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Schlagwortarchiv für: BauGB

Dr. Yannik Beden, M.A.

Die 15 wichtigsten Begriffe im Bauplanungsrecht

Baurecht, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Von Studenten oftmals unterschätzt, kommt dem öffentlichen Baurecht in der juristischen Ausbildung eine mit dem Polizei- und Ordnungsrecht vergleichbare Klausurrelevanz zu. Einen Überblick zu den Basics im öffentlichen Baurecht wurde bereits in unserem Beitrag vom 20.11.2013 (s. hier) gegeben. Das bundesweit einheitliche Bauplanungsrecht ist dabei besonders häufig Gegenstand von Baurechtsklausuren, da es sich leicht in die Rechtmäßigkeitsprüfung eines baulichen Vorhabens integrieren lässt. Auch wenn in diesem Rechtsgebiet vergleichsweise wenig gefestigte Definitionen von Prüflingen erwartet werden, gibt es einige wenige Begriffe, die jedem Studierenden bekannt sein müssen.
 

  • „Bauliche Anlage“S.v. § 29 I BauGB

ist jede Anlage, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden ist und bodenrechtliche Relevanz hat.
 

  • „Bodenrechtliche Relevanz“ des Vorhabens als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 29 I BauGB

ist gegeben, wenn die bauliche Anlage die in § 1 V BauGB genannten Belange in einer Weise berührt oder berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.
 

  • „Ortsteil“S.v. § 34 I BauGB

ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen, gewachsenen baulichen Siedlungsstruktur ist.
 

  • „Bebauungszusammenhang“S.v. § 34 I 1 BauGB

liegt vor, wenn eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck von Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt.
 

  • „Ortsgebundenheit“S.v. § 35 I Nr. 3 BauGB

besteht, wenn das Vorhaben seinem Wesen nach ausschließlich an einer bestimmten Stelle – aufgrund deren geographischer oder geologischer Eigenart – betrieben werden kann.
 

  • „Erschließung“ S.v. §§ 30 ff. BauGB

erfordert einen Anschluss des Grundstücks zumindest an das öffentliche Straßenverkehrsnetz, die Wasserversorgung und (jedenfalls im Innenbereich) die Stromversorgung und das Abwassersystem
 

  • Gebot der Gebietsverträglichkeit (zu beachten bei §§ 2-9 BauNVO)

ist verletzt, wenn ein Vorhaben in Bezug auf den Gebietscharakter des konkreten Baugebiets in seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt. Notwendig ist eine doppelte, typisierende Betrachtung, nämlich hinsichtlich (1) der typischen Nutzungsweise des Vorhabens und (2) der typischerweise vorherrschenden Nutzungsart des jeweiligen Gebiets.
 

  • Passiver Bestandsschutz

zielt darauf ab, die rechtmäßig erlangte Nutzungsbefugnis an einem Grundstück oder Gebäude auch dann zu aufrechtzuerhalten, wenn die maßgebenden baurechtlichen Vorgaben sich geändert haben und das Bauwerk nach dem aktuell geltenden Recht nicht mehr zulässig wäre.
 

  • Gebot der planerischen Konfliktbewältigung

verpflichtet die Gemeinde, die durch einen Bebauungsplan geschaffenen oder diesem zurechenbare Konflikte im Bebauungsplan selbst zu lösen. Die Planung darf deshalb nicht dazu führen, dass durch den Bebauungsplan hervorgerufene Konflikte zulasten der Betroffenen ungelöst bleiben.
 

  • Kommunales Abstimmungsgebot i.S.v. § 2 II 1 BauGB

fordert in materieller Hinsicht, dass die Bauleitpläne bzw. städtebaulichen Belange der benachbarten Gemeinde von der planenden Gemeinde in ihre Abwägung einbezogen werden. In formeller Hinsicht ist ggf. eine Beteiligung der von der Planung potentiell betroffenen Nachbargemeinde erforderlich.
 

  • Gebot der Rücksichtnahme

bedeutet, dass Vorhaben und Nutzungen, die einander belasten, nur in rücksichtsvoller Art und Weise einander zugeordnet werden sollen. Das Gebot der Rücksichtnahme stellt kein eigenständiges, das gesamte Bauplanungsrecht umfassendes Gebot dar, sondern ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut zur Auslegung baurechtlicher Vorschriften.
 

  • Nachbarn bzw. benachbarte Grundstücke

bedeutet im Baurecht alle Grundstücke, die durch das Vorhaben in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt werden können. Maßgeblich ist sowohl die Art des Vorhabens, als auch dessen konkrete Auswirkungen auf das benachbarte Grundstück. Zu den Nachbarn zählen im Grundsatz alle dinglich Berechtigten, wohingegen obligatorisch Berechtigte nach Ansicht des BVerwG i.d.R. nicht „Nachbarn“ sind.
 

  • Nachbar- bzw. drittschützende Wirkung

entfalten nach der Rechtsprechung des BVerwG alle baurechtlichen Vorschriften, die erkennen lassen, dass in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
 

  • Gebietserhaltungsanspruch

gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht.
 

  • Gebietsprägungserhaltungsanspruch

ist der auf das Baugebiet begrenzte Abwehranspruch eines Dritten gegen ein Vorhaben, das in dem konkreten Baugebiet regelmäßig zulässig, also mit der Gebietsart vereinbar, jedoch (generell) gebietsunverträglich ist, weil es aufgrund seiner Nutzungsweise störend wirkt. Eine konkrete oder individuelle Betroffenheit des Dritten ist nicht notwendig.

30.10.2017/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2017-10-30 12:00:222017-10-30 12:00:22Die 15 wichtigsten Begriffe im Bauplanungsrecht
Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Baurechtliche Beurteilung einer Krypta im Industriegebiet

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat mit Beschluss vom 09. Mai 2016  – 1 BvR 2202/13 einen Fall entschieden, der sich ideal sowohl für eine verwaltungsrechtliche als auch eine verfassungsprozessrechtliche Klausur eignet. Bekannt sein sollte jedem Examenskandidaten das Problemfeld der religösen Begräbnisstätten im Baurecht. Insoweit ist in Klausuren bei Prüfung der Voraussetzungen der §§ 30 ff. BauGB und der Normen der BauNVO häufig eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechte vorzunehmen: Art. 4 GG der Bauherrn sowie Art. 14 GG und Art. 12 GG der Nachbarn.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Die Beschwerdeführerin ist eine vereinsrechtlich organisierte Glaubensgemeinschaft und gehört der Erzdiözese der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland an. Im Jahr 1994 errichtete sie auf einem Grundstück in einem Industriegebiet ein Kirchengebäude. Im Jahr 2005 beantragte die Beschwerdeführerin die Genehmigung zur Umnutzung eines Lagerraums im Untergeschoss des Kirchengebäudes in eine Krypta mit zehn Begräbnisplätzen, was von den zuständigen Behörden abgelehnt wurde. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen die Versagung der Genehmigung blieb ohne Erfolg.

Der VGH Baden-Württemberg (09.09.2009 – 3 S 2679/08 ) hielt in der zugrunde liegenden Entscheidung insbesondere fest, dass die „Hauskirchenbestattung“ für die Beschwerdeführer keinen zwingenden Glaubenssatz darstellten:

An diesen Vorgaben gemessen bewertet der Senat das Bedürfnis, über eine Krypta zur Bestattung der Gemeindepriester in der eigenen Kirche zu verfügen, zwar als einen vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG erfassten Teil des traditionellen Ritus der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft, nicht jedoch als einen aktuellen zwingenden Bestandteil der Religionsausübung im engeren Sinn.

II. Lösung des BVerfG
Das BVerfG stellt zunächst fest, dass der Schutzbereich des Art. 4 GG eröffnet ist und dieses Grundrecht nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden könne.

  • Der postmortale Persönlichkeitsschutz der Toten kommt vorliegend als widerstreitendes Verfassungsgut nicht in Betracht, da die zu beerdigenden Geistlichen ihre personale Würde gerade im untrennbaren Zusammenhang mit den ihrem Glauben zugrunde liegenden Regeln sehen.
  • Gleiches gilt für die Totenruhe, die ebenfalls subjektiv zu bestimmen ist.
  • Auch das Pietätsempfinden der Hinterbliebenen oder der Allgemeinheit muss als Rechtfertigungsgrund ausscheiden, da insoweit die subjektive Entscheidung der Geistlichen Vorrang genießt.

Wichtig: Das BVerfG stellt hiermit fest, dass die subjektive Bestimmung durch die Geistlichen einen hohen Stellenwert hat und damit der Persönlichkeitsschutz sowie das Pietätsempfinden Dritter keine Einschränkung der Religionsfreiheit erlaubten.
Kollidierendes Verfassungsrecht liegt jedoch mit dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Grundstücksnachbarn vor. Diese Grundrechte sind mit der Religionsfreiheit im Wege praktischer Konkordanz zu vereinen: nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen darf bevorzugt und maximal behauptet werden, sondern alle Rechte müssen einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren.
Das BVerfG greift die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg in zwei Punkten an:

  • Keine konkrete Feststellung der Konflikte zwischen Begräbnis und Eigentumsnutzung durch Nachbarn. Insbesondere ist kaum Unterschied zwischen Kirche mit oder ohne Krypta festgestellt worden.
  • Eigene Wertung des VGH, dass kein zwingender Glaubenssatz vorliege. Zu dieser Feststellung ist ein Gericht grundsätzlich nicht befugt, allein eine Plausibilitätskontrolle, u.U. anhand eines Sachverständigengutachtens, ist möglich.

III. Klausurrelevanz
Verwaltungsrechtliche Klausur: Im Rahmen der Prüfung der BauNVO kann die Zuordnung zu einem Baugebiet schwerfallen. Dann ist jedoch eine Ausnahmevorschrift anzuwenden, etwa § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Auch ist Art. 4 GG bei der Abwägung mit nachbarlichen Interessen nach § 15 BauNVO zu prüfen. Ebenso kann eine Befreiung etwa nach § 31 BauGB in Betracht kommen. Jedenfalls sind die Wertungen des Art. 4 GG zwingend in der Klausur an geeigneter Stelle zu berücksichtigen.
Verfassungsrechtliche Klausur: In Betracht kommt eine Verfassungsbeschwerde (wie vorliegend) der Gemeinde bzw. deren Mitgliedern. Dann ist die hier dargestellte Grundrechtsprüfung wie bekannt durchzuführen.

22.06.2016/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2016-06-22 09:27:002016-06-22 09:27:00BVerfG: Baurechtliche Beurteilung einer Krypta im Industriegebiet
Dr. Stephan Pötters

VG Koblenz: Swimmingpool an einem im Außenbereich gelegenen Wohngebäude nicht genehmigungsfähig

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite

Baurecht im Examen
Das Baurecht muss schon im ersten Staatsexamen in den Grundzügen beherrscht werden, besonders wichtig wird es aber für das Assessorexamen. Besonders examensrelevant sind dabei vor allem Entscheidungen zum Bauplanungsrecht, insb. zu den §§ 34, 35 BauGB. Zu diesem Bereich ist aktuell eine Entscheidung des VG Koblenz (Urteil vom 25. September 2014, 1 K 111/14.KO) ergangen, die so 1:1 auch Gegenstand einer Klausur sein kann.
Sachverhalt
Dem Fall lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde (nach Pressemitteilung Nr. 30/2014 des VG Koblenz vom 6.10.2014): Die klagenden Eheleute sind Eigentümer eines genehmigten Wohngebäudes im Außenbereich von Koblenz. In unmittelbarer Nähe hierzu befindet sich ein von ihnen betriebenes Waldhotel mit Wildgehege und Parkmöglichkeiten. Nachdem die zuständige Bauaufsichtsbehörde der Stadt Koblenz eine Baugenehmigung zur Errichtung eines privaten Schwimmbades 2003 abgelehnt hatte, stellte sie im Juli 2011 fest, dass im Garten der Kläger östlich des Wohnhauses eine Poolanlage errichtet wurde. Daraufhin wurde einem der Kläger die Beseitigung der Poolanlage unter gleichzeitiger Verfüllung der Baugrube mit unbelastetem Erdreich aufgegeben. Ferner untersagte die Behörde die Nutzung der entstehenden Freifläche zu „wie auch immer gearteten Zwecken“. Für den Falle der Zuwiderhandlung wurden Zwangsmittel (Zwangsgeld) angedroht. Die Kläger legten sodann für ihr privates Schwimmbad abermals Bauunterlagen vor und beantragten nochmals eine Baugenehmigung. Deren Erteilung wurde von der Stadt Koblenz abermals versagt. Die Kläger begehren nun die Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung. Zugleich wendet sich einer der Kläger gegen die Beseitigungsverfügung sowie die Nutzungsuntersagung mit Zwangsmittelandrohung.
Lösung des VG Koblenz
Das VG Koblenz hat die Klage im Hinblick auf den Verpflichtungsteil (Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung) abgelehnt. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für ein Schwimmbecken. Dem Vorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen. Es verstoße namentlich gegen § 35 Abs. 2, 3 BauGB.
Unstreitig ging es hier um ein Vorhaben im Außenbereich. Die Kläger hatten vorgetragen, dass es sich um ein privilegiertes Vorhaben i.S.v. § 35 Abs. 1 BauGB handele; dem schloss sich das VG nicht an. Die Poolanlage sei weder selbst ein privilegiertes Vorhaben, noch könne sie als eine Nebenanlage zu einem privilegierten Vorhaben angesehen werden. Das Gericht begründet dies ausführlich und überzeugend:

„Selbst die Kläger behaupten nicht, dass das geplante Schwimmbecken als solches, das heißt unter Ausblendung des offenbar als privilegiertes Vorhaben im Jahr 1998 genehmigten und errichteten Wohngebäudes, einem Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dient. Sie meinen aber, die Poolanlage werde von der Privilegierung des Wohnhauses gleichsam „mitgezogen“ […].
Dieser Argumentation vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Dabei erscheint es aus Sicht des Gerichts bereits zweifelhaft, ob das im Jahr 1998 genehmigte Wohn- bzw. Nebengebäude der Kläger den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB für sich in Anspruch nehmen kann. Weder den Verwaltungsvorgängen noch den Ausführungen der Beteiligten lässt sich entnehmen, inwiefern das Wohnhaus der Inhaber eines Waldhotels mit Freigehege und Waldmuseum einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient. Selbst wenn aber eine solche Privilegierung für das Hauptgebäude unterstellt würde, lässt sich die Rechtsauffassung der Kläger nicht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO stützen. Nach dieser Vorschrift sind zwar auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Doch wie bereits ihr Wortlaut („in dem Baugebiet“, vgl. § 1 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauNVO) hinreichend verdeutlicht, findet sie im Außenbereich keine Anwendung […]. Auch eine analoge Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Denn eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, NuR 2013, 417). An einer solchen (planwidrigen) Lücke fehlt es im Fall der Kläger, weil die für den Außenbereich geltende Bestimmung des § 35 BauGB den vorliegenden Sachverhalt abschließend regelt (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2013, a. a. O.).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Schwimmbeckens richtet sich damit nach § 35 Abs. 1 BauGB. Ob eine für sich genommen nichtprivilegierte Nebenanlage an der Privilegierung einer Hauptanlage teilnimmt, ist durch Auslegung des Tatbestandsmerkmals „dienen“ in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB im Blick auf die Hauptanlage und deren Ausstattung zu bestimmen. Bei dieser Auslegung ist der Grundgedanke des § 35 BauGB, dass der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll, zu beachten; durch ihn wird die Privilegierung eingeschränkt.
Das Merkmal des Dienens nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist also auch dann zu verneinen, wenn ein Vorhaben zwar nach seinem Verwendungszweck grundsätzlich gerechtfertigt ist, doch nach seiner Ausgestaltung, Beschaffenheit oder Ausstattung nicht mehr durch diesen Verwendungszweck geprägt wird. Deswegen muss auch die Ausstattung eines im Außenbereich geplanten Wohnhauses verkehrsüblich und noch hinreichend vom Verwendungszweck geprägt sein, wobei zur Ausstattung grundsätzlich auch etwaige bauliche Nebenanlagen gehören können (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2013, a. a. O., Rn. 30).
Dies vorausgeschickt zählt der Swimmingpool der Kläger nicht mehr zu der verkehrstypischen Ausstattung ihres Wohnhauses. Er lässt sich weder mit einer von der Rechtsprechung noch als angemessen angesehenen Pkw-Garage noch – wie die Kläger meinen – mit einer Terrasse vergleichen. Während sich die Verkehrsüblichkeit einer Garage daraus ergibt, dass zur funktionsgerechten Nutzung auch eines im Außenbereich gelegenen Wohngebäudes die Möglichkeit gehört, ein Kraftfahrzeug (sicher) abstellen zu können (BVerwG, Urt. v. 17.01.1986 – 4 C 80.82 – BVerwGE 72, 362), folgt dies für eine Terrasse daraus, dass es sich hierbei nach der Verkehrsanschauung um eine (weit verbreitete) Fortsetzung der Wohnnutzung in den Grundstücksaußenbereich handelt, die in aller Regel unmittelbar an das Wohngebäude anschließt, jedenfalls aber stets einen engen räumlichen wie funktionalen Bezug zu dem Wohngebäude aufweist. Dementsprechend verfügt eine Vielzahl von Wohngebäuden über Garagen bzw. Terrassen. Ein Swimmingpool ist dagegen in keiner Weise verkehrsüblich, da Wohnhäuser regelmäßig nicht über eine solche Einrichtung verfügen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2013, a. a. O., Rn. 31). Pools gehören zudem nicht zur funktionsgerechten Nutzung einer Wohnung. Zwischen einer Garage oder Terrasse und dem Schwimmbecken besteht daher insoweit ein entscheidender Unterschied. Ihre unterschiedliche Behandlung kann deshalb auch nicht als sinnwidrig angesehen werden, auch wenn etwa eine Garage für den Betrachter optisch deutlich stärker in Erscheinung tritt als ein in den Boden eingelassenes Schwimmbecken, das vorliegend zudem aufgrund der konkreten Örtlichkeit von der Straße aus nicht wahrgenommen werden kann.“

Somit steht als ein erstes Zwischenergebnis fest, dass kein privilegiertes Vorhaben vorliegt. Als ein „sonstiges“ Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ist der Bau der Poolanlage mithin bereits dann unzulässig, wenn öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB „beeinträchtigt“ werden. Dies war hier der Fall: Zum einen widersprach das Vorhaben dem Flächennutzungsplan (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB); zum anderen lässt es die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Darüber hinaus wäre sicherlich auch eine Bejahung von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 BauGB vertretbar.
Die letzte – in der Klausur oft übersehene! – Möglichkeit, um die Zulässigkeit des Vorhabens noch zu retten, war somit § 35 Abs. 4 BauGB. Aber auch dies lehnte das VG ab:

„Soweit sich die Kläger auf die Möglichkeit einer erleichterten Zulassung des Bauvorhabens nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB berufen, teilt die Kammer diese Rechtsauffassung nicht. Von einer angemessenen Erweiterung eines Wohngebäudes kann begrifflich bei der Errichtung einer zweiten, vom Wohngebäude räumlich abgesetzten, eigenständigen baulichen Anlage nicht mehr die Rede sein (BVerwG, Urt. v. 12.03.1998, BVerwGE 106, 228; …). Durch § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB sollen keine neuen Baurechte geschaffen, sondern nur Härten und Schwierigkeiten beseitigt werden, um dem Eigentümer eine angemessene Wohnraumversorgung zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 06.10.1994, DÖV 1995, 199). Die zusätzliche Beeinträchtigung des Außenbereichs hält sich in Grenzen, wenn das ohnehin Vorhandene zwar erweitert wird, die Zahl der baulichen Anlagen sich hierdurch aber nicht erhöht. Dagegen sind Baumaßnahmen, die wie hier in keinem unmittelbaren bautechnischen Zusammenhang mit dem geschützten Baubestand stehen, geeignet, der Gefahr einer verstärkten Zersiedelung des Außenbereichs Vorschub zu leisten.“

Somit war die Verpflichtungsklage mangels Anspruch der Kläger abzuweisen. Gleiches gilt für die Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsverfügung (synonym: Abrissverfügung; Rechtsgrundlage in RLP: § 81 Satz 1 BauO; in NRW: § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO). Das Schwimmbecken im Außenbereich ist formell illegal, weil es ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet worden ist. Wie dargelegt fehlt es dem Vorhaben zudem an der Genehmigungsfähigkeit, es ist also auch materiell illegal. Ermessensfehler waren nicht ersichtlich.
Erfolgreich war hingegen die Anfechtung der Nutzungsuntersagung und der damit verbundenen Zwangsgeldandrohung:

„Die ebenfalls auf § 81 Satz 1 LBauO gestützte Nutzungsuntersagung ist hingegen rechtswidrig. Die Beklagte kann sich für das von ihr ausgesprochene Nutzungsverbot von Freiflächen auf dem in Rede stehenden Grundstück der Kläger bereits nicht auf die Vorschrift des § 81 Satz 1 Alt. 2 LBauO stützen. [Danach sind] Nutzungen zu untersagen, die ohne die erforderliche Baugenehmigung ausgeübt werden oder die Variationsbreite einer erteilten Baugenehmigung überschreiten. […] Eine Ermächtigung, den Eigentümer eines Grundstücks zu verpflichten, jegliche Nutzung seines Grundstücks zu unterlassen, enthält deshalb § 81 Satz 1 Alt. 2 LBauO schon nach seinem Wortlaut nicht. Im Übrigen würde eine derartige Nutzungsuntersagung das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum unverhältnismäßig einschränken […]. Das vollständige Nutzungsverbot würde dazu führen, dass dem Kläger zu 1) noch nicht einmal die Nutzung des betroffenen Grundstücksteils als Wiese ermöglicht wird. Es führte daher letztlich zu größeren Beschränkungen, als dies bei der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes und mithin einer Gartenfläche selbst der Fall wäre.“

Ist die ausgesprochene Nutzungsuntersagung rechtswidrig, kann auch die damit verbundene Zwangsgeldandrohung keinen Bestand haben, denn sie kann nicht zur Durchsetzung einer rechtswidrigen und deshalb aufzuhebenden Grundverfügung erlassen werden. Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang, dass sich die Beseitigungsverfügung als rechtmäßig erweist. Die Zwangsgeldandrohung habe ein einheitliches Zwangsgeld für die Durchsetzung von Beseitigungsverfügung und Nutzungsuntersagung zum Gegenstand. Ihr liege daher eine einheitliche Ermessensausübung hinsichtlich der Zwangsgeldhöhe zugrunde. Angesichts des einheitlichen Regelungscharakters lasse sich diese Zwangsgeldandrohung nicht in zwei selbständige Teile mit eigenständigen Ermessenserwägungen trennen, sie ist daher insgesamt rechtswidrig.
Weiterführende Lesehinweise
Zur Wiederholung und Vertiefung des examensrelevanten Wissens im Baurecht ist auf folgende Beiträge hinzuweisen:

  • Urteil zu Mobilfunkmasten im Außenbereich
  • Grundlagenwissen im Baurecht, insb. mit Blick auf das Assessorexamen
  • Übersicht zu Problemen rund um die Bauordnungsverfügung
  • sowie schließlich ein hervorragender Beitrag zum Nachbarschutz im Baurecht.

07.10.2014/4 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2014-10-07 08:30:072014-10-07 08:30:07VG Koblenz: Swimmingpool an einem im Außenbereich gelegenen Wohngebäude nicht genehmigungsfähig
Dr. Stephan Pötters

Grundlagenwissen Baurecht für das Assessorexamen

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht
Das Baurecht muss schon im ersten Staatsexamen in den Grundzügen beherrscht werden, besonders wichtig wird es aber für das Assessorexamen. Viele Probleme des Baurechts müssen dabei als abrufbares Wissen präsent sein, da – anders als etwa im Zivilrecht – keine Kommentierung als Hilfsmittel zugelassen ist. Die nachfolgende Übersicht mit den wichtigsten Wissensbausteinen kann als „Crashkurs“ bzw. Kurzwiederholung vor den Prüfungen dienen.
 
I. Verfassungsrechtliches

1. Bundeskompetenzen nach Art. 74 I Nr. 18, 30 und 31 GG
2. Verwaltungskompetenz der Länder für gesamtes BauR nach Art. 83 GG
3. Planungshoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II GG)
4. „Baufreiheit“ als Teil des Privateigentums nach Art. 14 I 1 GG? Sehr problematisch wegen Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 I 2 GG; idR keine unmittelbaren Ansprüche aus Art. 14 GG ableiten, aber: verfassungskonforme Auslegung des einfachen Baurechts kann mitunter auch in der Klausur wichtig sein, insb. bei § 35 II BauGB (hier idR Ermessensreduktion zugunsten des Bauherren) und bei Verhältnismäßigkeitsprüfung im GefahrenabwehrR
 
II. Der Bebauungsplan
1. Enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung, § 8 BauGB; positive und negative Wirkung, d.h. er bestimmt verbindlich welche Vorhaben zulässig sind i.S.v. §§ 30-33 BauGB
2. Die in § 9 Abs. 1 bis Abs. 4 BauGB genannten Festsetzungen sind eine erschöpfende Aufzählung; Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB müssen solche der BauNVO sein

  • Art der baulichen Nutzung: §§ 1 ff. BauNVO
  • Maß der baulichen Nutzung: §§ 16 ff. BauNVO

3. Rechtsnatur: Satzung (§ 10 BauGB); Rechtmäßigkeit mit Normenkontrolle § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO überprüfbar
4. Formelle Rechtmäßigkeit eines BPlans (insb. § 2 bis § 4c, § 9 Abs. 8 und § 10 BauGB)

  • Aufstellungsbeschluss (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB) und ortsübliche Bekanntmachung
  • Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB, Material: § 1 Abs. 6 und § 1a BauGB)
  • Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB), Ausnahme § 13 Abs. 3, 13a Abs. 2 Nr.1 BauGB
  • Erstellung einer Begründung zum Bebauungsplanentwurf und Anfertigung eines Umweltberichts (§ 2a BauGB)
  • Vorgezogene Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4a BauGB)
  • Vorgezogene Behördenbeteiligung (§ 4 Abs. 1 BauGB, § 4a BauGB)
  • Bekanntmachung von Ort und Dauer der Auslegung (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB)
  • Auslegung des Bebauungsplans (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB)
  • Einholung von Behördenstellungnahmen (§ 4 Abs. 2, § 4a BauGB) und Prüfung
  • Mitteilung des Ergebnisses der Prüfung von Stellungnahmen (§ 3 Abs. 2 Satz 4 und 5 BauGB)
  • Ordnungsmäßiger Satzungsbeschluss (§ 10 Abs. 1 BauGB i.V.m. den landesrechtlichen Gemeindeordnungen)
    –> Vereinbarkeit des Satzungsbeschlusses mit den kommunalrechtlichen Vorschriften!
  • Begründung des Beschlusses (§ 9 Abs. 8 BauGB)
  • Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§ 10 Abs. 2 BauGB)
  • Bekanntmachung des Beschlusses bzw. der Genehmigung (§ 10 Abs. 3 BauGB)

5. Materielle Rechtmäßigkeit eines BPlans

  • Erforderlichkeit der Planung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB)
  • Einhaltung der zulässigen Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 bis 7 BauGB = Typenzwang
  • Anpassungsgebot (§ 1 Abs. 4 BauGB)
  • Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB)
  • Interkommunales Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB)
  • Ordnungsgemäße Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB (die zu berücksichtigenden Belange werden in § 1 Abs. 6 und § 1a BauGB aufgezählt)
  • Fehler im Abwägungsvorgang, die nicht (nur) die Zusammenstellung und Bewertung des Abwägungsmaterials nach § 2 Abs. 3 BauGB betreffen: Abwägungsausfall, Abwägungsfehleinstellung (planfremde Ziele), Abwägungsfehleinschätzung
    –> nach § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB jedenfalls dann beachtlich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind
  • Fehler im Abwägungsergebnis: Abwägungsdisproportionalität –> stets beachtlich!

6. Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit, §§ 214 f. BauGB: Soweit Fehler unbeachtlich sind (§ 214 BauGB) oder unbeachtlich geworden (§ 215 BauGB) sind, ist der Bebauungsplan trotz des Fehlers wirksam und für jedermann verbindlich. Soweit ein Fehler beachtlich ist, ist der Bebauungsplan „ungültig“ und „unwirksam“ (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO) und entfaltet keine Rechtswirkungen. Nach § 214 Abs. 4 BauGB kann durch ein „ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern“ der Bebauungsplan auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Hieraus folgt, dass der unwirksame Bebauungsplan bis zur Behebung des Fehlers im ergänzenden Verfahren nur „schwebend unwirksam“ ist.
 
III. Schema: Zulässigkeit eines Vorhabens im Innenbereich, § 34 BauGB
1. Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB
2. Innenbereich (§ 34 Abs. 1, 4 BauGB)
3. Sich-Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung
a) nach Art der baulichen Nutzung

  • § 34 Abs. 2 BauGB (–> BauNVO, § 31 BauGB)
  • § 34 Abs. 1 BauGB

b) nach Maß der baulichen Nutzung
c) Bauweise
d) überbaubare Grundstücksfläche
e) Abweichung gem. § 34 Abs. 3a BauGB
4. § 34 Abs. 1 S. 2 BauGB: Wahrung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, keine Beeinträchtigung des Ortsbildes
5. keine Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche (§ 34 Abs. 3 BauGB)
6. gesicherte Erschließung
 
IV. Schema: Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich, § 35 BauGB
1. Vorhaben
2. im Außenbereich
3. privilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs.1 BauGB)

  • einer der Fälle des § 35 Abs.1 Nr. 1-6 BauGB
  • kein Entgegenstehen öffentlicher Belange (i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB) –> grundsätzliche Zulässigkeit der privilegierten Vorhaben (–> „entgegenstehen“)

4. sonstiges Vorhaben (§ 35 Abs.2 BauGB)

  • kein Fall des § 35 Abs.1 BauGB
  • keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange
    –> Zulässigkeit der nichtprivilegierten Vorhaben nur im besonderen Einzelfall („nicht beeinträchtigt“), dann aber kein Ermessen (verfassungskonforme Auslegung, hM)

5. teilprivilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs.4 BauGB): Unbeachtlichkeit bestimmter öff. Belange
6. gesicherte Erschließung
 
V. Wichtige Definitionen

  • Vorhabenbegriff (§ 29 BauGB) = Anwendungsbereich des Bauplanungsrechts
    –> Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage im planungsrechtlichen Sinne (eigenständige Definition!): Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind und planungsrechtliche Relevanz aufweisen (d.h. Belange iSv § 1 Abs. 6 BauGB nicht unerheblich berührt werden)
  • gesicherte Erschließung: Ermöglichung einer gefahrlosen, geordneten, baulichen Nutzung (insb. Straßen, Abwasser, Energie etc.); gesichert ist Erschließung dann, wenn die Erschließungsanlagen voraussichtlich bis zur Fertigstellung des baulichen Vorhabens funktionsfähig sind
  • im Zusammenhang bebauter Ortsteil (§ 34 BauGB): Ortsteil: Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Bebauungszusammenhang: aufeinander folgende Bebauung muss trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit vermitteln; keine Unterbrechung durch Baulücken, nicht nur Splittersiedlung.
    alternativ: Klarstellungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.1 BauGB), Entwicklungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.2 BauGB), Ergänzungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.3 BauGB)
  • Sich-Einfügen (§ 34 BauGB): Bauvorhaben muss der näheren Umgebung entsprechen, Rücksichtnahme auf die Eigenart der näheren Umgebung (kein „architektonischer Ausrutscher“ oder Fremdkörper), aber: § 34 Abs. 3a BauGB
  • Außenbereich: § 35 BauGB hat Auffangfunktion für alle Flächen, die nicht einem anderen Bereich (räumlicher Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im Zusammenhang bebauter Ortsteile) zuzuordnen sind.

 
VI. Veränderungssperre, § 14 BauGB
1. „Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst“ (§ 14 Abs. 1 BauGB); Erlass von Veränderungssperre und Aufstellungsbeschluss uU auch in derselben Ratssitzung möglich
2. „zur Sicherung der Planung erforderlich“ 8§ 14 Abs. 1 BauGB)

  • Planung muss ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Inhalt des zu erwartenden BPlans sein soll
  • Sicherungsbedürfnis, d.h. Gefährdung der Planungsabsichten

3. muss in Form einer Satzung beschlossen werden (§ 16 Abs. 1 BauGB)
4. enthält idR abstrakte Verbotstatbestände für Vorhaben iSv § 29 BauGB (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB), d.h. ein grdsl. erlaubtes Vorhaben wird durch die Sperre unzulässig
 
VII. Gefahrenabwehr (nach BauO NRW)
1. allgemeine Aufgabenzuweisung: § 61 Abs.1 S.1BauO NRW
2. Bauüberwachung usw. (§ 81 f. BauO NRW)
3. Ermächtigungsgrundlage für repressive Maßnahmen: § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW

  • Baueinstellungsverfügung (Stilllegungsverfügung): formelle Illegalität ausreichend
  • Beseitigungsanordnung (Abrissverfügung): formelle und materielle Illegalität notwendig
  • Nutzungsuntersagung: str., ob formelle und materielle Illegalität vorliegen müssen
  • Verfügungen gelten aufgrund dinglicher Wirkung der Baugenehmigung auch gegen Rechtsnachfolger

 
VIII. Drittschutz im Baurecht (s. K/S, § 42 VwGO Rn. 96 ff.)
vgl. hierzu ausführlich unseren Beitrag vom 29.06.2012
1. zwei Klausurkonstellationen: Drittanfechtung einer Baugenehmigung durch Nachbar oder Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Bauaufsicht gegen Schwarzbau
2. generell-typisierenden Drittschutz (d.h. unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit) vermitteln folgende Schutznormen:

  • Gebietserhaltungsanspruch: jeder Grundstückseigentümer kann sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets i.S.d. BauNVO (auch bei § 34 II BauGB oder § 31 II BauGB!) gegen artfremde Bebauung wehren, also gegen alle Vorhaben, die nicht generell oder ausnahmsweise nach der BauNVO zulässig sind
  • Gebietsprägungserhaltungsanspruch: Drittschutz bei einem Vorhaben, das an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann, das aber bei generell-typisierender Betrachtungsweise in dem einschlägigen Baugebiet gebietsunverträglich ist, weil es den prägenden Charakter des Baugebiets konterkariert (abzugrenzen von § 15 BauNVO: hier liegt bei genereller Betrachtung Gebietsverträglichkeit vor, aber im Einzelfall gebietsunverträgliches Vorhaben); es geht im Grunde um eine systematisch-teleologische Auslegung der BauNVO Vorschriften, ein Vorhaben mag vom Wortlaut her ausnahmsweise zulässig sein, auch wenn es gebietsunverträglich ist: zB (BVerwG): Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen, Zwei-Schicht-Betrieb und regem An- und Abfahrtsverkehr in Wohngebiet trotz § 4 II Nr.3 BauNVO unverträglich
  • § 15 I 1 BauNVO vermittelt allen Bewohnern eines Baugebiets einen Anspruch auf Erhalt des prägenden Gebietscharakters
  • Abstandsflächenregelungen nach BauO

3. einzelfallbezogener Drittschutz (iVm Gebot der Rücksichtnahme):
–> Drittschutz einer Norm (+), wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
–> Gebot der Rücksichtnahme ist nicht per se drittschützend, sondern nur iVm einer konkreten Norm; anerkannt ist diese Verknüpfung insbesondere bei

  • § 15 I 2 BauNVO „unzumutbare Störungen oder Belästigungen“ – Unzumutbarkeit ist anhand Abwägungsformel zu bestimmen: „Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen“ (BVerwG)
  • § 31 II BauGB „Würdigung nachbarlicher Interessen“
  • § 34 I 1 BauGB „Einfügen“
  • § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB – „Schädliche Umwelteinwirkungen“ –> Rechtsgedanke § 3 BImSchG: schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die geeignet sind, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen
  • Schutz privilegierter Vorhaben gegen heranrückende Bebauung

 
IX. Prozessuale Besonderheiten

  • notwendige Beiladung (§ 65 II VwGO) bei Nachbarklagen oder bei verweigertem Einvernehmen der Gemeinde gem. § 36 BauGB
  • für Nachbarn läuft idR mangels Bekanntgabe keine Klagefrist, aber Verwirkung denkbar, wenn er sichere Kenntnis vom Vorhaben hätte haben müssen
  • maßgebender Zeitpunkt für Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung ist der Erlass, nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind aber zu berücksichtigen; maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Eingriffsverfügung ist der Abschluss der letzten mündl. Verhandl.
  • § 212a I BauGB stellt  Fall des § 80 II 1 Nr.3 VwGO dar; Nachbar kann vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 80a III, 80 V VwGO beantragen
  • bei vereinfachtem Verfahren muss der Nachbar ggf. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kombinieren: Anf.kl. bzgl. drittschützender Normen, die bei der Baugenehmigung geprüft wurden, i.Ü. Verpfl.kl. auf bauaufsichtliches Einschreiten

20.11.2013/15 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-11-20 09:00:032013-11-20 09:00:03Grundlagenwissen Baurecht für das Assessorexamen
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG: Examensrelevantes Urteil im Baurecht – Mobilfunkmasten im Außenbereich

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?

Der VGH Mannheim entschied mit Urteil vom 17.02.2012 (Az. 8 S 1796/10) über die Zulässigkeit des Baus eines Mobilfunkmasts im unbeplanten Außenbereich (wir berichteten seinerzeit hier). Das examensrelevante Urteil wurde nunmehr vom BVerwG mit Urteil vom 20.06.2013 (Az. 4 C 2.12) aufgehoben, womit die Examensrelevanz der Thematik noch einmal erhöht wird.
Mobilfunkmast zwar privilegiert
Nach Auffassung der Vorinstanz war der infrage stehende Mobilfunkmast nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert, was seine baurechtliche Unzulässigkeit zur Folge hatte. Das Gericht kam zu diesem Ergebnis, obwohl es sich bei einem Mobilfunkmast um eine der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienende Anlage i.S.d. vorgenannten Vorschrift handelte.
Aber… Fehlende Ortsgebundenheit
Der VGH Mannheim kam allerdings zu einem abweichenden Ergebnis, da es an der weiteren Voraussetzung der sog. “Ortsgebundenheit” fehle. Dieses Kriterium erfordere, dass die Anlage nach ihrem Gegenstand und Wesen ausschließlich an der fraglichen Stelle betrieben werden kann. Der Betrieb müsse auf die geographische oder die geologische Eigenart der Stelle angewiesen sein. Daran fehle es, wenn wie im zu entscheidenden Fall der Standort im Vergleich zu anderen Stellen zwar Lagevorteile biete, das Vorhaben aber nicht damit stehe oder falle, ob es hier und so und nirgendwo anders ausgeführt werden könne.
Der VGH Mannheim bezieht sich an dieser Stelle auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG (vgl. etwa BVerwGE 96, 95). Diese erweiternde Auslegung ist ohne Kenntnis der Rechtsprechung schwerlich herleitbar und sollte deshalb beherrscht werden. Der Grundgedanke hinter dieser Auslegung besteht darin, dass nicht jeder Mast automatisch als privilegiert eingeordnet werden soll. Gesetzessystematisch lässt sich das Ergebnis so begründen, dass die verschiedenen in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten der Versorgung dienenden Bauten in einem Atemzug mit “ortsgebundenen gewerblichen Betrieben” genannt werden. Hieraus lässt sich schließen, dass die vorgenannten Bauten ebenso ortsgebunden sein müssen. Nach der Rechtsprechung des BVerwG gilt das ungeschriebene Erfordernis der Ortsgebundenheit bei den Versorgungsbauten im Gegensatz zu den vorgenannten gewerblichen Betrieben allerdings zumindest in abgeschwächter Form, was sich wiederum durch das Fehlen einer explizit niedergeschriebenen Vorgabe begründen lässt. Im Einzelfall hat dies zur Folge, dass das Merkmal der Ortsgebundenheit bei allen in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten Vorhaben zu prüfen ist. Bei solchen, die dabei keine ortsgebundenen gewerblichen Betriebe sind, ist aufgrund des abgeschwächten Maßstabs allerdings eine ganze Bandbreite an Ergebnissen vertretbar.
Zum konkreten Fall führte der VGH Mannheim aus, dass eine Standortuntersuchung ergeben habe, dass durchaus mehrere funktechnisch geeignete Standorte im Innenbereich vorlagen, an denen die vom Antragssteller verfolgten Funktionen ebenso gut erfüllt werden könnten. Auch der Umstand, dass die alternativ heranziehbaren Grundstücke für den hier betroffenen Antragssteller in zivilrechtlicher Hinsicht nicht verfügbar waren, änderte nichts an der hier geschilderten Auffassung des VGH.
Weicherer Maßstab des BVerwG
Das BVerwG führte in seiner aktuellen Entscheidung nunmehr aus, dass der letztgenannte Argumentationsstrang der Vorinstanz unstatthaft sei. Angesichts der vorgenannten abgeschwächten Wirkung des Ortsgebundenheitskriteriums seien bei Mobilfunkmasten restriktivere Maßstäbe als die des VGH Mannheim anzusetzen.
§ 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB setze zwar – wie zuvor ausgeführt – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Ortsgebundenheit des Vorhabens voraus. Aufgrund der technischen Besonderheiten des Mobilfunks sei es indes nicht notwendig, dass das Vorhaben auf einen einzigen Standort angewiesen sei. Eine Privilegierung im Hinblick auf Funkmasten komme also auch dann in Frage, wenn mehr als ein Standort für die Errichtung dieses Mastes denkbar ist.
Sofern bei der vorgenannten Betrachtung auch Standorte einbezogen würden, die sich im Innen- und nicht im Außenbereich befänden, könne eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB jedoch nur dann angenommen werden, sofern dem Funkmastbetreiber ein Ausweichen auf einen derartigen Standort im Innenbereich unzumutbar sei. Eine derartige Unzumutbarkeit liege insbesondere dann vor, wenn in zivilrechtlicher Hinsicht ein schwerlich überwindbares Hindernis für eine Errichtung des Funkmastes bestünde.
Nach Auffassung des BVerwG war der Funkmast im konkreten Fall mithin privilegiert i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB. Da auch keine sonstigen baurechtlichen Hindernisse bestanden, war das Vorhaben zudem auch im Einklang mit bauplanungsrechtlichen Vorgaben und war damit genehmigungsfähig.
Examensrelevanz
Ein derartiges Urteil des BVerwG wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im ersten und/oder zweiten juristischen Staatsexamen abgeprüft werden. Die Frage ist an sich nur noch wann und wo. Der hiesige Sachverhalt kann z.B. simpel in eine Baurechtsklausur in Form einer Verpflichtungsklage auf Erlass einer Baugenehmigung bzw. die Anfechtung einer bereits erteilten Baugenehmigung eingeflochten werden.
Für eine bessere Bearbeitung ist es dann unerlässlich, dass man sich ausführlich mit dem vorgenannten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB auseinandersetzt. Ob man dabei der etwas strengeren Auffassung des VGH Mannheim oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt, ist nebensächlich. Wichtig ist lediglich, dass im Rahmen der Klausurbearbeitung zunächst herausgearbeitet wird, warum ein derartiges ungeschriebenes Merkmal existiert und dass dann im Anschluss Reichweite sowie Auswirkungen dieses Kriteriums erörtert werden.

23.06.2013/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-06-23 09:00:292013-06-23 09:00:29BVerwG: Examensrelevantes Urteil im Baurecht – Mobilfunkmasten im Außenbereich
Dr. Christoph Werkmeister

VG Neustadt zur Taubenhaltung im Bauplanungsrecht

Baurecht, Rechtsprechung

Das VG Neustadt entschied vor Kurzem einen Sachverhalt zum Baurecht, der ohne Weiteres im Rahmen des ersten oder zweiten Staatsexamens als Klausuraufgabe abgeprüft werden könnte (Urteil vom 25.07.2012 – 4 L 625/12.NW).
Sachverhalt

Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus und Garage bebauten Grundstücks in Germersheim. Entlang und hinter der Garage hat er im Frühjahr 2012 zwei Volieren errichtet, die er seitdem zusammen mit einem Teil der Garage zur Taubenhaltung mit mehr als 60 Brieftauben nutzt. Nachdem sich mehrere Nachbarn über die von den Tauben des Antragstellers ausgehenden Belästigungen beschwert hatten, untersagte ihm der Landkreis Germersheim im Juni 2012 die Taubenhaltung mit sofortiger Wirkung, räumte ihm eine Frist von vier Wochen für die Entfernung der Tauben ein und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an.
Der Antragsteller suchte dagegen um vorläufigen Rechtsschutz nach und machte geltend, von anhaltenden unzumutbareren Belästigungen und Störungen der Nachbarn könne keine Rede sein. Die Nutzungsuntersagungsverfügung sei auch unverhältnismäßig. Mehrere der betroffenen Brieftauben befänden sich aktuell noch in der Brutzeit, zum Teil seien bereits Jungtiere geschlüpft. Während dieser Zeit sei eine Versetzung der Brieftauben nicht möglich, ohne dass sowohl die Brut als auch die Jungtiere erheblich gefährdet würden (Quelle: Pressemitteilung des VG Neustadt).

Bauplanunugsrechtliche Prüfung
Ob die zuständige Bauordnungsbehörde eine Untersagungsverfügung erlassen durfte, richtet sich u.a. nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Im vorliegenden Sachverhalt handelte es sich bei dem Gebiet, in dem der Taubenschlag errichtet wurde, um ein reines Wohngebiet i.S.v. § 3 BauNVO. Da kein Bebauungsplan existierte, richtete sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit somit i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB nach den Vorgaben der BauNVO, vorliegend insbesondere nach §§ 3, 14 und ggf. 15 BauNVO.
Außer Wohngebäuden sind im reinen Wohngebiet nach § 14 BauNVO auch untergeordnete Nebenanlagen zulässig. Hierzu gehören u.a. auch Einrichtungen zur Kleintierhaltung. Im zu entscheidenden Kontext führte das VG Neustadt zur Subsumtion aus:

Die Haltung von Brieftauben könne in einem reinen Wohngebiet als Annex zum Wohnen zugelassen werden, soweit sie üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge. Die auf dem Grundstück des Antragstellers vorhandene Kleintierhaltung mit über 60 Brieftauben könne aber nicht mehr als eine dem Wohnen als Hauptnutzung untergeordnete Freizeitbeschäftigung angesehen werden und widerspreche der Eigenart des hier vorhandenen reinen Wohngebiets. Aus den Feststellungen der Kreisverwaltung Germersheim sowie den von den Nachbarn vorgelegten Lichtbildern ergebe sich, dass die Grundstücke der Nachbarn  durch den Kot der Brieftauben sowie Federn-/Flaumflug verunreinigt würden. Belästigungen entstünden ferner durch die Geräusche beim Flügelschlagen der Tauben, die über den Grundstücken des Antragstellers und der Nachbarn kreisten.
Der Antragsteller könne sich auch nicht mit Erfolg auf die Unverhältnismäßigkeit der Nutzungsuntersagung berufen. Soweit er gerügt habe, während der aktuellen Brut- und Jungtierzeit sei eine Versetzung der Brieftauben nicht möglich, ohne dass sowohl die Brut als auch die Jungtiere erheblich gefährdet und beeinträchtigt würden, sei dies kein grundstücksbezogener Gesichtspunkt und daher hier unbeachtlich. Eventuell auftretende Härten für den Antragsteller könne dieser im Rahmen eines möglicherweise nachfolgenden Vollstreckungsverfahrens geltend machen.

Es wurde also zunächst § 3 BauNVO subsumiert. Der Taubenschlag fiel allerdings nicht unter die Bezeichnung „wohnen“ i.S.v. § 3 Abs. 1 BauNVO. Aus diesem Grund musste § 14 BauNVO geprüft werden, wonach kleinere Nebenanlagen, inbesondere zur Kleintierhaltung, zulässig sein können. Hierunter fiel der Taubenschlag mit immerhin 60 Tauben allerdings auch nicht mehr, so dass das Vorhaben mangels Gebietsverträglichkeit bauplanungsrechtlich unzulässig war. Sodann musste noch die Verhältnismäßigkeit der Untersagungsverfügung geprüft werden, wobei insbesondere auf die Brut- und Jungtierzeit der Tauben einzugehen war. An letzer Stelle wäre mit entsprechender Argumentation – ggf. unter Bezugnahme auf die Wertung von Art. 20a GG – auch ein anderes Ergebnis vertretbar. Das Argument, dass im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens eventuelle Härten Berücksichtigung finden können, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, so dass die Lösung des VG Neustadt durchaus interessengerecht erscheint.

29.07.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-07-29 09:58:382012-07-29 09:58:38VG Neustadt zur Taubenhaltung im Bauplanungsrecht
Gastautor

Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht

Baurecht, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns, heute erneut einen Gastbeitrag von David Ullenboom veröffentlichen zu können. David ist zur Zeit Rechtsreferendar am LG Münster und hat auch schon sehr erfolgreich (2. Platz) an unserem Aufsatzwettbewerb teilgenommen.
Hinweis: Wie ihr seht, handelt es sich um einen sehr langen Beitrag, der das Problem des Nachbarschutzes sehr ausführlich und unter allen Aspekten behandelt. Natürlich müsst ihr den Beitrag nicht am Monitor lesen, denn wir haben – wie ihr vielleicht schon wisst – ganz am Ende die print-Funktion durch die ihr den Eintrag als pdf speichern und auch eine entsprechende Version drucken könnt.
I. Einführung
Öffentliches Baurecht, insbesondere das Bauplanungsrecht nach dem BauGB, spielt in den Klausuren zum Ersten und Zweiten Staatsexamen eine große Rolle. Ein Großteil der Examensklausuren im öffentlichen Recht sind Klausuren aus dem Bereich des Bau(planungs)rechts. Hintergrund des hohen Anteils an Baurechtsrechtsklausuren in den Staatsprüfungen mag u. a. sein, dass das Bauplanungsrecht im BauGB bundeseinheitlich geregelt ist und deshalb die Möglichkeit eröffnet, die Klausuren bundesweit als Aufsichtsarbeiten zu stellen. Dadurch unterscheidet sich dieses Rechtsgebiet insbesondere von den anderen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts in den Staatsexamina, welches überwiegend in die Zuständigkeit der Länder fällt (Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunalrecht). Obwohl im Ersten und Zweiten Staatsexamen in NRW das Baurecht vom Prüfling nur „im Überblick“, d. h. in seinen gesetzlichen Grundstrukturen ohne vertieftes Wissen von Rechtsprechung und Literatur, beherrscht werden muss (§§ 11 II Nr.13 c), IV, 52 I 1 Nr.1 JAG NRW), verlangt eine typische Examensklausur aus dem Baurecht dem Kandidaten in der Examenswirklichkeit doch einiges an „Detailwissen“ ab. Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht ist vor diesem Hintergrund seit jeher ein absoluter Examens-Klassiker. Die Rechtsprechung des BVerwG wurde in diesem Bereich in den letzten Jahrzenten zunehmend ausdifferenziert. Dabei lässt sich ein Trend „hin zu einem Mehr an Nachbarschutz“ ausmachen. Während das BVerwG das Bauplanungsrecht zunächst als rein objektives Städtebaurecht einordnete, das allein dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung diene, hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht diese Rechtsauffassung sukzessive aufgegeben und in der Folge immer mehr Vorschriften des BauGB drittschützende Wirkung zuerkannt (vgl. etwa Gaentzsch, ZfBR 2009, 321).
II. Klausurkonstellationen
Die Frage des Drittschutzes im öffentlichen Baurecht stellt sich in Examensklausuren insbesondere in zwei Konstellationen:
– Der Bauherr B erhält antragsgemäß von der Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung. Der Nachbar N erhebt Anfechtungsklage gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung. Die Anfechtungsklage ist nur zulässig, wenn N geltend machen kann, möglicherweise in einem subjektiven öffentlichen Recht verletzt zu sein (§ 42 II VwGO). Die Anfechtungsklage des N ist gem. § 113 I 1 VwGO nur begründet, wenn die Erteilung der Baugenehmigung gegen den Schutz des Nachbarn bezweckende Baurechtsnormen verstößt.
– Der Bauherr B baut ohne Baugenehmigung oder außerhalb einer erteilten Baugenehmigung („Schwarzbau“). Der Nachbar N erhebt Verpflichtungsklage gegen die Bauaufsichtsbehörde auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Schwarzbau. Die Verpflichtungsklage ist nur zulässig, wenn der N geltend macht, einen Anspruch auf behördliches Einschreiten aus einer drittschützenden EGL der Behörde zu haben (§ 42 II VwGO). Die Klage ist nur begründet, wenn dieser Anspruch tatsächlich besteht (§ 113 V VwGO).
III. Drittschützende Normen im Baurecht
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Arten von drittschützenden Normen unterscheiden. Zum einen gibt es drittschützende Normen, die den Nachbarn unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit schützen (generell-typisierender Drittschutz). Zum anderen gibt es solche drittschützenden Normen, die erst im Falle einer tatsächlichen (unzumutbaren) persönlichen Betroffenheit tangiert sind (einzelfallbezogener Drittschutz). Zur ersten Gruppe gehört insbesondere der sog. „Gebietserhaltungsanspruch“ hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplangebiet, unter die zweite Gruppe fallen insbesondere die einfachgesetzlichen Ausprägungen des sog. „Rücksichtnahmegebots“. Davon wird noch genauer die Rede sein.
1. generell-typisierender Drittschutz
Einige Normen des öffentlichen Baurechts vermitteln Drittschutz unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit. Der Hintergrund eines derartigen generell-typisierenden Drittschutzes wird überwiegend in Folgendem gesehen: Das Eigentum an einem Grundstück wird grds. nicht grenzenlos gewährt. Vielmehr ist der Gesetzgeber ermächtigt, Inhalt und Schranken des Eigentums durch einfachgesetzliche Bestimmungen festzulegen (Art. 14 I 2 GG). Wenn nun aber der Eigentümer eines Grundstücks in einem bestimmten Baugebiet in der Nutzung seines Grundstücks durch öffentlich-rechtliche Vorschriften beschränkt wird, dann soll er die Einhaltung derartiger (beschränkender) Vorschriften wenigstens auch von den anderen Grundstückseigentümern im selben Baugebiet verlangen können. Insofern bilden alle Grundstückseigentümer in einem Baugebiet eine „Schicksalsgemeinschaft“. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „nachbarschaftlichen Austauschverhältnis“ (vgl. zum Ganzen BVerwG NJW 1994, 1548).
a) „Gebietserhaltungsanspruch“
1. Durch die Festsetzung der in § 1 II BauNVO genannten Baugebiete (z. B. allgemeines Wohngebiet [WA], Mischgebiet [MI] oder Gewerbegebiet [GE]) in einem Bebauungsplan, werden die diesbezüglichen Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO kraft Gesetzes gem. § 1 III 2 BauNVO Bestandteil des B-Plans. Die § 2 ff. BauNVO sind dabei überwiegend jeweils gleich strukturiert. Im jeweiligen Absatz 1 wird der Zweck bzw. Charakter des jeweiligen Baugebiets festgelegt. Im jeweiligen Absatz 2 findet sich die allgemein zulässige Bebauung (sog. „Regelbebauung“). Im jeweiligen Absatz 3 schließlich regelt die BauNVO die ausnahmsweise zulässige Bebauung (sog. „Ausnahmebebauung“). Wenn § 30 I BauGB nun davon spricht, dass ein Bauvorhaben zulässig ist, wenn es „den Festsetzungen des B-Plans nicht widerspricht“, so bedeutet dies, dass das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung zulässig ist, wenn es dem Absatz 2 des einschlägigen Baugebiets nach den §§ 2 ff. BauNVO entspricht, also einem der dort aufgeführten Gebäude und Anlagen zugeordnet werden kann (z. B. Zulässigkeit eines Wohngebäudes im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 II Nr.1 BauNVO). Denn der jeweilige Absatz 2 der §§ 2 ff. BauNVO ist ja, wie oben bereits ausgeführt, kraft Gesetzes Bestandteil des B-Plans geworden.
Wenn demgegenüber § 31 I BauGB davon spricht, dass von den Festsetzungen des B-Plans solche Ausnahmen zugelassen werden können, welche „in dem B-Plan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind“, so ist dies ein Verweis auf die Ausnahmebebauung der jeweiligen Absätze 3 der §§ 2 ff. BauNVO. Denn da die BauNVO kraft Gesetzes Bestandteil des B-Plans geworden ist, ist die in den Absätzen 3 der BauNVO vorgesehene Ausnahmebebauung eben eine solche, die der B-Plan ausdrücklich vorsieht.
Vorhaben hingegen, die weder unter die Tatbestände der Regelbebauung noch unter die der Ausnahmebebauung subsumiert werden können, können nur unter den sehr strengen Voraussetzungen des § 31 II BauGB zugelassen werden (sog. „Dispens“).
2. Das BVerwG hat nun jedem Grundstückseigentümer ausdrücklich das Recht zuerkannt, sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets gegen jede artfremde Bebauung zu wehren, unabhängig davon, ob sie ihn tatsächlich beeinträchtigt (sog. „Gebietserhaltungsanspruch“). Seine Grundlage hat der Gebietserhaltungsanspruch im „nachbarlichen Austauschverhältnis“ und im Gedanken der „Schicksalsgemeinschaft“ (vgl. bereits oben). Der Nachbar eines Baugebiets kann sich also gegen jedes Vorhaben in seinem Baugebiet zur Wehr setzen, das weder Regel- noch Ausnahmebebauung nach der BauNVO ist. Der Gebietserhaltungsanspruch ist aber begrenzt auf das jeweilige Baugebiet, gebietsübergreifenden Rechtsschutz auch in Bezug auf benachbarte Baugebiete vermittelt er hingegen nicht.
b) „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“
1. Vom „Gebietserhaltungsanspruch“ streng zu unterscheiden ist der sog. „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ist ein noch vergleichsweise junges Rechtsinstitut, welches vom BVerwG insbesondere in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2002 und 2008 entwickelt wurde (NVwZ 2002, 118; NVwZ 2008, 786). Im Unterschied zum Gebietserhaltungsanspruch beschreibt der Gebietsprägungserhaltungsanspruch folgendes Phänomen: Ein Vorhaben, dass an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann (deshalb greift der Gebietserhaltungsanspruch nicht ein!) ist bei generell-typisierender Betrachtungsweise in dem einschlägigen Baugebiet gebietsunverträglich, weil es den prägenden Charakter des Baugebiets konterkariert. Bei oberflächlicher Betrachtungsweise könnte man versucht sein, den Gebietsprägungserhaltungsanspruch mit der Regelung in § 15 I 1 BauNVO gleichzusetzen, die ebenfalls davon spricht, dass ein nach den §§ 2 ff. BauNVO grundsätzlich zulässiges Vorhaben im Einzelfall unzulässig ist, wenn es der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch muss aber auch zu § 15 I 1 BauNVO abgegrenzt werden, keinesfalls sind beide Regelungskomplexe gleichzusetzen. Während nämlich der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ein Vorhaben betrifft, dass bereits nach genereller und typisierender Betrachtungsweise in dem jeweiligen Baugebiet gebietsunverträglich ist, meint § 15 I 1 BauNVO den Fall, dass ein Bauvorhaben zwar nach abstrakt-typisierender Anschauung dem Gebietscharakter nicht widerspricht (deshalb greift der Gebietsprägungserhaltungsanspruch nicht ein!), aber dennoch im konkreten Einzelfall gebietsunverträglich ist. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ist der Regelung des § 15 I 1 BauNVO also logisch vorgeschaltet (sehr ausführlich z. B. Decker, JA 2007, 55).
2. Hinter dem „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ steht folgende Idee: Bei den in den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 ff. BauNVO aufgeführten Gebäuden und Anlagen handelt es sich um in hohem Maße unbestimmte Rechtsbegriffe. Z. B. umfasst der Begriff der „Anlage zu gesundheitlichen Zwecken“ in § 4 II Nr.3 BauNVO nach seinem Wortlaut sowohl die kleine Praxisgemeinschaft niedergelassener Ärzte als auch das Krankenhaus mit 100 Krankenhausbetten. Zudem wird der Begriff der „Anlage zu gesundheitlichen Zwecken“ auch noch in den Vorschriften anderer Baugebiete aufgegriffen (z. B. § 6 II Nr.5 für „Mischgebiete“ und § 8 III Nr.2 für „Gewerbegebiete“) und kann wegen der erheblichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Baugebieten unmöglich überall im gleichen Sinne verstanden werden. Da allein der „Feinfilter“ des § 15 I 1 BauNVO, der immer erst bei einzelfallbezogener Gebietsunverträglichkeit eingreift, dem Interesse der Bewohner des Baugebiets an einer Wahrung des prägenden Gebietscharakters nicht gerecht wird, hat das BVerwG einen „Grobfilter“ in Form des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vorgeschaltet.
Hierbei werden die in den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 ff. BauNVO jeweils genannten Gebäude und Anlagen in Beziehung zu dem jeweiligen Absatz 1 der Vorschrift gesetzt, welcher eine allgemeine Charakterisierung bzw. Zweckrichtung des Baugebiets enthält. Beispielsweise dienen allgemeine Wohngebiete gem. § 4 I BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Bauvorhaben, die bereits nach generell-typisierender Betrachtungsweise geeignet sind, die Wohnruhe im allgemeinen Wohngebiet erheblich zu stören und deshalb gebietsunverträglich sind, können also mit dem Gebietsprägungserhaltungsanspruch von den Bewohnern dieses Baugebiets abgewehrt werden. Ein Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen, Zwei-Schicht-Betrieb und regem An- und Abfahrtsverkehr, welches eine erhebliche Unruhe in das Wohngebiet hineinträgt, ist deshalb beispielsweise in einem allgemeinen Wohngebiet (obwohl gem. § 4 II Nr.3 BauNVO grds. zulässig) gebietsunverträglich (BVerwG NVwZ 2008, 786).
c) § 15 I 1 BauNVO
§ 15 I 1 vermittelt allen Bewohnern eines Baugebiets einen Anspruch auf Erhalt des prägenden Gebietscharakters. Vorhaben, die zwar an sich nach den §§ 2 ff. BauNVO regelhaft oder ausnahmsweise zulässig sind, können von den Baugebietsnachbarn abgewehrt werden, wenn sie im Einzelfall nach Lage, Umfang, Anzahl oder Zweckbestimmung dem prägenden Gebietscharakter widersprechen. § 15 I 1 BauNVO ist insofern weiter als § 15 I 2 BauNVO, als er keine unzumutbare persönliche Betroffenheit voraussetzt. Er ist auf der anderen Seite enger, weil er nur die Bewohner des betroffenen Baugebiets schützt, nicht aber die Bewohner benachbarter Baugebiete (kein plangebietsübergreifender Nachbarschutz; vgl. Stuer, Der B.Plan, Rn. 917). § 15 I 1 BauNVO kommt aber erst zum Zuge, wenn das Vorhaben nicht bereits nach generell-typisierender Betrachtungsweise gebietsunverträglich ist (dann greift vorrangig der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ ein, s. oben).

d) „faktisches Baugebiet“, § 34 II BauGB
Im „faktischen Baugebiet“ nach § 34 II BauGB besteht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung genau derselbe Drittschutz wie im Bebauungsplangebiet (BVerwG NJW 1994, 1546). D. h. entspricht die nähere Umgebung eines Bauvorhabens im Innenbereich einem der Baugebiete nach der BauNVO, so stehen dem Nachbar ebenso wie im beplanten Innenbereich der „Gebietserhaltungsanspruch“, der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ und § 15 I BauNVO zur Seite.
e) Maß der baulichen Nutzung, Bauweise, überbaubare Grundstücksflächen
Während es oben um die Festsetzungen des B-Plans über die Art der baulichen Nutzung ging, stellt sich die Frage, ob auch die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (§§ 16 ff. BauNVO), die Bauweise und die überbaubaren Grundstücksflächen (§§ 22 ff. BauNVO) Drittschutz entfalten können.
1. Nach h. M. entfalten die Festsetzungen des B-Plans über das Maß der baulichen Nutzung grds. keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn, da sie ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen sollen. Ausnahmsweise haben aber auch Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung drittschützende Wirkung, wenn der Drittschutz im B-Plan von der planenden Gemeinde ausdrücklich festgeschrieben wird (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 68 f.). Möglich ist eine Geltendmachung der drittschützenden Wirkung des Maßes der baulichen Nutzung – trotz Einhaltung der Abtsandsflächen nach § 6 BauO NW- auch in denjenigen Ausnahmefällen, in denen dem Bauvorhaben eine „erdrückende Wirkung“ zukommt und dem Nachbarn ein Gefühl des „Eingemauertseins“ vermittelt und ihm die „Luft zum Atmen nimmt“ (sog. „Gefängnishofsituation“; Thiel, AL 2012, 179). Diese sehr enge Ausnahme ist dann wiederum Ausdruck des Rücksichtnahmegebots. In derartigen Ausnahmefällen dient dann im Bebauungsplangebiet ausnahmsweise § 15 I 1 BauNVO (der an sich nur für die Art der baulichen Nutzung gilt!) als Einfallstor für das Gebot der Rücksichtnahme (vgl. dort Merkmal „Umfang“ des Vorhabens). Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass in derartigen Fällen „Quantität in Qualität umschlägt“, d. h. dass ausnahmsweise die Größe einer Anlage die Art der baulichen Nutzung tangiert (vgl. zum Ganzen BVerwG, NVwZ 1995, 900). Im unbeplanten Innenbereich kann die „erdrückende Wirkung“ rücksichtsloser Vorhaben über § 34 I 1 BauGB („Einfügen“) im Außenbereich über § 35 III 1 (ungeschriebener „öffentlicher Belang“!) geltend gemacht werden.
2. Die Festsetzung einer offenen Bauweise wird überwiegend als drittschützend angesehen, der Festsetzung einer geschlossenen Bauweise wird Drittschutz hingegen überwiegend versagt (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 70 f.). Die Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen gem. § 23 BauNVO (Baulinien, Baugrenzen, Bautiefen) sind nur dann nachbarschützend, wenn sie (ähnlich wie die Abstandsflächenregelung des § 6 BauO NRW) die ausreichende Licht- und Luftzufuhr zum Nachbargrundstück bezwecken (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 72). Allerdings sollte man hier Vorsicht walten lassen: Die Tatsache, dass z. B. seitliche und hintere Baugrenzen in rein tatsächlicher Hinsicht eine ähnliche Wirkung wie die Abstandsflächenregelungen in den Landesbauordnungen der Länder haben, lässt noch keinen Rückschluss auf deren nachbarschützende Wirkung zu. Insofern handelt es sich dann nämlich zunächst um einen reinen Rechtsreflex. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber diese tatsächlichen Wirkungen der Festsetzungen auch bezweckt hat.
f) Bauordnungsrecht: insbesondere Abstandsflächenregelung
Im Bauordnungsrecht entfalten insbesondere die Abstandsflächenregelungen in den jeweiligen Bauordnungen der Länder drittschützende Wirkung (z. B. § 6 BauO NRW). Die Abstandsflächenregelungen haben nämlich insbesondere den Zweck, das Nachbargrundstück vor einer Verschattung zu schützen und die Zufuhr mit Licht und Luft sicherzustellen. Zudem soll einem zu schnellen Übergreifen von Bränden auf Nachbarhäuser vorgebeugt werden (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 103. Ergänzungslieferung 2012, § 22 BauNVO Rn. 37). Die Abständsflächenregelungen schützen den Nachbarn wiederum unabhängig von einer tatsächlichen Beeinträchtigung. D. h. der Nachbar kann die Einhaltung der Abstandsflächen im Verhältnis zum Angrenzer unabhängig davon verlangen, ob es z. B. tatsächlich zu einer Verschattung seines Grundstücks kommt. Hintergrund ist hier aber nicht das nachbarschaftliche Austauschverhältnis und der Gedanke der Schicksalsgemeinschaft, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Gesetzgeber die abstrakte Gefahr eines Nutzungskonflikts der benachbarten Grundstücke im Rahmen einer generellen Interessenabwägung einer gesetzlichen Lösung zugeführt hat.
2. einzelfallbezogener Drittschutz
Es gibt des Weiteren drittschützende Normen des öffentlichen Baurechts, die immer erst dann tangiert sind, wenn der rechtsschutzsuchende Nachbar tatsächlich und unzumutbar in seinen Rechten betroffen ist. Derartiger einzelfallbezogener Drittschutz begegnet insbesondere in Form einfachgesetzlicher Ausprägungen des sog. „Rücksichtnahmegebots“.

a) Das Gebot der Rücksichtnahme
1. Auch das Rücksichtnahmegebot ist ein „Kind des Bundesverwaltungsgerichts“. Das Rücksichtnahmegebot ist dabei zunächst ein objektiv-rechtliches Rechtsinstitut. Als so verstandener objektiv-rechtlicher Rechtssatz ist das Rücksichtnahmegebot an sich eine Selbstverständlichkeit: Die Baufaufsichtsbehörde ist bei der Entscheidung über die Erteilung einer Bauerlaubnis verpflichtet, die Interessen des Bauherrn und des Nachbarn gerecht gegeneinander abzuwägen. Da die Exekutive im Verhältnis zum Bauherrn und zum Nachbarn an die Grundrechte gebunden ist (Art. 1 III GG, 20 III GG) und durch die Erteilung oder Versagung einer Bauerlaubnis in das Eigentumsgrundrecht des Nachbarn oder des Bauherrn aus Art. 14 I 1 GG eingegreift, muss die Bauaufsichtsbehörde diese widerstreitenden Interessen grundsätzlich zu einem möglichst schonenden Ausgleich bringen. Insofern ist das Rücksichtnahmegebot eine spezielle Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. etwa Battis/Krautzberger/Löhr, § 1 Rn. 122).
2. Das Rücksichtnahmegebot hat aber auch eine subjektiv-rechtliche Komponente. Das Rücksichtnahmegebot darf dabei zunächst nicht als übergesetzliches, losgelöst von gesetzlichen Vorschriften existierendes Prinzip missverstanden werden. Es folgt insbesondere nicht aus Art. 14 I GG. Der Gesetzgeber hat in den §§ 29 ff. BauGB Inhalt und Schranken des Eigentums iSv Art. 14 I 2 GG abschließend festgelegt (Inhalts- und Schrankenbestimmung). Durch den Rückgriff des Tatrichters auf vermeintliche vor-rechtliche Prinzipien, würde die Werteentscheidung des Gesetzgebers unterlaufen und das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 III GG) verletzt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist vielmehr immer nur insoweit von Bedeutung, als es Ausdruck in einer konkreten einfach-gesetzlichen Rechtsnorm gefunden hat.  Drittschutz folgt also nicht aus dem Rücksichtnahmegebot, sondern aus einer einfach-rechtlichen Norm, mag diese auch eine Ausprägung des Rücksichtnahmegebots sein. Insofern ist das Rücksichtnahmegebot eine Art „Einfallstor“ für den Drittschutz baurechtlicher Normen, vergleichbar den zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 134, 138 BGB. Hinter dem „Rücksichtnahmegebot“ verbirgt sich letztlich nichts anderes als eine Art „Auslegungshilfe“ bzw. „Auslegungsregel“ in Bezug auf einfach-gesetzliche Normen des Baurechts (vgl. zum Ganzen Gaentzsch, ZfBR 2009, 324). Auslegungshilfe ist es dabei sowohl im Hinblick auf das „Ob“ des Drittschutzes als auch hinsichtlich des „Wie“ des Drittschutzes:
– „Ob“ des Drittschutzes: Zunächst wird das Rücksichtnahmegebot für die Frage herangezogen, ob eine bestimmte Baurechtsvorschrift überhaupt Drittschutz vermittelt. Das BVerwG hat dabei mehrfach entschieden, dass eine Vorschrift des öffentlichen Baurechts nur dann drittschützende Wirkung entfaltet, wenn sie deutlich macht, „dass in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schützwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (zuletzt etwa BVerwG JuS 2004, 173). Mit anderen Worten: Eine Norm ist dann drittschützend, wenn die Auslegung ergibt, dass auf einen abgrenzbaren Personenkreis in besonderer Weise Rücksicht genommen werden soll. In dieser Funktion ist das Rücksichtnahmegebot nichts anderes als eine spezielle Ausprägung der „Schutznormtheorie“ im Baurecht.
– „Wie“ des Drittschutzes: Sodann wird das Rücksichtnahmegebot weiterhin herangezogen, um das Maß des Drittschutzes zu ermitteln. Dabei reicht für die Verletzung von Baurechtsnormen, deren drittschützende Wirkung anhand der „Lehre vom Rücksichtnahmegebot“ festgestellt wurde, nicht bereits jede Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen, erforderlich ist vielmehr eine unzumutbare Beeinträchtigung. Das BVerwG hat das so formuliert: „Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen“ (BVerwG NVwZ 1993, 1185).  Der Sache nach handelt es sich dabei um eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Interessen des Bauherrn an der Bebauung seines Grundstücks und den Interessen des Nachbarn an der ungestörten Nutzung seines Eigentums. Zu berücksichtigen sind bei der Interessenabwägung insbesondere bereits bestehende Vorbelastungen (z. B. bereits vorhandene Lärmquellen).
b) § 15 I 2 BauNVO
Eine wichtige einfachgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots ist die Regelung des § 15 I BauNVO (sog. „Feinfilter“). Hierbei sollte man grds. zwischen der Regelung des § 15 I 1 BauNVO (dazu bereits oben) und des § 15 I 2 BauNVO unterscheiden. Beide Regelungen setzen ein Bauvorhaben im Bebauungsplangebiet oder im faktischen Baugebiet (§ 34 II BauGB) voraus, welches an sich den §§ 2 ff. BauNVO entspricht, aber im Einzefall gebietsunverträglich ist. § 15 I 1 BauNVO greift wie bereits oben erläutert nicht erst bei unzumutbarer persönlicher Betroffenheit, sondern gibt den Bewohnern eines Baugebiets im Zusammenspiel mit dem sog. „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ einen allgemeinen Anspruch auf Erhalt des prägenden Charakters eines Baugebiets.
Durch das Tatbestandsmerkmal der „unzumutbaren Störungen und Belästigungen“ in § 15 I 2 BauNVO macht die Regelung deutlich, dass auf die Interessen der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet oder in benachbarten Baugebieten besondere Rücksicht zu nehmen ist. Unterscheiden muss man bei § 15 I 2 die 1. Alternative (= Bauvorhaben wird Störer) und die 2. Alternative (= Bauvorhaben wird störanfällig). Durch die Wendung „im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung“ macht das Gesetz deutlich, dass nicht nur die Grundstückseigentümer des betroffenen Baugebiets, sondern auch die Nachbarn benachbarter Baugebiete in den Schutzbereich des § 15 I 2 BauNVO einbezogen sind. § 15 I 2 BauNVO eröffnet damit insbesondere die Möglichkeit plangebietsübergreifenden Drittschutzes! Soweit die Störungen und Belästigungen des Vorhabens über das Baugebiet hinaus in benachbarte Baugebiete ausstrahlen, können sich auch die Plangebietsnachbarn zur Wehr setzen. Andererseits ist § 15 I 2 BauNVO erst dann verletzt, wenn die Belästigungen die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten. Dies ist insbesondere anhand der Abwägungsformel des BVerwG zu bestimmen (vgl. oben). § 15 I 2 BauNVO stellt damit insgesamt recht hohe Hürden auf.
c) Dispens gem. § 31 II BauGB
Beim bauplanungsrechtlichen Dispens gem. § 31 II BauGB muss man unbedingt zwei Fälle unterscheiden. Bei einer Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften, insbesondere von den Vorgaben für die Art der baulichen Nutzung gem. §§ 2 ff. BauNVO, vermittelt § 31 II BauGB immer und uneingeschränkt Drittschutz. Denn insbesondere bei einem Dispens von den §§ 2 ff. BauNVO wird der „Gebietserhaltungsanspruch“ des Nachbarn tangiert, der sich unabhängig von einer persönlichen Betroffenheit gegen jede artfremde Bebauung wehren kann.
Bei einem Dispens von nicht nachbarschützenden Vorschriften bietet § 31 II BauGB nur Drittschutz nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots. Das Tatbestandsmerkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ gem. § 31 II a. E. BauGB macht hierbei deutlich, dass die betroffenen Baugebietsnachbarn in besonderer Weise geschützt werden sollen. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften ist in diesen Fällen erst gegeben, wenn die nachbarlichen Interessen in unzumtbarer Weise beeinträchtigt werden. Auch dies bemisst sich wiederum anhand der Abwägungsformel des BVerwG (s. oben.).
d) Merkmal „Einfügen“ iSv § 34 I 1 BauGB
Das BVerwG hat im Merkmal des „Einfügens“ iSv § 34 I 1 BauGB mithilfe der Auslegungsregel des Rücksichtnahmegebots die drittschützende Wirkung dieser Vorschrift erkannt. Ein Bauvorhaben „fügt“ sich danach nur dann in die vorhandene Umgebungsbebauung ein, wenn es die gebotene Rücksicht auf die bereits vorhandene Nachbarbebauung nimmt (Battis/Krautzberger/Löhr, § 34 Rn. 17). Das wird auch durch die Regelung über den Dispens von dem Erfordernis des „Einfügens“ in § 34 IIIa Nr.3 BauGB deutlich, der von der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ spricht.
e) „Schädliche Umwelteinwirkungen“ iSv § 35 III 1 Nr.3
Der drittschützende Charakter des § 35 BauGB kann mithilfe des Rücksichtnahmegebots insbesondere aus § 35 III 1 Nr.3 anhand des Merkmals der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ entnommen werden (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80). Denn gem. § 3 I BImschG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die geeignet sind, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (Rechtsgedanke des § 3 BImschG). Früher hat das BVerwG das Rücksichtnahmegebot z. T. als ungeschriebenen „öffentlichen Belang“ iSv § 35 III 1 BauGB eingeordnet (BVerwG NJW 1978, 62; sog. „Schweinemäster-Fall“). Das ist aber zum einen missverständlich, weil das Rücksichtnahmegebot eben kein selbständiges rechtliches Prinzip ist, sondern eine bloße Auslegungshilfe für das „Ob“ und „Wie“ des drittschützenden Charakters baurechtlicher Normen. Zum anderen spricht der Wortlaut „öffentlich“ gerade eher gegen den drittschützenden Charakter und macht eine besondere Schutzbedürftigkeit eines abgrenzbaren Personenkreises gerade nicht deutlich.
Auch auf privilegierte Vorhaben iSv § 35 I BauGB ist in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen, weil die gesetzliche Systematik des § 35 I und II BauGB deutlich macht, dass privilegierte Vorhaben im Außenbereich in besonderem Maße schützenswert sind. Privilegierte Grundstückseigentümer können sich deshalb insbesondere gegen eine heranrückende störende Außenbereichsbebauung wehren (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80).
IV.Klausurtipps
Zum Abschluss noch ein paar Tipps für Klausuren, die häufig zu beobachtende Fehlerquellen betreffen.
1. Da das „Rücksichtnahmegebot“ kein eigenständiges, übergesetzliches Prinzip ist, darf im Rahmen der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO und im Rahmen der Rechtsverletzung iSv § 113 I 1 VwGO nicht auf eine (mögliche) „Verletzung des Rücksichtnahmegebots“ abgestellt werden. Richtig ist vielmehr die Prüfung einer (möglichen) Verletzung einer drittschützenden einfachrechtlichen Norm in Verbindung mit dem Rücksichtnahmegebot (z. B.: „X kann geltend machen, möglicherweise in seinem subjektiven Recht aus dem Merkmal des „Einfügens“ iSv § 34 I 1 BauGB iVm dem Rücksichtnahmegebot verletzt zu sein.“).
2. Auch wenn § 113 I 1 VwGO eine zweistufige Prüfung nach objektiver Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung vorgibt, prüft man bei Baunachbarstreitigkeiten von vornherein nur, ob nachbarschützende Vorschriften verletzt sind. Die Baunachbaranfechtungsklage ist also begründet, „wenn der VA nachbarschützende Vorschriften verletzt“(!). Die Prüfung der objektiven Rechtswidrigkeit nicht nachbarschützender Normen ist nicht nur überflüssig, sondern sogar falsch. Es bietet sich deshalb an, im Rahmen der Klagebefugnis gem. § 42 II VwGO zu diskutieren, welche der gerügten Vorschriften nachbarschützend sind und welche nicht und sodann die mögliche Verletzung dieser drittschützenden Vorschriften festzustellen. In der Begründetheit wird dann nur noch die tatsächliche Verletzung der (übrig gebliebenen) nachbarschützenden Normen geprüft.

29.06.2012/9 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-06-29 08:00:462012-06-29 08:00:46Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht
Dr. Christoph Werkmeister

VGH Mannheim zum Mitentscheidungsrecht des Rates bei Erteilung einer Baugenehmigung

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht
Der VGH Mannheim entschied vor Kürzerem (Urteil v. 09.03.2012, Az. 1 S 3326/11), dass der Gemeinderat in einer Gemeinde, die auch für die Erteilung einer Baugenehmigung zuständig ist, kein Mitentscheidungsrecht i.S.d. § 36 BauGB hat. Es komme in derartigen Fällen mithin auf die Organzuständig an, die im vorliegend entschiedenen Fall nach Gemeinderecht beim  (Ober-)Bürgermeister lag.
Die Entscheidung ist äußerst examensrelevant, da ein fehlendes Einvernehmen gemäß § 36 BauGB als Verfahrensfehler zur Rechtswidrigkeit einer erteilten Baugenehmigung führt. Sofern allerdings keine Pflicht nach § 36 BauGB besteht, ist das fehlende Einvernehmen indes gegenstandslos.
Organzuständigkeit nach Gemeinderecht
Der VGH führte zunächst aus, dass § 36 BauGB zwar bestimme, dass die Baugenehmigungsbehörde bei bestimmten Bauvorhaben im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheide. Die betreffende Vorschrift sei nach einer Änderung der Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahr 2004 aber nicht anwendbar, wenn die Gemeinde zugleich die für die Erteilung der Baugenehmigung zuständige Behörde sei.

Die Frage, inwiefern der Gemeinderat über die Zu- oder Absage einer Baugenehmigung entscheiden kann, ergebe sich sodann aus dem jeweils einschlägigen Gemeinderecht. Regelmäßig seien dabei die Aufgaben der Baugenehmigungsbehörde in den Stadtkreisen und Großen Kreisstädten allein dem (Ober-)Bürgermeister  in eigener Zuständigkeit übertragen. Ein Mitwirkungsrecht des Gemeinderats sei regelmäßig nicht vorgesehen.

Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht
Der VGH argumentiert zudem auf bundes- sowie landesverfassungsrechtlicher Ebene. Auch im Rahmen einer Klausur sollte dieser normenhierarchiche Aspekt berücksichtigung finden. Im Ergebnis führte der VGH hierzu jedoch aus, dass sich auch aus der Gewährleistung des nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts bzw. dem Äquivalent aus der Landesverfassung ein solches Beteiligungsrecht ebenso wenig ableiten lasse.
Das Fehlen eines landesrechtlichen Mitentscheidungsrechts höhle auch nicht die gemeindliche Planungshoheit aus. Denn der in der Gemeindeordnung niedergelegte Grundsatz des organfreundlichen Verhaltens verpflichte den (Ober-)Bürgermeister zumindest zur Information des für die Bauleitplanung zuständigen Organs. Er müsse dieses Organ über ein konkretes Bauvorhaben möglichst frühzeitig und vollständig informieren, so dass es gegebenenfalls mit einem Instrument der Bauleitplanung reagieren  könne (gemeint war hier etwa die Möglichkeit des Erlasses einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB bzw. ein Antrag auf Zurückstellung der Entscheidung über den Bauantrag nach § 15 BauGB).
Folglich kann sich der Gemeinderat im vorliegenden Fall nicht auf einen Verstoß gegen § 36 BauGB berufen

27.03.2012/6 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-27 14:18:592012-03-27 14:18:59VGH Mannheim zum Mitentscheidungsrecht des Rates bei Erteilung einer Baugenehmigung
Dr. Christoph Werkmeister

VGH Mannheim zur baurechtlichen Zulässigkeit von Bordellen im Gewerbegebiet

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?
Der VGH Mannheim hatte sich zuletzt mit einer baurechtlichen Fragestellung auseinanderzusetzen (Beschluss v. 05.03.2012, Az. 5 S 3239/11). Es ging um die baurechtlich interessante Frage, ob ein Bordellbetrieb, in dem keine Prostituierten wohnen, im Gewerbegebiet allgemein zulässig ist oder ob es eine dort nur ausnahmsweise zulässige Vergnügungsstätte darstellt. Verfahrensrechtlich war der Rechtsstreit eingekleidet in ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (eingeleitet durch einen Nachbarn), wobei der Bordellbetreiber Beigeladener (§ 65 Abs. 2 VwGO) im Verfahren war.
In materiellrechtlicher Hinsicht ging es schwerpunktmäßig um die Auslegung der bauplanungsrechtlichen Norm des § 8 BauNVO. Derartige Fragestellungen finden sehr sehr häufig Eingang in Examensklausuren, da bei den Bearbeitern in aller Regel keine Spezialkenntnisse zur Auslegung der Normen der BauNVO vorliegen (es sei denn, man hält sich über examensrelevante Urteile auf dem Laufenden, was in weiten Teilen durch die Lektüre von Juraexamen.info unterstützt durch eine Ausbildungszeitschrift zu bewerkstelligen ist).

Die Beigeladene betreibt in einem Gebäude in einem Karlsruher Gewerbegebiet ein Bordell mit elf “Arbeitsräumen“, zwei “VIP-Bereichen“, einer Sauna, einem Empfangsbereich und sanitären Einrichtungen, aber ohne Wohnungen für Prostituierte. Nach dem Bebauungsplan sind Gewerbebetriebe aller Art zulässig, Vergnügungsstätten aber nur ausnahmsweise. Der Antragsteller ist Eigentümer eines ca. 130 m entfernten Grundstücks im Gewerbegebiet, auf dem er mit seiner Familie wohnt. Er machte geltend, ein Bordell passe nicht in ein Gewerbegebiet. Es sei eine Vergnügungsstätte. Weil die dafür notwendige Ausnahme nicht erteilt worden sei, verletze die Baugenehmigung sein Nachbarrecht auf Erhaltung des Gewerbegebiets. Außerdem beeinträchtigte das Bordell die Wohnnutzung auf seinem Grundstück rücksichtslos. Dem ist der VGH nicht gefolgt.
Ein Bordell sei ein in einem Gewerbegebiet allgemein zulässiger Gewerbebetrieb und keine Vergnügungsstätte im Sinne des Städtebaurechts. Der Begriff Vergnügungsstätte sei gesetzlich nicht definiert. Üblicherweise sei darunter eine gewinnbringende Freizeitunterhaltung zu verstehen, die den Sexual-, Spiel- und/oder Geselligkeitstrieb anspreche oder ausnutze, wie etwa in Amüsierbetrieben, Diskotheken oder Spielhallen. Das Städtebaurecht ordne solche speziellen Betriebe typischerweise innerstädtischen Kerngebieten zu, mit ihrem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher und die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Das gelte jedoch nicht für ein Bordell der hier gegebenen Art. Im Hinblick auf dessen allgemeine sozialethische Bewertung und die Begleiterscheinungen des “Rotlichtmilieus“ eigne sich dafür eher ein Standort außerhalb oder allenfalls am Rande des “Blickfeldes“ und der Treffpunkte einer größeren oder allgemeinen Öffentlichkeit und auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnungen. Ein Gewerbegebiet bezwecke gerade, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die wegen ihrer spezifischen Standortanforderungen und ihrer Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in anderen Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werde. Das gelte gerade auch für einen Bordellbetrieb. Dessen Auswirkungen seien mit einem Gewerbegebiet auch nicht von vornherein unvereinbar.
Für den Bordellbetrieb der Beigeladenen und das konkrete Gewerbegebiet in Karlsruhe gelte nichts Anderes. Auch störe dieser Betrieb die Wohnnutzung auf dem Grundstück des Antragstellers nicht rücksichtslos. Bewohner eines Gewerbegebiets könnten nicht denselben Schutz wie in einem Wohngebiet beanspruchen (Quelle: Pressemitteilung des VGH Mannheim).

24.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-24 10:09:592012-03-24 10:09:59VGH Mannheim zur baurechtlichen Zulässigkeit von Bordellen im Gewerbegebiet
Dr. Christoph Werkmeister

VG Berlin: Ausreise zum bewaffneten Jihad rechtfertigt Reisepassentzug

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

Eine examensrelevante Konstallation wurde vor Kurzem vom VG Berlin entschieden (Urteil v. 06.03.2012, Az. VG 23 K 58.10; VG 23 K 59.10). In der Sache ging es um den Entzug eines Reisepasses wegen Verdachts auf mögliche terroristische Aktivitäten.
Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Der T ist Inhaber eines deutschen Reisepasses mit Visum für den Iran. Der T war vor 2 Jahren öfters im Kontakt mit Mitgliedern der terroristischen Vereinigung al-Quaida und engagierte sich auch aktiv bei Organisation und Rekrutierung im deutschen Raum. Seitdem hat der T allerdings den Kontakt zu der Organisation gemieden, da er seine Zeit doch lieber anderen Aufgaben – wie etwa der Kunst oder sportlichen Aktivitäten – widmen möchte. Der T hat nun vor, nach Istanbul auszureisen, um sich dort ein wenig von seinem Alltag zu erholen. Hieran wurde er allerdings von Kriminalbeamten am Flughafen gehindert. In seinem Gepäck befanden sich Ausrüstungsgegenstände für Outdoor-Aktivitäten sowie mehere tausend US-Dollar. Nach der versuchten Ausreise mied der T weiterhin den Kontakt zu den al-Quaida-Verbindungsmännern. Dem T wurde in der Folge von der zuständigen Behörde sein Reisepass entzogen. Hiergegen möchte sich der T ggf. wehren.
Rechtliche Würdignug
Einschlägiger Rechtsrahmen ist vorliegend das PassG. § 8 PassG regelt die Entziehung eines Passes, wobei dies dann möglich ist, sofern Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Paßversagung rechtfertigen würden. Gemäß § 7 PassG ist der Pass wiederum zu versagen, sofern bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, daß der Paßbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
Vorliegend ist somit fraglich, ob dieses Tatbestandsmerkmal im Falle des T gegeben ist. Zu beachten ist zuvorderst, dass auch unbestimmte Rechtsbegriffe, wie solche nach § 7 Abs. 1 PassG vollumfänglich gerichtlich überprüft werden können, ein behördlicher Beurteilungsspielraum ist nur in eng begrenzen Ausnahmefällen statthaft (s. zu den Kriterien hier).
Das VG bewertete die Situation dermaßen, dass die konkret ins Auge gefasste Ausreise mit erheblichen Gefahren im Hinblick auf terroristische Aktivitäten zusammen hänge. Angesichts des Schutz von elementaren Rechtsgütern sei diese Gefahr sogar so gravierend, dass auch der Ablauf von gut zwei Jahren keine andere Gefahrprognose rechtfertige. Auch nach der längeren Funkstille sei nach wie vor von einer festen Einbindung in den Personenkreis der al-Quadia-Mitglieder auszugehen. Für eine Abkehr von dieser Prognose fehle es an weiteren Beweismitteln, die den positiven Lebenswandel untermauern könnten. Das VG bejahte somit das weitere Fortbestehen der Gefahr, auch wenn eine Feststellung der Terrorgefahr nicht mit hinreichender Sicherheit möglich war.
Examensrelevanz
Besonders im öffentlichen Recht werden sehr gerne (für die meisten Prüflinge) unbekannte Gesetze abgeprüft. Im Ergebnis sind derartige Konstellationen dankbar, da eine Lösung oft anhand des Gesetzes und mittels der juristischen Auslegungscanone ermittelt werden kann.  Die Kenntnis der zugrundeliegenden Entscheidung wird aber insbesondere dann bedeutsam, wenn das Gericht Erwägungen anstellt, auf die man im Zweifelsfall nicht ohne Weiteres gekommen wäre.

07.03.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-07 14:00:032012-03-07 14:00:03VG Berlin: Ausreise zum bewaffneten Jihad rechtfertigt Reisepassentzug
Dr. Christoph Werkmeister

BVerwG mit examensrelevanter Baurechtsentscheidung zur BauNVO

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?

Das BVerwG hat sich grundsätzlich zur baurechtlichen Zulässigkeit von Krematorien, also Anlagen zur Einäscherung bzw. Verbrennung von Leichen, in Gewerbegebieten geäußert. Im Einzelnen ging es um die Definition der Gebietsbestimmung des „Gewerbegebiets“ und den Begriff der „Anlage für kulturelle Zwecke“  i.S.d. § 8 Abs. 3 BauNVO.
Auch wenn das Thema beim ersten Anschein mitunter doch äußerst uninteressant aussieht, darf die Examensrelevanz solcher Entscheidungen nicht unterschätzt werden. Gerichtliche Baurechtssachverhalte, die eine argumentative Auslegung der Normen der BauNVO zum Gegenstand haben, werden nämlich sehr häufig 1:1 für Examensklausursachverhalte übernommen. So wurde etwa die Ausgangsentscheidung des OVG Münster des hier besprochenen Falles im Februar 2011 in NRW und Hessen als Examenssachverhalt herangezogen. Aus diesem Grund folgen hier die maßgebenden Überlegungen, die das BVerwG für die Auslegung der BauNVO angestellt hat.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat das Krematorium als eine in einem Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässige Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO eingeordnet. Dass ein Krematorium aus Gründen der Pietät in ein kontemplatives Umfeld einzubetten sei, widerspreche nicht der allgemeinen Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Baugenehmigung aufgehoben. Zwar fällt ein Krematorium mit Abschiedsraum, das – wie hier – die Voraussetzungen einer Gemeinbedarfsanlage erfüllt, unter den Begriff einer Anlage für kulturelle Zwecke i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Der Begriff ist ebenso offen angelegt wie der Begriff „Anlagen für kirchliche, soziale und gesundheitliche Zwecke“ und umfasst auch Einrichtungen der Bestattungskultur. Ungeachtet der Immissionsträchtigkeit der Verbrennungsanlagen stellt ein Krematorium mit Abschiedsraum ähnlich wie ein Friedhof einen Ort der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen dar. Eine solche Anlage verträgt sich aber entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets, das geprägt ist von werktätiger Geschäftigkeit. Das schließt es nicht aus, dass die Beklagte das betroffene Gebiet im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens unter Beteiligung der Öffentlichkeit überplant und so eine bauplanungsrechtliche Grundlage für das zwischenzeitlich errichtete Krematorium schafft. (Quelle: Pressemitteilung des BVerwG).

Die Besonderheit des Falles lag mithin darin, dass das Krematorium nicht bloß eine Verbrennungsanlage, sondern darüber hinaus noch einen Sterberaum enthielt. Im Rahmen einer Klausur wäre also zu argumentieren, dass Krematorien grundsätzlich in Gewerbegebieten zulässig sein können, dass von diesem Grundsatz aber eine Ausnahme zu machen ist, sofern das Krematorium den Charakteristika eines Friedhofs gleichkommt.

06.02.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-06 08:23:282012-02-06 08:23:28BVerwG mit examensrelevanter Baurechtsentscheidung zur BauNVO

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