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Schlagwortarchiv für: Schadensersatz

Redaktion

Gedächtnisprotokoll ZR II August 2022 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Zivilrechtsklausur des August-Durchgangs 2022 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Ibrahim A. ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Ihr habt gerade Examen geschrieben, seid mittendrin oder steht kurz davor? Dann helft uns, eine lange Tradition fortzuführen und nachfolgende Generationen von Examenskandidaten zu unterstützen, indem ihr Protokolle eurer eigenen Klausuren unter examensreport@juraexamen.info einreicht.

Ausgangsfall

Die T-GmbH (T) ist Eigentümerin eines Grundstücks und einer darauf befindlichen Tennisanlage. Da das Geschäft sehr gut läuft, entschließt sich die T, auf ihrem Grundstück eine
weitere Tennishalle zu bauen. G, Geschäftsführerin der T, beauftragt Dachdeckerin D im Jahr 2016 damit, das Dach der neuen Halle zu decken und eine Photovoltaikanlage zu installieren. Am 01.06.2016 stellt D das Dach einwandfrei fertig und befestigt die Photovoltaikanlage auf der gesamten Fläche des Dachs. Kurz zuvor ist die G allerdings erkrankt und daher weder persönlich noch telefonisch erreichbar. Daher erklärt der Mitarbeiter M der T, der in der Vergangenheit schon öfter im Namen der T aufgetreten ist, der D gegenüber, dass alles „in Ordnung“ sei und das Werk nun abgenommen ist. Dieses Verhalten des M war der G schon seit längerem bekannt und missfiel ihr insgeheim. Den M hat sie darauf aber nie angesprochen und auch sonst keine Maßnahmen diesbezüglich ergriffen. Da M auch der D gegenüber bereits mehrfach als Vertreter aufgetreten ist, ging D davon aus, M sei zur Abnahme befugt. Nach der Abnahme erfolgt zeitnah die Verkleidung der Decke und die Anbringung von Lichtern/Lampen durch andere Unternehmer. Am 15.06.2022 stellt ein Mitarbeiter der T fest, dass sich ein großer Wasserfleck an der Decke gebildet hat. Nähere Untersuchungen ergeben, dass D den Kabeldurchlauf für die Photovoltaikanlage nicht entsprechend den Regeln der
Technik abgedichtet hat. Aufgrund dessen lief bei Regenfällen Wasser in die Deckenverkleidung und sammelte sich dort an. Daher müssen Deckenverkleidung, Lichter und Kabeldurchführung vollständig entfernt und neu gemacht werden. T beauftragt Unternehmer U mit den Reparaturarbeiten. Die Kosten der erneuten Verkleidung der Decke belaufen sich auf 20.000€. Die Neuverkabelung und Anbringung der Lichter kostet 10.000€. Der Austausch der fehlerhaften Kabeldurchführung kostet T 2000€.Nach Fertigstellung der Arbeiten wendet T sich an D und verlangt Ersatz der Kosten. D weigert sich. T könne schon deswegen nichts von D verlangen, weil T sie nicht über das Problem informiert hat. Außerdem seien alle Ansprüche nach so langer Zeit schon verjährt. T hält dem entgegen, es sei schon keine Abnahme erfolgt, da M hierzu nicht befugt gewesen sei. Außerdem stehe ihr zumindest ein Anspruch wegen Eigentumsverletzung zu.

Frage 1:

Kann T von D Ersatz der genannten Kosten in Höhe von insgesamt 32.000€ verlangen?

Fallfortsetzung

Der Hobbysportler L spielt gerne und regelmäßig Tennis, unter anderem auch in der Halle der T. Da er es genießt, wenn möglichst viele Menschen ihm dabei zusehen, bucht er am 01.08.2022 für 30€ pro Stunde inkl. Getränkeflatrate einen Tennisplatz der T, der sich direkt neben dem Bistro der Tennishalle befindet. Die Seite des Bistros, die an den Tennisplatz angrenzt, verfügt über eine Glaswand, die es den Kunden ermöglicht, Tennisspiele auf dem angrenzenden Platz zu verfolgen. Bei einem besonders hitzigen Spiel gerät der Ball an die Grenze des Spielfelds. Um den Ball noch zu erwischen, läuft L in vollem Tempo zum Spielfeldrand. Nachdem er den Ball zurückgeschlagen hat, kann L aber nicht mehr rechtzeitig abbremsen und läuft daher – für ihn objektiv vorhersehbar – gegen die Glaswand des Bistros, die aufgrund des Aufpralls bricht. Außer der Glaswand müssen auch Teile des verbundenen Mauerwerks ausgetauscht werden. Die Reparaturarbeiten kosten die T 5000€. Während der Arbeiten kann der anliegende Platz nicht genutzt werden. Der T entgehen daher Einnahmen in Höhe von 1000€ wöchentlich. Aufgrund von Baustoffknappheit dauert die Lieferung benötigter Materialien vier Wochen statt üblicherweise zwei Wochen. T verlangt von L Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 5000€ sowie Ersatz der vergangenen Einnahmen in Höhe von 4000€.L hält dem entgegen, dass ihm kein Vorwurf zu machen sei. Die T hätte den Abstand zwischen Spielfeldrand und Bistro ohne hohe Kosten von 2,50m auf 3m erhöhen können, wodurch die Wahrscheinlichkeit von Zusammenstößen erheblich vermindert worden wäre. Außerdem sei L nicht daran schuld, dass T nur einfaches Glas anstatt von – in anderen Ballsporthallen üblichem – verstärktem Glas verbaut hat, das dem Aufprall standgehalten hätte. Auch hat L sich – was zutrifft – an die Regeln der International Tennis Foundation (ITF) gehalten, wonach es erlaubt ist, den Ball auch außerhalb der Grenzen des Spielfelds noch zu zurückzuschlagen. Ferner sei es nicht die Schuld des L, dass sich die Lieferung der Baustoffe verzögert hat, da er hierauf – was zutrifft – keinen Einfluss hatte.

Frage 2:

Hat T gegen L einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe
von 5000€ sowie des entgangenen Gewinns in Höhe von 4000€?

Bearbeitervermerk:

Auf alle Rechtsfragen ist einzugehen.
Übergangsvorschriften sind bei der Bearbeitung außer Acht zu lassen.

29.09.2022/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2022-09-29 08:30:002022-09-21 09:20:09Gedächtnisprotokoll ZR II August 2022 NRW
Philip Musiol

Ticketverkaufsstellen wie Eventim müssen bei coronabedingtem Veranstaltungsausfall nicht die Ticketkosten zurückerstatten

Kaufrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Uncategorized, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Entscheidungen rund um das Coronavirus beherrschen nach wie vor die Rechtsprechung. Besonders die letztinstanzlichen Entscheidungen sind dabei von besonderer Prüfungsrelevanz, so auch das Urteil des BGH vom 13.07.2022, Az. VII ZR 329/21.

I.             Sachverhalt

Die Klägerin K hatte bei einer Vorverkaufsstelle, dem Ticketdienstleister T, im Dezember 2019 fünf Konzertkarten gekauft, das Konzert sollte am 21.03.2020 stattfinden. T ist dabei nicht selbst Veranstalter der Veranstaltungen, sondern vertreibt die Tickets nur im Auftrag des jeweiligen Veranstalters in eigenem Namen als Kommissionärin (§ 383 HGB). Das Konzert wurde schließlich aus Infektionsschutzgründen abgesagt. Anders als bei anderen Veranstaltungen der Fall, handelte es sich hierbei augenscheinlich um eine „endgültige“ Absage, ohne dass in dem Urteil Versuche, das Konzert zu verschieben thematisiert werden. Infolge der Absage wurde der Klägerin von der Veranstalterin – wohlgemerkt: nicht von der Vorverkaufsstelle – ein Wertgutschein angeboten. K lehnte diesen Wertgutschein ab und forderte stattdessen den Ticketdienstleister T auf die Erstattung des Ticketpreises in Anspruch. In erster Instanz war K hiermit erfolgreich, das Berufungsgericht wies die Klage ab. Mit ihrer Revision begehrte K nun die Wiederherstellung des erstinstanzlichen, der Klage stattgebenden Urteils.

II.            Entscheidung

Die Revision brachte nicht das von der Klägerin erhoffte Ergebnis. Der BGH wies die Revision zurück und schloss sich der Entscheidung des Berufungsgerichts an.

Zunächst ordnete der BGH den Vertrag, der zwischen K und T zustande gekommen war, als Rechtskauf im Sinne des § 453 BGB ein, um dann in einem zweiten Schritt einen Anspruch auf Rückerstattung des Ticketpreises infolge eines Rücktritts nach §§ 453 Abs. 1 aF, 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB abzulehnen. Denn es fehle an einem Rücktrittsgrund: Hauptleistungspflicht der T war nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag die Verschaffung des Rechts auf Teilnahme an Konzert durch Übertragung des Eigentums und des Besitzes an der dieses Recht verbriefenden Eintrittskarte. Keine Leistungspflicht der T aus dem Rechtskaufvertrag sei demgegenüber die Durchführung des Konzerts selbst. Durch die Übereignung der Eintrittskarte habe T ihre Verpflichtung damit vollständig erfüllt, für eine nachträgliche Absage des Konzerts hafte sie nicht. Insbesondere habe T ihre Verpflichtung zur Verschaffung eines Teilnahmerechts nicht mangelhaft erfüllt: Zum Zeitpunkt der Übertragung des Rechts an K war die Durchführung des Konzerts noch planmäßig vorgesehen und K stand das künftige Recht zur Teilnahme daran zu. Eine spätere, coronabedingte Absage der Veranstaltung könne schon deshalb keine Mängelgewährleistungsrechte der K begründen, weil es sich bei der Absage um einen Umstand handelt, der nach der bereits erfolgten mangelfreien Übertragung des Rechts eintrat. Maßgeblich für die Mangelfreiheit sei der Zeitpunkt der Übertragung des verkauften Rechts. Die Eintrittskarten verschafften der K dagegen als kleine Inhaberpapiere gemäß §§ 807, 793 Abs. 1 S. 1 BGB einen unmittelbaren Anspruch auf Durchführung und Teilnahme an der Veranstaltung gegen die Veranstalterin selbst. Hierbei handele es sich auch nicht um ein erst künftiges Recht. Das in der Eintrittskarte verkörperte Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung entstehe mit der Errichtung des kleinen Inhaberpapiers durch den Veranstalter und mit dem Abschluss des Begebungsvertrags, mit dem die verbriefte Forderung schuldrechtlich begründet werde. Dass das Konzert erst in der Zukunft stattfindet, ändere hieran nichts, weil das Recht zur Teilnahme bereits entstanden sei und es nicht mehr im Belieben des Veranstalters stehe, dem Inhaber einer Eintrittskarte das Teilnahmerecht zu verweigern.

Neben der Frage, ob T aus Mängelgewährleistungsrechten zur Rückerstattung verpflichtet sei, befasste sich der BGH damit, ob T eine Garantie für das Stattfinden der Veranstaltung übernommen hatte. Auch dies lehnte der BGH ab: Einem durchschnittlichen Erwerber von Eintrittskarten über eine Vorverkaufsstelle sei bekannt, dass die Vorverkaufsstelle in der Regel keinerlei Einfluss auf die Durchführung der Veranstaltung habe. Der Erwerb einer Eintrittskarte über eine Vorverkaufsstelle begründe die Erwartung, dass der Inhaber der Karte durch deren Vorzeigen von dem Veranstalter Zutritt zu der jeweiligen Veranstaltung verlangen kann. Demgegenüber könne man nicht erwarten, dass die Vorverkaufsstelle selbst dem Karteninhaber Zutritt zu der Veranstaltung verschaffen kann. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorverkaufsstelle verschuldensunabhängig und über die Pflichten eines Verkäufers hinaus für die Durchführung der Veranstaltung einstehen wolle. Auch der Umstand, dass sich der Käufer bei der Absage der Veranstaltung direkt an den Veranstalter richten müsse, mit dem er bis dahin keinen unmittelbaren Kontakt hatte, führte nach Ansicht des BGH zu keinem anderen Ergebnis. Stattdessen handele es sich hierbei um eine notwendige und für den Käufer vorhersehbare Folge des Auseinanderfallens von Verkäufer und Veranstalter.

Weiterhin ergebe sich auch wegen eines Widerrufs nach §§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1, 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB kein Rückzahlungsanspruch. Zwar bejahte der BGH das Vorliegen eines Fernabsatzvertrags, hielt jedoch gleichzeitig den Ausschlusstatbestand nach § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung für einschlägig. Denn der Rechtskaufvertrag habe das Zugangsrecht zu einer „auf einen bestimmten Zeitpunkt terminierten Freizeitbetätigung – einer Konzertveranstaltung – zum Gegenstand und [sei] somit als Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 16 Buchst. l der Verbraucherrechterichtlinie und dementsprechend als von § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB erfasst anzusehen“ (Rn. 45). Die Veranstalterin sei vorliegend Kommittentin und schulde der Vorverkaufsstelle im Falle eines Widerrufs die Rückerstattung des Kaufpreises an den Verkäufer. Damit würde die Veranstalterin das wirtschaftliche Risiko des Widerrufs des Vertrags und das Risiko bezüglich der frei gewordenen Kapazitäten tragen.

Schließlich lehnte der BGH noch einen Anspruch der K auf Rückzahlung des Kaufpreises wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage des Rechtskaufvertrags gemäß § 313 Abs. 1, 3 BGB ab. Dabei lässt er offen, ob es zu einer Störung der Geschäftsgrundlage kam. Zwar führt er aus, dass dem Vertrag die beidseitige und nachträglich schwerwiegend gestörte Erwartung zu Grunde gelegen haben dürfte, dass sich bis zu dem geplanten Veranstaltungstermin die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, unter denen Großveranstaltungen grundsätzlich zulässig waren, nicht etwa auf Grund einer Pandemie ändern würden mit der Folge von hoheitlichen Verboten solcher Veranstaltungen. Es genüge, dass die Parteien diese Umstände als selbstverständlich ansahen, ohne sich diese bewusst gemacht zu haben. Darauf komme es aber deshalb nicht an, weil neben der Annahme einer Geschäftsgrundlage (bzw. des Wegfalls derselben) für die eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1, 2 BGB erforderlich ist, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Daran fehle es in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall. Zunächst nutzt der BGH die Gelegenheit, um zum Verwendungsrisiko von Eintrittskarten auszuführen: Grundsätzlich trage der Käufer das Risiko, den Kaufgegenstand nicht wie von ihm beabsichtigt nutzen zu können. Dies sei auf die Konstellation des Rechtskaufs übertragbar, sodass es grundsätzlich in der Risikosphäre des Käufers liege, das in der Eintrittskarte verbriefte Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung auch tatsächlich ausüben und durchsetzen zu können, mithin die Veranstaltung tatsächlich durchgeführt wird. Etwas anderes gelte jedoch, wenn die Absage der Veranstaltung auf eine hoheitliche Maßnahme zur Pandemiebekämpfung zurückgehe. Dieses Risiko gehe über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Verkäufers hinaus. Die fehlende Nutzbarkeit des Teilnahmerechts sei Folge umfangreicher staatlicher Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die weder der Veranstalter noch einer der Kaufvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Jedoch sei das Festhalten an dem unveränderten Rechtskaufvertrag der K deshalb zumutbar, weil die Veranstalterin des ausgefallenen Konzerts bereit war, für die Absage der Veranstaltung einzustehen und ihr Wertgutscheine als Ersatz hierfür auszustellen. Deren Annahme sei der K zumutbar gewesen, zumal sie die Auszahlung des Betrags jedenfalls nach dem 31. Dezember 2021 hätte verlangen können, wenn ihr nicht der Verweis auf einen Gutschein angesichts ihrer persönlichen Lebensumstände unzumutbar gewesen wäre (Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 1 EGBGB). Der BGH führt zur Anwendbarkeit der Regelung zwar aus, dass die genannte Gutscheinlösung für einen Rechtskaufvertrag zwischen Vorverkaufsstelle und einem Käufer nicht gelte, da sie in ihrem Anwendungsbereich auf Veranstalter beschränkt sei. Jedoch sei der Gesetzgeber ersichtlich davon ausgegangen, dass die Berechtigung zur Ausgabe eines Gutscheins durch den Veranstalter die pandemiebedingte Problematik auch bei Beteiligung einer Vorverkaufsstelle löst. So muss der Wert des Gutscheins nach Art. 240 § 5 Abs. 2 S. 1 EGBGB auch etwaige Vorverkaufsgebühren umfassen, die üblicherweise bei einem Verkauf über Vorverkaufsstellen anfallen. Der Gesetzgeber ging zudem davon aus, dass der Veranstalter seine Pflicht zur Übergabe des Gutscheins unter anderem durch dessen Aushändigung seitens der Vorverkaufsstelle erfüllen kann. Die hierdurch zum Ausdruck kommende Intention des Gesetzgebers würde umgangen, wenn ein Käufer von einer als Kommissionärin handelnden Vorverkaufsstelle die Rückzahlung des Ticketpreises verlangen könnte. In diesem Falle könnte sich die Vorverkaufsstelle bei dem Veranstalter schadlos halten, wodurch die Entlastung durch die „Gutscheinlösung“ leerliefe. Dafür, dass der K als Partei eines Rechtskaufvertrags das Festhalten hieran zumutbar ist, spreche schließlich die Gleichbehandlung mit Personen, die ihre Eintrittskarten unmittelbar beim Veranstalter erworben haben: Wieso sollte K besser stehen als ein Dritter, der sein Veranstaltungsticket unmittelbar von dem Veranstalter erhält und entsprechend der gesetzgeberischen Wertung auf die Gutscheinlösung verwiesen werden kann. Damit war es der K zumutbar, am unveränderten Vertrag festzuhalten, weshalb eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB ausscheide.

III.          Einordnung der Entscheidung

Der auf den ersten Blick ungewohnte Einstieg ins Kaufrecht über den Umweg eines Rechtskaufs macht die Entscheidung besonders examensrelevant. Auf den zweiten Blick lässt sich der Fall durch saubere Arbeit am Gesetz und einer klaren Abgrenzung der unterschiedlichen schuldrechtlichen Verpflichtungen lösen.

Dabei ist die richtige Einordnung des Vertragstyps eine unerlässliche Weichenstellung für die restliche Falllösung: So sollte in der Fallbearbeitung klargestellt werden, dass T selbst nicht Veranstalterin ist und die Tickets in eigenem Namen „verkauft“. Hier könnte – in gebotener Kürze – eine Stellvertretung der Veranstalterin zumindest angeprüft werden. Dabei ist freilich auf die Besonderheiten des Falls zu achten, um sich nicht in unnötigen Ausführungen zu verlieren. Zur Einordnung des Vertragstyps führt der BGH aus: „Zwar ist im allgemeinen Sprachgebrauch regelmäßig von einem „Erwerb“ oder „Kauf“ von Eintrittskarten die Rede. Rechtlich handelt es sich hierbei jedoch grundsätzlich nicht um einen Sachkauf der Karten. Kaufgegenstand ist vielmehr das Recht auf Teilnahme an der vom Veranstalter durchzuführenden Veranstaltung, das durch die – nicht personalisierte – Eintrittskarte als sogenanntes kleines Inhaberpapier im Sinne von § 807 BGB verkörpert ist.“ (Rn. 20)

Soweit es um Ansprüche aus Mängelrechten geht, kommt es entscheidend auf das Pflichtenprogramm des Verkäufers an: Es ist ein Unterschied, ob die Verschaffung eines Zugangsrechts oder die Durchführung einer Veranstaltung Vertragsgegenstand ist – dies muss erkannt werden. Nachdem das Pflichtenprogramm herausgearbeitet wurde, ist auf die mangelfreie Erfüllung der Pflichten abzustellen, sowie auf den hierfür maßgeblichen Zeitpunkt. So wie die Mängelrechte beim Sachkauf vom Zeitpunkt des Gefahrübergangs nach §§ 446, 447 BGB abhängen, kommt es beim Rechtskauf auf den Zeitpunkt der Übertragung des verkauften Rechts an. Hier ist allerdings nicht auf die §§ 446, 447 BGB abzustellen – diese sind allein auf die Verschaffung von Sachen anwendbar. Gedanklich lassen sich gleichwohl Parallelen ziehen.

Die Frage, ob eine Vorverkaufsstelle eine Garantie für die Durchführung einer Veranstaltung übernommen hat, lässt sich durch eine Auslegung der Vereinbarung nach §§ 133, 157 BGB beantworten, wobei die einschlägigen Normen zu zitieren sind. Hier sollte klargestellt werden, dass mit Blick auf ihre weitreichenden Folgen hohe Anforderungen an die Annahme einer Garantie zu stellen sind.

Der Fall bietet darüber hinaus Gelegenheit, Kenntnisse aus dem Verbraucherschutzrecht abzuprüfen. Eine richtlinienkonforme Auslegung wie der BGH sie unter Verweis auf eine Entscheidung des EuGH vorgenommen hat, wird von Prüflingen wohl kaum ohne zur Verfügungstellung weiteren Materials erwartet werden können. Dennoch lohnt es sich, sich die ratio des § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB vor Augen zu führen: Es geht darum, dem Veranstalter nicht das wirtschaftliche Risiko von kurzfristig freiwerdenden Kapazitäten aufzuerlegen. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der BGH annahm, dass es sich bei der Veranstalterin um die Kommittentin handelte, sei der Anwendungsbereich eröffnet, da Folgen des Widerrufs die Veranstalterin sonst mittelbar treffen würden. In einem letzten Schritt muss auf das im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung allgegenwärtige Thema des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eingegangen werden. Im Gutachten ist es ratsam, die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch nach § 313 Abs. 1, 3 BGB schematisch zu prüfen und nicht die Frage offenzulassen, ob die Geschäftsgrundlage überhaupt betroffen ist bzw. sich geändert hat. Aus klausurtaktischen Gründen sollte dies bejaht werden, um sich sodann dem letzten Schwerpunkt des Falls zuzuwenden: Der Frage, ob das Festhalten am Vertrag unter Berücksichtigung der durch die Veranstalterin angebotenen Gutscheine zumutbar war. Die Frage, ob einer Partei das Festhalten am Vertrag zumutbar ist, ist eine Wertungsfrage. Dadurch sind gesetzgeberische Wertungen, auch wenn sie den Fall nicht unmittelbar betreffen, stets beachtlich, ebenso wie Vergleiche mit ähnlich gelagerten Konstellationen. Namentlich ist damit die Konstellation des Ticketkäufers, der sein Ticket unmittelbar beim Veranstalter erworben hat, als Vergleich heranzuziehen. Diese Erwägung sowie die wirtschaftlichen Folgen (möglicher Regress der Vorverkaufsstelle beim Veranstalter und eine drohende Umgehung des gesetzgeberischen Willens) rechtfertigen es, in Fällen wie dem Vorliegenden davon auszugehen, dass es dem Ticketkäufer zumutbar ist, an dem Rechtskaufvertrag mit der Vorverkaufsstelle festzuhalten.

15.08.2022/1 Kommentar/von Philip Musiol
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Philip Musiol https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Philip Musiol2022-08-15 08:03:462022-10-24 14:47:34Ticketverkaufsstellen wie Eventim müssen bei coronabedingtem Veranstaltungsausfall nicht die Ticketkosten zurückerstatten
Dr. Lena Bleckmann

Der Entschädigungsanspruch bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seine Vererblichkeit

Deliktsrecht, Erbrecht, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Im Juni 2017 verstarb Altkanzler Helmut Kohl. In den Jahren zuvor hatte er einen Rechtsstreit gegen einen Autor geführt, der auf Grundlage von ursprünglich für die Memoiren Kohls geführten Interviews das Buch „Vermächtnis – die Kohl-Protokolle“ veröffentlichte. Kohl sah sich hierin falsch zitiert und machte insgesamt 116 Verletzungen seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerichtlich geltend und verlangte hierfür neben Unterlassung insbesondere Geldentschädigung. Eine Entschädigung in Höhe von 1.000.000 Euro sprach das LG Köln dem Altkanzler auch zu (LG Köln. Urt. v. 27.4.2017 – 14 O 323/15, BeckRS 2017, 125934). Vor Rechtskraft des Urteils verstarb Kohl allerdings, der Rechtsstreit wurde durch seine Witwe und Alleinerbin weitergeführt. Nun hat er ein Ende gefunden – der BGH hat die Klage mit Urteil vom 29.11.2021 (Az. VI ZR 258/18) mangels Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs in dieser Hinsicht abgewiesen (siehe PM Nr. 218/2021 v. 29.11.2021).
Diese topaktuelle Entscheidung sollte Anlass geben, sich mit dem Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG auseinanderzusetzen. Dieser ist bei Prüfern nicht unbeliebt, die Klausur- und Examensrelevanz dürfte durch die neue Entscheidung noch steigen. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Prüfung und beleuchtet insbesondere die Frage der Vererblichkeit des Anspruchs.
I. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB
Nach § 823 Abs. 1 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird hier nicht ausdrücklich als Schutzgut genannt. Die Erweiterung des Tatbestands um „sonstige Rechte“ gewährleistet allerdings einen Schutz anderer absoluter Rechte über die Aufzählung hinaus. Einschränkend ist der Begriff des „sonstigen Rechts“ so zu verstehen, dass es sich um ein mit Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum vergleichbar bedeutsames, absolutes Recht handeln muss (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 143). Dass hierzu auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zählt, ist heute einhellig anerkannt (BeckOK BGB/Förster, § 823 Rn. 177; Schulze BGB, § 823 Rn. 42).
Neben dem Ersatz materieller Schäden kann auf Grundlage des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG auch eine Geldentschädigung für einen entstandenen Nichtvermögensschaden erlangt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass ein hinreichend schwerer Eingriff vorliegt und die Beeinträchtigung nicht auf andere Weise ausgeglichen werden kann (etwa BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029 (2033). Hierbei handelt es sich nicht im immateriellen Schadensersatz nach § 253 BGB. Vielmehr gründet der Entschädigungsanspruch unmittelbar auf dem Schutzauftrag des verfassungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsrechts (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 389). Dem Anspruch kommt dabei in erster Linie eine Genugtuungs- und Ausgleichsfunktion zu, wobei die Genugtuung im Vordergrund steht (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 861 (865)).
II. Hinweise zur Prüfung des Anspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG
Die Prüfungsreihenfolge der Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB gilt auch bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts – festzustellen sind mithin Rechtsgutsverletzung, Verletzungshandlung, haftungsbegründende Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden. Zur Feststellung, ob das Allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist, sind Kenntnisse aus dem Verfassungsrecht erforderlich, die von dort bekannten Fallgruppen gelten auch hier. Besondere Aufmerksamkeit bedarf bei der Prüfung des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit. Denn das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist, wie das ebenfalls als „sonstiges Recht“ geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein sog. Rahmenrecht. Rahmenrechte dienen als Auffangtatbestände dem Füllen von Schutzlücken (Brockmann/Künnen, JuS 2020, 910 (912)). Notwendigerweise unterliegt ihr Schutzbereich daher keiner festen Grenzziehung. Die hieraus folgende Weite führt dazu, dass nicht jedes den Schutzbereich betreffende Verhalten als rechtswidrig eingeordnet werden kann – anders als bei der Verletzung anderer von § 823 Abs. 1 BGB geschützter Rechtsgüter wird die Rechtswidrigkeit daher nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern ist positiv festzustellen (MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 7). Hierzu ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der aufseiten des Schädigers bestehende, schutzwürdige Interessen ebenso zu berücksichtigen sind, wie die Intensität des Grundrechtseingriffs aufseiten des Betroffenen. Diese ist unter Heranziehen der Sphärentheorie des BVerfG zu bestimmen (Brockmann/Künnen, JuS 2020, 910 (914)). Auch eine Wiederholung des Eingriffs kann eine besondere Schwere begründen (BeckOK BGB/Förster, § 12 Rn. 391).

Hinweis: Soweit hier Lücken bestehen, sollte der Streit zur Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB (Stichwort Lehre vom Handlungs-/Erfolgsunrecht) wiederholt werden.

Aus dem Charakter des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht folgt weiterhin seine Subsidiarität – speziellere Persönlichkeitsrechte sind daher vorrangig zu prüfen! (Brockmann/Künnen, JuS 2020, 910 (915))
III. Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs
Besteht der Entschädigungsanspruch nun, ist der Geschädigte aber verstorben, so wie es im Fall von Helmut Kohl geschehen ist, stellt sich die Frage nach dem Anspruchsübergang auf dessen Erben. Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über.
Für eine Vererblichkeit des Entschädigungsanspruchs wurde diejenige des Schmerzensgeldes angeführt – seit der Abschaffung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. zum 1.7.1990 können Schmerzensgeldansprüche im Todesfalle auf die Erben übergehen. Bei abweichender Beurteilung im Rahmen des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG soll ein Verstoß gegen den Allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (siehe Nachweise bei BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871).
In der genannten Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2014 schloss sich der BGH indes der Gegenansicht an; ausgehend vom Zweck des Entschädigungsanspruchs wurde die Vererblichkeit verneint.
„Bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung im Falle einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung steht regelmäßig der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Da einem Verstorbenen Genugtuung für die Verletzung seiner Persönlichkeit nicht mehr verschafft werden kann, scheidet nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Zuerkennung einer Geldentschädigung im Falle der Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes aus. Erfolgt die Verletzung des Persönlichkeitsrechts zwar noch zu Lebzeiten des Verletzten, stirbt dieser aber, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt worden ist, verliert die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung regelmäßig ebenfalls an Bedeutung. Gründe, vom Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs über den Tod des Verletzten hinaus auszugehen, bestehen unter diesem Gesichtspunkt im Allgemeinen mithin nicht. Der von der Revision herangezogene Gedanke der Prävention kann vorliegend zu keiner anderen Beurteilung führen. Zwar trifft es zu, dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention dient. Der Präventionsgedanke vermag die Gewährung einer Geldentschädigung – auch in dem von der Revision vorliegend für gegeben erachteten Fall der Zwangskommerzialisierung – aber nicht alleine zu tragen. Dies wirkt sich nicht nur – wie im Falle postmortaler Persönlichkeitsrechtsverletzungen – auf die Beurteilung der Frage aus, ob der Geldentschädigungsanspruch auch unabhängig von seiner Genugtuungsfunktion entstehen kann, sondern auch darauf, ob er – wie im vorliegend zu beurteilenden Fall – bei Fortfall dieser Funktion weiterbestehen kann.“ (BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871 (2872 f.), Nachweise im Zitat ausgelassen).
Aus der Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. lasse sich auch kein anderweitiger gesetzgeberische Wille ableiten (BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871 (2872); ebenso Urt. v. 32.5.2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004 (3005)). Weiterhin soll sich an der fehlenden Vererblichkeit auch weder durch die Anhängigkeit des Anspruchs (hierzu BGH, Urt. v. 29.4.2014 – VI ZR 246/12, NJW 2014, 2871 (2873)), noch durch dessen Rechtshängigkeit etwas ändern (hierzu BGH, Urt. v. 32.5.2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004 (3005 f.)). Mit Eintritt der Rechtskraft allerdings kann der Anspruch vererbt werden, da sodann eine gesicherte Rechtsposition entstanden ist. Hierzu der BGH:
„Der erkennende Senat hat bereits mehrfach klargestellt, dass bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Genugtuungsgedanke im Vordergrund steht, während der Präventionsgedanke die Gewährung einer Geldentschädigung nicht alleine zu tragen vermag. Der Senat hat deshalb für die Frage der Vererblichkeit eines bereits anhängigen Entschädigungsanspruchs ausgeführt, dass die Anhängigkeit einer auf Geldentschädigung gerichteten Klage nichts daran ändert, dass die von der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung mit dem Tod des Verletzten an Bedeutung verliert. Aus dem Gedanken der Genugtuung folgt weiter, dass auch ein rechtshängiger Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vererblich ist. Denn ebenso wenig wie der Erblasser Genugtuung bereits mit der Einreichung der Klage erlangt, erlangt er sie mit deren Zustellung. Sie tritt erst mit der rechtskräftigen Zuerkennung eines Anspruchs auf Geldentschädigung ein. Denn mit der Rechtskraft und nicht – wie die Revision meint – mit der Zustellung der Klage, mit der allenfalls eine Aussicht auf Genugtuung entsteht, wird eine gesicherte Position erlangt. Der Senat hat in dem Urteil vom 29.4.2014 formuliert, sterbe der Erblasser, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt worden sei, verliere die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung regelmäßig ebenfalls an Bedeutung. Daraus kann nicht abgeleitet werden, Genugtuung werde erst mit der Erfüllung erlangt. Stirbt der Erblasser nach Rechtskraft der Entscheidung, geht der rechtskräftig zuerkannte Anspruch auf seinen Erben über.“ (BGH, Urt. v. 32.5.2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004 (3005 f.), Nachweise im Zitat ausgelassen, Hervorh. d. Verf.).
IV. Festhalten an der Rechtsprechungslinie auch im Jahr 2021
An dieser Entscheidungspraxis hält der BGH ausweislich der Pressemitteilung zum Abschluss des Verfahrens im Fall Kohl fest: Durchgreifende Gründe, die Rechtsprechung aufzugeben, habe der Senat nicht gesehen (PM Nr. 218/2021 v. 29.11.2021). Da die Entscheidung des LG Köln, die dem Altkanzler einen Entschädigungsanspruch zusprach, zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht rechtskräftig war, geht der Anspruch in Millionenhöhe nicht auf seine Witwe und Alleinerbin über.
Viel Neues folgt aus der Entscheidung also nicht – für Studenten wie Examenskandidaten ist sie gleichwohl wichtig, denn dem einen oder anderen Prüfer dürfte sie in Erinnerung rufen, wie gut sich doch eine Prüfung des § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG mit erbrechtlichem Einschlag für Klausuren in Studium und Examen eignet.
 

02.12.2021/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-02 09:19:482021-12-02 09:19:48Der Entschädigungsanspruch bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seine Vererblichkeit
Dr. Lena Bleckmann

BGH: Der Staat haftet nicht für schlechte Gesetze – Neues zur Amtshaftung für legislatives Unrecht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite

Am 28.1.2021 erging eine Entscheidung des BGH (III ZR 25/20), der viele mit Spannung entgegengeblickt haben. Das Verfahren zur Amtshaftung aufgrund einer unwirksamen Mietpreisbremse hat hohe praktische Relevanz, sind die vom BGH angewandten Grundsätze doch auf andere Fälle des legislativen Unrechts übertragbar. Staatshaftungsrecht ist bei Studenten bekanntermaßen nicht sonderlich beliebt – die hochaktuelle Entscheidung dürfte aber umso mehr für Klausurrelevanz sorgen. Die Lektüre lohnt sich also, insbesondere auch zur Wiederholung der Grundsätze der Amtshaftung.
I. Worum es geht
Nach § 556d Abs. 2 S. 1 BGB haben die Länder die Möglichkeit, durch Verordnung Gebiete mit angespannter Wohnsituation festzulegen und so den Mechanismus der Mietpreisbremse nach § 556d Abs. 1 BGB auszulösen. Zu Beginn des Mietverhältnisses darf die Miete die ortsübliche Vergleichsmiete dann um höchstens 10 % übersteigen. Eine solche Verordnung hat das Land Hessen u.a. für einen Stadtteil von Frankfurt am Main erlassen, allerdings die in § 556d Abs. 2 S. 5-7 BGB festgelegte Begründungspflicht verletzt. In der Folge erklärte der BGH die Verordnung für unwirksam (BGH, Urt. v. 17.7.2019 – VIII ZR 130/18). Damit konnte die Mietpreisbremse für den betroffenen Stadtteil nicht gelten, was für ein Ehepaar bedeutete, dass ihre Miete nicht wie erwartet um mehr als 200 € sank. Der Rechtsdienstleister wenigermieter.de, an den das Ehepaar seine Ansprüche abgetreten hatte, forderte nach der Entscheidung des BGH über die Unwirksamkeit der Verordnung Ersatz vom Staat. Dieser habe seine Amtspflicht gegenüber den Mietern verletzt.
II. Rechtliche Grundlagen
Maßgeblich geht es also um eine Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Die grundsätzliche Konstruktion der Amtshaftung ist bekannt – § 839 Abs. 1 S. 1 BGB normiert zunächst die persönliche Einstandspflicht des handelnden Beamten, die Haftung wird aber durch Art. 34 GG auf den Staat übergeleitet. Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch ist, dass jemand in Ausübung eines hoheitlichen Amtes die einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, dies kausal zu einem Schaden führt und der Beamte dies zu verschulden hat. Der Begriff des Beamten ist hier weit zu fassen – Beamte im staatshaftungsrechtlichen Sinne sind alle Personen, denen öffentliche Gewalt anvertraut wurde und die ihre Tätigkeit nach den Bestimmungen des öffentlichen Rechts ausüben (s. BeckOK BGB/Reinert, § 839 Rn. 4, 15). Dies ist unter Anwendung der modifizierten Subjektstheorie zu bestimmen. Einschränkungen der Haftung folgen aus § 839 Abs. 1 S. 2 BGB (bei Fahrlässigkeit besteht kein Anspruch, wenn der Betroffene auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag), Abs. 2 (Spruchrichterprivileg) und Abs. 3 (kein Ersatz bei schuldhafter Versäumnis von Rechtsmitteln). Der Anspruch wird vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht, Art. 34 S. 3 GG, § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO.
III. Die aktuelle Entscheidung des BGH im Kontext der Amtshaftung
Angewandt auf den zu entscheidenden Fall ist nun zunächst eindeutig, dass jemand – die Landesregierung bzw. deren Mitglieder – bei Erlass der Verordnung in Ausübung eines öffentlichen Amts agierte: Die in § 556d Abs. 2 BGB vorgesehene Verordnungsermächtigung berechtigt ausschließlich die Landesregierung als Trägerin hoheitlicher Gewalt und ist somit dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Auf Grundlage dieser Norm agierte die Regierung in Ausübung eines öffentlichen Amtes, ihre Mitglieder sind Beamte im staatshaftungsrechtlichen Sinne.
Entscheidend ist demgegenüber das Merkmal der Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht. Der Begriff der Amtspflicht ist weit zu fassen und umfasst insbesondere auch die Pflicht zu rechtmäßigem Handeln. Indem die Begründungspflicht nach § 556d Abs. 2 S. 5-7 BGB verletzt wurde, wurde auch eine Amtspflicht verletzt, denn es liegt eine rechtswidrige Amtsausübung vor. Das reicht für den Amtshaftungsanspruch jedoch noch nicht – verletzt werden muss gerade eine drittgerichtete Amtspflicht. Das setzt voraus, dass die Amtspflicht gerade auch der Wahrung der Interessen des Dritten dient. Der BGH führt in seiner Pressemitteilung hierzu aus:

„Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten „Dritten“ bestehen. Gesetze und Verordnungen enthalten hingegen durchweg generelle und abstrakte Regeln, und dementsprechend nimmt der Gesetzgeber in der Regel ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt.“ (BGH, Pressemitteilung Nr. 018/2021)

Damit greift das Gericht die anerkannten Grundsätze zur Haftung – bzw. fehlenden Haftung – für legislatives Unrecht auf. Die Pflicht zum rechtmäßigen Handeln in ihrer Ausprägung, nur rechtmäßige Gesetze zu erlassen, dient i.d.R. nicht dem Einzelnen, sondern den Interessen der Allgemeinheit. Ein Amtshaftungsanspruch scheidet damit aus. Das muss aber nicht ausnahmslos in allen Fällen legislativen Unrechts gelten, wie auch der BGH anmerkt:

„Nur ausnahmsweise – etwa bei sogenannten Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen – kann etwas Anderes in Betracht kommen und können Belange bestimmter Einzelner unmittelbar berührt werden, so dass sie als „Dritte“ im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen werden können.“ (BGH, Pressemitteilung Nr. 018/2021)

Die Verordnung zur Mietpreisbremse sei aber kein derartiges Maßnahme- oder Einzelfallgesetz, denn sie betreffe keine individuellen Mieter, sondern aufgrund der Weite ihres räumlichen Geltungsbereichs einen unüberschaubar großen und nicht individuell begrenzten Personenkreis.
Dies hätte womöglich schon gereicht, um den Amtshaftungsanspruch abzulehnen. Der BGH ging in seinen Ausführungen aber noch weiter und merkte an, dass auch der Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition nicht zu einem Amtshaftungsanspruch führe:

„Nicht jede Grundrechtsbeeinträchtigung durch staatliche Amtsträger führt zur Staatshaftung. Der Gesetzgeber kann Voraussetzungen und Umfang von Amtshaftungs- und Entschädigungsansprüchen näher ausgestalten. Eine solche Ausgestaltung ist mit § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB erfolgt, wonach ein Amtshaftungsanspruch nur besteht, wenn ein Beamter die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Damit ist eine Haftung wegen der Verletzung von Amtspflichten, die dem Beamten nicht spezifisch dem Träger des betroffenen Grundrechts gegenüber obliegen, nicht vereinbar.“ (BGH, Pressemitteilung Nr. 018/2021)

Und auch das enttäuschte Vertrauen der Mieter in die Wirksamkeit der hessischen Mietpreisbremsenverordnung könne für sich genommen keinen Ersatzanspruch nach sich ziehen – ein allgemeiner Anspruch diesbezüglich ist nicht anerkannt, die Voraussetzungen der Amtshaftung mangels Drittbezogenheit nicht erfüllt.
IV. Was bleibt?
Der BGH ist seiner lang etablierten Linie treu geblieben und hat eine Haftung des Staates für mangelhafte und damit unwirksame Gesetze abgelehnt. Eine andere Entscheidung hätte weitreichende Folgen haben können – nicht nur zahlreiche Verordnungen zu Mietpreisbremsen sind in der Vergangenheit für unwirksam erklärt worden, die Entscheidung hätte Ausstrahlungswirkung auf sämtliche anderen unwirksamen Normen gehabt und so zu umfangreichen Haftungssummen führen können. Dies hat das Urteil abgewendet. Für Studenten und Examenskandidaten ist das begrüßenswert – es bleibt bei den bislang geltenden Grundsätzen, nach denen eine Haftung für legislatives Unrecht i.d.R. nicht besteht. Mieter und sonst von letztlich unwirksamen Gesetzen Betroffene dürften dem anders gegenüberstehen.

01.02.2021/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-02-01 08:30:102021-02-01 08:30:10BGH: Der Staat haftet nicht für schlechte Gesetze – Neues zur Amtshaftung für legislatives Unrecht
Dr. Melanie Jänsch

BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 8. Dezember 2020 (Az.: VI ZR 19/20) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problemkomplex des Deliktsrechts – der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen – geäußert. Konkret hat der BGH entschieden, dass auch bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft dem Schädiger jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich zuzurechnen sind. Da deliktsrechtliche Fragen, insbesondere Kausalitätsprobleme, absolute Dauerbrenner in Studium und Examen sind, soll die Entscheidung im Folgenden ausführlich dargestellt werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Mehrere Polizeibeamte waren wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Cocktailbar im Einsatz. Dabei kam ein deutlich erkennbar und stark alkoholisierter Beteiligter einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach; er setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei einen Polizeibeamten am Daumen. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Schädiger erlitt der betreffende Polizeibeamte zudem eine psychische Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, die zur dauerhaften Dienstunfähigkeit führte. Er verlangt vom Schädiger Schadensersatz für Behandlungskosten und Verdienstausfall aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch des Polizeibeamten gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein die durch die tätliche Auseinandersetzung herbeigeführte Gesundheitsverletzung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung, die zur Dienstunfähigkeit geführt hat. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 204) beschränkt.
 
Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 205). Der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht, dass durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen, die einen realen Krankheitswert haben, Gesundheitsverletzungen i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 21.5.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125, Rn. 7; v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451, Rn. 6; v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263, Rn. 8). Ohne Zweifel können die psychisch vermittelten Beschwerden des Polizeibeamten nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden.
 
Anmerkung: Resultieren die psychischen Beschwerden nicht aus einer unmittelbaren Beteiligung am schädigenden Ereignis, sondern ist die psychische Beeinträchtigung mittelbar auf die Verletzung eines Dritten zurückzuführen, stellt sich bereits beim Prüfungspunkt „Rechtsgutsverletzung“ die sog. Schockschaden-Problematik. Der BGH verlangt in diesen Fällen für die Annahme einer deliktsrechtlich relevanten Gesundheitsverletzung, dass die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind, und eine persönliche Nähe zwischen dem unmittelbar Verletzten und dem mittelbar Geschädigten besteht (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 und die Ausweitung auf fehlerhafte ärztliche Behandlung in BGH, Urt. v. 21.5.2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387, besprochen in unserem Beitrag).
 
Die Handlung des Schädigers müsste aber auch haftungsbegründend kausal für die psychische Gesundheitsverletzung gewesen sein. Der Prüfungspunkt „haftungsbegründende Kausalität“ betrifft die Ursächlichkeit der Verletzungshandlung für die Rechtsgutsverletzung. Die Kausalitätsprüfung erfolgt stets in drei Schritten: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob Äquivalenz im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Auf dieser Stufe ist also zu klären, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung des Geschädigten entfiele. Als zweiter Filter der Kausalität ist Adäquanz insofern erforderlich, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Im vorliegenden Fall war revisionsrechtlich zu unterstellen, dass bei dem Polizeibeamten infolge der schädigenden Handlung eine Traumafolgestörung von Krankheitswert eingetreten ist, für die das Verhalten des Schädigers sowohl äquivalent als auch adäquat kausal war.
Auf dritter Stufe erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit aber zusätzlich unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich ausschließlich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. An dieser Stelle stellen sich vorliegend zwei Problemkreise, die ausführlicherer Erörterung bedürfen:
I. Zum einen bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer besonderen Prüfung der Zurechnung:

„Sie soll der Eingrenzung einer sonst ausufernden Haftung für normale Belastungen in den Wechselfällen des Zusammenlebens dienen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 11), darf aber nicht der gegenüber körperlichen Verletzungen oft als erschwert angesehenen Objektivierbarkeit psychischer Beeinträchtigungen geschuldet sein. Dabei wird berücksichtigt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist.“ (Rn. 11)

Ausgehend hiervon kann bei einem geringfügigen schädigenden Ereignis angenommen werden, dass eine extreme psychische Reaktion außer Verhältnis steht und daher nicht mehr zugerechnet werden kann; vielmehr bewege sich diese im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dagegen realisiere sich dann nicht mehr das allgemeine Lebensrisiko, wenn „der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte“ (vgl. Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242, Rn. 14), was im vorliegenden Fall anzunehmen sei.  
II. Hinzu kommt hier aber noch ein zweiter Aspekt: Bei professionellen Rettungskräften oder Polizeibeamten wird zuweilen erwogen, dass im Falle der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen zur Vermeidung uferloser Ausdehnung der Haftung des Schädigers unterbleiben muss. Letzteres hat etwa das Berufungsgericht – das OLG Celle – in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2019 angenommen: Bei dem betreffenden Sachverhalt habe es sich um eine für einen Polizeibeamten alltägliche Situation gehandelt, mit der im Rahmen der Berufstätigkeit ständig zu rechnen sei. Sofern eine solche Situation zu einer schweren psychischen Gesundheitsverletzung mit der Folge der Dienstunfähigkeit führe, könne dies dem Schädiger nicht zugerechnet werden (OLG Celle, Urt. v. 12.12.2019 – 5 U 116/19, BeckRS 2019, 43669, Rn. 33). Dieser Auffassung ist der BGH – in strikter Gleichsetzung physischer und psychischer Primärschäden – entschieden entgegengetreten:

„Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 20), gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen. Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus.“ (Rn. 16 f.)

Zudem lasse die entgegengesetzte Argumentation außer Acht, dass bei ausgebildeten Einsatzkräften die Gefahr des Eintritts psychischer Schäden im Vergleich zu Laien bereits vermindert sei. Komme es trotz professioneller Vorbereitung im Einzelfall dennoch zu psychischen Schäden, rechtfertige dies keine Risikoverlagerung auf den Geschädigten (Rn. 18). Um die Haftung des Schädigers in diesen besonderen Fällen einzugrenzen, knüpft der BGH die Zurechnung gleichwohl an verschiedene Kriterien: Neben dem Erfordernis, dass die psychische Beeinträchtigung realen Krankheitswert aufweist, muss der Schädiger – in Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit des Polizeibeamten am Unfallort – dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall-)Beteiligten aufgezwungen haben. Darüber hinaus muss sich auch der Verschuldensvorwurf gegen den Verursacher auf die Folgeschäden erstrecken, was bei psychischen Erkrankungen als Folge von Routineeinsätzen nicht zwangsläufig der Fall ist. Auf dieser Grundlage hat der BGH die Sache letztlich unter Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Festzuhalten bleibt: Bei der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos sind psychische Gesundheitsverletzungen mit Krankheitswert von Polizeibeamten oder ähnlichen professionellen Rettungskräften dann dem Schädiger zuzurechnen, wenn der Schädiger dem Geschädigten die Beteiligung an dem traumatisierenden Geschehen unmittelbar aufgezwungen hat. Die Grundsätze, die der BGH in seinem Amoklauf-Urteil (Urt. v. 17.4.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220, besprochen in unserem Beitrag) aufgestellt hat, werden damit auf polizeiliche „Standardsituationen“ ausgeweitet. Für eine Zurechnung entscheidend ist damit nicht, dass es sich wie bei einem Amoklauf um ein vorsätzliches schweres Gewaltverbrechen eines besonders aggressiven Täters handelt, sondern vielmehr insbesondere, ob der Geschädigte lediglich am Tatort anwesend oder unmittelbar in das Geschehen involviert war.
 
 

28.01.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-01-28 09:00:472021-01-28 09:00:47BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich

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Mit Urteil vom 26.08.2020 hat sich der BGH (Az.: VIII ZR 351/19) abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret wurden die Anforderungen an einen Rücktritt vom Kaufvertrag und Schadensersatzansprüche nach einem erfolglosen Nachbesserungsversuch präzisiert: Wurde eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt, innerhalb derer der Verkäufer voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann, und ist diese Frist erfolglos verstrichen, so muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen, bevor er sekundäre Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Der Fall eignet sich hervorragend, um systematische Feinheiten des Mängelrechts abzuprüfen, und kann problemlos Einzug in Klausuren ab dem Grundstudium finden – eine Auseinandersetzung mit den Grundzügen der Entscheidung ist angesichts dessen nicht nur für Examenskandidaten dringend zu empfehlen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.09.2017 bei V einen Neuwagen zum Preis von 18.750 Euro. Mit Schreiben vom 14.05.2018 rügte K Mängel an der Lackierung des Fahrzeugs im Bereich der Motorhaube, der A-Säule und am Heckdeckel. Hierbei setzte er V eine Frist zur Nachbesserung bis zum 30.05.2018. Mit Anwaltsschreiben vom 28.05.2018 bot V dem K an, einen Vertragshändler seiner Wahl zum Zwecke der Besichtigung des Fahrzeugs und der Nachbesserung aufzusuchen. Hiervon machte K Gebrauch und überstellte das Fahrzeug am 03.07.2018 einer Vertragswerkstatt zur Untersuchung. Im Anschluss hieran fand die Nachbesserung im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 statt. Indes wurden die beanstandeten Mängel im Zuge dieser ersten Nachbesserung nicht vollständig beseitigt und die Neulackierung nicht fachgerecht ausgeführt, weshalb der K das Fahrzeug einige Tage später erneut bei der Werkstatt vorstellte und einen zweiten Nachbesserungstermin vereinbarte. Diesen Termin nahm er jedoch nicht wahr, sondern erklärte mit Anwaltsschreiben vom 24.09.2018 den Rücktritt vom Kaufvertrag gegenüber V. Er verlangt nun unter anderem – unter Anrechnung gezogener Nutzungen – Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 17.437,50 Euro nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.
 
B) Rechtsausführungen
Nach Abweisung der Klage vor dem Landgericht Hanau ist auch die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG Frankfurt erfolglos geblieben. In der Revision hat der BGH nunmehr festgestellt, dass ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB nicht verneint werden kann, und die Sache an das OLG Frankfurt zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
 
I. Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts
Der Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts ist zweifellos eröffnet: Angesichts der genannten Mängel ist der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag zur mangelfreien Verschaffung der Sache gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB nicht nachgekommen. Es liegen also Sachmängel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB vor, die nach den gerichtlichen Feststellungen auch bereits im Zeitpunkt der Übergabe i.S.v. § 446 S. 1 BGB, also bei Gefahrübergang, bestanden.
 
II. Rücktrittsvoraussetzungen
Die Voraussetzungen des Rücktritts wegen – wie hier vorliegender – behebbarer Mängel richten sich nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB.
Der zunächst erforderliche gegenseitige Vertrag besteht in dem von den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag; die zuvor festgestellten Sachmängel bei Gefahrübergang bedeuten eine nicht vertragsgemäße Leistung i.S.v. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB.
Damit liegt der Schwerpunkt der Prüfung – parallel zum Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB – auf der Frage, ob eine angemessene Frist zur Nacherfüllung erfolglos abgelaufen ist. Denn § 323 Abs. 1 BGB zufolge kann der Gläubiger dem Grundsatz nach nur dann zurücktreten, wenn er dem Schuldner gegenüber zuvor ergebnislos eine angemessene Frist zur Erbringung der ausstehenden Leistung bzw. Nacherfüllung bestimmt hat. Mit anderen Worten: Sobald die angemessene Frist fruchtlos verstrichen ist, der Schuldner also vor ihrem Ablauf nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß geleistet hat, steht dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht zu. Welche konkrete Zeitspanne objektiv angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, § 323 Rn. 72).
 
Anmerkung: Erweist sich die konkret gesetzte Frist als unangemessen kurz, ist die Rechtsfolge jedoch nicht ihre Unwirksamkeit, sondern es wird eine längere (angemessene) Frist in Gang gesetzt (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 13.07.2016 – VIII ZR 49/15, NJW 2016, 3654, 3655 Rn. 31).
 
1. Berufen auf Verstreichen der ursprünglich gesetzten Frist als Verstoß gegen Treu und Glauben
Nach diesen Maßstäben hat der BGH zunächst – im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – festgestellt, dass ein Rücktrittsrecht nicht schon deswegen besteht, weil die Nachbesserungsarbeiten nicht innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist (bis zum 30.05.2018), sondern erst im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 durchgeführt worden sind. Anders als das Berufungsgericht ausgeführt hat, ergebe sich dies allerdings noch nicht daraus, dass ein vor Ablauf der Nachbesserungsfrist eingegangenes Angebot des Verkäufers auf Untersuchung des Fahrzeugs für eine fristwahrende Nachbesserung ausreiche. Unabhängig davon, dass das vor Fristablauf erfolgte Angebot auf Vorstellung des Fahrzeugs beim Vertragshändler als bloß vorgeschalteter Schritt zur Nacherfüllung, mithin nicht als Leistungshandlung selbst zu werten sei, komme es nämlich bei der Nacherfüllung auf das Ausbleiben des Leistungserfolgs innerhalb der Frist an. Allein die fristgerechte Erbringung der Leistungshandlung könne weitergehende Rechte des Käufers nicht ausschließen; dies folge bereits aus dem Sinn und Zweck der Nacherfüllung, die Durchsetzung und Ermöglichung der Erfüllung der Verkäuferpflichten sicherzustellen, und stehe auch nur nach diesem Verständnis im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben:

„Das erfolglose Verstreichen der vom Käufer gesetzten (angemessenen) Frist führt dazu, dass der Käufer, der eine mangelhafte Sache erhalten hat, nun sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadens- oder Aufwendungsersatz) geltend machen kann. Es ist weder ein Bedürfnis des Verkäufers erkennbar, dem Käufer bereits bei einer fristgerecht vorgenommenen Leistungshandlung den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten zu verwehren, noch würde dies den Interessen des Käufers gerecht. Denn die vom Käufer zu setzende Frist ist so zu bemessen, dass der Verkäufer bei ordnungsgemäßem Vorgehen vor Fristablauf voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann.“ (Rn. 28)

Ob die konkret gesetzte Frist bis zum 30.05.2018 als angemessen einzustufen sei, könne gleichwohl dahinstehen. Denn angesichts der Tatsache, dass sich der Käufer freiwillig auf eine Nachbesserung im August eingelassen habe, wurde damit entweder die gesetzte Frist verlängert oder jedenfalls kein Widerspruch dagegen erhoben, dass die Mängelbeseitigung erst später vorgenommen wurde – sodass ein Berufen auf die nicht erfolgte Nachbesserung bis zum 30.05.2018 nach dem Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu werten sei.
 
2. Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Dennoch: Die Geltendmachung sekundärer Gewährleistungsrechte sei nicht an die Einräumung einer zweiten Chance zur Nachbesserung gekoppelt. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass eine Fristsetzung zur Nachbesserung nicht erst dann erfolglos im Sinne des § 323 Abs. 1 BGB verstrichen sei, wenn – wie in § 440 S. 2 BGB für den Fall einer ausnahmsweise entbehrlichen Fristsetzung infolge einer fehlgeschlagenen Nacherfüllung vorgesehen – zwei Nachbesserungsversuche des Verkäufers nicht zur Beseitigung des Mangels geführt hätten. Im Gegenteil sei § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, wonach die Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt und die Fristsetzung in der Konsequenz für den Übergang zu sekundären Gewährleistungsrechten ausnahmsweise entbehrlich ist, angesichts seines Ausnahmecharakters gerade keine allgemeine Wertung zu entnehmen:

„Das Gesetz unterscheidet konsequent zwischen dem Fristsetzungserfordernis nach den Regeltatbeständen (§ 323 Abs. 1 BGB [Rücktritt und Minderung [iVm § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB]], § 281 Abs. 1 BGB [Schadensersatz statt der Leistung]) und den Fallgestaltungen, in denen eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 323 Abs. 2, 3, § 281 Abs. 2 BGB, § 440 Satz 1 BGB). Der grundsätzlich gebotenen Fristsetzung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers bereits dann genügt, wenn der Käufer einmalig fruchtlos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Die gesetzlichen Vorschriften, die einen Rücktritt, eine Minderung oder ein Verlangen auf Schadensersatz statt der Leistung in Ausnahmefällen auch ohne Fristsetzung erlauben, zeichnen sich jeweils dadurch aus, dass sie den Verzicht auf dieses einmalige Erfordernis durch andere (gleichwertige) Anforderungen ersetzen. Weiter verkennt das Berufungsgericht den Sinn und Zweck des § 440 Satz 2 BGB, der dem Käufer die Geltendmachung eines Fehlschlagens der Nachbesserung in praktischer Hinsicht erleichtern (BT-Drucks. 14/6040, S. 234), nicht aber den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten erschweren soll.“ (Rn. 38 f.)

Anders gesagt: Einem Schuldner, der eine fällige Leistung nicht erbracht hat, wird durch das einmalige Setzen einer angemessenen Frist hinreichend deutlich gemacht, dass ein weiteres Ausbleiben der Leistung Rechtsfolgen nach sich zieht – so die Grundkonzeption der Mängelrechte. In bestimmten Fällen muss der Käufer aber ausnahmsweise keine Frist setzen, weil dies keinen Erfolg versprechen würde oder ihm aus anderen Gründen nicht zugemutet werden kann (§§ 323 Abs. 2, 440, 281 Abs. 2 BGB). Aus diesen Ausnahmetatbeständen und den ihnen zugrunde liegenden Wertungen lassen sich aber keine Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände ziehen:

„Denn dies würde das vom Gesetzgeber als Regelfall ausgestaltete Fristerfordernis obsolet machen. Wenn der Käufer dem Verkäufer trotz Fristsetzung regelmäßig zweimal eine Nachbesserungsmöglichkeit einräumen müsste, ist nicht zu erkennen, warum der Käufer überhaupt noch eine Frist setzen und nicht stattdessen ein Fehlschlagen der Nachbesserung im Sinne von § 440 BGB geltend machen sollte. Zugleich wären dem Käufer die Vorteile einer Fristsetzung abgeschnitten. Er könnte sich – entgegen dem Willen des Gesetzgebers – nicht mehr darauf verlassen, dass bei Ablauf einer von ihm gesetzten angemessenen Frist zur Nachbesserung ein Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten möglich ist.“ (Rn. 50)

Der Käufer muss dem Verkäufer also grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen, bevor er zurücktreten oder Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Das Recht zur Nachbesserung ist mit dem erfolglosen Versuch, den Wagen zu lackieren, abgegolten gewesen; die Frist ist mithin erfolglos abgelaufen.
 
Ferner dürfte der Mangel nicht unerheblich gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 5 S. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 1 S. 3 BGB sein. Hierzu bedarf es gleichwohl weiterer Feststellungen seitens des Berufungsgerichts. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob dem Käufer eine Berufung auf den erklärten Rücktritt wegen widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB verwehrt ist. Daher hat der BGH die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
III. Letztlich kann ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB daher nicht mit der Begründung verneint werden, dass ein zweiter Nachbesserungsversuch nicht stattgefunden hat.  
 
C) Zusammenfassung
Kurz zusammengefasst gilt:

  • Damit sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadensersatz statt der Leistung) geltend gemacht werden können, bedarf es dem Grundsatz nach der Setzung einer angemessenen Frist durch den Käufer, die erfolglos ablaufen muss.
  • Innerhalb dieser Frist muss es dem Verkäufer voraussichtlich möglich sein, nicht nur die Leistungshandlung vorzunehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeizuführen.
  • Ist diese Frist verstrichen, ohne dass der Leistungserfolg herbeigeführt wurde, muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen. Dem Ausnahmetatbestand nach § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, dem zufolge die Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt, ist keine allgemeine Wertung zu entnehmen, die Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände zulassen könnte.

 

22.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-10-22 08:50:242020-10-22 08:50:24BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Gastautor

Abnehmen (doch nicht so) leicht gemacht: Was ist ein Behandlungsvertrag nach § 630a BGB?

Arztrecht, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) zu einer aktuellen Entscheidung des AG Frankfurt a.M. veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit in Bonn.
 
Die Inserate in Internet und Illustrierten versprechen zuweilen viel: „Fett weg: 10 Kilo in 4 Wochen“. Man muss nur den ein oder anderen Shake trinken und sonst möglichst wenig zu sich nehmen, und schon klappt es. Das alles für einen stolzen Preis, aber dafür sind dann auch die Pfunde weg.
Manchmal – vielleicht oft – klappt das aber nicht. Und so einen Fall entschiede das Amtsgericht Frankfurt a. M., Urt. v. 22.03.2019, Az.: 31 C 2664/18 (23). Wegen Schlechtleistung wollte die Dickgebliebene die zweite Rate von 1.390 Euro nicht zahlen, die fällig war für eine vierwöchige Gewichtsabnahmeberatung, die eine regelmäßige Diätkontrolle unter Gabe von homöopathischen Mitteln (Shakes) umfasste.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat (auf knappen zwei Seiten Entscheidungsgründen) entschieden, dass durch die Annahme des Angebots zu einer Gewichtsabnahmetherapie im konkreten Fall aber kein Behandlungs-, sondern (lediglich) ein Dienstleistungsvertrag zustande gekommen sei. Gegenstand des geschlossenen Vertrages sei im konkreten Fall keine „medizinische Behandlung“ i.S.v. § 630a BGB gewesen, da weder die abstrakte Feststellung von Übergewicht an sich eine fachliche Qualifikation erfordere, noch ein individuelles Beschwerde- oder Leidensbild der Beklagten einer heilkundigen oder ernährungsberatenden Behandlung unterzogen worden sei. Bei dem damit vorliegenden Dienstleistungsvertrag sehe das Gesetz den Einwand der Schlechtleistung nicht vor (wie übrigens auch beim Behandlungsvertrag, s. § 630b BGB).
Was hätte die Beklagte machen können, um Ihren Einwand, sie sei dick geblieben, auch juristisch fruchtbar zu machen? Das Gericht weist auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen (§§ 280, 241 BGB) hin, die die Beklagte aber im Rechtstreit nicht im Wege der Aufrechnung einbrachte. Der Hinweis der Beklagten, der Vertrag sei sittenwidrig und deshalb nichtig, verfing ebenso nicht. Das mag alles reichlich teuer gewesen sein – man mag also ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bejahen. Das allein reicht aber nicht. Man kann auch teuer kaufen, wenn man das eben will und keine rechtserhebliche Trübung des Wilens vorliegt. Die bloße laesio enormis reicht nicht. Die Anwendung von § 138 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass in subjektiver Hinsicht der Wucherer (hier: die Klägerin) eines der dort genannten Defizite, also eine Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwächen bei seinem Vertragspartner ausbeutet. Das muss vorgetragen und ggf. nachgewiesen werden, und das war vorliegend nicht der Fall.
Bleibt die Anfechtung. War die möglich, etwa wegen Täuschung durch allzu vollmundige Versprechungen? Das  Gericht sagt nein und betont, dass eine „erfolgreiche Anfechtung wegen arglistiger Täuschung neben einer objektiven Täuschungshandlung im Sinne einer Erregung, Verstärkung oder Unterhaltung eines Irrtums, der für die Willenserklärung des Getäuschten kausal werden muss, in subjektiver Hinsicht eine Arglist des Täuschenden – bzw. eines Dritten im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB – voraus[setzt]. Arglist liegt vor bei bewusst unwahren Angaben oder Verschweigen von Tatsachen, aber auch bei Angaben „ins Blaue hinein“, bei denen der Täuschende damit rechnet, dass sie falsch sein können. Die Beklagte hat indes nichts vorgetragen, was die konkrete Annahme eines solchen der Klägerin zurechenbaren Verhaltens rechtfertigen würde.“
Alles in allem also einige Rechtfragen, die auch im mündlichen Examen geprüft werden könnten, vor allem in Hessen, denn da hat die Justiz diese Entscheidung zum Urteil des Monats April gekürt. Zum Nachlesen siehe hier.

07.05.2020/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-05-07 09:00:322020-05-07 09:00:32Abnehmen (doch nicht so) leicht gemacht: Was ist ein Behandlungsvertrag nach § 630a BGB?
Dr. Lena Bleckmann

BGH: Amtshaftung der Gemeinde für Fahrradunfall auf gemeindlichem Feldweg

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite

Der Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist einer der wichtigsten Ansprüche des Staatshaftungsrechts. Als solcher ist er bei Prüfern als Teil von Klausuren und auch in der mündlichen Prüfung sehr beliebt und sollte jedem Kandidaten geläufig sein. Aktuelle Rechtsprechung zum Thema erhöht die Examensrelevanz, sodass das Urteil des BGH vom 23.4.2020 (Az. III ZR 250/17) zum Anlass genommen werden sollte, die Grundlagen der Staatshaftung zu wiederholen.
Sachverhalt (vereinfacht und gekürzt)
A unternahm am Unfalltag mit seinem zwei bis drei Monate alten Mountainbike eine Fahrradtour. Hierbei befuhr er einen zum Gemeindegebiet und Eigentum der Gemeinde G gehörenden Feldweg. A kannte die Strecke nicht, hatte sich aber vorher mittels einer Karten-App orientiert. Nach ca. 50 m befand sich auf dem Feldweg ein sog. Zieharmonikaheck, d.h. eine Vorrichtung aus Drähten und Holzlatten, bei der zwei Stacheldrähte über den Weg gespannt waren. Diese Vorrichtung war bereits Ende der 1980er-Jahre mit Genehmigung des damaligen Bürgermeisters der G errichtet worden. An der Vorrichtung befand sich das Verkehrszeichen 260, wonach die Nutzung des Weges für mehrspurige Kraftfahrzeuge und Krafträder, nicht aber für Fahrräder untersagt ist. A bemerkte den quer über den Weg gespannten Stacheldraht erst spät, nahm eine Vollbremsung vor, wodurch sich das Rad überschlug und A kopfüber in den Stacheldraht stürzte. A ist seither querschnittsgelähmt und pflegebedürftig. A begehrt von G Ersatz der Behandlungskosten und Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.
Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass Ansprüche auf Ersatz der Behandlungskosten nicht auf Dritte übergegangen sind. Die Gemeinde ist nach den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften Trägerin der Straßenbaulast.
Anmerkung: Im Originalfall richtete sich die Klage auch gegen die zuständigen Jagdpächter. Weiterhin wurden die Behandlungskosten in einem separaten Verfahren durch die Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht, die als Dienstherr des geschädigten Soldaten dessen Behandlungskosten und Versorgungsbezüge zahlte.
Entscheidung
A könnte einen entsprechenden Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG haben. Dazu müsste jemand in Ausübung eines öffentlichen Amtes schuldhaft eine drittgerichtete Amtspflicht verletzt haben. (Anm: Hierbei bildet § 839 BGB die anspruchsbegründende Norm. Haftungssubjekt ist hier grundsätzlich der handelnde Beamte. Art. 34 GG leitet diese Haftung sodann auf den Staat über.)
Hier gilt der haftungsrechtliche Beamtenbegriff, d.h. Täter kann nicht nur ein Beamter im statusrechtlichen Sinne sein, sondern jeder, der mit hoheitlichen Tätigkeiten betraut ist und in Ausübung dieser tätig wird. Ausreichend ist auch, dass jemand ein hoheitliches Tätigwerden unterlässt. Die Gemeinde war Trägerin der Straßenbaulast und als solche verpflichtet, die Sicherheit der Gemeindestraßen zu gewährleisten. Dem Träger der Straßenbaulast obliegt auch eine öffentlich-rechtliche Überwachungspflicht (hier ist jeweils auf die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften abzustellen). Indem der zuständige Amtswalter nicht gegen die Absperrvorrichtung auf dem Feldweg einschritt, handelte er in Ausübung eines öffentlichen Amtes.
Er müsste auch eine drittgerichtete Amtspflicht verletzt haben. Wichtige Amtspflichten sind z.B. die Pflicht zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln, insbesondere das Unterlassen unerlaubter Handlungen, Verkehrsregelungs- und Verkehrssicherungspflichten und die Erteilung korrekter Auskünfte.  Hier könnte eine Verletzung einer Amtspflicht in Form einer Verkehrssicherungspflichtvorliegen. Hierzu führte die Vorinstanz, das OLG Schleswig-Holstein,  aus:

„Derjenige, der eine Gefahrenlage schafft (bzw. verantwortet), ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei sind diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. (…) Es sind deshalb diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises (hier Gemeinde als Straßenbaulastträger, Jäger, anliegende Landwirte, Freizeitsportler) für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die nach den Umständen zuzumuten sind.“ (OLG Schleswig-Holstein v. 10.8.2017, Az. 7 U 28/16)

Der Stacheldraht war hier nur aus kurzer Entfernung erkennbar und nicht besonders gekennzeichnet. Das Verkehrsschild, das nur die Benutzung des Weges durch mehrspurige Kraftfahrzeuge und Krafträder untersagte, ließ darauf schließen, dass der Weg durch Fahrradfahrer benutzt werden konnte. Erforderlich und zumutbar wäre es gewesen, die Absperrung hinreichend zu kennzeichnen, sodass sie für Benutzer des Weges auch aus größerer Entfernung unmittelbar wahrgenommen werden könnte und das Risiko eines Unfalls verringert würde. So auch der BGH:

„Mit Recht hatte das Berufungsgericht eine schuldhafte Verkehrssicherungs-pflichtverletzung durch die Beklagten bejaht. Ein quer über einen für die Nutzung durch Radfahrer zugelassenen Weg gespannter, nicht auffällig gekennzeichneter Stacheldraht ist im wörtlichen wie auch im rechtlichen Sinne verkehrswidrig. Ein solches Hindernis ist angesichts seiner schweren Erkennbarkeit und der daraus sowie aus seiner Beschaffenheit folgenden Gefährlichkeit völlig ungewöhnlich und objektiv geradezu als tückisch anzusehen, so dass ein Fahrradfahrer hiermit nicht rechnen muss. Für diesen verkehrspflichtwidrigen Zustand haftet die Gemeinde als Trägerin der Straßenbaulast.“ (BGH, Pressemitteilung Nr. 042/2020)

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Absperrung bereits über 20 Jahre vorhanden war, ohne dass bisher ein Schaden eingetreten war:

„Auch schon zur Unfallzeit – im Sommer 2012 – war Freizeitsport, wie Mountainbike-Fahren, zunehmend verbreitet (…). Gerade Feld- und Waldwege gehören zu den bevorzugten Flächen dieser Freizeitsportler und nach dem Aufkommen der Mountainbikes sind gerade Radfahrer in zunehmender Zahl auf derartigen Wegen anzutreffen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.1.1998, VersR 1998, 860–862, juris Rdnr. 35). Diese Veränderung im Freizeitverhalten hätte auch die Bekl. zu 1) als Eigentümerin und Trägerin der Straßenbaulast zur Kenntnis nehmen und sich im Rahmen des Zumutbaren darauf einstellen können. Dazu gehört es, die Absperrung von öffentlich zugänglichen Wegen mit dünnen und daher zwangsläufig leicht zu übersehenden Stacheldrähten entweder ganz zu vermeiden oder aber sie als Gefahrenquelle zumindest deutlich zu kennzeichnen.“ (OLG Schleswig-Holstein v. 10.8.2017, Az. 7 U 28/16)

Drittgerichtet ist die Amtspflicht, wenn sie nicht nur den Interessen der Allgemeinheit zu dienen bestimmt ist, sondern auch die Interessen des Einzelnen schützt, der konkrete Sachverhalt sachlich und der Betroffene persönlich vom Schutzbereich umfasst ist. Die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde dient gerade dazu, Unfälle wie den vorliegenden zu verhindern, sodass die Gemeinde eine ihr im konkreten Fall gegenüber A obliegende Amtspflicht verletzt hat.
Die Verletzung der Amtspflicht müsste auch schuldhaft gewesen sein. (Anm: Dieser Prüfungspunkt darf unter keinen Umständen übersehen werden, grenzt doch das Verschuldenserfordernis den Amtshaftungsanspruch insbesondere von den Geldentschädigungsansprüchen des Staatshaftungsrechts ab).  Es gilt der Maßstab des § 276 BGB, d.h. erforderlich ist Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Indem der zuständige Amtswalter nicht für eine ausreichende Kennzeichnung der Absperrung sorgte, obwohl bekannt war, dass die Feldwege im Gemeindegebiet häufig von Radfahrern genutzt werden, ließ er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gemäß § 276 Abs. 2 BGB außer Acht und handelte somit fahrlässig und schuldhaft.
Ein Anspruchsausschluss nach den § 839 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 3 BGB kommt ersichtlich nicht in Betracht, insbesondere vermag A nicht gem. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB auf andere Weise Ersatz zu erlangen.
Dem A müsste ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein. Dieser besteht vorliegend in den entstandenen Behandlungskosten, die nach § 249 Abs. 1 BGB ersatzfähig sind. Weiterhin besteht ein immaterieller Schaden gemäß § 253 Abs. 2 BGB. Diese beruhen auch kausal auf der Amtspflichtverletzung. (Anm: An dieser Stelle sollte der Bearbeiter grds. beachten, dass im Rahmen der Amtshaftung stets nur Geldersatz, nicht aber Naturalrestitution verlangt werden kann.)
Der Ersatzanspruch könnte jedoch wegen Mitverschuldens des A bei der Schadensentstehung gem. § 254 Abs. 1 BGB zu mindern sein. Die Vorinstanz ging hier davon aus, dass dem A ein Mitverschulden von 75% anzulasten sei, weil er noch nicht an das Bremsverhalten seines neuen Fahrrads gewöhnt war und der Weg für ihn unbekannt war, er aber dennoch seine Geschwindigkeit nicht anpasste, wie § 3 Abs. 1 StVO es vorsehe:

„Aufgrund der dargestellten und auch aus den Lichtbildern der beigezogenen Ermittlungsakte ersichtlichen örtlichen Verhältnissen musste der Geschädigte jederzeit mit Hindernissen rechnen, die ihn zu einer Bremsung zwingen könnten. Zwar musste er nicht mit einer – wie oben dargestellt – verkehrssicherungswidrigen Absperrung quer über den Feldweg rechnen, gleichwohl hätte er sich aufgrund der im unbekannten örtlichen Verhältnisse auf dem unbefestigten Weg jedoch jederzeit bremsbereit verhalten müssen. Gemessen daran waren die von dem Geschädigten (mindestens) gefahrenen 16 km/h unangemessen zu hoch. (…) Außerdem hat sich der Geschädigte nicht hinreichend mit dem Bremsverhalten seines (relativ neuen) Mountainbikes (hohe Überschlagsneigung) vertraut gemacht.“ (OLG Schleswig-Holstein v. 10.8.2017, Az. 7 U 28/16)

Dem tritt der BGH entschieden entgegen. Eine Anpassung der Geschwindigkeit an schwer erkennbare Hindernisse könne nicht verlangt werden, weil Radfahrer sich sonst stets nur mit minimaler Geschwindigkeit bewegen dürften:

„Der Kläger hat allerdings entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht gegen das Sichtfahrgebot verstoßen, so dass ihm insoweit kein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten ist. Dieses Gebot verlangt, dass der Fahrer vor einem Hindernis, das sich innerhalb der übersehbaren Strecke auf der Straße befindet, anhalten kann. Es gebietet aber nicht, dass der Fahrer seine Geschwindigkeit auf solche Objekte einrichtet, die sich zwar bereits im Sichtbereich befinden, die jedoch – bei an sich übersichtlicher Lage – aus größerer Entfernung noch nicht zu erkennen sind. Dies betrifft etwa Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind oder deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist und auf die nichts hindeutet. Anderenfalls dürfte sich der Fahrer stets nur mit minimalem Tempo bewegen, um noch rechtzeitig anhalten zu können. Um ein solches Hindernis handelte es sich im vorliegenden Fall. Daran änderte auch das an den Drähten angebrachte, mit nach unten auf den Boden gerichteten Holzlatten versehene Verkehrsschild nichts. Im Gegenteil erweckte es den Eindruck, der Weg sei für Fahrradfahrer frei passierbar“ (BGH, Pressemitteilung Nr. 042/2020).

Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des A ist vorliegend daher abzulehnen.
A hat gegen die Gemeinde G einen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten und Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in voller Höhe.
Ausblick
Es handelt sich um einen klassischen Fall des Staatshaftungsrechts, der den Bearbeiter nicht vor größere Schwierigkeiten stellen sollte. Zur Wiederholung sei auf unser Schema zum Amtshaftungsanspruch verwiesen. Die Frage des Mitverschuldens bietet viel Argumentationsspielraum, wobei in der Klausurlösung mit entsprechender Begründung vieles vertretbar sein dürfte.
 

27.04.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-04-27 08:50:182020-04-27 08:50:18BGH: Amtshaftung der Gemeinde für Fahrradunfall auf gemeindlichem Feldweg
Carlo Pöschke

OLG Frankfurt am Main zur deliktsrechtlichen Haftung im Mannschaftssport

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Fußball ist der Nationalsport Nummer eins in Deutschland. Mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern in 2019 ist der Deutsche Fußball-Bund der größte Sportverbund Deutschlands. Aber auch andere Mannschaftssportarten erfreuen sich großer Beliebtheit. So hatte der Deutsche Handball-Bund in 2019 fast 750.000 Mitglieder und der Deutsche Basketball-Bund brachte es immerhin auf deutlich über 200.000 Mitglieder. Schon allein aufgrund der großen Popularität dieser Sportarten dürfte es wenig überraschend sein, dass Mitspielerverletzungen an der Tagesordnung stehen und nicht selten juristische Streitigkeiten um Schadensersatz und Schmerzensgeld daraus entstehen. In seinem Urteil vom 14.11.2019 – 22 U 50/17, BeckRS 2019, 29048 beschäftigte sich das OLG Frankfurt am Main mit der Ersatzfähigkeit von Personenschäden, die eine Handballspielerin beim Torwurf erlitt. Da Kenntnisse rund um den Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu den absoluten Basics im Zivilrecht gehören, erscheint es nicht nur für Examenskandidaten, sondern auch für Jura-Studenten in unteren Semestern lohnenswert, sich mit dem Urteil des OLG Frankfurt auseinanderzusetzen.
 
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K und B waren Spielerinnen gegnerischer Mannschaften bei einem Handballspiel. Kurz vor Schluss machte K im Rahmen eines Tempo-Gegenstoßes einen Sprungwurf. B, Torfrau der Gegnerinnen, versuchte den Wurf abzuwehren. Dabei trafen beide zusammen. K stürzte beim Aufkommen und erlitt einen Kreuzbandriss im linken Knie. Der Schiedsrichter erteilte der B eine rote Karte, allerdings ohne Bericht, sodass diese lediglich für das fragliche Spiel weiter gesperrt war. K wurde daraufhin operiert. Es stellt sich heraus, dass sie dauerhaft nicht mehr Handball spielen kann.
K verlangt von B Schmerzensgeld und Schadensersatz. Zu Recht?
Auszüge aus den Internationalen Hallenhandballregeln:
Regel 8:2:

Es ist nicht erlaubt:
a) dem Gegenspieler den Ball aus der Hand zu entreißen oder wegzuschlagen.
b) den Gegenspieler mit Armen, Händen oder Beinen zu sperren, ihn durch Körpereinsatz wegzudrängen oder wegzustoßen, dazu gehört auch ein gefährdender Einsatz von Ellbogen in der Ausgangsposition und in der Bewegung.
c) […]
d) […]

Regel 8:5:

Ein Spieler, der seinen Gegenspieler gesundheitsgefährdend angreift, ist zu disqualifizieren […]. Die hohe Intensität der Regelwidrigkeit oder die Tatsache, dass diese den Gegenspieler unvorbereitet trifft und er sich deshalb nicht schützen kann, machen die besondere Gefahr aus (siehe nachstehenden Kommentar zu Regel 8:5).
[…]
Kommentar: Auch Vergehen mit geringem Körperkontakt können sehr gefährlich sein und zu schweren Verletzungen führen […]. In diesem Fall ist die Gefährdung des Spielers und nicht die Intensität des Körperkontakts maßgebend für die Beurteilung, ob auf Disqualifikation zu entscheiden ist. Dies gilt auch, wenn ein Torwart den Torraum verlässt, um den für den Gegenspieler gedachten Ball abzufangen. […]

 
II. Gutachterliche Falllösung
K könnte gegen B einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB haben.
1. Handlung
Ausgangspunkt des Anspruchs gem. § 823 Abs. 1 BGB ist ein menschliches Verhalten in Form eines Handelns oder pflichtwidrigen Unterlassens. Der Versuch, den Wurf der Gegnerin abzuhalten, stellt ein positives Tun dar. Mithin liegt eine Handlung der B vor.
2. Rechtsgutsverletzung
Weiterhin müsste B ein durch § 823 Abs. 1 BGB absolut geschütztes Rechtsgut der K verletzt haben. Vorliegend kommt sowohl eine Verletzung des Körpers als auch der Gesundheit der K in Betracht. Eine Körperverletzung umfasst dabei jeden Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit einschließlich der bloßen Schmerzzufügung. Unter einer Gesundheitsverletzung versteht man jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands. Durch den Versuch, den Wurf abzuwehren, erlitt K einen Kreuzbandriss im linken Knie. Eine solche Verletzung verursacht typischerweise starke Schmerzen und greift daher in die körperliche Integrität der K ein. Gleichzeitig ist mit der Verletzung ein Zustand eingetreten, der negativ vom körperlichen Normalzustand abweicht. Somit liegt sowohl eine Körper- als auch eine Gesundheitsverletzung vor.
3. Haftungsbegründende Kausalität
Darüber hinaus müsste zwischen der Handlung der B und der Rechtsgutsverletzung ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang bestehen. Zur Feststellung des Kausalzusammenhangs wird auf die Äquivalenztheorie, die Adäquanztheorie und den Schutzzweck der Norm zurückgegriffen.
Eine Handlung ist kausal für den Eintritt des Erfolgs (die Rechtsgutsverletzung) i.S.d. Äquivalenztheorie, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Hätte K nicht versucht, den Wurf abzuwehren, dann wäre B nicht gefallen und sie hätte sich nicht verletzt. Die Handlung der B ist äquivalent kausal für den Erfolgseintritt.
Die Handlung ist kausal nach der Adäquanztheorie, wenn sie im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges der eingetretenen Art geeignet ist. Vorliegend ist kein atypischer Kausalverlauf eingetreten. Vielmehr liegt es innerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass ein Mitspieler im Handball durch die beschriebene Handlung stürzt und sich verletzt. B hat die Rechtsgutsverletzung daher adäquat kausal verursacht.
Auch liegt die eingetretene Rechtsgutsverletzung (Körper- und Gesundheitsverletzung) nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 823 Abs. 1 BGB.
Somit ist die haftungsbegründende Kausalität gegeben.
4. Rechtswidrigkeit
Nach der ganz herrschenden Lehre vom Erfolgsunrecht indiziert die Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsguts die Rechtswidrigkeit.
5. Verschulden
Fraglich ist, ob B auch schuldhaft handelte. Eine vorsätzliche Handlung scheidet aus. In Betracht kommt allein fahrlässiges Handeln. § 276 Abs. 2 BGB definiert Fahrlässigkeit als die Missachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
Im Kontext der Kontrahentenverletzungen im Mannschaftssport hat der BGH den Sorgfaltsmaßstab präzisiert und klargestellt, dass nicht jede geringfügige (objektive) Verletzung einer dem Schutz der Spieler dienende Spielregel bereits als fahrlässiges Verhalten zu werten ist. Ein die Gefahr vermeidendes Verhalten müsse im konkreten Fall zumutbar sein. Dies sei insb. für Sportarten von Bedeutung, bei denen eine gewisse Gefährlichkeit meist nicht ganz ausgeschaltet werden kann. Daher sei für die Beurteilung, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet wurde, ein durch die Eigenart des Spiels geprägter Maßstab anzulegen (BGH NJW 1976, 957, 958; NJW 1976, 2161, 2161 f.).
Das OLG Frankfurt führte aus, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze in ausgeprägter Weise beim Hallenhandball gelten würden, bei dem der körperliche Einsatz erlaubt ist und dies notwendigerweise zu körperlichem Kontakt von Gegenspielern führt. Regel 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln verbietet es u.a., dem Gegenspieler den Ball aus der Hand zu entreißen oder wegzuschlagen sowie den Gegenspieler mit Armen, Händen oder Beinen zu sperren, ihn durch Körpereinsatz wegzudrängen oder wegzustoßen. Nach Ansicht der Frankfurter Richter genüge zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs jedoch eine Verletzung der Regel 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln nicht. Diesbezüglich führt das Gericht aus:

Für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB kommt es […] darauf an, dass die Verletzung eines Spielers auf einen Regelverstoß eines Gegenspielers zurückzuführen ist, der über einen geringfügigen und häufigen Regelverstoß – wie sie in Ziffer 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln erfasst sind – deutlich hinausgeht und auch einen Grenzbereich zwischen gebotener kampfbedingter Härte und unzulässiger Unfairness klar überschreitet […]. Voraussetzung für ein haftungsbegründendes Verhalten ist mithin das Vorliegen einer groben Verletzung einer zum Schutz von Spielern bestimmten Wettkampfregel […]. Zu solchen zum Schutz der Gesundheit der Spieler bestimmten Wettkampfregeln gehört Regel 8:5 der Internationalen Hallenhandballregeln.

In diesem Zusammenhang erlange die Frage, ob eine rote Karte mit oder ohne Bericht erteilt wurde, Bedeutung. Erst ein Bericht liefere die Basis für die spielleitende Stelle, um später über Sanktionen zu entscheiden. Nach dem Regelwerk sei bei schwerwiegenden Regelverstößen eine rote Karte mit Bericht vorgesehen. Der Bericht ermögliche eine eindeutige Tatsachenfeststellung. Fehle hingegen der Bericht wie im vorliegenden Fall, sei davon auszugehen, dass die Regelwidrigkeiten sich im Rahmen des körperbetonten Spielbetriebs halten.
Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Regel 8:5 sei nach der Kommentierung zu unterscheiden, ob es sich um die Torfrau oder eine Spielerin handelt. Der Raum im 6m-Bereich gehöre der Torfrau; springt ein Spieler dort hinein, sei ein Zusammenstoß sein Risiko. In der Kommentierung zu der Regelung 8:5 werde im zweiten Teil davon gesprochen, dass der Torwart den Torraum verlässt, um den für den Gegenspieler gedachten Ball abzufangen. In diesem Fall treffe ihn die Verantwortung, dass keine gesundheitsgefährdende Situation entsteht. Dies sei so zu verstehen, dass ein Zusammenprall im Torraum keine Regelwidrigkeit des Torwarts darstellt. Zwar dürfe auch der Torwart keine besonders aggressive Aktion vornehmen. Eine solche könne aber der Beschreibung des Schiedsrichters nicht entnommen werden.
Folglich verletzte B nicht die Regel 8:5 und handelte damit nicht fahrlässig i.S.d. §§ 823 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB.
6. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der K gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB besteht damit nicht.
 
III. Einordnung und Stellungnahme
Die Thematik, mit der sich das OLG Frankfurt zu befassen hatte, ist nicht neu, sondern erweist sich vielmehr als „alter Wein in neuen Schläuchen“. Denn bereits vor ca. 45 Jahren hat der BGH mehrere Grundsatzurteile zu diesem Themenkomplex gefällt (NJW 1975, 109 – 112; NJW 1976, 957 – 958; NJW 1976, 2161 – 2162). Die Entscheidung des OLG Frankfurt führt dabei im Wesentlichen die BGH-Rechtsprechung fort: Die Herbeiführung einer Verletzung des Kontrahenten begründet nur dann eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn der Verstoß über einen geringfügigen und häufigen Verstoß hinausgeht.
Das OLG Frankfurt hat zwar richtig erkannt, dass „[d]ie Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Schädigers bei Sportverletzungen – insbesondere solchen bei Ausübung von Mannschafts-Kampfsportarten – […] in der dogmatischen Einordnung problematisch“ ist. Terminologisch erweist sich das Urteil dennoch als inkonsequent: Während das Gericht anfangs problematisiert, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet wurde, kommt es am Ende zu dem Ergebnis, dass kein „so erheblicher Regelverstoß vorlag, der nicht mehr von der Einwilligung der Klägerin gedeckt war“. Obwohl die dogmatische Verortung des Problems in den allerwenigsten Fällen auf materieller Ebene entscheidungserheblich sein dürfte, ist Prüflingen dringend zu raten, die übliche Prüfungsstruktur des § 823 Abs. 1 BGB konsequent einzuhalten. Es ist dann entweder unter dem Prüfungspunkt „Rechtswidrigkeit“ zu erörtern, ob sich das fragliche Verhalten im Rahmen einer wirksam erteilten Einwilligung bewegt und damit gerechtfertigt ist, oder ob der Verstoß gegen die Spielregeln so schwerwiegend ist, dass ein Verschuldensvorwurf begründet werden kann.
Prozessrechtlich kann die dogmatische Einordnung jedoch sehr wohl von Bedeutung sein. Schließlich wird die Rechtswidrigkeit, folgt man der ganz herrschenden Meinung, bei Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsguts indiziert, während es dem Kläger i.R.d. § 823 Abs. 1 BGB (anders als beim Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB, wo das Vertretenmüssen gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird) obliegt, das Verschulden des Anspruchsgegners zu beweisen. Mit der Aufnahme des Spiels nehmen die Spieler spielordnungsgemäß zugefügte Körperverletzungen in Kauf. Dieses Risiko muss auch die Übernahme des Risikos der Unaufklärbarkeit des Regelverstoßes beinhalten, da die Möglichkeit der Unaufklärbarkeit von Regelverstößen im entscheidenden Augenblick blitzschnellen Kampfspielen wie Fußball oder Handball immanent ist. Müsste nun der Beklagte das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds beweisen, würde die beschriebene Risikoentlastung auf dem Wege der Beweislastverteilung praktisch entwertet. Es spricht daher viel dafür, die Besonderheiten bei Schädigungen, die bei der Ausübung von Mannschaftskampfsportarten entstehen, dogmatisch als ein Problem auf Ebene des Verschuldens zu behandeln (in diese Richtung tendenziell auch BGH NJW 1975, 109, 111).
 
IV. Zusammenfassung für den eiligen Leser
Verletzt bei Mannschaftskampfsportarten ein Spieler einen Kontrahenten, steht häufig ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB im Raum. Bei der Prüfung desselben ist dabei eine Besonderheit zu beachten: Die Herbeiführung einer Verletzung des Kontrahenten begründet nur dann eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn der Verstoß über einen geringfügigen und häufigen Verstoß hinausgeht. Häufig bilden die Verbandsregeln bei der Beurteilung der Verhaltensanforderungen einen ersten Anhaltspunkt. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Schädigers bei Sportverletzungen ist umstritten: Denkbar ist einerseits, die beschriebenen Besonderheiten im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen, andererseits könnte darauf im Rahmen der Verschuldensprüfung eingegangen werden. Materiellrechtlich hat dieser Disput in aller Regel keinen Einfluss, prozessrechtlich können sich jedoch durchaus Implikationen i.R.d. Beweislastverteilung ergeben. Für Prüflinge ist es wichtig, die bekannte Prüfungsstruktur des § 823 Abs. 1 BGB einzuhalten und terminologisch sauber zu arbeiten.

06.01.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-01-06 10:00:472020-01-06 10:00:47OLG Frankfurt am Main zur deliktsrechtlichen Haftung im Mannschaftssport
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit Urteil vom 21. Mai 2019 (Az.: VI ZR 299/17) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problembereich des Deliktsrechts geäußert. Konkret ging es um die Problematik des sog. „Schockschadens“ – einem deliktsrechtlichen Klassiker, der jedem Examenskandidaten ein Begriff sein sollte. Nunmehr hat der BGH festgestellt, dass die Grundsätze zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ auch in dem Fall anzuwenden sind, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Gerade vor dem Hintergrund des am 27.7.2017 in Kraft getretenen § 844 Abs. 3 BGB, der unter engen Voraussetzungen einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt und einen Sonderbereich des Schockschadens regelt (BeckOK BGB/Spindler, 51. Ed. 2019, § 844 BGB Rn. 42), hat die deliktsrechtliche Problematik in den letzten beiden Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erlangt – die gesteigerte Prüfungsrelevanz liegt damit auf der Hand. Angesichts dessen sollen die Grundzüge der Entscheidung im Folgenden dargestellt und erläutert werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Patient P ließ in einem von K betriebenen Krankenhaus eine Operation durchführen. Bei dieser unterlief dem Arzt – wie es spätere Gutachten feststellten – ein Behandlungsfehler, welcher zu einer lebensgefährlichen Entzündung führte. Aus den Gutachten ergab sich, dass die Operation verspätet und unter Anwendung einer fehlerhaften Operationstechnik durchgeführt wurde. P einigte sich schließlich mit dem Haftpflichtversicherer der K auf eine Abfindungszahlung. In der Folgezeit verstarb P. Nunmehr nimmt die Ehefrau des P, die E, die K auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch – im Wesentlichen mit der Behauptung, P sei in dem von K betriebenen Krankenhaus grob fehlerhaft behandelt worden und habe deshalb mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt, weshalb sie massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten habe.
 
Die erste Instanz, das LG Köln (Urt. v. 26. Oktober 2016, Az.: 25 O 326/15), hat die Klage abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung der K hatte auch vor dem OLG Köln (Urt. v. 12. Juli 2017, Az.: 5 U 144/16) keinen Erfolg. Der BGH hat die vorinstanzlichen Urteile nunmehr aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch der E gegen die K aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein eine durch die fehlerhafte ärztliche Behandlung herbeigeführte Gesundheitsverletzung. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615). Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 178).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 177) beschränkt.
 
Zweifelsohne können die von der E geschilderten psychisch vermittelten Beschwerden nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden. Problematisch ist indes, dass nicht die E die fehlerhafte ärztliche Behandlung erfahren hat, sondern ihr Ehemann P. Insofern erörtert der BGH bereits auf der Ebene der Rechtsgutsverletzung die Schockschaden-Problematik, namentlich welche Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung zu stellen sind, wenn ein Dritter betroffen ist, der zu dem unmittelbar Geschädigten in besonderer Verbindung steht:

„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB darstellen (…). Im Bereich der so genannten „Schockschäden“ erfahren diese Grundsätze allerdings eine gewisse Einschränkung. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Denn die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 I BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch nach den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen können in diesen Fällen deshalb nur dann als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.“ (Rn. 7)

Der BGH beruft sich hierbei also auf seine ständige Rechtsprechung zu Schockschäden bei Unfallereignissen (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246), nach der für eine relevante Gesundheitsverletzung verlangt wird, dass (1) die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und (2) über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Diese Rechtsprechung beschränke sich nicht nur auf Unfallereignisse, sondern sei vielmehr auf fehlerhafte ärztliche Behandlungen zu übertragen:

„Es ist kein Grund erkennbar, denjenigen, der eine (psychische) Gesundheitsverletzung im dargestellten Sinne infolge einer behandlungsfehlerbedingten Schädigung eines Angehörigen erleidet, anders zu behandeln als denjenigen, den die (psychische) Gesundheitsverletzung infolge einer auf einem Unfallereignis beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft.“ (Rn. 8)

Auch nach diesen Maßstäben muss eine im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB relevante Gesundheitsverletzung angenommen werden; die mittelschwere Depression der E ist pathologisch fassbar und geht nach den gutachterlichen Feststellungen auch hinsichtlich Dauer und Intensität über das hinaus, was ein Angehöriger in vergleichbarer Lage erleidet.
Die fehlerhafte Behandlung müsste aber auch kausal für die Gesundheitsverletzung gewesen sein. Die Kausalitätsprüfung – sowohl im haftungsbegründenden als auch im haftungsausfüllenden Tatbestand – erfolgt in drei Schritten: Zunächst ist festzustellen, ob Ursächlichkeit im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Es ist also zu fragen, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung der E entfiele. Dies kann hier offensichtlich bejaht werden: Ohne die grob fehlerhafte ärztliche Behandlung des P hätte die E keine psychischen Beeinträchtigungen erfahren. Weiterhin bedarf es zur Feststellung der Kausalität einer Adäquanz insofern, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Da es sich aber regelmäßig als psychisch belastendes Ereignis darstellt, wenn ein Angehöriger in Lebensgefahr schwebt, ist die fehlerhafte ärztliche Behandlung auch als adäquat kausal für die Gesundheitsverletzung anzusehen. Schließlich erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit in einem dritten Schritt unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. Gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen bedarf dies – so betont es der BGH – einer gesonderten Prüfung:

„Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (…). Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der so genannten „Schockschäden“ ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (…) anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko (…)“ (Rn. 11 f.)

Im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs nimmt der BGH bei Schockschäden also noch eine weitere Einschränkung (3) vor, indem er verlangt, dass der Anspruchsteller eine besondere persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweisen muss – die bei nahen Angehörigen gegeben ist. Legt man diese Rechtsprechung zugrunde, ist der Zurechnungszusammenhang zu bejahen: Die E war die Ehefrau des P, sie weist insofern die erforderliche persönliche Nähe auf. Zudem konnte die psychische Beeinträchtigung auch bei wertender Betrachtung nicht ihrer Sphäre zugeordnet werden. Auch an dieser Stelle hat der BGH betont, dass insofern kein Unterschied erkennbar sei, der es rechtfertige, von den Rechtsprechungsgrundsätzen zu „Schockschäden“ bei Unfallereignissen abzuweichen. Auf dieser Grundlage hat der BGH das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt also: Die Grundsätze zum Schockschaden, die der BGH in Bezug auf Unfallereignisse entwickelt hat, gelten ausweislich des aktuellen Urteils auch für fehlerhafte ärztliche Behandlungen. Das heißt, eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen Dritter kommt dann in Betracht, wenn

  • die psychische Beeinträchtigung pathologisch messbar ist,
  • sie über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene in vergleichbarer Situation regelmäßig ausgesetzt sind und
  • der Anspruchsteller eine persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweist.

In einer Klausur sollte dabei beachtet werden, dass die Problematik zum einen bereits an der Stelle der Rechtsgutsverletzung anzusprechen, zum anderen aber auch im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs zu erörtern ist.
 
 

04.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-11-04 09:08:372019-11-04 09:08:37BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung beim Werkvertrag

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In seinem Urteil vom 7.2.2019 (Az.: VII ZR 63/18) hat sich der BGH der Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung beim Werkvertrag gewidmet. Der Fall ist ein Paradebeispiel, anhand dessen die extrem klausur- und examensrelevante Problematik ausführlich erörtert werden kann.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht)
Im Januar 2016 beauftragte die Klägerin B den Beklagten U mit der Wartung ihres Pkw. Im Zuge der Wartungsarbeiten tauschte der U unter anderem den Keilrippenriemen, den Riemenspanner und den Zahnriemen aus. Am 9. Februar 2016 traten – so die Behauptung der B – erhebliche Probleme mit der Lenkung auf, sodass sie das Auto in eine andere Werkstatt abschleppen lassen musste, weil der U bis zum 10. Februar 2016 Betriebsferien hatte. Dort habe sich herausgestellt, dass der U den Keilrippenriemen nicht richtig gespannt habe. Der aus diesem Grund gerissene Riemen habe sich um die Welle und das Gehäuse der Lichtmaschine gewickelt und diese beschädigt. Überreste des Riemens hätten sich um die Riemenscheibe der Servolenkungspumpe gewickelt mit der Folge, dass die Riemenscheibe gebrochen und die Dichtung der Servolenkungspumpe beschädigt worden sei. Zudem seien Teile des Riemens in den Riementrieb des Zahnriemens gelangt. Die B ließ Keilrippenriemen, Riemenspanner, Zahnriemen, Servolenkungspumpe und Lichtmaschine ersetzen und verlangt nunmehr von U die hierbei unstreitig entstandenen Reparaturkosten i.H.v. 1.715,57 € nebst Zinsen.
 
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
 
B) Rechtsausführungen
Der BGH hat mit Urteil vom 7.2.2019 das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Den Schwerpunkt der Entscheidung bildet die höchst klausur- und examensrelevante Abgrenzung von Schadensersatz statt der Leistung von Schadensersatz neben der Leistung, insbesondere die Einordnung sog. Mangelfolgeschäden.
 
I. Allgemeine Grundsätze zur Abgrenzung des Schadensersatzes statt vom Schadensersatz neben der Leistung
Ist eine Pflichtverletzung in Form einer mangelhaften Werkleistung i.S.v. § 633 BGB gegeben, ist in der Folge zwischen dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB und dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB zu differenzieren. Der Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB tritt an die Stelle der geschuldeten Werkleistung und erfasst das Leistungsinteresse des Bestellers. Grundsätzlich ist hierfür – abgesehen von den normierten Ausnahmen – eine Fristsetzung zur Nacherfüllung erforderlich, damit der Unternehmer eine letzte Gelegenheit erhält, seiner Pflicht zur geschuldeten Leistung, also der Herstellung eines mangelfreien Werks, nachkommen zu können. In Abgrenzung hierzu sind über § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB, der ausweislich keine Fristsetzung verlangt, die über das Leistungsinteresse hinausgehenden Vermögensnachteile, insbesondere Folgeschäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers als dem Werk selbst oder an dessen Vermögen, zu ersetzen (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 225, 263). Mit dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB kann also Ersatz für Schäden verlangt werden, die aufgrund eines Werkmangels entstanden sind und durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht beseitigt werden können. Man muss sich daher stets die Testfrage stellen, ob der aufgrund eines Werkmangels entstandene Schaden durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung beseitigt werden kann – und dann auf dieser Grundlage ermitteln, ob § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB einschlägig ist.
 
II. Die Entscheidung des BGH vom 7.2.2019
Nach diesen Maßstäben nahm der BGH hinsichtlich der verschiedenen Schäden eine dogmatisch konsequente differenzierte Betrachtungsweise ein: So wurde bezüglich der Lichtmaschine und der Servolenkungspumpe ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB hergeleitet; ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens konnte sich allerdings nur aus § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ergeben.
 
1. Über § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB ersatzfähige Mangelfolgeschäden
Anders als das Berufungsgericht kam der BGH zu dem Ergebnis, dass es sich bezüglich der Kosten für Lichtmaschine und Servolenkungspumpe um über §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB neben der Leistung ersatzfähige Mangelfolgeschäden handelte, für die es keiner Fristsetzung bedurfte: „Für derartige Folgeschäden kommt die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung gemäß § 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Denn der Zweck dieser Fristsetzung, dem Unternehmer eine letzte Gelegenheit einzuräumen, ein mangelfreies Werk herzustellen, kann nicht erreicht werden in Bezug auf Schäden, die durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht zu beseitigen sind.“ (Rn. 19) Der BGH argumentiert also mit dem Telos des Fristsetzungserfordernisses, der darin besteht, dass dem Unternehmer eine letzte Gelegenheit zur mangelfreien Leistung gewährt werden soll. Gerade diesem Sinn und Zweck entspreche es aber nicht, wenn bei Schäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers als dem Werk selbst eine Fristsetzung verlangt würde.
Allerdings bedarf es in einem vorherigen Schritt im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB der Ermittlung der konkret geschuldeten Werkleistung. Denn nur dann kann auch festgestellt werden, wann Schäden vorliegen, die an anderen Rechtsgütern als dem Werk selbst eingetreten sind. Besonders schwierig ist dies in der – wie hier vorliegenden – Konstellation, in der die einzelnen Teile, bei denen Schäden eingetreten sind, einer Gesamtsache – hier: dem Auto – zugehörig sind. Der BGH kam basierend auf diesen Erwägungen zu folgendem Auslegungsergebnis:

„Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Beklagte mit der Wartung des Kraftfahrzeugs der Klägerin beauftragt. Ein Wartungsvertrag über ein Kraftfahrzeug beinhaltet regelmäßig dessen Überprüfung auf Funktions- und Verkehrstüchtigkeit im vereinbarten Umfang und damit insbesondere auch die Aufdeckung etwaiger Schäden der zu überprüfenden Bereiche. Auch der Austausch von Verschleißteilen kann davon umfasst sein. Die Reparatur von im Rahmen der Wartung aufgedeckten Schäden gehört dagegen nicht zur geschuldeten Leistung eines Wartungsvertrags. Sie ist nur bei einer entsprechenden Vereinbarung durchzuführen. Entgegen der Auffassung der Revision umfasste der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts ferner den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens. Dabei kann dahinstehen, ob derartige Arbeiten regelmäßig zum geschuldeten Leistungsumfang eines Vertrags über die Wartung eines Kraftfahrzeugs gehören. Denn die Parteien haben diese Arbeiten hier – spätestens mit der (konkludenten) Abnahme der ausgeführten Arbeiten seitens der Klägerin durch Abholung des Kraftfahrzeugs und Begleichung der Rechnung des Beklagten – zum Gegenstand ihrer vertraglichen Vereinbarungen gemacht. Die vom Beklagten geschuldete Werkleistung bestand danach in der ordnungsgemäßen Wartung des Kraftfahrzeugs einschließlich des Austauschs des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens. Hierauf beschränkte sich indes auch die Leistungspflicht des Beklagten. Demgegenüber handelt es sich bei den Schäden an der Lichtmaschine und der Servolenkungspumpe um Folgeschäden, die durch die mangelhafte Werkleistung des Beklagten – das mangelhafte Spannen des Keilrippenriemens – entstanden sind, und die durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht mehr beseitigt werden können. Diese Schäden betreffen vielmehr zuvor unbeschädigte Bestandteile des Kraftfahrzeugs und nicht das geschuldete Werk selbst.“ (Rn. 21-25)

Der BGH nahm also aufgrund der Vereinbarung der Parteien, der U habe das Fahrzeug ordnungsgemäß zu warten sowie den  Keilrippenriemen, den Riemenspanner und den Zahnriemen auszutauschen, an, dass sich hierauf die geschuldete Werkleistung beschränkte. Bei den Schäden an Lichtmaschine und Servolenkungspumpe handelt es sich daher um Schäden, die an anderen Rechtsgütern als dem Werk selbst eingetreten sind.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Entscheidungen des BGH, nach denen die Nacherfüllung alle Arbeiten umfasst, die zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes erforderlich sind (vgl. beispielhaft BGH Urt. v. 22.3.1979 – VII ZR 142/78, juris, Rn. 17, und Urt. v. 29.11.1971 – VII ZR 101/70, juris, Rn. 41) Denn: „Jene Entscheidungen betreffen allein die Frage, welche Maßnahmen im Rahmen einer Nacherfüllung geschuldet sind, um ein mangelfreies Werk herzustellen. Erfordert die Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung Eingriffe in das sonstige Eigentum des Bestellers, sind auch die hierdurch entstehenden Schäden zu beheben. Von solchen Schäden, die im Zuge der Nacherfüllung zwangsläufig entstehen, sind diejenigen Schäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers oder an dessen Vermögen zu unterscheiden, die durch die mangelhafte Werkleistung verursacht wurden. Sie werden von der Nacherfüllung nicht erfasst, sondern können nur Gegenstand des – verschuldensabhängigen – Schadensersatzanspruchs gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB sein (vgl. zur Abgrenzung bereits BGH, Urteil vom 7. November 1985 – VII ZR 270/83, BGHZ 96, 221, juris Rn. 14 ff.). So liegt der Fall hier. Denn hinsichtlich der Lichtmaschine und der Servolenkungspumpe geht es nicht um die Nacherfüllung der Wartung oder der vereinbarten Austauscharbeiten und hierdurch erforderlich werdende Maßnahmen, sondern um die Beseitigung weiterer, aufgrund der mangelhaften Werkleistung eingetretener Schäden am Kraftfahrzeug der Klägerin.“
Zusammenfassend kann sich ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB daher nur für die Schäden an Lichtmaschine und Servolenkungspumpe ergeben, nicht aber bezüglich Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen.
 
2. Über § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ersatzfähige Mangelschäden
Hinsichtlich der Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens kam indes ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB in Betracht. Wie bereits dargelegt, tritt der Schadensersatz statt der Leistung an die Stelle der Leistung und umfasst das Leistungsinteresse des Bestellers. Er knüpft daran an, dass keine ordnungsgemäße Nacherfüllung stattgefunden hat. Damit deckt sich sein Anwendungsbereich mit der Reichweite der Nacherfüllung, die gemäß § 634 Nr. 1 i.V.m. § 635 BGB auf die Bewirkung der geschuldeten Leistung gerichtet ist. Die geschuldete Leistung bestand im konkreten Fall – wie bereits im Wege der Auslegung ermittelt wurde – in der ordnungsgemäßen Wartung des Kraftfahrzeugs einschließlich des Austauschs des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens. Der BGH führte wie folgt aus:

„Soweit der Keilrippenriemen durch den mangelhaft ausgeführten Austausch – das mangelhafte Spannen – gerissen ist und deshalb dessen erneuter Austausch erforderlich wurde, betrifft dies den bei Abnahme vorhandenen Mangel des Werks. Die Beseitigung dieses Mangels wird von der Nacherfüllung erfasst, so dass die Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens als Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB zu ersetzen sind. Gleiches gilt hinsichtlich des Austauschs von Riemenspanner und Zahnriemen. Auch insoweit ist das geschuldete Werk betroffen. Ohne Belang ist, dass Riemenspanner und Zahnriemen bei Abnahme noch nicht mangelhaft waren. Denn der jeweilige Mangel hat seine Ursache in dem mangelhaften Spannen des Keilrippenriemens und damit in der vertragswidrigen Beschaffenheit des Werks bei Abnahme. Der erforderliche erneute Austausch wird damit ebenfalls von der Nacherfüllung erfasst, so dass sich der Ersatz der Austauschkosten nach § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB richtet.“ (Rn. 35, 36)

Es bedurfte damit grundsätzlich einer Fristsetzung. Allerdings hat der BGH festgestellt, dass eine solche ausnahmsweise nach § 281 Abs. 2 Var. 2 BGB entbehrlich ist. Es lägen besondere Umstände vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigten: Es „besteht ein besonderes Interesse der Klägerin an einer einheitlichen Reparatur, bei der die erforderlichen Austauscharbeiten im Zuge der Beseitigung der wirtschaftlich im Vordergrund stehenden Folgeschäden an der Lichtmaschine und der Servolenkung miterledigt werden. Demgegenüber tritt das – grundsätzlich bestehende – Interesse des Beklagten an der Möglichkeit einer Nacherfüllung betreffend Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen zurück, zumal dies im Anschluss an die Reparatur (allein) der Folgeschäden ein aufwendiges Verbringen des Kraftfahrzeugs in die Werkstatt des Beklagten erfordert hätte.“ (Rn. 37)
Nach Ansicht des BGH musste mithin keine Frist gesetzt werden, sodass auch ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB in Betracht kommt.
 
C) Fazit
Die Entscheidung des BGH ist dogmatisch konsequent. Bei verschiedenen Schäden – auch an einer „Gesamtsache“ – ist bei der Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung stets zu differenzieren, ob das Leistungsinteresse des Bestellers betroffen ist oder ob Vermögensteile des Bestellers, die nicht das geschuldete Werk betreffen, beschädigt wurden. Hier bedarf es einer Auslegung im jeweiligen Einzelfall, worin die geschuldete Werkleistung liegt. Auf dieser Grundlage kann dann die Reichweite der Nacherfüllung und somit der Anwendungsbereich des § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB bestimmt werden. Hiervon nicht erfasste Schäden können dann über § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1 BGB ersatzfähig sein. In der Klausur ist daher unter Ausschöpfung aller im Sachverhalt genannten Aspekte der Umfang der geschuldeten Werkleistung auszulegen, um auf dieser Basis eine Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung vornehmen zu können.
 
 

11.06.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-06-11 09:20:242019-06-11 09:20:24BGH: Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung beim Werkvertrag
Redaktion

Simulation mündliche Prüfung: Privatier P hält die Ohren steif – Zur analogen Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

BGH-Klassiker, Examensvorbereitung, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Die Simulation ist einer brandaktuellen Entscheidung des BGH nachgebildet. Das Gericht äußert sich zu grundlegenden Fragen des allgemeinen Schuldrechts und nimmt darüber hinaus erstmalig zu einem neuen, bislang wenig Beachtung gefundenen Vertragstypus Stellung. Die Entscheidung ist bereits deshalb besonders examensrelevant und kann nicht nur Gegenstand einer mündlichen Prüfung, sondern auch universitärer Klausuren sein. Ein vertiefter Blick in das Urteil ist deshalb dringend geboten.  
 
Prüfer:  Willkommen zur Prüfung im Zivilrecht. Lassen Sie mich einen Fall referieren, der mir neulich zu Ohren kam. Die Entscheidung ist einem Fall des XIII. Senats des BGH v. 01.04.2019 (Az. 70 PSG 200) nachgebildet. Der Fall ist recht umfangreich, also spitzen Sie die Ohren:
Der dauerhaft in Berlin lebende, vom Hals abwärts gelähmte französische Staatsbürger P sowie sein senegalesisch-stämmiger Pfleger D beschließen, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag eine kleine Belohnung zu genehmigen. Pfleger D beschafft dazu – neben mehreren Marihuana-Zigaretten (sog. „Johnys“) – zwei mit den thailändischen Massagekünsten bestens vertraute Prosituierte (B und J), die dem D aus älteren „Geschäftsbeziehungen“ bereits hinlänglich bekannt sind. Gegen 21:30h treffen B und J am prunkvollen Anwesen des P ein.
P und D konsumieren über den Abend verteilt mehrere „Blunts“, wobei zunächst D den Löwenanteil der Rauchwaren verputzt. Während P wie gewohnt in seinem Rollstuhl sitzt, lässt sich D auf einem barocken Ohrensessel neben D nieder. Sodann positionieren sich B und J hinter D und P. Während D sich unverzüglich seines Oberteils entledigt, beschließt P, sich das Oberhemd nur ein wenig aufknöpfen zu lassen. B und J beginnen, P und D zu massieren. D nutzt dabei die Gelegenheit, und zündet eine weitere „Kräuterrakete“ an. Entsprechend seinen Wünschen massiert B den D von Kopf bis zu seiner stählernen Brust. P bevorzugt es hingegen, die Massageeinheit auf seine besonders empfindlichen Ohrläppchen zu beschränken. Als J beginnt, ihre Hände von den Ohrläppchen des P an dessen Körper herabgleiten zulassen, interveniert D energisch: „Nein, nein, nein, bleib schön am Ohr. Das mag er.“ – während er P eine frische „Tüte“ anreicht. J kommt diesem Wunsch nach.
Aufgrund des durch die hohe Anzahl an „Doobys“ ausgelösten Rausches, schläft der Gelegenheitsstoner P nach achtminütiger Massageeinheit unvermittelt ein. J stellt daraufhin die Arbeit ein, steckt das auf dem Couchtisch des P platzierte Entgelt in Höhe von 150 € ein und verlässt das Anwesen des P. D – der mittlerweile zusammen mit B den Raum gewechselt hat – bekommt von alldem nichts mehr mit.
P verlangt von J nun anteilige Rückzahlung des bereits gezahlten Entgelts in Höhe von 50 €: Die Leistung sei nicht vollständig erbracht worden. Seine Ohren seien nicht bis zur endgültigen Befriedigung gekrault worden – nicht mal ein leichtes, frohlockendes Zucken seiner Ohrläppchen habe er verspüren können. Auch sei die Dauer von lediglich acht Minuten nicht angemessen, ein derart hohes Entgelt zu rechtfertigen.
J entgegnet, sie habe ausreichend lange „an den Löffeln herumgefummelt“. Dass ihre Leistung durchaus zufriedenstellend war, könne man daran erkennen, dass P bereits nach kurzer Zeit in das Land der Träume versunken sei. Gewährleistungsansprüche bestünden bereits gar nicht. Hilfsweise rechnet sie mit einem Schadensersatzanspruch auf: Durch die für sie ungewohnte Tätigkeit habe sie sich eine Sehnenscheitentzündung zugezogen, sie habe dadurch einen mehrnächtigen Arbeitsausfall erlitten.
Herr Wenneck, haben Sie den Fall verstanden? Dann lassen Sie uns mal an Ihren Gedanken teilhaben: Was für ein Vertrag kommt hier in Betracht?
Herr Wenneck: Also, es kommt ein Geschäftsbesorgungsvertrag in Betracht…
Prüfer: Sie wollen mich wohl übers Ohr hauen! Sie haben da etwas grundlegend falsch verstanden. Frau Garner, was sagen Sie dazu?
Frau Garner: Der Vertragstypus ist anhand des Parteiwillens zu bestimmen. Zu fragen ist also, was die Parteien hier vereinbart haben. Ich würde zwischen einem Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB und einem Werkvertrag nach den §§ 631 ff. BGB differenzieren. Beim Dienstvertrag ist lediglich ein Tätigwerden geschuldet, während beim Werkvertrag ein bestimmter Erfolg herbeigeführt werden muss.
Prüfer: Da werde ich hellhörig. Überlegen Sie doch einmal, in welchem Gewerbe die Damen normalerweise tätig sind. Wäre das auch hier zu berücksichtigen, Herr Carlos?
Herr Carlos:  Es ließe sich natürlich auch über einen Prostitutionsvertrag nachdenken. Der Prostitutionsvertrag ist in Deutschland ein lediglich einseitig verpflichtender Vertrag, d.h. nur der Freier wird verpflichtet die Gegenleistung, also die Bezahlung, zu leisten, während die Erbringung der sexuellen Leistung vom freien Willen der Prostituierten abhängt.
Prüfer: Sehr richtig. Und wie wäre es in unserem Fall?
Herr Carlos: Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es sich überhaupt um eine sexuelle Leistung handelt. Denn selbstverständlich kann eine Prosituierte auch andere Verträge schließen: Wenn ich zu einer Prosituierten gehe und von ihr verlange, dass sie mir nur für ein paar Minuten ein Ohr leiht, dann ist das mit Nichten ein Prostitutionsvertrag.
In unserem Fall ist meiner Meinung nach ein Prostitutionsvertrag abzulehnen. Das reine Kraulen an den Ohren stellt keine sexuelle Leistung dar. Es ist eine Leistung, die von der überwiegenden Mehrzahl der Bürger nicht in einem sexuellen Kontext gesehen wird. Denn auch die handelsübliche Thai-Massage fällt nicht in den Rahmen des Prostitutionsschutzgesetzes – und diese ist meines Erachtens doch intimer als ein bloßes Streicheln der Ohrläppchen.
Prüfer: In der Tat! Man merkt, Sie wissen wovon Sie reden. Kommen wir nochmal auf unsere Ausgangsfrage zurück: Werk- oder Dienstvertrag? Mr. Chow, Sie haben sich bislang noch sehr bedeckt gehalten. Lassen Sie mal die Katze aus dem Sack!
Mr. Chow: Ich will sofort mein Handtäschchen wieder!
Prüfer: Wie bitte?
Mr. Chow: Gebt mir sofort mein Handtäschchen wieder!
Prüfer: Ich ziehe ihnen gleich das Fell über die Ohren. Herr Wenneck, können Sie uns hier weiterhelfen?
Herr Wenneck: Entscheidend ist, was Frau J schuldet. Mit Blick auf einen Werkvertrag ist bereits fraglich, welcher Erfolg von J überhaupt zu erbringen wäre. Das Ohrkraulen „an sich“ ist jedenfalls kein Erfolg. Es müsste vielmehr ein hierüber hinausgehender Erfolg geschuldet sein. Zu denken wäre etwa an ein – und hier spreche ich untechnisch – „Happy End“. Ein dahingehender Parteiwille ist jedoch nicht ersichtlich. In Betracht kommt also allenfalls ein Dienstvertrag.
Prüfer: Frau Garner, stimmen Sie Ihrem Kollegen zu?
Frau Garner: Da ist der Kollege wohl noch ein bisschen grün hinter den Ohren. In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH einen sog. „Ohrläppchenvertrag“ sui generis angenommen. Dieser Vertragstypus bildet die Schnittstelle zwischen Werk- und Dienstvertrag. Es ist in der Tat richtig,  dass eine Tätigkeit geschuldet ist. Die Hauptleistungspflicht beim „Ohrläppchenvertrag“ geht jedoch über das bloße Massieren der Lauscher hinaus. Notwendig ist nämlich, dass zumindest zeitweilig ein wohliges – vielleicht gar genüssliches – Stöhnen das Bekraulten zu vernehmen ist. Tritt dies ein, ist der Vertrag zwar nicht automatisch erfüllt. Wäre dies so, hätten wir es mit einem Werkvertrag zu tun. Auch bei Eintritt derartiger Geräusche kann es nach den Umständen des Einzelfalls sein, dass weitere Kraultätigkeiten noch zu erbringen sind. Deutlich wird: Keiner der ausdrücklich normierten Vertragstypen passt, mit der Folge, dass der Pflichtenkanon des „Ohrläppchenvertrags“ losgelöst von den Vertragstypen des BGB zu bestimmen ist.
Prüfer: A la bonne heure, Sie sind ein richtiges Schlitzohr! Jetzt, da wir den Vertragstyp bestimmt haben, stellt sich die Frage, ob Frau J den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hat oder ob der P hier das vereinbarte Entgelt mindern durfte. Herr Carlos, was sagen Sie dazu?
Herr Carlos: Zunächst muss erörtert werden, ob ordnungsgemäß erfüllt worden ist. Anschließend lässt sich gegebenenfalls darüber nachdenken, ob der „Ohrläppchenvertrag“ ein Mängelgewährleistungsrecht kennt.
Die Frage, ob hier ordnungsgemäß erfüllt wurde, würde ich verneinen: Wie Frau Garner dargelegt hat, muss das Kraulen der Ohrläppchen zu einem „wohligen Stöhnen“ des Bekraulten führen. Der P führt aber aus, dass es nicht mal zu einem „leichten, frohlockenden Zucken der Ohrläppchen“ gekommen sei. Ein Einschlafen des Leistungsempfängers genügt den Anforderungen nicht, die an den Erfolg angelegt werden. 
Prüfer: Das ist Musik in meinen Ohren! Sehr schön Herr Carlos. Also hat Frau J den Vertrag somit nicht ordnungsgemäß erfüllt. Frau Garner, gehen Sie einmal davon aus, dass wir es bei der J mit einer geübten Ohrmasseurin zu tun haben, die dem P sicherlich noch ein kleines Stöhnen hätte entlocken können. Woran könnte man in diesem Fall denken?
Frau Garner: Das entscheidende Momentum ist in dem Einschlafen des P zu sehen. Wäre P nicht eingenickt, hätte J den geschuldeten Erfolg noch herbeiführen können. An eine Mängelgewährleistung ist deshalb nur zu denken, wenn das Einschlafen des Leistungsberechtigten beim „Ohrläppchenvertrag“ der Risikosphäre der Kraulerin zugerechnet werden müsste. Beim „Ohrläppchenvertrag“ hat die Kraulerin zwar die Ohren, nicht hingegen das Einschlafen des Bekraulten in der Hand. Zudem würde eine sehr beruhigende Kraulweise, die regelmäßig notwendig ist, um ein frohlockendes Zucken herbeizuzaubern, ihre Wirkung rechtlich betrachtet ins Gegenteil verkehren. Andernfalls würde man von der Kraulerin einen Satz heiße Ohren verlangen – das wird auch vom Berkraulten nur in einzelnen Sonderfällen gewünscht sein.
Prüfer: Ihr Wort in Gottes Ohr, Frau Garner! Und in welchen Teil des allgemeinen Schuldrechts würden Sie in der Konsequenz schauen, Herr Wenneck?
Herr Wenneck: § 313 BGB scheint mir hier sehr passend. Wenn ich mich recht entsinne, hat auch der BGH hier eine analoge Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage angenommen. Die Geschäftsgrundlage – hier das Wachbleiben des Bekraulten – ist entfallen. Treffend lässt sich hier vom „Wegschlafen der Geschäftsgrundlage“ sprechen. Daher auch die analoge Anwendung.
Prüfer: Herr Wenneck, Sie haben es faustdick hinter den Ohren! Ich möchte ein Zitat des BGH anmerken. Dieser führte aus: „Wer im Geiste ruht, dessen Ohrläppchen können nicht wachen.“ Ist das nicht schön formuliert? Nun gut, ich merke, ich schweife ab. Reicht uns ein Wegschlafen der Geschäftsgrundlage bereits für eine entsprechende Anwendung des § 313 BGB, Herr Carlos?
Herr Carlos: Tut mir Leid, ich hatte gerade auf Durchzug geschaltet. 
Prüfer: Herr Carlos, Sie sollten aufmerksam bleiben, wenn ihr Kollege subsumiert. Schreiben Sie sich das hinter die Löffel! Neben dem Wegfallen – oder hier dem Wegschlafen – erfordert die Anwendung des § 313 BGB als weitere Voraussetzung…
Herr Carlos: Das Wegschlafen darf nicht in den Risikobereich einer der Parteien fallen. Dass das Wegschlafen nicht in den Risikobereich der Kraulerin fällt, haben wir bereits festgestellt – da war ich noch am Ball. Wir müssen nun noch klären, ob ein Wegnicken in den Risikobereich des Bekraulten fällt. Die Umstände des Falles können hier dafür sprechen: P und D hatten einige „Sandwiches“ gemampft – eine Tatsache, die, wie jedem bekannt sein dürfte, schnell zu großer Müdigkeit führen kann.
Prüfer: Das ist doch an den Ohren herbeigezogen. Frau Garner, klären Sie uns auf!
Frau Garner: Abzustellen ist auf den jeweiligen Verkehrsteilnehmerkreis: Es ist gerade nicht atypisch, dass vor und während des „Ohrläppchenkraulens“ auch „gedübelt“ wird. Für die Annahme, dass die hiermit verbundene Gefahr des Wegnickens in den Risikobereich einer der Vertragsparteien fallen soll, bedarf es deshalb besonderer Anhaltspunkte. Zu denken ist etwa an die Einnahme von Schlaftabletten, ein besonders langweiliges Kraulprogramm oder eine äußerst einschläfernde Hintergrundmusik, wie man sie von zweitklassigen Thaimassagestudios kennt. All das haben wir hier jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund kommen wir zu dem Ergebnis, dass das Wegschlafen des P nicht in dessen vertragliche Risikosphäre fällt. Die Voraussetzungen des § 313 BGB analog liegen vor.
Prüfer:  Sehr schön, Frau Garner. Herr Carlos, machen Sie den Sack zu.
Herr Carlos: Ein Wegschlafen der Geschäftsgrundlage führt in analoger Anwendung des § 313 BGB zu einer Anpassung des Vertrags oder – soweit dies nicht möglich ist – zu einem Rücktrittsrecht des Bekraulten. Hier vergingen acht Minuten bis zum Wegschlafen, die Vergütung ist dementsprechend zu mindern. Der Bekraulte hat somit einen Rückzahlungsanspruch gegen die Kraulerin.
Prüfer: In der Tat! Kommt denn eine Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch der Kraulerin J in Betracht? Herr Wenneck, lassen Sie uns an Ihren Gedanken teilhaben.
Herr Wenneck: Also um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, bedarf es einer Pflichtverletzung des Bekraulten. Es ist doch gerade Gegenstand des Vertrages, sich die Ohren massieren zu lassen, mehr hat der P nicht getan – wie denn auch? „Keine Arme, keine Schokolade.“ Eine Pflichtverletzung haben wir somit nicht. Im Ergebnis kann somit auch keine Aufrechnung erfolgen.
Prüfer:  Sehr ohrdentlich, Herr Wenneck. Das soll uns für die Zivilrechtsprüfung genügen. Wenn Sie mehr zu diesem Ohrbiter Dictum des XIII. Senats lesen möchten, sollten Sie die Entscheidung unbedingt bei Gelegenheit nachlesen.

01.04.2019/8 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-04-01 09:30:252019-04-01 09:30:25Simulation mündliche Prüfung: Privatier P hält die Ohren steif – Zur analogen Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Gastautor

Datenschutz: Der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO

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Wir freuen uns sehr, einen Gastbeitrag von Zsofia Vig veröffentlichen zu können. Zsofia Vig hat ihr Studium und Referendariat in Berlin absolviert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Anwaltskanzlei und ist überwiegend im Bereich Datenschutzrecht tätig.
 
I. Einleitung
Die ab dem 25.05.2018 anwendbare DSGVO normiert in Art. 82 einen eigenständigen materiellen Schadensersatzanspruch des Betroffenen gegenüber dem Datenverarbeitenden (Verantwortlichen sowie Auftragsverarbeiter) bei Verletzung datenschutzrechtlicher Pflichten. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Anspruchsvoraussetzungen sowie über den Anspruchsumfang gegeben werden.
II. Charakter und Rechtsnatur
Art. 82 DSGVO stellt eine eigenständige, unmittelbar geltende, deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage dar, die autonom nach den Regeln des Gemeinschaftsrechts auszulegen ist (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn.1). Sie gilt im Anwendungsbereich der DSGVO (vgl. Art.2,3 DSGVO) sowohl für den öffentlichen, als auch für den nichtöffentlichen Bereich (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 2). Zweck der Norm ist zum einen der Ausgleich für durch Datenschutzrechtsverletzungen erlittene materielle und immaterielle Schäden, zum anderen die mittelbare Sanktionierung der begangenen Verstöße sowie die Vermeidung weiterer Verstöße (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567).
Art. 82 DSGVO steht mit anderen vertraglichen, quasi-vertraglichen und deliktischen Ansprüchen nach Unionsrecht oder nach dem Recht der Mitgliedstaaten in Anspruchskonkurrenz (Erwägungsgrund 146; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 2).
III. Aktiv-und Passivlegitimation
Trotz des weiten Wortlauts („jede Person“) wird überwiegend davon ausgegangen, dass Anspruchsinhaber nur der Betroffene ist, d.h. derjenige, dessen personenbezogene Daten rechtswidrig verarbeitet werden (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 3; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
Anspruchsgegner ist grundsätzlich sowohl der Verantwortliche (vgl. Art. 4 Ziff. 7 DSGVO), als auch der Auftragsverarbeiter (vgl. Art. 4 Ziff. 8 DSGVO). Hierbei ist im Hinblick auf die Pflichtverletzung die Differenzierung des Abs. 2 zu berücksichtigen (Erwägungsgrund 146; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
IV. Haftungsbegründender Tatbestand
1. Pflichtverletzung
Während der Verantwortliche für jeden Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO, d.h. sowohl für formelle als auch für materielle Verstöße haftet, wobei grds. auch Verstöße gegen die allgemeinen Grundsätze des Art. 5 DSGVO erfasst werden, (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn.15) ist die Haftung des Auftragsverarbeiters auf Verstöße gegen speziell ihm auferlegte Pflichten sowie auf die Nichtausführung bzw. nicht ordnungsgemäße Ausführung rechtmäßiger Anweisungen des Verantwortlichen begrenzt. Die jeweilige Verletzungshandlung kann sich nicht nur unmittelbar auf die Bestimmungen der DSGVO, sondern auch auf delegierte Rechtsakte, Durchführungsakte sowie Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Präzisierung der Verordnung beziehen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 22; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 3). Der Schaden muss darüber hinaus kausal auf der Verletzungshandlung beruhen, vgl. auch das Wort „wegen“ in Art. 82 DSGVO (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
2. Verschulden
Der Verantwortliche bzw. der Auftragsverarbeiter wird gem. Abs. 3 von seiner Haftung befreit, wenn er nachweist, dass er für den Umstand, aufgrund dessen der Schaden eingetreten ist, in keiner Weise verantwortlich ist (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 47). Der Entlastungsbeweis kann sich hierbei sowohl auf die objektive Pflichtverletzung als auch auf das Verschulden beziehen. Im Hinblick auf die objektive Pflichtverletzung kann der Verantwortliche bzw. der Auftragsverarbeiter darlegen und beweisen, dass er sich im Rahmen der Datenverarbeitung an den für ihn jeweils geltenden Pflichtenkatalog gehalten hat, wobei in Fällen rechtswidriger Eingriffe Dritter insbesondere die Einhaltung des Stands der Technik (vgl. Art. 5 Abs. 1e DSGVO) von Relevanz ist (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 47, 48).
3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen
Für die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen trägt zwar grds. der Betroffene nach den allgemeinen Regeln die Beweislast, jedoch werden auch hierbei diverse Beweiserleichterungen angenommen. Diese rechtfertigen sich unter anderem daraus, dass der Betroffene mangels Einblicks in die Datenverarbeitungsvorgänge in der Regel nicht in der Lage ist, den entsprechenden Beweis zu führen (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 8). Hieran ändert auch das Auskunftsrecht gem. Art. 15 DSGVO nichts, da aufgrund dessen lediglich punktuelle Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, d.h. ein umfassender, für die Beweisführung ausreichender Informationsstand nicht gewährleistet wird. In Anbetracht des Umstandes, dass der Verantwortliche gem. Art. 5 Abs. 2 DSGVO die Einhaltung der Datenschutzpflichten dokumentieren muss, wird im Hinblick auf die Verletzungshandlung eine Beweislastumkehr angenommen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 46). Im Rahmen des Kausalitätsnachweises genügt indes die bloße Möglichkeit eines kausalen Verlaufs (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 47). Dies hat zur Folge, dass der Betroffene lediglich darlegen und beweisen muss, dass der Verantwortliche an der Verarbeitung beteiligt war, dass ein Schaden entstanden ist und dass die konkrete Datenverarbeitung geeignet war, den Schaden herbeizuführen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 48; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2569).
Die weiteren Aspekte der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wie bspw. Mitverschulden und Verjährung richten sich nach dem Recht der Mitgliedstaaten (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2569; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 8).
V. Haftungsausfüllender Tatbestand
Der Anspruch gem. Art. 82 DSGVO setzt im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes einen kausalen Schaden voraus. Die Verordnung enthält zwar keine nähere Definition des Schadensbegriffs, jedoch lässt sich dem Wortlaut sowie dem Erwägungsgrund 146 entnehmen, dass dieser im Lichte der Rspr. des EuGH weit auszulegen ist und dementsprechend sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfasst (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 7). Als materieller Schaden sind sämtliche vermögensbezogene Nachteile des Betroffenen einschließlich Folgeschäden wie Kosten der Rechtsverfolgung ersatzfähig. Bei einer unbefugten Datennutzung ist darauf abzustellen, ob im Hinblick auf die konkret betreffenden Daten eine Kommerzialisierungsmöglichkeit besteht (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567).
Ersatzfähig sind darüber hinaus auch immaterielle Schäden, die i.d.R. aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts resultieren (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567). Anders als bei § 8 Abs. 2 BDSG ist der Anspruch nicht auf schwere Verletzungen beschränkt (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 7). Eine solche, auch dem verfassungsrechtlichen Entschädigungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG immanente Beschränkung auf schwerwiegende Verstöße, die auf andere Weise nicht wirksam abgeholfen werden können, dürfte nicht mit dem Effektivitätsgebot der EuGH-Rechtsprechung vereinbar sein (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 18; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 4; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
VI. Prozessuale Durchsetzung
Mehrere Schädiger haften gem. Art. 82 Abs. 4 DSGVO als Gesamtschuldner, unabhängig davon, ob sie im konkreten Fall als Auftragsverarbeiter oder als Verantwortlicher anzusehen sind. Zwar führt dies dazu, dass die Einschränkung der Haftung des Auftragsverabeiters gem. Art. 82 Abs. 2 S. 2 DSGVO zumindest im Verhältnis zum Verletzten leer läuft, jedoch wurde dies vom europäischen Gesetzgeber im Interesse eines wirksamen Schadensersatzes bewusst in Kauf genommen. Auch steht es dem Auftragsverarbeiter frei, den Verantwortlichen gem. Abs. 4 in Regress zu nehmen (Erwägungsgrund 146).
Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach Art. 79 Abs. 2 DSGVO. Demnach kann der Anspruch sowohl vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem der Anspruchsgegner seine Niederlassung hat, als auch vor den Gerichten des Mitgliedstaates des (gewöhnlichen) Aufenthaltsortes des Verletzten geltend gemacht werden (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 8; Erwägungsgrund 145). Die sachliche und örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem nationalem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates, im deutschen Recht nach §§ 23,71 GVG bzw. nach §§ 12 ZPO ff.
Da es sich bei Art. 82 DSGVO um einen deliktischen Anspruch handelt, ist für das anwendbare materielle Recht die Rom II-Verordnung maßgebend. Hierbei kommt insbesondere der Ort des Schadenseintritts gem. Abs.1, d.h. i.d.R. der Mitgliedstaat, in dem sich der Verletzte gewöhnlich aufhält, in Betracht (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2569).
VII. Fazit und Ausblick
Wie oben aufgezeigt, normiert Art. 82 DSGVO einen weiten, über die im deutschen Recht bislang vorhandenen deliktischen Ansprüchen hinausgehenden Anspruch. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die grundsätzliche Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden ohne die aus dem deutschen Recht bekannten Einschränkungen. Welche praktischen Auswirkungen dies zur Folge haben wird, bleibt abzuwarten. Bei der Bewertung ist jedoch stets zu berücksichtigen, dass mit Umsetzung der Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher künftig auch die kollektive Geltendmachung des Anspruchs gem. Art. 82 DSGVO möglich sein wird.

28.06.2018/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-06-28 10:00:142018-06-28 10:00:14Datenschutz: Der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Gebrauchtwagenkäufer darf Transportkostenvorschuss nach § 439 Abs. 2 BGB vor Nacherfüllung verlangen

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Ohne vertiefte Grundkenntnisse im Kaufrecht geht im Examen nichts: Wer die neueste BGH-Rechtsprechung nicht kennt, wird i.d.R. die amtliche Lösung nicht treffen und läuft Gefahr, falsche Schwerpunkte zu setzen. Da im nun vom BGH entschiedenen Fall (Urt. v. 19.7.2017 – VIII ZR 278/16) der Gebrauchtwagenkauf und die Vorschrift des § 439 Abs. 2 BGB inmitten standen, ist diese Konstellation ein heißer Kandidat für das Erste und Zweite Staatsexamen.
I. Der Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen, Herv. d. Verf.)

Die in Schleswig-Holstein ansässige Klägerin kaufte von der Beklagten, die in Berlin einen Fahrzeughandel betreibt, zum Preis von 2.700 Euro einen gebrauchten Pkw Smart, den die Beklagte in einem Internetportal angeboten hatte. Kurze Zeit nach Übergabe des Fahrzeugs wandte sich die Klägerin wegen eines nach ihrer Behauptung aufgetretenen Motordefekts an die Beklagte, um mit ihr die weitere Vorgehensweise zur Schadensbehebung im Rahmen der Gewährleistung zu klären. Nachdem eine Reaktion der Beklagten ausgeblieben war, forderte die Klägerin sie unter Fristsetzung zur Mangelbeseitigung auf. Hierauf bot die Beklagte telefonisch eine Nachbesserung an ihrem Sitz in Berlin an. Die Klägerin verlangte daraufhin unter Aufrechterhaltung der gesetzten Frist die Überweisung eines Transportkostenvorschusses von 280 Euro zwecks Transports des nach ihrer Behauptung nicht fahrbereiten Pkw nach Berlin beziehungsweise die Abholung des Fahrzeugs durch die Beklagte auf deren Kosten. Nachdem diese sich nicht gemeldet hatte, setzte die Klägerin ihr eine Nachfrist zur Mängelbeseitigung und ließ, als die Beklagte hierauf wiederum nicht reagierte, die Reparatur des Pkw in einer Werkstatt bei Kassel durchführen. Für ihr entstandene Reparatur-, Transport- und Reisekosten verlangt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 2.332,32 Euro.

II. Die Lösung
Inmitten stand nun der Anspruch nicht unmittelbar auf den zunächst begehrten Transportkostenvorschuss, sondern diesem nachgelagert ein Schadensersatzanspruch vorwiegend wegen der Reparaturkosten.
Ein solcher Anspruch könnte sich aus §§433, 434, 437 Nr. 3 BGB i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB ergeben  (sog. Schadensersatz statt der Leistung, in concreto: der Nacherfüllung).
Nach Feststellung des Abschlusses eines Kaufvertrages und eines Mangels ist zu klären, ob die Klägerin eine wirksame Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, die abgelaufen ist.

Das Vorliegen eines Mangels könnte offen bleiben, wenn man ohnehin eine wirksame Fristsetzung ablehnen würde. So ging das LG Berlin in der Vorinstanz vor. Eine wohl nur für das Zweite Staatsexamen in einer Urteilsklausur zu empfehlendes Vorgehen.

Die Klägerin müsste also eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben, d.h. die Leistung durch die Beklagte so verlangt haben, wie diese sie zu erbringen hat. Maßgeblich hierfür ist, was das Nacherfüllungsverlangen voraussetzt. Zunächst ist festzuhalten, dass die Nacherfüllung in Form der Mängelbeseitigung als Leistung des Schuldners, also des Verkäufers, nach § 269 Abs. 1 BGB in Ermangelung einer anderen vertraglichen Regelung an dessen Wohnsitz zu erbringen ist. Der Käufer muss daher grundsätzlich die Bereitschaft haben, dem Verkäufer die Kaufsache zur Überprüfung der erhobenen Mängelrügen für eine entsprechende Untersuchung zur Verfügung zu stellen (in diese Richtung BGH, Urteil vom 01.07.2015, VIII ZR 226/14, juris.). Andernfalls kann der Verkäufer die Nacherfüllung nicht vornehmen, so dass auch keine wirksame Frist zur Vornahme dieser Nacherfüllung gegeben ist. Hierbei bleibt es auch nach dem vorliegenden Urteil des BGH:

Dementsprechend sei der Verkäufer grundsätzlich nicht verpflichtet, sich auf ein Nacherfüllungsverlangen des Käufers einzulassen, bevor dieser ihm die Gelegenheit zu einer solchen Untersuchung der Kaufsache gegeben habe. Der Erfüllungsort der Nacherfüllung befinde sich, solange die Parteien nicht Abweichendes vereinbaren oder besondere Umstände vorlägen, am Wohn- oder Geschäftssitz des Schuldners (§ 269 Abs. 1 BGB), vorliegend mithin am Geschäftssitz der Beklagten in Berlin.
Anm. d. Verf.: Je nach Fallkonstellation kann jedoch ein Blick auf eine anderweitige Vertragsgestaltung sinnvoll sein, etwa wenn gerade für den Fall der Nacherfüllung Regelungen im Vertrag getroffen worden sind, die dann § 269 Abs. 1 BGB als Auffangtatbestand vorgehen können.

An diesem Punkt ist nun § 439 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, der letztlich die Rechtsfolge des § 269 Abs. 1 BGB im Kaufrecht modifiziert: Zwar muss der Käufer die mangelhafte Sache nach § 269 Abs. 1 BGB weiterhin zum Wohnsitz des Schuldners zur Nacherfüllung bringen, doch hat der Verkäufer hierfür die Kosten nach § 439 Abs. 2 BGB zu tragen. § 439 Abs. 2 ist eine Kostentragungsregelung mit Anspruchscharakter (!), welche die Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung gewährleisten soll. Dem Wortlaut zufolge („hat zu tragen“) könnte man zunächst von einer nachgelagerten Anspruchsgrundlage sprechen, die erst Rechtsfolgen zeitigt, wenn tatsächlich nacherfüllt werden muss. Der BGH legt § 439 Abs. 2 BGB jedoch aus Gründen des Käuferschutzes weit aus – und das ist die entscheidende Stelle dieses Falles:

Der Käufer könne nach dem Schutzzweck des Unentgeltlichkeitsgebots vielmehr grundsätzlich schon vorab einen (abrechenbaren) Vorschuss zur Abdeckung dieser Kosten beanspruchen. Denn die dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Kaufsache unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, solche Ansprüche geltend zu machen. Ein solcher Hinderungsgrund könne sich auch daraus ergeben, dass der Verbraucher mit entstehenden Transportkosten in Vorlage treten müsse.

Mit anderen Worten: Wenn der Käufer keinen Anspruch auf einen Vorschuss hinsichtlich der Transportkosten hätte, könnte dies ihn von der Geltendmachung seiner Ansprüche aus §§ 434, 437 BGB abhalten. Noch einmal: § 439 Abs. 2 BGB verändert nicht den Erfüllungsort, sondern regelt allein die (auch vorläufige!) Kostentragung der Verbringung an diesen Ort.
Somit hat die Klägerin durch ihre Bereitschaft, das Fahrzeug allein nach Zahlung eines dafür erforderlichen Transportkostenvorschusses nach Berlin transportieren zu lassen, ein den Anforderungen des § 439 Abs. 1 BGB genügendes Nacherfüllungsverlangen geltend gemacht. Eine wirksame Fristsetzung liegt mithin vor; die Frist ist auch fruchtlos abgelaufen. Da die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen (insbes. das Vertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB) und auch ein kausaler Schaden eingetreten ist, hat die Klägerin mithin den geltend gemachten Anspruch aus §§ 433 Abs. 1, 434, 437 Nr. 3 BGB i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB.
III. Was muss man sich merken?

  • Die Anspruchsgrundlage sauber herausarbeiten – geht es unmittelbar um die Transportkosten oder einen weitergehenden Schadensersatzanspruch? Nur im ersten Fall direkt auf § 439 Abs. 2 BGB springen.
  • Die Frage der wirksamen Fristsetzung aufwerfen und inzident den Erfüllungsort der Nacherfüllung bestimmen – gibt es eine vertragliche Regelung oder bleibt es bei § 269 Abs. 1 BGB (= am Wohnsitz des Schuldners)?
  • § 439 Abs. 2 BGB auslegen und zum Ergebnis kommen, dass dieser eine Kosten- und keine Erfüllungsortregelung ist.
  • § 439 Abs. 2 BGB wegen des Unentgeltlichkeitsgebots aus Käuferschutzgründen als Vorschussregelung auslegen.

20.07.2017/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-07-20 11:49:542017-07-20 11:49:54BGH: Gebrauchtwagenkäufer darf Transportkostenvorschuss nach § 439 Abs. 2 BGB vor Nacherfüllung verlangen
Dr. Sabine Vianden

Grundlagenbeitrag Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Rechtsgebiete, Sachenrecht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) gehört ganz eindeutig zum Standardwissen jedes Examenskandidaten. Allerdings kommt dieses Thema in der Vorlesung Sachenrecht häufig aufgrund des knappen Zeitplans zu kurz, sodass es regelmäßig auch zu den Themen gehört, die erst in der Examensvorbereitung das erste Mal richtig gelernt werden. Dabei handelt es sich – wie bei so vielen Themen des Sachenrechts – um eine äußerst dankbare Lernmaterie, denn „neuere“ Rechtsprechung ist rar gesät. So sind im Examen meistens Standardkonstellationen gefragt, auch wenn diese manchmal im unbekannten Gewand auftreten. Es lohnt sich also, sich die Grundprinzipien des EBV als abrufbares Wissen einzuprägen.
I. Wann ist das EBV anwendbar?
Am wichtigsten ist es natürlich zu wissen, wann die §§ 987 ff. BGB überhaupt anwendbar sind. Diese Ansprüche sind dann relevant, wenn der Eigentümer einer Sache von einer anderen Person, dem Besitzer der Sache, Schadensersatz oder Nutzungsherausgabe verlangt, weil diese Person irgendetwas mit der Sache angestellt hat. Der Eigentümer braucht solche Ansprüche, weil ansonsten zwischen ihm und der anderen Person kein Schuldverhältnis besteht. Gleiches gilt auch für den Besitzer, wenn dieser Verwendungen auf die Sache getätigt hat. Aus dieser Interessenlage ergeben sich auch die Anspruchsvoraussetzungen:
Es muss,

  1. Eine Vindikationslage bestehen, d.h. der Eigentümer müsste gegen den Besitzer einen Anspruch aus § 985 BGB haben, wobei der Besitzer kein Recht zum Besitz hat (kein Schuldverhältnis!)
  2. Diese Vindikationslage muss im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses (Beschädigung der Sache, Nutzung, Verwendung) bestanden haben.

Schon in diesem Bereich gibt es zwei umstrittene Konstellationen, in denen eigentlich keine Vindikationslage vorliegt, aber dennoch teilweise die Anwendbarkeit der §§ 987 ff. BGB bejaht wird.

  1. Das ist zum einen der Nicht-mehr-berechtigte Besitzer. Wie die Bezeichnung schon sagt, hatte dieser Besitzer ursprünglich ein Besitzrecht und zwar auch im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, zum Zeitpunkt der Anspruchsstellung jedoch nicht mehr. Ernsthaft in Betracht gezogen wird diese Konstellation ohnehin nur dann, wenn es sich um ein Drei-Personen-Verhältnis handelt, klassischer Weise dann, wenn der Besitzer eine geliehene oder unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Sache reparieren lässt und das Besitzrecht (auch das abgeleitete des Werkunternehmers) dann nachträglich z.B. durch Kündigung entfällt. Dafür spricht, dass es unbillig erscheint jemanden schlechter zu behandeln, der nie ein Recht zum Besitz hatte, als jemanden der dieses nur nachträglich verloren hat. Dem kann man jedoch entgegenhalten, dass sich die Abwicklung regelmäßig nach dem beendeten Schuldverhältnis richtet.
  2. Auch diskutiert wird die Figur des Nicht-so-berechtigten Besitzers. Dieser hat zwar ein Besitzrecht, überschreitet dieses aber, indem er etwas tut, was nicht Inhalt des Besitzrechts ist, z.B. die Sache beschädigen. Hier sind aber nach ganz h.M. die vertraglichen und gesetzlichen Schadensersatzansprüche vorrangig und ausreichend.

 
II. Wie stelle ich die Anspruchsgrundlage zusammen?
So weit so gut. Schwierigkeiten bereitet vielen Examenskandidaten, die eine Vindikationslage entdeckt haben, welche Normen nun die richtige Anspruchsgrundlage bilden. Erster Ansatzpunkt ist dabei wie so oft die Frage: Wer will was von wem? Das woraus ergibt sich im Anschluss. Schadensersatz und Nutzungsersatz sind Ansprüche des Eigentümers, der Besitzer kann aus EBV nur einen Anspruch auf Verwendungsersatz haben. Der zweite Schritt, ist die Frage, ob der Besitzer bei Besitzerwerb gut- oder bösgläubig ist. Hinter den §§ 987 ff. BGB steht nämlich der Zweck, den gutgläubigen, also redlichen Besitzer zu privilegieren! Der Begriff der Gutgläubigkeit ist mit dem aus § 932 Abs. 2 BGB identisch, wird aber für das EBV durch § 990 Abs. 1 S. 2 auf die nachträgliche positive Kenntnis erweitert. Zu beachten ist dabei auch, dass der Besitzer sich die Bösgläubigkeit seines Besitzdieners zurechnen lassen muss, wobei allerdings umstritten ist, ob diese Zurechnung nach § 166 Abs. 1 BGB analog oder nach § 831 BGB erfolgt.
III. Ansprüche des Eigentümers
1. Schadensersatz, § 989 BGB
a. Gegen den gutgläubigen, unverklagten Besitzer
Ein redlicher unverklagter Besitzer muss für die Beschädigung der Sache oder deren Verlust keinen Schadensersatz leisten. Das macht § 993 Abs. 1 a.E. BGB deutlich, der auch andere Schadensersatzansprüche z.B. aus § 823 Abs. 1 BGB sperrt. Anders ist das nur beim sog. Fremdbesitzerexzess.
Im Drei-Personen-Verhältnis ist dieser sogar in § 991 Abs. 2 BGB geregelt. Gemeint ist die Konstellation, dass ein Besitzmittler die Sache beschädigt. Dem mittelbaren Besitzer wäre er bereits aufgrund des dem Besitzmittlungsverhältnis zugrundeliegenden Schuldverhältnisses schadensersatzpflichtig. Deshalb liegt es nahe, dass § 991 Abs. 2 BGB bestimmt, das der Besitzmittler in gleicher Weise auch gegenüber dem Eigentümer haften muss, denn dass er jemandem würde haften müssen, musste ihm klar sein. Der Eigentümer hat dann also einen Anspruch aus §§ 991 Abs. 2, 989 BGB.
Für das Zwei-Personen-Verhältnis ist dies zwar gesetzlich nicht geregelt, jedoch kann die Wertung aus § 991 Abs. 2 BGB übertragen werden. Häufiger Fall ist der, das beide Parteien von einem in Wahrheit nicht bestehenden Besitzrecht ausgehen. Würde ein Besitzrecht bestehen, könnte der Eigentümer daraus Schadensersatz verlangen – ohne soll er nicht schlechter stehen. Der Unterschied zum Nicht-so-Berechtigten Besitzer ist der, dass gerade kein Schuldverhältnis besteht. Durch die Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 a.E BGB hätte der Eigentümer aber nicht einmal den Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Deshalb lockert hier die h.M. über die Wertung des § 991 Abs. 2 BGB die Sperrwirkung und gibt dem Eigentümer einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB (soweit dessen Voraussetzungen vorliegen).
b. Gegen den gutgläubigen, aber verklagten Besitzer
Der redliche aber verklagte Besitzer haftet für Schäden die ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit entstehen gem. § 989 BGB. Das ist gerecht, denn spätestens dann musste er damit rechnen, die Sache eigentlich herausgeben zu müssen. Wie bei Schadensersatz üblich, ist auch ein Verschulden des Besitzers erforderlich.
c. Gegen den bösgläubigen Besitzer
Anspruchsgrundlage gegen den bösgläubigen Besitzer ist §§ 989, 990 Abs. 1 BGB. Dieser haftet verschärft, also auch für zufällige Beschädigungen (§ 287 S. 2 BGB), aus §§ 989, 990 Abs. 2 BGB, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschädigung bereits im Verzug befunden hat. Hier sind also zusätzlich die Voraussetzungen von § 286 BGB zu prüfen.
Hat der Besitzer den Besitzt durch Delikt, also verbotene Eigenmacht oder eine Straftat erlangt, so gilt ausnahmsweise nicht die Sperrwirkung aus § 993 Abs. 1 BGB, vgl. § 992 BGB. Dieser Besitzer haftet deshalb auch aus §§ 823 ff. BGB.
2. Nutzungsersatzansprüche
a. Gegen den gutgläubigen, unverklagten Besitzer, § 988 BGB
Ein redlicher Besitzer muss nur dann für Nutzungen, die er vor Eintritt der Rechtshängigkeit gezogen hat, Ersatz leisten, wenn er die Sache ursprünglich unentgeltlich erlangt hat, § 988 BGB. An dieser Stelle kommt ähnlich wie bei § 822 BGB zum Ausdruck, dass das BGB den unentgeltlichen Besitz für weniger schutzwürdig hält. Ein Problem, welches man sich an dieser Stelle noch einmal anschauen könnte wäre die Frage, ob § 988 BGB analog auch auf den rechtsgrundlosen Erwerb anzuwenden ist.
Weiterhin hat der redliche unverklagte Besitzer auch sog. Übermaßfrüchte herauszugeben, § 993 BGB.
b. Gegen den gutgläubigen, aber verklagten Besitzer, § 987 BGB
Nach Eintritt der Rechtshängigkeit hat der Besitzer sämtliche Nutzungen, auch  die schuldhaft nicht Gezogenen (§ 987 Abs. 2 BGB), zu ersetzen.
c. Gegen den bösgläubigen Besitzer
Der bösgläubige Besitzer muss die entsprechenden Nutzungen nach §§ 987 (Abs. 1 oder 2), 990 BGB ersetzen.
Auch hier gilt die Haftungsverschärfung des § 990 Abs. 2 BGB..
IV. Ansprüche des Besitzers auf Verwendungsersatz
Im Gegenzug kann der Besitzer von dem Eigentümer Ersatz für die von ihm getätigten Verwendungen (vgl. zum Verwendungsbegriff hier) verlangen. Hier ist zunächst zwischen notwendigen und nützlichen Verwendungen und im Anschluss wieder nach der Gut- bzw. Bösgläubigkeit des Besitzers zu differenzieren.
1. Notwendige Verwendungen, § 994 BGB
Notwendige Verwendungen liegen vor, wenn sie objektiv zur Erhaltung, ordnungsgemäßen Bewirtschaftung oder Wiederherstellung der Sache erforderlich sind.
a. Gutgläubiger und unverklagter Besitzer, § 994 Abs. 1 S. 1 BGB
Ein gutgläubiger und unverklagter Besitzer kann grundsätzlich alle notwendigen Aufwendungen verlangen, nur die gewöhnlichen Erhaltungskosten werden davon nicht erfasst, vgl § 994 Abs. 1 S. 2 BGB (z.B. das Futter für ein Tier, das kann aber u.U. im Rahmen von § 988 BGB ersatzfähig sein!).
b. Bösgläubiger oder verklagter Besitzer, § 994 Abs. 2 BGB
Für den bösgläubigen oder verklagten Besitzer verweist § 994 Abs. 2 BGB auf die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA). Es handelt sich um eine teilweise Rechtsgrundverweisung auf §§ 683, 684 BGB, wobei es auf den Fremdgeschäftsführungswillen nicht ankommt. Über § 684 BGB wird wiederum weiter ins Bereicherungsrecht verwiesen.
2. Nützliche Verwendungen, § 996 BGB
Nützliche Verwendungen liegen vor, wenn sie den Wert der Sache bis zur Rückgabe an den Eigentümer erhöhen. Es handelt sich um sog. Luxusverwendungen, daher ist es auch einleuchtend, dass der Besitzer für sie nur dann Ersatz verlangen kann, wenn er zum Zeitpunkt ihrer Tätigung noch gutgläubig und unverklagt war.
V. Fazit
Das EBV schafft für seinen Anwendungsbereich ein grundsätzlich abschließendes Regelungsregime. Es in einer Klausur zu übersehen kann deshalb dazu führen, dass man entweder überhaupt nicht weiß, wie man den Fall lösen soll oder aber völlig an der Lösungsskizze vorbeischreibt. In diesem Beitrag konnten sicherlich nicht alle Probleme, die mit dem EBV zusammenhängen ausführlich diskutiert werden, er soll aber einen Überblick über das System der §§ 987 ff. BGB geben und ggf. aufzeigen, welche Probleme unbedingt zu wiederholen sind

18.04.2017/7 Kommentare/von Dr. Sabine Vianden
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sabine Vianden https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sabine Vianden2017-04-18 10:00:552017-04-18 10:00:55Grundlagenbeitrag Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
Dr. Sabine Vianden

Nachtrag und Details zum Kronkorken-Fall des LG Arnsberg

BGB AT, Deliktsrecht, Gesellschaftsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Sachenrecht, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Letzte Woche haben wir bereits über die Entscheidung des LG Arnsberg (Urteil v. 2.3.2017 – Az. 1 O 151/16) zu dem kuriosen Fall des Kronkorken-Losgewinns und der Frage, ob sich Ansprüche aus der Begründung einer Bierkasten-GbR ergeben. Inzwischen ist das Urteil unter folgendem Link abrufbar. Wie bereits bekannt war, hat das Gericht der Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Auszahlung eines anteiligen Gewinnanteils in Höhe von 4.268,00 EUR zugesprochen. Der Fall hatte deshalb Aufsehen erregt, weil die Beklagte ihr Begehrung auf die Gründung einer GbR zum Zwecke des „gemeinsamen Umtrunks“ stützte.
I. Keine GbR
Das LG verneinte jedoch einen Anspruch aus §§ 734, 730, 731 i.V.m. 705 ff. BGB, weil es am Abschluss eines entprechenden Gesellschaftsvertrages im Sinne von § 705 BGB mangele und die Klägerin insofern nicht ausreichend Anhaltspunkte vorgetragen habe. Bei Lotto- und sonstigen Wettspielgemeinschaften könne zwar regelmäßig eine Innengesellschaft des bürgerlichen Rechts bejaht werden, dies beruhe aber auch darauf, dass in diesen Fällen der Zweck gerade die gemeinschaftliche Teilhabe an dem Gewinnspiel ist. Auf den Fall des gemeinsamen Umtrunks könnten diese Annahmen jedoch nicht übertragen, weil die (ehemaligen) Freunde zu keinem Zeitpunkt eine Vereinbarung dahingehend geschlossen haben, an einem gemeinsamen Gewinnspiel teilnehmen zu wollen. Dazu führt das LG weiter aus:

„Ferner trägt auch der Umstand, dass die beteiligten Personen gemeinsam ein Wochenende mit einem gemeinsamen Umtrunk verbringen wollten, keinen Vertragsschluss im Sinne von § 705 BGB (…). Notwendig ist ein Wille der Beteiligten, sich rechtlich zu binden. Der Vortrag der Klägerin lässt nicht erkennen, dass die Parteien mit Rechtsbindungswillen einen gemeinsamen Zweck gefördert hätten. Hierbei verkennt die Kammer auch nicht, dass im Einzelfall die gemeinsame Verabredung einer Ferienreise, die aus einer gemeinsamen Kasse finanziert wird, einen Gesellschaftsvertrag im Sinne von § 705 BGB rechtfertigen kann (vgl. OLG Saarbrücken NJW 1985 811). So liegt es hier aber nicht.  Denn die Beteiligten haben gerade keine gemeinsame Kasse für das Wochenende gebildet. Bei der vereinbarten Kostenteilung handelte es sich vielmehr um einen einmaligen Abrechnungsvorgang, der nach den Umständen lediglich dazu diente, die Modalitäten des Wochenendes zu regeln. Eine Gesellschaft läge unter diesen Umständen nur vor, wenn die Beteiligten über den bloßen Zeitvertreib am Wochenende hinaus einen weiteren, gemeinsam verfolgten Zweck verwirklichen wollten. Dafür ist indes nichts ersichtlich.“

Nach Ansicht des LG genügt also die bloße Kostenteilung nicht, um hier eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts annehmen zu können. Vielmehr hätte ein über das gemeinsame Verbringen des Wochenendes hinausgehender Zweck vereinbart werden müssen. Allerdings lässt die Heranziehung des Urteils des OLG Saarbrücken durch das LG zur Abgrenzung auch erkennen, dass es jeweils auf die konkrete Fallgestaltung, also den Einzelfall ankommt.
II. Aber Bruchteilsgemeinschaft
Stattdessen ist nach dem LG das Recht der Gemeinschaft im Sinne der §§ 741 ff. BGB anwendbar, es handelt sich bei Mitgliedern des Ausflugs folglich um eine Bruchteilsgemeinschaft. Bei der Bruchteilsgemeinschaft bleibt der gemeinschaftliche Gegenstand als solcher ungeteilt, jedoch ist die Rechtszuständigkeit insofern unter den Mitgliedern aufgeteilt, dass jedem Teilnehmer am ganzen, ungeteilten Gegenstand ein durch die Mitberechtigung der anderen beschränktes Recht zukommt, sodass er seine Rechte nur insoweit wahrnehmen, als die Belange der Mitberechtigten nicht beeinträchtigt werden (vgl. BeckOK/Gehrlein, 41. Edition 2016, § 741 BGB Rn. 3)

„Im vorliegenden Fall ist zumindest stillschweigend eine Miteigentumsgemeinschaft aller Beteiligten an dem streitgegenständlichen Kronkorken begründet worden, da die Bierkästen samt Inhalt – was zwischen den Parteien auch unstreitig ist – für die Gemeinschaft erworben wurden und allen Beteiligten im Rahmen eines gemeinsamen Umtrunks zu Gute kommen sollten. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang die Frage, ob bei dem Verkauf von Getränken in Pfandflaschen auch das Eigentum an der Flasche auf den Erwerber übertragen wird oder dieses beim Hersteller verbleibt (vgl. hierzu auch BGH Urteil v. 09.07.2007 – II ZR 233/05 m.w.N. – juris). Denn nach Trennung von Flasche und Korken – wie vorliegend der Fall – ist jedenfalls das (Mit)Eigentum an dem Korken auf die Klägerin übergegangen, da der Hersteller an der Rückführung des Korkens offensichtlich kein Interesse mehr hat.“

An dem Kronkorken wurde also Miteigentum begründet.
III. Keine Dereliktion
Nach unserem Beitrag letzte Woche, hat ein Leser in einem Kommentar die Frage aufgeworfen, ob nicht in dem Wegwerfen des Kronkorkens eine Dereliktion zu sehen ist. Auch auf diese Frage ist das LG eingegangen:

„Das Eigentum an dem streitgegenständlichen Kronkorken wurde auch nicht durch Werfen oder Legen des Korkens auf den Tisch im Sinne von § 959 BGB aufgegeben. Eine Eigentumsaufgabe scheitert bereits daran, dass der Beteiligte Herr H nicht einseitig einen Verzicht für die komplette Bruchteilsgemeinschaft erklären konnte, da hierfür ein einstimmiger Beschluss oder eine Vereinbarung aller Gemeinschaftsteilhaber erforderlich gewesen wäre (vgl. Palandt 16. Aufl. 2016, § 959 Rdn. 1; BGH, Beschluss v. 10.05.2007 – V ZB 6/07 –juris). Eine solche übereinstimmende Willenserklärung aller Beteiligten ist weder vorgetragen noch erkennbar. Darüber hinaus fehlt es auch an einer Besitzaufgabe, da der streitgegenständliche Korken sich noch in greifbarer Nähe für alle Beteiligten befand. Die Miteigentumsgemeinschaft am Kronkorken ist auch nicht durch Realteilung gemäß § 752 BGB beendet worden, da eine Übertragung des Eigentums am Kronkorken auf einen der Beteiligten –insbesondere den Beklagten- gerade nicht ersichtlich ist.“

Die Dereliktion scheitert folglich schon daran, dass eine solche nur durch Mitwirkung aller Mitglieder der Bruchteilsgemeinschaft erfolgen kann. Hinzu kam, dass aufgrund der weiterhin bestehenden räumlichen Nähe keine ausreichende Besitzaufgabe stattgefunden hat.
IV. Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
1.Schuldverhältnis und Pflichtverletzung
Durch die Bruchteilsgemeinschaft besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Mitgliedern, woraus sich wiederum gegenseitige Pflichten, insbesondere § 745 BGB, ergeben. Wird gegen diese Pflichten verstoßen, können sowohl vertragliche Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB, als auch deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB entstehen. Eine solche Pflichtverletzung liegt hier darin, dass der Beklagte den im Miteigentum stehenden Gegenstand eigenmächtig für sich alleine genutzt hat.

„Der Beklagte hat den Kronkorken auch unter Verletzung des Gebrauchrechtes der anderen Teilhaber genutzt und damit gegen § 745 Abs.2 BGB verstoßen. Eine Vereinbarung oder ein Mehrheitsbeschluss zur Nutzung des Gewinnkorkens ist nicht vorgetragen worden. Indem der Beklagte den Kronkorken durch Verwendung des aufgedruckten Gewinncodes als Schlüssel zum Gewinn genutzt hat,  hat er von dem Kronkorken Gebrauch gemacht. Dies geschah unter Verletzung des Rechts der anderen Teilhaber zum Mitgebrauch, weil der Beklagte den Gewinn für sich allein vereinnahmt und die anderen Teilhaber von dieser Möglichkeit ausgeschlossen hat. Da der Beklagte nur Mitberechtigter an dem Kronkorken war, hätte er den Gewinn allenfalls für die Gemeinschaft beanspruchen können, so dass eine alleinige Nutzung des Korkens einen Verstoß gegen § 745 Abs. 2 BGB darstellt (vgl. hierzu mit ähnlicher Begründung BGH Urteil v. 27.09.2016 a.a.O.)“

2.Umfang des Schadensersatzes
Schließlich war letzte Woche zunächst noch offen, warum sich der anteilige Schadensersatzanspruch der Klägerin nur nach dem Marktwert des Gewinns und nicht dem Neupreis des Wagens bestimmt. Hierzu führt das LG aus:

„Nicht zugrundezulegen war der Listenpreis in Höhe von 28.680,00 EUR, da es sich hierbei lediglich um eine unverbindliche Preisempfehlung des Automobilherstellers handelt. Nach den Gepflogenheiten in der Automobilbranche werden Kraftfahrzeuge im allgemeinen Geschäftsverkehr Endverbrauchern regelmäßig zu einem Preis angeboten, der unter dem Listenpreis des Herstellers liegt. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des tatsächlichen Angebotspreises hat die Kammer daher als Endpreis 80 % des Listenpreises angesetzt. Dies ergibt einen Betrag in Höhe von 21.344,00 EUR. Hiervon steht der Klägerin 1/5 und mithin ein Betrag in Höhe von 4.268,00 EUR zu.“

Das LG orientiert sich also bei der Schadensberechnung an den tatsächlichen Begebenheiten des Kraftfahrzeugmarktes, wonach Neuwagen häufig (z.B. durch Tageszulassungen) mit Rabatten an die Käufer weitergegeben werden.
V. Fazit
Der Fall war in NRW bereits Gegenstand einer mündlichen Prüfung. Es spricht viel dafür, dass dies in nächster Zeit nicht das letzte Mal sein wird. Aber auch für die etwas fernere Zukunft lohnt sich das genauere Studium dieses Falles, denn dann könnte er auch in einer Klausur eine Rolle spielen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich zudem, sich die häufig stiefmütterlich behandelten §§ 741 ff. BGB noch einmal vor Augen zu führen.

09.03.2017/0 Kommentare/von Dr. Sabine Vianden
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sabine Vianden https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sabine Vianden2017-03-09 13:00:522017-03-09 13:00:52Nachtrag und Details zum Kronkorken-Fall des LG Arnsberg
Tom Stiebert

OLG Oldenburg: Rollenspiele sind auch nur Sport – Haftung für Verletzungen

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Das OLG Oldenburg hat sich in einem aktuellen Urteil zur Frage der Haftung wegen einer Verletzung bei einem Live Action Role Playing Game (also einem Live-Rollenspiel geäußert). (OLG Oldenburg v. 28.4.2016 – 3 U 20/16. Das Gericht bildete den Haftungsmaßstab dabei parallel zur Verletzung bei Fußballspielen. Das Urteil ist sowohl juristisch interessant als auch tatsächlich erheiternd.
I. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Der Kläger hatte dem Beklagten vorgeworfen, ihn bei einer mittelalterlichen Kampfszene im Rahmen eines Live-Rollenspiels auf dem Ferienhof Groneik in Gehrde am 20.4.2013 mit einer Schaumstoffkeule so schwer am Auge verletzt zu haben, dass ein Dauerschaden eingetreten sei und die Sehfähigkeit des Klägers aller Voraussicht nach nicht wieder hergestellt werden könne. Im Rahmen des Spiels kämpften gegnerische Mannschaften nach einem Regelwerk in einer Weise gegeneinander, die auch bei regelgerechtem Verhalten die Gefahr von Verletzungen mit sich bringe. Letztlich war diese Verletzung unstreitig. Ebenso unstreitig war aber auch, dass dies nicht auf Vorsatz beruhte. Vielmehr lag allenfalls ein fahrlässiges Handeln zugrunde.
II. Das Gericht verneinte sodann die Haftung unter paralleler Heranziehung der Grundsätze zu Verletzungen bei Fußballspielen:

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Verschuldenshaftung bzw. zum Verschuldensmaßstab bei Kampfsportarten, wie etwa Fußball, auf das in Frage stehende Live-Rollenspiel übertragen werden können, zu bestätigen.

Als Anspruchsgrundlage kommt nur ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
Durch die vom Beklagten herbeigeführten Schlag mit der Keule und die Verletzung liegt eine kausal verursachte Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers vor.
Fraglich ist in diesen Fällen der Verletzungen bei Sportveranstaltungen, wie weit die deliktische Haftung der Gegenspieler geht.
Dabei sind folgende Fälle zu unterscheiden:

  • durch regelwidriges Verhalten herbeigeführte Verletzungen
  • Verletzungen durch regelkonformes Verhalten
  • bloß geringfügiger Regelverstoß  (sog. „erlaubte Härte“)

Vertiefend hierzu unser sehr instruktiver Beitrag zu Foulspiel im Fußball.
Nach diesen Grundsätzen ist eine Haftung hier abzulehnen:

Wegen eines fahrlässigen Kopftreffers des Beklagten stehe dem Kläger aber kein Schadensersatz zu. Denn zum einen würden die Regeln der LARP-Veranstaltung, an der die Parteien teilgenommen hatten, lediglich vorsätzliche Kopftreffer verbieten, zum anderen sei dem Kläger bereits vor seiner Teilnahme an dem Rollenspiel bekannt gewesen, dass es bei solchen Kämpfen hin und wieder auch zu Kopftreffern kommen könne. Soweit er dennoch an den Kampfszenen teilgenommen habe, habe er mit seiner Teilnahme stillschweigend darin eingewilligt, wegen fahrlässiger Kopftreffer und deren Folgen keine Ansprüche gegen andere Kampfteilnehmer geltend zu machen.

Auch hier gleichen die Erwägungen denjenigen beim Fußballfoul, wo eine Heranziehung von § 242 BGB angenommen wird.

Denn hier wie da kämpften gegnerische Mannschaften nach einem Regelwerk in einer Weise gegeneinander, die auch bei regelgerechtem Verhalten die Gefahr von Verletzungen mit sich bringe. Eine Haftung komme in diesen Fällen – auch im Falle einer „im Eifer des Gefechts“ erfolgten Regelverletzung – nur bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstößen gegen die Spielvorgaben in Betracht.

Aus diesem Grund scheidet eine Haftung damit aus.
 

04.07.2016/5 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-07-04 16:09:302016-07-04 16:09:30OLG Oldenburg: Rollenspiele sind auch nur Sport – Haftung für Verletzungen
Gastautor

Wie teuer ist eine Prügelei mit Heino Ferch? – Schadensersatz der Filmfirma

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Maximilian Roser veröffentlichen zu können. Nach Studium und erstem Examen in Freiburg hat er im April diesen Jahres das zweite Examen in Baden-Württemberg abgeschlossen und bereitet sich derzeit auf seine Promotion vor. Der Autor befasst sich in seinem Artikel anhand allgemeiner Grundsätze mit einer spannenden deliktsrechtlichen Haftungsfrage.
Am Montag (09.05.2016) verurteilte das Landgericht München I als Berufungsgericht einen Mann zu einer Geldstrafe wegen Körperverletzung am Schauspieler Heino Ferch. Der Vorfall aus dem Jahre 2014, bei dem nach der Überzeugung des Gerichts der Angeklagte den Schauspieler in einem Münchner Club mit der Faust ins Gesicht schlug, ist damit strafrechtlich erledigt.
Zivilrechtlich hingegen gibt es noch offene Fragen und zwar weniger im Hinblick auf den unmittelbar geschädigten Schauspieler als vielmehr auf eine mit diesem zusammenarbeitende Produktionsfirma. Heino Ferch konnte aufgrund der Verletzung einen bereits geplanten Drehtermin bei dieser Firma nicht wahrnehmen. Die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung schreibt dazu in einem Bericht über das Strafverfahren:

„Der Produktionsfirma entstand dadurch ein Schaden in Höhe von rund 300.000 Euro, für den eine Versicherung aufkommen musste. Die Versicherung will sich das Geld nun bei Steve R. zurückholen.“
(Quelle: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/prozess-fussballer-nach-schlaegerei-mit-heino-ferch-zu-geldstrafe-verurteilt-1.2986320)

Geht das?
Diese aktuelle Thematik gibt Anlass dazu das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu untersuchen und den vorliegenden Fall anhand der Rechtsprechung des BGH zu beurteilen.
I. Problem
Es handelt sich hierbei um den Problemkreis des mittelbar Geschädigten: Der mittelbar Geschädigte erleidet durch die unmittelbare Schädigung eines Dritten einen Vermögensschaden. Häufiger Fall ist, wie auch hier, dass der Dritte als Leistungserbringer ausfällt. Fraglich ist, ob auch dem mittelbar Geschädigten Ansprüche zustehen.
II. Grundsätze
Das deutsche Deliktsrecht ist von bestimmten Grundstrukturen geprägt (vgl. Nomos Handkommentar BGB Vor §§ 823-853). Dazu gehören:

  • Es gibt keine große deliktische Generalklausel (wie im französischen Recht), sondern drei kleine Generalklauseln: § 823 I BGB, § 823 II BGB, § 826 BGB
  • Primäre Vermögensschäden fallen nicht unter § 823 I BGB
  • Dem nur mittelbar Geschädigten steht im Regelfall kein Anspruch aus unerlaubter Handlung zu

Die letzten beiden Aspekte sollen eine grenzenlose Ausuferung der deliktischen Haftung vermeiden. Die Nichterstattung mittelbarer Schäden ergibt sich zudem systematisch aus einem Umkehrschluss zu §§ 844, 845 BGB, die nur für Ausnahmefälle Ansprüche mittelbar Geschädigter vorsehen.
III. Lösungsansatz: Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
Eine Lösung von Fällen mittelbarer Schädigung kann darin bestehen, dass, untechnisch gesprochen, aus mittelbar Geschädigten unmittelbar Geschädigte „werden“. Möglich ist dies über eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als von der Rechtsprechung entwickeltes „sonstiges Recht“ iSd § 823 I BGB. In den Schutzbereich dieses Rechts fällt alles, „was in seiner Gesamtheit den Betrieb zur Entfaltung und Betätigung in der Wirtschaft befähigt und damit den wirtschaftlichen Wert des Betriebs als bestehender Einheit ausmacht“ (Palandt – Sprau, § 823).
Um eine uferlose Haftung für Vermögensschäden Gewerbetreibender über diesen Auffangtatbestand zu vermeiden, gibt es eine wesentliche Einschränkung: nur ein betriebsbezogener Eingriff kann eine Rechtsgutverletzung begründen. Im „Stromkabel-Fall“ führt der Bundesgerichtshof dazu aus (BGHZ 29, 65):

„Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb, gegen welche § 823 I BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind, und nicht vom Gewerbebetrieb ohne Weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen.“

In einem weiteren Fall hatte der Bundesgerichtshof darüber zu entscheiden, ob eine Eiskunstläuferin Schadensersatz vom Schädiger ihres Sportpartners verlangen kann, u.a. aufgrund des Ausfalls von Wettkämpfen. Der BGH verneint klar und anschaulich einen betriebsbezogenen Eingriff (Beschluss vom 10.12.2002 – VI ZR 171/02 – ):

„Von einem derart abgegrenzten Eingriff kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Rede sein, wenn es zu Störungen im Betriebsablauf aufgrund eines schädigenden Ereignisses kommt, das in keinerlei Beziehung zu dem Betrieb steht, mag dadurch auch eine für das Funktionieren des Betriebs maßgebliche Person oder Sache betroffen sein. Insbesondere die Schädigung einer zum Betrieb gehörenden Person stellt danach keinen betriebsbezogenen Eingriff dar […] Wer durch verkehrswidriges Verhalten einen Verkehrsunfall verursacht, kann dabei sowohl eine beliebige Privatperson als auch einen wichtigen Mitarbeiter eines Betriebes verletzen. Die Verletzungshandlung kann jedermann treffen. Der Schädiger verletzt daher keine Verhaltenspflichten, die ihm gerade im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis eines Gewerbebetriebs obliegen.“

Unterstützend führt der BGH dabei aus, dass es nicht gerechtfertigt sei über das Institut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ein „Sonderrecht“ für Gewerbetreibende zu schaffen und andere mittelbar Geschädigte vom Schadenersatz auszunehmen.
IV. Subsumtion
Insbesondere im Lichte des Falles der Eiskunstläuferin dürfte hier ein Anspruch der Produktionsfirma am fehlenden betriebsbezogenen Eingriff scheitern. Die Körperverletzung in einem Nachtclub in München hätte grundsätzlich jedermann treffen können, sie weist keinen spezifischen Bezug zur schauspielerischen Tätigkeit und der Produktionsfirma auf. Der Umstand allein, dass es sich um eine vorsätzliche Schädigung des bekannten Schauspielers handelt, genügt nicht für die Betriebsbezogenheit. Das subjektive Element des Vorsatzes bezieht sich zunächst nur auf die Rechtsgutsverletzung des unmittelbar Geschädigten und kann daher nicht allein aufgrund von Billigkeit einen betriebsbezogenen Eingriff begründen. Der Schauspieler hätte zudem auch ein Vertragsverhältnis zu einer anderen Produktionsfirma haben können. Denkbar wäre ein betriebsbezogener Eingriff etwa bei folgendem hypothetischen Fall: Der Täter schlägt den Schauspieler auf dem Weg zu den Dreharbeiten nieder, um zu verhindern, dass der Schauspieler gerade für die vom Täter verhasste Produktionsfirma arbeitet.
Eine Körperverletzung, die sich zur Zeit des Oktoberfestes bei einem zufälligen Aufeinandertreffen in einem Nachtclub zuträgt, ist damit nicht vergleichbar.
V. Fazit
Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs scheidet somit ein Schadensersatzanspruch der Produktionsfirma aus.
Eine Lösung über die Drittschadensliquidation scheitert bereits daran, dass der Schauspieler selbst einen Schaden erlitten hat und zudem keine der anerkannten Fallgruppen einschlägig ist.
Die Thematik ist aufgrund ihrer hohen praktischen Relevanz und der erforderlichen Einzelfallprüfung am konkreten Sachverhalt immer wieder Gegenstand im Examen.

13.05.2016/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2016-05-13 09:00:132016-05-13 09:00:13Wie teuer ist eine Prügelei mit Heino Ferch? – Schadensersatz der Filmfirma
Dr. Melanie Jänsch

Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Ein halbes Jahr ist es her – am 22.9.2015 hatte der VW-Konzern bekanntgegeben, dass sich die Software zur Manipulation der Abgaswerte in weltweit 11 Millionen Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 befinde. Diese ermögliche, dass iRv Testverfahren ein weitaus geringerer Abgasausstoß verzeichnet wird als unter tatsächlichen Fahrbedingungen. Für Käufer eines Pkw mit manipuliertem Abgassystem stellte sich schnell die Frage nach Gewährleistungsrechten gegenüber dem Verkäufer (dem Autohaus). Besteht ein Anspruch auf Nacherfüllung, Minderung oder Schadensersatz? Ist ggf. sogar ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich? Diese Fragen sind auch sehr gut für eine mündliche Prüfung oder für das Examen selbst geeignet.
Mittlerweile gibt es erste Rechtsprechung:

  • Das LG Münster hat mit Urteil v. 14.3.2016 entschieden, „dass der Käufer eines von der manipulierten Abgassoftware betroffenen VW keinen Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages hat, sondern von dem Autohändler lediglich die Nachbesserung des Abgassystems verlangen kann.“ (Pressemitteilung)
  • Auch das LG Bochum hat mit seinem Urteil v. 16.3.2016 (Az. I-2 O 425/15) ein Rücktrittsrecht eines betroffenen Kunden verneint. Ferner stellte es fest, dass das beklagte Autohaus, den Verkäufer, wegen des Mangels kein Verschulden treffe, da ihm das Verhalten des Herstellers nicht zugerechnet werden könne (s. auch hier).

Die Entscheidungen sollen in diesem Beitrag zum Anlass genommen werden, noch einmal die allgemeinen Grundsätze der hier in Betracht kommenden Gewährleistungsrechte – angewandt auf den konkreten Fall – darzustellen. Die aktuelle Thematik der Mangelhaftigkeit der Abgassysteme lässt sich hervorragend in Fallkonstellationen integrieren, in denen Gewährleistungsrechte, deren Prüfung für jeden Examenskandidaten sowieso zum Standardrepertoire gehören sollte, abgeprüft werden.

A. Sachverhalte
(leicht abgewandelt)

In beiden Fällen hat der Kläger, Käufer eines VW Tiguan, in dem der Motortyp EA 189 verbaut ist, gegen sein Autohaus geklagt. Nach den Feststellungen des Gerichts steht der Motor des betroffenen VW in Verbindung mit einer manipulierten Abgassoftware, welche Stickoxidwerte im Prüfstandlauf in gesetzlich unzulässiger Weise optimiere. Nur aufgrund der manipulierten Software, die erkenne, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen werde oder sich auf der Straße befinde, halte der genannte Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Der Kläger will nun Gewährleistungsrechte geltend machen.


B. Lösung


I. Anspruch auf Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB

Der Käufer könnte einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Hierbei handelt es sich um eine Modifikation des ursprünglichen Anspruchs auf Lieferung einer mangelfreien Sache, § 433 I 2 BGB. Grds. kann der Käufer gem. § 439 I BGB wählen, ob er die Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache (Nachlieferung) oder die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) verlangt. Der Verkäufer kann allerdings die gewählte Art der Nacherfüllung gem. § 439 III BGB verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Angesichts des hohen Preises eines Neuwagens kommt vorliegend demnach nur die Nachbesserung in Betracht.

1. Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages

Die Parteien haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen.

2. Vorliegen eines Sachmangels
(§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§ 446 BGB)
Zentrale Voraussetzung der kaufrechtlichen Gewährleistung ist das Vorliegen eines Sach- oder Rechtsmangels bei Gefahrübergang. Im vorliegenden Fall kommt ein Sachmangel in Betracht. Ein solcher liegt gem. § 434 I BGB vor, wenn der Kaufgegenstand bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat oder sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte oder übliche Verwendung eignet. Zugrunde zu legen ist der subjektive Fehlerbegriff, nach dem ein Mangel jede für den Käufer nachteilige Abweichung der tatsächlich geschuldeten Beschaffenheit (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) ist (BGH v. 30.7.2015 – VII ZR 70/14, MDR 2015, 1359). Nach hM beschränkt sich der Begriff der Beschaffenheit nicht nur auf Eigenschaften, die der Sache physisch anhaften; vielmehr werden auch außerhalb liegende Umstände, insb. Beziehungen der Sache zu ihrer Umwelt, erfasst (vgl. Beck-OK/Faust, § 434 BGB Rn. 22; MüKo/Westermann, § 434 BGB Rn. 9 f.). Die etwa in einem Prospekt angegebenen Emissionswerte werden im vorliegenden Fall nur durch die manipulierte Software in Testverfahren eingehalten. Im regulären Fahrbetrieb weichen sie allerdings erheblich von den Angaben des Herstellers ab. Dass das Fahrzeug also tatsächlich einen viel höheren Schadstoffausstoß hat, als dies im Kaufvertrag, in Prospekten oder Werbung angegeben ist, stellt eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit dar, die darauf zurückzuführen ist, dass eine manipulierte Software eingebaut wurde. Ob die Emissionswerte als Beschaffenheit konkret zwischen den Parteien vereinbart wurden (§ 434 I 1 BGB), ist im jeweiligen Einzelfall zu klären. In den heutigen Zeiten, in denen ökologische Eigenschaften des Fahrzeugs immer weiter in den Vordergrund rücken, trägt der angegebene Emissionswert sicherlich in vielen Fällen zum Kaufentschluss bei – womit den Kunden umso wichtiger wäre, ob dieser mit dem tatsächlichen Schadstoffausstoß übereinstimmt. Vor dem Hintergrund, dass Einzelheiten des Sachverhalts noch nicht klar sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Sache jedenfalls durch den von den angegebenen Werten abweichenden Schadstoffausstoß, der seinerseits auf dem Vorhandensein eines manipulierten Abgassystems beruht, gem. § 434 I Nr. 2 BGB nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Das LG Münster argumentiert,

„[…] der Käufer eines Neufahrzeuges dürfe davon ausgehen, dass dessen Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur aufgrund der manipulierten Software im Prüfstandlauf einhalte.“ (s. Pressemitteilung).

Ein Sachmangel, welcher bei Gefahrübergang vorlag, ist also gegeben.

3. Ergebnis
: Der Käufer kann mithin gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB Nachbesserung verlangen. In der Praxis soll hierfür ein Software-Update bzw. der Einbau eines Zusatzteils genügen, welches je nach genauem Motortyp zwischen einer halben und einer Stunde dauert, und etwa 100 € kostet (s. hier). Hierbei soll ein Verfahren angewendet werden, das wohl weder Motor- und Fahrleistung beeinträchtigt noch den Verbrauch erhöht, sodass der Mangel damit vollständig beseitigt werden kann.
Hinweis: Die Bearbeitung geht hier aufgrund entsprechender Medienberichte davon aus, dass durch die Nachbesserung der erhöhte Schadstoffausstoß vollständig beseitigt wird.

II. Rücktrittsrecht, §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB

Fraglich ist indes, ob dem Käufer auch ein Rücktrittsrecht gem. §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB zusteht. Ist dies der Fall, könnte er gegen Rückgabe des Wagens Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Wertersatz für die gefahrenen Kilometer verlangen, §§ 346 I, 437 Nr. 2, 440, 323 I BGB. § 437 Nr. 2, 1. Alt. BGB verweist bei Vorliegen eines Sachmangels auf die den Rücktritt von gegenseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB.

1. Kaufvertrag als gegenseitiger Vertrag, § 323 I BGB

Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag über den Pkw ist ein gegenseitiger Vertrag, aus dem dem Käufer gegen Entrichtung des Kaufpreises ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Wagens frei von Sach- und Rechtsmängeln zusteht, § 433 BGB.

2. Nicht vertragsgemäße Leistung, § 323 I BGB = Sachmangel iSd § 434 BGB

Die Leistung einer mangelhaften Kaufsache iSd § 434 BGB stellt eine nicht vertragsgemäße Leistung (§ 323 I, 2. Alt. BGB) dar (s.o.).

3. Notwendigkeit der Fristsetzung
, § 323 I BGB
Zunächst müsste der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich eine angemessene Frist einräumen, den Mangel zu beseitigen. Die Angemessenheit der Frist muss so bemessen sein, dass der Verkäufer die Nacherfüllung bewirken kann (MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 72 f.). Da die Nachbesserung in höchstens einer Stunde durchgeführt werden kann und auch sonst nicht die Notwendigkeit komplizierter Verfahren ersichtlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine Frist von wenigen Wochen wohl angemessen wäre. U.U. kann die Fristsetzung auch nach § 323 II BGB oder § 440 BGB entbehrlich sein; dies muss dann im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

4. Keine unerhebliche Pflichtverletzung
, § 323 V 2 BGB
Der Rücktritt könnte allerdings wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 V 2 BGB ausgeschlossen sein. Da die Pflichtverletzung in der mangelhaften Leistung besteht, ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein unerheblicher Mangel vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH erfordere die Beurteilung des Kriteriums der Erheblichkeit

„eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.“ (BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229)

Vorliegend ist zwar ein Mangel gegeben; die Fahrtauglichkeit des Pkw wird hierbei aber in keiner Weise beeinträchtigt. Zudem kann der Mangel wohl durch das Software-Update unter geringem finanziellem Aufwand von etwa 100 € behoben werden, was jedenfalls unter einem Prozent des Kaufpreises liegt (s.o.). Man könnte zwar argumentieren, der Skandal erschwere dem Kunden die Möglichkeit, den Wagen anderweitig zu verkaufen. Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Bagatellklausel des § 323 V 2 BGB, dass geringfügige Pflichtverletzungen nicht den Rücktritt als schärfsten Eingriff in das Vertragsverhältnis rechtfertigen, erschiene ein Rücktrittsrecht in dem Fall aber wohl unverhältnismäßig.
So auch die Tendenz der Rechtsprechung – das LG Bochum sowie das LG Münster führen an, eine Rückabwicklung des Kaufvertrags könne der Käufer vor diesem Hintergrund nicht verlangen.
Anders könnte sich der Fall allerdings darstellen, wenn – was vorliegend noch unklar ist – ein bestimmter Emissionswert als Beschaffenheit explizit zwischen den Parteien vereinbart wurde. Eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB indiziert im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (vgl. MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 251; BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229; v. 6.2.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365). Mit einer guten Argumentation wäre hier also sicherlich auch ein anderes Ergebnis vertretbar.

III. Minderung, §§ 437 Nr. 2, 441 BGB

Möglicherweise könnte der Käufer auch den Kaufpreis gem. §§ 437 Nr. 2, 441 BGB mindern. Dafür müssen die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen. Jedoch ist der Ausschlussgrund des § 323 V 2 BGB gem. § 441 I BGB auf die Minderung nicht anwendbar. Da der Rücktritt hier an der Bagatellklausel gescheitert ist, kommt eine Minderung (ggf. nach erfolglosem Ablauf einer Nacherfüllungsfrist) also grds. in Betracht.
Als Rechtsfolge wird der Kaufpreis hierbei in dem Verhältnis herabgesetzt, in welchem zur Zeit des Verkaufs der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand gestanden hätte, § 441 III BGB. Vorliegend wurde der Kaufpreis bereits entrichtet, weswegen der Käufer gem. § 441 IV BGB Rückzahlung des Mehrbetrags verlangen könnte. Allerdings ist auch hier die Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB vorrangig, da durch das Software-Update der Mangel behoben werden kann. Zudem ist nicht ganz klar, in welchem Maß der Wert des PKW gemindert ist.

IV. Schadensersatz, §§ 437 Nr. 3 BGB iVm 280 ff. BGB

Weiterhin ist fraglich, ob der Käufer auch Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3 iVm 280 ff. BGB verlangen kann.

1. Kaufvertrag als Schuldverhältnis

Das Schuldverhältnis besteht in dem von den Parteien geschlossenen Kaufvertrag.

2. Pflichtverletzung

Wird – wie vorliegend – das Bestehen eines Sachmangels bejaht, steht fest, dass der Verkäufer seine Pflicht aus § 433 I 2 BGB verletzt hat.

3. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB iVm §§ 276, 278 BGB

Einzig problematisch erscheint hierbei die Frage, ob der Verkäufer die Pflichtverletzung zu vertreten hat, § 280 I 2 BGB. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den §§ 276, 278 BGB. Nach § 276 BGB hat er grds. Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Das manipulierte Abgassystem war für den Verkäufer ebenso wenig erkennbar wie für den Käufer, mithin scheidet eigenes Vertretenmüssen aus. Möglicherweise ist dem Verkäufer allerdings das Verhalten des Herstellers, die Manipulation des Systems, hier des VW-Konzerns, zuzurechnen, § 278 BGB. Das setzt voraus, dass der Hersteller als Erfüllungsgehilfe des Autohauses iSd § 278 BGB tätig geworden ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Hersteller einer Kaufsache jedoch nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache dem Kunden verkauft (s. z. B. BGH v. 19.6.2009 – V ZR 93/08, BGHZ 181, 317). Auch das LG Bochum entschied in seinem Urteil, dass dem beklagten Autohaus, welches das Fahrzeug lediglich verkauft habe, das Verhalten des Herstellers VW nicht zugerechnet werden könne.
Mithin hat der Verkäufer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten und ein Anspruch auf Schadensersatz scheidet aus. Darüber hinaus ist offen, welcher Schaden dem Käufer entstanden sein soll. In Betracht käme hierbei die Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes.

V. Verjährung gem. § 438 BGB

Grds. verjähren Mängelansprüche 2 Jahre nach Ablieferung der Sache, §§ 438 I Nr. 3, II BGB. Da viele Kunden ihr Auto bereits vor einigen Jahren gekauft haben, könnte sich der Verkäufer u. U. auf die Verjährung berufen. Angesichts dessen erscheint eine Klage gegen den VW-Konzern direkt um einiges attraktiver, da hierbei die Verjährung 3 Jahre beträgt, §§ 438 III, 195 BGB, und frühestens mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Käufer von den mangelbegründenden Umständen erfahren hat, § 199 I BGB, also frühestens Ende 2015.

C. Fazit und Ausblick

Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Käufer also lediglich Nachbesserung verlangen; ein Rücktrittsrecht oder Anspruch auf Schadensersatz bestehen nicht. Sofern zutreffend ist, dass durch das Software-Update der Mangel ohne Beeinträchtigung der Motor- und Fahrleistung oder der Erhöhung des Verbrauchs behoben werden kann, ist den Urteilen des LG Bochum und des LG Münster also i. E. zuzustimmen. Angesichts der Tatsache, dass Einzelheiten der Sachverhalte noch unklar sind, ist auch ein anderes Ergebnis gut vertretbar.
Im Bochumer Fall wird wohl nach Aussage des Klägeranwalts Berufung eingelegt werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das OLG Hamm erst im Jahr 2015 (Urteil v. 9.6.2015 – 28 U 60/14) ein Urteil des LG Bochum abänderte und einen Rücktritt wegen eines Mangels an der Rückfahrkamera zuließ, wäre eine Befassung des Gerichts mit dem Fall sicherlich aufschlussreich.
Derzeit sind auch noch weitere Klagen gegen Autohäuser oder den VW-Konzern selbst anhängig. Abzuwarten bleibt, ob der Fall (oder ein ähnlicher) irgendwann vor dem BGH landet. So lange ist die Entwicklung der Rechtsprechung auf jeden Fall zu beobachten.
Ferner ist auch an Ansprüche gegen den Konzern VW selbst zu denken. Diese wurden hier bewusst ausgespart. Relevant sind hierbei insbesondere deliktsrechtliche Ansprüche.

23.03.2016/8 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2016-03-23 09:00:562016-03-23 09:00:56Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal
Gastautor

„Klagende Nachbarn“ – Schadensersatzansprüche im nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhälnis

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns Euch heute einen Gastbeitrag von Stefan Glasmacher vorstellen zu können. Stefan Glasmacher hat bis zum Jahre 2011 Rechtswissenschaften an der Universität Bonn studiert und im Anschluss bei Professor Dr. Löwer zu einem umweltrechtlichen Thema promoviert. Derzeit ist er Referendar im Landgerichtsbezirk Köln und in der Wahlstation in Washington, D. C.
 
Nachbarschaftliche Rechtsbeziehungen werden oft zum Gegenstand von Prüfungen, da die Materie als Teil des Deliktsrechts die Chance bietet, allgemeine mit besonderen Strukturen, „einfache“ mit „schwierigen“ Fragestellungen sowie „klassisches“ mit „aktuellem“ Prüfungswissen zu verknüpfen. Daher vermittelt der folgende Kurzbeitrag einen Überblick über die zu prüfenden Anspruchsgrundlagen, soweit es um Schadensersatzansprüche geht. Daneben stehen Unterlassens- und Beseitigungsansprüche, die außerhalb der Betrachtung bleiben.
 I. Ausgangspunkt der nachbarrechtlichen Schadensersatzansprüche
Der „Anwendungsbereich“ nachbarschaftlicher Schadensersatzansprüche ist eröffnet, wenn die Parteien Eigentümer benachbarter Grundstücke sind. Das ist immer dann der Fall, wenn die Grundstücke unmittelbar aneinander angrenzen. Typische Konstellationen sind dann beispielsweise: Bäume fallen auf das Grundstück des Nachbarn und beschädigen dessen Hausdach, Wasser läuft aus dem Wassersystem des Hauses und beschädigt die elektronischen Geräte des Nachbarn oder aber die Silvesterrakete, die in der Scheune des Nachbarn explodiert. All diese Konstellationen laufen oft auf die Prüfung des nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog hinaus, da dieser verschuldensunabhängig Schadensersatz gewährt. Zu einer umfassenden Prüfung gehören jedoch vier Anspruchsgrundlagen, die im Einzelnen vorgestellt werden sollen.
II. Anspruchsgrundlagen

  1. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i. V. m. dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis

In der Literatur wird teilweise vertreten, das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis stelle eine Art Schuldverhältnis im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB dar, das besondere Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme kreiert. Für diese Ansicht spricht, dass der Gesetzgeber in §§ 906 ff. BGB und in den Nachbargesetzen der Länder besondere Pflichten statuiert hat, die über den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB besondere gegenseitige Pflichten der Nachbarn untereinander fordern. Dagegen stellt sich jedoch fast einhellig die herrschende Auffassung der Literatur und Rechtsprechung. Der Grundsatz von Treu und Glauben vermittle nur eine besondere Schranke der Nutzung eines Grundstücks. Weitergehende Ansprüche seien nicht vorgesehen und nicht zweckmäßig. Wer der herrschenden Auffassung folgt, lehnt diese Anspruchsgrundlage mit der entsprechenden Argumentation ab.[1]
 

  1. § 823 Abs. 1 BGB

Dieser Anspruch zählt zu dem „klassischen“ Repertoire im Anspruchskanon des Schadensersatzrechts. Schwerpunkte im nachbarschaftlichen Verhältnis liegen in der Herausarbeitung der Pflichtverletzung und des Verschuldens.
Nicht selten liegt die Pflichtverletzung in einem Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht (oder anders genannt: Verkehrspflicht). Grundsätzlich besteht zwar kein allgemeines Gebot andere vor deren Selbstschädigung zu schützen. Jedoch obliegt dem Verursacher oder Unterhalter einer Gefahrenquelle die allgemeine Rechtsplicht, diejenigen, welche mit der Gefahrenquelle in Kontakt kommen, möglichst effektiv gegen die davon ausstrahlenden Gefahren abzusichern.[2] Gefahrenquellen können beispielsweise durch einen dichten Baumbestand hervorgerufen werden, der verlangt, regelmäßig auf die Standfestigkeit hin überprüft zu werden.
Sollten Verkehrssicherungspflichten bejaht werden, stellt sich die Frage nach dem Verschulden. Meistens wird es daran fehlen. Denn der Baumbesitzer hat beispielsweise durch die Beauftragung einer Garten- und Landschaftsfirma die entscheidende Vorkehrung getroffen, um von der Standsicherheit seiner Bäume auszugehen oder der drohende Wasserrohrbruch war nicht durch eine beauftragte Handwerksfirma festgestellt worden.
Mangels Verschulden wird dieser Anspruch zumeist wenig Erfolg versprechen.
 

  1. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz

Ähnlich kurz wird auf den Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB einzugehen sein, weil dieser dem Verschulden nach das rechtliche Schicksal des § 823 Abs. 1 BGB teilt. Als Schutzgesetz gelten solche Normen, die zumindest auch dem Schutz eines Einzelnen zu dienen bestimmt sind. Schutzgesetze finden sich oftmals in öffentlich-rechtlichen Normen, die unter dem Klausursachverhalt abgedruckt sind.
 

  1. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog

Wer diese Hürden gemeistert hat, wird sodann zum Kern vieler nachbarschaftsrechtlicher Klausuren vordringen. Dieser liegt in der Prüfung des nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.
Dabei liegt die Analogie gleich „doppelt“ vor. Denn § 906 Abs. 2 S. 2 BGB (direkt) umfasst lediglich Fälle, in denen eine Duldungspflicht vorliegt und unwägbare Stoffe zugeführt werden. Im Fall des nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs liegt gerade keine Duldungspflicht vor und es werden wägbare Stoffe (oder sog. Grobimmissionen) zugeführt. Wenn demjenigen ein Anspruch erwächst, obwohl er einer Duldungspflicht unterliegt, dann muss ihm erst Recht ein Anspruch zustehen, wenn er keiner Duldungspflicht unterliegt. Diese Analogie soll für jede Einwirkung von außen auf das Eigentum gelten. Dazu zählt nach aktueller Rechtsprechung des BGH auch die Einwirkung im Rahmen von Wohnungseigentum, wenn das Sondereigentum durch fremdes Sondereigentum beeinträchtigt wird.[3]
Die Rechtsprechung gewährt dem Eigentümer des gestörten Grundstücks in den Fällen des faktischen Duldungszwangs einen Ausgleichanspruch. Der Eigentümer hätte nämlich im Vorfeld einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch geltend machen können, der sich durch die Beschädigung seines Eigentums nun in einen Schadensersatzanspruch wandelt. Dagegen wird teilweise seitens der Literatur eingewandt, dass die Wertungen des Deliktsrechts diesem Ergebnis zuwiderlaufen. Dieses sehe nur eine verschuldensabhängige Haftung vor, die durch eine verschuldensunabhängige Haftung systemwidrig erweitert werde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es teilweise nur vom Zufall abhängt, ob der Unterlassungsanspruch vor oder nach dem Schadensereignis geltend gemacht wird und die Gefahrenquelle in der Sphäre des Nachbarn liegt, sodass diesem auch die Pflicht zur Schadenswidergutmachung obliegt.
Dann müsste der Geschädigte auch Anspruchsberechtigter sein. Dies ist beim Eigentümer unproblematisch. Fraglich ist, ob auch der Besitzer einen Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog geltend machen kann. Dies wird von der wohl herrschenden Meinung für den berechtigten Besitz bejaht, da ihm eine schützenswerte Rechtsposition erwächst.
Auf der anderen Seite muss der Nachbar Störer sein. Der Anspruch richtet sich gegen den Nutzer als denjenigen, der die Nutzungsart des betreffenden Grundstücks maßgeblich bestimmt. Derjenige muss als Handlungs- oder Zustandsstörer verantwortlich sein. Gegen diesen hätte (präventiv) ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zur Verfügung gestanden, da die Einwirkung nicht zu dulden gewesen wäre.
Rechtsfolge des Anspruchs aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog ist eine angemessene Entschädigung in Geld, die hinter dem Rechtsgedanken des § 249 Abs. 1 BGB zurückbleibt.
 
III. Fazit
Es gilt sich bei nachbarschaftsrechtlichen Rechtsverhältnissen nicht blenden zu lassen. Auch wenn ein Flugplatz oder ein Waldgrundstück (in öffentlicher Hand) angrenzen, handelt es sich um die gleichen Fragestellungen, wie sie oben skizziert wurden. Anhand einer sauberen Subsumtion unter die Anspruchsgrundlagen bahnen sich gute Bearbeiter souverän den Weg zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog und prüfen – unter Anwendung des „Fachvokabulars“ – dessen Voraussetzungen.
 
Empfehlung zur weitergehenden Lektüre:
Literatur:
Grigoleit/ Riehm, Schuldrecht IV, 2011, Fall 2
 
Aktuelle Entscheidungen:
LG Bonn, Urteil vom 6 Juli 2015, 9 O 342/14 – zitiert nach juris
BGH, NJW 2014, 458-461
 
Klassische Entscheidung:
BGH, NJW 2009, 3787 – 3790
[1] Vgl. Grigoleit/Riehm, Schuldrecht IV, 2011, Rn. 399ff. m. w. N.
[2] Palandt/Sprau, BGB-Kommentar, 74. Auflage, 2015, § 823 Rn. 45.
[3] BGH, NJW 2014, 458-461.

02.12.2015/0 Kommentare/von Gastautor
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