Aufsatzwettbewerb: Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen der §§ 280 ff. BGB in der Examensklausur
Wir freuen uns, euch heute den dritten Beitrag zu unserem Aufsatzwettbewerb veröffentlichen zu können.
Der Beitrag wurde von David Ullenboom verfasst.
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I. Einführung
Die Abgrenzung der verschiedenen Haftungstatbestände der §§ 280 ff. BGB ist eine der schwierigsten Fragen des neuen Schuldrechts (BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 25). Um eine sachgerechte Abgrenzung in der Klausur vornehmen zu können, muss man sich zunächst die Systematik der §§ 280 ff. BGB vergegenwärtigen. Ausgangspunkt der neuen Systematik ist der Grundtatbestand des § 280 I BGB (sog. „einfacher Schadensersatz“). Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis und hat er die Pflichtverletzung zu vertreten, so ist er dem Gläubiger grds. zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei hat es aber nicht sein Bewenden. Gem. § 280 II BGB kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 (Mahnung) ersetzt verlangen (sog. „Verzugsschadensersatz“). § 280 III BGB fährt fort und bestimmt, dass der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 281 BGB (Fristsetzung) oder § 283 (nachträgliche Unmöglichkeit) beanspruchen kann (sog. „Schadensersatz statt der Leistung“). Der einfache Schadensersatz und der Verzugsschadensersatz treten neben die vertragliche Hauptleistungspflicht, lassen diese also unberührt (sog. „Schadensersatz neben der Leistung“). Der Schadensersatz statt der Leistung tritt, wie der Begriff bereits nahe legt, an die Stelle der Hauptleistungspflicht, bringt diese also zum Erlöschen (vgl. §§ 281 IV, 275 I, IV BGB)
Die Abgrenzung der verschiedenen Haftungsnormen ist im Übrigen keine rein akademische Frage für Examensklausuren, sondern eine Frage von immenser praktischer Bedeutung. Da Verzugsschadensersatz grds. nur im Falle einer Mahnung und Schadensersatz statt der Leistung nur bei Vorliegen einer Fristsetzung eingreift, kann die Frage der Anwendung der einschlägigen Haftungsnorm auch über Obsiegen und Unterliegen im Prozess entscheiden (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 26).
Das Verständnis der richtigen Anwendung der §§ 280 ff. BGB fällt vielen Studierenden der Rechtswissenschaft auch deshalb so schwer, weil dem modernen Schuldrecht nach wie vor ein Stück weit die „verschüttete“ Dogmatik des alten Schuldrechts vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 zugrunde liegt. Darauf wird an geeigneter Stelle zurückzukommen sein.
II. Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung (§§ 281, 283) und Schadensersatz neben der Leistung (§§ 280, 286)
Für die Abgrenzung von Schadensersatz statt der Leistung und Schadensersatz neben der Leistung haben sich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion im Wesentlichen zwei Lösungsansätze herausgebildet. Während manche eine begriffliche Abgrenzung anhand der Art des Schadens vornehmen möchten (sog. „begriffsbezogener Ansatz“), favorisiert die Gegenansicht eine zeitliche Abgrenzung, d. h. eine Abgrenzung danach, wann der Schaden auf der Zeitachse beginnend ab Fälligkeit der Hauptleistungspflicht eingetreten ist. Entscheidend ist hier der Entstehungszeitpunkt des Schadens (sog. „zeitlicher Ansatz“), vgl. zum Ganzen BeckOK-Unberath, § 281 Rn. 27.
1. Der begriffsbezogene Ansatz setzt bei dem Begriff „Schadensersatz statt der Leistung“ in § 281 BGB an und versucht diese Schadensart vom Schadensersatz neben der Leistung schadensphänomenologisch abzugrenzen (z.B. Grigoleit/Riehm, ACP 203, 727, 762; Jauernig-Stadler, § 280, Rn. 3 f.). Mit Schadensersatz statt der Leistung soll demnach nur das „Äquivalenzinteresse“ ersatzfähig sein. Dies ist das Interesse des Gläubigers, eine gemessen an seiner Leistung gleichwertige Gegenleistung zu erlangen und diese planmäßig verwenden oder verwerten zu können (z. B. Wert der Sache, entgangener Weiterveräußerungsgewinn, Mehrkosten eines Deckungskaufs). Über Schadensersatz neben der Leistung, soll nur das sog. „Integritätsinteresse“, d. h. das Interesse des Gläubigers an der Unversehrtheit seiner sonstigen Rechtsgüter, ausgeglichen werden. Gleichbedeutend unterscheidet man im Gewährleistungsrecht (§ 437 Nr.3 iVm §§ 280 ff.) zwischen dem sog. „Mangelschaden“, der allein über § 437 Nr.3, 281, 283 ersatzfähig sein soll und dem sog. „Mangelfolgeschaden“, der dem § 437 Nr.3, 280 I unterfällt. Der Mangelschaden ist hierbei der Schaden an der Sache selbst und der allgemeine Vermögensschaden (z. B. mangelbedingter Minderwert). Der Mangelfolgeschaden hingegen ist der Schaden, der dem Gläubiger an anderen Rechtsgütern als der Kaufsache entstanden ist (z. B. Körperschäden, Schäden an anderen Sachen).
2. Im Anschluss an Lorenz, NJW 2002, 2497 ff. hat sich aber der zeitbezogene Ansatz überwiegend durchgesetzt. Lorenz hat zurecht darauf hingewiesen, dass die Verwendung der aus dem alten Schuldrecht geläufigen Begriffe wie Mangelschaden und Mangelfolgeschaden oder Äquivalenzinteresse und Integritätsinteresse, den Blick auf die Systematik des neuen Schuldrechts verstellt (Lorenz, NJW 2002, 2500). Der zeitbezogene Ansatz setzt hierbei nicht bei dem Begriff „Schadensersatz statt der Leistung“ in § 281 an. Weil der Gläubiger gem. §§ 281, 283 nur „unter den Voraussetzungen des § 280 I“ Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann und gem. § 280 I der „durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden“ zu ersetzen ist, soll Dreh- und Angelpunkt des neuen Leistungsstörungsrecht die „Pflichtverletzung“ des Schuldners sein. Schäden, die zeitlich vor der Pflichtverletzung endgültig entstanden sind, sollen nur mit Schadensersatz neben der Leistung ersatzfähig sein. Schäden, die hingegen zeitlich nach der Pflichtverletzung entstanden sind, sollen dem Schadensersatz statt der Leistung unterfallen. Worin indes genau die Pflichtverletzung im Rahmen der §§ 281, 283 BGB zu erblicken ist, ist umstritten. Im Wesentlichen werden hier die folgenden drei Ansichten vertreten:
a) Nach einer Ansicht ist die entscheidende Pflichtververletzung der §§ 281, 283 in der nicht ordnungsgemäßen Leistung trotz Fälligkeit zu erblicken. Demgemäß sei der Gläubiger im Rahmen der §§ 281, 283 so zu stellen, wie er stünde, wenn „ordnungsgemäß“, d. h. bei Fälligkeit und mangelfrei, geleistet worden wäre (z. B. Palandt-Grüneberg, § 281 Rn. 25). Dieser Ansicht liegt die Vorstellung zugrunde, dass der dem neuen Schuldrecht entstammende Begriff des „Schadensersatz statt der Leistung“ identisch sei mit dem Begriff des „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ nach altem Recht gem. den §§ 283, 326 I, 463 BGB a. F.. Der BGH hatte entschieden, dass der Gläubiger im Rahmen dieses Schadensersatzanspruchs so zu stellen sei, als wenn ordnungsgemäß zum vorgesehenen Erfüllungszeitpunkt erfüllt worden wäre (vgl. zuletzt BGH NJW 1999, 2625).
Dieser ersten Ansicht hat sich jüngst zumindest für das allgemeine Leistungsstörungsrecht, nicht aber für das Gewährleistungsrecht (!), auch der BGH angeschlossen und seine Rechtsprechung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung insoweit nunmehr auf den Anspruch aus § 281 BGB übertragen (vgl. BGH JZ 2010, 44 ff.).
In der Konsequenz dieser Ansicht liegt es aber, dass grds. alle Schäden, die zeitlich nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit eingetreten sind, mit dem Schadensersatzanspruch aus §§ 281, 283 BGB zu ersetzen wären. Also auch typische Integritätsschäden wie Gesundheitsverletzungen und typische Verzögerungsschäden wie z. B. Kosten für die vorübergehende Anmietung einer Ersatzsache. Da dies sogar manchen Vertretern dieser Ansicht zu weit geht, wollen einige nun wiederum in einem zweiten Schritt typische Integritäts- und Verzugsschäden aus dem Anwendungsbereich der §§ 281, 283 ausklammern (so z. B. Jauernig-Stadler, § 281 Rn. 16). Dass dies dann wieder auf eine (längst überwundene) begriffsbezogene Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen nach typischen Schadensarten hinausläuft ist offenbar.
Obwohl man feststellen muss, dass diese erstgenannte Ansicht jedenfalls in quantitativer Hinsicht mittlerweile herrschende Meinung sein dürfte, sollte man ihr in der Klausur nicht folgen. Insbesondere befindet sich die dazu ergangene oben zitierte BGH-Rechtsprechung noch in der Entwicklung und die weitere Konkretisierung und Ausdifferenzierung durch den Bundesgerichtshof sollte vorerst abgewartet werden. Diese Ansicht führt auch im Ergebnis zu einer völligen Verwischung der Grenzen zwischen den verschiedenen Schadensersatznormen der §§ 281/283, 286 und 280 BGB, was sicherlich nicht im Sinne des Erfinders, nämlich des Gesetzgebers gewesen sein dürfte.
b) Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht ist die maßgebliche Pflichtverletzung des § 281 nicht in der nicht ordnungsgemäßen Leistung bei Fälligkeit, sondern in der Nichtleistung oder Nicht-Nacherfüllung bei Ablauf der gem. § 281 dem Schuldner gesetzten Frist zu sehen. Der Gläubiger sei also so zu stellen, wie er stünde, wenn der Schuldner bei Fristablauf geleistet bzw. nacherfüllt hätte. Ist eine Fristsetzung gem. § 281 II BGB ausnahmsweise entbehrlich tritt an die Stelle des Fristablaufs der Zeitpunkt, in dem die Umstände (z. B. Erfüllungsverweigerung) eingetreten sind, die eine Fristsetzung obsolet gemacht haben (so z. B. Haberzettel, NJW 2007, 1329). Gegenüber der erstgenannten Ansicht kann diese Ansicht für sich ins Felde führen, dass die relevante Pflichtverletzung bei § 281 BGB die Nichtleistung trotz Fristablaufs ist. Die bloße Nichtleistung oder eine mangelhafte Lieferung sind zwar ebenfalls Pflichtverletzungen, diese führen aber allein noch nicht zu einem Anspruch aus § 281 BGB. Erforderlich ist vielmehr grds. immer eine erfolglose Fristsetzung zur Leistung oder Nacherfüllung. In der Konsequenz dieser Ansicht können Schäden, die vor Ablauf der gesetzten Frist bereits endgültig entstanden sind, nur im Rahmen des Schadensersatzes nebend der Leistung (§§ 280, 286) geltend gemacht werden. Mit dem Anspruch aus § 281 können nur solche Schäden ausgeglichen werden, die nach Ablauf der Frist entstanden sind. Zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Verzögerungsschäden, die erst nach Fristablauf eingetreten sind, kann es also immer noch zu Überschneidungen kommen, die eine saubere Abgrenzung verhindern.
c) Gewichtige Literaturstimmen, darunter insbesondere Lorenz sehen die relevante Pflichtverletzung der §§ 281, 283 BGB in dem endgültigen Ausbleiben der Leistung. Die Leistung bzw. Nacherfüllung bleibe aber erst in dem Moment endgültig aus, in dem der Schuldner sie nicht mehr erbringen könne (§§ 283, 275 IV) oder nicht mehr erbringen dürfe (§§ 281 IV, 323 ff.). Abzustellen sei also auf den Zeitpunkt, in dem die Leistung oder Nacherfüllung unmöglich geworden sei, in dem das Schuldverhältnis durch Rücktritt erloschen sei oder in dem der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung geltend mache (dann § 281 IV). Der Gläubiger sei demgemäß so zu stellen, wie er stünde, wenn eine logische Sekunde vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung noch geleistet oder nacherfüllt worden wäre. Der entscheidene Vorteil dieser Ansicht ist, dass sie eine saubere Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Schadensersatz neben der Leistung ermöglicht. Mit dem endgültigen Ausbleiben der Leistung geht der Erfüllungs- bzw. Nacherfüllungsanspruch unter (§§ 275, 281 IV, §§ 346 ff.). Ab diesem Zeitpunkt ist Verzug (§ 286) ausgeschlossen. Bei allen Schäden, die vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung endgültig eingetreten sind, kann es sich also nur noch um einen einfachen Schadensersatz gem. § 280 I oder einen Verzugsschadensersatz gem. § 286 handeln.
Die entscheidende Testfrage dieser Ansicht lautet also: „Wäre der Schaden ebenfalls eingetreten, wenn der Schuldner eine logische Sekunde vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung seine Leistung noch erbracht hätte?“ – Bejahendenfalls handelt es sich um Schadensersatz neben der Leistung, andernfalls handelt es sich um Schadensersatz statt der Leistung, weil der Schaden durch eine – wenn auch verspätete Leistung – noch hätte behoben werden können (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 281 Rn. 28).
Auch diese Ansicht ist indes nicht ganz zweifelsfrei. Da der Leistungsanspruch gem. § 281 IV BGB erst mit Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung untergeht, wäre der Gläubiger grds. gezwungen, Schadensersatz geltend zu machen bevor der Schaden überhaupt entstanden ist, da dieser ja erst nach der Geltendmachung eingetreten sein darf um nach § 281 ersatzfähig zu sein. Dieser Widerspruch mag in gewisser Weise dadurch relativiert werden, dass zumindest Kaufleute ihren Schaden „abstrakt“ berechnen können, d. h. in Gemäßheit eines fiktiven Deckungsgeschäfts ohne fixen Zeitpunkt. Dies hilft indes unter Privatleuten nicht weiter. Ebenso müsste diese Ansicht in letzter Konsequenz auch typische Integritätsschäden wie Gesundheitsverletzungen, die nach dem endgültigen Ausbleiben der Leistung entstanden sind, in den Anspruch aus § 281 BGB mit einbeziehen. Auch hier kann man wieder das Phänomen beobachten, dass die Literaturvertreter dieser Ansicht einen teilweisen „Rückzieher“ machen und typische Integritätsschäden in einem zweiten Schritt aus dem Anwendungsbereich der §§ 281, 283 wieder herausnehmen wollen (so z. B. Lorenz, NJW 2002, 2500).
d) Stellungnahme
In der Examensklausur sollte man der letztgenannten Meinung folgen, weil diese am ehesten eine saubere Abgrenzung der verschiedenen Anspruchsgrundlagen der §§ 280 ff. ermöglicht. Meines Erachtens kommt man aber gänzlich ohne „Anleihen“ bei den Befürwortern eines begriffsbezogenen Ansatzes in der Klausur schwer zurecht. Deshalb würde ich dazu raten, die begehrten Schäden zunächst anhand der oben beschriebenen Testfrage darauf zu überprüfen, ob sie grds. dem Schadensersatz statt der Leistung oder dem Schadensersatz neben der Leistung zuzurechnen sind. In einem zweiten Schritt würde ich dann (gedanklich) prüfen, ob das gefundene Ergebnis auch „stimmig“ ist. Typische Integritätsschäden (z. B. Körperverletzungen oder die Beschädigung anderer Sachen) und typische Verzugsschäden (z. B. Rechtsverfolgungskosten, Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache, Zinsen) sollte man dann dem Anwendungsbereich des § 281 BGB entziehen und unter § 280 I oder § 286 subsumieren. Ein Prüfer im Examen wäre sicher überrascht, wenn Rechtsanwaltskosten oder ärztliche Behandlungskosten unter einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung im Rahmen eines Kauf- oder Werkvertrages subsumiert würden, auch wenn dies der zeitbezogene Ansatz in letzter Konsequenz nahe legt.
III. Abgrenzung zwischen einfachem Schadensersatz (§ 280 I) und Verzugsschadensersatz (§ 286)
Hat man die eingetreten Schäden nach den vorherigen Ausführungen dem Bereich des Schadensersatzes statt der Leistung oder dem Schadensersatz neben der Leistung zugeordnet, dann stellt sich im letzteren Fall die weitere Frage, ob der Schaden ohne vorherige Mahnung als einfacher Schadensersatz gem. § 280 I BGB ersatzfähig ist oder ob es sich um einen Verzugsschaden handelt, der nur unter den Voraussetzungen des § 286 beansprucht werden kann (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 29).
Diese Abgrenzung ist wesentlich einfacher und im Wesentlichen unstreitig. Gem. § 286 BGB nur nach vorheriger Mahnung ersatzfähig sind grds. nur diejenigen Schäden, die ausschließlich auf der Verzögerung der Leistung oder Nacherfüllung beruhen. Alle sonstigen Schäden, die nicht durch die Verzögerung der Leistung, sondern schwerpunktmäßig durch eine andere Pflichtverletzung (insbesondere Nebenpflichtverletzung gem. § 241 II BGB und Schlechtleistung als Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2 BGB) verursacht wurden, sind dann gem. § 280 I als einfacher Schadensersatz ersatzfähig (vgl. Palandt-Grüneberg, § 280 Rn. 13). Nach §§ 437 Nr.3, 280 I BGB ersatzfähig ist deshalb nach h. M. insbesondere der sog. „Betriebsausfallschaden“, weil dieser unmittelbar auf der Lieferung einer mangelhaften Sache beruhen soll und nicht ausschließlich auf die Verzögerung der Nacherfüllung zurückzuführen sei (vgl. BGH NJW 2009, 2674, str.).
IV. Besonderheiten im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit (§ 311a II)
Die anfängliche Unmöglichkeit machte eine § 283 BGB verdrängende Sonderregelung in § 311a II BGB erforderlich. Die §§ 280 ff. BGB setzen eine Pflichtverletzung voraus, im Falle anfänglicher Unmöglichkeit ist der Vertrag zwar wirksam (vgl. § 311a I), eine einklagbare Hauptleistungspflicht, die der Schuldner potentiell verletzen konnte, bestand aber von Anfang an nicht (§ 275 I BGB). § 311a II macht es dem Schuldner demgegenüber zum Vorwurf, dass er sich vor Vertragschluss nicht über seine eigene Leistungsfähigkeit versichert hat, es geht also um eine Pflichtverletzung im vorvertraglichen Bereich zu einem Zeitpunkt, als der Vertrag noch gar nicht geschlossen war (Jauernig-Stadler, § 311a Rn. 5).
Anders als bei § 283, wo hinsichtlich der Pflichtverletzung potentiell auf die Nichtleistung bei Fälligkeit oder auf die später eintretende Unmöglichkeit der Leistung abgestellt werden kann, gibt es bei § 311a II BGB nur eine Pflichtverletzung, nämlich die Kenntnis oder die zu vertretende Unkenntnis des Leistungshindernisses bei Vertragschluss. Zu ersetzen ist das positive Interesse. In diesem Fall ist der Gläubiger dann unstreitig so zu stellen, wie er stünde, wenn ordnungsgemäß, d. h. bei hypothetischer Fälligkeit und mangelfrei geleistet worden wäre (Staudinger-Löwisch, § 311a Rn. 39). Schwierige Abgrenzungsfragen wie oben unter II. ergeben sich hier nicht.
Geht es um die Lieferung einer Sache mit anfänglichem unbehebbaren Mangel, so kann der Gläubiger neben dem Schadensersatz statt der Nacherfüllung gem. §§ 437 Nr.3, 311a II BGB auch gem. §§ 437 Nr.3, 280 I den unmittelbar auf der Mangelhaftigkeit der Sache beruhenden Schaden (insbesondere den sog. „Betriebsausfallschaden“) ersetzt verlangen (vgl. Palandt-Grüneberg, § 311a Rn. 7; s. bereits oben).
V. Besonderheiten im Falle des Gewährleistungsrechts (§§ 437 Nr.3, 280 ff. BGB)
Die obigen Ausführungen lassen sich im Grundsatz auch auf das Gewährleistungsrecht übertragen, weil § 437 BGB für die Gewährleistungsrechte weitgehend auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht verweist (Ausnahme: Minderung gem. § 441 als Besonderheit des Gewährleistungsrechts!). Man muss sich aber folgende Unterschiede gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht klar machen. Spricht das Gesetz im Zusammenhang mit § 437 Nr.3 nun von „Schadensersatz statt der Leistung“, ist damit nicht mehr der ursprüngliche Leistungsanspruch auf Lieferung der Sache gemeint, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. §§ 437 Nr.1, 439. Schadensersatz statt der Leistung ist also nunmehr „Schadensersatz satt der Nacherfüllung“. Denn ursprünglich hat der Gläubiger gem. § 433 I 2 BGB einen einklagbaren Erfüllungsanspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache. Mit Übergabe (Gefahrübergang gem. § 446 S.1) wandelt sich dieser ursprüngliche allgemeine Erfüllungsanspruch in einen Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 BGB (sog. „modifizierter Erfüllungsanspruch“). Liefert der Schuldner also eine mangelhafte Sache, dann verstößt er dadurch gegen § 433 I 2. Erbringt er anschließend die Nacherfüllung verspätet oder gar nicht, dann verstößt er gegen seine Pflicht aus §§ 437 Nr.1, 439 BGB. Ebenso ist §§ 437 Nr.3, 286 der Sache nach dann „Schadensersatz wegen Verzögerung der Nacherfüllung“.
Schöner Beitrag, allerdings hätte ich dazu eine Frage:
Ich kenne das aus bisherigen Klausuren nur so, dass man zur Abgrenzung ob Schadensersatz statt oder neben der Leistung darauf abstellt, ob eine hypothetisch gedachte fristgerechte Nacherfüllung den Schaden entfielen ließe, also eine Fristsetzung Sinn macht.
Nun erschien mir das auch völlig ausreichend als Abgrenzung innerhalb einer Klausur.
Muss man daher überhaupt noch die anderen Meinungen dazu anführen? Insbesondere da hier gesagt wird, dass dies scheinbar nichtmal herrschende Meinung zu sein scheint?
Hallo lieber Leser. Also wenn du im Rahmen der Abgrenzung von SE statt der Leistung und neben der Leistung darauf abstellst, ob der Schaden bei einer Leistung innerhalb der gesetzten Nacherfüllungsfrist entfallen wäre und wie du richtig meinst, eine Nacherfüllung deshalb sinn macht, dann folgst du der Ansicht, wonach die relevante Pflichtverletzung im Rahmen des zeitbezogenen Ansatzes die Nichtvornahme der Nacherfüllung trotz Fristablaufs ist. Diese Ansicht ist zwar stark im kommen, aber nicht herrschend. Zu deiner zweiten Frage: Natürlich würde ich die drei vertretenen Ansichten hinsichtlich der hypothetischen Schuldnerleistung nicht in epischer Breite darstellen und prüfen, wenn die Ersatzfähigkeit eines Schadens offensichtlich unproblematisch ist, insbesondere, wenn alle 3 Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen. Insbesondere bei Deckungsgeschäften zwischen Fristablauf und Geltendmachung von SE statt der Leistung (klassicher Fall) würde ich die Ansichten ansprechen. Allgemein lässt sich wohl sagen, dass man in der Klausur schnell erkennt, ob das Schwergewicht des Falles auf der Abgrenzung der §§ 280 ff. BGB liegt. Mein Aufsatz soll auf der einen Seite diese pathologischen Fälle klären aber auch allgemein ein Verständnis für die Abgrenzungsfragen bei §§ 280 ff. wecken.
Beste Grüße,
David
Vielen Dank für diesen schönen Aufsatz. Vielleicht könnte man noch ein bisschen an der Sprache feilen, ansonsten sehr aufschlussreich.
Also für mich scheint die Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung und neben der Leistung mit Hilfe des Zeitpunkts der Pflichtverletzung kaum vertretbar.
Man kann doch nicht einfach pauschal sagen, die vor der Pflichtverletzung entstehenden Schäden unterfallen alle dem SE neben der Leistung und die zeitlich der Pflichtverletzung folgenden Schäden dem Schadensersatz statt der Leistung.
Davon abgesehen, dass die Abgrenzung mit Hilfe des Integritäts- sowie Äquivalenzinteresses sehr gut handhabbar ist und außerdem zu einer strukturierten sowie konsequenten Festlegung führt , würde die zeitbezogene Abgrenzung zur Vermengung unterschiedlicher Schadenspositionen führen, die aber vom Gesetzgeber, was aufgrund der Systematik des neuen Schuldrechts erkennbar ist, gerade nicht gewollt ist, nämlich der Vermengung von SE statt und neben der Leistung.
Sollte die Pflichtverletzung zu Schäden führen, die nicht nur Mangel-, sondern Mangelfolgeschäden umfassen und damit auch das Integritätsinteresse verletzen, die aber zeitlich nach der Pflichtverletzung entstanden sind, so wären diese ausschließlich also nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281, 283 BGB zu ersetzen.
Sollte dieses selbe Integritätsinteresse jedoch zeitlich vor der Pflichtverletzung verletzt worden sein, so soll es ein SE neben der Leistung sein? Das hieße, Mangelfolgeschäden würden manchmal als SE neben der Leistung und manchmal als SE statt der Leistung, also als Ersatz statt der ursprünglich geschuldeten Leistung behandelt, obwohl sie mit der geschuldeten Leistung selbst absolut nichts zu tun haben.
Hier wird zu viel der Systematik vermischt und durcheinander gebracht. Man muss sich fragen, wäre der Schaden entfallen, wenn man sich im Nachhinein vorstellt, die Pflicht wäre ordnungsgemäß erfüllt worden und daher keine Pflichtverletzung vorhanden. Denn immer verhält es sich so, dass durch Hinzudenken der ordnungsgemäßen Pflichterfüllung eben beispielsweise der mangelfreien Lieferung einer Sache, eben der Schaden in Form des Mangels wegfällt, was das Äquivalenzinteresse darstellt, und nur das darüber hinaus verletzte Integritätsinteresse übrig bleibt, also Schäden, die auch verbleiben, wenn der Schuldner noch ordnungsgemäß erfüllt.
Du kannst den begriffsbezogenen Ansatz ja auch gerne vertreten, aber er ist halt Mindermeinung! Und in der Klausur im ersten Examen, wollen die Prüfer nun mal meistens die h. M. hören!
LG David
Ich habe es zwar noch nicht genau nachgelesen, aber ich bezweifele, dass es sich bei dem zeitbezogenen Ansatz, der so pauschal ist und jeder rationalen Begründung entbehrt,um die herrschende Meinung handelt…Werde das mal die Tage, wenn ich Zeit habe untersuchen…
Der BGH kann es nicht ganz falsch machen. Es ist eben alles anders, seitdem wir die Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache haben. Wichtig ist aber, dass der Verkaeufer in der Regel den Entlastungsbeweis fuehren kann, und dann faellt die ganze schoene Konstruktion wieder in sich zusammen.
Zu den Besonderheiten im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit: Die Aussage, dass „insbesondere der sog. ‚Betriebsausfallschaden'“ bei anfänglicher Unmöglichkeit nach §§ 437 Nr. 3, 280 I zu ersetzen ist, ist meines Erachtens falsch. Denn hätte der Schuldner im Zeitpunkt der Fälligkeit (welche übrigens auch bei anfängllicher Unmöglichkeit tatsächlich und nicht nur hypothetisch besteht) geleistet, wäre auch der Nutzungsausfallschaden nicht eingetreten. Daher ist jeglicher Nutzungsausfallschaden bei anfänglicher Unmöglichkeit nach § 311a II bzw. nach §§ 437 Nr. 3, 311a II zu ersetzen.
Oder?
Also, keine Ahnung, aber ich schaue idR., ob der Schaden aus einer Haupleistungspflicht oder Nebenpflicht resultiert.
Soweit kein Verzug mit Erfordernis einer Mahnung vorliegt, habe ich im letzteren Fall grds. Schadensersatz neben der Leistung.
Bei Verletzung einer Hauptleistungspflicht schaue ich weiter, ob grds. das Erfordernis von Nacherfüllung sinnvoll erscheinen kann, oder ein solches Erfordernis über die urspüngliche, noch nicht erfüllte Hauptleistung hinausginge o.ä.
Im erstgenannten Fall hätte ich grds. Schadensersatz statt der Leistung, letzteren Fall Schadensersatz neben der Leistung?
Ansonsten erscheint die Abgrenzung vielleicht doch eher akademisch?
Kannst du die Methode noch etwas detaillierter ausführen? Wird noch nicht so ganz klar
Das oben von mir Geschriebene erhebt nicht den Anspruch, ein vollkommen ausgereifte, schulmäßige Lehre sein zu wollen.
Vielmehr habe ich nur aufzuschreiben versucht, wie ich praktisch verfahre und meistens dabei damit, wie ich meine, ganz gut zu liegen scheine, (befreit von dem ganzen theoretischen Ballast).
Was genau ist hier denn noch unklar?
Guter Artikel! Nur sollte man den letzten Satz streichen. § 437 Nr. 3 verweist nicht auf § 286 und nach hM auch nicht indirekt über § 280.
Doch, tut er. Beck’scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, § 437, Rn. 147 f.
Erst erkundigen, dann schreiben.
Sehr hervorragender Artikel!