VGH Mannheim zum Mitentscheidungsrecht des Rates bei Erteilung einer Baugenehmigung
Die Entscheidung ist äußerst examensrelevant, da ein fehlendes Einvernehmen gemäß § 36 BauGB als Verfahrensfehler zur Rechtswidrigkeit einer erteilten Baugenehmigung führt. Sofern allerdings keine Pflicht nach § 36 BauGB besteht, ist das fehlende Einvernehmen indes gegenstandslos.
Organzuständigkeit nach Gemeinderecht
Der VGH führte zunächst aus, dass § 36 BauGB zwar bestimme, dass die Baugenehmigungsbehörde bei bestimmten Bauvorhaben im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheide. Die betreffende Vorschrift sei nach einer Änderung der Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahr 2004 aber nicht anwendbar, wenn die Gemeinde zugleich die für die Erteilung der Baugenehmigung zuständige Behörde sei.
Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht
Der VGH argumentiert zudem auf bundes- sowie landesverfassungsrechtlicher Ebene. Auch im Rahmen einer Klausur sollte dieser normenhierarchiche Aspekt berücksichtigung finden. Im Ergebnis führte der VGH hierzu jedoch aus, dass sich auch aus der Gewährleistung des nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts bzw. dem Äquivalent aus der Landesverfassung ein solches Beteiligungsrecht ebenso wenig ableiten lasse.
Das Fehlen eines landesrechtlichen Mitentscheidungsrechts höhle auch nicht die gemeindliche Planungshoheit aus. Denn der in der Gemeindeordnung niedergelegte Grundsatz des organfreundlichen Verhaltens verpflichte den (Ober-)Bürgermeister zumindest zur Information des für die Bauleitplanung zuständigen Organs. Er müsse dieses Organ über ein konkretes Bauvorhaben möglichst frühzeitig und vollständig informieren, so dass es gegebenenfalls mit einem Instrument der Bauleitplanung reagieren könne (gemeint war hier etwa die Möglichkeit des Erlasses einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB bzw. ein Antrag auf Zurückstellung der Entscheidung über den Bauantrag nach § 15 BauGB).
Folglich kann sich der Gemeinderat im vorliegenden Fall nicht auf einen Verstoß gegen § 36 BauGB berufen
„Die Entscheidung ist äußerst examensrelevant, da ein fehlendes Einvernehmen gemäß § 36 BauGB als Verfahrensfehler zur formellen Rechtswidrigkeit einer erteilten Baugenehmigung führt. “
Auch wenn das gemeindliche Einvernehmen etwas „Formelles“ an sich hat, führt dessen Fehlen nicht zur formellen, sondern zur materiellen Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung – warum das so ist, verstehe ich aber auch nicht.
@AbberatioIctus: Es handelt sich bei § 36 BauGB sehr wohl um Verfahrensrecht, so dass eine Prüfung im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung erfolgen sollte.
Dies hat insbesondere zur Folge, dass § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG im Falle des Fehlens des gemeindlichen Einvernehmens Anwendung findet, wenn die Behörde ihre Genehmigung nachträglich erteilt (vgl. Bader/Ronellenfitsch/Schemmer, VwVfG, Stand: 01.01.2012, § 46, Rn. 48).
§ 46 VwVfG ist bei derartigen Verfahrensfehlern indes nicht anwendbar, da es sich bei § 36 BauGB um sog. absolutes Verfahrensrecht handelt. D.h. ein Verfahrensfehler in diesem Bereich ist immer beachtlich i.S.d. § 46 VwVfG.
Ein weiteres aktuelles Urteil zu § 36 BauGB
http://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht.jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA120601857
http://www.peter.lautenschlaeger.de/?p=86
VGHBW 1 S 3326/11 ist NICHT RECHTSKRÄFTIG. Der Fall liegr beim BVerwG.
Mit freundlichen Grüßen Peter LautenschlägerStadtrat http://www.WeinheimPlus.deWeitere Kontaktmöglichkeiten : Rechtsanwaltskanzlei P. LautenschlägerHorazweg 469469 Weinheim http://www.lautenschlaeger.de Mobil : 0162 774 7773Festnetz : 06201 494244
… also m.E. läufte es so : BVerwG 4 C 16.03 vom 19.08.2004 bestimmt in einem obiter dictum zum Innenrecht der Gemeinde : „Die Gefahr, dass der zuständige Rechtsträger ein Bauvorhaben über ihren Kopf hinweg genehmigt, besteht nicht. Zwar ist vorstellbar, dass dann, wenn innerhalb der Gemeinde für die Erteilung der Baugenehmigung und die Erklärung des Einvernehmens verschiedene Organe zuständig sind, bei Wegfall des förmlichen Einvernehmens eine Koordination unterbleibt und die Planungshoheit dadurch zu kurz kommt. Es ist aber Sache der Gemeinde selbst oder des Landesgesetzgebers, durch nähere kommunalverfassungsrechtliche Regelungen dafür zu sorgen, dass die Belange der Planungshoheit hinreichend gewahrt bleiben.“
Da weder Landesrecht, noch Bundesrecht die zuständigen Organe bestimmt (so auch VwBlBW 2011,136ff) ist es „Sache der Gemeinde“ in ihre hauptsatzung das zuständige Organ zu bestimmen. Im Zweifel ist das der Gemeinderat vgl. § 24 Abs. 1 S. 2 GemO-BW. Wenn der OB/BüM einer betroffenen Gemeinde seine Zuständigkeit behauptet, hat er das im Prozess zu beweisen.
Die verfahrensrechtliche Frage lautet also : Wer bestimmt wie und wo welche Organe etc. zur Entscheidung nach welchen Verfahren berufen sind.
Ach ja … VGH BW 1 S 3326/11 ist immernochnicht rechtskräftig (vgl. BVerwG 8 B 50.12).
MfG
P. Lautenschläger
BVerwG 8 B 50.12 Beschluss vom 17.01.2013 (Nichtzulassung der Revision) zeigt fast wortgleich mit BVerwG 4 C 16.03, den Gemeinderäten in Gemeinden mit „identischer“ (eigener) unterer Bauaufsichtsbehörde (z.B. Große Kreisstadt) auf:
„Die in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgesehene Mitwirkung der Gemeinde dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Dieses Schutzes bedarf die mit der Baugenehmigungsbehörde identische Gemeinde nicht; denn sie kann den Zweck des Einvernehmens selbst erfüllen (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 36 Rn. 15). § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist auf das Verhältnis der Gemeinde zu der Baugenehmigungsbehörde eines anderen Rechtsträgers zugeschnitten. Die Gefahr, dass der zuständige Rechtsträger ein Bauvorhaben über den Kopf der Gemeinde hinweg genehmigt, besteht nicht. Zwar ist vorstellbar, dass dann, wenn innerhalb der Gemeinde für die Erteilung der Baugenehmigung und die Erklärung des Einvernehmens verschiedene Organe (Behörden) zuständig sind, bei Wegfall des förmlichen Einvernehmens eine Koordination unterbleibt und die Planungshoheit dadurch zu kurz kommt. Es ist aber Sache der Gemeinde selbst oder des Landesgesetzgebers, durch kommunalverfassungsrechtliche Regelungen dafür zu sorgen, dass die Belange der Planungshoheit hinreichend gewahrt bleiben. Aus Sicht des Bundesgesetzgebers bestand keine Veranlassung für die Einführung eines gesonderten Verfahrens zur internen Abstimmung zwischen verschiedenen Organen der Gemeinde; das Bundesrecht enthält insoweit auch keine verfassungsrechtlichen Vorgaben (Urteil vom 19. August 2004 – BVerwG 4 C 16.03 – BVerwGE 121, 339 = Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 57 S. 12 m.w.N.). Der mit der Baugenehmigungsbehörde identischen Gemeinde wird durch den Ausschluss des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB zwar eine verfahrensrechtliche Position in vorprozessualen behördlichen Genehmigungsverfahren vorenthalten. Daraus erwächst ihr jedoch kein rechtlich relevanter Nachteil, weil ihr die Befugnis, sich gegenüber der Widerspruchsbehörde auf den Schutz der materiell-rechtlichen Planungshoheit zu berufen, nicht abgeschnitten wird (Urteil vom 19. August 2004 a.a.O. S. 344 bzw. S. 13 m.w.N.).“
M.E. spricht auch der seit 2010 neu eingeführte § 54 Abs. 4 LBO-BW dafür, daß das „materielle Einvernehmen“ von Gemeinderäten der betroffenen Gemeinden erklärt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Lautenschläger
Rechtsanwalt und Diplom Jurist
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