verbindlich. Soweit ein Fehler beachtlich ist, ist der Bebauungsplan „ungültig“ und „unwirksam“ (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO) und entfaltet keine Rechtswirkungen. Nach § 214 Abs. 4 BauGB kann durch ein „ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern“ der Bebauungsplan auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Hieraus folgt, dass der unwirksame Bebauungsplan bis zur Behebung des Fehlers im ergänzenden Verfahren nur „schwebend unwirksam“ ist.
 
III. Schema: Zulässigkeit eines Vorhabens im Innenbereich, § 34 BauGB
1. Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB
2. Innenbereich (§ 34 Abs. 1, 4 BauGB)
3. Sich-Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung
a) nach Art der baulichen Nutzung

  • § 34 Abs. 2 BauGB (–> BauNVO, § 31 BauGB)
  • § 34 Abs. 1 BauGB

b) nach Maß der baulichen Nutzung
c) Bauweise
d) überbaubare Grundstücksfläche
e) Abweichung gem. § 34 Abs. 3a BauGB
4. § 34 Abs. 1 S. 2 BauGB: Wahrung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, keine Beeinträchtigung des Ortsbildes
5. keine Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche (§ 34 Abs. 3 BauGB)
6. gesicherte Erschließung
 
IV. Schema: Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich, § 35 BauGB
1. Vorhaben
2. im Außenbereich
3. privilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs.1 BauGB)

  • einer der Fälle des § 35 Abs.1 Nr. 1-6 BauGB
  • kein Entgegenstehen öffentlicher Belange (i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB) –> grundsätzliche Zulässigkeit der privilegierten Vorhaben (–> „entgegenstehen“)

4. sonstiges Vorhaben (§ 35 Abs.2 BauGB)

  • kein Fall des § 35 Abs.1 BauGB
  • keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange
    –> Zulässigkeit der nichtprivilegierten Vorhaben nur im besonderen Einzelfall („nicht beeinträchtigt“), dann aber kein Ermessen (verfassungskonforme Auslegung, hM)

5. teilprivilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs.4 BauGB): Unbeachtlichkeit bestimmter öff. Belange
6. gesicherte Erschließung
 
V. Wichtige Definitionen

  • Vorhabenbegriff (§ 29 BauGB) = Anwendungsbereich des Bauplanungsrechts
    –> Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage im planungsrechtlichen Sinne (eigenständige Definition!): Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind und planungsrechtliche Relevanz aufweisen (d.h. Belange iSv § 1 Abs. 6 BauGB nicht unerheblich berührt werden)
  • gesicherte Erschließung: Ermöglichung einer gefahrlosen, geordneten, baulichen Nutzung (insb. Straßen, Abwasser, Energie etc.); gesichert ist Erschließung dann, wenn die Erschließungsanlagen voraussichtlich bis zur Fertigstellung des baulichen Vorhabens funktionsfähig sind
  • im Zusammenhang bebauter Ortsteil (§ 34 BauGB): Ortsteil: Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Bebauungszusammenhang: aufeinander folgende Bebauung muss trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit vermitteln; keine Unterbrechung durch Baulücken, nicht nur Splittersiedlung.
    alternativ: Klarstellungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.1 BauGB), Entwicklungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.2 BauGB), Ergänzungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.3 BauGB)
  • Sich-Einfügen (§ 34 BauGB): Bauvorhaben muss der näheren Umgebung entsprechen, Rücksichtnahme auf die Eigenart der näheren Umgebung (kein „architektonischer Ausrutscher“ oder Fremdkörper), aber: § 34 Abs. 3a BauGB
  • Außenbereich: § 35 BauGB hat Auffangfunktion für alle Flächen, die nicht einem anderen Bereich (räumlicher Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im Zusammenhang bebauter Ortsteile) zuzuordnen sind.

 
VI. Veränderungssperre, § 14 BauGB
1. „Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst“ (§ 14 Abs. 1 BauGB); Erlass von Veränderungssperre und Aufstellungsbeschluss uU auch in derselben Ratssitzung möglich
2. „zur Sicherung der Planung erforderlich“ 8§ 14 Abs. 1 BauGB)

  • Planung muss ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Inhalt des zu erwartenden BPlans sein soll
  • Sicherungsbedürfnis, d.h. Gefährdung der Planungsabsichten

3. muss in Form einer Satzung beschlossen werden (§ 16 Abs. 1 BauGB)
4. enthält idR abstrakte Verbotstatbestände für Vorhaben iSv § 29 BauGB (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB), d.h. ein grdsl. erlaubtes Vorhaben wird durch die Sperre unzulässig
 
VII. Gefahrenabwehr (nach BauO NRW)
1. allgemeine Aufgabenzuweisung: § 61 Abs.1 S.1BauO NRW
2. Bauüberwachung usw. (§ 81 f. BauO NRW)
3. Ermächtigungsgrundlage für repressive Maßnahmen: § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW

  • Baueinstellungsverfügung (Stilllegungsverfügung): formelle Illegalität ausreichend
  • Beseitigungsanordnung (Abrissverfügung): formelle und materielle Illegalität notwendig
  • Nutzungsuntersagung: str., ob formelle und materielle Illegalität vorliegen müssen
  • Verfügungen gelten aufgrund dinglicher Wirkung der Baugenehmigung auch gegen Rechtsnachfolger

 
VIII. Drittschutz im Baurecht (s. K/S, § 42 VwGO Rn. 96 ff.)
vgl. hierzu ausführlich unseren Beitrag vom 29.06.2012
1. zwei Klausurkonstellationen: Drittanfechtung einer Baugenehmigung durch Nachbar oder Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Bauaufsicht gegen Schwarzbau
2. generell-typisierenden Drittschutz (d.h. unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit) vermitteln folgende Schutznormen:

  • Gebietserhaltungsanspruch: jeder Grundstückseigentümer kann sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets i.S.d. BauNVO (auch bei § 34 II BauGB oder § 31 II BauGB!) gegen artfremde Bebauung wehren, also gegen alle Vorhaben, die nicht generell oder ausnahmsweise nach der BauNVO zulässig sind
  • Gebietsprägungserhaltungsanspruch: Drittschutz bei einem Vorhaben, das an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann, das aber bei generell-typisierender Betrachtungsweise in dem einschlägigen Baugebiet gebietsunverträglich ist, weil es den prägenden Charakter des Baugebiets konterkariert (abzugrenzen von § 15 BauNVO: hier liegt bei genereller Betrachtung Gebietsverträglichkeit vor, aber im Einzelfall gebietsunverträgliches Vorhaben); es geht im Grunde um eine systematisch-teleologische Auslegung der BauNVO Vorschriften, ein Vorhaben mag vom Wortlaut her ausnahmsweise zulässig sein, auch wenn es gebietsunverträglich ist: zB (BVerwG): Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen, Zwei-Schicht-Betrieb und regem An- und Abfahrtsverkehr in Wohngebiet trotz § 4 II Nr.3 BauNVO unverträglich
  • § 15 I 1 BauNVO vermittelt allen Bewohnern eines Baugebiets einen Anspruch auf Erhalt des prägenden Gebietscharakters
  • Abstandsflächenregelungen nach BauO

3. einzelfallbezogener Drittschutz (iVm Gebot der Rücksichtnahme):
–> Drittschutz einer Norm (+), wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
–> Gebot der Rücksichtnahme ist nicht per se drittschützend, sondern nur iVm einer konkreten Norm; anerkannt ist diese Verknüpfung insbesondere bei

  • § 15 I 2 BauNVO „unzumutbare Störungen oder Belästigungen“ – Unzumutbarkeit ist anhand Abwägungsformel zu bestimmen: „Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen“ (BVerwG)
  • § 31 II BauGB „Würdigung nachbarlicher Interessen“
  • § 34 I 1 BauGB „Einfügen“
  • § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB – „Schädliche Umwelteinwirkungen“ –> Rechtsgedanke § 3 BImSchG: schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die geeignet sind, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen
  • Schutz privilegierter Vorhaben gegen heranrückende Bebauung

 
IX. Prozessuale Besonderheiten

  • notwendige Beiladung (§ 65 II VwGO) bei Nachbarklagen oder bei verweigertem Einvernehmen der Gemeinde gem. § 36 BauGB
  • für Nachbarn läuft idR mangels Bekanntgabe keine Klagefrist, aber Verwirkung denkbar, wenn er sichere Kenntnis vom Vorhaben hätte haben müssen
  • maßgebender Zeitpunkt für Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung ist der Erlass, nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind aber zu berücksichtigen; maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Eingriffsverfügung ist der Abschluss der letzten mündl. Verhandl.
  • § 212a I BauGB stellt  Fall des § 80 II 1 Nr.3 VwGO dar; Nachbar kann vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 80a III, 80 V VwGO beantragen
  • bei vereinfachtem Verfahren muss der Nachbar ggf. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kombinieren: Anf.kl. bzgl. drittschützender Normen, die bei der Baugenehmigung geprüft wurden, i.Ü. Verpfl.kl. auf bauaufsichtliches Einschreiten

20.11.2013/16 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-11-20 09:00:032013-11-20 09:00:03Grundlagenwissen Baurecht für das Assessorexamen
Dr. Jan Winzen

VG Arnsberg: Borussia Dortmund Fahne darf weiter wehen

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Pünktlich zur neuen Bundesligasaison hat das VG Arnsberg mit Urteil vom 15.07.2013 (8 K 1679/12) die Klage zweier Grundstückseigentümer, gerichtet auf Beseitigung einer auf dem Nachbargrundstück aufgestellte Fahnenstange nebst BVB-Fahne, abgewiesen.
A. Sachverhalt
Der Nachbar hatte zur Fussball Weltmeisterschaft 2010 auf seinem Grundstück einen 5 m hohen Fahnenmast errichtet und die deutsche Flagge gehisst. Im April 2012 ersetzte er die Deutschland-Flagge durch eine 1×2 m große Flagge des Bundesligavereins Borussia Dortmund (BVB). Der Flaggenmast befindet sich im rückwärtigen Bereich des Grundstücks (Garten) in ca. 11,5 m Entfernung von dem Grundstück der Kläger. Der Bebauungsplan weist das streitgegenständliche Gebiet als reines Wohngebiet aus. Die Kläger verfügen hinter ihrem Haus über eine gepflasterte Terrassenanlage. Auf dieser ist ein Fischteich mit stetiger Wasserzu- und abfuhr und damit verbundenem Plätschern angelegt.
Nach erfolgloser Durchführung eines Vorverfahrens begehren die Kläger von der zuständigen Behörde (Beklagte) im Wege der Verpflichtungsklage den Erlass einer an den Nachbarn gerichteten Beseitigungsverfügung. Sie sind der Ansicht, bei der Fahne handele es sich um eine Werbeanlage für den BVB als börsennotiertes Unternehmen, die nicht der Nutzung der Wohngrundstücke diene und im Wohngebiet einen Störfaktor darstelle. Diese sei nicht nur von ihrer Terrasse, sondern auch aus ihrem Wohnzimmer heraus dauernd sichtbar. Außerdem entstünden durch das Schlagen der Fahne im Wind erhebliche Geräusche, die nicht zu akzeptieren seien.
B. Rechtliche Würdigung
Die zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist begründet, wenn den Klägern ein Anspruch auf Einschreiten gegen die Beklagte in Form der Beseitigungsanordnung bezogen auf die auf dem Nachbargrundstück aufgestellte Fahnenstange nebst BVB-Fahne zusteht.
I. Anspruchsgrundlage: § 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauO NRW
Ein solcher Anspruch könnte sich aus § 61 Abs. 1 S. 1 und 2 BauO NRW ergeben.
Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des §§ 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
II. Prüfungsmaßstab bei Beseitigungsanordnung

  • Die Beseitigung einer genehmigungsbedürftigen baulichen Anlage setzt voraus, dass die Anlage formell und materiell illegal ist, d.h. weder genehmigt worden noch zu irgend einem Zeitpunkt genehmigungsfähig gewesen ist.
  • Handelt es sich um eine nicht genehmigungsbedürftige baulichen Anlage, kommt es allein auf die materielle Illegalität an.
  • Verlangt – wie hier – ein Nachbar die Beseitigung einer baulichen Anlage im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens, reicht die bloße Rechtswidrigkeit der baulichen Anlage freilich nicht aus. Die Rechtswidrigkeit muss sich vielmehr aus einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts ergeben.
  • Siehe ausführlich zum Nachbarschutz im Baurecht hier.

III. Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften
Der Fahnenmast  nebst BVB Fahne (bei dem es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW handelt) müsste gegen nachbarschützende Vorschriften verstoßen.
1. Art der baulichen Nutzung
In dem Umstand, dass der Fahnenmast in einem reinen Wohngebiet (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 BauNVO)  errichtet wurde, könnte ein Verstoß gegen die (generell drittschützenden) bauplanungsrechtlichen Festsetzungen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung liegen.
Zur Erinnerung: Das BVerwG billigt jedem Grundstückseigentümer das Recht zu, sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets gegen jede artfremde Bebauung zur Wehr zu setzen, unabhängig davon, ob sie ihn tatsächlich beeinträchtigt (sog. Gebietserhaltungsanspruch).
Nach § 3 Abs. 2 BauNVO sind im reinen Wohngebiet nur Wohngebäude zulässig.
a) Fahnenmast kein Gewerbebetrieb
Zunächst handelt es sich bei der Fahnenstange nicht um einen im reinen Wohngebiet unzulässigen Gewerbebetrieb.

Bei der Fahnenstange handelt es sich selbst dann nicht um einen Gewerbebetrieb, wenn diese mit aufgezogener BVB-Fahne rechtlich als Werbeanlage qualifiziert würde. Ein Gewerbebetrieb im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1968 liegt hier nicht vor. „Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 8 BauNVO ist ein gerichtlich in vollem Umfang überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Ein solches Gewerbe ist jede selbständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit. Die Beigeladenen betreiben jedoch mit der am Fahnenmast gehissten Fahne von Borussia Dortmund ganz erkennbar keine selbstständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit.

b) Fahnenmast keine Werbeanlage
Sodann kann der Einwand der Kläger, es handele sich bei dem Fahnenmast um eine im Wohngebiet unzulässige Werbeanlage, nicht durchgreifen. Zwar sind Werbeanlagen gemäß § 13 BauNVO in reinen Wohngebieten unzulässig. Selbst wenn es sich bei dem Fahnenmast vorliegend um eine Werbeanlage handeln sollte, kommt es aber nach Ansicht des Gerichts

nicht darauf an, dass gemäß § 13 BauO NRW Werbeanlagen in Wohngebieten unzulässig sind. Denn § 13 BauO NRW entfaltet bezogen auf die Kläger keine nachbarschützende Wirkung. Die darin enthaltenen Verunstaltungsvorschriften dienen dem allgemeinen Interesse an einer einwandfreien Einfügung des Bauwerks in seine Umgebung.

c) Fahnemast = zulässige Nebenanlage
Vielmehr handelt es sich nach Ansicht des Gerichts bei dem Fahnenmast um eine nach § 14 BauNVO zulässige Nebenanlage. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen.

Der Fahnenmast mit Fahne stellt sich seiner Dimension nach gegenüber dem Wohngebäude als untergeordnet dar. Er dient dem Nutzungszweck des Wohnens, weil er eine nach außen dokumentierte Verbundenheit der Bewohner des Grundstücks mit bestimmten Ereignissen, Hobbys oder ähnlichem dokumentiert. Als solcher ist er auch nur dort sinnvoll, wo sich die Personen regelmäßig aufhält, um hier den nach außen sichtbaren gewünschten Bezug zu erreichen. An einer anderen Stelle aufgebaut und aufgezogen kann dieser Zweck nicht erreicht werden, weil dann der nötige Bezug der gemäß Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit sinngemäß dergestalt „Der Fußballverein BVB ist derjenige, dem meine sportliche Verbundenheit und Unterstützung gilt“ nicht hergestellt werden kann. Das ist aber typischerweise beim Wohnhaus der Fall, weil hier ein ersichtlicher Bezug zwischen dem persönlichen Lebensbereich des Vereinsfans und seiner äußeren Meinungsbekundung besteht.

d) Maß der baulichen Nutzung?
Dass der Fahnenmast angesichts seiner Höhe möglicherweise außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen liegt, ist schon deshalb hier nicht beachtlich, weil den Festsetzungen des Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung nach hM keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn zukommt. Sie dienen ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Gleichwohl verweist das Gericht hilfsweise auch noch auf § 23 Abs. 5 BauNVO, wonach bauliche Nebenanlagen gegebenenfalls auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig sind.

Als bauliche Nebenanlage ist die Anlage gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auch gegebenenfalls außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig. Im Übrigen entfalten Regelungen über die überbaubaren Grundstücksflächen auch keine nachbarschützende Wirkung zugunsten der Kläger.

2. § 15 Abs. 1 Satz 2 NauNVO i.V.m. dem Gebot der Rücksichtnahme
Abschließend prüft das Gericht einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Drittschutz folgt allerdings nach heute überwiegender Meinung nicht aus dem Rücksichtnahmegebot selbst, sondern stets aus einer einfach-gesetzlichen Norm als dessen Ausprägung. Dass das Gericht vorliegend insoweit prüft, ob von dem Fahnenmast für die Kläger keine für diese unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgehen, deutet auf die materielle Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als einfachgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots hin.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt – nach st. Rspr. des BVerwG – wesentlich von den jeweiligen Umständen ab.

Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.

Gemessen daran ergibt sich ein Anspruch der Kläger auf Beseitigung des Fahnenmasts auch nicht aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V.m. demRücksichtsnahmegebot. Weder der Umstand, dass die BVB-Fahne gerade bei Nässe und starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursacht, noch der Blick auf die flatternde Fahne begründen nach der Abwägung des Gerichts eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger. Zu Lasten der Kläger berücksichtigt das Gericht dabei auch, dass auch ihr Grundstück angesichts des plätschernden Teichs nicht immissionsneutral ausgestaltet ist.

Insofern ist den Klägern, was auch die Beigeladenen einräumen, zuzugeben, dass die Fahne, gerade bei Nässe verbunden mit starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursacht (…) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen sowohl schriftsätzlich als auch mündlich im Rahmen des Erörterungstermins glaubhaft versichert haben, die jeweiligen Fahnen bei stürmischer Wetterlage und starkem Wind auch aus eigenem Interesse einzuholen. Sofern sie dies gelegentlich aufgrund vorübergehender Abwesenheit verabsäumen, gehen die von der Fahne ausgehenden Beeinträchtigungen nach Auffassung der Kammer jedoch nicht über das im nachbarlichen Austauschverhältnis zumutbare Maß hinaus und verpflichten die Beklagte insbesondere nicht, im bauordnungsrechtlichen Verfahren die Beseitigung anzuordnen.
(…)
Im diesem Zusammenhang ist insbesondere auch von Bedeutung, dass die Fahnenstange in einer Entfernung von über 10 Metern zum Grundstück der Kläger hin angebracht sind. Sofern diese darauf verweisen, die Fahne tauche immer wieder in ihrem Blickwinkel auf, wenn sie im Wohnzimmer in ihren Sitzmöbeln säßen und dadurch sei insbesondere auch ein ungestörtes Fernsehen nicht möglich, stellt das Flattern der Fahne in Richtung des Grundstücks der Kläger keine gegen öffentlich-rechtliche Bestimmungen verstoßende, für diese unzumutbare und nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung dar. Zunächst weht der Wind im T. nicht ständig mit hoher Windstärke und wenn er weht, geschieht dies auch nicht immer aus westlicher Richtung, so dass die Fahne in Richtung des Grundstücks der Kläger flattert. Es handelt sich daher bei dem Flattern um eine nur gelegentlich auftretende Einwirkung auf das Grundstück der Kläger. Auch bei Wohngrundstücken müssen aber gewisse, gelegentlich auftretende und von Nachbargrundstücken ausgehende Beeinträchtigungen hingenommen werden, sofern diese – wie hier – mit der Wohnnutzung in Zusammenhang stehen. Dazu gehören neben Lebensäußerungen der Bewohner auch bei der Gartennutzung etwa auch gelegentliche Geräusche, die bei der Gartenpflege, zum Beispiel durch Rasenmäher, entstehen. Über solche gelegentliche Beeinträchtigungen gehen die von dem Fahnenmast verursachten Immissionen auf dem Grundstück der Kläger aber selbst ihrem eigenen Vorbringen zufolge nicht hinaus.
(…)
Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass auch der rückwärtige Grundstücksbereich der Kläger keineswegs vollkommen immissionsneutral gestaltet ist. Dort haben diese nämlich einen Teich angelegt, der durch dauernden Wasserzu- und -abfluss ein stetig plätscherndes Geräusch erzeugt, das auch auf den Nachbargrundstücken – insbesondere nachts – wahrnehmbar sein dürfte.

Im Ergebnis ist die Klage daher mangels eines Verstoßes des Fahnenmasts gegen nachbarschützende Vorschriften unbegründet.
C. Fazit
Ein Fall mit populärem Bezug ohne größere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten. Gerade deshalb aber als Aufhänger für ein baurechtliches Prüfungsgespräch nicht uninteressant. Die Genehmigungsfreiheit der baulichen Anlage wird in den Entscheidungsgründen übrigens gar nicht angesprochen, dürfte sich aber entsprechend des Vortrags der Beklagten im Vorverfahren aus § 65 Abs. 1 Nr. 22 BauO NRW ergeben. Im Rahmen der Abwägung muss man argumentieren. Da die von der Fahne ausgehenden Immissionen nicht über das Maß der Beeinträchtigung anderer im Nachbarschaftverhältnis üblicher Immissionen (Rasenmähen) hinausgehen und die Nachbarn außerdem glaubhaft ihre Bereitschaft bekundet haben, die Fahne einzuholen, wenn mit außergewöhnlichen starken Immissionen zu rechnen ist (Sturm, Gewitter), fällt die Abwägung hier zu Lasten der Kläger aus. Dies könnte natürlich im Einzelfall auch anders sein.
Für die Assessorklausur ist zu beachten, dass die Nachbarn durch das Gericht beigeladen wurden. Da sie keinen Antrag gestellt haben und deshalb keinem Kostenrisiko ausgesetzt waren (§ 154 Abs. 3 VwGO), sind etwaige aussergerichtliche Kosten für sie auch nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO). Das ist im Kostentenor deutlich zu machen („Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen“).
Sehr instruktiv zum baurechtlichen Nachbarschutz ist im Übrigen der zweitplatzierte Beitrag aus unserem Aufsatzwettberwerb des vergangenen Jahres.
 
 

28.07.2013/1 Kommentar/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-28 09:00:282013-07-28 09:00:28VG Arnsberg: Borussia Dortmund Fahne darf weiter wehen
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG: Examensrelevantes Urteil im Baurecht – Mobilfunkmasten im Außenbereich

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?

Der VGH Mannheim entschied mit Urteil vom 17.02.2012 (Az. 8 S 1796/10) über die Zulässigkeit des Baus eines Mobilfunkmasts im unbeplanten Außenbereich (wir berichteten seinerzeit hier). Das examensrelevante Urteil wurde nunmehr vom BVerwG mit Urteil vom 20.06.2013 (Az. 4 C 2.12) aufgehoben, womit die Examensrelevanz der Thematik noch einmal erhöht wird.
Mobilfunkmast zwar privilegiert
Nach Auffassung der Vorinstanz war der infrage stehende Mobilfunkmast nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert, was seine baurechtliche Unzulässigkeit zur Folge hatte. Das Gericht kam zu diesem Ergebnis, obwohl es sich bei einem Mobilfunkmast um eine der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienende Anlage i.S.d. vorgenannten Vorschrift handelte.
Aber… Fehlende Ortsgebundenheit
Der VGH Mannheim kam allerdings zu einem abweichenden Ergebnis, da es an der weiteren Voraussetzung der sog. “Ortsgebundenheit” fehle. Dieses Kriterium erfordere, dass die Anlage nach ihrem Gegenstand und Wesen ausschließlich an der fraglichen Stelle betrieben werden kann. Der Betrieb müsse auf die geographische oder die geologische Eigenart der Stelle angewiesen sein. Daran fehle es, wenn wie im zu entscheidenden Fall der Standort im Vergleich zu anderen Stellen zwar Lagevorteile biete, das Vorhaben aber nicht damit stehe oder falle, ob es hier und so und nirgendwo anders ausgeführt werden könne.
Der VGH Mannheim bezieht sich an dieser Stelle auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG (vgl. etwa BVerwGE 96, 95). Diese erweiternde Auslegung ist ohne Kenntnis der Rechtsprechung schwerlich herleitbar und sollte deshalb beherrscht werden. Der Grundgedanke hinter dieser Auslegung besteht darin, dass nicht jeder Mast automatisch als privilegiert eingeordnet werden soll. Gesetzessystematisch lässt sich das Ergebnis so begründen, dass die verschiedenen in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten der Versorgung dienenden Bauten in einem Atemzug mit “ortsgebundenen gewerblichen Betrieben” genannt werden. Hieraus lässt sich schließen, dass die vorgenannten Bauten ebenso ortsgebunden sein müssen. Nach der Rechtsprechung des BVerwG gilt das ungeschriebene Erfordernis der Ortsgebundenheit bei den Versorgungsbauten im Gegensatz zu den vorgenannten gewerblichen Betrieben allerdings zumindest in abgeschwächter Form, was sich wiederum durch das Fehlen einer explizit niedergeschriebenen Vorgabe begründen lässt. Im Einzelfall hat dies zur Folge, dass das Merkmal der Ortsgebundenheit bei allen in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten Vorhaben zu prüfen ist. Bei solchen, die dabei keine ortsgebundenen gewerblichen Betriebe sind, ist aufgrund des abgeschwächten Maßstabs allerdings eine ganze Bandbreite an Ergebnissen vertretbar.
Zum konkreten Fall führte der VGH Mannheim aus, dass eine Standortuntersuchung ergeben habe, dass durchaus mehrere funktechnisch geeignete Standorte im Innenbereich vorlagen, an denen die vom Antragssteller verfolgten Funktionen ebenso gut erfüllt werden könnten. Auch der Umstand, dass die alternativ heranziehbaren Grundstücke für den hier betroffenen Antragssteller in zivilrechtlicher Hinsicht nicht verfügbar waren, änderte nichts an der hier geschilderten Auffassung des VGH.
Weicherer Maßstab des BVerwG
Das BVerwG führte in seiner aktuellen Entscheidung nunmehr aus, dass der letztgenannte Argumentationsstrang der Vorinstanz unstatthaft sei. Angesichts der vorgenannten abgeschwächten Wirkung des Ortsgebundenheitskriteriums seien bei Mobilfunkmasten restriktivere Maßstäbe als die des VGH Mannheim anzusetzen.
§ 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB setze zwar – wie zuvor ausgeführt – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Ortsgebundenheit des Vorhabens voraus. Aufgrund der technischen Besonderheiten des Mobilfunks sei es indes nicht notwendig, dass das Vorhaben auf einen einzigen Standort angewiesen sei. Eine Privilegierung im Hinblick auf Funkmasten komme also auch dann in Frage, wenn mehr als ein Standort für die Errichtung dieses Mastes denkbar ist.
Sofern bei der vorgenannten Betrachtung auch Standorte einbezogen würden, die sich im Innen- und nicht im Außenbereich befänden, könne eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB jedoch nur dann angenommen werden, sofern dem Funkmastbetreiber ein Ausweichen auf einen derartigen Standort im Innenbereich unzumutbar sei. Eine derartige Unzumutbarkeit liege insbesondere dann vor, wenn in zivilrechtlicher Hinsicht ein schwerlich überwindbares Hindernis für eine Errichtung des Funkmastes bestünde.
Nach Auffassung des BVerwG war der Funkmast im konkreten Fall mithin privilegiert i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB. Da auch keine sonstigen baurechtlichen Hindernisse bestanden, war das Vorhaben zudem auch im Einklang mit bauplanungsrechtlichen Vorgaben und war damit genehmigungsfähig.
Examensrelevanz
Ein derartiges Urteil des BVerwG wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im ersten und/oder zweiten juristischen Staatsexamen abgeprüft werden. Die Frage ist an sich nur noch wann und wo. Der hiesige Sachverhalt kann z.B. simpel in eine Baurechtsklausur in Form einer Verpflichtungsklage auf Erlass einer Baugenehmigung bzw. die Anfechtung einer bereits erteilten Baugenehmigung eingeflochten werden.
Für eine bessere Bearbeitung ist es dann unerlässlich, dass man sich ausführlich mit dem vorgenannten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB auseinandersetzt. Ob man dabei der etwas strengeren Auffassung des VGH Mannheim oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt, ist nebensächlich. Wichtig ist lediglich, dass im Rahmen der Klausurbearbeitung zunächst herausgearbeitet wird, warum ein derartiges ungeschriebenes Merkmal existiert und dass dann im Anschluss Reichweite sowie Auswirkungen dieses Kriteriums erörtert werden.

23.06.2013/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-06-23 09:00:292013-06-23 09:00:29BVerwG: Examensrelevantes Urteil im Baurecht – Mobilfunkmasten im Außenbereich
Dr. Christoph Werkmeister

VG Neustadt zur Taubenhaltung im Bauplanungsrecht

Baurecht, Rechtsprechung

Das VG Neustadt entschied vor Kurzem einen Sachverhalt zum Baurecht, der ohne Weiteres im Rahmen des ersten oder zweiten Staatsexamens als Klausuraufgabe abgeprüft werden könnte (Urteil vom 25.07.2012 – 4 L 625/12.NW).
Sachverhalt

Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus und Garage bebauten Grundstücks in Germersheim. Entlang und hinter der Garage hat er im Frühjahr 2012 zwei Volieren errichtet, die er seitdem zusammen mit einem Teil der Garage zur Taubenhaltung mit mehr als 60 Brieftauben nutzt. Nachdem sich mehrere Nachbarn über die von den Tauben des Antragstellers ausgehenden Belästigungen beschwert hatten, untersagte ihm der Landkreis Germersheim im Juni 2012 die Taubenhaltung mit sofortiger Wirkung, räumte ihm eine Frist von vier Wochen für die Entfernung der Tauben ein und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an.
Der Antragsteller suchte dagegen um vorläufigen Rechtsschutz nach und machte geltend, von anhaltenden unzumutbareren Belästigungen und Störungen der Nachbarn könne keine Rede sein. Die Nutzungsuntersagungsverfügung sei auch unverhältnismäßig. Mehrere der betroffenen Brieftauben befänden sich aktuell noch in der Brutzeit, zum Teil seien bereits Jungtiere geschlüpft. Während dieser Zeit sei eine Versetzung der Brieftauben nicht möglich, ohne dass sowohl die Brut als auch die Jungtiere erheblich gefährdet würden (Quelle: Pressemitteilung des VG Neustadt).

Bauplanunugsrechtliche Prüfung
Ob die zuständige Bauordnungsbehörde eine Untersagungsverfügung erlassen durfte, richtet sich u.a. nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Im vorliegenden Sachverhalt handelte es sich bei dem Gebiet, in dem der Taubenschlag errichtet wurde, um ein reines Wohngebiet i.S.v. § 3 BauNVO. Da kein Bebauungsplan existierte, richtete sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit somit i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB nach den Vorgaben der BauNVO, vorliegend insbesondere nach §§ 3, 14 und ggf. 15 BauNVO.
Außer Wohngebäuden sind im reinen Wohngebiet nach § 14 BauNVO auch untergeordnete Nebenanlagen zulässig. Hierzu gehören u.a. auch Einrichtungen zur Kleintierhaltung. Im zu entscheidenden Kontext führte das VG Neustadt zur Subsumtion aus:

Die Haltung von Brieftauben könne in einem reinen Wohngebiet als Annex zum Wohnen zugelassen werden, soweit sie üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge. Die auf dem Grundstück des Antragstellers vorhandene Kleintierhaltung mit über 60 Brieftauben könne aber nicht mehr als eine dem Wohnen als Hauptnutzung untergeordnete Freizeitbeschäftigung angesehen werden und widerspreche der Eigenart des hier vorhandenen reinen Wohngebiets. Aus den Feststellungen der Kreisverwaltung Germersheim sowie den von den Nachbarn vorgelegten Lichtbildern ergebe sich, dass die Grundstücke der Nachbarn  durch den Kot der Brieftauben sowie Federn-/Flaumflug verunreinigt würden. Belästigungen entstünden ferner durch die Geräusche beim Flügelschlagen der Tauben, die über den Grundstücken des Antragstellers und der Nachbarn kreisten.
Der Antragsteller könne sich auch nicht mit Erfolg auf die Unverhältnismäßigkeit der Nutzungsuntersagung berufen. Soweit er gerügt habe, während der aktuellen Brut- und Jungtierzeit sei eine Versetzung der Brieftauben nicht möglich, ohne dass sowohl die Brut als auch die Jungtiere erheblich gefährdet und beeinträchtigt würden, sei dies kein grundstücksbezogener Gesichtspunkt und daher hier unbeachtlich. Eventuell auftretende Härten für den Antragsteller könne dieser im Rahmen eines möglicherweise nachfolgenden Vollstreckungsverfahrens geltend machen.

Es wurde also zunächst § 3 BauNVO subsumiert. Der Taubenschlag fiel allerdings nicht unter die Bezeichnung „wohnen“ i.S.v. § 3 Abs. 1 BauNVO. Aus diesem Grund musste § 14 BauNVO geprüft werden, wonach kleinere Nebenanlagen, inbesondere zur Kleintierhaltung, zulässig sein können. Hierunter fiel der Taubenschlag mit immerhin 60 Tauben allerdings auch nicht mehr, so dass das Vorhaben mangels Gebietsverträglichkeit bauplanungsrechtlich unzulässig war. Sodann musste noch die Verhältnismäßigkeit der Untersagungsverfügung geprüft werden, wobei insbesondere auf die Brut- und Jungtierzeit der Tauben einzugehen war. An letzer Stelle wäre mit entsprechender Argumentation – ggf. unter Bezugnahme auf die Wertung von Art. 20a GG – auch ein anderes Ergebnis vertretbar. Das Argument, dass im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens eventuelle Härten Berücksichtigung finden können, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, so dass die Lösung des VG Neustadt durchaus interessengerecht erscheint.

29.07.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-07-29 09:58:382012-07-29 09:58:38VG Neustadt zur Taubenhaltung im Bauplanungsrecht
Zaid Mansour

VG Neustadt: „Nichtmedizinischer Massagesalon“ im allgemeinen Wohngebiet unzulässig

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Beschluss vom 04.07.2012 (Az. 3 L 571/12.NW) hat das VG Neustadt die Versagung einer  baurechtlichen Genehmigung und ein entsprechendes Nutzungsverbot zum Betrieb eines „nichtmedizinischen Massagesalons“ in einer im allgemeinen Wohngebiet gelegenen  Eigentumswohnung für rechtmäßig erklärt.
I. Sachverhalt
Die Antragstellerin ist Eigentümerin einer Wohnung in einem größeren Wohngebäude in Ludwigsburg, welches in einem allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie beantragte bei der zuständigen Behörde die Erteilung einer Baugenehmigung (Baunutzungsänderung) für die Errichtung eines „nichtmedizinischen Massagesalons“ in ihrer Wohnung. Die Antragstellerin nahm die entsprechende Nutzung auf ohne die behördliche Entscheidung abzuwarten. Nach einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit, lehnte die zuständige Behörde die Genehmigung ab und untersagte der Dame mit sofortiger Wirkung die (horizontal)gewerbliche Nutzung, da es sich um einen Prostitutionsbetrieb handele. Dagegen ersuchte die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz vor dem VG Neustadt. Nach ihrem Dafürhalten handele es sich bei der von ihr ausgeübten Tätigkeit nicht um Prostitution.
II. Inhalt

Zunächst stellt das VG Neustadt richtigerweise fest, dass es sich vorliegend jedenfalls um eine prostitutionsähnliche Nutzung der Wohnung handelt, da die von der Antragstellerin im Internet offerierten „erotischen Ganzkörper-Entspannungsmassagen“ auch der sexuellen Erregung und Befriedigung dienten. Bei der Einstufung der Betriebsform ist ein weiter Prostitutionsbegriff zugrunde zu legen, wonach unter Prostitution die Vornahme sexueller Handlungen – mit in der Regel – wechselnden Partnern gegen Entgelt, zu verstehen ist. Der Begriff der sexuellen Handlung umfasst dabei „alle Modalitäten und Varianten der den jeweiligen Partner sexuell stimulierenden Betätigungen“ (OVG Berlin, Beschluss vom 09.04.2003 – Az. 2 S 5.03). Die Würdigung der Gesamtumstände muss ergeben, dass es sich nicht um ein Studio für Wellnessmassagen mit lediglich untergeordnetem erotischen Einschlag handelt. Entscheidend ist allein das Gesamtgepräge der Lokalität, insbesondere kommt es bei der Einstufung der Betriebsform nicht auf anderslautende Bezeichnungen des Gewerbetreibenden an. Beispielsweise hat in einem anderen, ähnlich gelagerten Fall, ein findiger Bordellbetreiber ein bestandkräftiges Verbot zur Nutzung eines Gebäudes als Bordell, dadurch zu umgehen versucht, indem ein „Verein für zwischenmenschliche Beziehungen“ gegründet wurde. Die dort als „Wochenmitglieder“ tätigen Damen verrichteten mit den als „Tagesmitgliedern“ bezeichneten Kunden „gemeinsame Meditationen“ gegen Entgelt. Das entscheidende Gericht stufte die Einrichtung als bordellartigen Betrieb ein und wertete dieses Vorgehen als untauglichen Umgehungsversuch des Nutzungsverbots (VGH Mannhein, VBlBW 1999, 461).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich im vorliegenden Fall nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO. In Einklang mit der bisherigen Rechtsprechungspraxis kommt das VG Neustadt zu dem Ergebnis, dass eine derartige gewerbliche Nutzung in einem Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO weder allgemein noch ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig ist, da dies dem Gebietscharakter zuwiderlaufe. Dies folge aus der prinzipiellen Unvereinbarkeit mit dem bauplanungsrechtlichen Begriff des Wohnens sowie den städtebaulichen Ordnungszielen, die einem Wohngebiet zugrunde liegen. Bei typisierender Betrachtung sei davon auszugehen, dass derartige Betriebe die Wohnruhe erheblich stören und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen die Schwelle der Gebietsverträglichkeit überschreiten. Dies wird mit den generell negativen „milieubedingten“ Auswirkungen solcher Etablissements auf das das Wohnumfeld prägende soziale Klima begründet (so etwa OVG RP, Beschluss vom 15.01.2004 – Az. 8 B 11983/03). Ob und inwieweit der in Rede stehende Betrieb bereits konkrete Störungen der Wohnruhe verursacht hat ist dabei unerheblich (VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 550).
Auch die Einführung des Prostitutionsgesetzes vermag, trotz der möglicherweise daraus ableitbaren generellen Änderungen der sozialethischen Wertungen im Zusammenhang mit der Prostitution, kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Der Wandel sozialethischer Vorstellungen hat keinen entscheidenden Einfluss auf das städtebauliche Leitbild eines allgemeinen Wohngebiets und auf die negative Auswirkungsprognose von Bordellen und Wohnungsprostitution auf das Wohnumfeld (OVG RP, Beschluss vom 15.01.2004 – 8 B 11983/03).
III. Fazit
Im Ergebnis verdient der Beschluss des VG Neustadt, auch mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Betrieben zum Zwecke der Prostitution in allgemeinen Wohngebieten, Zustimmung. Zu einem anderen Ergebnis hätte man möglicherweise gelangen können, wenn die Wohnung der Antragstellerin in einem Mischgebiet nach § 6 BauNVO gelegen hätte.

§ 6 Mischgebiet
(1) Mischgebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören.
(2) Zulässig sind
1. Wohngebäude,
2. Geschäfts- und Bürogebäude,
3. Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, sowie Betriebe des Beherbergungsgewerbe,
4. sonstige Gewerbebetriebe

Dabei sollte wegen des unterschiedlichen Störungspotentials unterschieden werden, ob es sich um einen bordellartigen Betrieb oder um die Ausübung sog. Wohnungsprostitution handelt. Das BVerwG bejaht das Vorliegen von Wohnungsprostitution, wenn die Wohnung von ein bis max. zwei Prostituierten sowohl dauerhaft zum Wohnen, als auch zur Verrichtung ihrer gewerblichen Tätigkeit genutzt wird. Wesensprägendes Merkmal ist dabei also, dass das Wohnen und die gewerbliche Tätigkeit „Hand in Hand“ gehen und das Ganze über einen längeren Zeitraum vollzogen wird. Kennzeichnend für das Wohnen ist eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts (Stühler, NVwZ 2000, 990 (993)). In derartigen Konstellationen kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass solche Betriebe dem gebietsprägenden Wohncharakter zuwiderlaufen, da von solchen Einrichtungen typischerweise eben keine „milieubedingten“ Unruhen ausgehen, sodass es bezüglich der Frage, ob derartige Etablissements das Wohnen in einem Mischgebiet nicht wesentlich stören, auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt. Um einen – auch in einem Mischgebiet i.S.d. § 6 BauNVO bauplanungsrechtlich unzulässigen – bordellartigen Betrieb handelt es sich hingegen, wenn die Wohnung entweder nur zur Terminwahrnehmung oder nur für eine kurze Zeitspanne von den dort tätigen und in regelmäßigen Abständen ausgetauschten Personen (mindestens drei) gewerblich genutzt wird (dazu umfassend: Stühler, NVwZ 2000, 990).
Das Baurecht wird aufgrund der vielfältigen Klausurkonstruktionsmöglichkeiten immer wieder gerne in den staatlichen Pflichtfachprüfungen abgefragt. Gerade die vorliegende Konstellation eignet sich vortrefflich als Gegenstand einer mündlichen Prüfung.
 

17.07.2012/4 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-07-17 10:05:592012-07-17 10:05:59VG Neustadt: „Nichtmedizinischer Massagesalon“ im allgemeinen Wohngebiet unzulässig
Gastautor

Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht

Baurecht, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns, heute erneut einen Gastbeitrag von David Ullenboom veröffentlichen zu können. David ist zur Zeit Rechtsreferendar am LG Münster und hat auch schon sehr erfolgreich (2. Platz) an unserem Aufsatzwettbewerb teilgenommen.
Hinweis: Wie ihr seht, handelt es sich um einen sehr langen Beitrag, der das Problem des Nachbarschutzes sehr ausführlich und unter allen Aspekten behandelt. Natürlich müsst ihr den Beitrag nicht am Monitor lesen, denn wir haben – wie ihr vielleicht schon wisst – ganz am Ende die print-Funktion durch die ihr den Eintrag als pdf speichern und auch eine entsprechende Version drucken könnt.
I. Einführung
Öffentliches Baurecht, insbesondere das Bauplanungsrecht nach dem BauGB, spielt in den Klausuren zum Ersten und Zweiten Staatsexamen eine große Rolle. Ein Großteil der Examensklausuren im öffentlichen Recht sind Klausuren aus dem Bereich des Bau(planungs)rechts. Hintergrund des hohen Anteils an Baurechtsrechtsklausuren in den Staatsprüfungen mag u. a. sein, dass das Bauplanungsrecht im BauGB bundeseinheitlich geregelt ist und deshalb die Möglichkeit eröffnet, die Klausuren bundesweit als Aufsichtsarbeiten zu stellen. Dadurch unterscheidet sich dieses Rechtsgebiet insbesondere von den anderen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts in den Staatsexamina, welches überwiegend in die Zuständigkeit der Länder fällt (Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunalrecht). Obwohl im Ersten und Zweiten Staatsexamen in NRW das Baurecht vom Prüfling nur „im Überblick“, d. h. in seinen gesetzlichen Grundstrukturen ohne vertieftes Wissen von Rechtsprechung und Literatur, beherrscht werden muss (§§ 11 II Nr.13 c), IV, 52 I 1 Nr.1 JAG NRW), verlangt eine typische Examensklausur aus dem Baurecht dem Kandidaten in der Examenswirklichkeit doch einiges an „Detailwissen“ ab. Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht ist vor diesem Hintergrund seit jeher ein absoluter Examens-Klassiker. Die Rechtsprechung des BVerwG wurde in diesem Bereich in den letzten Jahrzenten zunehmend ausdifferenziert. Dabei lässt sich ein Trend „hin zu einem Mehr an Nachbarschutz“ ausmachen. Während das BVerwG das Bauplanungsrecht zunächst als rein objektives Städtebaurecht einordnete, das allein dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung diene, hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht diese Rechtsauffassung sukzessive aufgegeben und in der Folge immer mehr Vorschriften des BauGB drittschützende Wirkung zuerkannt (vgl. etwa Gaentzsch, ZfBR 2009, 321).
II. Klausurkonstellationen
Die Frage des Drittschutzes im öffentlichen Baurecht stellt sich in Examensklausuren insbesondere in zwei Konstellationen:
– Der Bauherr B erhält antragsgemäß von der Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung. Der Nachbar N erhebt Anfechtungsklage gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung. Die Anfechtungsklage ist nur zulässig, wenn N geltend machen kann, möglicherweise in einem subjektiven öffentlichen Recht verletzt zu sein (§ 42 II VwGO). Die Anfechtungsklage des N ist gem. § 113 I 1 VwGO nur begründet, wenn die Erteilung der Baugenehmigung gegen den Schutz des Nachbarn bezweckende Baurechtsnormen verstößt.
– Der Bauherr B baut ohne Baugenehmigung oder außerhalb einer erteilten Baugenehmigung („Schwarzbau“). Der Nachbar N erhebt Verpflichtungsklage gegen die Bauaufsichtsbehörde auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Schwarzbau. Die Verpflichtungsklage ist nur zulässig, wenn der N geltend macht, einen Anspruch auf behördliches Einschreiten aus einer drittschützenden EGL der Behörde zu haben (§ 42 II VwGO). Die Klage ist nur begründet, wenn dieser Anspruch tatsächlich besteht (§ 113 V VwGO).
III. Drittschützende Normen im Baurecht
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Arten von drittschützenden Normen unterscheiden. Zum einen gibt es drittschützende Normen, die den Nachbarn unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit schützen (generell-typisierender Drittschutz). Zum anderen gibt es solche drittschützenden Normen, die erst im Falle einer tatsächlichen (unzumutbaren) persönlichen Betroffenheit tangiert sind (einzelfallbezogener Drittschutz). Zur ersten Gruppe gehört insbesondere der sog. „Gebietserhaltungsanspruch“ hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplangebiet, unter die zweite Gruppe fallen insbesondere die einfachgesetzlichen Ausprägungen des sog. „Rücksichtnahmegebots“. Davon wird noch genauer die Rede sein.
1. generell-typisierender Drittschutz
Einige Normen des öffentlichen Baurechts vermitteln Drittschutz unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit. Der Hintergrund eines derartigen generell-typisierenden Drittschutzes wird überwiegend in Folgendem gesehen: Das Eigentum an einem Grundstück wird grds. nicht grenzenlos gewährt. Vielmehr ist der Gesetzgeber ermächtigt, Inhalt und Schranken des Eigentums durch einfachgesetzliche Bestimmungen festzulegen (Art. 14 I 2 GG). Wenn nun aber der Eigentümer eines Grundstücks in einem bestimmten Baugebiet in der Nutzung seines Grundstücks durch öffentlich-rechtliche Vorschriften beschränkt wird, dann soll er die Einhaltung derartiger (beschränkender) Vorschriften wenigstens auch von den anderen Grundstückseigentümern im selben Baugebiet verlangen können. Insofern bilden alle Grundstückseigentümer in einem Baugebiet eine „Schicksalsgemeinschaft“. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „nachbarschaftlichen Austauschverhältnis“ (vgl. zum Ganzen BVerwG NJW 1994, 1548).
a) „Gebietserhaltungsanspruch“
1. Durch die Festsetzung der in § 1 II BauNVO genannten Baugebiete (z. B. allgemeines Wohngebiet [WA], Mischgebiet [MI] oder Gewerbegebiet [GE]) in einem Bebauungsplan, werden die diesbezüglichen Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO kraft Gesetzes gem. § 1 III 2 BauNVO Bestandteil des B-Plans. Die § 2 ff. BauNVO sind dabei überwiegend jeweils gleich strukturiert. Im jeweiligen Absatz 1 wird der Zweck bzw. Charakter des jeweiligen Baugebiets festgelegt. Im jeweiligen Absatz 2 findet sich die allgemein zulässige Bebauung (sog. „Regelbebauung“). Im jeweiligen Absatz 3 schließlich regelt die BauNVO die ausnahmsweise zulässige Bebauung (sog. „Ausnahmebebauung“). Wenn § 30 I BauGB nun davon spricht, dass ein Bauvorhaben zulässig ist, wenn es „den Festsetzungen des B-Plans nicht widerspricht“, so bedeutet dies, dass das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung zulässig ist, wenn es dem Absatz 2 des einschlägigen Baugebiets nach den §§ 2 ff. BauNVO entspricht, also einem der dort aufgeführten Gebäude und Anlagen zugeordnet werden kann (z. B. Zulässigkeit eines Wohngebäudes im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 II Nr.1 BauNVO). Denn der jeweilige Absatz 2 der §§ 2 ff. BauNVO ist ja, wie oben bereits ausgeführt, kraft Gesetzes Bestandteil des B-Plans geworden.
Wenn demgegenüber § 31 I BauGB davon spricht, dass von den Festsetzungen des B-Plans solche Ausnahmen zugelassen werden können, welche „in dem B-Plan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind“, so ist dies ein Verweis auf die Ausnahmebebauung der jeweiligen Absätze 3 der §§ 2 ff. BauNVO. Denn da die BauNVO kraft Gesetzes Bestandteil des B-Plans geworden ist, ist die in den Absätzen 3 der BauNVO vorgesehene Ausnahmebebauung eben eine solche, die der B-Plan ausdrücklich vorsieht.
Vorhaben hingegen, die weder unter die Tatbestände der Regelbebauung noch unter die der Ausnahmebebauung subsumiert werden können, können nur unter den sehr strengen Voraussetzungen des § 31 II BauGB zugelassen werden (sog. „Dispens“).
2. Das BVerwG hat nun jedem Grundstückseigentümer ausdrücklich das Recht zuerkannt, sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets gegen jede artfremde Bebauung zu wehren, unabhängig davon, ob sie ihn tatsächlich beeinträchtigt (sog. „Gebietserhaltungsanspruch“). Seine Grundlage hat der Gebietserhaltungsanspruch im „nachbarlichen Austauschverhältnis“ und im Gedanken der „Schicksalsgemeinschaft“ (vgl. bereits oben). Der Nachbar eines Baugebiets kann sich also gegen jedes Vorhaben in seinem Baugebiet zur Wehr setzen, das weder Regel- noch Ausnahmebebauung nach der BauNVO ist. Der Gebietserhaltungsanspruch ist aber begrenzt auf das jeweilige Baugebiet, gebietsübergreifenden Rechtsschutz auch in Bezug auf benachbarte Baugebiete vermittelt er hingegen nicht.
b) „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“
1. Vom „Gebietserhaltungsanspruch“ streng zu unterscheiden ist der sog. „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ist ein noch vergleichsweise junges Rechtsinstitut, welches vom BVerwG insbesondere in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2002 und 2008 entwickelt wurde (NVwZ 2002, 118; NVwZ 2008, 786). Im Unterschied zum Gebietserhaltungsanspruch beschreibt der Gebietsprägungserhaltungsanspruch folgendes Phänomen: Ein Vorhaben, dass an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann (deshalb greift der Gebietserhaltungsanspruch nicht ein!) ist bei generell-typisierender Betrachtungsweise in dem einschlägigen Baugebiet gebietsunverträglich, weil es den prägenden Charakter des Baugebiets konterkariert. Bei oberflächlicher Betrachtungsweise könnte man versucht sein, den Gebietsprägungserhaltungsanspruch mit der Regelung in § 15 I 1 BauNVO gleichzusetzen, die ebenfalls davon spricht, dass ein nach den §§ 2 ff. BauNVO grundsätzlich zulässiges Vorhaben im Einzelfall unzulässig ist, wenn es der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch muss aber auch zu § 15 I 1 BauNVO abgegrenzt werden, keinesfalls sind beide Regelungskomplexe gleichzusetzen. Während nämlich der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ein Vorhaben betrifft, dass bereits nach genereller und typisierender Betrachtungsweise in dem jeweiligen Baugebiet gebietsunverträglich ist, meint § 15 I 1 BauNVO den Fall, dass ein Bauvorhaben zwar nach abstrakt-typisierender Anschauung dem Gebietscharakter nicht widerspricht (deshalb greift der Gebietsprägungserhaltungsanspruch nicht ein!), aber dennoch im konkreten Einzelfall gebietsunverträglich ist. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ist der Regelung des § 15 I 1 BauNVO also logisch vorgeschaltet (sehr ausführlich z. B. Decker, JA 2007, 55).
2. Hinter dem „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ steht folgende Idee: Bei den in den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 ff. BauNVO aufgeführten Gebäuden und Anlagen handelt es sich um in hohem Maße unbestimmte Rechtsbegriffe. Z. B. umfasst der Begriff der „Anlage zu gesundheitlichen Zwecken“ in § 4 II Nr.3 BauNVO nach seinem Wortlaut sowohl die kleine Praxisgemeinschaft niedergelassener Ärzte als auch das Krankenhaus mit 100 Krankenhausbetten. Zudem wird der Begriff der „Anlage zu gesundheitlichen Zwecken“ auch noch in den Vorschriften anderer Baugebiete aufgegriffen (z. B. § 6 II Nr.5 für „Mischgebiete“ und § 8 III Nr.2 für „Gewerbegebiete“) und kann wegen der erheblichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Baugebieten unmöglich überall im gleichen Sinne verstanden werden. Da allein der „Feinfilter“ des § 15 I 1 BauNVO, der immer erst bei einzelfallbezogener Gebietsunverträglichkeit eingreift, dem Interesse der Bewohner des Baugebiets an einer Wahrung des prägenden Gebietscharakters nicht gerecht wird, hat das BVerwG einen „Grobfilter“ in Form des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vorgeschaltet.
Hierbei werden die in den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 ff. BauNVO jeweils genannten Gebäude und Anlagen in Beziehung zu dem jeweiligen Absatz 1 der Vorschrift gesetzt, welcher eine allgemeine Charakterisierung bzw. Zweckrichtung des Baugebiets enthält. Beispielsweise dienen allgemeine Wohngebiete gem. § 4 I BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Bauvorhaben, die bereits nach generell-typisierender Betrachtungsweise geeignet sind, die Wohnruhe im allgemeinen Wohngebiet erheblich zu stören und deshalb gebietsunverträglich sind, können also mit dem Gebietsprägungserhaltungsanspruch von den Bewohnern dieses Baugebiets abgewehrt werden. Ein Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen, Zwei-Schicht-Betrieb und regem An- und Abfahrtsverkehr, welches eine erhebliche Unruhe in das Wohngebiet hineinträgt, ist deshalb beispielsweise in einem allgemeinen Wohngebiet (obwohl gem. § 4 II Nr.3 BauNVO grds. zulässig) gebietsunverträglich (BVerwG NVwZ 2008, 786).
c) § 15 I 1 BauNVO
§ 15 I 1 vermittelt allen Bewohnern eines Baugebiets einen Anspruch auf Erhalt des prägenden Gebietscharakters. Vorhaben, die zwar an sich nach den §§ 2 ff. BauNVO regelhaft oder ausnahmsweise zulässig sind, können von den Baugebietsnachbarn abgewehrt werden, wenn sie im Einzelfall nach Lage, Umfang, Anzahl oder Zweckbestimmung dem prägenden Gebietscharakter widersprechen. § 15 I 1 BauNVO ist insofern weiter als § 15 I 2 BauNVO, als er keine unzumutbare persönliche Betroffenheit voraussetzt. Er ist auf der anderen Seite enger, weil er nur die Bewohner des betroffenen Baugebiets schützt, nicht aber die Bewohner benachbarter Baugebiete (kein plangebietsübergreifender Nachbarschutz; vgl. Stuer, Der B.Plan, Rn. 917). § 15 I 1 BauNVO kommt aber erst zum Zuge, wenn das Vorhaben nicht bereits nach generell-typisierender Betrachtungsweise gebietsunverträglich ist (dann greift vorrangig der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ ein, s. oben).

d) „faktisches Baugebiet“, § 34 II BauGB
Im „faktischen Baugebiet“ nach § 34 II BauGB besteht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung genau derselbe Drittschutz wie im Bebauungsplangebiet (BVerwG NJW 1994, 1546). D. h. entspricht die nähere Umgebung eines Bauvorhabens im Innenbereich einem der Baugebiete nach der BauNVO, so stehen dem Nachbar ebenso wie im beplanten Innenbereich der „Gebietserhaltungsanspruch“, der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ und § 15 I BauNVO zur Seite.
e) Maß der baulichen Nutzung, Bauweise, überbaubare Grundstücksflächen
Während es oben um die Festsetzungen des B-Plans über die Art der baulichen Nutzung ging, stellt sich die Frage, ob auch die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (§§ 16 ff. BauNVO), die Bauweise und die überbaubaren Grundstücksflächen (§§ 22 ff. BauNVO) Drittschutz entfalten können.
1. Nach h. M. entfalten die Festsetzungen des B-Plans über das Maß der baulichen Nutzung grds. keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn, da sie ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen sollen. Ausnahmsweise haben aber auch Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung drittschützende Wirkung, wenn der Drittschutz im B-Plan von der planenden Gemeinde ausdrücklich festgeschrieben wird (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 68 f.). Möglich ist eine Geltendmachung der drittschützenden Wirkung des Maßes der baulichen Nutzung – trotz Einhaltung der Abtsandsflächen nach § 6 BauO NW- auch in denjenigen Ausnahmefällen, in denen dem Bauvorhaben eine „erdrückende Wirkung“ zukommt und dem Nachbarn ein Gefühl des „Eingemauertseins“ vermittelt und ihm die „Luft zum Atmen nimmt“ (sog. „Gefängnishofsituation“; Thiel, AL 2012, 179). Diese sehr enge Ausnahme ist dann wiederum Ausdruck des Rücksichtnahmegebots. In derartigen Ausnahmefällen dient dann im Bebauungsplangebiet ausnahmsweise § 15 I 1 BauNVO (der an sich nur für die Art der baulichen Nutzung gilt!) als Einfallstor für das Gebot der Rücksichtnahme (vgl. dort Merkmal „Umfang“ des Vorhabens). Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass in derartigen Fällen „Quantität in Qualität umschlägt“, d. h. dass ausnahmsweise die Größe einer Anlage die Art der baulichen Nutzung tangiert (vgl. zum Ganzen BVerwG, NVwZ 1995, 900). Im unbeplanten Innenbereich kann die „erdrückende Wirkung“ rücksichtsloser Vorhaben über § 34 I 1 BauGB („Einfügen“) im Außenbereich über § 35 III 1 (ungeschriebener „öffentlicher Belang“!) geltend gemacht werden.
2. Die Festsetzung einer offenen Bauweise wird überwiegend als drittschützend angesehen, der Festsetzung einer geschlossenen Bauweise wird Drittschutz hingegen überwiegend versagt (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 70 f.). Die Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen gem. § 23 BauNVO (Baulinien, Baugrenzen, Bautiefen) sind nur dann nachbarschützend, wenn sie (ähnlich wie die Abstandsflächenregelung des § 6 BauO NRW) die ausreichende Licht- und Luftzufuhr zum Nachbargrundstück bezwecken (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 72). Allerdings sollte man hier Vorsicht walten lassen: Die Tatsache, dass z. B. seitliche und hintere Baugrenzen in rein tatsächlicher Hinsicht eine ähnliche Wirkung wie die Abstandsflächenregelungen in den Landesbauordnungen der Länder haben, lässt noch keinen Rückschluss auf deren nachbarschützende Wirkung zu. Insofern handelt es sich dann nämlich zunächst um einen reinen Rechtsreflex. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber diese tatsächlichen Wirkungen der Festsetzungen auch bezweckt hat.
f) Bauordnungsrecht: insbesondere Abstandsflächenregelung
Im Bauordnungsrecht entfalten insbesondere die Abstandsflächenregelungen in den jeweiligen Bauordnungen der Länder drittschützende Wirkung (z. B. § 6 BauO NRW). Die Abstandsflächenregelungen haben nämlich insbesondere den Zweck, das Nachbargrundstück vor einer Verschattung zu schützen und die Zufuhr mit Licht und Luft sicherzustellen. Zudem soll einem zu schnellen Übergreifen von Bränden auf Nachbarhäuser vorgebeugt werden (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 103. Ergänzungslieferung 2012, § 22 BauNVO Rn. 37). Die Abständsflächenregelungen schützen den Nachbarn wiederum unabhängig von einer tatsächlichen Beeinträchtigung. D. h. der Nachbar kann die Einhaltung der Abstandsflächen im Verhältnis zum Angrenzer unabhängig davon verlangen, ob es z. B. tatsächlich zu einer Verschattung seines Grundstücks kommt. Hintergrund ist hier aber nicht das nachbarschaftliche Austauschverhältnis und der Gedanke der Schicksalsgemeinschaft, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Gesetzgeber die abstrakte Gefahr eines Nutzungskonflikts der benachbarten Grundstücke im Rahmen einer generellen Interessenabwägung einer gesetzlichen Lösung zugeführt hat.
2. einzelfallbezogener Drittschutz
Es gibt des Weiteren drittschützende Normen des öffentlichen Baurechts, die immer erst dann tangiert sind, wenn der rechtsschutzsuchende Nachbar tatsächlich und unzumutbar in seinen Rechten betroffen ist. Derartiger einzelfallbezogener Drittschutz begegnet insbesondere in Form einfachgesetzlicher Ausprägungen des sog. „Rücksichtnahmegebots“.

a) Das Gebot der Rücksichtnahme
1. Auch das Rücksichtnahmegebot ist ein „Kind des Bundesverwaltungsgerichts“. Das Rücksichtnahmegebot ist dabei zunächst ein objektiv-rechtliches Rechtsinstitut. Als so verstandener objektiv-rechtlicher Rechtssatz ist das Rücksichtnahmegebot an sich eine Selbstverständlichkeit: Die Baufaufsichtsbehörde ist bei der Entscheidung über die Erteilung einer Bauerlaubnis verpflichtet, die Interessen des Bauherrn und des Nachbarn gerecht gegeneinander abzuwägen. Da die Exekutive im Verhältnis zum Bauherrn und zum Nachbarn an die Grundrechte gebunden ist (Art. 1 III GG, 20 III GG) und durch die Erteilung oder Versagung einer Bauerlaubnis in das Eigentumsgrundrecht des Nachbarn oder des Bauherrn aus Art. 14 I 1 GG eingegreift, muss die Bauaufsichtsbehörde diese widerstreitenden Interessen grundsätzlich zu einem möglichst schonenden Ausgleich bringen. Insofern ist das Rücksichtnahmegebot eine spezielle Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. etwa Battis/Krautzberger/Löhr, § 1 Rn. 122).
2. Das Rücksichtnahmegebot hat aber auch eine subjektiv-rechtliche Komponente. Das Rücksichtnahmegebot darf dabei zunächst nicht als übergesetzliches, losgelöst von gesetzlichen Vorschriften existierendes Prinzip missverstanden werden. Es folgt insbesondere nicht aus Art. 14 I GG. Der Gesetzgeber hat in den §§ 29 ff. BauGB Inhalt und Schranken des Eigentums iSv Art. 14 I 2 GG abschließend festgelegt (Inhalts- und Schrankenbestimmung). Durch den Rückgriff des Tatrichters auf vermeintliche vor-rechtliche Prinzipien, würde die Werteentscheidung des Gesetzgebers unterlaufen und das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 III GG) verletzt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist vielmehr immer nur insoweit von Bedeutung, als es Ausdruck in einer konkreten einfach-gesetzlichen Rechtsnorm gefunden hat.  Drittschutz folgt also nicht aus dem Rücksichtnahmegebot, sondern aus einer einfach-rechtlichen Norm, mag diese auch eine Ausprägung des Rücksichtnahmegebots sein. Insofern ist das Rücksichtnahmegebot eine Art „Einfallstor“ für den Drittschutz baurechtlicher Normen, vergleichbar den zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 134, 138 BGB. Hinter dem „Rücksichtnahmegebot“ verbirgt sich letztlich nichts anderes als eine Art „Auslegungshilfe“ bzw. „Auslegungsregel“ in Bezug auf einfach-gesetzliche Normen des Baurechts (vgl. zum Ganzen Gaentzsch, ZfBR 2009, 324). Auslegungshilfe ist es dabei sowohl im Hinblick auf das „Ob“ des Drittschutzes als auch hinsichtlich des „Wie“ des Drittschutzes:
– „Ob“ des Drittschutzes: Zunächst wird das Rücksichtnahmegebot für die Frage herangezogen, ob eine bestimmte Baurechtsvorschrift überhaupt Drittschutz vermittelt. Das BVerwG hat dabei mehrfach entschieden, dass eine Vorschrift des öffentlichen Baurechts nur dann drittschützende Wirkung entfaltet, wenn sie deutlich macht, „dass in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schützwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (zuletzt etwa BVerwG JuS 2004, 173). Mit anderen Worten: Eine Norm ist dann drittschützend, wenn die Auslegung ergibt, dass auf einen abgrenzbaren Personenkreis in besonderer Weise Rücksicht genommen werden soll. In dieser Funktion ist das Rücksichtnahmegebot nichts anderes als eine spezielle Ausprägung der „Schutznormtheorie“ im Baurecht.
– „Wie“ des Drittschutzes: Sodann wird das Rücksichtnahmegebot weiterhin herangezogen, um das Maß des Drittschutzes zu ermitteln. Dabei reicht für die Verletzung von Baurechtsnormen, deren drittschützende Wirkung anhand der „Lehre vom Rücksichtnahmegebot“ festgestellt wurde, nicht bereits jede Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen, erforderlich ist vielmehr eine unzumutbare Beeinträchtigung. Das BVerwG hat das so formuliert: „Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen“ (BVerwG NVwZ 1993, 1185).  Der Sache nach handelt es sich dabei um eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Interessen des Bauherrn an der Bebauung seines Grundstücks und den Interessen des Nachbarn an der ungestörten Nutzung seines Eigentums. Zu berücksichtigen sind bei der Interessenabwägung insbesondere bereits bestehende Vorbelastungen (z. B. bereits vorhandene Lärmquellen).
b) § 15 I 2 BauNVO
Eine wichtige einfachgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots ist die Regelung des § 15 I BauNVO (sog. „Feinfilter“). Hierbei sollte man grds. zwischen der Regelung des § 15 I 1 BauNVO (dazu bereits oben) und des § 15 I 2 BauNVO unterscheiden. Beide Regelungen setzen ein Bauvorhaben im Bebauungsplangebiet oder im faktischen Baugebiet (§ 34 II BauGB) voraus, welches an sich den §§ 2 ff. BauNVO entspricht, aber im Einzefall gebietsunverträglich ist. § 15 I 1 BauNVO greift wie bereits oben erläutert nicht erst bei unzumutbarer persönlicher Betroffenheit, sondern gibt den Bewohnern eines Baugebiets im Zusammenspiel mit dem sog. „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ einen allgemeinen Anspruch auf Erhalt des prägenden Charakters eines Baugebiets.
Durch das Tatbestandsmerkmal der „unzumutbaren Störungen und Belästigungen“ in § 15 I 2 BauNVO macht die Regelung deutlich, dass auf die Interessen der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet oder in benachbarten Baugebieten besondere Rücksicht zu nehmen ist. Unterscheiden muss man bei § 15 I 2 die 1. Alternative (= Bauvorhaben wird Störer) und die 2. Alternative (= Bauvorhaben wird störanfällig). Durch die Wendung „im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung“ macht das Gesetz deutlich, dass nicht nur die Grundstückseigentümer des betroffenen Baugebiets, sondern auch die Nachbarn benachbarter Baugebiete in den Schutzbereich des § 15 I 2 BauNVO einbezogen sind. § 15 I 2 BauNVO eröffnet damit insbesondere die Möglichkeit plangebietsübergreifenden Drittschutzes! Soweit die Störungen und Belästigungen des Vorhabens über das Baugebiet hinaus in benachbarte Baugebiete ausstrahlen, können sich auch die Plangebietsnachbarn zur Wehr setzen. Andererseits ist § 15 I 2 BauNVO erst dann verletzt, wenn die Belästigungen die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten. Dies ist insbesondere anhand der Abwägungsformel des BVerwG zu bestimmen (vgl. oben). § 15 I 2 BauNVO stellt damit insgesamt recht hohe Hürden auf.
c) Dispens gem. § 31 II BauGB
Beim bauplanungsrechtlichen Dispens gem. § 31 II BauGB muss man unbedingt zwei Fälle unterscheiden. Bei einer Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften, insbesondere von den Vorgaben für die Art der baulichen Nutzung gem. §§ 2 ff. BauNVO, vermittelt § 31 II BauGB immer und uneingeschränkt Drittschutz. Denn insbesondere bei einem Dispens von den §§ 2 ff. BauNVO wird der „Gebietserhaltungsanspruch“ des Nachbarn tangiert, der sich unabhängig von einer persönlichen Betroffenheit gegen jede artfremde Bebauung wehren kann.
Bei einem Dispens von nicht nachbarschützenden Vorschriften bietet § 31 II BauGB nur Drittschutz nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots. Das Tatbestandsmerkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ gem. § 31 II a. E. BauGB macht hierbei deutlich, dass die betroffenen Baugebietsnachbarn in besonderer Weise geschützt werden sollen. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften ist in diesen Fällen erst gegeben, wenn die nachbarlichen Interessen in unzumtbarer Weise beeinträchtigt werden. Auch dies bemisst sich wiederum anhand der Abwägungsformel des BVerwG (s. oben.).
d) Merkmal „Einfügen“ iSv § 34 I 1 BauGB
Das BVerwG hat im Merkmal des „Einfügens“ iSv § 34 I 1 BauGB mithilfe der Auslegungsregel des Rücksichtnahmegebots die drittschützende Wirkung dieser Vorschrift erkannt. Ein Bauvorhaben „fügt“ sich danach nur dann in die vorhandene Umgebungsbebauung ein, wenn es die gebotene Rücksicht auf die bereits vorhandene Nachbarbebauung nimmt (Battis/Krautzberger/Löhr, § 34 Rn. 17). Das wird auch durch die Regelung über den Dispens von dem Erfordernis des „Einfügens“ in § 34 IIIa Nr.3 BauGB deutlich, der von der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ spricht.
e) „Schädliche Umwelteinwirkungen“ iSv § 35 III 1 Nr.3
Der drittschützende Charakter des § 35 BauGB kann mithilfe des Rücksichtnahmegebots insbesondere aus § 35 III 1 Nr.3 anhand des Merkmals der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ entnommen werden (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80). Denn gem. § 3 I BImschG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die geeignet sind, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (Rechtsgedanke des § 3 BImschG). Früher hat das BVerwG das Rücksichtnahmegebot z. T. als ungeschriebenen „öffentlichen Belang“ iSv § 35 III 1 BauGB eingeordnet (BVerwG NJW 1978, 62; sog. „Schweinemäster-Fall“). Das ist aber zum einen missverständlich, weil das Rücksichtnahmegebot eben kein selbständiges rechtliches Prinzip ist, sondern eine bloße Auslegungshilfe für das „Ob“ und „Wie“ des drittschützenden Charakters baurechtlicher Normen. Zum anderen spricht der Wortlaut „öffentlich“ gerade eher gegen den drittschützenden Charakter und macht eine besondere Schutzbedürftigkeit eines abgrenzbaren Personenkreises gerade nicht deutlich.
Auch auf privilegierte Vorhaben iSv § 35 I BauGB ist in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen, weil die gesetzliche Systematik des § 35 I und II BauGB deutlich macht, dass privilegierte Vorhaben im Außenbereich in besonderem Maße schützenswert sind. Privilegierte Grundstückseigentümer können sich deshalb insbesondere gegen eine heranrückende störende Außenbereichsbebauung wehren (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80).
IV.Klausurtipps
Zum Abschluss noch ein paar Tipps für Klausuren, die häufig zu beobachtende Fehlerquellen betreffen.
1. Da das „Rücksichtnahmegebot“ kein eigenständiges, übergesetzliches Prinzip ist, darf im Rahmen der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO und im Rahmen der Rechtsverletzung iSv § 113 I 1 VwGO nicht auf eine (mögliche) „Verletzung des Rücksichtnahmegebots“ abgestellt werden. Richtig ist vielmehr die Prüfung einer (möglichen) Verletzung einer drittschützenden einfachrechtlichen Norm in Verbindung mit dem Rücksichtnahmegebot (z. B.: „X kann geltend machen, möglicherweise in seinem subjektiven Recht aus dem Merkmal des „Einfügens“ iSv § 34 I 1 BauGB iVm dem Rücksichtnahmegebot verletzt zu sein.“).
2. Auch wenn § 113 I 1 VwGO eine zweistufige Prüfung nach objektiver Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung vorgibt, prüft man bei Baunachbarstreitigkeiten von vornherein nur, ob nachbarschützende Vorschriften verletzt sind. Die Baunachbaranfechtungsklage ist also begründet, „wenn der VA nachbarschützende Vorschriften verletzt“(!). Die Prüfung der objektiven Rechtswidrigkeit nicht nachbarschützender Normen ist nicht nur überflüssig, sondern sogar falsch. Es bietet sich deshalb an, im Rahmen der Klagebefugnis gem. § 42 II VwGO zu diskutieren, welche der gerügten Vorschriften nachbarschützend sind und welche nicht und sodann die mögliche Verletzung dieser drittschützenden Vorschriften festzustellen. In der Begründetheit wird dann nur noch die tatsächliche Verletzung der (übrig gebliebenen) nachbarschützenden Normen geprüft.

29.06.2012/10 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-06-29 08:00:462012-06-29 08:00:46Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht
Dr. Christoph Werkmeister

VGH Mannheim zum Mitentscheidungsrecht des Rates bei Erteilung einer Baugenehmigung

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht
Der VGH Mannheim entschied vor Kürzerem (Urteil v. 09.03.2012, Az. 1 S 3326/11), dass der Gemeinderat in einer Gemeinde, die auch für die Erteilung einer Baugenehmigung zuständig ist, kein Mitentscheidungsrecht i.S.d. § 36 BauGB hat. Es komme in derartigen Fällen mithin auf die Organzuständig an, die im vorliegend entschiedenen Fall nach Gemeinderecht beim  (Ober-)Bürgermeister lag.
Die Entscheidung ist äußerst examensrelevant, da ein fehlendes Einvernehmen gemäß § 36 BauGB als Verfahrensfehler zur Rechtswidrigkeit einer erteilten Baugenehmigung führt. Sofern allerdings keine Pflicht nach § 36 BauGB besteht, ist das fehlende Einvernehmen indes gegenstandslos.
Organzuständigkeit nach Gemeinderecht
Der VGH führte zunächst aus, dass § 36 BauGB zwar bestimme, dass die Baugenehmigungsbehörde bei bestimmten Bauvorhaben im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheide. Die betreffende Vorschrift sei nach einer Änderung der Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahr 2004 aber nicht anwendbar, wenn die Gemeinde zugleich die für die Erteilung der Baugenehmigung zuständige Behörde sei.

Die Frage, inwiefern der Gemeinderat über die Zu- oder Absage einer Baugenehmigung entscheiden kann, ergebe sich sodann aus dem jeweils einschlägigen Gemeinderecht. Regelmäßig seien dabei die Aufgaben der Baugenehmigungsbehörde in den Stadtkreisen und Großen Kreisstädten allein dem (Ober-)Bürgermeister  in eigener Zuständigkeit übertragen. Ein Mitwirkungsrecht des Gemeinderats sei regelmäßig nicht vorgesehen.

Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht
Der VGH argumentiert zudem auf bundes- sowie landesverfassungsrechtlicher Ebene. Auch im Rahmen einer Klausur sollte dieser normenhierarchiche Aspekt berücksichtigung finden. Im Ergebnis führte der VGH hierzu jedoch aus, dass sich auch aus der Gewährleistung des nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts bzw. dem Äquivalent aus der Landesverfassung ein solches Beteiligungsrecht ebenso wenig ableiten lasse.
Das Fehlen eines landesrechtlichen Mitentscheidungsrechts höhle auch nicht die gemeindliche Planungshoheit aus. Denn der in der Gemeindeordnung niedergelegte Grundsatz des organfreundlichen Verhaltens verpflichte den (Ober-)Bürgermeister zumindest zur Information des für die Bauleitplanung zuständigen Organs. Er müsse dieses Organ über ein konkretes Bauvorhaben möglichst frühzeitig und vollständig informieren, so dass es gegebenenfalls mit einem Instrument der Bauleitplanung reagieren  könne (gemeint war hier etwa die Möglichkeit des Erlasses einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB bzw. ein Antrag auf Zurückstellung der Entscheidung über den Bauantrag nach § 15 BauGB).
Folglich kann sich der Gemeinderat im vorliegenden Fall nicht auf einen Verstoß gegen § 36 BauGB berufen

27.03.2012/6 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-27 14:18:592012-03-27 14:18:59VGH Mannheim zum Mitentscheidungsrecht des Rates bei Erteilung einer Baugenehmigung
Dr. Christoph Werkmeister

VGH Mannheim zur baurechtlichen Zulässigkeit von Bordellen im Gewerbegebiet

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?
Der VGH Mannheim hatte sich zuletzt mit einer baurechtlichen Fragestellung auseinanderzusetzen (Beschluss v. 05.03.2012, Az. 5 S 3239/11). Es ging um die baurechtlich interessante Frage, ob ein Bordellbetrieb, in dem keine Prostituierten wohnen, im Gewerbegebiet allgemein zulässig ist oder ob es eine dort nur ausnahmsweise zulässige Vergnügungsstätte darstellt. Verfahrensrechtlich war der Rechtsstreit eingekleidet in ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (eingeleitet durch einen Nachbarn), wobei der Bordellbetreiber Beigeladener (§ 65 Abs. 2 VwGO) im Verfahren war.
In materiellrechtlicher Hinsicht ging es schwerpunktmäßig um die Auslegung der bauplanungsrechtlichen Norm des § 8 BauNVO. Derartige Fragestellungen finden sehr sehr häufig Eingang in Examensklausuren, da bei den Bearbeitern in aller Regel keine Spezialkenntnisse zur Auslegung der Normen der BauNVO vorliegen (es sei denn, man hält sich über examensrelevante Urteile auf dem Laufenden, was in weiten Teilen durch die Lektüre von Juraexamen.info unterstützt durch eine Ausbildungszeitschrift zu bewerkstelligen ist).

Die Beigeladene betreibt in einem Gebäude in einem Karlsruher Gewerbegebiet ein Bordell mit elf “Arbeitsräumen“, zwei “VIP-Bereichen“, einer Sauna, einem Empfangsbereich und sanitären Einrichtungen, aber ohne Wohnungen für Prostituierte. Nach dem Bebauungsplan sind Gewerbebetriebe aller Art zulässig, Vergnügungsstätten aber nur ausnahmsweise. Der Antragsteller ist Eigentümer eines ca. 130 m entfernten Grundstücks im Gewerbegebiet, auf dem er mit seiner Familie wohnt. Er machte geltend, ein Bordell passe nicht in ein Gewerbegebiet. Es sei eine Vergnügungsstätte. Weil die dafür notwendige Ausnahme nicht erteilt worden sei, verletze die Baugenehmigung sein Nachbarrecht auf Erhaltung des Gewerbegebiets. Außerdem beeinträchtigte das Bordell die Wohnnutzung auf seinem Grundstück rücksichtslos. Dem ist der VGH nicht gefolgt.
Ein Bordell sei ein in einem Gewerbegebiet allgemein zulässiger Gewerbebetrieb und keine Vergnügungsstätte im Sinne des Städtebaurechts. Der Begriff Vergnügungsstätte sei gesetzlich nicht definiert. Üblicherweise sei darunter eine gewinnbringende Freizeitunterhaltung zu verstehen, die den Sexual-, Spiel- und/oder Geselligkeitstrieb anspreche oder ausnutze, wie etwa in Amüsierbetrieben, Diskotheken oder Spielhallen. Das Städtebaurecht ordne solche speziellen Betriebe typischerweise innerstädtischen Kerngebieten zu, mit ihrem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher und die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Das gelte jedoch nicht für ein Bordell der hier gegebenen Art. Im Hinblick auf dessen allgemeine sozialethische Bewertung und die Begleiterscheinungen des “Rotlichtmilieus“ eigne sich dafür eher ein Standort außerhalb oder allenfalls am Rande des “Blickfeldes“ und der Treffpunkte einer größeren oder allgemeinen Öffentlichkeit und auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnungen. Ein Gewerbegebiet bezwecke gerade, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die wegen ihrer spezifischen Standortanforderungen und ihrer Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in anderen Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werde. Das gelte gerade auch für einen Bordellbetrieb. Dessen Auswirkungen seien mit einem Gewerbegebiet auch nicht von vornherein unvereinbar.
Für den Bordellbetrieb der Beigeladenen und das konkrete Gewerbegebiet in Karlsruhe gelte nichts Anderes. Auch störe dieser Betrieb die Wohnnutzung auf dem Grundstück des Antragstellers nicht rücksichtslos. Bewohner eines Gewerbegebiets könnten nicht denselben Schutz wie in einem Wohngebiet beanspruchen (Quelle: Pressemitteilung des VGH Mannheim).

24.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-24 10:09:592012-03-24 10:09:59VGH Mannheim zur baurechtlichen Zulässigkeit von Bordellen im Gewerbegebiet
Dr. Christoph Werkmeister

VGH Mannheim zu § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB – Mobilfunkmast im Außenbereich

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht
Der VGH Mannheim entschied mit Urteil vom 17.02.2012 (Az. 8 S 1796/10) über die Zulässigkeit des Bau eines Mobilfunkmasts im unbeplanten Außenbereich.
Mobilfunkmast zwar priviligiert
Nach Auffassung des Gerichts war der Mobilfunkmast nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert. Das Gericht kam zu diesem Ergebnis, obwohl es sich bei einem Mobilfunkmast um eine der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienende Anlage i.S.d. vorgenannten Vorschrift handelte.
Aber… Fehlende Ortsgebundenheit
Das Gericht kam zu dem abweichenden Ergebnis, da es indes an der weiteren Voraussetzung der „Ortsgebundenheit“ fehle. Dieses Kriterium erfordere, dass die Anlage nach ihrem Gegenstand und Wesen ausschließlich an der fraglichen Stelle betrieben werden kann. Der Betrieb müsse auf die geographische oder die geologische Eigenart der Stelle angewiesen sein. Daran fehle es, wenn wie im zu entscheidenden Fall der Standort im Vergleich zu anderen Stellen zwar Lagevorteile biete, das Vorhaben aber nicht damit stehe oder falle, ob es hier und so und nirgendwo anders ausgeführt werden könne.
Der VGH Mannheim bezieht sich an dieser Stelle auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG (vgl. etwa BVerwGE 96, 95). Diese erweiternde Auslegung ist ohne Kenntnis der Rechtsprechung schwerlich herleitbar und sollte deshalb beherrscht werden. Der Grundgedanke hinter dieser Auslegung besteht darin, dass nicht jeder Mast automatisch als privilegiert eingeordnet werden soll. Gesetzessystematisch lässt sich das Ergebnis so begründen, dass die verschiedenen in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten der Versorgung dienenden Bauten in einem Atemzug mit „ortsgebundenen gewerblichen Betrieben“ genannt werden. Hieraus lässt sich schließen, dass die vorgenannten Bauten ebenso ortsgebunden sein müssen. Nach der Rechtsprechung des BVerwG gilt das ungeschriebene Erfordernis der Ortsgebundenheit bei den Versorgungsbauten im Gegensatz zu den vorgenannten gewerblichen Betrieben allerdings zumindest in abgeschwächter Form, was sich wiederum durch das Fehlen einer explizit niedergeschriebenen Vorgabe begründen lässt. Im Einzelfall hat dies zur Folge, dass das Merkmal der Ortsgebundenheit bei allen in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten Vorhaben zu prüfen ist. Bei solchen, die dabei keine ortsgebundenen gewerblichen Betriebe sind, ist aufgrund des abgeschwächten Maßstabs allerdings eine ganze Bandbreite an Ergebnissen vertretbar.
Zum konkreten Fall des VGH Mannheim führte das Gericht aus, dass eine Standortuntersuchung ergeben habe, dass durchaus mehrere funktechnisch geeignete Standorte im Innenbereich vorlagen, an denen die vom Antragssteller verfolgten Funktionen ebenso gut erfüllt werden könnten. Auch der Umstand, dass die alternativ heranziehbaren Grundstücke für den hier betroffenen Antragssteller in zivilrechtlicher Hinsicht nicht verfügbar waren, änderte nichts an der hier geschilderten Auffassung des VGH.
19.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-19 16:24:432012-02-19 16:24:43VGH Mannheim zu § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB – Mobilfunkmast im Außenbereich
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG mit examensrelevanter Baurechtsentscheidung zur BauNVO

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?

Das BVerwG hat sich grundsätzlich zur baurechtlichen Zulässigkeit von Krematorien, also Anlagen zur Einäscherung bzw. Verbrennung von Leichen, in Gewerbegebieten geäußert. Im Einzelnen ging es um die Definition der Gebietsbestimmung des „Gewerbegebiets“ und den Begriff der „Anlage für kulturelle Zwecke“  i.S.d. § 8 Abs. 3 BauNVO.
Auch wenn das Thema beim ersten Anschein mitunter doch äußerst uninteressant aussieht, darf die Examensrelevanz solcher Entscheidungen nicht unterschätzt werden. Gerichtliche Baurechtssachverhalte, die eine argumentative Auslegung der Normen der BauNVO zum Gegenstand haben, werden nämlich sehr häufig 1:1 für Examensklausursachverhalte übernommen. So wurde etwa die Ausgangsentscheidung des OVG Münster des hier besprochenen Falles im Februar 2011 in NRW und Hessen als Examenssachverhalt herangezogen. Aus diesem Grund folgen hier die maßgebenden Überlegungen, die das BVerwG für die Auslegung der BauNVO angestellt hat.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat das Krematorium als eine in einem Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässige Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO eingeordnet. Dass ein Krematorium aus Gründen der Pietät in ein kontemplatives Umfeld einzubetten sei, widerspreche nicht der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Baugenehmigung aufgehoben. Zwar fällt ein Krematorium mit Abschiedsraum, das – wie hier – die Voraussetzungen einer Gemeinbedarfsanlage erfüllt, unter den Begriff einer Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Der Begriff ist ebenso offen angelegt wie der Begriff „Anlagen für kirchliche, soziale und gesundheitliche Zwecke“ und umfasst auch Einrichtungen der Bestattungskultur. Ungeachtet der Immissionsträchtigkeit der Verbrennungsanlagen stellt ein Krematorium mit Abschiedsraum ähnlich wie ein Friedhof einen Ort der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen dar. Eine solche Anlage verträgt sich aber entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets, das geprägt ist von werktätiger Geschäftigkeit. Das schließt es nicht aus, dass die Beklagte das betroffene Gebiet im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens unter Beteiligung der Öffentlichkeit überplant und so eine bauplanungsrechtliche Grundlage für das zwischenzeitlich errichtete Krematorium schafft. (Quelle: Pressemitteilung des BVerwG).

Die Besonderheit des Falles lag mithin darin, dass das Krematorium nicht bloß eine Verbrennungsanlage, sondern darüber hinaus noch einen Sterberaum enthielt. Im Rahmen einer Klausur wäre also zu argumentieren, dass Krematorien grundsätzlich in Gewerbegebieten zulässig sein können, dass von diesem Grundsatz aber eine Ausnahme zu machen ist, sofern das Krematorium den Charakteristika eines Friedhofs gleichkommt.

06.02.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-06 08:23:282012-02-06 08:23:28BVerwG mit examensrelevanter Baurechtsentscheidung zur BauNVO
Dr. Christoph Werkmeister

Rezension: Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage 2011

Rezensionen, Verschiedenes

Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage 2011, Verlag C.H. Beck, ISBN: 978-3-406-62761-3, Verkaufspreis 29,90 €
Das hier rezensierte Werk versteht sich als landesspezifisches Kompendium, das auf gut 600 Seiten die drei examensrelevanten Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts abdecken soll. Darüber hinaus enthält das Werk einen Abschnitt zum (weniger examensrelevanten) Landesverfassungsrecht. In den Augen des Rezensenten ist das Werk durchaus sehr gelungen, jedoch nicht in jedem Stadium des Studiums sinnvoll einsetzbar.
Inhalt
Neben der Besonderheit, dass spezifisch das Landesrecht NRW besprochen wird, gilt es die Aktualität des Lehrbuchs zu loben. Das JustizG NRW sowie die kürzliche Polizeirechtsreform sind im Lehrbuch berücksichtigt. Zudem fanden äußerst aktuelle Entscheidungen Eingang in das Buch.
Inhaltlich fällt zunächst einmal auf, dass gut 120 der knapp 620 Seiten einen Abschnitt zum Landesverfassungsrecht ausmachen. Für das Examen sind die dort geschilderten Ausführungen nicht zwingend notwendig. Wer also schnell auf die relevanten Rechtsgebiete springen möchte, sollte diesen Teil überspringen. Ich persönlich fand den Abschnitt zur Landesverfassung NRW allerdings äußerst interessant und sogar für Klausuren hilfreich. Zumindest diejenigen Kandidaten, die bereits Grundkenntnisse in den Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts und des Verfassungsrechts vorweisen können, erwerben in diesem Abschnitt sinnvolles Grundlagenwissen. Ohne entsprechendes Vorwissen halte ich die Lektüre dieses Abschnitts für verfehlt, da dies wohl mehr Verwirrung als Erkenntnis bringen wird.
Der Abschnitt zum Kommunalrecht baut anschließend auf den zuvor gewonnenen Erkenntnissen auf und vertieft zunächst die verfassungsrechtlichen Wurzeln des Kommunalrechts. Die Einleitung in das Rechtsgebiet fällt umfassend aus, bietet jedoch für den bereits vorbereiteten Leser erneut sinnvolles Hintergrundwissen. Sodann werden viel diskutierte kommunalrechtliche Fragestellungen erörtert. Dies erfolgt in prägnanter Form. klausurmäßige Aufbaufragen, wie sie etwa bei den Skripten namhafter Repetitoren zu finden sind, werden in diesem Werk konsequent auch nur vereinzelt und äußerst knapp dargestellt. Für mich persönlich war eine solche Darstellung gelungen, da sich die Probleme und Rechtssysteme so schnell erfassen ließen. Für jemanden, der sich das Gebiet allerdings erst erschließen möchte und insbesondere auch in der Klausurbearbeitung noch nicht erfahren ist, wird eine solche Art der Darstellung wohl regelmäßig zu knapp sein.
Die Abschnitte zum Polizei- und Baurecht ähneln dem kommunalrechtlichen Abschnitt sehr. Zu Beginn findet sich stets eine etwas breitere Einleitung in die Materie, die vertiefenden Background zu den jeweiligen Rechtsgebieten bietet. Derjenige, der lediglich wissen möchte, wie er die Klausur in diesen Rechtsgebieten am sinnvollsten bearbeitet, wird diese Einleitungen wohl erneut überspringen, um direkt zu den Rechtsproblemen zu gelangen.
Insgesamt lässt sich zu allen Abschnitten wohl sagen, dass die jeweiligen Ausführungen wohl knapper sind als die meisten vergleichbaren Lehrbücher, die jeweils explizit nur eines der Rechtsgebiete abdecken. M.E. enthalten diese Abschnitte dennoch alles, was für das Examen in den großen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts zu wissen ist. Klausurtaktik und vertiefende prozessuale Betrachtungen können angesichts der Kürze der Abschnitte natürlich nicht in umfassender Länge erwartet werden.
Lesbarkeit
Der optische Stil des Buches wirkt etwas altbacken, lässt sich jedoch gleichwohl angenehm lesen. Zum Schreibstil gilt es zu sagen, dass das Werk in dieser Hinsicht in allen Abschnitten äußerst gelungen ist. Sofern entsprechende Vorkenntnisse vorhanden sind, lässt sich das ganze wie ein einfacher Roman runterlesen und die wichtigsten Normstrukturen und Besonderheiten können stets schnell erfasst werden.
Fazit
In meinen Augen ist das Werk von Dietlein/Burgi/Hellermann eine perfekte Wahl für diejenigen Examenskandidaten, die bereits einige Vorkenntnisse in den drei Rechtsgebieten des Kommunal-, Polizei- und Baurechts gesammelt haben. Für eine erste Einführung in die Dogmatik und insbesondere für die Handhabe in der Klausur halte ich leichtere Kost (wie etwa die Werke der bekannten Repetitoren) zunächst für angemessen. Angesichts des geringen Preises spricht m.E. allerdings nichts dagegen, dass zunächst der Beginn der Examensvorbereitung im öffentlichen Recht mit anderen Werken eröffnet und dass sodann in einem zweiten Durchlauf das Werk von Dietlein/Burgi/Hellermann durchgelesen wird. Die bereits erarbeiteten Kenntnisse werden sich durch das Wiederholen der Materie setzen und gleichzeitig wird das Wissen an vielen Stellen vertieft. Da sich das Buch wirklich gut und einfach lesen lässt, wird ein solcher zweiter Durchgang der Rechtsgebiete auch nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen, so dass die Investition auch in Zeiten immer kürzer werdender Examensvorbereitungen sinnvoll ist.

20.10.2011/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-10-20 21:08:082011-10-20 21:08:08Rezension: Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage 2011

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12.06.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-06-12 09:39:522025-06-12 09:39:53Verkehrspflichten in der zivilrechtlichen Klausur
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW

Aktuelles, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Uncategorized, Verfassungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die […]

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04.06.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-06-04 08:43:322025-06-04 08:44:08Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW
Miriam Hörnchen

Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

Aktuelles, Examensvorbereitung, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Die vom VG Berlin zu beantwortende Frage, ob die Ablehnung einer Bewerbung für den Polizeidienst wegen sichtbarer Tätowierungen rechtswidrig erfolgt, wirft eine Vielzahl examensrelevanter Fragestellungen auf: Aufgrund der Eilbedürftigkeit im […]

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03.06.2025/0 Kommentare/von Miriam Hörnchen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2025-06-03 08:45:032025-06-06 10:50:46Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

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