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Schlagwortarchiv für: Schadensersatz

Dr. Maximilian Schmidt

Kein Schadensersatz für Verdienstausfall bei fehlendem Kinderbetreuungsplatz

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite

Ein interessanter Streit der Instanzen ist momentan im Bundesland Sachsen zu beobachten. Fraglich ist, ob der Verstoß gegen den gesetzlichen Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Kinderbetreuungsplatzes nach § 24 Abs. 2 SGB VIII Schadensersatzansprüche der Eltern für deren Verdienstausfall auslösen kann. Dies verneinte nun das OLG Dresden mit Urteil v. 26.08.2015  – 1 U 319/15. Dies begründet das Gericht mit der Drittgerichtetheit der Amtspflichtverletzung, welche allein die Kinder, nicht aber deren Eltern schütze: (der Pressemitteilung entnommen)

Die Klägerinnen seien nicht in den Schutzbereich des § 24 Abs. 2 SGB VIII einbezogen. Ziel des Gesetzes sei die frühkindliche Förderung. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei lediglich die notwendige Folge der breiten Schaffung von Kindertagestätten. Zudem sei der Verdienstausfallschaden der Klägerinnen auch nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Dies wären nur Schäden, die dem Kind wegen Verstoßes gegen seinen Anspruch auf frühkindliche Förderung zustünden. Mittelbare Schäden der Eltern, wie der Verdienstausfall, seien hier nicht inbegriffen.

Wer sich vertiefter mit diesen Fragen beschäftigen möchte, empfehlen wir unseren grundlegenden Beitrag. Abzuwarten bleibt eine endgültige Klärung durch den BGH – die Rechtsfrage kann als durchaus offen bezeichnet werden.

27.08.2015/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-08-27 09:33:362015-08-27 09:33:36Kein Schadensersatz für Verdienstausfall bei fehlendem Kinderbetreuungsplatz
Dr. Maximilian Schmidt

Aktueller Rechtsprechungsüberblick „eBay“ – Neuestes und Allerneuestes

AGB-Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite

Die Internetplattform eBay ist wohl eines der beliebtesten Examensthemen im Kaufrecht – u.a. Problemen des Vertragsschlusses, der Mängelgewähr oder des Schadensersatzes lassen sich unterbringen. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die jüngsten Entscheidungen geben, welche teilweise auch schon hier besprochen wurden. Gerade für Prüflinge, die in der zweiten Jahreshälfte Examen schreiben oder mündliche Prüfung haben, könnten überblickartige Kenntnisse über neue Entwicklungen hilfreich sein. Insoweit soll dieser Beitrag zur weiteren Beschäftigung mit der Thematik anregen. Die wichtigsten Passagen der Urteile sind jeweils hervorgehoben.
I. Rechtsfolgen eines vorzeitigen Abbruches einer Auktion
Heftig umstritten sind die Rechtsfolgen eines vorzeitigen Abbruchs einer Auktion bei eBay. Teilweise wird ein Vertragsschluss nur abgelehnt, soweit ein rechtfertigender (gesetzlicher) Grund zum Abbruch vorliegt. Andere nehmen eine freie Rücknehmbarkeit an, soweit eine gewisse Restlaufzeit (12h) der Auktion besteht. Das LG Aurich nimmt gar eine Unwirksamkeit der eBay-AGB „Auktionsabbruch“ an. 
1. AG Dieburg, Urteil vom 15. April 2015 – 20 C 945/14:

Sobald bei einer ebay-Auktion auf ein Angebot geboten wurde, darf der Anbieter das Angebot nur noch ändern, wenn er gesetzlich dazu berechtigt ist. Wenn ein Angebot ohne gesetzliche Berechtigung geändert wird, kommt bei Bietende ein Vertrag mit dem Höchstbietendem und dem Inhalt des ursprünglichen Angebots zu Stande.

Wichtig: AGB von eBay sind über § 157 als Verkehrssitte in Auslegung einzubeziehen; soweit keine gesetzliche Berechtigung besteht, kann der Anbeiter sein Angebot nicht mehr ändern.
2. Ebenso OLG Celle, Urteil vom 09. Juli 2014 – 4 U 24/14:

Die Beendigung eines Angebots vor Ablauf der Dauer einer Auktion im Internetportal „eBay“ setzt auch bei einer noch länger als 12 Stunden laufenden Auktion einen rechtfertigenden Umstand voraus, wie er in den weiteren Hinweisen zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay in der Fassung bis zum 12. März 2014 näher erläutert wird

Demnach darf ein Angebot also nicht grundlos beendet werden, unabhängig von der Restdauer der Auktion.
3. Eine andere Ansicht vertritt explizit das AG Darmstadt (v. 25. Juni 2014 – 303 C 243/13):

Entsprechend den erläuternden Hinweisen der Firma eBay zur vorzeitigen Angebotsbeendigung ist ein Verkäufer bei einer Internet-Auktion über das eBay-Portal allgemein dazu berechtigt, sein Verkaufsangebot ohne weitere Einschränkungen frei zu widerrufen, wenn die Auktion noch eine verbleibende reguläre Restlaufzeit von mehr als 12 Stunden aufweist (entgegen OLG Nürnberg, 26. Februar 2014, 12 U 336/13, MMR 2014, 592).(Rn.51)

Wichtig: Ob Gründe notwendig sein oder aber eine 12-stündige Restlaufdauer des Angebots genügt, ist strittig. Insoweit ist eine Auslegung der AGB und eine Argumentation mit den Prinzipien des BGB notwendig (Bindung an Willenserklärung vs. Vertrauensschutz).
4. LG Aurich, Urteil vom 03. Februar 2014 – 2 O 565/13, 2 O 565/13 (145)

Die ebay-AGB, welche einen sanktionslosen Auktionsabbruch nur dann erlaubt, wenn der Verkäufer gesetzlich dazu berechtigt ist, das Angebot zurückzunehmen, und nach der anderenfalls als Rechtsfolge des Auktionsabbruchs ein Vertragsschluss zwischen dem Verkäufer und dem zum Zeitpunkt des Abbruchs der Auktion Höchstbietenden zustande kommt, ist wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 5 BGB (fingierte Erklärung) sowie aufgrund unangemessener Benachteiligung unwirksam.

Wichtig: Das LG Aurich nimmt eine Unwirksamkeit der ebay-AGB „Auktionsabbruch“ wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 5 BGB und § 307 Abs. 1 BGB an. Dies sollte in der Prüfung jedenfalls diskutiert werden, auch wenn im Ergebnis hierfür nur wenig spricht.
Soweit ein Anfechtungsgrund vorliegt – also nach den eBay-AGB eine „gesetzliche Berechtigung“ besteht – nimmt der BGH ausdrücklich an, dass keine Bindung an das Angebot besteht (BGH, Urteil vom 8.1.2014 – VIII ZR 63/13 für Eigenschaftsirrtum).
II. Sittenwidrigkeit bei grobem Missverhältnis?
BGH, Urteil vom 12. November 2014 – VIII ZR 42/14 (s. Besprechung 1 und 2)

Bei einer Internetauktion rechtfertigt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Maximalgebot eines Bieters und dem (angenommenen) Wert des Versteigerungsobjekts nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB. Es bedarf vielmehr zusätzlicher – zu einem etwaigen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung hinzutretender – Umstände, aus denen bei einem Vertragsschluss im Rahmen einer Internetauktion auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters geschlossen werden kann. […]
2. Es lässt sich dem Anspruch des Erwerber auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten. Es trägt der Verkäufer das Risiko des für ihn ungünstigen Auktionsverlaufs durch die Wahl eines niedrigen Startpreises unterhalb des Marktwertes ohne Einrichtung eines Mindestpreises.

III. Frist zur Geltendmachung bei vorzeitigem Auktionsabbruch?
LG Mühlhausen, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 1 S 98/14

Bricht der Veräußerer die Auktion vorzeitig ab, so liegt es nahe, dass der Bieter in der Regel seine Ansprüche auf Übergabe und Eigentumsverschaffung unmittelbar innerhalb einer bestimmten Frist geltend macht. Tut er dieses nicht, kann der Verkäufer nach Ablauf einer bestimmten Frist regelmäßig davon ausgehen, dass die Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, und er kann das Versteigerungsobjekt anderweitig veräußern.(Rn.7) Davon ist nach dem Verstreichenlassen von 6 Monaten grundsätzlich auszugehen.

IV. Beschaffenheitsvereinbarung bei Privatverkäufern?
LG Kiel, Urteil vom 13. August 2014 – 9 O 262/13 –, Rn. 22

Die Angabe im ebay-Inserat und auch die Aussage des Beklagten am Telefon, „das Fahrzeug ist so, wie es da steht im Internet“, sonst sei damit nichts, sind als bloße Wissenserklärungen auszulegen und stellen damit weder eine Garantie noch eine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. 434 Abs. 1 S. 1 BGB dar.

Wichtig: Allein die Angabe von Merkmalen einer Ware im Angebot bei ebay führen, wenn der Verkäufer eine Privatperson ist, nicht zwingend zur Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung.
V. Nutzung eines fremden eBay-Accounts
OLG Celle, Urteil vom 09. Juli 2014 – 4 U 24/14

1. Werden unter Nutzung eines fremden eBay-Mitgliedskontos auf den Abschluss eines Vertrages gerichtete Erklärungen abgegeben, liegt ein Handeln unter fremdem Namen vor, auf das die Regeln über die Stellvertretung sowie die Grundsätze der Anscheins- oder der Duldungsvollmacht entsprechend anzuwenden sind.

Diese Rechtsprechung sollte bereits bekannt sein, s. BGH, 11. Mai 2011, VIII ZR 289/09, BGHZ 189, 346 und unsere Besprechung.
VI. Teilnahme mit falschen persönlichen Daten nicht möglich

AG Kerpen, Urteil vom 27. Juni 2014 – 104 C 106/14

Meldet sich ein Nutzer unter Angabe von falschen persönlichen Daten (hier: Angabe von fingierten Daten, die auf eine nicht existierende Person verweisen) bei eBay an, so kann er nicht in rechtlicher wirksamer Weise an Auktionen teilnehmen. Die Offerte zur Abgabe eines Angebots richten sich nämlich nur an solche Personen, die sich unter Einhaltung der Nutzungsbedingungen bei eBay angemeldet haben. Den Nutzungsbedingungen von eBay kommt daher nicht nur für die Frage Bedeutung zu, unter welchen Umständen eine Auktion abgebrochen werden kann (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Juni 2011, VIII ZR 305/10, NJW 2011, 2643), sondern auch dafür, ob überhaupt ein Vertrag zustandegekommen ist

Wichtig: Ebay-AGB wirken vollumfänglich, auch hinsichtlich der teilnahmeberechtigten Personen.
VII. Rechtsmissbräuchliches Verhalten bei mangelndem Kaufinteresse

OLG Rostock, Urteil vom 11. Juni 2014 – 1 U 90/13

Der klageweisen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 Satz 1, 433 BGB bei einer ohne gerechtfertigten Grund abgebrochenen „eBay-Auktion“ vermag der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen zu stehen, wenn sich feststellen lässt, dass es dem Teilnehmer an der Auktion nicht um den erfolgreichen Abschluss eines Kaufgeschäftes, sondern um die „Generierung“ von Schadensersatzansprüchen geht.
Solches kann der Fall sein, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles – insbesondere durch die in einer unbekannten Vielzahl von Fällen geübte Rechtsverfolgung gegenüber „eBay-Anbietern“ nach einem Auktionsabbruch – der Eindruck aufdrängt, dass es an einem ehrlichen Kaufinteresse mangelt und stattdessen systematisch nach Fehlern und Irrtümern von Anbietern gesucht wird, um deren Verhalten in der Absicht der Gewinnerzielung auszunutzen.

Wichtig: Rechtsmissbräuchliches Verhalten – vergleichbar dem AGG-Hopping – kann Sekundäransprüche ausschließen.
Zuletzt sei noch auf OLG Hamm, Urteil vom 30. Oktober 2014 – I-28 U 199/13, 28 U 199/13 hingewiesen, der sich ideal als Übungsfall anbietet.

03.06.2015/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-06-03 08:45:422015-06-03 08:45:42Aktueller Rechtsprechungsüberblick „eBay“ – Neuestes und Allerneuestes
Gastautor

Jur:Next Urteil: Schadensersatz bei vorzeitigem Abbruch der Ebay-Auktion – Wer riskiert, kann auch verlieren!

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Der nachfolgende Beitrag stammt aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next und befasst sich mit auf der Online-Plattform Ebay geschlossenen Verträgen anhand eines aktuellen Urteils des Bundesgerichtshofs.
 
BGH Urteil vom 12. November 2014 – VIII ZR 42/14: Wirksamkeit eines im Rahmen einer Internetauktion geschlossenen Vertrages (Ebay), bei dem ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, Schadensersatzansprüche bei Abbruch der Auktion
Fundstelle: Entscheidungsdatenbank des BGH (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=dcdadd3cdd2a6d09300a7ac388cee621&nr=69628&pos=0&anz=1)
 
I. Problemaufriss
Aktuell gibt es beim BGH zwei wichtige Entscheidungen zum Thema Abbruch von Internetauktionen bei Ebay sowie deren Folgen. In beiden Entscheidungen wird deutlich, dass es ein „Reuerecht“ des Verkäufers bei ungünstiger Entwicklung seines Angebots nicht gibt. Wenn er bewusst einen Startpreis weit unter Wert festsetzt ohne Angabe eines Mindestkaufpreises, so schützt ihn die Rechtsordnung nicht vor der Enttäuschung bei einem wirtschaftlich ungünstigen Ausgang der Auktion:
1) BGH vom 12. November 2014 – VIII ZR 42/14 (hier besprochene Entscheidung)
2) BGH vom 10. Dezember 2014 – VIII ZR 90/14 (Auslegung der Ebay-AGB a.F. bei vorzeitiger Beendigung des Angebots)
Kernfrage beider Entscheidungen ist, wann der Abbruch einer Auktion bei Ebay berechtigt ist und was die Folge eines unberechtigten Abbruchs ist. Bei der hier nicht besprochenen BGH Entscheidung werden die damals geltenden AGB von Ebay zum Thema Abbruch von Auktionen Punkt für Punkt ausgelegt. Streitpunkt war die damalige Formulierung bei Ebay, dass Angebote, die noch länger als 12 Stunden laufen, „ohne Einschränkungen“ vorzeitig beendet werden dürfen. Diese Formulierung muss jedoch laut BGH im Kontext der gesamten AGB gelesen werden, wonach Angebote eben nur aus bestimmten, näher definierten Gründen (z.B. Zerstörung oder Verlust der Sache) abgebrochen werden dürfen.
Ebay hat infolge dieser BGH-Entscheidung seine zumindest irreführenden AGB überarbeitet und in diesem Punkt komplett abgeändert. Diese Entscheidungen sind sehr praxisrelevant und auch für das Examen zentral von Bedeutung, da diese Konstellation sehr häufig vorkommen dürfte. Die Lektüre der anderen, hier nicht besprochenen Entscheidung des BGH ist daher dringend ratsam.
Das hier behandelte Urteil des BGH stellt die Frage in den Mittelpunkt, ob bei einem bindenden Gebot weit unter dem tatsächlichen Marktpreis der Vertrag gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 242 BGB unwirksam ist. Der BGH verneint dies und billigt im Ergebnis dem Bieter bei einer unberechtigt abgebrochenen Auktion einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB zu. Der BGH hat die Revision des Beklagten daher zurück gewiesen.
II. Sachverhalt
Streitgegenstand sind Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten für dessen vorzeitig abgebrochenes Ebay-Angebot.
Der Beklagte stellte am Abend des 24. Mai 2012 einen gebrauchten VW Passat für 10 Tage zur Internetauktion bei Ebay mit einem Startpreis von 1 € ein. Einen Mindestpreis legte er nicht fest. Der Kläger nahm das Angebot wenige Minuten später an, wobei er ein Maximalgebot von 555,55 € festlegte. Nach rund 7 Stunden brach der Beklagte die Auktion ab. Zu dieser Zeit war der Kläger der einzige Bieter. Auf dessen Nachfrage teilte der Beklagte mit, dass er einen Käufer außerhalb der Auktion gefunden habe.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 5.249 € mit der Behauptung in Anspruch, dass das Fahrzeug 5.250 € wert gewesen sei. Die Klage hat vor dem LG dem Grunde nach Erfolg gehabt. Das OLG hat die Berufung des Beklagten hiergegen abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die zulässige Revision hat keinen Erfolg und wird daher vom BGH zurückgewiesen.
III. Entscheidung des Gerichts
Das Gericht weist die zulässige Revision als unbegründet zurück, weil dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch des Klägers aufgrund der unberechtigt abgebrochenen Auktion besteht gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 und Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB.
Das Gericht prüft die Wirksamkeit des Vertrages vorbildlich wie in einer Examensklausur.
1. Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag über das Fahrzeug entstanden durch Angebot und Annahme. Der Beklagte hat das Angebot ohne berechtigenden Grund vorzeitig abgebrochen (Genaueres findet sich hierzu im Urteil nicht, da die Feststellungen der Vorinstanz hier nicht angegriffen wurden. Hier wäre ggf. zu prüfen, ob der Abbruch berechtigt erfolgte z.B. wegen Zerstörung oder Verlust der Sache, siehe AGB a.F. von Ebay).
2. Eine Anfechtung des Vertrages durch den Beklagten nach §§ 119 ff. BGB wegen Irrtums greift nicht durch, da ein Irrtum nicht ersichtlich ist. Der Beklagte war daher nicht zur Anfechtung berechtigt.
3. Der Schadensersatzanspruch scheitert auch nicht an § 138 BGB. Der geschlossene Kaufvertrag ist nicht als wucherähnliches Rechtsgeschäft wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Zwischen dem Maximalgebot des Beklagten von 555,55 € und dem tatsächlichen Marktwert des Fahrzeugs besteht zwar ein enormes, grobes Missverhältnis. Bei einer Internetauktion rechtfertigt dies allein jedoch nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, aus denen auf eine verwerfliche Gesinnung geschlossen werden kann.
Die Begrenzung des Maximalgebotes auf 555,55 € – also deutlich unter dem Marktpreis – ist sittlich nicht zu missbilligen. Der Bieter muss sein Maximalgebot nicht am Marktpreis ausrichten. Es ist gerade Sinn und Reiz der Internetauktion bei Ebay, „Schnäppchen“ zu schlagen und Sachen unter Marktpreis zu ersteigern. Umgekehrt hat der Bieter die Chance, eine Sache durch den Mechanismus des Überbietens über Wert zu verkaufen.
4. Auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB greift nicht durch. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles und muss auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.
Das Gebot des Käufers unter Marktwert ist keine unzulässige Rechtsausübung. Denn es ist Sache des Verkäufers, sein Risiko, weit unter Wert zu verkaufen, durch Eingabe eines Mindestkaufpreises zu reduzieren. Der Beklagte ist vorliegend dieses Risiko ganz bewusst eingegangen, da er das Fahrzeug für 1 € eingestellt hat und keinen Mindestverkaufspreis festgelegt hat. Dieses selbst eingegangene Risiko hat sich vorliegend durch den unberechtigten Abbruch durch den Beklagten selbst voll verwirklicht und stellt damit keine unzulässige Rechtsausübung dar. Der Beklagte hat die Ursache gesetzt und muss die Konsequenzen folgerichtig tragen.
IV. Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung des Gerichts überzeugt. Das Gericht prüft Schritt für Schritt beinahe wie in einer Examensklausur die Wirksamkeit des Vertrages. Dabei kommt es konsequent zu dem Ergebnis, dass der Kaufvertrag entgegen §§ 138 Abs. 1, 242 BGB wirksam ist. Da der Beklagte die Sache anderweitig veräußert hat, steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung zu.
V. Examensrelevanz
Die Entscheidung zeichnet insgesamt eine sehr leichte Lesbarkeit aus. Die Urteilsbegründung ist aus sich heraus sehr gut verständlich. Das gleiche gilt für die Parallelentscheidung des BGH, in der die AGB a.F. von Ebay durchgeprüft und ausgelegt werden. Daher können beide Entscheidungen gut als Vorlage für eine Examensklausur herangezogen werden.
Beide Entscheidungen haben Examensrelevanz. Zum eine muss der Bearbeiter BGB AT prüfen (Kaufvertrag bei Ebay, Anfechtung, §§ 138, 242 BGB). Zum anderen kann das AGB-Recht eingehend geprüft werden. Die Tatsache, dass eine Regelung der AGB von Ebay, die ja nicht Vertragsbestandteil zwischen den Parteien sind, zur Auslegung herangezogen wird, ist spannend. Außerdem legt der BGH eine eigentlich eindeutige Regelung, wonach Angebote, die noch länger als 12 Stunden andauern, ohne Einschränkungen abgebrochen werden dürfen, im Kontext der übrigen AGB aus. Eigentlich contra Wortlaut braucht es laut BGH doch eines berechtigten Grundes zum Abbruch. Diese höchstrichterliche Rechtsanwendung wird nicht jedem Bearbeiter ins Auge springen und ist daher besonders zur Verwendung im Examen geeignet.
Hinweis: Eine gute Zusammenfassung der Urteile findet sich bei JM (Juris Monatszeitschrift) 04, 2015 Seite 152 ff.
 

02.05.2015/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-05-02 09:01:052015-05-02 09:01:05Jur:Next Urteil: Schadensersatz bei vorzeitigem Abbruch der Ebay-Auktion – Wer riskiert, kann auch verlieren!
Gastautor

Prüfungsgespräch Zivilrecht – Schadensersatz und Whistleblowing

Arbeitsrecht, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute erneut einen Gastbeitrag von Jonas Hensinger veröffentlichen zu können. Der Autor des Beitrags hat in Heidelberg Jura studiert und absolviert aktuell sein Referendariat am LG Stuttgart. Der Beitrag befasst sich diesmal mit einem (fiktiven) Prüfungsgespräch, wie es im Rahmen der mündlichen Prüfung im Zivilrecht durchaus vorkommen könnte.
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur mündlichen Prüfung im Zivilrecht. Zum Einstieg will ich Ihnen einen Fall schildern, über den zuletzt das OLG Frankfurt am Main (Urt. v. 8.5.2014, Az: 16 U 175/13) zu entscheiden hatte.
P ist selbständiger Personalberater. Der Unternehmer U beauftragt P mit der Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit für eine offene Stelle. P macht die Bewerberin B als exzellentes Nachwuchstalent ausfindig und leitet deren Bewerbungsunterlagen an U weiter. Daraufhin teilt U dem P lächelnd mit, für die offene Stelle kämen viele in Betracht, aber bitte bloß keine Frau. P ist ein Ritter der Gerechtigkeit und echauffiert sich hierüber so sehr, dass er den Vertrag mit U sofort beendet. Anschließend erläutert er der B den wahren Grund ihrer Ablehnung und rät ihr, wegen der Absage gerichtlich vorzugehen. Dem folgend klagt B gegen U und schließt mit diesem letztendlich einen Vergleich über eine Entschädigung in Höhe von 8.500 €. U wittert Verrat und klagt nun seinerseits gegen P auf Ersatz der 8.500 € sowie aller ihm entstandenen Anwaltskosten.
Hinweis: Bei diesem Sachverhalt wäre es den Prüflingen wie auch in anderen Dreieckskonstellationen dringend anzuraten, sich die Rechtsverhältnisse der Parteien zur Vermeidung von Verwechslungen vorab kurz zu skizzieren.
P1, können Sie sich vorstellen, auf welcher Grundlage Ersatzansprüche des U gegen P bestehen könnten?
Als Anspruchsgrundlage kommt für mich spontan nur ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus §§ 280, 241 II BGB in Betracht.
Sehr richtig! Auch wenn das hier kaum von Relevanz ist, um welchen Vertragstyp handelt es sich Ihrer Auffassung nach zwischen P und U?
Von einem Arbeitsvertrag zwischen P und U kann angesichts der Selbständigkeit des P keine Rede sein. Grundsätzlich steht hier ein Beratervertrag im Raum, der nach allgemeiner Ansicht als Dienstvertrag i.S.d. § 611 BGB angesehen wird. Wegen der Nachweis- und Vermittlungstätigkeit ließe sich jedoch auch an einen Maklervertrag gem. § 652 I 1 BGB denken. Im Ergebnis halte ich es daher für angebracht, von einem typengemischten Vertrag im Sinne eines Maklerdienstvertrages auszugehen.
Das ist so durchaus vertretbar! P2, wie lautet der nächste Prüfungspunkt und welche Probleme ergeben sich hier?
P müsste seine vertraglichen Pflichten verletzt haben. Aus § 241 II BGB ergeben sich nebenvertragliche Rücksichtnahmepflichten des P. Als eine solche ist auch die Treue- und Verschwiegenheitspflicht des P anzusehen. Diese gebietet eine strikte Diskretion hinsichtlich vertraulicher Informationen, wie sie bei der Kommunikation zwischen P und U über die Bewerberauswahl ausgetauscht wurden. Gerade Verschwiegenheitspflichten beschränken sich nicht wie Hauptleistungspflichten auf die Zeit des Vollzugs des Vertragsverhältnisses, sondern sind auch als nachvertragliche Pflichten noch zu beachten. Bei der Frage, ob P seine Pflichten gegenüber U verletzt hat, sollte aber auch das beachtenswerte Motiv des P nicht unberücksichtigt bleiben.
Unbedingt! Aber wo würden Sie denn diese Thematik dogmatisch verorten?
Ich schlage vor, bei der Pflichtverletzung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit zu unterscheiden. Denn jede Pflichtverletzung i.S.d. § 280 I BGB setzt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zugleich deren Rechtswidrigkeit voraus. Diese wird zwar im Regelfall durch die Verwirklichung des Tatbestands indiziert. Sie kann beim Eingreifen von Rechtfertigungsgründen aber auch ausnahmsweise zu verneinen sein.
So sehe ich das auch. Kommt Ihnen diese Unterscheidung bekannt vor?
Ja, im Rahmen des § 823 I BGB ist diese Unterscheidung bereits im Gesetzeswortlaut verankert. Im Regelfall wird zwar auch hier die Rechtswidrigkeit einer Rechtsgutsverletzung indiziert. Gerade bei den Rahmenrechten des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Rechts am ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb ist aber ausnahmsweise von einem offenen Tatbestand auszugehen, bei dem die Rechtswidrigkeit im Wege einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung positiv festgestellt werden muss.
P3, welcher Rechtfertigungsgrund kommen auf Seiten des P in Betracht?
Eine Nothilfe gem. § 227 BGB scheitert bereits aufgrund des abgeschlossenen Angriffs des U auf die Interessen der B. Auch eine rechtfertigende Pflichtenkollision liegt fern, da P gegenüber der B nicht zur Auskunft über etwaige Ablehnungsgründe verpflichtet war. P könnte sich jedoch unter dem Gesichtspunkt des Whistleblowing auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen.
Der Begriff des Whistleblowing ist nicht erst seit Julian Assange und Edward Snowden in aller Munde. In welchem Rechtsgebiet trifft man klassischerweise auf ähnlich gelagerte Fälle und wie werden die Fälle dort behandelt?
Die klassischen Fallkonstellationen des Whistleblowing treten im Arbeitsrecht auf. Hier geht es meist um die Anzeige strafrechtlich relevanter betriebsinterner Sachverhalte durch einzelne Arbeitnehmer. Insbesondere spielt hier die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte eine große Rolle. So ist stets das Ziel einer praktischen Konkordanz zwischen den staatsbürgerlichen Rechten des Einzelnen aus Art. 2 I, 20 III GG und der Berufsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 GG zu verfolgen. Dabei muss es sich bei Erstattung der Strafanzeige stets um eine verhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers auf ein Fehlverhalten des Arbeitgebers handeln.
Wo sehen Sie hier Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu unserem Fall?
Zunächst einmal steht U mit P in keinem Arbeits-, sondern nur in einem Dienstverhältnis. Außerdem hat U hier keine Straftat begangen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sowohl bei der Verfolgung privater Entschädigungsansprüche als auch bei der Strafverfolgung ein Gewaltmonopol des Staates besteht. Wie die Staatsanwaltschaft bei einer Anklage, so ist auch der private Kläger auf die Kenntnis derjenigen Tatsachen angewiesen, die seine Klage begründen.
Entscheiden wir uns nun dennoch für eine vorsätzliche rechtswidrige Pflichtverletzung! P1, wie lautet der nächste Prüfungspunkt?
Zu prüfen ist nun, ob die Verpflichtung zur Zahlung der Vergleichssumme sowie die Anwaltskosten einen adäquat-kausalen Schaden auf Seiten des U darstellen. An der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung ergeben sich keine Zweifel. Unter dem Gesichtspunkt der Adäquanz ließe sich hier an eine Parallele zu den Herausforderungsfällen denken. Demnach sind auch die Folgen einer vernünftigen Reaktion auf die Pflichtverletzung vom Schadensumfang erfasst. War der Vergleichsabschluss also prozesstaktisch geboten, ergeben sich hier keine Zweifel.
Beleuchten wir den damaligen Prozess zwischen B und U einmal näher. Welches Gericht war hier zuständig und woraus ergibt sich ein Entschädigungsanspruch der B?
Zuständig war hier ein Arbeitsgericht, da gem. § 2 I Nr. 3 c ArbGG bei Rechtsstreitigkeiten aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist. Der Entschädigungsanspruch der P folgt aus § 15 II AGG. Der Anwendungsbereich des AGG ist in sachlicher Hinsicht gem. § 2 I Nr. 1 AGG und in persönlicher Hinsicht gem. § 6 I 2 AGG eröffnet. Seine Ablehnungsentscheidung hat U an das verpönte Merkmal des Geschlechts i.S.d. § 1 AGG angeknüpft und damit gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG verstoßen.
Sehr gut! P2, bitte erläutern Sie unseren letzten Prüfungspunkt.
U könnte durch sein AGG-widriges Verhalten ein Mitverschulden gem. § 254 I BGB in Bezug auf seinen Haftungsschaden zur Last fallen. Probleme ergeben sich unter diesem Gesichtspunkt jedoch, wenn man den Gedanken des Schutzzwecks der Norm spiegelbildlich auch auf Geschädigtenseite anwendet. Das Diskriminierungsverbot des § 7 AGG soll ja B vor U schützen und nicht den P von einer Haftung wegen Verschwiegenheitspflichtverletzungen freistellen.
Ich teile Ihre Bedenken durchaus. Nehmen wir also an, die Schadensersatzpflicht des P gegenüber U besteht in voller Höhe. Sie sind der Anwalt des P und wollen das Karussell weiter drehen. Kann P bei B Regress nehmen? Und was wäre P prozesstaktisch zu raten?
Möglicherweise könnten P gegenüber B infolge der Auskunft Ersatzansprüche aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zustehen. Die Weitergabe von Informationen, welche den Interessenkreis des Adressaten berühren, stellt zumindest ein auch-fremdes Geschäft dar. Sie geschah hier wohl auch im Interesse der P und mit deren Willen. Die Haftung des P gegenüber B ist als typischer Begleitschaden der Auskunft analog § 670 BGB ersatzfähig. Bei der Frage, ob P die Auskunft analog § 670 BGB für erforderlich halten durfte, wären dann wohl dieselben Abwägungsgesichtspunkte zu berücksichtigen, wie bei der Frage der rechtswidrigen Pflichtverletzung des P gegenüber U. Insofern würde ich dem P als dessen Anwalt gerade nicht raten, der B im Prozess gegen U gem. § 72 ZPO den Streit zu verkünden, da hier die Interventionswirkung der §§ 74 I, 68 ZPO für den Folgeprozess des P gegen B womöglich von Nachteil wäre.
Richtig gesehen! Im Originalfall hat das OLG als Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen. P3, haben Sie hier Bedenken? Wie könnte sich P gegen diese Entscheidung wehren?
Gem. § 543 II 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Der Sachverhalt wirft hier viele entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfragen auf, die über den Einzelfall hinaus auch in ähnlichen Konstellationen des Whistleblowing eine Rolle spielen und deshalb von allgemeiner Bedeutung sind. Insofern erscheint die Nichtzulassung der Revision zumindest zweifelhaft. Dagegen könnte sich P mit dem Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO wehren, über die dann der BGH als Revisionsgericht zu entscheiden hätte.
Vielen Dank, das war’s auch schon! Die Prüfung ist hiermit beendet!

02.04.2015/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-04-02 10:30:492015-04-02 10:30:49Prüfungsgespräch Zivilrecht – Schadensersatz und Whistleblowing
Gastautor

LG Stuttgart: Kein Schadensersatz für Stefan Mappus wegen EnBW-Deal

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Jonas Hensinger veröffentlichen zu können. Der Autor des Beitrags hat in Heidelberg Jura studiert und absolviert aktuell sein Referendariat am LG Stuttgart.
Das Landgericht Stuttgart (Urt.v. 24.02.2015, Az. 9 O 108/14) hat entschieden, dass dem ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg Stefan Mappus keine Schadensersatzansprüche gegen die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz wegen Falschberatung beim Kauf von EnBW-Anteilen vom französischen Energiekonzern EDF zustehen. Das Urteil hat nicht nur medial ein hohes Interesse hervorgerufen. Seine Bezüge zum „beliebten“ Examensthema des „Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter“ machen den Fall auch für künftige Examenskandidaten interessant.
I. Sachverhalt
In der EnBW-Affäre geht es um den Rückkauf eines EnBW-Aktienpaketes von der französischen Électricité de France (EDF), den die baden-württembergische Landesregierung Ende 2010 auf Betreiben des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus unter Verweis auf ein angebliches Notbewilligungsrecht ohne Einbeziehung des Landtags abwickelte. Dabei agierte die Investmentbank Morgan Stanley als Berater der Landesregierung. Für die rechtlichen Aspekte des Geschäftes beauftragte Morgan Stanley die Kanzlei Gleiss Lutz.
Juristisch ist der Fall auf mehreren Themengebieten spannend. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht wirft die Umgehung des Landtags beim Rückkauf der EnBW-Anteile zunächst die Frage der Verfassungswidrigkeit des Vorgehens auf, welche vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. 06.10.2011, Az. GR 2/11) wegen Verstoß gegen Art. 81 LV BW bejaht wurde. Auch zog der Fall strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts der Untreue nach sich, weil Mappus mit 4,7 Milliarden Euro möglicherweise zu viel für die EnBW-Anteile bezahlt und damit dem Vermögen des Landes Baden-Württemberg Schaden zugefügt hatte. Die Ermittlungen wurden jedoch am 28.10.2014 eingestellt.
Schließlich hatte sich das Landgericht Stuttgart mit zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen des Stefan Mappus gegen die Kanzlei Gleiss Lutz und deren Anwalt Martin Schockenhoff wegen einer anwaltlichen Fehlberatung zu befassen. Mit dieser Frage soll sich dieser Beitrag befassen.
II. Rechtslage
Das LG Stuttgart hat das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs verneint.
1. Schuldverhältnis unmittelbar?
Da das BGB für Beratungsverträge keine speziellen Vorschriften eines Gewährleistungsrechts kennt, kommt allein ein Anspruch direkt aus § 280 I BGB in Betracht. Dieser setzt zunächst ein Schuldverhältnis voraus. Der Anwaltsvertrag wird von der ständigen Rechtsprechung als Geschäftsbesorgungsvertrag gem. §§ 611, 675 BGB aufgefasst. Einen solchen Vertrag hat aber nicht Stefan Mappus selbst, sondern das Land Baden-Württemberg mit der Kanzlei abgeschlossen.
2. Schuldverhältnis von Dritten?
Eigene Schadensersatzansprüche des Stefan Mappus kommen daher allenfalls aus § 280 I BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSzD)in Betracht. Dabei setzt die Einbeziehung des Dritten in die Schutzwirkung eines Vertrags die Leistungsnähe des Dritten, ein Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, die Erkennbarkeit für den Schuldner sowie die Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus. Für nähere Details ist der Beitrag auf https://red.ab7.dev/ubersicht-vertrag-mit-schutzwirkung-zugunsten-dritter/ zu empfehlen.
Das LG Stuttgart hat im vorliegenden Fall bereits das Merkmal der Leistungsnähe verneint. Dieses setzt voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der vertraglichen Hauptleistung in Berührung kommt und nach der Anlage des Vertrags den Leistungsgefahren in ähnlicher Weise ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst. Es muss sich daher um ein Leistungsverhältnis handeln, das inhaltlich drittbezogen ist. Ein bloß zufälliger Leistungskontakt genügt nicht.
Anwaltsverträge tauchen recht häufig in Verbindung mit Fällen des VSzD auf. Dabei besteht die Leistungsnähe grundsätzlich aber nur gegenüber solchen Dritten, deren Vermögensinteressen durch die Rechtsberatung oder Geschäftsbesorgung gewahrt werden sollen. So hat der BGH beispielsweise den Anwaltsvertrag eines Mieterschutzvereins zugunsten des eigentlich zu beratenden Mitglieds als drittschützend angesehen. Auch eine Schutzwirkung zugunsten der vorgesehen Erben bei der Erarbeitung eines Testamentsentwurfs hat der BGH bereits bejaht.
Im Gegensatz hierzu sind in der vorliegenden Konstellation die Vermögensinteressen des Stefan Mappus nicht unmittelbar betroffen. Eine persönliche Haftung des Ministerpräsidenten für Verfassungsverstöße ist ausgeschlossen. Auch der zweifellos erlittene Imageschaden des Stefan Mappus weist keinen unmittelbar vermögensrelevanten Bezug auf. Allenfalls könnte man darauf abstellen, Mappus habe aufgrund der Falschberatung hohe Anwaltskosten bei der politischen und strafrechtlichen Aufarbeitung des EnBW-Deals begleichen müssen bzw. Einkommensnachteile bei künftigen Tätigkeiten erlitten. Diese entspringen aber keiner bestimmungsgemäßen Berührung mit Beratungspflichten mehr. Bei der Beratung ging es vielmehr um Fragen eines verfassungsmäßigen Vorgehens der Landesregierung, welche privates Vermögen nicht einmal am Rande tangieren. Das Merkmal der Leistungsnähe bezweckt gerade die Vermeidung uferloser Haftungsrisiken des Schuldners. Auf eine rein kausale Verknüpfung entstandener Nachteile mit der Verletzung von Hauptleistungspflichten kann sich daher allenfalls der unmittelbare Vertragspartner, nicht jedoch ein beliebiger Dritter berufen.
Insbesondere für den Fall, dass eine Anwaltskanzlei eine öffentlich-rechtliche Körperschaft berät, erscheint eine klare Trennung der Vermögenssphären von Körperschaft und vertretungsberechtigter Privatperson sachgerecht. Anders als zwischen einem Verein und dessen Mitglied oder einem Erblasser und dessen Erben bestehen hier gerade keine wirtschaftlichen Verflechtungen.
Selbst wenn man aber das Merkmal der Leistungsnähe auf Seiten des Stefan Mappus noch bejahen würde, wäre spätestens beim Einbeziehungsinteresse des Landes Baden-Württemberg Schluss. Denn dieses würde zumindest voraussetzen, dass das Land an der Einbeziehung seines Ministerpräsidenten in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages ein besonderes Interesse hat und der Vertrag dahin ausgelegt werden kann, dass der Vertragsschutz in Anerkennung dieses Interesses auf den Dritten ausgedehnt werden soll. Woraus ein solches besonderes Interesse des Landes Baden-Württemberg resultieren soll, leuchtet aber beim besten Willen nicht ein.
III. Fazit
Das Urteil des LG Stuttgart setzt der Einbeziehung eines Dritten in die Schutzwirkung eines Anwaltsvertrages eine klare Grenze. Dies ist zur Vermeidung unvorhersehbarer Haftungsrisiken des Anwalts zu begrüßen und wird auf Seiten von Anwälten, Kanzleien und deren Haftpflichtversicherern dankbar zur Kenntnis genommen werden.

25.02.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-02-25 10:13:512015-02-25 10:13:51LG Stuttgart: Kein Schadensersatz für Stefan Mappus wegen EnBW-Deal
Tom Stiebert

BGH: (Unzulässiger) Abbruch einer Internetauktion führt zu Schadensersatz

AGB-Recht, BGB AT, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Der Bundesgerichtshof hatte sich in einem Urteil vom 12.11.2014 (Az. VIII ZR 42/14) mit den Folgen eines Abbruchs einer „Auktion“ auf dem Portal e-bay zu befassen. Zu klären war insbesondere, ob der zum Zeitpunkt des Abbruchs Höchstbietende einen vertraglichen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache (Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung) bzw. bei einer entsprechenden Weigerung des Verkäufers auf Schadensersatz hat. Obgleich naturgemäß die Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs noch nicht vorliegen, zeigt die Pressemitteilung sehr deutlich, auf welchen Pfaden sich das Gericht bewegt hat.
Letztlich geht es – auch für die Klausur äußerst relevant – um die bekannte Frage, ob und natürlich auch wie im konkreten Fall ein Kaufvertrag zustandegekommen sein kann.
I. Sachverhalt
Dem Urteil lag (verkürzt) folgenden Sachverhalt zu Grunde:
V bietet seinen Gebrauchtwagen bei eBay zum Kauf an und setzte ein Mindestgebot von 1 € fest. K bietet hierauf 1 € für den Pkw und setzt eine Preisobergrenze von 500 €. Wenig später bricht V die eBay-Auktion ab (ein Recht hierzu bestand nach den ebay-AGB nicht) und teilt dem K, der weiterhin mit seinem Anfangsgebot von 1 Euro Höchstbietender war, mit, er habe außerhalb der Auktion einen Käufer gefunden, der bereit sei, 5.000 € zu zahlen. Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen Nichterfüllung des nach seiner Ansicht wirksam zu einem Kaufpreis von 1 € geschlossenen Kaufvertrags und macht geltend, der Pkw habe einen Wert von 5.250 €.
Zu Recht?
II. Lösung
Entscheidend ist hier natürlich, ob durch die Abgabe des Gebots von 1 Euro bereits ein Kaufvertrag zwischen V und K zustandegekommen ist und ob dieser ggf. durch die Beendigung der Auktion nachträglich wieder beseitigt wurde.
Vorab sollte an dieser Stelle klargestellt werden, dass auch im Rahmen einer Versteigerung bei ebay ein Kaufvertrag durch die allgemeinen Grundsätze von Angebot und Annahme (§§ 145 ff BGB) und nicht etwa nach dem § 156 BGB  durch Zuschlag zustandekommt. Es handelt sich nicht um eine Versteigerung in diesem Sinne.
1. Vertragsschluss bei ebay
An dieser Stelle ist dann zumindest eine Auseinandersetzung mit der Frage geboten, wie im konkreten Fall ein Vertrag zustandegekommen ist. Hier scheint es mittlerweile die klare Linie der Rechtssprechung zu sein, dass das Einstellen des Angebots auf die Plattform nicht allein eine invitatio ad offerendum sondern bereits ein Angebot (oder aber eine antizipierte Annahmeerklärung) darstellt und zwar auflösend bedingt bezogen auf jedes konkrete Angebot potentieller Käufer. Mit jedem Gebot kommt somit – sofern es aktuell das Höchstbietende ist – ein Kaufvertrag zustande, der aber auflösend bedingt ist (§ 158 Abs. 2 BGB) bzgl. eines höheren Gebotes.
Die Vorinstanz hat dies – im Examen sollte man dies auf jeden Fall vermeiden – nur kurz festgestellt.
Letztlich sind hier die genauen dogmatischen Begründungen weiterhin unklar; es steht lediglich fest, dass mit jedem Höchstbietenden zunächst ein Vertrag besteht.
Zur Vertiefung seien folgende Urteile empfohlen:

  • BGH v. 8.6.2011 – VIII ZR 305/10
  • OLG Hamm v. 10.01.2012 – I-4 U 145/11, siehe hierzu unsere Artikel: Artikel 1 und Artikel 2
  • OLG Hamm v. 4.11.2013, 2 U 94/13, siehe hierzu unseren Artikel

Man darf gespannt sein, wie sich der BGH nun zu dieser spannenden Frage äußert.
2. Exkurs: Auswirkungen auf Widerrufsrecht
Allerdings hat diese Frage durch die Änderung des Verbraucherschutzrechts der §§ 355 ff BGB an Relevanz verloren. Nach dem bis Juli geltenden Recht musste nach § 355 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. die Widerrufsbelehrung unverzüglich nach Vertragsschluss erfolgen, da sich sonst die Widerrufsfrist von zwei Wochen auf einem Monat verlängerte (§ 355 Abs. 2 S. 3 BGB a.F.). Diese Regelung ist nicht mehr enthalten; die Frist beträgt jetzt stets zwei Wochen. Fristbeginn ist nunmehr nach § 355 Abs. 2 BGB der Zeitpunkt des Vertragsschlusses; dies wird aber von § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB insofern modifiziert, dass der Erhalt der Ware entscheidend ist, sodass es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ankommt. Selbstverständlich beginnt auch hier die Frist erst mit Zusendung einer entsprechenden Belehrung (nunmehr § 356 Abs. 3 BGB).
3. (Nachträgliche) Unwirksamkeit des Vertrags
Fraglich ist aber, ob der Kaufvertrag nicht (nachträglich) unwirksam geworden ist. Anknüpfungspunkt könnte hier zum einen die Beendigung der Auktion und zum anderen das Missverhältnis zwischen Kaufpreis (1 Euro) und Wert (5.000 Euro) sein.
Mit der Frage, ob der Kaufvertrag durch die Beendigung der Auktion beseitigt wurde, hat sich das Gericht wohl zurecht nicht befasst, da hier offensichtlich – auch nach den ebay-AGB – ein entsprechendes Recht nicht bestanden hat. Auch ein Anfechtungsrecht steht dem Verkäufer hier nicht zu; ein entsprechender zur Anfechtung berechtigender Irrtum ist nicht ersichtlich. Der Verkäufer hat die Auktion hier somit zu Unrecht beendet, sodass hieraus keine Änderungen für den Kaufvertrag erwachsen können.
Anders würde sich die Situation ggf. dann darstellen, wenn dem Verkäufer ein Anfechtungsrecht nach dem BGB zustehen würde. Letztlich bilden die ebay-AGB diese Anfechtungsgründe nach, sodass hierauf nicht zurückgegriffen werden muss. Anders hat dies noch das OLG Hamm gelöst (siehe hierzu unsere Besprechung). Dieser Fall darf nicht mit dem hiesigen verwechselt werden.
Es bleibt damit allein eine mögliche Unwirksamkeit nach dem § 138 Abs. 1 BGB. Ein wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB liegt bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dann vor, wenn eine verwerfliche Gesinnung hinzutritt. Eine solche wird dann vermutet, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Dies liegt dann vor, wenn der Wert der Leistung den der Gegenleistung um mindestens 100% übersteigt. Letzteres ist hier erfüllt. Im Rahmen von Online-Auktionen ist aber Abweichendes geboten, wie der BGH bereits mit Urteil vom 28.03.2012 (VIII ZR 244/10) festgestellt hat:

Der Schluss von dem besonders groben Äquivalenzmissverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten leitet sich aus dem Erfahrungssatz her, dass außergewöhnliche Leistungen in der Regel nicht ohne Not oder einen anderen den Benachteiligten hemmenden Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt (BGH, Urteile vom 19. Januar 2001 – V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 302 f.; vom 5. Oktober 2001 – V ZR 237/00, NJW 2002, 429 unter II 2 d bb (3); jew. mwN). Von einem solchen Beweisanzeichen kann indes bei einer Onlineauktion nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Denn die Situation einer Internetversteigerung unterscheidet sich grundlegend von den bisher entschiedenen Fällen, in denen sich in den Vertragsverhandlungen, die zu den Zugeständnissen der objektiv benachteiligten Seite führten, nur die Vertragspartner gegenüberstanden.

Dies wird im aktuellen Urteil laut der Pressemitteilung nochmals wiederholt:

Bei einer Internetauktion rechtfertigt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Maximalgebot des Käufers und dem Wert des Versteigerungsobjekts nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB. Es macht gerade den Reiz einer Internetauktion aus, den Auktionsgegenstand zu einem „Schnäppchenpreis“ zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt, einen für ihn vorteilhaften Preis im Wege des Überbietens zu erzielen. Besondere Umstände, aus denen auf eine verwerfliche Gesinnung des Klägers geschlossen werden könnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Der Vertrag bleibt also wirksam, sodass der Kläger einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des PKW Zug-um-Zug gegen Zahlung von 1 Euro hat. Da sich der Verkäufer ernsthaft und endgültig weigert diesen Anspruch zu erfüllen, steht dem Käufer ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 4.999 Euro zu.
III. Examensrelevanz
Käufe im Internet insbesondere über Auktionshäuser bleiben – dies bedarf keiner näheren Darlegung – äußerst examensrelevant. Letztlich wiederholt das Urteil nur altbekanntes und ist damit wenig überraschend (auch wenn das Medienecho anderes vermuten lässt). Dennoch sollte das Urteil zwingend genutzt werden, um die hier aufgezeigten Fragen zu wiederholen. Hierzu empfiehlt sich die Lektüre der hier aufgezeigten Urteile und der entsprechenden Besprechungen auf unserer Seite.

13.11.2014/6 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-11-13 09:30:022014-11-13 09:30:02BGH: (Unzulässiger) Abbruch einer Internetauktion führt zu Schadensersatz
Maria Lohse

OLG Hamm: 50.000 € Schmerzensgeld bei Versteifung einer Schulter angemessen

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht, ZPO

Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 01.07.2014 (Az.: 26 U 4/13) entschieden, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € angemessen ist, wenn infolge einer fehlerhaften Operation eine Schulter dauerhaft nicht mehr brauchbar ist.
Sachverhalt:
Die Klägerin begab sich im Jahr 2005 bei der Beklagten zu 1), dem Krankenhaus in Soest, in Behandlung, da sie unter Beschwerden an der linken Schulter litt. Am 09.11.2005 wurde sie dort von den Beklagten zu 2) und 3), die im Krankenhaus angestellte Ärzte sind, operiert. Die Operation erfolgte am offenen Schulterdach. Dabei wurden Teile des Schulterdachs entfernt. Während ihres postoperativen Aufenthalts bei der Beklagten zu 1) stürzte die Klägerin am 18.11.2005. Ob sie dabei auch auf die linke Schulter stürzte, ist nicht aufklärbar.
Seit der Operation am 09.11.2005 konnte die Klägerin ihren linken Arm nicht mehr heben. Es kam zu erforderlichen Folgeoperationen. Da keine Besserung der Beschwerden der Klägerin erreicht werden konnte, musste ihr Schultergelenk im Februar 2009 versteift werden. Das führte dazu, dass sie in ihrem alltäglichen Leben seitdem erheblich eingeschränkt ist, den eigenen Haushalt nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Zudem ist die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln erforderlich. Wegen der anhaltenden Beschwerden leidet die Klägerin auch unter Schlafstörungen.
Sie meint, die Operation sei in der durchgeführten Form nicht indiziert gewesen und zudem fehlerhaft ausgeführt worden. Daher verlangt sie mit der vorliegenden Klage von den Beklagten zu 1), 2) und 3) gesamtschuldnerisch Schadensersatz sowie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 €. Darüber hinaus beantragt sie festzustellen, dass die Beklagten auch für weitere, aus dem Vorfall noch entstehende Schäden haften.
Das LG Arnsberg hat der Klägerin in erster Instanz einen Schadenersatzanspruch sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € zugesprochen. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt, die Klägerin mit dem Verlangen weiterer mindestens 20.000 €, die Beklagten mit dem Antrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Klageabweisung.
Entscheidung:
Das OLG Hamm hat dem Berufungsantrag der Klägerin entsprochen und ihr weitere 20.000 € Schmerzensgeld zugebilligt.
A. Schadensersatzanspruch
I. §§ 280 I, 611 BGB
Ein Schadensersatzanspruch kann der Klägerin zunächst aus §§ 280 I, 611 BGB zustehen.
a) Dienstvertrag, § 611 BGB
Das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis stellt einen Dienstvertrag dar. Ein solcher setzt – gerade in Abgrenzung zum Werkvertrag nach § 631 BGB – voraus, dass die Erbringung einer Handlung geschuldet wird, unabhängig davon, ob diese auch zum Eintritt eines Erfolges führt. Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt bzw. dessen Anstellungsinstitution und Patient ist ein typischer Fall eines Dienstvertrages. Einen Erfolgseintritt schuldet der Arzt gerade nicht und kann ihn auch nicht versprechen. Das gilt auch, wenn es sich um eine Operation handelt (Anmerkung: Anders kann es ggf. liegen, wenn die Anfertigung eines individuellen Körperersatzteils in Frage steht, etwa einer Zahnprothese).
b) Pflichtverletzung
Eine Pflichtverletzung müsste ebenfalls vorliegen.
Davon ist das Gericht vorliegend nach Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens überzeugt. Danach wäre bei den bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden die Vornahme eines arthroskopischen Eingriffs zur Entfernung des Schleimbeutels und eine Dekompression der Enge in der Schulter angezeigt gewesen. Das sei den Beklagten zu 2) und 3) auch erkennbar gewesen aufgrund der zuvor angefertigten MRT-Aufnahmen. Die Einleitung der geschilderten Operationsvariante hingegen stelle einen groben Auswahlfehler dar. Darüber hinaus habe das Sachverständigengutachten auch ergeben, dass die Operation fehlerhaft durchgeführt wurde, mithin grobe Behandlungsfehler begangen wurden, die gegen den ärztlichen Standard verstießen. Das Schulterdach sei durch die Operation zerstört worden, was nicht zwingende Folge des Eingriffs an sich gewesen sei.
Die Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) und 3) hat sich die Beklagte zu 1) in entsprechender Anwendung des § 278 BGB zurechnen zu lassen.
Eine Pflichtverletzung lag somit vor.
c) Verschulden
Das Verschulden wird gemäß § 280 I BGB vermutet. Eine Exkulpation der Beklagten kommt nicht in Betracht.
Die Beklagte zu 1) muss sich das Verschulden der Beklagten zu 2) und 3) nach § 278 BGB zurechnen lassen.
d) Kausaler und ersatzfähiger Schaden
Der Klägerin ist daraus auch ein Schaden in Höhe der Behandlungskosten entstanden. Dieser Schaden beruht auch kausal auf der Pflichtverletzung der Beklagten.
Dagegen spreche, so führt das Gericht aus, auch nicht die Tatsache, dass die Klägerin am 18.11.2005 gestürzt sei und möglicherweise auch auf den Arm gefallen sei. Denn bei der Feststellung eines Behandlungsfehlers werde die Kausalität zwischen dieser Pflichtverletzung und der dadurch eingetretenen Rechtsgutsverletzung vermutet. Es trete also eine Beweislastumkehr ein. Ihrer Beweispflicht hinsichtlich einer fehlenden Kausalität haben die Beklagten mithin nicht genügt.
e) Ergebnis
Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspuch gegen die Beklagten nach §§ 280 I, 611 BGB zu.
II.§ 823 I BGB
Auch könnte der Klägerin ein in der Höhe identischer Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB gegen die Beklagten zustehen.
a) Rechtsgutsverletzung
Die Klägerin hat eine Rechtsgutsverletzung in Form der Versteifung ihres Schultergelenks, mithin eine Verletzung an ihrem Körper und ihrer Gesundheit erlitten.
b) Kausale Handlung
Der Eintritt der Rechtsgutsverletzung beruhte auch auf der fehlerhaften Operation durch die Beklagten zu 2) und 3). Hinsichtlich einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch den Sturz der Klägerin gilt das oben bereits im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzanspruchs Dargestellte entsprechend.
Die haftungsbegründende Kausalität besteht somit.
c)Rechtswidrigkeit
Bei Verletzung eines der von § 823 I BGB benannten Rechte und Rechtsgüter ist die Rechtswidrigkeit indiziert.
d)Verschulden
Ein Verschulden der Beklagten liegt ebenfalls vor. Diese haften nach § 276 BGB grundsätzlich für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Da es sich vorliegend um eine grobe Fehleinschätzung durch die Beklagten zu 2) und 3) sowie eine grob fehlerhafte Ausführung handelte, was sich die Beklagte zu 1) abermals über § 278 BGB zurechnen lassen muss, ist jedenfalls Fahrlässigkeit gegeben.
Verschulden liegt vor.
e)Kausaler und ersatzfähiger Schaden
In gleichem Umfang wie bereits hinsichtlich des vertraglichen Schadensersatzanspruches festgestellt, liegt auch hier ein kausaler und von den Beklagten zu ersetzender Schaden vor.
f)Ergebnis
Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB steht der Klägerin gegen die Beklagten zu.

Exkurs zu den zu stellenden Anträgen aus Anwaltssicht:
Aus prozessualer Sicht interessant ist, welche Anträge hier gestellt werden können/müssen.
Zunächst muss natürlich der entsprechende Schadensersatzantrag von der Klägerin gestellt und in seiner Höhe genau beziffert werden. Nur so genügt er dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 II Nr.2 ZPO.
Zudem kann es unter Umständen angezeigt sein – wie auch hier – einen zusätzlichen Feststellungsantrag zu stellen: Dieser muss auf Feststellung lauten, dass die Beklagten auch für weitere, aus der Rechtsgutsverletzung in Zukunft resultierende Schäden haften. Dieser Antrag ist immer dann zweckmäßig, wenn wegen der Art der eingetretenen Rechts- oder Rechsgutsverletzung weitere Folgeschäden wahrscheinlich, gleichwohl bisher aber nicht eingetreten sind und daher auch noch nicht beziffert werden können. Es handelt sich bei dem Antrag dann um einen Feststellungsantrag nach § 256 I ZPO. Für dessen Zulässigkeit ist ein Feststellungsinteresse erforderlich, das nur dann gegeben ist, wenn tatsächlich eine Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Folgeschäden eintreten werden, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Ist die Wahrscheinlichkeit nur minimal, wird der Antrag abgewiesen. Er sollte dann erst gar nicht gestellt werden.
Zuletzt ist auch ein dritter Antrag möglich, wenn ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung geltend gemacht wird: Dieser ist schlicht auf Feststellung gerichtet, dass der Schadensersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung herrührt.
Das Feststellungsinteresse für diesen Antrag ergibt sich sowohl aus dem Abtretungsverbot des § 393 BGB, wie auch aus den insolvenzrechtlichen Folgen derartiger Ansprüche nach §§ 302 Nr.1, 174 InsO.

B. Schmerzensgeld, § 253 II BGB
Auch ein Schadensersatzanspruch könnte der Klägerin gegen die Beklagten wegen der erlittenen Verletzungen zustehen.
Dieser ist gemäß § 253 II BGB gegeben, wenn wegen einer Verletzung unter anderem des Körpers und der Gesundheit Schadensersatz verlangt werden kann. Das ist hier nach den obigen Darstellungen der Fall.
Die Höhe der Entschädigung hat nach dem Wortlaut des Gesetzes billig zu sein. Das richtet sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles.
Das Gericht hat vorliegend einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 50.000 € als angemessen erachtet. Bei der Bemessung sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Klägerin in ihrem alltäglichen Leben stark eingeschränkt und vielfach auf Hilfe angewiesen sei. Zudem müsse sie fortwährend Schmerzmittel einnehmen und leide unter Schlafstörungen. Auch nicht außer Acht gelassen werden dürfe, dass sie langwierige Behandlungen und weitere Operationen über sich habe ergehen lassen müssen. All dies führe insgesamt zu einer Angemessenheit des beantragten Schmerzensgeldanspruchs in Höhe von 50.000 €.
Der Klägerin steht ein Anspruch in dieser Höhe mithin zu.

Exkurs zum Antrag:
Der Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld muss nicht gesondert aufgeführt werden, sondern kann auch mit dem Schadensersatzantrag verbunden werden. Wie man es macht, ist Geschmackssache.
Besonderheit des Schmerzensgeldantrages ist dabei, dass er entgegen dem oben bereits erwähnten Bestimmtheitsgebot aus § 253 II Nr. 2 ZPO gerade nicht genau beziffert zu werden braucht. Vielmehr braucht lediglich ein Richtwert angegeben werden, der eine Untergrenze darstellen sollte. Auch dies muss nicht zwingend im Antrag selbst geschehen, sondern kann auch erst in der Antragsbegründung erfolgen. Im Übrigen ist die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts zu stellen, § 287 ZPO.
Gleichwohl sollte die Höhe der Untergrenze des Schmerzensgeldes nicht zu hoch angesetzt werden. Denn wenn das Gericht in seiner Entscheidung um mehr als 20% von der beantragten Höhe nach unten abweicht, hat der Kläger einen Teil der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Höhe des jeweils angemessenen Schmerzensgeldes bestimmt das Gericht unter Zugrundelegung bestimmter Schmerzensgeldtabellen.

Die vollständigen Sachanträge könnten im vorliegenden Fall also lauten:

(…) werde ich in der mündlichen Verhandlung beantragen,

1. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 10.000,- € (fiktiver Wert Schadensersatz) nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 02.01.2012 (fiktives Datum, etwa der Rechtshängigkeit nach § 291 BGB) zu zahlen,
2. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Bemessung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000 € betragen sollte,
3. festzustellen, dass die Beklagten auch für zukünftige, der Klägerin aus der eingetretenen Rechtsgutsverletzung noch entstehende Schäden haften,
4. festzustellen, dass die Haftung der Beklagten aus einer unerlaubten Handlung herrührt.

Stellungnahme:
Das Urteil eignet sich als Ausgangsentscheidung sowohl für das erste wie zweite Staatsexamen. Es bietet Gelegenheit, Altbekanntes zu den Ansprüchen aus § 823 BGB und § 280 I BGB darzustellen und Kenntnisse hinsichtlich prozessrechtlicher Besonderheiten zu demonstrieren.
Rechtlich enthält es letztlich nichts Neues. Auch wenn zunächst die zugesprochene Schmerzensgeldsumme sehr hoch erscheinen mag, so stellt auch dies keine grundsätzliche Neuerung dar. So hat in einem ähnlichen Fall etwa schon das Landgericht München I einen ähnlich hohen Betrag zuerkannt (Urteil vom 24.7.1997 – 19 O 20421/96).
 

15.09.2014/5 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-09-15 14:00:392014-09-15 14:00:39OLG Hamm: 50.000 € Schmerzensgeld bei Versteifung einer Schulter angemessen
Gastautor

OLG München: Kein Schadensersatz bei Verkauf unter Wert

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Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Nikolaus J. Plitzko veröffentlichen zu dürfen. Der Verfasser ist Student der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und besuchte im Rahmen eines ERASMUS-Stipendiums die University of St. Gallen Law School.

Dem leicht erweiterten Sachverhalt liegt eine Entscheidung des OLG München vom 20.03.2014, „Der teuerste Teppich der Welt“ (Az 14 U 764/12) zugrunde.
A. Sachverhalt
A lieferte Ihren alten Perserteppich bei dem nicht auf die Versteigerung von Teppichen spezialisierten, sondern in einer großen Bandbreite aufgestellten Auktionshaus der R-GmbH (R) (sog. Varia-Auktionshaus) ein.
Anhand der Fachliteratur versuchte ein Auktionator der R Herkunft und Alter des Teppichs zu bestimmen und nahm den Teppich letztlich unter der Bezeichnung „Persische Galerie, antik, blaugrundig, floral durchgemustertes Mittelfeld, Laufstellen, Sammlerstück“ mit einer Abbildung in den Auktionskatalog auf und schätze seinen Wert auf 900 €. In der Auktion wurde der Teppich für 19.500 € an K versteigert und später übereignet.
Wenige Monate später übergab K seinerseits den Teppich dem renommierten Auktionshaus C in London. Ein spezialisierter Mitarbeiter der C erkannte – im Gegensatz zu vielen anderen Fachleuten – den tatsächlichen Wert des Teppichs und setzte diesen mit 250.000 – 350.000 € in Ihrem Katalog fest. C versteigerte den Teppich für 7,2 Mio. € an X. Eine Übereignung des Teppich an X hat indes noch nicht stattgefunden.
Wie ist die Rechtslage?
B. Fallbesprechung
I. A könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die R aus §§ 280 I, 241 II, 611 I, 675 I BGB haben.
1. Schuldverhältnis
A und R haben gem. §§ 611 I, 675 I, 145, 147 BGB einen Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Inhalt hat geschlossen. Eine Einordnung als Werkvertrag ist schon deshalb abzulehnen, weil R auf eine erfolgreiche Versteigerung des Teppichs keinen alleinigen Einfluss hat.[1] Von einer wirksamen Vertretung der R ist auszugehen.
2. Pflichtverletzung
R könnte durch die fehlerhafte Schätzung ihres Auktionators die Interessen der A und somit eine Nebenpflicht iSd § 241 II BGB verletzt haben. Hierbei ist insbesondere fraglich, welcher Maßstab bei der Schätzung anzuwenden ist.
Dieser könnte erhöht sein, wenn es sich für R um ein Kommissionsgeschäft gehandelt hat und Sie gem. § 384 I HGB die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns eingehalten musste.
Gem. § 383 I HGB liegt ein Kommissionsgeschäft vor, wenn R in Ausführung Ihres Gewerbes den Teppich in eigenem Namen für Rechnung des A verkauft hat.
Andererseits könnte R den Teppich auch im Namen des A verkauft haben, so dass nur eine Stellvertretung iSd §§ 164ff. BGB vorliegen könnte.
Es ist somit durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob ein Kommissionsgeschäft oder eine einfache Stellvertretung vorlag. R ist gem. § 6 I HGB iVm § 13 III GmbHG Formkaufmann und handelte somit gewerblich. Auch spricht die Aufnahme in den Katalog und die Nichtoffenbarung des Eigentümers für ein Kommissionsgeschäft und gegen eine Stellvertretung[2].
(Anm.: Das Vorliegen eines Kommissionsgeschäfts könnte auch schon beim Vorliegen des Schuldverhältnisses geprüft werden. Da es aber erst bei der Pflichtverletzung relevant wird, ist es vorzugswürdig dort zu prüfen[3].)
Ob der Auktionator bei der Begutachtung und Schätzung des Teppichs – welche der R gem. § 278 I BGB zuzurechnen sind – die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns verletzt hat, kann nicht anhand von objektiven Merkmalen festgestellt werden, sondern bemisst sich anhand der Umstände des Einzelfalls.
Hierbei könnte zunächst davon ausgegangen werden, dass von einem Auktionator eine gewisse Sachkunde erwartet werden kann und er durch die Aufnahme in die Auktion den Schein setzt, dass der Wert des Teppichs in etwa dem Aufrufpreis entspricht.
Jedoch geht diese Ansichtsweise fehl, denn ein entsprechender Sachschein kann wohl nur gegenüber fachkundigen Bietern ergehen, nicht aber bei einer Varia-Auktion gegenüber „normalen“ Bietern.
Vielmehr hat der Auktionator im Rahmen seiner Möglichkeiten alles Erforderliche getan, um Alter und Herkunft des Teppichs zu bestimmen. Er war nicht verpflichtet über das Studium der Fachliteratur hinaus weitere Erkundigungen einzuholen, wobei anzumerken ist, dass auch im Nachhinein ausgeschriebene Fachleute den Wert des Teppichs verkannt hatten. Zwar war die Artikelbeschreibung vage, aber dennoch zutreffend. Bei einem Varia-Auktionshaus kann nicht die selbe Fachkunde wie von einem auf den Verkauf von Teppichen spezialisierten Auktionshaus erwartet werden.
Mangels Pflichtverletzung hat A keinen Anspruch auf Schadensersatz.
II. A könnte gegen K aus § 812 I S.1, 2. Alt BGB einen Anspruch auf Herausgabe des Teppichs haben.
(Anm.: Herausgabeansprüche aus §§ 346 I; 861 I; 985 sind fernliegend und bedürfen keiner Erwähnung)
K hat Eigentum und Besitz am Teppich erlangt.
Dies müsste K in sonstiger Weise, also nicht durch Leistung erhalten haben. Es könnte aber eine Leistung der R vorliegen, so dass für A die allgemeine Nichtleistungskondiktion gesperrt wäre. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens und bestimmt sich nach h.M. nach dem verobjektivierten Empfängerhorizont gem. §§ 133,157 BGB[4]. (a.A.: Nach dem subjektiven Willen des Leistenden[5]),
Es ist darauf abzustellen, ob K eine Leistung von A oder der R erwarten durfte. In Bezug auf die Eigentumserlangung musste K davon ausgehen, dass der Teppich nicht der R, sondern A gehörte und die R nur in Stellvertretung bzw. auf Geheiß der A agierte. Die Besitzerlangung erfolgte hingegen direkt von R. Zu berücksichtigen ist auch hier die Stellung der R als Kommissionär der A. R verkaufte den Teppich in eigenem Namen, so dass nicht A, sondern die R Vertragspartner des K wurde. Nach lebensnaher Auslegung des Sachverhalts ist auch davon auszugehen, dass K nur in Geschäftskontakt zu R stand. Somit durfte A davon ausgehen, dass R zur Erfüllung seiner kaufvertraglichen Pflichten geleistet hat. Zwar verbietet sich in einem Mehrpersonenverhältnis jede schematische Lösung, jedoch liegen keine besonderen Umstände vor, die eine Direktkondiktion zwischen A und K rechtfertigen würden. Weder hat R arglistig über den Wert getäuscht, noch kannte K den tatsächlichen Wert[6]. Somit scheidet auch eine Herausgabe des Teppichs aus.
(Anm.: Nimmt man eine Erlangung in sonstiger Weise oder gar eine Leistung der A an, stellt sich im Weiteren das Problem, ob A den Kaufvertrag zwischen R und K wirksam anfechten kann. Vorliegend ist A nicht Vertragspartei geworden, so dass Ihr bereits die Anfechtungsberechtigung fehlt. Im Übrigen liegt auch kein Eigenschaftsirrtum iSd § 119 II BGB vor, da hierzu nur die wertbildenden Faktoren einer Sache, jedoch nicht der Wert an sich zählen.[7])
C. Fazit
Examenskandidaten sollten nicht nur aufgrund seiner Aktualität mit dem zugrundeliegenden Fall vertraut sein. Bei einer Versteigerung sind insbesondere die Abgrenzung zwischen der Stellvertretung und dem Kommissionsgeschäft sowie die Leistungsbeziehungen der Beteiligten zu erkennen und sauber zu prüfen. Interessant ist der Fall auch deswegen, da die Problematik des falschen Wertes einer Sache üblich in kaufrechtlichen Klausuren gestellt wird und hier in umgekehrter Form und anderer Konstellation relevant wird.
Aus Sicht der A ist der Fall wohl in die Kategorie „dumm gelaufen“ einzuordnen.


[1] Gaul, WM 2000, 1784; MK-BGB, Heermann § 675, Rn. 103.
[2] MK-HGB, Häuser, § 383, Rn. 16.
[3] MK-HGB, Häuser § 383, Rn. 29.
[4] BGHZ 72, 246 (249).
[5] Medicus, Rn. 688.
[6] Erman § 812, Rn. 15.
[7] Palandt, Ellenberger § 119, Rn. 27.

03.04.2014/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-04-03 08:00:172014-04-03 08:00:17OLG München: Kein Schadensersatz bei Verkauf unter Wert
Maria Dimartino

BAG: Symptomlose HIV-Infektion – Behinderung im Sinne des § 1 AGG

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Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Maria Dimartino veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Rechtsanwältin mit den Interessenschwerpunkten Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Sie hat Rechtswissenschaften in Heidelberg und Frankfurt a.M. studiert. Ihr Referendariat hat Sie am Landgericht Wiesbaden absolviert. Sie ist als selbstständige Rechtsanwältin und Lehrbeauftrage/Tutorin tätig. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie hier.
Dem Beitrag liegt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG)  zu Grunde. Das BAG hat sich in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013, 6 AZR 190/12 mit der Frage beschäftigt, ob eine symptomlose HIV-Infektion den Anwendungsbereich des § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eröffnet und folglich wegen einer Diskriminierung aufgrund diesen Merkmals eine Schadensersatz bzw. eine Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 1, 2 AGG begründet.
I. Sachverhalt
Der Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 1. Dezember 2010 als chemisch- technischer Assistent bei der Beklagten angestellt. Die Beklagte produziert Arzneimittel zur Behandlung von Krebserkrankungen, die intravenös verabreicht werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit vereinbart waren, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Bei einer Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, dass er HIV-infiziert ist. Der Kläger ist symptomfrei und hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 10. Der Kläger sollte seine Tätigkeit im Reinraum der Beklagten ausführen. Dagegen äußerte der Betriebsarzt Bedenken in dem von ihm auszufüllenden Formular „Standard Operating Procedure“ (SOP). Dieses Formular der Beklagten dient der Umsetzung des sogenannten „Leitfaden der guten Herstellungspraxis“ (Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission). In Ziffer 2.15 des Leitfaden heißt es:

„Es sollen Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 04. Januar 2011 zum 24. Januar 2011. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraums bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichtes nicht. Der Kläger greift diese Kündigung an und macht geltend, dass diese Kündigung diskriminierend sei, weil diese allein wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion erfolgt sei. Dies stelle eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Sinne des § 1 AGG dar. Aus diesem Grunde stünde ihm auch eine Entschädigung im Sinne des § 15 AGG zu.
II. Ansprüche gem. § 15 Abs. 1, 2 AGG
1. Persönlicher Abwendungsbereich, § 6 Abs. 1 AGG
Der Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigt und damit Arbeitnehmer im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG.
2. Sachlicher Anwendungsbereich
a) Bereichsausnahme, § 2 Abs. 4 AGG
Gem. § 2 Abs. 4 AGG soll das AGG nicht für Sachverhalte anwendbar sein, die das KSchG betreffen. Bei solchen Kündigungen wird die Wirkung des AGG jedoch im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln geprüft. Ob diese Bereichsausnahme Richtlinienkonform ist kann an dieser Stelle dahinstehen, da in diesem Fall das Kündigungsschutzgesetz gar nicht anzuwenden war, da die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 KSchG nicht erfüllt war. In solchen Fällen, bei dem das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet kann es auch nicht zu einer Konkurrenz zwischen AGG und KSchG kommen. Daher sind Kündigungen, für die nicht der Maßstab der sozialen Rechtfertigung des § 1 Abs. 1, 2 KSchG eröffnet ist unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen.

„§ 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigung nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG […].“

b) Benachteiligungsmerkmal i.S.v. § 1 AGG ?
Das AGG untersagt Diskriminierungen aufgrund der in § 1 AGG genannten Merkmale. Benachteiligungsmerkmale gem. § 1 AGG sind Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft, Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alters oder sexuellen Identität. Das BAG hat sich sehr ausführlich mit dem Begriff der Behinderung i.S.d. AGG beschäftigt und sich für eine weite Definition unter Berücksichtigung der Teilhabe am Berufsleben und an der Gesellschaft ausgesprochen. Darunter können auch chronische Erkrankungen fallen, soweit eine Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt. Auf einen bestimmten Grad der Behinderung (GdB) kommt es nicht an. Das BAG hat festgestellt, dass eine symptomlose HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG darstellt.

„Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder will die Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) – seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann […].“

Weiter führt das BAG aus:

„Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigungen wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in deinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert i.S.d. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhende Stigmatisierungen andauern […].“

3. Benachteiligungsverbot i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG
Die Begriffe der unmittelbare bzw. mittelbare Benachteiligung sind in. § 3 AGG legal definiert. Eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG liegt demnach vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstigen Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die Kündigung benachteilige hier den Kläger unmittelbar i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG, weil sie im untrennbaren Zusammenhang mit seiner symptomlosen HIV-Infektion (Behinderung, i.S.d. § 1 AGG) steht.
4. Vorliegen von Rechtfertigungsgründen
Eine Benachteiligung aufgrund eines in § 1 AGG genannten Merkmale kann ggf. gerechtfertigt sein:

  • § 5 AGG (Positive Maßnahmen)
  • § 8 AGG (berufliche Anforderungen)
  • § 9 AGG (Religion oder Weltanschauung)
  • § 10 AGG (Alter)

In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, da dieses noch aufklären muss, ob der Arbeitgeber ausreichend angemessene Vorkehrungen getroffen hat um sich überhaupt auf § 8 Abs. 1 AGG berufen zu dürfen. Denn bei einer Behinderung sind angemessene Vorkehrungen zur Nachteilsausgleichung zu Treffen (vgl. § 81 Abs. 1, 2 SGB IX). Wenn der Arbeitgeber dies unterlässt und der Arbeitnehmer deshalb nicht eingesetzt werden kann, ist dieser Umstand nicht der Behinderung sondern der Untätigkeit des Arbeitgebers geschuldet. Eine Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt.
III. Rechtfolgen bei rechtswidriger Benachteiligung

  • Unwirksamkeit der Vereinbarung, § 7 Abs. 2 AGG
  • Leistungsverweigerungsrecht, § 14 AGG
  • Schadensersatzanspruch, § 15 Abs. 1 AGG
  • Entschädigungsanspruch, § 15 Abs. 2 AGG
  • Unterlassungs-s/Beseitigungsanspruch
  • Kein Anspruch auf Beschäftigung, 15 Abs. 6 AGG

1. Schadensersatz, § 15 Abs. 1 AGG
a) Ein Verschulden wird vermutet.
b) Materieller Schaden Ein Bewerber müsste darlegen und beweisen, dass er als der am besten geeignete Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl die Stelle erhalten hätte. Hieran ändert auch § 22 AGG nichts. Diese Hürde wird in der Regel nicht zu nehmen sein, da der Bewerber auch keinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber hat. In diesem Fall ist der K jedoch bereits eingestellt worden und explizit wegen seiner HIV-Infektion gekündigt worden. Wenn nach den Feststellungen des Landgerichtes eine Beschäftigung des K möglich gewesen wäre ohne, dass ein höheres Risiko von ihm ausgegangen wäre, ihm ein Schadensersatzanspruch zustünde (unabhängig von der Frage, ob die Kündigung unwirksam ist). Der Schaden ist zu bemessen nach den allgemeinen Grundsätzen des § 249 BGB. Eine Obergrenze ist hier anders als bei § 15 Abs. 2 S. 2 AGG nicht festgelegt. Hier würde sich der Schaden wohl in der Höhe des Arbeitsentgeltes bis zum nächsten (hypothetischen) Kündigungstermins belaufen. Schwieriger wäre eine materielle Schadensermittlung im Falle der Feststellung, dass die Kündigung nun gar nicht mehr wirksam ist.
2. Immaterieller Schadensersatz, § 15 Abs. 2 AGG
a) Verschuldensunabhängig b) Entschädigung für den Schaden der „nicht Vermögensschaden“ ist
Die Höhe der Entschädigung steht im Ermessen des Gerichts (vgl. § 253 BGB). Sie richtet sich nach der Schwere der Benachteiligung, dem Grad eines eventuellen Verschuldens des Arbeitgebers und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers. Sie sollte zumindest so hoch sein, dass sie geeignet ist, den Arbeitgeber von weiteren Diskriminierungen abzuhalten. Für den Fall einer Einstellungsdiskriminierung bzgl. einer Person, welche auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, setzt § 15 Abs. 2 S. 2 AGG eine Obergrenze von drei Monatsgehältern fest.
3. Beweislastverteilung, § 22 AGG
Hiernach muss der Anspruchssteller die Anwendbarkeit des AGG, sowie das Vorliegen einer objektiven Benachteiligung beweisen. Es reichen hierbei Indizien aus (z.B. Stellenausschreibung nicht geschlechtsneutral). Sodann muss der Arbeitgeber beweisen, dass kein Verstoß gegen das AGG vorliegt. D.h. der Arbeitgeber muss nachweisen, dass die ungleiche Behandlung auf einem zulässigen Auswahlgrund beruht.
4. Form- und Fristgemäße Geltendmachung, § 15 Abs. 4 AGG
Ansprüche aus § 15 Abs. 1, 2 AGG müssen innerhalb von zwei Monaten schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Bei Ablehnung der Ansprüche durch den Arbeitgeber muss gem. § 61 b Abs. 1 ArbGG eine klageweise Durchsetzung dieser Ansprüche innerhalb von drei Monaten vor dem zuständigen Arbeitsgericht erfolgen.
5. Weitere Ansprüche
Weitere Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeldansprüche können daneben geltend gemacht werden (§§ 280, 253, 823 BGB).
6. Ein Anspruch auf Einstellung besteht nicht, § 15 Abs. 6 AGG
IV.Fazit Ansprüche aus §§ 15 Abs. 1, 2 AGG eignen sich gut, um eine arbeitsrechtliche Klausur mit Grundlagen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anzureichern und können daher als Zusatzfrage neben der Frage der Wirksamkeit einer Kündigung auftauchen. Der Begriff der Behinderung im Sinne des AGG ist weiter zu verstehen, als der in § 2 SGB IX. Denn zu berücksichtigen ist auch, ob aufgrund eines Merkmals i.S.d. § 1 AGG eine derartige Stigmatisierung erfolgt, dass sich diese benachteiligend auf das Beschäftigungsverhältnis auswirkt. Dem Arbeitgeber obliegt grundsätzlich die Pflicht zu prüfen, ob ein Arbeitnehmer trotz Behinderung bei angemessen Vorkehrungen zu beschäftigen ist.

02.04.2014/3 Kommentare/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2014-04-02 08:00:102014-04-02 08:00:10BAG: Symptomlose HIV-Infektion – Behinderung im Sinne des § 1 AGG
Tom Stiebert

Bayer Leverkusen bekommt Schadensersatz wegen Verletzung eines Spielers

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Folgende Meldung wird in den Medien in den letzten Tagen verbreitet: Der Bundesligist Bayer Leverkusen hat gegen zwei Anhänger des 1. FC Köln einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 100.000 Euro erhalten. Hintergrund war, dass die beiden Fans den Spieler Michael Kadlec vor knapp 2 Jahren bei einer Schlägerei das Nasenbein gebrochen hatten und dieser damit mehrere Wochen vom Spielbetrieb ausfiel.
Nun stellt man sich die Frage, woraus dieser Anspruch resultiert:

  • Unproblematisch hat der Spieler gegen die Schläger einen Anspruch aus § 823 Abs.1 und Abs. 2 BGB der sich sowohl auf die Erstattung der materiellen Schäden (Behandlungskosten etc.) – vgl. § 249 BGB – als auch auf immaterielle Schäden (§ 253 Abs. 2 BGB) bezieht.
  • Ein Anspruch des Vereins gegen die Schädiger ist hingegen schwieriger. Zwar liegt hier auch ein Schaden vor (Ausfall des Spielers als Arbeitnehmer; Weitergewährung des Lohns § 3 EFZG) eine Verletzung eines von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsguts ist aber problematisch, da insbesondere ein Eingriff in den Gewerbebetrieb hier wohl an der Betriebsbezogenheit scheitert.
  • Aus diesem Grund enthält § 6 EFZG eine Spezialnorm. Hier liegt ein gesetzlicher Forderungsübergang vor. Der Schädiger soll durch die Entgeltfortzahlung nicht privilegiert werden. Obwohl der Arbeitnehmer also keinen Verdienstausfall hat, wird ein solcher als Schaden angesehen und geht dann aber direkt auf den Arbeitgeber über. Anspruchsgrundlage ist damit hier § 6 EFZG iVm. § 823 Abs. 1 und 2 BGB.

Die Prüfung dieses Falles eignet sich sehr gut für eine mündliche Prüfung, da Bekanntes und unbekanntes verknüpft wird.
Der Fall lässt sich auch noch modifizieren: Ein Spieler wird während eines Fußballspiels von seinem Gegner verletzt und fällt dadurch länger aus. Hat auch hier der Verein einen Anspruch gegen den foulenden Spieler? Dies wäre nach dem eben Gesagten dann zu bejahen, wenn der Spieler selbst gegen den ihn foulenden Spieler einen Anspruch insbes. aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB hätte. Hier ist zwischen den verschiedenen Formen des Foulspiels zu unterscheiden; eine Haftung kommt allein bei grob regelwidriger Spielweise in Betracht. Die Grenzen sind hier aber fließend.

  • Siehe zur Haftung bei Foulspiel unseren ausführlichen Beitrag

 

25.03.2014/14 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-03-25 18:04:092014-03-25 18:04:09Bayer Leverkusen bekommt Schadensersatz wegen Verletzung eines Spielers
Dr. Gerrit Forst

BGH: Rechtsprechungsübersicht in Zivilsachen

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Es ist wieder Zeit für unseren regelmäßigen Blick auf Entscheidungen des BGH in Zivilsachen. Die folgenden Entscheidungen sind mit dem amtlichen Leitsatz wiedergegeben. Sie können unter www.bundesgerichtshof.de kostenlos im Volltext nachgelesen werden.
I. Materielles Recht
BGH, Urt. v. 4.12.2013 – VIII ZR 5/13 (zu § 553 BGB): – TOP-TIPP!

Zu den Pflichten des Mieters nach Widerruf einer Untermieterlaubnis.

BGH, Urt. v. 3.12.2013 – VI ZR 24/13 (zu § 249 BGB):

Lässt der Geschädigte einen Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren, den der eingeschaltete Sachverständige für not-wendig gehalten hat, und unterschreiten die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten, so beläuft sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten. Der Geschädigte hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Zahlung des vom Sachverständigen angesetzten Nettobetrags zuzüglich der tatsächlich gezahlten Umsatzsteuer, soweit dieser Betrag die tatsächlich gezahlten Bruttoreparaturkosten übersteigt.

BGH, Urt. v, 6.11.2013 – VIII ZR 353/12 (zu §§ 307, 309 Nr. 7 BGB):

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Online-Shops eines Möbelhauses, das auf Wunsch des Kunden auch den Aufbau der gekauften Möbel beim Kunden anbietet, hält die Regelung
„§ 4 Versand; Gefahrübergang; Versicherung
(1) Wir schulden nur die rechtzeitige, ordnungsgemäße Ablieferung der Ware an das Transportunternehmen und sind für vom Transportunternehmen verursachte Verzögerungen nicht verantwortlich.“
der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, § 309 Nr. 7 Buchst. b BGB nicht stand.

BGH, Urt. v. 1.10.2013 – VI ZR 409/12 (zu § 254 BGB):

a) Zum Anscheinsbeweis, wenn es bei Heißklebearbeiten zur Verlegung von Bitumenbahnen in feuergefährdeter Umgebung zu einem Brand kommt.
b) Zur Frage des Mitverschuldens wegen unterlassenen Hinweises des Geschädigten auf eine besondere Brandgefahr.

II. Prozessrecht
BGH, Beschl. v. 26.11.2013 – II ZB 13/12 (zu § 233 ZPO):

Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört eine klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Erledigungsvermerk in der Akte eingetragen werden kann.

BGH, Beschl. v. 12.11.2013 – II ZB 17/12 (zu § 233 ZPO):

Überlässt ein Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er die erforderliche eigenverantwortliche Gegenkontrolle so zu organisieren, dass es ihm anhand der Vermerke in der Handakte auch möglich ist zu überprüfen, ob die notierten Fristen richtig berechnet sind.

19.01.2014/0 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2014-01-19 10:37:412014-01-19 10:37:41BGH: Rechtsprechungsübersicht in Zivilsachen
Maria Lohse

AG München: Keine Reisepreisminderung bei verunreinigtem Badestrand

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Das AG München hat mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil vom 16.01.2013 (Az.: 132 C 15965/12) entschieden, dass ein verunreinigter Badestrand, der zu einer Erkrankung der Urlauber führt, nicht zur Minderung des Reisepreises gegenüber dem Reiseveranstalter berechtigt, wenn die Verunreinigung nicht in dessen Einflussbereich liegt.

Sachverhalt:

Die Klägerin K buchte für sich und ihre Familie bei dem Reiseunternehmen R für Oktober 2011 eine dreiwöchige Pauschalreise in die Türkei. Der dafür zu entrichtende Reisepreis betrug 2079,- €. Bereits eine Woche nach Ankunft der Familie am Urlaubsort erkrankten alle Reisenden an Fieber und Durchfall, weswegen die K selbst sogar 2 Tage in ein Krankenhaus eingeliefert und stationär behandelt werden musste.

Nachdem die Familie nach Deutschland zurück gekehrt war, verlangte K von R die Rückerstattung von 60% des Reisepreises sowie einen zusätzlichen Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Sie behauptet, die Erkrankung der ganzen Familie beruhe kausal auf dem mit Fäkalien verunreinigtem Badestrand in unmittelbarer Nähe der Unterkunft. Der Gesamtbetrag, den K von R forderte, betrug 2910,- €.

R lehnte jede Zahlung an K ab und trug vor, es könne nichts für die Verunreinigung des Badestrandes. Dies sei vielmehr bedingt gewesen durch ein defektes Kanalisationsrohr der Gemeinde. Darauf habe R keinen Einfluss nehmen können und hätte davon auch nichts gewusst.

Entscheidung:

Das AG München lehnte einen Minderungs- und Schadensersatzanspruch der K ab und wies die Klage ab.

I. Rückerstattung des Reisepreises, §§ 651 d I 2, 638 IV BGB

Zunächst kommt ein Recht auf Rückforderung des wegen wirksamer Minderung zu viel gezahlten Reisepreises gemäß §§ 651 d I 2, 638 IV in Betracht. Dessen Voraussetzungen müssten erfüllt sein.

1. Reisevertrag, § 651 a BGB

Ein Reisevertrag setzt nach

§ 651 a I 1 BGB zunächst voraus, dass der Reiseveranstalter sich dem Reisenden gegenüber zur Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen verpflichtet.

Vorliegend buchte K für sich und ihre Familie als Mitreisende bei R eine Pauschalreise. Eine solche ist der typische Anwendungsfall des Reiserechts. Dabei sichert der Reiseunternehmer dem Reisenden die Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen, üblicherweise zumindest die Beförderung zum und vom Urlaubsort sowie die Unterbringung vor Ort zu. Bei dem zwischen R und K geschlossenen Vertrag handelt es sich daher um einen Reisevertrag im Sinne des § 651 a I 1 BGB.

2. Mangel, § 651 c I BGB

Die Reise müsste weiterhin mangelhaft gewesen sein. Das ist der Fall, wenn eine Teilleistung der Gesamtleistung „Reise“ derart mangelbehaftet ist, dass dieser Mangel sich auf die gesamte Reise auswirkt und sie mangelhaft werden lässt.

Ein Mangel liegt vor, wenn entweder die Reise mit Fehlern behaftet ist, welche den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern, also die Istbeschaffenheit einer Reiseleistung negativ von deren Sollbeschaffenheit abweicht und sich dieser Fehler auf das Gesamtpaket „Reise“ negativ auswirkt, oder vom Reiseveranstalter explizit zugesicherte Eigenschaften der Reise nicht gegeben sind.

Vorliegend macht K geltend, die gesamte Reise sei durch den verunreinigten Badestrand und die dadurch verursachte Erkrankung aller Reisenden mangelhaft gewesen. Fraglich ist jedoch, ob darin ein Mangel der Reise gesehen werden kann. Das AG München führt hierzu aus, dass ein Mangel der Reise nicht vorgetragen sei. Es müsse sich dabei nämlich um einen Mangel handeln, der dem Reiseunternehmen auch zugerechnet werden könne. Vorliegend wäre es jedoch so, dass R gar keinen Einfluss auf die Verunreinigung des Badestrandes gehabt hätte, sodass diese Abweichung von den Erwartungen der Reisenden ihm nicht zugerechnet werden könne. Die dadurch mutmaßlich verursachte Erkrankung der Reisenden sei daher nicht bedingt durch eine dem R vorwerfbare mangelhafte Erbringung einer Reiseleistung.

Das Vorliegen eines zur Minderung des Reisepreises tauglichen Reisemangels lehnte das AG daher ab.

3. Informationspflichtverletzung

In Betracht kommt zudem eine Minderung des Reisepreises wegen Informationspflichtverletzung durch R. Eine Minderung wegen positiver Informationspflichtverletzung kommt im Reiserecht nach gefestigter Rechtsprechung in Betracht, wenn sich die verschwiegene Information auf wesentliche negative Abweichungen von der geschuldeten Hauptleistung bezieht. Von wesentlichen Reisemängeln ist in der Regel dann auszugehen, wenn diese im Ergebnis eine Kündigung des Reisevertrages gem. §

BGB rechtfertigen würden. Insoweit muss sich die Informationspflichtverletzung in anschließenden wesentlichen Reisemängeln widerspiegeln.

Auch eine hierauf gestützte Minderung des Reisepreises kommt folgerichtig nicht in Betracht. Zum einen wurde oben bereits das Vorliegen eines tatsächlichen, dem R zurechenbaren Reisemangels verneint. Zum anderen hatte R nach eigenem unbestrittenen Vortrag auch keinerlei Kenntnis vom gesundheitsgefährdenden Zustand des Badestrandes.

4. Ergebnis

Eine Rückerstattung von 60% des Reisepreises kommt weder unter dem Aspekt des Vorliegens eines Reisemangels, noch unter dem der positiven Informationspflichtverletzung in Betracht.

II. Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubzeit, § 651 f II, I BGB

Möglicherweise kommt jedoch ein Schadensersatzanspruch der K gegen R wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Betracht. Dazu müssten die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

1. Reisevertrag, § 651 a BGB

Wie oben bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Pauschalreise um den typischen Anwendungsfall des Reiserechts. Ein Reisevertrag liegt vor.

2. Zu vertretender Mangel, §§ 651 c I, 651 f BGB

Auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 651 f kann nichts anderes gelten als oben zur Minderung des Reisepreises ausgeführt. Die K hat nach Ansicht des AG München einen Reisemangel nicht dargelegt. Selbst sofern ein solcher konstruiert werden könnte, hätte das Reiseunternehmen R diesen keinesfalls zu vertreten, da es an einer Einflussnahmemöglichkeit fehlte.

3. Ergebnis

Auch der Anspruch der K auf Schadensersatz aus § 651 f II, I BGB scheitert am Vorliegen eines tauglichen und vertretbaren Reisemangels.

III. Gesamtergebnis

Die K hat damit nach Ansicht des AG München weder einen Anspruch auf anteilige Rückerstattung des Reisepreises aus wirksamer Minderung, noch auf Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit.

Stellungnahme:

Dem Urteil des AG München ist zuzustimmen. Zwar entspricht der Gesamtverlauf der Reise sicher nicht den berechtigten Erwartungen der Urlauber. Es wäre jedoch unbillig, den Reiseveranstalter dafür zur Verantwortung zu ziehen, wenn ihm ersichtlich jede Möglichkeit zur Einflussnahme fehlte und auch keine Kenntnis vorlag. Das Verantwortung traf hier eine dritte Partei, nämlich die Gemeinde, die das defekte Kanalisationsrohr nicht austauschte. Die Ansprüche Reisender nach dem Reisevertragsrecht bedürfen offensichtlich einer Einschränkung in Fällen, in denen die tatsächliche Mangelhaftigkeit realer Gegebenheiten keinen Bezug im Sinne einer Einflussnahmemöglichkeit zu dem Reisevertrag aufweist. Nichts anderes gilt letztlich für jeden anderen besonders geregelten Vertragstyp, auch wenn zugegebenermaßen die Abgrenzung beim Reisevertrag wegen der Offenheit der Gesamtleistung für Störungen von außen schwerer fallen mag.

Die Entscheidung ist mit Blick auf das erste Staatsexamen lesenswert, da hier die Voraussetzungen eines Reisemangels konkretisiert werden. Auch kann sie Anlass geben, sich noch einmal mit einem ursprünglichen Anwendungsfall des von der Rechtsprechung entwickelten Kommerzialisierungsgedankens, der mittlerweile gesetzliche Regelung erfahren hat, auseinanderzusetzen: Dem Schadensersatzanspruch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nach § 651 f II BGB.

19.09.2013/0 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2013-09-19 15:00:012013-09-19 15:00:01AG München: Keine Reisepreisminderung bei verunreinigtem Badestrand
Maria Lohse

AG München: Minderung des Reisepreises und Schadensersatz

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Reiserecht, Startseite, Zivilrecht

Mit Urteil vom 21.02.2013 hat das AG München (Az.: 244 C 15777/12) entschieden, dass der Reisepreis wegen Abweichungen der Umgebung der Unterkunft von den zuvor festgelegten Kriterien gemindert und etwaige dadurch entstandene Mehraufwendungen im Wege des Schadensersatzes herausverlangt werden können. Eine Minderung wegen Informationspflichtverletzung ist zudem möglich, wenn dem Reisenden erst bei Ankunft am Urlaubsort mitgeteilt wird, dass die ursprünglich vorgesehene Unterkunft nicht zur Verfügung stehe und ein Ausweichen auf eine andere Unterkunft daher erforderlich sei.

Sachverhalt

Die Mutter M buchte für sich und ihre beiden Töchter im August 2010 ein Appartement auf der griechischen Insel Korfu für 14 Tage zu einem Preis von insgesamt 2008,- €. Bei den Vertragsverhandlungen gab sie explizit an, dass unbedingte Voraussetzung für die Buchung eine direkte Strandlage sowie das Vorhandensein ausreichender Einkaufsmöglichkeiten vor Ort seien. Am Urlaubsort angekommen wurde ihr eine andere als die zuvor geplante Ferienwohnung zugewiesen, welche ca. 250 m vom Strand entfernt lag und in deren Nähe sich einzig ein „Minimarkt“ als Einkaufsmöglichkeit befand. Die M bemängelte zwar umgehend die geänderte Unterbringung. Abhilfe wurde jedoch nicht geschaffen. Die Familie bezog daraufhin die Wohnung. Während des Urlaubsaufenthaltes ging sie mehrfach Essen. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub wendete sich die M an den Reiseunternehmer R, der seinerseits nicht Eigentümer der Ferienwohnung war, mit dem Begehren, einen Teil der Reisekosten erstattet zu erhalten, da das eigentlich für sie vorgesehene Appartement, das ihren klar geäußerten Wünschen bei der Buchung entsprochen hätte, nicht zur Verfügung gestanden hatte. Auch verlangte sie die Erstattung eines Teils der angefallenen Verpflegungskosten. Der R wandte ein, das Vorhandensein eines „Minimarktes“ vor Ort sei ausreichend gewesen, um sich selbst zu versorgen und die unmittelbare Strandnähe sei bei einer Entfernung von 250 m ebenfalls gegeben. Er verweigerte daher jegliche Zahlung.

Entscheidung:

Das AG München sprach der Reisenden ein Recht zur Minderung in Höhe von insgesamt 20% des Reisepreises sowie einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Mehraufwendungen durch das auswärtige Essengehen mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil zu.

I. Rückerstattung Reisepreis, §§ 651 d I 2, 638 IV BGB

 

Zunächst kommt ein Recht auf Rückforderung des wegen wirksamer Ausübung des Minderungsrechts zu viel gezahlten Reisepreises gemäß §§ 651 d I 2, 638 IV in Betracht. Dessen Voraussetzungen müssten dann erfüllt sein.

 

1. Reisevertrag, § 651 a BGB

 

Ein Reisevertrag setzt nach § 651 a I 1 BGB zunächst voraus, dass der Reiseveranstalter sich dem Reisenden gegenüber zur Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen verpflichtet. Vorliegend vermittelte jedoch der R lediglich eine Ferienwohnung an die M und verpflichtete sich ansonsten nicht zur Erbringung darüber hinausgehender Leistungen. Eine „Gesamtheit von Reiseleistungen“ war daher nicht Gegenstand des vorliegenden Vertrages.

Allerdings entspricht es höchstrichterlicher Rechtsprechung, insbesondere bei Ferienhausverträgen die Vorschriften des Reisevertragsrechts entsprechend anzuwenden (z.B. BGH NJW 1985, 906), sofern nicht der Reiseunternehmer selbst Eigentümer der entsprechenden Wohnung ist. In letzterem Fall soll sich das Verhältnis zwischen ihm und dem Reisenden ausschließlich nach Mietrecht bestimmen.

Vorliegend war der Reiseunternehmer nicht Eigentümer der Ferienwohnungen. Reisevertragsrecht ist daher vorliegend entsprechend anwendbar.

Ein Vertrag wurde zwischen der Reisenden und dem Reiseunternehmer auch wirksam geschlossen.

 

2. Mangel, § 651 c I BGB

 

Die Reise müsste zudem mangelhaft sein gemäß § 651 c I BGB. Das ist der Fall, wenn entweder die zugesicherten Eigenschaften fehlen oder die Reise mit Fehlern behaftet ist, welche den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern.

Grundsätzlich ist ein Mangel der Reise bei Pauschalreisen nur zu bejahen, wenn ein Teil der Reise mangelhaft ist, dessen Mangelhaftigkeit sich negativ auf das gesamte Paket an Reiseleistungen auswirkt. Vorliegend bestand jedoch die Pflicht allein in der Beschaffung einer Ferienwohnung, die den Anforderungen entsprach, die bei Vertragsschluss vereinbart wurden. Diese allein kann folglich mangelhaft sein.

In Betracht kommt hier ein Abweichen der Unterkunft von der zugesicherten Eigenschaft.

Die Reisende M hat vorliegend gegenüber R deutlich gemacht, dass sie besonderen Wert darauf lege, dass die Wohnung in unmittelbarer Strandnähe liege. Dies wurde sogar zur unbedingten Buchungsvoraussetzung erhoben. Es handelte sich also um zugesicherte Eigenschaften im Sinne des § 651 c I BGB.

Fraglich ist, ob auch eine Abweichung davon vorliegt. Der R trägt vor, bei einer Entfernung der Wohnung vom Strand von 250 m sei eine unmittelbare Strandnähe zu bejahen. Das lehnte das AG aber ab. Nach seiner Ansicht ermögliche lediglich eine unmittelbare Strandlage ein spontanes und unkompliziertes Schwimmengehen am Morgen und sei daher nicht mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Anders sei es bei einer Entfernung von mindestens 250 m, die es erforderlich mache, sich entsprechend zu kleiden und jeweils eine Strecke zu Fuß zu gehen. Folglich wich die Wohnung hier von der zugesicherten Eigenschaft unmittelbarer Strandnähe ab.

 

3. Minderung

 

Auch müsste die Minderung des Reisepreises eingetreten sein. Dies ist abweichend von den Regelungen im Werkvertrags- und Kaufrecht schon dann der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 651 d BGB vorliegen. Die Minderung tritt hier also automatisch ein und ist nicht von der Ausübung des Minderungsrechts abhängig.

Die Reiseleistung Ferienunterkunft war während der Dauer der gesamten Reise mangelhaft. Auch hatte M nach § 651 d II BGB den Mangel unmittelbar bei Ankunft auf Korfu angezeigt.

Die Minderungsquote bestimmt sich nach § 638 III BGB, der über § 651 d I BGB anwendbar ist. Danach ist die Vergütung in dem Maße herabzusetzen, in welchem der Wert der Reise in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert der Reise gestanden haben würde. Das AG hielt eine Minderungsquote von 5 % hier für angemessen.

 

4. Informationspflichtverletzung

 

Das AG hat weiterhin eine selbständige Minderung des Reisepreises wegen vorsätzlicher Informationspflichtverletzung durch den R angenommen. Eine Minderung wegen positiver Informationspflichtverletzung kommt im Reiserecht nach gefestigter Rechtsprechung in Betracht, wenn sich die verschwiegene Information auf wesentliche negative Abweichungen von der geschuldeten Hauptleistung bezieht. Von wesentlichen Reisemängeln ist in der Regel dann auszugehen, wenn diese im Ergebnis eine Kündigung des Reisevertrages gem. § BGB rechtfertigen würden. Insoweit muss sich die Informationspflichtverletzung in anschließenden wesentlichen Reisemängeln widerspiegeln.

Vorliegend unterließ der R es, die M vor Reiseantritt darüber in Kenntnis zu setzen, dass ihr eine Ersatzunterkunft statt der zunächst vertraglich vereinbarten Ferienwohnung zur Verfügung gestellt werde. Diese Ersatzunterkunft litt an Mängeln, die in der Lage begründet waren, welche von der zugesicherten Lage abwichen. Diese Mängel hätten auch eine Kündigung der Reise durch M getragen. Daher handelte es sich bei der verschwiegenen Information vorliegend um eine die Minderung auslösende Informationspflichtverletzung.

Das AG München hielt für selbige eine Minderungsquote in Höhe von 15% des Reisepreises für angemessen.

 

5. Ergebnis

 

Die M kann Rückgewähr des Reisepreises in Höhe von 20% aufgrund wirksamer Minderung verlangen.

 

II. Schadensersatz, § 651 f BGB

 

Möglicherweise kann M zudem Schadensersatz in Höhe der Mehraufwendungen verlangen, die ihr durch das auswärtige Essengehen entstanden sind. Grundsätzlich kann gemäß § 651 f I BGB ein Schadensersatz auch neben der Minderung des Reisepreises geltend gemacht werden.

 

1. Reisevertrag, § 651 a BGB

 

Wie oben dargestellt, liegt ein Reisevertrag vor.

 

2. Mangel, § 651 c I BGB

 

Es könnte wiederum an einer zugesicherten Eigenschaft dadurch fehlen, dass in unmittelbarer Nähe der Unterkunft lediglich ein „Minimarkt“ zur Deckung der erforderlichen Verpflegung vorhanden war.

Vertraglich vereinbart wurde, dass nahegelegene Einkaufsmöglichkeiten im Umfeld der Ferienwohnung vorhanden sein müssen. Fraglich ist, ob dafür das Vorhandensein eines „Minimarktes“ in 800 m Entfernung ausreichend sein kann.

Dies lehnte das AG München ab, da ein „Minimarkt“ schon seiner Bezeichnung entsprechend nicht mit einem regulären Supermarkt vergleichbar sei. Das vorhandene Warenangebot sei demgegenüber erheblich eingeschränkt. Daher sei ein solcher „Minimarkt“ auch nicht dazu geeignet, die Verpflegung über insgesamt 14 Tage in zumutbarer Art und Weise zu ermöglichen.

Ein Mangel liegt daher in Form der Abweichung von einer zugesicherten Eigenschaft vor.

 

3. Vertretenmüssen

 

Das Vertretenmüssen des R wird gemäß § 651 f I BGB vermutet. Eine Exkulpation ist nicht ersichtlich.

 

4. Schaden

 

Der Schaden, der der M entstanden ist, besteht nach der Differenzhypothese in den Mehraufwendungen für das häufigere Auswärtsessen im Vergleich zu den Kosten, die bei einer Selbstverpflegung durch Einkauf in einem nahe gelegenen Supermarkt entstanden wären.

 

5. Ergebnis

 

Der M steht auch ein Schadensersatzanspruch in Höhe der tatsächlich entstandenen Mehraufwendungen zu.

 

Stellungnahme:

Die vorliegende Entscheidung bietet zunächst neue Erkenntnisse, indem sie das fehlende Vorhandensein adäquater Einkaufsmöglichkeiten und fehlende unmittelbare Strandnähe zu Abweichungen zusicherbarer Eigenschaften erhebt. Zudem bietet sie Gelegenheit, sich mit einigen Besonderheiten des Reisevertragsrechts erneut zu befassen: Die Tatsache, dass ein Mangel sich aus der Zusicherung von Eigenschaften ergeben kann, die – anders als im Kaufrecht beispielsweise – nicht Vertragsinhalt geworden sind, stellt eine solche Besonderheit dar. Auch wird hier erneut die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Reisvertragsrechts über den Wortlaut des § 651 a BGB hinaus verdeutlicht. Eine entsprechende Anwendung wurde höchstrichterlich nicht nur für die Vermietung einer Ferienwohnung ohne weitere Reiseleistungen, sondern zum Beispiel auch bereits für die Charterung einer Yacht bejaht (BGH NJW 1995, 2629). Zudem werden abermals die Voraussetzungen konkretisiert, die an die Information zu stellen sind, deren Verletzung zu einer Minderung des Reisepreises führen kann.

Die vorliegende Entscheidung ist wegen ihrer Kombination aus altbekannten Grundsätzen und Konkretisierung im aktuellen Fall daher jedem Examenskandidaten ans Herz zu legen.

 

21.08.2013/0 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2013-08-21 11:00:532013-08-21 11:00:53AG München: Minderung des Reisepreises und Schadensersatz
Gastautor

BGH: Schmerzensgeld und Heilbehandlungskosten bei Sturz als Unfallfolge?

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns einen Beitrag von Jan Markus Weber veröffentlichen zu können. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Münster.
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 26. Februar 2013 (BGH, Urt. v. 26.2.2013, VI ZR 116/12) entschieden, dass ein Unfallbeteiligter, der wegen eines Auffahrunfalls bei eisglatter Fahrbahn sein Fahrzeug verlässt, um sich über die Unfallfolgen zu informieren, dadurch nicht selbst einen eigenständigen Gefahrenkreis eröffnet. Stürzt er infolge der Eisglätte, verwirklicht sich nach Auffassung des BGH nicht eine aufgrund der Straßenverhältnisse gegebene allgemeine Unfallgefahr, sondern die besondere durch den Unfall entstandene Gefahrenlage.
Der vorliegende Beitrag stellt, unter Berücksichtigung der vorhergehenden Berufungsinstanz (OLG Oldenburg, Urt. v. 23.2.2012, 14 U 36/11), eine Aufbereitung der wesentlichen Kernaussagen dieser hochgradig examensrelevanten Entscheidung dar.
 
A. Sachverhalt
A ist am 15. Dezember 2010 um die Mittagszeit in der Stadt S mit seinem Pkw unterwegs. Aufgrund der winterlichen Außentemperaturen herrscht überall besondere Eisglätte. Als A an einer vorfahrtsberechtigten Straße anhält, rutscht die hinter A fahrende B mit dem von ihr gehaltenen Pkw mit geringer Geschwindigkeit in das Fahrzeug des A. Dabei verhakt sich die vordere Stoßstange des Fahrzeuges der B mit der Anhängerkupplung am Fahrzeug des A. Ein weiterer Sachschaden entsteht nicht, auch sind A und B zunächst unverletzt. A steigt aus seinem Pkw aus, geht zwecks Begutachtung der Unfallfolgen um die Fahrzeuge herum und rutscht in diesem Zusammenhang auf dem eisglatten Untergrund aus. Er erleidet bedingt durch den Sturz einen operativ zu versorgenden Trümmerbruch der rechten Schulter.
A verlangt von B Ersatz der Heilbehandlungskosten und die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. A erklärt, er sei nur aufgrund des Unfalls aus dem Auto ausgestiegen. An der Stelle an der er ausgerutscht sei, habe die Fahrbahn nicht übermäßig glatt ausgesehen. Im Übrigen habe er keine Standprobleme befürchten müssen, weil er – was zutrifft – winterfestes Schuhzeug mit Gummisohlen getragen habe. B entgegnet, A hätte die Fahrbahn nicht betreten dürfen, da diese erkennbar glatt gewesen sei. Außerdem sei der Sturz dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen, da er mit dem eigentlichen Unfallgeschehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr stehe.
Kann A von B den Ersatz der Heilbehandlungskosten und die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verlangen?
 
B. Mögliche Anspruchsgrundlagen und Ausgangsproblematik
I. Sowohl für den Ersatz der Heilbehandlungskosten, als auch im Hinblick auf die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes kommen, unter Berücksichtigung der §§ 249 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB bzw. § 11 StVG auf Rechtsfolgenseite, Ansprüche aus

  • § 7 Abs. 1 StVG (verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Kfz-Halters),
  • § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG (Haftung des Kfz-Fahrers für vermutetes Verschulden),
  • § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 Satz 1, 1 Abs. 2 StVO (Verschuldenshaftung)

in Betracht.
II. A hat eine Körper- und Gesundheitsverletzung in Form eines Trümmerbruchs in der rechten Schulter erlitten. B ist ein fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr anzulasten, „da sie entweder infolge einer den örtlichen Gegebenheiten nicht angepassten Fahrgeschwindigkeit oder zu geringen Abstandes oder Unaufmerksamkeit auf das Fahrzeug des Klägers aufgefahren ist.“ (BGH, a. a. O. Rn. 7.)
III. Voraussetzung für die Haftung nach § 7 Abs. 1 bzw. § 18 Abs. 1 StVG ist aber, „dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt worden ist.“ (BGH, a. a. O. Rn. 15.) Ähnlich setzt ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB voraus, „dass der für die Verschuldenshaftung erforderliche haftungsbegründende Zurechnungszusammenhang zwischen dem durch die Beklagte verschuldeten Unfall und den Verletzungen des Klägers“ (BGH, a. a. O. Rn. 9) gegeben ist.
Insofern könnten Zweifel bestehen, da A nach dem Aufprall der B sein Fahrzeug zunächst verlassen hat und erst in diesem Zusammenhang auf der eisglatten Fahrbahn, mit den bekannten Schadensfolgen, ausgerutscht ist.
 
C. Allgemeine Grundsätze und Lösung des BGH
I. Bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ist eines der in § 7 Abs. 1 StVG genannten Rechtsgüter verletzt worden, wenn sich eine Gefahr realisiert, die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel im Zusammenhang steht (Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, § 7 Rn. 7).
1. Nach der heute maßgeblichen verkehrstechnischen Auffassung (auf eine Darstellung zur engeren maschinentechnischen Auffassung wird aus Platzgründen verzichtet) ist ein Kraftfahrzeug in Betrieb, solange es sich im Verkehr befindet und andere Verkehrsteilnehmer (potenziell) gefährdet (Burmann a. a. O).
Das Tatbestandsmerkmal ist „entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen […]. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die vom dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist.“ (BGH, a. a. O. Rn. 15).
Voraussetzung ist aber, dass das Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann. Erforderlich ist, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (Burmann, in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, § 7 Rn. 13).
Entscheidend ist also, „dass es sich um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um deretwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. […] An dem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es dann, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will.“ (BGH, a. a. O.).
2. Im Hinblick auf diese Grundsätze könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass sich „in dem Sturz ein allgemeines Lebensrisiko“ realisiert hat, das sich „durch die allgemeine Betriebsgefahr des Fahrzeuges […] nicht erhöht“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 29) hat.
3. Nach Auffassung des BGH „fällt der Schaden des Klägers jedoch gerade nicht deshalb in einen Gefahrenkreis, der unabhängig von der Betriebsgefahr bestand, weil zur Zeit des Unfalls auf den Straßen des Unfallortes eine allgemeine Eisglätte herrschte. So […] verwirklichte sich beim Sturz des Klägers nicht ein von ihm selbst eröffneter eigenständiger Gefahrenkreis, dessen Risiken er selbst tragen muss. Vielmehr wurde der Kläger durch den beim Betrieb des Fahrzeuges von der Beklagten verursachten Auffahrunfall erst veranlasst, aus seinem Pkw auszusteigen und über die eisglatte Fahrbahn zu gehen, um sich über die Unfallfolgen zu informieren.“ (BGH, a. a. O. Rn. 16).
II. Im Rahmen von § 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB ist „für die Begründung einer Haftung erforderlich, dass zwischen der rechtswidrigen schuldhaften Handlung des Schädigers und einer nachfolgenden Rechtsgutverletzung ein kausaler Zusammenhang besteht.“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 18).
„Bei streng kausaler Betrachtung beruhte der nachfolgende Sturz des Klägers noch auf dem pflichtwidrigen Verhalten der Beklagten. Zwar erlitt der Kläger durch den Anstoß keine unmittelbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Jedoch kann dieser nicht hinweggedacht werden, ohne dass der zur Gesundheitsverletzung führende Sturz des Klägers entfiele. Denn ohne den Anstoß hätte es für den Kläger keinen Grund gegeben, das Fahrzeug zu verlassen und er wäre nicht an dieser Stelle gestürzt. Ein Verursachungszusammenhang liegt selbst dann vor, wenn man bei einem wertenden Maßstab vollkommen inadäquate Faktoren unberücksichtigt lässt, deren Eintritt nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge völlig außer Betracht gelassen werden müssten. Denn im vorliegenden Fall lag es nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger angesichts der bereits zum Unfall führenden glatten Straßenverhältnisse nach Verlassen seines Fahrzeuges ebenfalls in unmittelbare Nähe des Unfallortes stürzte.“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 20).
1. Diese Kombination von Äquivalenz- und Adäquanztheorie bedarf, insbesondere in den Fällen nur mittelbarer Verursachung, einer Ergänzung durch eine wertende Beurteilung (Grüneberg, in: Palandt, Vorb v § 249 Rn. 29).
„In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass die Zurechnung aller adäquat verursachten Folgen einer rechtswidrigen und schuldhaften Rechtsgutverletzung der normativen Begrenzung bedarf. Die Haftung findet ihre Grenze bei Kausalverläufen, die dem Schädiger billigerweise nicht mehr zuzurechnen sind […]. Weitere Voraussetzung für eine Haftung ist deshalb, dass eine auf die erste Rechtsgutverletzung nachfolgende weitere Verletzung eines Rechtsguts des primär Geschädigtem dem Schädiger bei wertender Betrachtung noch zuzurechnen ist.“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 21).
Das bedeutet, dass „sich allgemein verbindliche Grundsätze, in welchen Fällen ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang bejaht oder verneint werden muss, nicht aufstellen“ (BGH, a. a. O. Rn. 10) lassen. „Letztlich kommt es auf eine wertende Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls an. […] Auch kann der Verursachungsbeitrag eines Zweitschädigers einem Geschehen eine Wendung geben, die die Wertung erlaubt, dass die durch den Erstunfall geschaffene Gefahrenlage für den Zweitunfall von völlig untergeordneter Bedeutung ist und eine Haftung des Erstschädigers nicht mehr rechtfertigt.“ (BGH, a. a. O.) „In diesem Falle gebe das eigenständige Verhalten des nachfolgenden Fahrzeugführers dem Geschehen eine Wendung, durch die das mit dem Erstunfall gesetzte Risiko für den Zweitunfall von völlig untergeordneter Bedeutung sei.“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 22).
a. Zu berücksichtigen ist einerseits, „welcher Art der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des durch des Zweitgeschehen des Geschädigten“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 23) ist.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass A nach dem Unfall eigenständig aus seinem Fahrzeug ausgestiegen ist und die Fahrbahn betreten hat. Womöglich hätte A dabei bedenken müssen, dass aufgrund der herrschenden Eisglätte eine erhöhte Sturzgefahr bestand. A behauptet aber zumindest, die Fahrbahn habe aus seiner Sicht an der Sturzstelle nicht übermäßig glatt ausgesehen. Darüber hinaus trug er nachweislich winterfestes Schuhzeug mit Gummisohlen. Sein eigener Verursachungs- und Verschuldensbeitrag ist gegenüber dem Auffahren der B daher als eher geringfügig zu bewerten.
b. Andererseits „wird darauf abgehoben, ob sich in dem Zweitgeschehen noch ein gerade dem Erstgeschehen innewohnendes Risiko (mit)verwirklicht hat, welches die von dem Schädiger beim Unfall verletzte Verhaltensnorm verhüten will. Welche Gefahrenmomente insoweit zu berücksichtigen sind, hängt wiederrum von deren Schutzzweck ab. […] Realisiert sich im Schaden lediglich ein allgemeines Lebensrisiko, scheidet eine Zurechnung danach aus.“ (OLG Oldenburg, a. a. O.)
„Verwirklicht sich in der Verletzung eine gerade durch den Unfall gesetzte Gefahr, ist es berechtigt, diese dem ursprünglichen Unfallereignis zuzurechnen.“ (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 24)
2. Im Hinblick auf diese Grundsätze könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass nicht festzustellen ist, „dass sich in dem Sturz des Klägers gerade eine solche Gefahr verwirklicht hat, der die von der Beklagten verletzten Vorschriften der § 823 BGB, §§ 3 Absatz 1, 4 Absatz 1, 1 Absatz 2 StVO entgegenwirken wollen. Zwar musste der Kläger das Fahrzeug verlassen, nachdem es zum Unfall gekommen war, um sich über das Schadensbild und die Person des Schädigers zu unterrichten. Auch war ihm ein Weiterfahren nicht möglich, weil das Fahrzeug der Beklagten auf der Anhängerkupplung festhing. Es gehört dann zum typischen Geschehensablauf, dass die Beteiligten die Fahrbahn verlassen, um das Geschehen mit der Beklagten zu erörtern. (OLG Oldenburg, a. a. O. Rn. 25).
Dieses Verhalten ist aber nicht mehr mit einer besonderen Gefahr verbunden, welche die Beklagte gerade durch das Auffahren auf das vom Kläger geführte Fahrzeug gesetzt hat. Unstreitig ist der Kläger nur deshalb zu Fall gekommen, weil der Boden an der Sturzstelle wegen Eisbildung sehr glatt war […]. Nach dem der Kläger bereits einige Meter auf der allgemein glatten Fahrbahn zurückgelegt hatte, verwirklichte sich mit dem Sturz eine allgemeine Gefahr, der andere Verkehrsteilnehmer ebenso ausgesetzt waren. Folglich realisierte sich mit dem Sturz ein allgemeines Lebensrisiko, bei dem der Kläger durch den von der Beklagten verursachten Unfall in keine gefährlichere Lage gebracht wurde, als sie auch für andere Bürger bestand.“ (OLG Oldenburg, a. a. O.).
3. Der BGH teilt hingegen nicht die Auffassung, „dass sich in dem Sturz des Klägers ausschließlich die durch die Straßenverhältnisse begründete allgemeine Unfallgefahr verwirklichte. Auch wenn zum Unfallzeitpunkt aufgrund der winterlichen Straßenverhältnisse die Gefahr allgemein gegeben war, dass Fußgänger ins Rutschen geraten und stürzen, war für die Verletzung des Klägers entscheidend, dass er nur wegen des Auffahrunfalls aus seinem Fahrzeug ausstieg und über die eisglatte Fahrbahn ging, um die Unfallstelle zu besichtigen und zum Gehsteig zu gelangen. Der vom Berufungsgericht gezogene Vergleich mit einem beliebigen anderen Fußgänger, der zu dieser Zeit auf den Straßen des Unfallorts unterwegs war, lässt dies unberücksichtigt. Ohne den Unfall hätte der Kläger sein Fahrzeug an der Unfallstelle nicht verlassen und wäre auch nicht infolge der dort bestehenden Eisglätte gestürzt. In dem Sturz realisierte sich mithin die besondere Gefahrenlage für die an einem Unfall beteiligten Fahrzeugführer, die zur Aufnahme der erforderlichen Feststellungen für eine gegebenenfalls notwendige Schadensabwicklung aus dem Fahrzeug aussteigen und sich auf der Fahrbahn bewegen müssen. Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang mit dem von der Beklagten verschuldeten Unfall kann danach nicht verneint werden.“ (BGH, a. a. O. Rn. 11).
Das Berufungsgericht „fasst […] den Schutzbereich der von der Beklagten missachteten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften der § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 StVO zu eng. Deren Schutzzweck erstreckt sich, wie schon aus § 1 StVO zu entnehmen ist, auf die Verhütung von Unfallrisiken und die mit dieser Bedrohung für Leben und Gesundheit in einem inneren Zusammenhang stehenden Gesundheitsschäden. Hierzu können auch erst im Anschluss an den Verkehrsunfall also bei der Begehung oder bei der Unfallaufnahme erlittene Verletzungen gehören, in denen sich die Gefahren des Straßenverkehrs an der Unfallstelle verwirklichen. […] Mithin wird auch der durch den Sturz bedingte Schaden des Klägers vom Schutzzweck der von der Beklagten missachteten Straßenverkehrsvorschriften umfasst.“
 
D. Hinweise für die klausurmäßige Bearbeitung
Sofern der Bearbeitervermerk die Vorschriften des StVG nicht ausdrücklich von der Bearbeitung ausnimmt, ist, entgegen der Reihenfolge in den Entscheidungsgründen des BGH, mit der gutachterlichen Prüfung von § 7 Abs. 1 StVG zu beginnen. Dies schon deshalb, da es sich bei § 7 Abs. 1 StVG, wie erwähnt, um eine, für den Anspruchsteller günstigere, verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung handelt. Innerhalb der Erörterung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb“ bedarf es einer differenzierten und ausführlichen Auseinandersetzung mit der oben aufgezeigten Problematik. Eine gute Darstellung zeichnet sich dabei dadurch aus, dass nicht nur für die eigens bevorzugte Auffassung argumentiert, sondern auch auf Gegenargumente verwiesen wird. Im Anschluss daran darf ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB nicht übersehen werden. Die in diesem Rahmen erforderliche Argumentation deckt sich in gewisser Hinsicht mit der zu § 7 Abs. 1 bzw. § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG. Letztendlich geht es schwerpunktmäßig um die Abgrenzung allgemeiner Lebensrisiken von Risiken, die nach Maßgabe der genannten Zurechnungskriterien (noch) mit dem schadensstiftenden Ereignis im Zusammenhang stehen.
 
E. Weitere relevante Rechtsprechungsentscheidungen

  • BGH, Urt. v. 28.10.1969, VI ZR 61/68 = VersR 1970, 61 – Zur Frage der Haftung des Unfallschädigers für einen vom Geschädigten an der Unfallstelle erlittenen zweiten Unfall
  • BGH, Urt. v. 6.6.1989, VI ZR 241/88 = BGHZ 107, 359 – Haftungsrechtlicher Zusammenhang zwischen Schlaganfall des Geschädigten aus Erregung über das Verhalten des Schädigers nach einem Verkehrsunfall mit dem Verkehrsverstoß oder der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs
  • BGH, Urt. v. 3.7.1990, VI ZR 33/90 = NJW 1990, 2885 – Voraussetzungen der deliktischen und Gefährdungshaftung des Verfolgten für Schaden des Verfolgers bei Verfolgungsfahrt: Herausforderung zur Selbstgefährdung; Verwirklichung der Betriebsgefahr
  • BGH, Urt. v. 2.7.1991, VI ZR 6/91 = BGHZ 115, 84 – Halterhaftung für Schaden aufgrund eines vornehmlich durch den Geschädigten gesetzten Risikos, hier: Massentierhaltung
  • BGH, Urt. v. 10.2.2004, VI ZR 218/03 = NJW 2004, 1375 – Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall auf der Autobahn: Tatrichterliche Würdigung des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs bei Zweitunfall durch ungebremstes Hineinfahren eines Fahrzeugführers in Absperrmaßnahmen nach einem Erstunfall

27.05.2013/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-05-27 20:03:272013-05-27 20:03:27BGH: Schmerzensgeld und Heilbehandlungskosten bei Sturz als Unfallfolge?
Dr. Maximilian Schmidt

OLG Hamm: Zivilrechtliche Haftung bei Foulspiel

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der 6. Zivilsenat des OLG Hamm hat mit Urteil vom 22.10.2012 (AZ: I-6 U 241/11) einen für die juristische Allgemeinbildung, aber auch im Hinblick auf die juristischen Staatsexamina interessanten Sachverhalt entschieden.
A. Sachverhalt
Im vorliegenden Fall ging es um eine Situation, die sich so oder so ähnlich häufig auf Fußballplätzen in der ganzen Republik abspielt.

„Bei einem Meisterschaftsspiel der Kreisliga A 3 des Kreises Dortmund war der klagende Spieler am 18.04.2010 vom beklagten Spieler der gegnerischen Mannschaft mit gestrecktem Bein gefoult worden. Durch das vom Schiedsrichter mit der gelben Karte geahndete Foul zog sich der Kläger eine schwere Knieverletzung zu, in deren Folge er seinen Beruf als Maler und Lackierer bis heute nicht mehr ausüben kann.“ (Auszug aus der Pressemitteilung des OLG Hamm)

Nun klagte der Geschädigte auf Ersatz für seine materiellen und immateriellen Schäden.
B. Entscheidung des OLG
Als Anspruchsgrundlage kommt nur ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
Durch die vom Beklagten herbeigeführte schwere Knieverletzung liegt eine kausal verursachte Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers vor.
Fraglich ist in Fällen der Verletzungen bei Sportveranstaltungen, wie weit die deliktische Haftung der Gegenspieler geht.
Insoweit ist zwischen drei Konstellationen der sportspezifischen Verletzungshandlung zu unterscheiden:
I. Zunächst hat der BGH schon 1957 entschieden, dass durch regelwidriges Verhalten herbeigeführte Verletzungen eine deliktische Haftung auslösen können (vgl. BGH v. 05.03.1957, VI ZR 199/56). Erforderlich ist hierzu ein Verstoß gegen die Regeln, die die Mannschaften für sich akzeptiert haben (BGH v. 05.11.1974, VI ZR 100/73). Insoweit wird von der Rechtsprechung (auch vom OLG Hamm) der Regelkatalog des DFB herangezogen. Nach dessen generalklauselartiger Nr. 12 (http://www.dfb.de/index.php?id=508078) ist rücksichtsloses und besonders grobes Foulspiel verboten (sog. Blutgrätsche), was bei einem Verstoß zu einem Spielausschluss durch Rote Karte und einen direkten Freistoß für den Gegner führt.
In diesen Fällen liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen die gegenseitig akzeptierten Spielregeln vor, was eindeutig zu einer deliktischen Haftung führen kann (vgl. BGH v. 05.11.1974, VI ZR 100/73).
II. Das Gegenstück stellen Verletzungen durch regelkonformes Verhalten dar. In diesen Fällen, z.B. beim sog. „Pressschlag“, kommt es ohne ein Foulspiel zu einer Verletzung des Gegenspielers.
Hierzu hat der BGH ausgeführt, dass

„Fußball ein Kampfspiel, d.h. ein gegeneinander ausgetragenes „Kontaktspiel“ [sei] – bei dem es also zu körperlichen Berührungen kommt -, das unter Einsatz von Kraft und Geschicklichkeit geführt wird und das wegen des dieser Sportart eigenen kämpferischen Elementes bei dem gemeinsamen „Kampf um den Ball“ nicht selten zu unvermeidbaren Verletzungen führt. Mit deren Eintritt rechnet jeder Spieler und geht davon aus, daß auch der andere diese Gefahr in Kauf nimmt, daher etwaige Haftungsansprüche nicht erheben will. Ein dieser Spielordnung etwa entgegenstehender innerer Vorbehalt eines Spielers wäre rechtlich unbeachtlich; denn die Rechtsbeziehungen der an einem Fußballspiel Beteiligten müssen schadensrechtlich in ihrer objektiven Typizität bewertet werden, so daß es auf die individuelle Haltung des jeweiligen Spielers nicht ankommt. Mit einem dennoch erhobenen Schadensersatzanspruch würde sich der Verletzte in rechtlich unzulässigen Widerspruch zu seinem vorhergehenden Verhalten setzen.“ (BGH v. 05.11.1974, VI ZR 100/73).

Der BGH löst diese Fälle also über § 242 BGB, dem Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens, und lehnt damit letztendlich eine Inanspruchnahme des Foulenden ab.
Einfacher wäre es festzustellen, dass aufgrund der Regelkonformität schon gar keine Sorgfaltswidrigkeit des Gegners vorliegt (so MüKoBGB-Wagner, § 823 Rn. 549), sodass eine Fahrlässigkeitshaftung ausscheidet. Dies folgt schon aus der „reziproken“ Situation: Der Geschädigte hätte genauso selbst Schädiger sein können, liegen doch Verletzungen auch bei regelkonformer Spielweise in der Natur des Fußballspiels. Dies macht deutlich, dass dann schon gar kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, handelt der Schädiger doch innerhalb des von beiden akzeptierten Regelwerks.
III. Problematisch sind vor allen Dingen die Fälle, in denen ein bloß geringfügiger Regelverstoß vorliegt (sog. „erlaubte Härte“). Fraglich erscheint in diesen Konstellationen, ob dennoch eine Haftung begründet werden kann.
Dies ist, soweit ersichtlich, vom BGH bisher mit Tendenz zur Ablehnung einer Haftung offen gelassen worden (vgl. BGHZ 154, 316). Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung verneint hingegen eindeutig eine Haftung bei geringfügigen Regelverstößen in „wettbewerbstypischen Risikolagen“ (so wörtlich OLG Hamm v. 04.07.2005, 34 U 81/05; s. auch OLG Karlsruhe v. 19.03.2004, 23 U 6/03 BSch).
Somit lässt sich feststellen, dass bei dem sog. „handelsüblichen“, d.h. zwar regelwidrigem, aber unvorsätzlichen Foulspiel eine vergleichbare Situation zu regelkonformen Verhaltensweisen besteht. (Unabsichtliche) Fouls gehören zum Fußball wie die Tore.
Im Ergebnis sollte daher auch bei leichten Regelverstößen , die „im Eifer des Gefechts“ begangen werden, eine Haftung ausgeschlossen werden („spieltechnische Inkompetenz“, MüKoBGB-Wagner, § 823 Rn. 550). Andernfalls würde das von beiden Spielern in Kauf genommene Verletzungsrisiko zufällig und mit schweren wirtschaftlichen Folgen auf den Verletzenden abgewälzt, ohne dass dieser den typischen Rahmen eines Fußballspiels verlassen hat.
Fraglich und für die Klausur interessant ist noch die dogmatische bzw. prüfungstechnische Einordnung dieses Ergebnisses.
Mit seiner Argumentation zielt die Rechtsprechung auf die Grundsätze des Verbotes des selbstwidersprüchlichen Verhaltens ab, § 242 BGB. Insofern genügt ein richterliches „jedenfalls“, um eine Haftung über § 242 BGB auszuschließen.
In der Klausur bietet es sich hingegen an auch die in der Literatur diskutierten Ansätze anzusprechen und darzulegen:
Teilweise wird ein eingeschränkter Fahrlässigkeitsmaßstab anhand des zugrunde liegenden Regelwerks und der sportspezifischen Umstände gewählt (so MüKoBGB-Wagner, § 823 Rn. 550). Zudem wird ein die Zurechnung ausschließendes „Handeln auf eigene Gefahr“ vertreten; auch erscheint die Annahme einer (konkludenten) rechtfertigenden Einwilligung denkbar (zusammenfassend und m.w.N.: BGH NJW 2003, 2018).
IV. Im konkreten Fall stellte sich diese Problematik freilich nicht. Das Foulspiel wurde hier durch eine „grob regelwidrige“ Spielweise begangen, sodass eine Haftung nach § 823 BGB zu bejahen war. Das OLG sprach damit ein – für deutsche Verhältnisse sehr hohes – Schmerzensgeld von 50.000€ zu. Daneben wurde auch ein Schadensersatzanspruch (Verdienstausfall etc.) bejaht.
C. Fazit
Für die Klausur sollte darauf geachtet werden, zwischen den einzelnen „Foularten“ zu differenzieren:
Bei (vom Anspruchsteller zu beweisenden) groben Regelverstößen ist eine Haftung unproblematisch zu bejahen.
Liegt gar kein Regelverstoß vor, wird man mit Hinweis auf die sportspezifische „reziproke“ Situation entweder den Fahrlässigkeitsmaßstab absenken können oder über § 242 BGB einen Haftungsausschluss konstruieren können.
In den klausurträchtigen Grenzfällen zwischen „erlaubter Härte“ und „regelwidriger Unfairness“ ist eine umfassende Auseinandersetzung mit den Wertungen des Deliktsrechts und eine darauf aufbauende Einordnung in den oben dargestellten Prüfungsaufbau vorzunehmen. Möchte man sich im Gutachten für eine Ansicht entscheiden, liegt m.E. dogmatisch ein modifizierter Haftungsmaßstab nahe, so dass im Rahmen der Fahrlässigkeit auf die besondere sportspezifische Situation abgestellt werden kann. Die Wertung des BGH mit § 242 BGB bleibt hingegen zumindest von ihrer Verortung unklar.
Hinsichtlich des Urteils des OLG Hamm lässt sich abschließend feststellen, dass es die bisherige Rechtsprechung lediglich bestätigt, so dass das mediale Echo („Was darf man auf dem Fußballplatz?“) überzogen wirkt.
 

28.11.2012/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2012-11-28 18:00:522012-11-28 18:00:52OLG Hamm: Zivilrechtliche Haftung bei Foulspiel
Dr. Simon Kohm

Kachelmann klagt auf Schadensersatz

Deliktsrecht, Lerntipps, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Der Fall Kachelmann hat in der jüngsten Vergangenheit die Öffentlichkeit und die Justiz beschäftigt. Auch wir berichteten über den Fall. Laut den aktuellen Nachrichten scheint Kachelmann nun seine ehemalige Geliebte auf Schadensersatz verklagen zu wollen (Kosten der Rechtsverteidigung und Gutachterkosten). Die mündliche Verhandlung findet am Mittwoch vor dem LG Frankfurt statt. In der Berichterstattung ist die Rede von einer Schadenssumme von 13.352,69  €. Grund genug für uns, uns mit den Voraussetzungen eines derartigen Anspruchs auseinanderzusetzen.
Anspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB
Soweit es um Vermögensschäden geht (Kosten für Rechtsverteidigung oder Gutachtertätigkeit) sind diese nicht über § 823 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Das bloße Vermögen ist nicht Schutzgut im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB. An dieser Stelle sollte (auch wenn das vorliegend wohl nicht beantragt ist) an eine Entschädigung wegen Verletzung des APR gedacht werden. Die Rechtsprechung hierzu ist ellenlang (vgl. dazu bspw. den Fall Gäfgen aus der jüngsten Vergangenheit).
Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 153 StGB
Im Hinblick auf § 823 Abs. 2 BGB ist der Ersatz von Vermögensschäden grundsätzlich denkbar, beispielsweise in Verbindung mit Straftatbeständen wie dem Betrug oder der Untreue. Vorliegend käme allenfalls § 153 StGB als „Schutzgesetz“ in Frage. Als solches darf es in erster Linie nicht nur die Allgemeinheit, sondern gezielt auch den Einzelnen schützen. Erfasst sind sachlich (im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm) die Interessen, denen das jeweilige Schutzgesetz dient. Fraglich ist also, ob die Aussagedelikte des StGB das Vermögen des Angeklagten im Strafprozess schützen. Geschützes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege bzw. das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfeststellung (Fischer, Vor § 153, Rn. 2). Der Schutz des Vermögens des Angeklagten darf hier bestenfalls als „reflexhaft“ angesehen werden. Ansonsten würde auch die Grundentscheidung des § 823 BGB unterlaufen werden. das Vermögen gerade nicht zu schützen. Die Rechtslage ist wohl umstritten, man kann sicher beide Ansichten vertreten.
Anspruch gem. § 826 BGB
Vermögensschäden sind aber im Rahmen von § 826 BGB ersatzfähig. Tatbestandlich erforderlich ist hier eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung. Eine relevante Handlung wird hier seitens des Klägers mit Sicherheit in der falschen Beschuldigung, aber vor allem der falschen Aussage vor Gericht, zu sehen sein.
Fraglich ist hier vor allem, ob Kachelmann die Anspruchsvoraussetzungen beweisen kann. Denn im Zivilprozess gilt im Gegensatz zum Strafprozess der Beibringungsgrundsatz. Dabei ist im vorliegenden Fall vor allem problematisch, dass es im vorhergehenden Strafprozess bereits eine umfassende Beweisaufnahme im Hinblick auf die Schuld Kachelmanns gegeben hat. Im vorliegenden Zivilprozess würde sich die gleiche Frage stellen, da es darum geht, ob die geschilderten Geschehnisse der besagten Zeugen als wahr anzusehen sind. Im Strafprozess müsste dem Angeklagten die Schuld ohne Zweifel nachzuweisen sein, was nicht geschehen ist. Im jetzigen Zivilprozess müsste der Angeklagte (quasi) seine Unschuld positiv beweisen.
Es stellt sich damit die Frage nach der Bindungswirkung von Strafurteilen für den Zivilprozess. Dabei ist festzuhalten, dass es gerade keine Bindungswirkung im Sinne eines Präjudizes gibt.
Möglich ist es aber, die im Strafurteile getroffenen Feststellungen im Rahmen des Zivilurteils als Beweismittel zu behandeln, vgl. KG Berlin, Urteil vom 25.01.2006, Az. 11 U 6883/97, Rn. 29:

Gleichwohl können die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Zivilprozess als Beweismittel verwertet werden.

Zwar hat auch der Zivilrichter seine eigene Beweiswürdigung anzustellen, gleichwohl wird er sich mit den Feststellungen im Strafurteil auseinandersetzen müssen, vgl. KG Berlin, Urteil vom 25.01.2006, Az. 11 U 6883/97, Rn. 29:

Angesichts der Identität des den Gegenstand dieses Rechtsstreits und den des Strafverfahrens bildenden Sachverhalts darf daher einerseits das rechtskräftige Strafurteil und dürfen andererseits die urkundlich zu verwertenden Aussagen der Beklagten nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar hat sich der Zivilrichter seine Überzeugung grundsätzlich selbst zu bilden und ist daher an die Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils nicht gebunden. Das enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht, sich jedenfalls mit den im Strafurteil getroffenen Feststellungen gründlich auseinander zu setzen, soweit diese für die eigene Beweiswürdigung relevant sind.

Dabei wird in der Regel den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, vgl. dazu auch OLG Köln, Urteil vom 11.01.1991, Az. 19 U 105/90, Rn. 7:

Dies hindert jedoch nicht, daß das Zivilgericht – wenn eine Beweisaufnahme vor dem Senat ausscheidet, weil die von der Beklagten benannte Zeugin S die Aussage verweigern wird – in freier Überzeugung entscheidet, ob es die vom Strafrichter festgestellten Tatsachen für wahr erachtet. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, daß im Strafurteil Beweisergebnisse lediglich wiedergegeben werden, so daß diese nicht wie vom erkennenden Gericht erhobene Beweise behandelt werden können, sondern als Darlegung des Strafrichters zu würdigen sind. In der Regel wird dabei den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit von den Parteien beigebracht werden.

Die Grundsätze sind damit erläutert: Der Zivilrichter trifft seine eigene Beweiswürdigung, wird sich aber (schon aus arbeitsökonomischen Gründen) an die Beweiswürdigung des Strafgerichts halten. In diesem Zusammenhang können auch neue Beweismittel zugelassen werden, gerade aber die doch sehr langwierige Beweisaufnahme im Strafprozess lässt dies, jedenfalls von hier aus betrachtet, nicht vermuten.
Die Sittenwidrigkeit wird sich im vorliegenden Fall grundsätzlich bejahen lassen. Einen Unschuldigen (unterstellt) durch eine falsche Aussage (unterstellt) in die Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung zu bringen, dürfte dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widersprechen.
Die Voraussetzungen für den Vorsatz sind ebenso vom Kläger zu beweisen.
Ein kausaler Schaden dürfte in den angemessenen Anwaltskosten und den Gutachterkosten, die der Rechtsverteidigung dienen, zu sehen sein.
Fazit
Der Fall bietet mal wieder Gelegenheit, sich mit den Grundsätzen der deliktischen Haftung nach §§ 823 ff BGB zu befassen. Vor allem die Frage nach der Bindungswirkung strafrechtlicher Urteile ist interessant und lässt sich problemlos in eine Klausur im 2. Examen einbauen und taugt ebenso für eine Frage in der mündlichen Prüfung. Nicht zuletzt wegen der Bekanntheit der Sache „Kachelmann“ also examensrelevant!
 
 
 
 
 

30.10.2012/2 Kommentare/von Dr. Simon Kohm
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Simon Kohm https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Simon Kohm2012-10-30 09:25:512012-10-30 09:25:51Kachelmann klagt auf Schadensersatz
Gastautor

Aufsatzwettbewerb: Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen der §§ 280 ff. BGB in der Examensklausur

Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns, euch heute den dritten Beitrag zu unserem Aufsatzwettbewerb veröffentlichen zu können.
Der Beitrag wurde von David Ullenboom verfasst.
Wichtig ist: Entscheidend für die Vergabe der Preise ist die Anzahl „likes“ hier auf unserer Seite sowie auf Facebook in den nächsten 2 Wochen . Also fleißig voten, wenn euch der Beitrag gefällt.
I. Einführung
Die Abgrenzung der verschiedenen Haftungstatbestände der §§ 280 ff. BGB ist eine der schwierigsten Fragen des neuen Schuldrechts (BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 25). Um eine sachgerechte Abgrenzung in der Klausur vornehmen zu können, muss man sich zunächst die Systematik der §§ 280 ff. BGB vergegenwärtigen. Ausgangspunkt der neuen Systematik ist der Grundtatbestand des § 280 I BGB (sog. „einfacher Schadensersatz“). Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis und hat er die Pflichtverletzung zu vertreten, so ist er dem Gläubiger grds. zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei hat es aber nicht sein Bewenden. Gem. § 280 II BGB kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 (Mahnung) ersetzt verlangen (sog. „Verzugsschadensersatz“). § 280 III BGB fährt fort und bestimmt, dass der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 281 BGB (Fristsetzung) oder § 283 (nachträgliche Unmöglichkeit) beanspruchen kann (sog. „Schadensersatz statt der Leistung“). Der einfache Schadensersatz und der Verzugsschadensersatz treten neben die vertragliche Hauptleistungspflicht, lassen diese also unberührt (sog. „Schadensersatz neben der Leistung“). Der Schadensersatz statt der Leistung tritt, wie der Begriff bereits nahe legt, an die Stelle der Hauptleistungspflicht, bringt diese also zum Erlöschen (vgl. §§ 281 IV, 275 I, IV BGB)
Die Abgrenzung der verschiedenen Haftungsnormen ist im Übrigen keine rein akademische Frage für Examensklausuren, sondern eine Frage von immenser praktischer Bedeutung. Da Verzugsschadensersatz grds. nur im Falle einer Mahnung und Schadensersatz statt der Leistung nur bei Vorliegen einer Fristsetzung eingreift, kann die Frage der Anwendung der einschlägigen Haftungsnorm auch über Obsiegen und Unterliegen im Prozess entscheiden (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 26).
Das Verständnis der richtigen Anwendung der §§ 280 ff. BGB fällt vielen Studierenden der Rechtswissenschaft auch deshalb so schwer, weil dem modernen Schuldrecht nach wie vor ein Stück weit die „verschüttete“ Dogmatik des alten Schuldrechts vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 zugrunde liegt. Darauf wird an  geeigneter Stelle zurückzukommen sein.
II. Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung (§§ 281, 283) und Schadensersatz neben der Leistung (§§ 280, 286)
Für die Abgrenzung von Schadensersatz statt der Leistung und Schadensersatz neben der Leistung haben sich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion im Wesentlichen zwei Lösungsansätze herausgebildet. Während manche eine begriffliche Abgrenzung anhand der Art des Schadens vornehmen möchten (sog. „begriffsbezogener Ansatz“), favorisiert die Gegenansicht eine zeitliche Abgrenzung, d. h. eine Abgrenzung danach, wann der Schaden auf der Zeitachse beginnend ab Fälligkeit der Hauptleistungspflicht eingetreten ist. Entscheidend ist hier der Entstehungszeitpunkt des Schadens (sog. „zeitlicher Ansatz“), vgl. zum Ganzen BeckOK-Unberath, § 281 Rn. 27.
1.     Der begriffsbezogene Ansatz setzt bei dem Begriff „Schadensersatz statt der Leistung“ in § 281 BGB an und versucht diese Schadensart vom Schadensersatz neben der Leistung schadensphänomenologisch abzugrenzen (z.B. Grigoleit/Riehm, ACP 203, 727, 762; Jauernig-Stadler, § 280, Rn. 3 f.). Mit Schadensersatz statt der Leistung soll demnach nur das „Äquivalenzinteresse“ ersatzfähig sein. Dies ist das Interesse des Gläubigers, eine gemessen an seiner Leistung gleichwertige Gegenleistung zu erlangen und diese planmäßig verwenden oder verwerten zu können (z. B. Wert der Sache, entgangener Weiterveräußerungsgewinn, Mehrkosten eines Deckungskaufs). Über Schadensersatz neben der Leistung, soll nur das sog. „Integritätsinteresse“, d. h. das Interesse des Gläubigers an der Unversehrtheit seiner sonstigen Rechtsgüter, ausgeglichen werden. Gleichbedeutend unterscheidet man im Gewährleistungsrecht (§ 437 Nr.3 iVm §§ 280 ff.) zwischen dem sog. „Mangelschaden“, der allein über § 437 Nr.3, 281, 283 ersatzfähig sein soll und dem sog. „Mangelfolgeschaden“, der dem § 437 Nr.3, 280 I unterfällt. Der Mangelschaden ist hierbei der Schaden an der Sache selbst und der allgemeine Vermögensschaden (z. B. mangelbedingter Minderwert). Der Mangelfolgeschaden hingegen ist der Schaden, der dem Gläubiger an anderen Rechtsgütern als der Kaufsache entstanden ist (z. B. Körperschäden, Schäden an anderen Sachen).
2.    Im Anschluss an Lorenz, NJW 2002, 2497 ff. hat sich aber der zeitbezogene Ansatz überwiegend durchgesetzt. Lorenz hat zurecht darauf hingewiesen, dass die Verwendung der aus dem alten Schuldrecht geläufigen Begriffe wie Mangelschaden und Mangelfolgeschaden oder Äquivalenzinteresse und Integritätsinteresse, den Blick auf die Systematik des neuen Schuldrechts verstellt (Lorenz, NJW 2002, 2500). Der zeitbezogene Ansatz setzt hierbei nicht bei dem Begriff „Schadensersatz statt der Leistung“ in § 281 an. Weil der Gläubiger gem. §§ 281, 283 nur „unter den Voraussetzungen des § 280 I“ Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann und gem. § 280 I der „durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden“ zu ersetzen ist, soll Dreh- und Angelpunkt des neuen Leistungsstörungsrecht die „Pflichtverletzung“ des Schuldners sein. Schäden, die zeitlich vor der Pflichtverletzung endgültig entstanden sind, sollen nur mit Schadensersatz neben der Leistung ersatzfähig sein. Schäden, die hingegen zeitlich nach der Pflichtverletzung entstanden sind, sollen dem Schadensersatz statt der Leistung unterfallen. Worin indes genau die Pflichtverletzung im Rahmen der §§ 281, 283 BGB zu erblicken ist, ist umstritten. Im Wesentlichen werden hier die folgenden drei Ansichten vertreten:
a) Nach einer Ansicht ist die entscheidende Pflichtververletzung der §§ 281, 283 in der nicht ordnungsgemäßen Leistung trotz Fälligkeit zu erblicken. Demgemäß sei der Gläubiger im Rahmen der §§ 281, 283 so zu stellen, wie er stünde, wenn „ordnungsgemäß“, d. h. bei Fälligkeit und mangelfrei, geleistet worden wäre (z. B. Palandt-Grüneberg, § 281 Rn. 25). Dieser Ansicht liegt die Vorstellung zugrunde, dass der dem neuen Schuldrecht entstammende Begriff des „Schadensersatz statt der Leistung“ identisch sei mit dem Begriff des „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ nach altem Recht gem. den §§ 283, 326 I, 463 BGB a. F.. Der BGH hatte entschieden, dass der Gläubiger im Rahmen dieses Schadensersatzanspruchs so zu stellen sei, als wenn ordnungsgemäß zum vorgesehenen Erfüllungszeitpunkt erfüllt worden wäre (vgl. zuletzt BGH NJW 1999, 2625).
Dieser ersten Ansicht hat sich jüngst zumindest für das allgemeine Leistungsstörungsrecht, nicht aber für das Gewährleistungsrecht (!), auch der BGH angeschlossen und seine Rechtsprechung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung insoweit nunmehr auf den Anspruch aus § 281 BGB übertragen (vgl. BGH JZ 2010, 44 ff.).
In der Konsequenz dieser Ansicht liegt es aber, dass grds. alle Schäden, die zeitlich nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit eingetreten sind, mit dem Schadensersatzanspruch aus §§ 281, 283 BGB zu ersetzen wären. Also auch typische Integritätsschäden wie Gesundheitsverletzungen und typische Verzögerungsschäden wie z. B. Kosten für die vorübergehende Anmietung einer Ersatzsache. Da dies sogar manchen Vertretern dieser Ansicht zu weit geht, wollen einige nun wiederum in einem zweiten Schritt typische Integritäts- und Verzugsschäden aus dem Anwendungsbereich der §§ 281, 283 ausklammern (so z. B. Jauernig-Stadler, § 281 Rn. 16). Dass dies dann wieder auf eine (längst überwundene) begriffsbezogene Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen nach typischen Schadensarten hinausläuft ist offenbar.
Obwohl man feststellen muss, dass diese erstgenannte Ansicht jedenfalls in quantitativer Hinsicht mittlerweile herrschende Meinung sein dürfte, sollte man ihr in der Klausur nicht folgen. Insbesondere befindet sich die dazu ergangene oben zitierte BGH-Rechtsprechung noch in der Entwicklung und die weitere Konkretisierung und Ausdifferenzierung durch den Bundesgerichtshof sollte vorerst abgewartet werden. Diese Ansicht führt auch im Ergebnis zu einer völligen Verwischung der Grenzen zwischen den verschiedenen Schadensersatznormen der §§ 281/283, 286 und 280 BGB, was sicherlich nicht im Sinne des Erfinders, nämlich des Gesetzgebers gewesen sein dürfte.
b) Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht ist die maßgebliche Pflichtverletzung des § 281 nicht in der nicht ordnungsgemäßen Leistung bei Fälligkeit, sondern in der Nichtleistung oder Nicht-Nacherfüllung bei Ablauf der gem. § 281 dem Schuldner gesetzten Frist zu sehen. Der Gläubiger sei also so zu stellen, wie er stünde, wenn der Schuldner bei Fristablauf geleistet bzw. nacherfüllt hätte. Ist eine Fristsetzung gem. § 281 II BGB ausnahmsweise entbehrlich tritt an die Stelle des Fristablaufs der Zeitpunkt, in dem die Umstände (z. B. Erfüllungsverweigerung) eingetreten sind, die eine Fristsetzung obsolet gemacht haben (so z. B. Haberzettel, NJW 2007, 1329). Gegenüber der erstgenannten Ansicht kann diese Ansicht für sich ins Felde führen, dass die relevante Pflichtverletzung bei § 281 BGB die Nichtleistung trotz Fristablaufs ist. Die bloße Nichtleistung oder eine mangelhafte Lieferung sind zwar ebenfalls Pflichtverletzungen, diese führen aber allein noch nicht zu einem Anspruch aus § 281 BGB. Erforderlich ist vielmehr grds. immer eine erfolglose Fristsetzung zur Leistung oder Nacherfüllung. In der Konsequenz dieser Ansicht können Schäden, die vor Ablauf der gesetzten Frist bereits endgültig entstanden sind, nur im Rahmen des Schadensersatzes nebend der Leistung (§§ 280, 286) geltend gemacht werden. Mit dem Anspruch aus § 281 können nur solche Schäden ausgeglichen werden, die nach Ablauf der Frist entstanden sind. Zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Verzögerungsschäden, die erst nach Fristablauf eingetreten sind, kann es also immer noch zu Überschneidungen kommen, die eine saubere Abgrenzung verhindern.
c) Gewichtige Literaturstimmen, darunter insbesondere Lorenz sehen die relevante Pflichtverletzung der §§ 281, 283 BGB in dem endgültigen Ausbleiben der Leistung. Die Leistung bzw. Nacherfüllung bleibe aber erst in dem Moment endgültig aus, in dem der Schuldner sie nicht mehr erbringen könne (§§ 283, 275 IV) oder nicht mehr erbringen dürfe (§§ 281 IV, 323 ff.). Abzustellen sei also auf den Zeitpunkt, in dem die Leistung oder Nacherfüllung unmöglich geworden sei, in dem das Schuldverhältnis durch Rücktritt erloschen sei oder in dem der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung geltend mache (dann § 281 IV). Der Gläubiger sei demgemäß so zu stellen, wie er stünde, wenn eine logische Sekunde vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung noch geleistet oder nacherfüllt worden wäre. Der entscheidene Vorteil dieser Ansicht ist, dass sie eine saubere Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Schadensersatz neben der Leistung ermöglicht. Mit dem endgültigen Ausbleiben der Leistung geht der Erfüllungs- bzw. Nacherfüllungsanspruch unter (§§ 275, 281 IV, §§ 346 ff.). Ab diesem Zeitpunkt ist Verzug (§ 286) ausgeschlossen. Bei allen Schäden, die vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung endgültig eingetreten sind, kann es sich also nur noch um einen einfachen Schadensersatz gem. § 280 I oder einen Verzugsschadensersatz gem. § 286 handeln.
Die entscheidende Testfrage dieser Ansicht lautet also: „Wäre der Schaden ebenfalls eingetreten, wenn der Schuldner eine logische Sekunde vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung seine Leistung noch erbracht hätte?“ – Bejahendenfalls handelt es sich um Schadensersatz neben der Leistung, andernfalls handelt es sich um Schadensersatz statt der Leistung, weil der Schaden durch eine – wenn auch verspätete Leistung – noch hätte behoben werden können (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 281 Rn. 28).
Auch diese Ansicht ist indes nicht ganz zweifelsfrei. Da der Leistungsanspruch gem. § 281 IV BGB erst mit Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung untergeht, wäre der Gläubiger grds. gezwungen, Schadensersatz geltend zu machen bevor der Schaden überhaupt entstanden ist, da dieser ja erst nach der Geltendmachung eingetreten sein darf um nach § 281 ersatzfähig zu sein. Dieser Widerspruch mag in gewisser Weise dadurch relativiert werden, dass zumindest Kaufleute ihren Schaden „abstrakt“ berechnen können, d. h. in Gemäßheit eines fiktiven Deckungsgeschäfts ohne fixen Zeitpunkt. Dies hilft indes unter Privatleuten nicht weiter. Ebenso müsste diese Ansicht in letzter Konsequenz auch typische Integritätsschäden wie Gesundheitsverletzungen, die nach dem endgültigen Ausbleiben der Leistung entstanden sind, in den Anspruch aus § 281 BGB mit einbeziehen. Auch hier kann man wieder das Phänomen beobachten, dass die Literaturvertreter dieser Ansicht einen teilweisen „Rückzieher“ machen und typische Integritätsschäden in einem zweiten Schritt aus dem Anwendungsbereich der §§ 281, 283 wieder herausnehmen wollen (so z. B. Lorenz, NJW 2002, 2500).
d) Stellungnahme
In der Examensklausur sollte man der letztgenannten Meinung folgen, weil diese am ehesten eine saubere Abgrenzung der verschiedenen Anspruchsgrundlagen der §§ 280 ff. ermöglicht. Meines Erachtens kommt man aber gänzlich ohne „Anleihen“ bei den Befürwortern eines begriffsbezogenen Ansatzes in der Klausur schwer zurecht. Deshalb würde ich dazu raten, die begehrten Schäden zunächst anhand der oben beschriebenen Testfrage darauf zu überprüfen, ob sie grds. dem Schadensersatz statt der Leistung oder dem Schadensersatz neben der Leistung zuzurechnen sind. In einem zweiten Schritt würde ich dann (gedanklich) prüfen, ob das gefundene Ergebnis auch „stimmig“ ist. Typische Integritätsschäden (z. B. Körperverletzungen oder die Beschädigung anderer Sachen) und typische Verzugsschäden (z. B. Rechtsverfolgungskosten, Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache, Zinsen) sollte man dann dem Anwendungsbereich des § 281 BGB entziehen und unter § 280 I oder § 286 subsumieren. Ein Prüfer im Examen wäre sicher überrascht, wenn Rechtsanwaltskosten oder ärztliche Behandlungskosten unter einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung im Rahmen eines Kauf- oder Werkvertrages subsumiert würden, auch wenn dies der zeitbezogene Ansatz in letzter Konsequenz nahe legt.
III. Abgrenzung zwischen einfachem Schadensersatz (§ 280 I) und Verzugsschadensersatz (§ 286)
Hat man die eingetreten Schäden nach den vorherigen Ausführungen dem Bereich des Schadensersatzes statt der Leistung oder dem Schadensersatz neben der Leistung zugeordnet, dann stellt sich im letzteren Fall die weitere Frage, ob der Schaden ohne vorherige Mahnung als einfacher Schadensersatz gem. § 280 I BGB ersatzfähig ist oder ob es sich um einen Verzugsschaden handelt, der nur unter den Voraussetzungen des § 286 beansprucht werden kann (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 29).
Diese Abgrenzung ist wesentlich einfacher und im Wesentlichen unstreitig. Gem. § 286 BGB nur nach vorheriger Mahnung ersatzfähig sind grds. nur diejenigen Schäden, die ausschließlich auf der Verzögerung der Leistung oder Nacherfüllung beruhen. Alle sonstigen Schäden, die nicht durch die Verzögerung der Leistung, sondern schwerpunktmäßig durch eine andere Pflichtverletzung (insbesondere Nebenpflichtverletzung gem. § 241 II BGB und Schlechtleistung als Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2 BGB) verursacht wurden, sind dann gem. § 280 I als einfacher Schadensersatz ersatzfähig (vgl. Palandt-Grüneberg, § 280 Rn. 13). Nach §§ 437 Nr.3, 280 I BGB ersatzfähig ist deshalb nach h. M. insbesondere der sog. „Betriebsausfallschaden“, weil dieser unmittelbar auf der Lieferung einer mangelhaften Sache beruhen soll und nicht ausschließlich auf die Verzögerung der Nacherfüllung zurückzuführen sei (vgl. BGH NJW 2009, 2674, str.).
IV. Besonderheiten im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit (§ 311a II)
Die anfängliche Unmöglichkeit machte eine § 283 BGB verdrängende Sonderregelung in § 311a II BGB erforderlich. Die §§ 280 ff. BGB setzen eine Pflichtverletzung voraus, im Falle anfänglicher Unmöglichkeit ist der Vertrag zwar wirksam (vgl. § 311a I), eine einklagbare Hauptleistungspflicht, die der Schuldner potentiell verletzen konnte, bestand aber von Anfang an nicht (§ 275 I BGB). § 311a II macht es dem Schuldner demgegenüber zum Vorwurf, dass er sich vor Vertragschluss nicht über seine eigene Leistungsfähigkeit versichert hat, es geht also um eine Pflichtverletzung im vorvertraglichen Bereich zu einem Zeitpunkt, als der Vertrag noch gar nicht geschlossen war (Jauernig-Stadler, § 311a Rn. 5).
Anders als bei § 283, wo hinsichtlich der Pflichtverletzung potentiell auf die Nichtleistung bei Fälligkeit oder auf die später eintretende Unmöglichkeit der Leistung abgestellt werden kann, gibt es bei § 311a II BGB nur eine Pflichtverletzung, nämlich die Kenntnis oder die zu vertretende Unkenntnis des Leistungshindernisses bei Vertragschluss. Zu ersetzen ist das positive Interesse. In diesem Fall ist der Gläubiger dann unstreitig so zu stellen, wie er stünde, wenn ordnungsgemäß, d. h. bei hypothetischer Fälligkeit und mangelfrei geleistet worden wäre (Staudinger-Löwisch, § 311a Rn. 39). Schwierige Abgrenzungsfragen wie oben unter II. ergeben sich hier nicht.
Geht es um die Lieferung einer Sache mit anfänglichem unbehebbaren Mangel, so kann der Gläubiger neben dem Schadensersatz statt der Nacherfüllung gem. §§ 437 Nr.3, 311a II BGB auch gem. §§ 437 Nr.3, 280 I den unmittelbar auf der Mangelhaftigkeit der Sache beruhenden Schaden (insbesondere den sog. „Betriebsausfallschaden“) ersetzt verlangen (vgl. Palandt-Grüneberg, § 311a Rn. 7; s. bereits oben).
V. Besonderheiten im Falle des Gewährleistungsrechts (§§ 437 Nr.3, 280 ff. BGB)
Die obigen Ausführungen lassen sich im Grundsatz auch auf das Gewährleistungsrecht übertragen, weil § 437 BGB für die Gewährleistungsrechte weitgehend auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht verweist (Ausnahme: Minderung gem. § 441 als Besonderheit des Gewährleistungsrechts!). Man muss sich aber folgende Unterschiede gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht klar machen. Spricht das Gesetz im Zusammenhang mit § 437 Nr.3 nun von „Schadensersatz statt der Leistung“, ist damit nicht mehr der ursprüngliche Leistungsanspruch auf Lieferung der Sache gemeint, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. §§ 437 Nr.1, 439. Schadensersatz statt der Leistung ist also nunmehr „Schadensersatz satt der Nacherfüllung“. Denn ursprünglich hat der Gläubiger gem. § 433 I 2 BGB einen einklagbaren Erfüllungsanspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache. Mit Übergabe (Gefahrübergang gem. § 446 S.1) wandelt sich dieser ursprüngliche allgemeine Erfüllungsanspruch in einen Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 BGB (sog. „modifizierter Erfüllungsanspruch“). Liefert der Schuldner also eine mangelhafte Sache, dann verstößt er dadurch gegen § 433 I 2. Erbringt er anschließend die Nacherfüllung verspätet oder gar nicht, dann verstößt er gegen seine Pflicht aus §§ 437 Nr.1, 439 BGB. Ebenso ist §§ 437 Nr.3, 286 der Sache nach dann „Schadensersatz wegen Verzögerung der Nacherfüllung“.

21.02.2012/14 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-02-21 12:00:082012-02-21 12:00:08Aufsatzwettbewerb: Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen der §§ 280 ff. BGB in der Examensklausur
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Kosten der Parkraumüberwachung kein ersetzbarer Schaden nach Abschleppen

Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung des BGH (BGH Urteil v. 02.12.2011 – V ZR 30/11) geht es um die Frage, welche Kosten einer durch einen Privaten veranlassten Abschleppmaßnahme (hier: Supermarktparkplatz) vom Halter des abgeschleppten Fahrzeugs ersetzbar sind.
Sachverhalt (verkürzt)
F will ihr Auto parken. Da sie keinen andere Parkplatz findet und obwohl sie nicht in dem Supermarkt des S einkaufen will, parkt sie ihr Fahrzeug auf dessen Kundenparkplatz trotz des deutlich erkennbaren Hinweisschildes, dass unberechtigt parkende Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden. S, der das Verhalten der F nicht billigt und seine Parkplätze für „zahlende Kunden“ freihalten will, hat einen Vertrag mit Dienstleister D, der nicht nur die Abschleppmaßnahmen durchführt, sondern auch einen Sonderservice „Rund um die Uhr“ bietet. Diesen Sonderservice berechnet D dem S pauschal anhand einer „Grundgebühr“. Diese Serviceleistungen umfassen zum einen vorbereitende Maßnahmen des Abschleppens, wie zum Beispiel Feststellung des Fahrzeugtyps und Anforderung eines geeigneten Abschleppfahrzeugs. Zum anderen wird die lückenlose Überwachung (z.B durch Kontrollgänge) des Parkraums gewährleistet.
Ein Teil der Vereinbarung ist zudem, dass S alle zukünftigen Ansprüche gegen „Parksünder“ an D abtritt.
D bemerkt das unberechtigt parkende Fahrzeug der F und verbringt es auf öffentlichen Parkgrund. D, der nunmehr Inhaber etwaiger Schadensersatzansprüche des S ist, verlangt von F 300 Euro für die entstandenen Kosten (Versetzen des Pkw: 200 Euro; Feststellung des Fahrzeugs: 50 Euro; Überwachung des Parkplatzes: 50 Euro). F verweigert die Zahlung. D weigert sich im Gegenzug, der F den Standort des Fahrzeugs mitzuteilen, sodass die F ihr Fahrzeug für eine gewisse Zeit nicht nutzen kann.
F verlangt Nutzungsentschädigung von S hinsichtlich ihres Fahrzeugs. Zu Recht?
Anmerkung: In einer Klausur wäre, würde man den Fall dem Urteil nachbilden, die Problematik etwas „versteckt“, nämlich bei der Frage nach einem etwaigen Zurückbehaltungsrecht der D, das den Anspruch der F auf Nutzungsentschädigung mangels Verzugs nicht zur Entstehung gelangen lassen könnte. Eine Nutzungsentschädigung kann nur derjenige verlangen, dem unberechtigt ein Nutzungsrecht vorenthalten worden ist. Im Rahmen des Zurückbehaltungsrechts ist dann der – abgetretene! – Schadensersatzanspruch des D (zediert von S) nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 858 Abs.1 BGB zu prüfen und insbesondere auf den ersetzbaren Schaden einzugehen. Zur Rechtmäßigkeit solcher Abschleppmaßnahmen von Supermarktparkplätzen:

Wie der Senat bereits entschieden hat, stellt das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem privaten Kundenparkplatz eine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB dar, der sich der unmittelbare Grundstücksbesitzer erwehren darf, indem er das Fahrzeug abschleppen lässt (Senat, Urteil vom 5. Juni 2009 – V ZR 144/08, BGHZ 181, 233 ff.). Die Klägerin ist daher verpflichtet, dem Betreiber des Supermarkts den ihm aus der verbotenen Eigenmacht entstandenen Schaden zu ersetzen.

Beseitigung der Folgen verbotener Eigenmacht richtet sich nach § 249 Abs. 1 BGB

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bemisst sich der Umfang des zu ersetzenden Schadens allerdings nicht nach § 249 Abs. 2 BGB, sondern nach § 249 Abs. 1 BGB. Denn es geht hier nicht um die Beschädigung einer Sache, sondern um die Beseitigung der Folgen einer verbotenen Eigenmacht. Ersatzfähig sind solche Schäden, die in adäquatem Zusammenhang mit der von der Klägerin verübten verbotenen Eigenmacht stehen und vom Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.

Kosten der „reinen“ Abschleppmaßnahme sind ersetzbarer Schaden
Bei der Frage, welche Kosten jeweils zu ersetzen sind, muss nach dem jeweiligen Zweck genau differenziert werden. In der Klausur wären – wie auch hier – die Kosten im Sachverhalt einzeln aufgeschlüsselt. Wer diesen Hinweis des Klausurerstellers vernachlässigt, landet schnell im Abseits. Die Kosten der Abschleppmaßnahme an sich dürften gedanklich aber kein größeres Problem darstellen, da es sich insoweit um den „Standardfall“ ersetzbarer Kosten handelt.

Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den auf das reine Abschleppen (ohne Grundgebühr) anfallenden Anteil dem Grunde nach als einen erstattungsfähigen Schaden des Supermarktbetreibers angesehen. Dass unbefugt auf dem Grundstück des Supermarktbetreibers abgestellte Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden, stellt keine überraschende oder fern liegende Reaktion des unmittelbaren Besitzers dar, sondern die Verwirklichung der deutlich sichtbaren Ankündigung auf dem aufgestellten Schild. Diese Schadensfolge liegt auch im Schutzbereich der verletzten Norm. Indem das Gesetz dem unmittelbaren Besitzer als spontane Reaktion auf eine verbotene Eigenmacht das Selbsthilferecht (§ 859 BGB) zubilligt, dessen Ausübung mit Kosten verbunden sein kann, stellt es selbst den notwendigen Zusammenhang zwischen der Verletzung des Schutzgesetzes (§ 858 Abs. 1 BGB) und der Schadensfolge her.

Vorbereitung des Abschleppens ist adäquat kausaler Schaden
Anders dagegen sieht es bei den sonstigen Kosten aus. Hier sollte man nah am konkreten Fall bleiben und die (haftungsausfüllende) Kausalität zwischen Rechtsgutverletzung (Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht) und den entstandenen sonstigen Kosten genau herausarbeiten. Wer sich hier an die gängigen Regeln zur Kausalität hält und auch lebensnah argumentiert, wird den Unterschied zwischen den Vorbereitungshandlungen für das Abschleppen und der Parkraumüberwachung durch D erkennen.

Der Einwand der Revision, die Vorbereitungskosten seien deshalb nicht erstattungsfähig, weil sie den Rahmen der von einem privaten Geschädigten üblicher- und typischerweise für die Durchsetzung des Anspruchs zu erbringende Mühewaltung nicht überschritten, greift nicht durch. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel kein Ersatz für den Zeitaufwand verlangt werden, wenn die Zeit zur Schadensermittlung und zur außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs angefallen ist und der im Einzelfall erforderliche Zeitaufwand nicht die von einem privaten Geschädigten typischerweise zu erbringende Mühewaltung überschreitet. Um einen derartigen Aufwand geht es jedoch bei der Vorbereitung des konkreten Abschleppvorgangs nicht. Auch insoweit dient die Tätigkeit nicht der Abwicklung oder Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs des Grundstücksbesitzers, sondern unmittelbar der Beseitigung der durch die verbotene Eigenmacht hervorgerufenen konkreten Störung. Sie ist Teil des ausgeübten Selbsthilferechts gemäß § 859 BGB.

Parkraumüberwachung ohne Bezug zu konkreter Besitzstörung
Wer in seiner Lösung gute Vorarbeit geleistet hat, wird zu der Feststellung kommen, dass,

[d]er hierauf entfallende Kostenanteil der Grundgebühr […] von der Klägerin nicht zu ersetzen [ist]. Denn Kosten, die nicht der Beseitigung der Besitzstörung dienen, sondern im Zusammenhang mit deren Feststellung angefallen sind, wie etwa die Kosten einer Parkraumüberwachung durch regelmäßige Kontrollgänge, zählen nicht zu dem adäquat verursachten und damit erstattungsfähigen Schaden. Solchen allgemeinen Überwachungsmaßnahmen fehlt der Bezug zur konkreten Besitzstörung, da sie nicht entfallen, wenn die schädigende Handlung hinweggedacht wird; sie entstehen unabhängig von dem konkreten schadensstiftendenden Ereignis. Vorkehrungen zur Überwachung des Parkplatzes sind daher im Verhältnis zum Schädiger der Sphäre des Grundstücksbesitzers zuzurechnen.

Fazit
Also wie folgt vorgehen: Nutzungsentschädigung der F prüfen und bei der Frage nach dem Verzug das ZBR der D gemäß § 273 BGB untersuchen. Im Rahmen hiervon sodann ihren von S abgetretenen Schadensersatzanspruch ansprechen und auf die genannte Problematik eingehen.

20.01.2012/2 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-01-20 10:35:112012-01-20 10:35:11BGH: Kosten der Parkraumüberwachung kein ersetzbarer Schaden nach Abschleppen
Dr. Gerrit Forst

BGH: Schadensersatzpflicht einer Spielbank gegenüber Spielsüchtigem

BGB AT, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Referendariat, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der BGH äußert sich in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 20.10.2011 – III ZR 251/10) zu den vertraglichen Pflichten einer Spielbank gegenüber einem spielsüchtigen Kunden aus einem Spielsperrvertrag. Die Entscheidung knüpft an BGH, Urt. v. 15.12.2005 – III ZR 65/05, BGHZ 165, 276 und an BGH, Urt. v. 22.11.2007 – III ZR 9/07, BGHZ 174, 255 an.
I. Sachverhalt
Der Kunde und späterer Drittwiderbeklagte hatte bei der Spielbank selber schriftlich eine Spielsperre für sieben Jahre beantragt, die ihm die Spielbank schriftlich bestätigte. Zwei Jahre später beantragte er per E-Mail eine Aufhebung der Spielsperre. Diese nahm die Spielbank vor, ohne zu prüfen, ob der Spieler von seiner Spielsucht geheilt war. Der Spieler verspielte daraufhin nach den Behauptungen der Klägerin und Widerbeklagten – der Ehefrau des Spielers – mehr als 240.000 Euro bei der Spielbank. Diesen Betrag verlangte die Klägerin aus abgetretenem Recht von der Spielbank als Schadensersatz aus dem Spielsperrvertrag.
Das LG und das OLG wiesen die Klage als unbegründet, die Drittwiderklage als unzulässig ab. Der Widerklage, mit der die Spielbank die Feststellung begehrte, dass gegen sie keine über die Klageforderung hinausgehenden Ansprüche bestanden, wurde stattgegeben. Zur Begründung führte das OLG aus, dass es einer ergänzenden Vertragsauslegung bedürfe, um festzustellen, ob die Aufhebung der Sperre pflichtwidrig war. Dabei könne als Entscheidungshilfe auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zurückgegriffen werden. Nach den hier maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften konnte eine einseitig verhängte Spielsperre nach einem Jahr auf schriftlichen Antrag des Spielers aufgehoben werden. Das OLG orientierte sich daran und kam zu dem Schluss, dass es mit der Privatautonomie der Spielbank unvereinbar sei, eine weitergehende Prüfungsobliegenheit in den Sperrvertrag hineinzulesen.
II. Entscheidung
Der III. Senat gibt der Revision statt. Zunächst bestätigt er seine Rechtsprechung, wonach die geschlossenen Spielverträge wirksam sind (Rn. 9). Die Aufhebung der Spielsperre ohne Prüfung der Spielsucht stelle aber eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB dar. Auf öffentlich-rechtliche Vorschriften komme es insoweit nicht an, weil diese nichts über die zivilrechtlichen Folgen eines Sperrvertrages besagten. Außerdem habe der Spieler selbst eine Sperre für sieben Jahre beantragt.  Schließlich forderten auch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht, dass der Sperre stets und ohne Prüfung der Spielsucht stattgegeben werde (Rn. 13). Vielmehr sei  dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Spieler sich aufgrund seiner Sucht in einer Zwangslage befinde und deshalb eher des Schutzes der Rechtsordnung bedürfe. Dass der Spielbank damit eine Prüfungsobliegenheit auferlegt werde, sei dieser zuzumuten, weil sie sich vertraglich zu einer Sperre von sieben Jahren verpflichtet habe und es sich bei dem Glücksspiel grundsätzlich um eine unerwünschte Tätigkeit handele, die nur deshalb unter staatlicher Aufsicht erlaubt werde, weil so das illegale Glücksspiel eingedämmt werden könne (Rn. 10).
III. Bewertung
1. Prozessrecht
Prozessual ist das Urteil unter zwei Gesichtspunkten von Interesse: Zum einen wegen der Widerklage, zum anderen wegen der Drittwiderklage. Die Widerklage (§ 33 ZPO) darf nicht denselben Streitgegenstand haben wie die Klage, weil dem dann die anderweitige Rechtshängigkeit nach  § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegensteht. Derselbe Streitgegenstand ist aber auch dann gegeben, wenn der Widerkläger lediglich beantragt festzustellen, dass der Klageanspruch nicht besteht („negatorisches Gegenteil“). Indem die Beklagte beantragt festzustellen, dass keine weitergehenden Ansprüche bestehen, verschafft sie der Widerklage einen eigenständigen Streitgegenstand und macht diese zulässig.
Eine Drittwiderklage ist eine Widerklage, die gegen eine andere Partei als den Kläger erhoben wird. Das ist in Fällen wie dem vorliegenden sinnvoll, weil durch die Drittwiderklage der Dritte als Zeuge ausgeschaltet wird (um einen Zeugen zu gewinnen, erfolgte wohl auch die Abtretung der Forderung), denn eine Partei kann nicht als Zeuge vernommen werden, sondern allenfalls nach den §§ 445 ff. ZPO als Partei. Die Drittwiderklage ist nach h.M. zulässig, wenn sie nicht ausschließlich gegen den Dritten („isolierte Drittwiderklage“), sondern gegen diesen und gegen den Kläger erhoben wird („erweiternde Drittwiderklage“). Es müssen dann lediglich die Voraussetzungen der  §§ 59, 60 ZPO über die Streitgenossenschaft beachtet werden.  Warum LG und OLG die Drittwiderklage hier für unzulässig hielten, geht aus dem Urteil leider nicht hervor. Das Ziel, einen Zeugen auszuschalten, macht die Drittwiderklage jedenfalls nicht wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig, weil die Drittwiderklage dann lediglich das Gegenstück zu der Abtretung ist und für prozessuale Waffengleichheit sorgt (streitig).
2. Materielles Recht
Materiellrechtlich ist zunächst zu beachten, dass die von dem Drittwiderbeklagten geschlossenen Spielverträge nicht unwirksam sind. Das ist wichtig, weil dem Drittwiderbeklagten nur unter dieser Voraussetzung ein Schaden enstehen kann. Wären die Verträge unwirksam, hätte er einen Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen die Spielbank, der einem Schaden entgegenstehen würde. Vor diesem Hintergrund muss der BGH sich der schwierigen Aufgabe stellen, die Grenzen der vertraglichen Pflichten der Spielbank festzulegen, wobei es sich wohl um eine Nebenpflicht handelt (§ 241 Abs. 2 BGB). „Die“ richtige Antwort gibt es dabei offensichtlich nicht, sondern es handelt sich letztlich um die rechtspolitische Frage, ob bzw. wie weit man Spielsüchtige besonders schützen will oder nicht. Zumindest für den vorliegenden Sachverhalt hat der BGH einen angemessenen Ausgleich der Interessen hergestellt, wobei der entscheidende Gesichtspunkt ist, dass es sich um eine vertragliche Sperre und nicht um eine einseitige Sperre der Spielbank handelte. Verpflichtet sich die Spielbank vertraglich, einen Spieler nicht zum Spiel zuzulassen, übernimmt sie für diesen Verantwortung und ist folglich weitergehenden Nebenpflichten unterworfen als bei einer einseitigen Sperre.
IV. Examensrelevanz
Die Entscheidung ist zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen. Sie kann im ersten Examen wegen der materiellrechtlichen Probleme (Vertragsschluss, (ergänzende) Vertragsauslegung, Schaden) ebenso abgefragt werden wie im zweiten Examen, wobei hier den prozessualen Problemen (Widerklage, Drittwiderklage) besondere Beachtung geschenkt werden sollte.

21.11.2011/6 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2011-11-21 13:09:202011-11-21 13:09:20BGH: Schadensersatzpflicht einer Spielbank gegenüber Spielsüchtigem
Dr. Gerrit Forst

OLG Frankfurt: Fluggastkontrolle haftet nicht für Verlust von Gegenständen

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Staatshaftung

Die FAZ berichtet heute von einem Urteil des OLG Frankfurt (Urt. v. 7.7.2011 – 1 U 260/10, juris), das sowohl für die mündliche Prüfung als auch die Klausuren im – Achtung – öffentlichen Recht von Bedeutung sein kann. Ein ordentliches Gericht im öffentlichen Recht kann nur eines bedeuten: Staatshaftung. Leider enthält das Urteil keinen Tatbestand (§ 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1  ZPO) und die erstinstanzliche Entscheidung ist nicht veröffentlich, aber grob war Folgendes passiert: Am Flughafen musste der Kläger seine Uhr an der Sicherheitskontrolle wegen des Metalldetektors ablegen. Nachdem der Kläger die Schleuse passiert hatte, war die Uhr nicht mehr in dem Transportbehälter (die großen grauen Kisten), in der er sie abgelegt hatte. Der Verbleib der Uhr konnte wohl nicht mehr aufgeklärt werden. Der Kläger begehrte jedenfalls Schadensersatz.
I. Rechtsweg
In der Klausur müsste man eventuell zunächst auf den Rechtsweg eingehen. Dieser hängt von den Anspruchsgrundlagen ab. In Betracht kamen hier Ansprüche aus den §§ 280 Abs. 1, 280 Abs. 3, 283 BGB i.V.m. einer öffentlichen Verwahrung (§ 688 BGB analog) sowie aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Für die öffentlich-rechtliche Verwahrung verweist § 40 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 VwGO auf den ordentlichen Rechtsweg. Entsprechendes folgt aus Art. 34 S. 3 GG für den Anspruch aus § 839 BGB.
II. Kein Anspruch aus öffentlicher Verwahrung
Ein Anspruch könnte sich hier aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung ergeben, obwohl die Sicherheitskontrollen in der Regel von privaten Unternehmen durchgeführt werden, weil diese nach § 5 Abs. 5 LuftSiG als Beliehene tätig werden. Ein Anspruch aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB i.V.m. öffentlicher Verwahrung (§ 688 BGB analog) besteht nach Ansicht des Senats gleichwohl nicht (a.A. in einem ähnlichen Fall LG Frankfurt a.M., Urt. v. 1.4.2008 – 2-4 O 451/06, NJW 2008, 2273):

Ein solches öffentlich-rechtliches Verwahrverhältnis entsteht, wenn ein Verwaltungsträger durch eine öffentlich-rechtliche Maßnahme – Verwaltungsakt und Inbesitznahme oder bloße Inbesitznahme – eine Sache in Besitz nimmt. Erforderlich hierzu ist, dass der Verwaltungsträger mit Besitzbegründungswillen mit dem Zweck handelt, den einzelnen aus dessen bisheriger Obhutsstellung zu verdrängen; der Verwaltungsträger muss eine tatsächliche Lage schaffen, die den einzelnen von der Sorge für die Sache ausschließt (vgl. im Einzelnen OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.06.2002, OLGR 2003, 39 [juris Rn. 18]; MünchKomm-BGB-Henssler, 5. Aufl. 2009, § 688 Rn. 60; Staudinger-Reuter, BGB, 2006, Vorbem. zu § 688 ff Rn. 48). Ob dies der Fall ist, bemisst sich nach der Verkehrsanschauung (vgl. zum Besitzbegründungswillen Staudinger-Bund, BGB, 2007, § 854 Rn. 5 f).
…Durch das Einlegen von Gegenständen in ein Behältnis, welches zwecks Kontrolle auf einem Förderband durch ein Durchleuchtungsgerät läuft, verliert der Passagier nicht den Besitz an den in das Behältnis eingelegten Gegenständen. Denn nach der Verkehrsanschauung haben die vor Ort tätigen Luftsicherheitsassistenten, welche für den beliehenen Unternehmer die Aufgaben des Luftsicherheitsgesetzes tatsächlich erfüllen, weder für sich selbst noch für den beliehenen Unternehmer noch für die Beklagte in irgendeiner Form einen Besitzbegründungswillen. Zwar ist dem beliehenen Unternehmer die rechtliche Befugnis eingeräumt, die vom Passagier mitgeführten Gegenstände gemäß dem Luftsicherheitsgesetz zu kontrollieren. Die Einräumung einer solchen Befugnis reicht aber nicht für die Annahme aus, es werde bei der Kontrolle Besitz begründet. Das Luftsicherheitsgesetz gewährt lediglich für einen sehr kurzen Zeitraum ein Verfügungsrecht, soweit dies zur Durchführung der Kontrolle erforderlich ist. Dies reicht aber für eine Besitzbegründung nicht aus. Denn dadurch, dass der Passagier die zu kontrollierenden Gegenstände in ein Behältnis zwecks Durchführung der Kontrolle ablegt, wird die ihm zukommende, nach außen erkennbare tatsächliche Sachherrschaft nicht entzogen; er wird nicht aus seiner Obhutsstellung verdrängt. Vielmehr wird die Ausübung des uneingeschränkten Besitzrechts allenfalls in vorübergehender Weise beeinträchtigt, nämlich für Kontrollzwecke gleichsam überlagert; eine solche, vorübergehende Verhinderung der Ausübung der tatsächlichen Gewalt hat aber gemäß § 856 Abs. 2 BGB keine Beendigung des Besitzes zur Folge. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht zugrunde zu legen, dass die tatsächliche Sachherrschaft des Passagiers nur für einen äußerst kurzen Zeitraum in Frage gestellt ist, nämlich für die Zeit, in welcher das Behältnis das Durchleuchtungsgerät durchläuft, und für allenfalls wenige Sekunden danach, bis der den Bildschirm des Durchleuchtungsgeräts beobachtende Luftsicherheitsassistent zu erkennen gibt, dass zu einer genaueren physischen Nachkontrolle der durchleuchteten Gegenstände keine Veranlassung besteht. Solange das vom Passagier bestückte Behältnis auf dem Förderband sich noch vor dem Durchleuchtungsgerät befindet, verbleibt die tatsächliche Sachherrschaft im Sinne jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit bei ihm dauert fort, sobald die technische Durchführung der Kontrolle abgeschlossen ist; er wird gerade nicht aus der Wahrung der Obhut für die von ihm abgelegten Gegenstände verdrängt.

Muss man dieser Argumentation folgen? Eher nicht: Der Passagier hat während der Durchleuchtung keine Möglichkeit des Zugriffs auf seine Sachen, weil sich diese in dem Röntgengerät befinden. In der Regel hat er auch nach der Durchleuchtung nicht sofort Zugriff darauf, weil er sich noch in der Sicherheitsschleuse (Metalldetektor) befindet. Gleichzeitig gelangen die Sachen über das Förderband in den hinteren Bereich des Förderbandes. Dort kann sie jeder andere Fluggast an sich nehmen. Nach meiner Erfahrung achtet das Sicherheitspersonal nämlich nicht darauf, wem welche Sachen gehören und ob diese an den Eigentümer/Besitzer zurückgelangen. Zugegebenermaßen fehlt es an den Sicherheitsschleusen für diese Aufgabe auch an Personal. Das kann aber m.E. nicht zu Lasten der Fluggäste gehen.
III. Kein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Auch dies sieht der Senat allerdings anders, so dass er auch einen Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ablehnt:

Nach Einschätzung des Senats genügt das hier praktizierte Verfahren diesen Anforderungen. Dabei ist einerseits in Rechnung zu stellen, dass es sich um ein „Massenverfahren“ handelt, welches im Interesse der Luftsicherheit unumgänglich ist. Andererseits kann jeder Passagier es für den Regelfall in seinem Interesse selbst steuern, dass der Vorgang der Durchleuchtung der von ihm abgelegten Gegenstände und das Durchschreiten der elektronischen „Schleuse“ zur Körperkontrolle zeitlich parallel läuft, er also das Behältnis mit den von ihm abgelegten Gegenständen möglichst im Auge behält.

Auch dem kann ich mich nicht anschließen: Die Sicherheitskontrollen an unseren Flughäfen sind seit dem 11. September 2001 so massiv verschärft worden, dass  für den Fluggast keineswegs mehr zu steuern ist, was von ihm verlangt wird. An vielen Flughäfen stehen sogar Umkleidekabinen, in denen sich Fluggäste vor dem Sicherheitspersonal entblößen müssen. Wie ein Fluggast in Unterhose noch auf seine Autoschlüssel aufpassen soll, ist mir ein Rätsel. Der BGH wird sich dazu so schnell nicht äußern können, denn der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
IV. Weitere Überlegungen (Ergänzung vom 23.9.2011 um 9:30 Uhr)
Der Senat gibt  obiter dictum zu erkennen, dass er in Konstellationen, in denen der Fluggastdurch intensive Kontrollen  am Zugriff auf seine Sachen gehindert wird, einen Schadensersatzanspruch nicht stets ausschließen möchte. Ich halte dies dogmatisch für heikel: Wenn keine öffentlich-rechtliche Verwahrung entsteht, ist zumindest für den Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB egal, wie die Kontrolle konkret abläuft. Denn es fehlt dann bereits an einem Schuldverhältnis. Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich m.E. nur bei der Pflichtverletzung. Diese wird aber nur relevant, wenn man eine öffentliche Verwahrung bejaht.
Im Rahmen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG halte ich es auch für wenig konsequent, nur in den Fällen eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten anzunehmen, in denen die Kontrolle intensiver ausfällt. Entweder das derzeitige System ist – insgesamt – mit § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG vereinbar oder es leidet insgesamt an Fehlern. Hier noch im Einzelfall zu differenzieren, halte ich deshalb für schwierig, weil  auch für das Sicherheitspersonal nicht vorhersehbar ist, welcher Fluggast intensiver untersucht werden muss und welcher nicht. Der Vorwurf würde dann lauten, im konkreten Fall nicht in der gebotenen Weise von der Routine abgewichen zu sein. Dadurch wird die Systemverantwortung letztlich bei den Beschäftigten des Sicherheitsunternehmens abgeladen.
Schließlich könnte man dem Senat zugute halten, dass seine Lösung den haushaltspolitischen Vorteil hat, zusätzliche Kostenbelastungen von den öffentlichen Haushalten abzuwenden. Unabhängig davon, ob dies im Rahmen des § 839 BGB eine zulässige Erwägung ist, greift sie letztlich nicht durch: Die für die Fluggäste zwingenden Kontrollen finden nicht nur in ihrem Interesse statt, sondern auch im Interesse der Besatzung, der Fluggesellschaft (Eigentum) sowie der Bewohner der überflogenen Gebiete. Der Staat erhöht durch die Sicherheitskontrollen die Risiken für das Eigentum des Einzelnen im Allgemeininteresse. Wenn sich diese Risiken realisieren, sollte nicht der Einzelne hierfür aufkommen, sondern die Allgemeinheit. Der Staat kann die ihm entstehenden Kosten über Abgaben kollektivieren.
 

22.09.2011/1 Kommentar/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2011-09-22 22:06:482011-09-22 22:06:48OLG Frankfurt: Fluggastkontrolle haftet nicht für Verlust von Gegenständen
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