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Schlagwortarchiv für: Abgrenzung

Alexandra Ritter

Abgrenzung von Betrug und Diebstahl

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Allgemein

Betrug, § 263 StGB Diebstahl, § 242 StGB
a) Selbstschädigungsdelikt
b) Bewusste Vermögensverfügung
  Exklusivitätsverhältnisa) Fremdschädigungsdelikt
b) Wegnahme, Gewahrsamsbruch

II. Abgrenzungsfälle

1. Freiwilligkeit der Weggabe

a) Abgrenzungskriterium zwischen Verfügung und Wegnahme:

Innerer Willensrichtung des Opfers

b) Beispiel: Vorgetäuschte Beschlagnahmung

Mangels Freiwilligkeit keine Verfügung, sondern Wegnahme

2. Unmittelbarkeit

Keine Weggabe, wenn noch gelockerter Gewahrsam besteht

3. Abgrenzung von Trickdiebstahl und Dreiecksbetrug: Zurechenbarkeit einer Wegnahme durch einen Dritten

a) BefugnistheorieDritter zur Übertragung des Gewahrsams ermächtigt
b) Faktische NähetheorieTatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Dritten ausreichend
c) LagertheorieDritter steht im Näheverhältnis zu Opfer, Dritter glaubt zudem, im Interesse des Opfers zu handeln

4. Verfügungsbewusstsein:

a) Das Verfügungsbewusstsein muss sich nach h.M. auf einen bestimmten Gegenstand beziehen – kein generelles Verfügungsbewusstsein

b) Täuschung des Opfers über Objekt der Verfügung?

Bsp.: T legt wertvolles Parfüm in einen Karton für günstige Handtücher, die er bezahlt – nach h.M. trotzdem Wegnahme

17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:51:212022-12-23 08:50:23Abgrenzung von Betrug und Diebstahl
Dr. Lena Bleckmann

BGH zum Widerrufsrecht beim Werkvertrag sowie zur Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Werkvertragsrecht, Zivilrecht

Vergangene Woche hat der BGH in einer Entscheidung zu Treppenliften grundlegende Fragen im Bereich des Verbraucherwiderrufsrechts geklärt. Die Entscheidung liefert darüber hinaus wertvolle Erkenntnisse zur Abgrenzung von Kaufverträgen, Werkverträgen und Werklieferungsverträgen.  An Klausur- und Examensrelevanz dürfte eine solche Entscheidung kaum zu übertreffen sein.
I. Der Sachverhalt
Der Sachverhalt ist schnell erzählt. A vertreibt sog. Kurventreppenlifte – es handelt sich um Vorrichtungen, die an Treppenaufgängen befestigt werden, um insbesondere Personen, die in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind, den Treppenauf- und –abstieg zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Die Schienen werden hierbei individuell an im jeweiligen Treppenhaus zu befahrende Kurven angepasst. A weist Verbraucher in Bezug auf diese Kurventreppenlifte darauf hin, dass im Rahmen des jeweiligen Vertrags, abgesehen von einem bestimmten Modell, kein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe. Hiergegen wendet sich die Verbraucherzentrale V. Sie ist der Ansicht, dass sehr wohl ein gesetzliches Widerrufsrecht besteht und nimmt die A  auf Unterlassung in Anspruch.

Anm.: Hierbei mag es sich um eine für eine Zivilrechtsklausur eher ungewöhnliche Konstellation handeln. Bearbeiter müssten sich mit der Anspruchsberechtigung der Verbraucherzentralen nach § 8 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 4 UKlaG auseinandersetzen. Dass dies gefordert wird, ist nicht ausgeschlossen, aber selten. Der Fall lässt sich jedoch ohne größere Probleme abwandeln, indem man eine tatsächliche Bestellung eines solchen Kurventreppenlifts durch einen Verbraucher mit anschließender Ausübung eines möglichen Widerrufsrechts konstruiert. Die eher unübliche Einkleidung sollte mithin nicht dazu verleiten, die Klausurrelevanz der Entscheidung zu verkennen.

II. Widerrufsrechte und Informationspflichten
Eine kurze Wiederholung der Fragen rund um das Widerrufsrecht im Verbraucherschutzrecht: Die verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 312 ff. BGB sind nach § 312 Abs. 1 BGB auf Verbraucherverträge anwendbar, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Was Verbraucherverträge sind, definiert § 310 Abs. 3 BGB: Es handelt sich um Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer. Die übrigen Absätze des § 312 BGB enthalten sodann Einschränkungen des Anwendungsbereichs, die vorliegend aber keine weitere Beachtung finden sollen.
Möchte der Verbraucher nach Abschluss eines Vertrags i.S.d. § 312 Abs. 1 BGB von diesem Abstand nehmen, kann ihm dies aufgrund eines Widerrufsrechts möglich sein. § 312g Abs. 1 BGB sieht ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge vor. In der Klausur ist an dieser Stelle daher eine saubere Subsumtion unter die Begriffe des außerhalb des Geschäftsräume geschlossenen Vertrags nach § 312b BGB bzw. des Fernabsatzvertrags nach § 312c BGB erforderlich. Für den konkreten Fall würde der Sachverhalt dann nähere Angaben enthalten, welche die Zuordnung zu dem einen oder anderen Begriff ermöglichen. Liegt ein Fernabsatzvertrag oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag vor, greift grundsätzlich  § 312g Abs. 1 BGB i.V.m. § 355 BGB: Wird der Widerruf fristgerecht unter Wahrung der Anforderungen des § 355 Abs. 1 BGB erklärt, sind die Parteien an ihre auf Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden. Der Unternehmer ist nach § 312d Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 246a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Das alles gilt jedoch nicht, wenn das Bestehen eines Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2, 3 BGB ausgeschlossen ist.
III. Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB
Zurück zum Fall: Die Verbraucherzentrale V stützt sich für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG, § 3 Abs. 1 UWG, § 3a UWG) auf die Informationspflicht des Unternehmers bei bestehenden Widerrufsrechten nach § 312d Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 246a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB. Sofern im Falle der Bestellung eines Kurventreppenlifts ein Widerrufsrecht bestünde, würde der Hinweis von Seiten der A, dass ein solches gerade nicht besteht, wettbewerbswidriges Verhalten darstellen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 13.5.2020 – 6 U 300/19, MMR 2021, 350). Zentrale Frage ist mithin, ob denn ein solches Widerrufsrecht bestünde, wenn es mit einem Verbraucher zum Abschluss eines Vertrags über Anfertigung und Einbau eines Kurventreppenlifts durch die A käme.
Die Vorinstanz hat das noch abgelehnt: Das OLG Köln sah die Voraussetzungen des Ausschlusses nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB als erfüllt an (OLG Köln, Beschl. v. 13.5.2020 – 6 U 300/19, MMR 2021, 350, 351 f). Nach dieser Norm besteht ein Widerrufsrecht nicht bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Dass die Laufschienen für Kurventreppenlifte individuell angefertigt werden und an die konkreten Gegebenheiten vor Ort angepasst werden, wird nicht bezweifelt. Der Problempunkt ist ein anderer: Bei dem Vertrag, der bei Bestellung eines Kurventreppenlifts abgeschlossen wird, müsste es sich um einen Vertrag zur Lieferung von Waren i.S.d. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB handeln. Der Begriff geht auf Art. 16 lit. c Richtlinie 2011/83/EU zurück, der den Ausschluss des Widerrufsrecht vorsieht, wenn „Waren geliefert werden“.  Nun existieren im deutschen Zivilrecht mehrere Vertragstypen, die eine Lieferung von Waren umfassen: Sowohl ein Kaufvertrag nach § 433 BGB, als auch ein Werklieferungsvertrag nach § 650 BGB und ein Werkvertrag nach § 631 BGB kann Waren (es handelt sich hierbei ausschließlich um bewegliche Gegenstände, siehe § 241a Abs. 1 BGB) zum Gegenstand haben. Nicht alle dieser Vertragstypen fallen jedoch nach Ansicht des BGH unter den Begriff des Vertrags zur Lieferung von Waren, den § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB verwendet. In einer Entscheidung aus dem Jahre 2018 hinsichtlich des Einbaus eines Senkrechtslifts äußerte sich der BGH dahingehend, dass § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB Kaufverträge und Werklieferungsverträge, in aller Regel aber nicht Werkverträge umfasse.

 „Dem Wortlaut nach umfasst § 312 g II 1 Nr. 1 BGB Verträge, die auf die Lieferung von Waren gerichtet sind. Damit werden nach dem allgemeinen Sprachgebrach Kaufverträge (§ 433 BGB) und Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen (Werklieferungsverträge, § 651 BGB) erfasst.

 Dies entspricht der Verbraucherrechte-RL, deren Umsetzung unter anderem § 312g BGB dient. Nach Art. 2 Nr. 5 Verbraucherrechte-RL ist ein „Kaufvertrag“ jeder Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Waren an den Verbraucher überträgt oder deren Übertragung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Damit werden von dieser Definition Kauf- und Werklieferungsverträge umfasst, und zwar auch dann, wenn sich der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher zur Montage der zu liefernden Waren verpflichtet hat. Eine entsprechende Regelung enthalten §§ 474 I 2, 434 II 1, 433, 651 S. 1 BGB.

 In Abgrenzung zum „Kaufvertrag“ ist dagegen ein „Dienstleistungsvertrag“ jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, Art. 2 Nr. 6 Verbraucherrechte-RL. Nach dieser Definition sind Werkverträge (§ 631 BGB) jedenfalls regelmäßig nicht als auf die Lieferung von Waren gerichtete Verträge einzustufen. Ob Werkverträge im Sinne des deutschen Rechts in Ausnahmefällen als Verträge über die Lieferung von Waren iSd § 312g II 1 Nr. 1 BGB einzustufen sind, braucht nicht entschieden zu werden.

 (BGH, Urt. v. 30.8.2018 – VII ZR 243/17, NJW 2018, 3380, 3381)

Zur Begründung führte der BGH auch ein systematisches Argument an: Zum Schutz der Unternehmer, die Werkverträge erbringen, sei ein Ausschluss des Widerrufsrechts nicht in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB geregelt, sondern vielmehr in § 357 Abs. 3 S. 1 BGB.
Somit ist eine Abgrenzung der drei Vertragstypen notwendig. Grundsätzlich gilt: Der Verkäufer schuldet nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB allein Übergabe und Übereignung einer Sache, während ein Werklieferungsvertrag nach § 650 S. 1 BGB auf die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Sachen gerichtet ist. Der Unternehmer des Werkvertrags ist nach § 631 BGB zur Herstellung des versprochenen Werks verpflichtet. Für eine Zuordnung zu einem dieser Vertragstypen muss der Vertragsschwerpunkt betrachtet werden: „Liegt der Schwerpunkt des Vertrags auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz, liegt ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vor. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags dagegen nicht auf dem Warenumsatz, sondern schuldet der Unternehmer die Herstellung eines funktionstauglichen Werks, ist ein Werkvertrag anzunehmen“ (BGH, Urt. v. 30.8.2018 – VII ZR 243/17, NJW 2018, 3380, 3381).
Die Vorinstanz ist auf Basis dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, es handle sich um einen Werklieferungsvertrag. Die Lieferung des Treppenlifts stehe im Vordergrund, die Montage könne durch jede Fachfirma mit geringem Aufwand erfolgen (OLG Köln, Beschl. v. 13.5.2020 – 6 U 300/19, MMR 2021, 350, 352). Der BGH ist anderer Ansicht. In der Pressemitteilung heißt es:

„Im Streitfall liegt der Schwerpunkt des angestrebten Vertrags nicht auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz am zu liefernden Treppenlift, sondern auf der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, das zu einem wesentlichen Teil in der Anfertigung einer passenden Laufschiene und ihrer Einpassung in das Treppenhaus des Kunden besteht. Auch der hierfür, an den individuellen Anforderungen des Bestellers ausgerichtete, erforderliche Aufwand spricht daher für das Vorliegen eines Werkvertrags. Bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts, der durch eine individuell erstellte Laufschiene auf die Wohnverhältnisse des Kunden zugeschnitten wird, steht für den Kunden nicht die Übereignung, sondern der Einbau eines Treppenlifts als funktionsfähige Einheit im Vordergrund, für dessen Verwirklichung die Lieferung der Einzelteile einen zwar notwendigen, aber untergeordneten Zwischenschritt darstellt.“

(BGH, Pressemitteilung Nr. 191/2021 v. 20.10.2021)

Demnach handelt es sich bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts regelmäßig um einen Werkvertrag, auf den der Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht anwendbar ist. Der Hinweis der A, ein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe nicht, ist daher unrichtig und wettbewerbswidrig. Der von V  geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 312d Abs. 1 S. 1, § 312g Abs. 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB besteht.
IV. Ausblick
Der BGH knüpft mit dieser Entscheidung an seine viel diskutierte Rechtsprechung aus dem Jahr 2018 an und bleibt dabei, dass sich der Ausschluss des Widerrufsrechts in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB i.d.R. nicht auf Werkverträge bezieht. Das macht im konkreten Fall jeweils eine Zuordnung zum Vertragstyp des Kauf-, Werklieferungs- oder Werkvertrags erforderlich. Von Studenten und Examenskandidaten ist in vergleichbaren Fällen eine genau Auswertung des Sachverhalts zu fordern. Die Ausführung der Vorinstanz zeigen hier, dass auch abweichende Ergebnisse durchaus vertretbar hergeleitet werden können. Entscheidend ist – wie so oft – eine fundierte Argumentation.

25.10.2021/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-10-25 08:00:182021-10-25 08:00:18BGH zum Widerrufsrecht beim Werkvertrag sowie zur Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rechtsmangel beim Autokauf

Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

In einer aktuellen Entscheidung vom 26.02.2020 (Az.: VIII ZR 267/17) hat sich der BGH abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret ging es um die Haftung eines Gebrauchtwagenverkäufers bei der Eintragung des Fahrzeugs in die Fahndungsliste des Schengener Informationssystems (SIS) nach Gefahrübergang. Der Fall, der sich hervorragend eignet, um die Feinheiten des Mängelrechts aufzuzeigen und daher problemlos Einzug in Klausuren finden kann, hat zwei Schwerpunkte: Zum einen geht es um die Abgrenzung des Sach- vom Rechtsmangel im Falle öffentlich-rechtlicher Beschränkungen; vor allem aber – und das ist das Neue an der vorliegenden Entscheidung – stellt sich die Frage, ob ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang dann angenommen werden kann, wenn zwar nicht der Rechtsmangel an sich, aber die Umstände, die kausal zum Rechtsmangel geführt haben, im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlagen.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.07.2011 von V einen gebrauchten Pkw. Noch am selben Tag wurde der Kaufpreis entrichtet und das Fahrzeug, zusammen mit einer rechtmäßig ausgestellten Zulassungsbescheinigung II, die den V als Eigentümer auswies, an den K übergeben. Am 06.03.2013 wurde der K mit dem Fahrzeug bei der Rückkehr aus der Türkei an der serbischen Grenze angehalten. Das Fahrzeug wurde dort auf der Grundlage einer Interpol-Meldung mit der Begründung beschlagnahmt, es werde in Rumänien als Gegenstand einer Straftat gesucht. Über das Polizeipräsidium Dortmund erhielt der Kläger in der Folgezeit zudem die Mitteilung, dass das Fahrzeug seit dem 22.05.2014 im Schengener Informationssystem (SIS) zwecks Sicherstellung ausgeschrieben sei. Als Fahrzeughalter sei in Rumänien seit dem 22.12.2008 das Unternehmen U und die B als Besitzerin gemeldet. An dieses Unternehmen wurde das beschlagnahmte Fahrzeug in der Folge herausgegeben. Der K ist empört und wendet sich an V: Er begehre die Verschaffung von Eigentum und Besitz an dem Fahrzeug, hilfsweise sofortige Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises, abzüglich einer Nutzungsentschädigung, nebst Zinsen.
In erster Instanz wurde die Klage vollständig abgewiesen. Das LG Köln hat es für erwiesen erachtet, dass das Fahrzeug nicht abhandengekommen war; deshalb habe der K gutgläubig das Eigentum erwerben können, sodass weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel anzunehmen sei (LG Köln, Urt. v. 26.10.2016 – 12 O 254/14, n.v.). Das OLG Köln hat in der Berufung das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den V auf den Hilfsantrag zur Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen verurteilt (OLG Köln, Urt. v. 09.11.2017 – 18 U 183/16, n.v.). In der Revisionsinstanz verfolgte der V nunmehr die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
 
B) Rechtsausführungen
Damit stellte sich für den BGH die Frage, ob dem V ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB zustand.
 
I. Kaufvertrag
Ein Kaufvertrag zwischen den Parteien besteht ohne Zweifel. Da aus dem Sachverhalt nicht hervorgeht, ob dem V eine Strafbarkeit, etwa wegen Hehlerei (§ 259 StGB), anzulasten ist, ist insbesondere nicht von der Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 134 BGB oder § 138 BGB auszugehen (zur Unwirksamkeit eines Kaufvertrags bei Verstoß gegen § 259 StGB s. MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, § 138 Rn. 42).
 
II. Rechtsmangel bei Gefahrübergang
Weiterhin dürfte der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB zur Verschaffung der Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln nicht nachgekommen sein. Es müsste also – wie der K vorträgt – ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang vorliegen.
 
1. Rechtsmangel
Bei der Eintragung des Fahrzeugs in das SIS müsste es sich also zunächst um einen Rechtsmangel handeln. Gemäß § 435 S. 1 BGB ist eine Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Zur vollständigen Erfüllung seiner vertraglichen Pflicht obliegt es dem Verkäufer also nicht nur, das Eigentum als solches zu übertragen. Er muss vielmehr auch sicherstellen, dass dem Käufer die Sache frei von Rechten Dritter verschafft wird, damit dieser als Eigentümer – wie es § 903 S. 1 BGB vorsieht – mit der Sache nach Belieben verfahren kann (BT-Drucks. 14/6040, S. 218). Hiervon ausgehend ist ein Rechtsmangel dann gegeben, wenn Rechte eines Dritten eine individuelle Belastung des Käufers darstellen, indem sie geeignet sind, ihn an der ungestörten Ausübung der ihm nach § 903 S. 1 BGB zustehenden Rechtsposition zu hindern (MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 4; BeckOK BGB/Faust, 53. Edt., Stand: 01.02.2020, § 435 Rn. 6). In Betracht kommen dabei grundsätzlich alle dinglichen Rechte (beispielsweise (Grund-)Pfandrechte, Dienstbarkeiten wie Nießbrauch), aber auch obligatorische Rechte eines Dritten, soweit ihre Ausübung den Käufer in seiner aus § 903 BGB folgenden Eigentümerstellung beeinträchtigt (MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 7). Erfasst werden hiervon auch solche Eingriffsbefugnisse, Einschränkungen und Bindungen, welche auf öffentlichem Recht beruhen (hierzu MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 10). Öffentlich-rechtliche Einschränkungen können indes auch einen Sachmangel bedeuten. Denn für die Qualifikation eines Umstandes als Sachmangel ist nicht allein seine physische Beschaffenheit maßgeblich. Vielmehr können auch Umstände, die sich letztlich als Nutzungs- oder Verwendungsbeeinträchtigungen auswirken, als Sachmangel einzuordnen sein. Daher ist an dieser Stelle eine Abgrenzung des Rechtsmangels vom Sachmangel erforderlich.
 
Anmerkung: Die Abgrenzung des Rechts- vom Sachmangel ist nicht nur theoretischer Natur. Die Einordnung als Rechtsmangel hätte unter anderem zur Folge, dass der auf Sachmängel zugeschnittene § 477 BGB (Beweislastumkehr bei Verbraucherverträgen) keine Anwendung findet.  
 
Als Faustformel lässt sich festhalten, dass solche Mängel, die an die Beschaffenheit der Sache anknüpfen, Sachmängel darstellen, auch wenn sie dazu führen, dass Dritte Rechte gegen den Käufer geltend machen können, die ihn in der ungestörten Ausübung der Eigentümerbefugnisse beeinträchtigen (BeckOK BGB/Faust, 53. Edt., Stand: 01.02.2020, § 435 Rn. 10 m.w.N.). Das heißt: Solche öffentlich-rechtlichen Beschränkungen (beispielsweise Enteignungen, Beschlagnahmen), die ihre Grundlage in der Beschaffenheit der Sache (also ihrer Zusammensetzung, ihrem physischen Zustand) haben, sind als Sachmangel einzuordnen (BGH, Urt. v. 26.2.2020 – VIII ZR 267/17, BeckRS 2020, 4703, Rn. 13; Urt. v. 18.01.2017 – VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666 Rn. 18 ff.). In der Vergangenheit wurde dies beispielsweise für Beschränkungen der Bebaubarkeit, die an die Beschaffenheit (insbesondere die Lage) eines Grundstücks anknüpfen, angenommen (hierzu BGH, Urt. v. 11.12.1992 – V ZR 204/91, NJW-RR 1993, 396; Urt. v. 17.03.1989 – V ZR 245/87, NJW 1989, 2388). Auch gilt dies konsequenterweise für Beschlagnahmen, wenn sich das Recht zur Beschlagnahme aus der Zusammensetzung bzw. dem Zustand der Kaufsache ergibt, so etwa bei Lebensmitteln, bei denen der Verdacht des Salmonellenbefalls besteht (BGH, Urt. v. 14.06.1972 – VIII ZR 75/71, NJW 1972, 1462). Anders ist dagegen zu urteilen – also ein Rechtsmangel anzunehmen – wenn das Recht zum öffentlich-rechtlichen Eingriff aus „äußeren“ Umständen, die zwar eine Beziehung zur Sache aufweisen, ihr aber nicht unmittelbar anhaften, herrührt, wie beispielsweise aus der Nichtzahlung von Abgaben für die Sache. Wie aber ist in Bezug auf die SIS-Ausschreibung eines Fahrzeugs zu urteilen? Die SIS-Ausschreibung bedeutet, dass das betreffende Fahrzeug zwecks Sicherstellung oder Beweissicherung in einem Strafverfahren gesucht wird. Damit gründet der dem Fahrzeug anhaftende Mangel (Gefahr der Beschlagnahme) nicht auf der physischen Beschaffenheit (beispielsweise technischen Aspekten), sondern auf dem äußeren Umstand, dass das Fahrzeug im Kontext einer Straftat verwendet wurde. Wendet man konsequent die Faustformel an, kommt man auf dieser Basis unzweifelhaft zur Annahme eines Rechtsmangels. Denn – so der BGH:

„[M]it der SIS-Ausschreibung eines Kraftfahrzeugs zur Fahndung ist die konkrete, im gesamten Schengen-Raum bestehende Gefahr verbunden, dass das Fahrzeug bei einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen Kontrolle von staatlichen Behörden rechtmäßig sichergestellt oder beschlagnahmt wird (Senatsurteil vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/15, aaO Rn. 24) mit der Folge, dass es der Käufer – unabhängig von einem etwaig bestehenden, für die Beurteilung eines Rechtsmangels nicht maßgebenden Eigentumsherausgabeanspruch eines (Vor-)Eigentümers – nicht mehr ungestört im In- und Ausland nutzen kann.“ (Rn. 13).

Ein Rechtsmangel liegt damit vor.
 
Anmerkung: Lesenswert – und zur Vertiefung des Verständnisses empfehlenswert – ist auch das Urteil vom 18.01.2017, in dem der BGH ausführlich erörtert hat, dass die bei Gefahrübergang vorhandene und im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung fortbestehende Eintragung eines Kraftfahrzeugs in dem SIS zum Zwecke der Sicherstellung und Identitätsfeststellung einen erheblichen Rechtsmangel bedeutet, der den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt. Im Zuge dessen hat der BGH eine ausführliche Abgrenzung des Rechts- vom Sachmangel bei öffentlich-rechtlichen Beschränkungen in Bezug auf die Kaufsache vorgenommen (BGH, Urt. v. 18.01.2017 – VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666).
 
2. Bei Gefahrübergang
Der Rechtsmangel muss aber auch im Zeitpunkt des Gefahrübergangs – und hierin liegt die Krux des Falls – vorgelegen haben. Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist hier gemäß § 446 Abs. 1 BGB nach den Ausführungen des BGH der Zeitpunkt der Übergabe, also im konkreten Fall der 12.07.2011. Die SIS-Ausschreibung erfolgte aber erst am 22.05.2014, weshalb man vor diesem Hintergrund – ganz simpel – das Vorliegen eines Rechtsmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs verneinen müsste.
 
Anmerkung: Die – soweit erkennbar – allgemeine Meinung in der Literatur sieht das bei Rechtsmängeln gleichwohl anders. Hiernach soll der maßgebliche Zeitpunkt anders als beim Sachmangel nicht die Übergabe, sondern der Zeitpunkt sein, in dem sich der Erwerb vollziehen soll, also regelmäßig der Zeitpunkt des Eigentumserwerb (der zugegebenermaßen oftmals mit der Übergabe zusammenfallen wird), s. hierzu MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 6 m.w.N. Hierauf soll jedoch nicht näher eingegangen werden, dient der Beitrag der Besprechung der BGH-Entscheidung, in der bei der Beurteilung konsequent auf den Zeitpunkt der Übergabe abgestellt wurde.
 
Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass zwar der unmittelbare Rechtsmangel erst am 22.05.2014 begründet wurde, der Sachverhalt, der zu der Eintragung in das SIS geführt habe, aber schon am 12.07.2011 vorgelegen habe. Dass dies zur Annahme eines Mangels bei Gefahrübergang aber nicht genüge, hat der BGH in seiner Entscheidung ausführlich dargelegt:

„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang nicht schon dann vor, wenn die letztlich zur späteren Eintragung in das SIS führende Ausgangslage […] bereits bei der nach § 446 Satz 1 BGB den Gefahrübergang herbeiführenden Übergabe des Fahrzeugs bestanden hat. Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage, ob in der Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste ein Rechtsmangel liegt, darauf abgestellt, dass diese Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand (Senatsurteile vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/15, aaO Rn. 14; vom 26. April 2015 – VIII ZR 233/15, aaO). Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der Aufnahme des Fahrzeugs in die SISFahndungsliste in der ungestörten Nutzung der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm – nach Übergabe – gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers (§ 903 BGB) konkret beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter – hier in Gestalt strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug – so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest mit der Folge, dass allein das Vorliegen eines tatsächlichen Geschehens, das wegen seiner erst nach Gefahrübergang erkannten strafrechtlichen Bedeutung für eine spätere SISFahndung – und in deren Folge für eine etwaige Beschlagnahme – in irgendeiner Weise kausal geworden ist […] für die Annahme eines Rechtsmangels nicht genügt.“ (Rn. 14 ff.)

Eine andere Sichtweise würde die Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers in unzumutbarer Weise überdehnen:

„Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.“ (Rn. 17).

Dies hatte der BGH indes schon einmal anders gesehen: In einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 hatte es der BGH bei einer nach § 111b StPO rechtmäßig durchgeführten Beschlagnahme eines im Ausland als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs für die Annahme eines Rechtsmangels bei Gefahrübergang als ausreichend erachtet, dass der Sachverhalt, aufgrund dessen die spätere Beschlagnahme erfolgte, bereits bei Gefahrübergang vorlag (BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 unter II 1). Die diesem Sachverhalt zugrunde liegende Konstellation unterscheide sich jedoch derart vom vorliegenden Fall, dass nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden könnten. Konkret:

„Der in dem Senatsurteil vom 18. Februar 2004 (VIII ZR 78/03, aaO) zu beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine Diebstahlsanzeige vorlag und strafrechtliche Ermittlungen – auch gegen den Käufer des Fahrzeugs – wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden, in deren Folge es 16 Tage nach der Übergabe zu einer (rechtmäßigen und danach richterlich bestätigten) Beschlagnahme durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden kam (Senatsurteil vom 18. Februar 2004 – VIII ZR 78/03, aaO). Somit drohte in jenem Fall bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine alsbaldige behördliche Beschlagnahme, die die Annahme eines bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtsmangels begründen konnte. Eine derartig „verdichtete“ Situation einer unmittelbar drohenden behördlichen Beschlagnahme bestand angesichts der vom Berufungsgericht zum zeitlichen Ablauf hier getroffenen Feststellungen bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger jedoch nicht. Somit kann […] auch insoweit ein bei Gefahrübergang vorhandener Rechtsmangel nicht bejaht werden.“ (Rn. 19).

Im vorliegenden Fall kann die Tatsache, dass der Sachverhalt, der zu der Eintragung in das SIS geführt habe, also nur deswegen nicht zur Annahme eines Sachmangels „bei Gefahrübergang“ führen, weil sich die Situation zum Zeitpunkt der Übergabe noch nicht hinreichend verdichtet hatte im Sinne eines unmittelbar drohenden behördlichen Einschreitens.
 
III. Ergebnis
Letztlich scheitert nach Auffassung des BGH ein Anspruch auf Rückabwicklung aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB, dass im Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch kein Rechtsmangel vorlag.
 
C) Fazit
Die wichtigsten Aussagen des BGH können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Ein Sachmangel liegt in Abgrenzung zum Rechtsmangel immer dann vor, wenn der betreffende Umstand an die Beschaffenheit der Sache anknüpft, auch wenn er dazu führt, dass Dritte Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Hiervon ausgehend liegt in der SIS-Ausschreibung eines Fahrzeugs zur Fahndung ein Rechtsmangel.
  • Ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang liegt nicht bereits dann vor, wenn die Umstände, die zur späteren Ausschreibung führen, bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen haben. Denn eine konkrete Beeinträchtigung der Eigentümerposition ist erst mit der Eintragung in das SIS zu befürchten, denn erst dann verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss. Anders geurteilt werden kann allenfalls dann, wenn im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine „alsbaldige“ behördliche Maßnahme droht, wenn sich die Situation also bereits so verdichtet hat, dass die der Maßnahme zugrunde liegenden Umstände in engem zeitlichem Abstand zur Durchführung (hier: Eintragung in das SIS) führen.

Die Entscheidung des BGH ist in Bezug auf die Äußerungen zum Gefahrübergang mehr als zweifelhaft, aber für die Praxis hinzunehmen. Aus streng dogmatischer Sicht hat der BGH freilich recht – der Rechtsmangel und nicht die für ihn irgendwie kausalen Umstände müssen im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorliegen. Gleichwohl erscheint das Urteil gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung aus dem Jahre 2004, in der der BGH ausdrücklich anerkannt hat, dass bereits dem Rechtsmangel zugrunde liegende Umstände genügen können, nahezu willkürlich. Denn wann ist der zeitliche Zusammenhang noch gewahrt, dass von einem unmittelbar bevorstehenden behördlichen Eingriff ausgegangen werden kann? Als Eckpunkte kann man sich allenfalls – wenn auch wenig hilfreich – merken, dass eine Beschlagnahme, die 16 Tage nach Gefahrübergang folgt, wohl bereits hinreichend „drohte“; sind dagegen nach Übergabe drei Jahre vergangen, bevor es zur Eintragung ins SIS kommt, kann dies zur Annahme des erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs nicht genügen – auch wenn die Umstände, die zur Maßnahme geführt haben, bereits in diesem Zeitpunkt abschließend vorlagen. In einer Klausur kommt es daher auf die Argumentation an: Wichtig ist, dass sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt wird, ob die öffentlich-rechtliche Beschränkung bereits hinreichend drohte. Nur dann kann ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang angenommen werden.

20.04.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-04-20 09:00:362020-04-20 09:00:36BGH: Neues zum Rechtsmangel beim Autokauf
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung beim Werkvertrag

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In seinem Urteil vom 7.2.2019 (Az.: VII ZR 63/18) hat sich der BGH der Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung beim Werkvertrag gewidmet. Der Fall ist ein Paradebeispiel, anhand dessen die extrem klausur- und examensrelevante Problematik ausführlich erörtert werden kann.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht)
Im Januar 2016 beauftragte die Klägerin B den Beklagten U mit der Wartung ihres Pkw. Im Zuge der Wartungsarbeiten tauschte der U unter anderem den Keilrippenriemen, den Riemenspanner und den Zahnriemen aus. Am 9. Februar 2016 traten – so die Behauptung der B – erhebliche Probleme mit der Lenkung auf, sodass sie das Auto in eine andere Werkstatt abschleppen lassen musste, weil der U bis zum 10. Februar 2016 Betriebsferien hatte. Dort habe sich herausgestellt, dass der U den Keilrippenriemen nicht richtig gespannt habe. Der aus diesem Grund gerissene Riemen habe sich um die Welle und das Gehäuse der Lichtmaschine gewickelt und diese beschädigt. Überreste des Riemens hätten sich um die Riemenscheibe der Servolenkungspumpe gewickelt mit der Folge, dass die Riemenscheibe gebrochen und die Dichtung der Servolenkungspumpe beschädigt worden sei. Zudem seien Teile des Riemens in den Riementrieb des Zahnriemens gelangt. Die B ließ Keilrippenriemen, Riemenspanner, Zahnriemen, Servolenkungspumpe und Lichtmaschine ersetzen und verlangt nunmehr von U die hierbei unstreitig entstandenen Reparaturkosten i.H.v. 1.715,57 € nebst Zinsen.
 
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
 
B) Rechtsausführungen
Der BGH hat mit Urteil vom 7.2.2019 das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Den Schwerpunkt der Entscheidung bildet die höchst klausur- und examensrelevante Abgrenzung von Schadensersatz statt der Leistung von Schadensersatz neben der Leistung, insbesondere die Einordnung sog. Mangelfolgeschäden.
 
I. Allgemeine Grundsätze zur Abgrenzung des Schadensersatzes statt vom Schadensersatz neben der Leistung
Ist eine Pflichtverletzung in Form einer mangelhaften Werkleistung i.S.v. § 633 BGB gegeben, ist in der Folge zwischen dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB und dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB zu differenzieren. Der Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB tritt an die Stelle der geschuldeten Werkleistung und erfasst das Leistungsinteresse des Bestellers. Grundsätzlich ist hierfür – abgesehen von den normierten Ausnahmen – eine Fristsetzung zur Nacherfüllung erforderlich, damit der Unternehmer eine letzte Gelegenheit erhält, seiner Pflicht zur geschuldeten Leistung, also der Herstellung eines mangelfreien Werks, nachkommen zu können. In Abgrenzung hierzu sind über § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB, der ausweislich keine Fristsetzung verlangt, die über das Leistungsinteresse hinausgehenden Vermögensnachteile, insbesondere Folgeschäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers als dem Werk selbst oder an dessen Vermögen, zu ersetzen (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 225, 263). Mit dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB kann also Ersatz für Schäden verlangt werden, die aufgrund eines Werkmangels entstanden sind und durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht beseitigt werden können. Man muss sich daher stets die Testfrage stellen, ob der aufgrund eines Werkmangels entstandene Schaden durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung beseitigt werden kann – und dann auf dieser Grundlage ermitteln, ob § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB einschlägig ist.
 
II. Die Entscheidung des BGH vom 7.2.2019
Nach diesen Maßstäben nahm der BGH hinsichtlich der verschiedenen Schäden eine dogmatisch konsequente differenzierte Betrachtungsweise ein: So wurde bezüglich der Lichtmaschine und der Servolenkungspumpe ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB hergeleitet; ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens konnte sich allerdings nur aus § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ergeben.
 
1. Über § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB ersatzfähige Mangelfolgeschäden
Anders als das Berufungsgericht kam der BGH zu dem Ergebnis, dass es sich bezüglich der Kosten für Lichtmaschine und Servolenkungspumpe um über §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB neben der Leistung ersatzfähige Mangelfolgeschäden handelte, für die es keiner Fristsetzung bedurfte: „Für derartige Folgeschäden kommt die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung gemäß § 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Denn der Zweck dieser Fristsetzung, dem Unternehmer eine letzte Gelegenheit einzuräumen, ein mangelfreies Werk herzustellen, kann nicht erreicht werden in Bezug auf Schäden, die durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht zu beseitigen sind.“ (Rn. 19) Der BGH argumentiert also mit dem Telos des Fristsetzungserfordernisses, der darin besteht, dass dem Unternehmer eine letzte Gelegenheit zur mangelfreien Leistung gewährt werden soll. Gerade diesem Sinn und Zweck entspreche es aber nicht, wenn bei Schäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers als dem Werk selbst eine Fristsetzung verlangt würde.
Allerdings bedarf es in einem vorherigen Schritt im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB der Ermittlung der konkret geschuldeten Werkleistung. Denn nur dann kann auch festgestellt werden, wann Schäden vorliegen, die an anderen Rechtsgütern als dem Werk selbst eingetreten sind. Besonders schwierig ist dies in der – wie hier vorliegenden – Konstellation, in der die einzelnen Teile, bei denen Schäden eingetreten sind, einer Gesamtsache – hier: dem Auto – zugehörig sind. Der BGH kam basierend auf diesen Erwägungen zu folgendem Auslegungsergebnis:

„Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Beklagte mit der Wartung des Kraftfahrzeugs der Klägerin beauftragt. Ein Wartungsvertrag über ein Kraftfahrzeug beinhaltet regelmäßig dessen Überprüfung auf Funktions- und Verkehrstüchtigkeit im vereinbarten Umfang und damit insbesondere auch die Aufdeckung etwaiger Schäden der zu überprüfenden Bereiche. Auch der Austausch von Verschleißteilen kann davon umfasst sein. Die Reparatur von im Rahmen der Wartung aufgedeckten Schäden gehört dagegen nicht zur geschuldeten Leistung eines Wartungsvertrags. Sie ist nur bei einer entsprechenden Vereinbarung durchzuführen. Entgegen der Auffassung der Revision umfasste der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts ferner den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens. Dabei kann dahinstehen, ob derartige Arbeiten regelmäßig zum geschuldeten Leistungsumfang eines Vertrags über die Wartung eines Kraftfahrzeugs gehören. Denn die Parteien haben diese Arbeiten hier – spätestens mit der (konkludenten) Abnahme der ausgeführten Arbeiten seitens der Klägerin durch Abholung des Kraftfahrzeugs und Begleichung der Rechnung des Beklagten – zum Gegenstand ihrer vertraglichen Vereinbarungen gemacht. Die vom Beklagten geschuldete Werkleistung bestand danach in der ordnungsgemäßen Wartung des Kraftfahrzeugs einschließlich des Austauschs des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens. Hierauf beschränkte sich indes auch die Leistungspflicht des Beklagten. Demgegenüber handelt es sich bei den Schäden an der Lichtmaschine und der Servolenkungspumpe um Folgeschäden, die durch die mangelhafte Werkleistung des Beklagten – das mangelhafte Spannen des Keilrippenriemens – entstanden sind, und die durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht mehr beseitigt werden können. Diese Schäden betreffen vielmehr zuvor unbeschädigte Bestandteile des Kraftfahrzeugs und nicht das geschuldete Werk selbst.“ (Rn. 21-25)

Der BGH nahm also aufgrund der Vereinbarung der Parteien, der U habe das Fahrzeug ordnungsgemäß zu warten sowie den  Keilrippenriemen, den Riemenspanner und den Zahnriemen auszutauschen, an, dass sich hierauf die geschuldete Werkleistung beschränkte. Bei den Schäden an Lichtmaschine und Servolenkungspumpe handelt es sich daher um Schäden, die an anderen Rechtsgütern als dem Werk selbst eingetreten sind.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Entscheidungen des BGH, nach denen die Nacherfüllung alle Arbeiten umfasst, die zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes erforderlich sind (vgl. beispielhaft BGH Urt. v. 22.3.1979 – VII ZR 142/78, juris, Rn. 17, und Urt. v. 29.11.1971 – VII ZR 101/70, juris, Rn. 41) Denn: „Jene Entscheidungen betreffen allein die Frage, welche Maßnahmen im Rahmen einer Nacherfüllung geschuldet sind, um ein mangelfreies Werk herzustellen. Erfordert die Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung Eingriffe in das sonstige Eigentum des Bestellers, sind auch die hierdurch entstehenden Schäden zu beheben. Von solchen Schäden, die im Zuge der Nacherfüllung zwangsläufig entstehen, sind diejenigen Schäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers oder an dessen Vermögen zu unterscheiden, die durch die mangelhafte Werkleistung verursacht wurden. Sie werden von der Nacherfüllung nicht erfasst, sondern können nur Gegenstand des – verschuldensabhängigen – Schadensersatzanspruchs gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB sein (vgl. zur Abgrenzung bereits BGH, Urteil vom 7. November 1985 – VII ZR 270/83, BGHZ 96, 221, juris Rn. 14 ff.). So liegt der Fall hier. Denn hinsichtlich der Lichtmaschine und der Servolenkungspumpe geht es nicht um die Nacherfüllung der Wartung oder der vereinbarten Austauscharbeiten und hierdurch erforderlich werdende Maßnahmen, sondern um die Beseitigung weiterer, aufgrund der mangelhaften Werkleistung eingetretener Schäden am Kraftfahrzeug der Klägerin.“
Zusammenfassend kann sich ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB daher nur für die Schäden an Lichtmaschine und Servolenkungspumpe ergeben, nicht aber bezüglich Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen.
 
2. Über § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ersatzfähige Mangelschäden
Hinsichtlich der Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens kam indes ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB in Betracht. Wie bereits dargelegt, tritt der Schadensersatz statt der Leistung an die Stelle der Leistung und umfasst das Leistungsinteresse des Bestellers. Er knüpft daran an, dass keine ordnungsgemäße Nacherfüllung stattgefunden hat. Damit deckt sich sein Anwendungsbereich mit der Reichweite der Nacherfüllung, die gemäß § 634 Nr. 1 i.V.m. § 635 BGB auf die Bewirkung der geschuldeten Leistung gerichtet ist. Die geschuldete Leistung bestand im konkreten Fall – wie bereits im Wege der Auslegung ermittelt wurde – in der ordnungsgemäßen Wartung des Kraftfahrzeugs einschließlich des Austauschs des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens. Der BGH führte wie folgt aus:

„Soweit der Keilrippenriemen durch den mangelhaft ausgeführten Austausch – das mangelhafte Spannen – gerissen ist und deshalb dessen erneuter Austausch erforderlich wurde, betrifft dies den bei Abnahme vorhandenen Mangel des Werks. Die Beseitigung dieses Mangels wird von der Nacherfüllung erfasst, so dass die Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens als Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB zu ersetzen sind. Gleiches gilt hinsichtlich des Austauschs von Riemenspanner und Zahnriemen. Auch insoweit ist das geschuldete Werk betroffen. Ohne Belang ist, dass Riemenspanner und Zahnriemen bei Abnahme noch nicht mangelhaft waren. Denn der jeweilige Mangel hat seine Ursache in dem mangelhaften Spannen des Keilrippenriemens und damit in der vertragswidrigen Beschaffenheit des Werks bei Abnahme. Der erforderliche erneute Austausch wird damit ebenfalls von der Nacherfüllung erfasst, so dass sich der Ersatz der Austauschkosten nach § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB richtet.“ (Rn. 35, 36)

Es bedurfte damit grundsätzlich einer Fristsetzung. Allerdings hat der BGH festgestellt, dass eine solche ausnahmsweise nach § 281 Abs. 2 Var. 2 BGB entbehrlich ist. Es lägen besondere Umstände vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigten: Es „besteht ein besonderes Interesse der Klägerin an einer einheitlichen Reparatur, bei der die erforderlichen Austauscharbeiten im Zuge der Beseitigung der wirtschaftlich im Vordergrund stehenden Folgeschäden an der Lichtmaschine und der Servolenkung miterledigt werden. Demgegenüber tritt das – grundsätzlich bestehende – Interesse des Beklagten an der Möglichkeit einer Nacherfüllung betreffend Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen zurück, zumal dies im Anschluss an die Reparatur (allein) der Folgeschäden ein aufwendiges Verbringen des Kraftfahrzeugs in die Werkstatt des Beklagten erfordert hätte.“ (Rn. 37)
Nach Ansicht des BGH musste mithin keine Frist gesetzt werden, sodass auch ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB in Betracht kommt.
 
C) Fazit
Die Entscheidung des BGH ist dogmatisch konsequent. Bei verschiedenen Schäden – auch an einer „Gesamtsache“ – ist bei der Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung stets zu differenzieren, ob das Leistungsinteresse des Bestellers betroffen ist oder ob Vermögensteile des Bestellers, die nicht das geschuldete Werk betreffen, beschädigt wurden. Hier bedarf es einer Auslegung im jeweiligen Einzelfall, worin die geschuldete Werkleistung liegt. Auf dieser Grundlage kann dann die Reichweite der Nacherfüllung und somit der Anwendungsbereich des § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB bestimmt werden. Hiervon nicht erfasste Schäden können dann über § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280 Abs. 1 BGB ersatzfähig sein. In der Klausur ist daher unter Ausschöpfung aller im Sachverhalt genannten Aspekte der Umfang der geschuldeten Werkleistung auszulegen, um auf dieser Basis eine Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung vornehmen zu können.
 
 

11.06.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-06-11 09:20:242019-06-11 09:20:24BGH: Abgrenzung von Schadensersatz statt und neben der Leistung beim Werkvertrag
Redaktion

Simulation mündliche Prüfung: Privatier P hält die Ohren steif – Zur analogen Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Die Simulation ist einer brandaktuellen Entscheidung des BGH nachgebildet. Das Gericht äußert sich zu grundlegenden Fragen des allgemeinen Schuldrechts und nimmt darüber hinaus erstmalig zu einem neuen, bislang wenig Beachtung gefundenen Vertragstypus Stellung. Die Entscheidung ist bereits deshalb besonders examensrelevant und kann nicht nur Gegenstand einer mündlichen Prüfung, sondern auch universitärer Klausuren sein. Ein vertiefter Blick in das Urteil ist deshalb dringend geboten.  
 
Prüfer:  Willkommen zur Prüfung im Zivilrecht. Lassen Sie mich einen Fall referieren, der mir neulich zu Ohren kam. Die Entscheidung ist einem Fall des XIII. Senats des BGH v. 01.04.2019 (Az. 70 PSG 200) nachgebildet. Der Fall ist recht umfangreich, also spitzen Sie die Ohren:
Der dauerhaft in Berlin lebende, vom Hals abwärts gelähmte französische Staatsbürger P sowie sein senegalesisch-stämmiger Pfleger D beschließen, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag eine kleine Belohnung zu genehmigen. Pfleger D beschafft dazu – neben mehreren Marihuana-Zigaretten (sog. „Johnys“) – zwei mit den thailändischen Massagekünsten bestens vertraute Prosituierte (B und J), die dem D aus älteren „Geschäftsbeziehungen“ bereits hinlänglich bekannt sind. Gegen 21:30h treffen B und J am prunkvollen Anwesen des P ein.
P und D konsumieren über den Abend verteilt mehrere „Blunts“, wobei zunächst D den Löwenanteil der Rauchwaren verputzt. Während P wie gewohnt in seinem Rollstuhl sitzt, lässt sich D auf einem barocken Ohrensessel neben D nieder. Sodann positionieren sich B und J hinter D und P. Während D sich unverzüglich seines Oberteils entledigt, beschließt P, sich das Oberhemd nur ein wenig aufknöpfen zu lassen. B und J beginnen, P und D zu massieren. D nutzt dabei die Gelegenheit, und zündet eine weitere „Kräuterrakete“ an. Entsprechend seinen Wünschen massiert B den D von Kopf bis zu seiner stählernen Brust. P bevorzugt es hingegen, die Massageeinheit auf seine besonders empfindlichen Ohrläppchen zu beschränken. Als J beginnt, ihre Hände von den Ohrläppchen des P an dessen Körper herabgleiten zulassen, interveniert D energisch: „Nein, nein, nein, bleib schön am Ohr. Das mag er.“ – während er P eine frische „Tüte“ anreicht. J kommt diesem Wunsch nach.
Aufgrund des durch die hohe Anzahl an „Doobys“ ausgelösten Rausches, schläft der Gelegenheitsstoner P nach achtminütiger Massageeinheit unvermittelt ein. J stellt daraufhin die Arbeit ein, steckt das auf dem Couchtisch des P platzierte Entgelt in Höhe von 150 € ein und verlässt das Anwesen des P. D – der mittlerweile zusammen mit B den Raum gewechselt hat – bekommt von alldem nichts mehr mit.
P verlangt von J nun anteilige Rückzahlung des bereits gezahlten Entgelts in Höhe von 50 €: Die Leistung sei nicht vollständig erbracht worden. Seine Ohren seien nicht bis zur endgültigen Befriedigung gekrault worden – nicht mal ein leichtes, frohlockendes Zucken seiner Ohrläppchen habe er verspüren können. Auch sei die Dauer von lediglich acht Minuten nicht angemessen, ein derart hohes Entgelt zu rechtfertigen.
J entgegnet, sie habe ausreichend lange „an den Löffeln herumgefummelt“. Dass ihre Leistung durchaus zufriedenstellend war, könne man daran erkennen, dass P bereits nach kurzer Zeit in das Land der Träume versunken sei. Gewährleistungsansprüche bestünden bereits gar nicht. Hilfsweise rechnet sie mit einem Schadensersatzanspruch auf: Durch die für sie ungewohnte Tätigkeit habe sie sich eine Sehnenscheitentzündung zugezogen, sie habe dadurch einen mehrnächtigen Arbeitsausfall erlitten.
Herr Wenneck, haben Sie den Fall verstanden? Dann lassen Sie uns mal an Ihren Gedanken teilhaben: Was für ein Vertrag kommt hier in Betracht?
Herr Wenneck: Also, es kommt ein Geschäftsbesorgungsvertrag in Betracht…
Prüfer: Sie wollen mich wohl übers Ohr hauen! Sie haben da etwas grundlegend falsch verstanden. Frau Garner, was sagen Sie dazu?
Frau Garner: Der Vertragstypus ist anhand des Parteiwillens zu bestimmen. Zu fragen ist also, was die Parteien hier vereinbart haben. Ich würde zwischen einem Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB und einem Werkvertrag nach den §§ 631 ff. BGB differenzieren. Beim Dienstvertrag ist lediglich ein Tätigwerden geschuldet, während beim Werkvertrag ein bestimmter Erfolg herbeigeführt werden muss.
Prüfer: Da werde ich hellhörig. Überlegen Sie doch einmal, in welchem Gewerbe die Damen normalerweise tätig sind. Wäre das auch hier zu berücksichtigen, Herr Carlos?
Herr Carlos:  Es ließe sich natürlich auch über einen Prostitutionsvertrag nachdenken. Der Prostitutionsvertrag ist in Deutschland ein lediglich einseitig verpflichtender Vertrag, d.h. nur der Freier wird verpflichtet die Gegenleistung, also die Bezahlung, zu leisten, während die Erbringung der sexuellen Leistung vom freien Willen der Prostituierten abhängt.
Prüfer: Sehr richtig. Und wie wäre es in unserem Fall?
Herr Carlos: Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es sich überhaupt um eine sexuelle Leistung handelt. Denn selbstverständlich kann eine Prosituierte auch andere Verträge schließen: Wenn ich zu einer Prosituierten gehe und von ihr verlange, dass sie mir nur für ein paar Minuten ein Ohr leiht, dann ist das mit Nichten ein Prostitutionsvertrag.
In unserem Fall ist meiner Meinung nach ein Prostitutionsvertrag abzulehnen. Das reine Kraulen an den Ohren stellt keine sexuelle Leistung dar. Es ist eine Leistung, die von der überwiegenden Mehrzahl der Bürger nicht in einem sexuellen Kontext gesehen wird. Denn auch die handelsübliche Thai-Massage fällt nicht in den Rahmen des Prostitutionsschutzgesetzes – und diese ist meines Erachtens doch intimer als ein bloßes Streicheln der Ohrläppchen.
Prüfer: In der Tat! Man merkt, Sie wissen wovon Sie reden. Kommen wir nochmal auf unsere Ausgangsfrage zurück: Werk- oder Dienstvertrag? Mr. Chow, Sie haben sich bislang noch sehr bedeckt gehalten. Lassen Sie mal die Katze aus dem Sack!
Mr. Chow: Ich will sofort mein Handtäschchen wieder!
Prüfer: Wie bitte?
Mr. Chow: Gebt mir sofort mein Handtäschchen wieder!
Prüfer: Ich ziehe ihnen gleich das Fell über die Ohren. Herr Wenneck, können Sie uns hier weiterhelfen?
Herr Wenneck: Entscheidend ist, was Frau J schuldet. Mit Blick auf einen Werkvertrag ist bereits fraglich, welcher Erfolg von J überhaupt zu erbringen wäre. Das Ohrkraulen „an sich“ ist jedenfalls kein Erfolg. Es müsste vielmehr ein hierüber hinausgehender Erfolg geschuldet sein. Zu denken wäre etwa an ein – und hier spreche ich untechnisch – „Happy End“. Ein dahingehender Parteiwille ist jedoch nicht ersichtlich. In Betracht kommt also allenfalls ein Dienstvertrag.
Prüfer: Frau Garner, stimmen Sie Ihrem Kollegen zu?
Frau Garner: Da ist der Kollege wohl noch ein bisschen grün hinter den Ohren. In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH einen sog. „Ohrläppchenvertrag“ sui generis angenommen. Dieser Vertragstypus bildet die Schnittstelle zwischen Werk- und Dienstvertrag. Es ist in der Tat richtig,  dass eine Tätigkeit geschuldet ist. Die Hauptleistungspflicht beim „Ohrläppchenvertrag“ geht jedoch über das bloße Massieren der Lauscher hinaus. Notwendig ist nämlich, dass zumindest zeitweilig ein wohliges – vielleicht gar genüssliches – Stöhnen das Bekraulten zu vernehmen ist. Tritt dies ein, ist der Vertrag zwar nicht automatisch erfüllt. Wäre dies so, hätten wir es mit einem Werkvertrag zu tun. Auch bei Eintritt derartiger Geräusche kann es nach den Umständen des Einzelfalls sein, dass weitere Kraultätigkeiten noch zu erbringen sind. Deutlich wird: Keiner der ausdrücklich normierten Vertragstypen passt, mit der Folge, dass der Pflichtenkanon des „Ohrläppchenvertrags“ losgelöst von den Vertragstypen des BGB zu bestimmen ist.
Prüfer: A la bonne heure, Sie sind ein richtiges Schlitzohr! Jetzt, da wir den Vertragstyp bestimmt haben, stellt sich die Frage, ob Frau J den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hat oder ob der P hier das vereinbarte Entgelt mindern durfte. Herr Carlos, was sagen Sie dazu?
Herr Carlos: Zunächst muss erörtert werden, ob ordnungsgemäß erfüllt worden ist. Anschließend lässt sich gegebenenfalls darüber nachdenken, ob der „Ohrläppchenvertrag“ ein Mängelgewährleistungsrecht kennt.
Die Frage, ob hier ordnungsgemäß erfüllt wurde, würde ich verneinen: Wie Frau Garner dargelegt hat, muss das Kraulen der Ohrläppchen zu einem „wohligen Stöhnen“ des Bekraulten führen. Der P führt aber aus, dass es nicht mal zu einem „leichten, frohlockenden Zucken der Ohrläppchen“ gekommen sei. Ein Einschlafen des Leistungsempfängers genügt den Anforderungen nicht, die an den Erfolg angelegt werden. 
Prüfer: Das ist Musik in meinen Ohren! Sehr schön Herr Carlos. Also hat Frau J den Vertrag somit nicht ordnungsgemäß erfüllt. Frau Garner, gehen Sie einmal davon aus, dass wir es bei der J mit einer geübten Ohrmasseurin zu tun haben, die dem P sicherlich noch ein kleines Stöhnen hätte entlocken können. Woran könnte man in diesem Fall denken?
Frau Garner: Das entscheidende Momentum ist in dem Einschlafen des P zu sehen. Wäre P nicht eingenickt, hätte J den geschuldeten Erfolg noch herbeiführen können. An eine Mängelgewährleistung ist deshalb nur zu denken, wenn das Einschlafen des Leistungsberechtigten beim „Ohrläppchenvertrag“ der Risikosphäre der Kraulerin zugerechnet werden müsste. Beim „Ohrläppchenvertrag“ hat die Kraulerin zwar die Ohren, nicht hingegen das Einschlafen des Bekraulten in der Hand. Zudem würde eine sehr beruhigende Kraulweise, die regelmäßig notwendig ist, um ein frohlockendes Zucken herbeizuzaubern, ihre Wirkung rechtlich betrachtet ins Gegenteil verkehren. Andernfalls würde man von der Kraulerin einen Satz heiße Ohren verlangen – das wird auch vom Berkraulten nur in einzelnen Sonderfällen gewünscht sein.
Prüfer: Ihr Wort in Gottes Ohr, Frau Garner! Und in welchen Teil des allgemeinen Schuldrechts würden Sie in der Konsequenz schauen, Herr Wenneck?
Herr Wenneck: § 313 BGB scheint mir hier sehr passend. Wenn ich mich recht entsinne, hat auch der BGH hier eine analoge Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage angenommen. Die Geschäftsgrundlage – hier das Wachbleiben des Bekraulten – ist entfallen. Treffend lässt sich hier vom „Wegschlafen der Geschäftsgrundlage“ sprechen. Daher auch die analoge Anwendung.
Prüfer: Herr Wenneck, Sie haben es faustdick hinter den Ohren! Ich möchte ein Zitat des BGH anmerken. Dieser führte aus: „Wer im Geiste ruht, dessen Ohrläppchen können nicht wachen.“ Ist das nicht schön formuliert? Nun gut, ich merke, ich schweife ab. Reicht uns ein Wegschlafen der Geschäftsgrundlage bereits für eine entsprechende Anwendung des § 313 BGB, Herr Carlos?
Herr Carlos: Tut mir Leid, ich hatte gerade auf Durchzug geschaltet. 
Prüfer: Herr Carlos, Sie sollten aufmerksam bleiben, wenn ihr Kollege subsumiert. Schreiben Sie sich das hinter die Löffel! Neben dem Wegfallen – oder hier dem Wegschlafen – erfordert die Anwendung des § 313 BGB als weitere Voraussetzung…
Herr Carlos: Das Wegschlafen darf nicht in den Risikobereich einer der Parteien fallen. Dass das Wegschlafen nicht in den Risikobereich der Kraulerin fällt, haben wir bereits festgestellt – da war ich noch am Ball. Wir müssen nun noch klären, ob ein Wegnicken in den Risikobereich des Bekraulten fällt. Die Umstände des Falles können hier dafür sprechen: P und D hatten einige „Sandwiches“ gemampft – eine Tatsache, die, wie jedem bekannt sein dürfte, schnell zu großer Müdigkeit führen kann.
Prüfer: Das ist doch an den Ohren herbeigezogen. Frau Garner, klären Sie uns auf!
Frau Garner: Abzustellen ist auf den jeweiligen Verkehrsteilnehmerkreis: Es ist gerade nicht atypisch, dass vor und während des „Ohrläppchenkraulens“ auch „gedübelt“ wird. Für die Annahme, dass die hiermit verbundene Gefahr des Wegnickens in den Risikobereich einer der Vertragsparteien fallen soll, bedarf es deshalb besonderer Anhaltspunkte. Zu denken ist etwa an die Einnahme von Schlaftabletten, ein besonders langweiliges Kraulprogramm oder eine äußerst einschläfernde Hintergrundmusik, wie man sie von zweitklassigen Thaimassagestudios kennt. All das haben wir hier jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund kommen wir zu dem Ergebnis, dass das Wegschlafen des P nicht in dessen vertragliche Risikosphäre fällt. Die Voraussetzungen des § 313 BGB analog liegen vor.
Prüfer:  Sehr schön, Frau Garner. Herr Carlos, machen Sie den Sack zu.
Herr Carlos: Ein Wegschlafen der Geschäftsgrundlage führt in analoger Anwendung des § 313 BGB zu einer Anpassung des Vertrags oder – soweit dies nicht möglich ist – zu einem Rücktrittsrecht des Bekraulten. Hier vergingen acht Minuten bis zum Wegschlafen, die Vergütung ist dementsprechend zu mindern. Der Bekraulte hat somit einen Rückzahlungsanspruch gegen die Kraulerin.
Prüfer: In der Tat! Kommt denn eine Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch der Kraulerin J in Betracht? Herr Wenneck, lassen Sie uns an Ihren Gedanken teilhaben.
Herr Wenneck: Also um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, bedarf es einer Pflichtverletzung des Bekraulten. Es ist doch gerade Gegenstand des Vertrages, sich die Ohren massieren zu lassen, mehr hat der P nicht getan – wie denn auch? „Keine Arme, keine Schokolade.“ Eine Pflichtverletzung haben wir somit nicht. Im Ergebnis kann somit auch keine Aufrechnung erfolgen.
Prüfer:  Sehr ohrdentlich, Herr Wenneck. Das soll uns für die Zivilrechtsprüfung genügen. Wenn Sie mehr zu diesem Ohrbiter Dictum des XIII. Senats lesen möchten, sollten Sie die Entscheidung unbedingt bei Gelegenheit nachlesen.

01.04.2019/8 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-04-01 09:30:252019-04-01 09:30:25Simulation mündliche Prüfung: Privatier P hält die Ohren steif – Zur analogen Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Dr. Sebastian Rombey

BGH zur Abgrenzung von Miet- und Werkvertrag: Anbringen von Werbung auf Kraftfahrzeugen

Für die ersten Semester, Lerntipps, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Die Abgrenzung zwischen verschiedenen Vertragstypen ist eine nicht immer leicht zu bewältigende Aufgabe, wird aber typischerweise erst auf Sekundärebene relevant, insbesondere wenn es um Mängelgewährleistungsrechte geht; auf Primärebene dagegen kann eine endgültige Einordnung regelmäßig offengelassen werden. In dem nachfolgend kurz geschilderten Sachverhalt hat sich der BGH nun aber doch zu einer Einordnung hinreißen lassen, wohl auch, um in der Rechtspraxis Klarheit zu schaffen, vor allem aber, da es um Bestimmtheitsprobleme ging, die bei Annahme eines Werk- anstelle eines Mietvertrages zur Unwirksamkeit geführt hätten, sodass die Abgrenzung ausnahmsweise doch auf Primärebene von Relevanz war. Doch der Reihe nach:
I. Sachverhalt (BGH, Urt. v. 07.11.2018 – XII ZR 109/17, juris, Rn. 1 f.):
„Die Klägerin vertreibt Werbeflächen auf Kraftfahrzeugen und anderen Gegenständen. Die Gegenstände erwirbt sie, um sie an soziale und andere Institutionen zu verleihen. Der Beklagte unterzeichnete am 27. Februar 2014 einen Vertrag über eine Werbefläche auf einem Fahrzeug, das einer Bildungseinrichtung zur Nutzung überlassen wurde. Vereinbart war ein Nettopreis von 1.760 € für eine Vertragslaufzeit von fünf Jahren. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Bruttovergütung von 2.094,21 € […]. […].“
II. Die wesentlichen Erwägungen des BGH
Die Klägerin K könnte einen Anspruch auf Zahlung der Bruttovergütung in Höhe von 2.094,21 € gegen den Beklagten aus § 535 Abs. 2 BGB haben. Dazu müsste zwischen den Parteien ein wirksamer Mietvertrag zustande gekommen sein. Wesensbestimmend für einen Mietvertag ist die Gewährung des Gebrauchs einer Mietsache für eine bestimmte Mietzeit gegen Entrichtung eines bestimmten Mietzinses. Insoweit ist eine Auslegung der Parteivereinbarung anhand der §§ 133, 157 BGB notwendig.
Für einen Mietvertrag kann vorliegend angeführt werden, dass es den Parteien um die alleinige Bereitstellung der Werbefläche auf einem Fahrzeug und damit um eine Gebrauchsüberlassung gegangen sein könnte. Zwar ist es einer solchen grds. immanent, dass dem Mieter auch der Besitz an der Sache verschafft wird; darauf kann aber dann verzichtet werden, wenn der Mieter bei mobilen Werbeflächen nach dem Vertragsinhalt gerade die fehlende Besitzverschaffung anstrebt – vor allem, wenn gerade gewollt ist, dass der Vermieter die Werbung verbreitet (wie hier durch das Fahren und Abstellen des Kfz).
Andererseits deutet der Umstand, dass die Parteien eine vergleichsweise hohe Vergütung vereinbart haben, darauf hin, dass es ihnen um die Wirksamkeit der Werbung im Sinne eines geschuldeten Erfolgs gegangen sein könnte, was für einen Werkvertrag streitet, § 631 BGB – so hatte es die Vorinstanz (LG Bad Kreuznach, Urt. v. 02.11.2017 – 1 S 49/17) gesehen. Da eben dieser Erfolg und damit die Werkleistung an sich danach nicht hinreichend genug bestimmt war, hatte das LG Bad Kreuznach den Vertrag für unwirksam erklärt. Träfe diese Sichtweise zu, lägen hier bereits die essentialia negotii nicht vor. Dem hat der BGH nun indes eine klare Absage erteilt und stellt dabei auf die konkret geschuldete Leistung ab:
Diese „bestehen nach dem Vertragsinhalt darin, die auf einem näher festgelegten Werbefeld anzubringende Beschriftung über die gesamte Vertragsdauer dort angebracht zu halten, um im laufenden Geschäftsbetrieb der sozialen Institution einen Werbeeffekt zu ermöglichen. Während die Klägerin sich verpflichtete, eine bestimmte Fläche auf dem ihr gehörenden Fahrzeug für eine bestimmte Dauer zur werbemäßigen Nutzung zur Verfügung zu stellen, war gleichzeitig offenkundig, dass sie auf den konkreten Einsatz des Fahrzeugs nach Ort und Zeit keinen Einfluss hatte. Wie das Landgericht selbst hervorhebt, konnte die Klägerin aus der Natur der Sache heraus keine Vorfestlegung des zeitlichen und räumlichen Einsatzes des Fahrzeugs treffen, sondern lediglich die Zurverfügungstellung der Werbefläche als solche versprechen. Insoweit sprechen gerade die vom Landgericht hervorgehobenen Umstände gegen einen bestimmten, werkvertragsmäßig versprochenen Erfolg, sondern vielmehr dafür, dass sich die Vertragspflicht auf dasjenige beschränkte, was in der Hand der Klägerin lag, nämlich die Zurverfügungstellung der Werbefläche als solche.“
Mithin findet vorliegend Mietrecht Anwendung –  auf eine etwaige Unbestimmtheit des Erfolgs kommt es deshalb nicht an, da die Werbefläche als Mietobjekt jedenfalls hinreichend genug bestimmt war.
III. Summa
Ein Vertrag über Werbeflächen ist als Mietvertrag zu qualifizieren. Die Tatsache, dass sich die Werbefläche nicht an einem festen Standort befindet (wie es etwa bei einer Litfaßsäule der Fall ist), sondern vielmehr mobil bewegt wird (wie etwa bei einem Kfz), begründet keinen rechtlichen Unterschied, da es in beiden Fällen um die Überlassung des Gebrauchs an einer bestimmten Fläche zu Werbezwecken geht, nicht aber um die vom Vermieter regelmäßig auch gar nicht zu garantierende und nur schwer messbare Wirksamkeit der Werbung als unbestimmtem Erfolg.

20.02.2019/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-02-20 09:13:212019-02-20 09:13:21BGH zur Abgrenzung von Miet- und Werkvertrag: Anbringen von Werbung auf Kraftfahrzeugen
Gastautor

Die befreiende Schuldübernahme – Abgrenzungen, Teil 2

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Der Autor Roy Dörnhofer war als Richter und Staatsanwalt tätig, unter anderem im Rahmen einer Abordnung am Oberlandesgericht Dresden in einem Zivilsenat für Handels-, Gesellschafts-, Baurecht und Notarhaftung. Er verfasst nun Fallsammlungen zum BGB, Handels- und Gesellschaftsrecht in der Form von ebooks, die auf Amazon.de erhältlich sind. Vorliegend veröffentlichen wir den zweiten Teil seines Artikels „Die befreiende Schuldübernahme und ihre Abgrenzung zu verwandten Konstellationen“.
Die befreiende Schuldübernahme und ihre Abgrenzung von verwandten Konstellationen, Teil 2
II. Abgrenzung von anderen Beteiligungen Dritter
Neben der befreienden Schuldübernahme finden sich einige andere Möglichkeiten der Beteiligung Dritter an einem Schuldverhältnis, bei der die ursprüngliche Schuld übernommen, abgesichert oder eine eigene Schuld zur Absicherung begründet werden soll.
Im Rahmen der Abgrenzung der verschiedenen Schuldsicherungen ist zunächst festzuhalten, dass eine Auslegung der Parteierklärungen nur dann erfolgen kann, wenn unklar ist, was gewollt war.  Primär ist somit vom Wortlaut der Erklärungen auszugehen. In der Praxis sind sich die Vertragschließenden allerdings oft nicht im Klaren, worin die teilweise sehr feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Sicherungsmitteln liegen. Wenn also Zweifel bestehen und kein eindeutiger Wille erkennbar ist, kann eine Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont nach §§ 133, 157 BGB durchgeführt werden.
1. Erfüllungsübernahme, § 329 BGB
Bei der grundsätzlich formfreien Erfüllungsübernahme verpflichtet sich der Übernehmende dem Schuldner gegenüber im Innenverhältnis, dessen Schuld beim Gläubiger zu befriedigen. Letzterer hat damit keinen Anspruch gegen den Übernehmenden.  Nach der Auslegungsregel des § 329 BGB ist im Zweifel das Versprechen, die Verbindlichkeit des Vertragspartners zu erfüllen, als Erfüllungsübernahme und nicht als befreiende Schuldübernahme oder als Schuldbeitritt aufzufassen.
2. Schuldbeitritt
Der Schuldbeitritt kann auf Gesetz oder auf rechtsgeschäftlicher Vereinbarung beruhen.
a) Gesetzlich geregelte Fälle
Vom Gesetz angeordnete Fälle des Schuldbeitritts finden sich insbesondere im Handelsrecht bei der Firmenfortführung nach § 25 HGB und dem Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns gem. § 28 HGB.
b) Rechtsgeschäftliche Fälle
Der rechtsgeschäftliche Schuldbeitritt ist zwar nicht besonders im BGB geregelt, wird aber wegen der Privatautonomie nach allgemeiner Auffassung für zulässig gehalten, § 311 I BGB. Dabei handelt es sich um eine rechtsgeschäftlich vereinbarte Gesamtschuld nach §§ 421 ff. BGB.  Die Begründung erfolgt wie bei der Schuldübernahme nach den Vorschriften der §§ 414, 415 BGB analog, also durch Vertrag zwischen altem und beitretendem Schuldner, wobei dann ein Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB vorliegt, bei dem die Zustimmung des Gläubigers nicht nötig ist, denn er erleidet durch den zusätzlichen Schuldner keinen Nachteil. Allerdings kann der Gläubiger das Aufdrängen eines solchen Rechtserwerbs nach § 333 BGB analog zurückweisen. Des Weiteren kann der Beitritt durch einen Vertrag zwischen dem beitretenden Schuldner und dem Gläubiger vereinbart werden.
Eine besondere Form für den Vertragsschluss ist vom Grundsatz her nicht vorgeschrieben.  Nach herrschender Meinung ist die Vorschrift über die Schriftform bei der Bürgschaft gem. § 766 S. 1 BGB auch nicht analog anzuwenden. Allerdings gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Formvorschrift des § 492 BGB analog, falls ein Beitritt zu einem Verbraucherdarlehensvertrag erfolgt.
Als Rechtsfolge haftet der beitretende Schuldner für eine eigene Schuld neben dem bisherigen Schuldner.  Somit steht es dem Gläubiger frei, von wem er Befriedigung verlangt.  Die besondere Gefährlichkeit für den Beitretenden zeigt sich darin, dass der Gläubiger unmittelbar gegen ihn vorgehen kann, ohne erst die Erlangung der Leistung vom bisherigen Schuldner zu versuchen, § 421 S. 1 BGB.
Nachdem es sich also beim Schuldbeitritt um ein (gerade wegen der Formfreiheit) äußerst gefährliches Mittel zur Absicherung eines Gläubigers handelt, müssen eindeutige Anhaltspunkte für einen Haftungswillen des Beitretenden gegeben sein, sodass bei der Auslegung der Erklärungen keine Zweifel an einer eigenen und unabhängigen Schuld bestehen dürfen.
Als Indiz ist ein eigenes unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Erfüllung der Verpflichtung zu sehen. Wenn etwa der Geschäftsführer einer GmbH für die Verpflichtung der andernfalls insolventen Gesellschaft einstehen will, hat er ein wirtschaftliches Interesse am Erhalt der Zahlungsfähigkeit, sodass ein Schuldbeitritt anzunehmen ist. Anders liegt der Fall, wenn sich eine Person aus familiärer Zuneigung bereit erklärt, für die Schuld eines anderen einzuspringen; dann liegt kein Schuldbeitritt, sondern lediglich eine bei Nichtbeachtung der Form des § 766 S. 1 BGB unwirksame Bürgschaft vor, da zwar ein unmittelbares eigenes Interesse besteht, das aber nicht wirtschaftlicher Art ist.
3. Bürgschaft, §§ 765 ff. BGB
Falls der Dritte und der Gläubiger eine Bürgschaft vereinbaren, haftet der Dritte als Bürge nur subsidiär und akzessorisch für eine fremde Schuld.  Deshalb ist er grundsätzlich (außer etwa bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft nach § 773 I Nr. 1 BGB) nur dann zur Zahlung verpflichtet, wenn der Hauptschuldner nicht leistet, § 771 S. 1 BGB.  Dem Gläubiger steht damit lediglich ein Hauptschuldner zur Verfügung, und er kann sich erst bei Nichtleistung an den Bürgen halten, dem aber auch Einreden aus der Hauptforderung zustehen.
Von großer Bedeutung ist die in § 766 S. 1 BGB vorgeschriebene Schriftform für die Erklärung des Bürgen.  Abgesehen von Ausnahmefällen (bei der Bürgschaft eines Vollkaufmanns im Rahmen seines Handelsgeschäfts nach § 350 HGB) muss diese Form beachtet werden, da die Bürgschaft ansonsten nichtig ist, § 125 S. 1 BGB.  Eine Umdeutung gem. § 140 BGB in einen formfreien Schuldbeitritt soll wegen des Schutzzwecks des § 766 S. 1 BGB nicht zulässig sein.
Die Frage, ob eine selbstständige oder nur akzessorische Schuld gewollt ist, muss im Zweifel dahin beantwortet werden, dass von einer Bürgschaft als gesetzlich normiertem Institut auszugehen ist (BGH DB 1987, 1139).  Ein Schuldbeitritt mit der Folge der Begründung einer eigenen unabhängigen Schuld ist somit nur bei eindeutigen Anhaltspunkten für einen solchen Rechtsbindungswillen anzunehmen.
4. Garantievertrag, § 311 I BGB
Ebenso wie der Schuldbeitritt ist der Garantievertrag nicht besonders im Gesetz geregelt und wird allgemein als zulässig anerkannt, wobei nach herrschender Meinung keine besondere Form für den Vertragsschluss erforderlich ist. In Abgrenzung zur Schuldübernahme und anderen Personalsicherheiten ist ein Garantievertrag dann gegeben, wenn der Dritte erklärt, unabhängig vom Bestehen und Umfang der Verbindlichkeit des Schuldners für einen bestimmten Erfolg einstehen zu wollen. Somit soll also eine eigene Verbindlichkeit des Dritten entstehen und nicht bloß die Haftung für die Schuld eines anderen begründet werden, wobei dem Dritten gegen den Gläubiger keine Einwendungen oder Einreden aus der ursprünglichen Forderung zustehen.
Damit stellt sich der Garantievertrag als die gefährlichste Form der Haftung dar.  Aufgrund dieser Tatsache müssen eindeutige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Sicherungsgeber selbstständig zur Leistung verpflichten wollte. Auch hier kann ein eigenes wirtschaftliches oder rechtliches Interesse an der ursprünglichen Schuld einen Garantiewillen indizieren. Die Annahme einer Garantie stellt allerdings regelmäßig die Ausnahme dar.  Deshalb soll nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Zweifeln kein Garantievertrag, sondern lediglich eine Bürgschaft vorliegen.
5. Vertragsübernahme
Bei der Vertragsübernahme scheidet eine Vertragspartei aus dem Schuldverhältnis insgesamt aus, während eine andere in dieses mit allen Rechten und Pflichten eintritt. Eine solche Übernahme kann auf zwei Arten erfolgen.
a) Gesetzlich geregelte Fälle
Ausdrücklich im Gesetz genannt sind die Fälle des Eintritts des Vermieter in einen Mietvertrag bei Veräußerung der Mietsache nach § 566 I BGB sowie der Eintritt von Familienangehörigen beim Tod des Mieters gem. §§ 563 I, 563 II BGB.  Ebenso tritt der Erwerber eines Betriebs nach § 613a I BGB in die beim Betriebsübergang bestehenden Arbeitsverhältnisse ein.
b) Rechtsgeschäftliche Fälle
Die rechtsgeschäftlich begründete Vertragsübernahme ist gesetzlich nicht speziell geregelt, aber aufgrund der Privatautonomie zulässig, § 311 I BGB.  Es handelt sich insoweit um ein schuldrechtliches Verfügungsgeschäft.  Dabei wird die ganze Stellung als Vertragspartei übertragen.  An dieser Vereinbarung müssen notwendigerweise alle drei Parteien mitwirken. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine Forderungsabtretung und eine Schuldübernahme, da das Schuldverhältnis mehr als die Summe der einzelnen Berechtigungen und Verpflichtungen enthält (Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl., 2006, Rn. 759).
Die Begründung erfolgt durch dreiseitigen Vertrag, oder es gilt § 415 BGB analog bei einem zweiseitigem Vertrag zwischen der alten Vertragspartei mit dem neuen Vertragspartner und einer Genehmigung der im Vertrag verbleibenden Partei. Des Weiteren kann der Vertrag auch durch eine Einigung der ursprünglichen Vertragspartner erfolgen, wobei der Eintretende einwilligt. Grundsätzlich ist die Vertragsübernahme formfrei möglich. Allerdings müssen die Formvorschriften beachtet werden, wenn die übernommene Schuld schon einer besonderen Form bedurfte, wie etwa nach § 492 BGB analog bei einem Verbraucherdarlehen oder einem Grundstückskaufvertrag nach § 311b I BGB.
Sofern die Vertragsübernahme an der Zustimmung des Vertragspartners der ausscheidungswilligen Partei scheitert, ist der Übernehmer nach § 415 III 2 BGB analog im Zweifel verpflichtet, den ausscheidungswilligen Vertragspartner von Verbindlichkeiten aus dem mit ihm fortbestehenden Vertragsverhältnis im Wege der Erfüllungsübernahme nach § 329 BGB freizustellen.
Dazu das Gericht unter Rn. 32:
“Mit § 415 Abs. 3 Satz 2 BGB hat der Gesetzgeber eine Regelung für die Fälle des Scheiterns einer zwischen dem Altschuldner und dem Neuschuldner einer Verbindlichkeit vereinbarten Schuldübernahme wegen Verweigerung der Zustimmung durch den Gläubiger getroffen. Die genannte Vorschrift sieht vor, dass bei einer verweigerten Genehmigung der Schuldübernahme durch den Gläubiger der Übernehmer der Schuld im Zweifel gegenüber dem Schuldner verpflichtet ist, den Gläubiger rechtzeitig zu befriedigen. Damit hat der Gesetzgeber die gescheiterte Schuldübernahme als Erfüllungsübernahme (§ 329 BGB) ausgestaltet. Diese Grundsätze finden auch hier Anwendung.”
6. Patronatserklärung
Letztlich ist auch eine Abgrenzung zur Patronatserklärung (vor allem im Konzernrecht) erforderlich, deren Bedeutung jedenfalls im Pflichtfachbereich der universitären Ausbildung weniger von Bedeutung sein dürfte.  Es gibt auch hier wieder zwei Arten dieser Erklärung.  Beiden ist gemeinsam, dass ein Patron (etwa ein Mutterunternehmen) dem Gläubiger des Unterstützten (Tochterunternehmen) gegenüber versucht, die Aussicht auf Vertragserfüllung durch den Unterstützten zu verbessern.
a) Weiche Patronatserklärung
Bei dieser Erklärung will der Patronat keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger übernehmen, sondern gibt nur eine rechtlich unverbindliche good-will-Erklärung ab, dass er etwa auf den Unterstützten einwirken werde.
b) Harte Patronatserklärung
Hier geht der Patronat gegenüber dem Gläubiger eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zur Ausstattung des Tochterunternehmens mit den Mitteln ein, die zur Erfüllung der Schuld nötig sind.  Allerdings kann auch in diesem Fall der Gläubiger nicht vom Patronat die Leistung an sich verlangen, sondern nur die Ausstattung des Tochterunternehmens.  Sofern diese nicht erfolgt, kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung (heute: statt der Leistung) von der Muttergesellschaft verlangen.
III. Fazit
Falls bei einem bestehenden Schuldverhältnis ein Dritter an die Stelle des ursprünglichen Schuldners tritt, muss zuerst geprüft werden, ob er auch sämtliche Rechte übernehmen wollte, sodass an eine Vertragsübernahme zu denken ist, bei der eine Partei komplett ausgewechselt wird.
Sofern der Dritte nur die Schuld des ursprünglichen Schuldners übernehmen wollte, ist zu fragen, ob es sich um eine bloße Erfüllungsübernahme im Innenverhältnis handelt.  Sollte eine Haftung im Außenverhältnis gegenüber dem Gläubiger gewollt sein, kann eine befreiende Schuldübernahme vorliegen.  Bei dieser müssen eindeutige Anhaltspunkte für den Willen des Gläubigers zur Entlassung des Altschuldners vorliegen.
Bei einer Haftung im Außenverhältnis ist des Weiteren zu prüfen, ob eine eigene Verbindlichkeit (Schuldbeitritt, Garantievertrag) begründet oder nur eine fremde Schuld (Bürgschaft) abgesichert werden sollte.  Dabei ist das eigene wirtschaftliche Interesse an der Erfüllung der Schuld als wichtiges Indiz für eine eigene Verbindlichkeit anzusehen.
Da der Garantievertrag und der Schuldbeitritt sehr riskant sind und weitreichende Folgen haben, die im Grundsatz ohne Beachtung einer besonderen Form begründet werden können, empfiehlt es sich, mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs größte Zurückhaltung bei der Auslegung der Vertragserklärungen anzuwenden und im Zweifel vom Vorliegen einer gesetzlich geregelten und durch die Akzessorietät sowie die Formvorschrift milderen Bürgschaft auszugehen.

23.05.2013/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-05-23 16:00:002013-05-23 16:00:00Die befreiende Schuldübernahme – Abgrenzungen, Teil 2
Christian Muders

Reicht das für Mittäterschaft? Die Tatbeiträge Beate Zschäpes nach der Anklageschrift

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In den letzten Tagen war ja viel zum NSU-Prozess zu lesen, insbesondere wurde auch die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe näher bekannt, welche ihr – mutmaßliches – Tatverhalten beschreibt (dazu etwa hier). Danach soll Frau Zschäpe als Mittäterin der NSU-Morde anzusehen sein, obwohl sie selbst nie direkt an den Tatorten beteiligt war. Die Bundesanwaltschaft stellt vielmehr darauf ab, dass sie die eigentlich ausführenden Mitglieder der NSU, also Mundlos und Böhnhard, in vielfältiger Weise unterstützt habe. Dazu gehörten zum Beispiel Informationen zu den „Tarnpersonalien“ der beiden, also Angaben zum Lebenslauf der eigentlichen Passinhaber, Namen und Wohnort von Eltern, Arbeitgebern sowie Angaben zu Bekannten. Sie habe auch Wohnmobile angemietet, mit denen die Männer zu Tatorten gefahren seien. Sie habe Zeitungsartikel über die Mordtaten gesammelt und archiviert und so dabei geholfen, aus diesen Artikeln sowie aus Videoaufnahmen einen Bekennerfilm des NSU zu erstellen, außerdem das Geld aus den Raubüberfällen verwaltet und ausgeteilt. Fraglich erscheint, ob die genannten Handlungen, die mit dem Obergriff der „unterstützenden Tätigkeit“ umschrieben werden können, ausreichend sind, um eine Täterschaft von Frau Zschäpe an den angeklagten Taten zu begründen, oder vielmehr eine bloße Teilnahmehandlung, namentlich in Form einer Beihilfe, vorliegt. Die Frage ist nicht rein theoretischer Natur: So würde Frau Zschäpe bei der Annahme einer bloßen Beihilfe die obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB zugute kommen, während ihr dies bei der Einordnung ihres Verhaltens als Täterschaft verwehrt wäre.
1. Täterbegriffe im Strafrecht
Zur Wiederholung zunächst die einzelnen Täterbegriffe, wie sie sich im vorigen Jahrhundert in Rechtsprechung und Schrifttum herausgebildet haben:
a) Nach dem älteren, sog. subjektiven Täterbegriff ist derjenige Täter, der mit „animus auctoris“, also Täterwillen handelt, wohingegen bei solchen Personen, die die Tat nicht als eigene wollen („animus socii“), von einer bloßen Teilnahme auszugehen ist. Die subjektive Täterlehre ist dabei eine Konsequenz der conditio-sine-qua-non- oder Äquivalenz-Formel, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Lehre von der objektiven Zurechnung noch nicht etabliert war: Wenn es für die zurechenbare Verursachung einer Tat nur darauf ankommt, dass ein bestimmtes Verhalten nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der zu vermeidende Erfolg entfiele, also alle Beiträge objektiv gleichwertig (eben äquivalent) sind, kann die Entscheidung über die Zuordnung eines Tatbeitrags zu einer der Beteiligungsfiguren nicht auf der objektiven Ebene getroffen werden, sondern ist in den subjektiven Bereich hinein zu verlagern. Die Konsequenz ist, dass auch objektiv randständige Tathandlungen, etwa die Beschaffung eines Tatwerkzeugs oder der Hinweis, wo ein besonders lohnenswerter Raubzug zu machen ist, zur Täterschaft führen können, wenn der Helfende die Tat nur „als eigene will“, z.B. weil er direkt an der Tatbeute beteiligt wird. Der subjektive Täterbegriff ist freilich dann überholt, wenn man mit der neueren Lehre der objektiven Zurechnung annimmt, dass eben nicht jedes objektiv ursächliche Verhalten gleichzeitig auch den objektiven Unwert eines Delikts ausfüllt, sondern hierzu das Vorliegen weiterer, objektiv verstandener Voraussetzungen einfordert. Zudem steht diese Lehre vor dem Problem, dass der Gesetzgeber in neuerer Zeit auch fremdnützige Delikte (etwa Diebstähle in Drittzueignungsabsicht, Erpressungen mit Drittbereicherungsintention) normiert hat, bei denen es an einem Handeln um des eigenen Vorteils willen gerade fehlt.
b) Nach der sog. objektiv-formellen Täterlehre ist Täter derjenige, der die eigentlichen Tatmerkmale unmittelbar ausfüllt, also etwa den konkreten Tötungsakt begeht, das zu stehlende Objekt ergreift etc.; andere Personen können demgegenüber, auch wenn sie an der Tat ein eigenes Interesse haben, keine entsprechende Rolle beanspruchen. Diese Figur ist indes insoweit überholt, als durch die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB sowie § 25 Abs. 2 StGB klargestellt wird, dass auch derjenige, welcher ein Delikt mittelbar (mittelbarer Täter) oder arbeitsteilig mit anderen (Mittäter) verwirklicht, als Täter haftet, ohne dass er zwingend alle Merkmale des Tatbestandes in eigener Person verwirklicht haben muss. Demgemäß ist die objektiv-formelle Täterlehre jedenfalls keine Figur, die diese Beteiligungsform nach der derzeitigen Gesetzesfassung restlos erklären könnte.
c) Nach der sog. objektiv-materiellen Täterlehre kommt es nicht auf die unmittelbare Verwirklichung der konkreten Tatmerkmale an, sondern darauf, dass jemand als „Kernfigur“ das Geschehen beherrscht, also „Tatherrschaft“ innehat; Täter ist danach derjenige, der den Abzug des Revolvers drückt, aber auch derjenige, welcher beim Einstieg in eine fremde Wohnung eine Räuberleiter macht, ohne welche der geplante Einbruchsdiebstahl des Kumpanen nicht vonstatten gehen könnte. Man spricht insofern auch von „funktionaler“, da nicht in bestimmte gesetzliche Merkmale gepresster, Tatherrschaft. Dieser Ansatz führt freilich zu mannigfaltigen Abgrenzungsproblemen und Zweifelsfragen, da z.B. im Detail umstritten ist, ob auch der Bandenchef, der sich nicht am Tatort aufhält, sondern etwa zur Verdeckung seiner Beteiligung am Tatabend die Oper besucht, als Mittäter einzuordnen ist. Während teilweise gefordert wird, dass insofern wenigstens ein fernmündlicher Kontakt zu der die eigentliche Tatausführung in Angriff nehmenden Crew besteht, damit eine Tatherrschaft im Hinblick auf das konkret strafwürdige Geschehen bejaht werden könne, lassen es andere Stimmen ausreichen, dass der Bandenchef als Hintermann die Deliktsausführung geplant hat: Ein Mehr an Gestaltungsherrschaft kompensiert danach ein Weniger an Ausführungsherrschaft.
d) Schlussendlich zu erwähnen ist noch der Ansatz der neueren Rechtsprechung, die sich nicht festlegen lässt, sondern mit einem gemischt objektiv-subjektiven Täterbegriff operiert. Dieser wird auf die folgende, stets wiederkehrende Formel gebracht: „Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen“ (so etwa BGHSt 37, 289, 291; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13, 14 und 18). Die Rechtsprechung verwendet also ein Gemisch aus objektiven und subjektiven Kriterien, die dann auch noch mit dem Kunstgriff der „wertenden Gesamtbetrachtung“ bearbeitet werden können. Vorteil dieser Formel ist, dass die Gerichte hiermit so ziemlich jedes Ergebnis, was sie begründen wollen, auch begründen können, indem sie einmal diesen, einmal jenen Aspekt verstärkt in den Vordergrund rücken; die Methode sichert also eine gewisse Flexibilität bei der Rechtsanwendung. Die Kehrseite dieses Verfahrensweise ist freilich, dass keine Rechtssicherheit besteht, da es an verbindlichen Vorgaben, die der Betroffene in jedem Fall erfüllen muss, damit er als Täter einzustufen ist, gerade fehlt. Der Täterbegriff der Rechtsprechung ist also kein trennscharfer, sondern vielmehr ein Typus-Begriff.
2. Anwendung auf den „Fall Zschäpe“
Wendet man die unterschiedlichen Täterbegriffe auf das Verhalten der Angeklagten Zschäpe an, so wie es sich nach der Beschreibung der Anklageschrift darstellt, kann man zu folgenden Ergebnissen gelangen:
a) Der subjektive Täterbegriff der älteren Rechtsprechung würde eine Täterschaft von Frau Zschäpe wohl ohne Weiteres bejahen: Diese war zwar nie an den Tatorten beteiligt und hat nie die Waffe abgedrückt, allerdings hat sie durch ihre Vor- und Nachbereitung der Taten durchaus unterstützende und damit äquivalente Beiträge zu den Morden geleistet. Zudem dürfte sie auch den Willen, die Taten als eigene durchzuführen, gehabt haben, da sie sich, in den Worten der Bundesanwaltschaft, zusammen mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als einheitliches „Tötungskommando“ sah, so dass sie sich durchaus als wesentlicher Teil der durchgeführten Aktionen verstanden hat.
b) Geht man von dem formal-objektiven Täterbegriff aus, ist demgegenüber eine Einstufung der Angeklagten als Täter klar zu verneinen: Da Frau Zschäpe keines der Merkmale, die etwa der Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB näher umschreibt, in eigener Person erfüllt hat, wäre ihr nach dieser Lehre allein eine Position als Teilnehmer an den Taten der übrigen beiden NSU-Mitglieder zuzubilligen.
c) Die materiell-objektive Theorie kann die Frage nach der Täterschaft von Frau Zschäpe nicht direkt beantworten, da dies maßgeblich vom Vorverständnis des für diese Lehre so zentralen Begriffes der „Tatherrschaft“ abhängig ist: Geht man davon aus, dass sich dieser Begriff immer auf das konkrete, zeitlich-räumliche Geschehen beziehen muss, welches zur Deliktsverwirklichung führt, dürfte eine Tatherrschaft der Angeklagten selbst dann, wenn man hierfür auch nicht gesetzlich umschriebene Verhaltensweisen ausreichen lässt, ausscheiden. Da die Angeklagte weder am Tatort anwesend noch mittels telefonischen Kontakts unmittelbar, etwa durch Ratschläge, auf das konkrete Geschehen einwirken konnte, wäre sie in diesem Fall lediglich als Teilnehmer einzuordnen. Aber auch dann, wenn man den Begriff der Tatherrschaft weiter fasst und ebenfalls Vorbereitungshandlungen mit in die Beurteilung einer täterschaftlichen Deliktsverwirklichung einbezieht, dürfte eine diesbezügliche Erfassung des Verhaltens von Frau Zschäpe schwierig werden: Insofern ist zu berücksichtigen, dass der oben angesprochene „Bandenchef“, dem verschiedene Stimmen unabhängig von seiner Mitwirkung am Tatort die Stellung als Mittäter zubilligen, eine besondere Ausnahme darstellt, da dessen Mittäterschaft mit seiner größeren Gestaltungsherrschaft im Vorfeld begründet wird. Da er der „Boss“ ist, dirigiert er die einzelnen Mitglieder quasi bereits vorab und teilt ihnen mit, wie sie sich bei der Tatausführung im Einzelnen zu verhalten haben. Diese hierarchisch hervorgehobene Position ist bei Frau Zschäpe freilich nicht zu finden. Vielmehr betont die Staatsanwaltschaft, dass keiner der drei NSU-Mitglieder eine Anführerrolle innegehabt habe und alle Entscheidungen gemeinsam getroffen und vorbereitet worden seien. Geht man damit davon aus, dass die Angeklagte Zschäpe ein gleichberechtigtes Mitglied der NSU-Zelle gewesen ist, kann man ihr gegebenenfalls eine „Mittäterschaft“ im Hinblick auf die Gesamtorganisation der Terrorvereinigung zubilligen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass bezüglich der einzelnen Taten, die aus dieser Organisation heraus begangen wurden, die Zuschreibung einer solchen Rolle schwierig bleibt; schließlich wäre es auch schief, würde man behaupten, dass einer ihrer Spießgesellen die Wohnmobile, mit welchen sich das Trio durch Deutschland bewegte, aufgrund seiner Stellung in der Organisation mit angemietet habe, obwohl dies offenbar allein in den Verantwortungsbereich von Frau Zschäpe gefallen ist.
d) Geht man schließlich von der aktuellen Rechtsprechung und ihrem gemischt objektiv-subjektiven Täterbegriff aus, ist, wie bereits angedeutet, jedwede Lösung vertretbar, sofern man sie nur stringent begründet. Danach kann im Hinblick auf die wesentliche Beteiligung der Angeklagten an der Gesamtorganisation und ihrem Willen zur Tat durchaus eine Täterschaft ins Auge gefasst werden.

17.05.2013/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-05-17 09:00:392013-05-17 09:00:39Reicht das für Mittäterschaft? Die Tatbeiträge Beate Zschäpes nach der Anklageschrift
Tom Stiebert

VG Dresden: Gemeingebrauch vs. Sondernutzung: Zulässigkeit eines Staffellaufs auf Bundesstraße

Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Das Verwaltungsgericht Dresden hat in einem Beschluss vom 23.04.2013 (Az. 6 L 82/13) festgestellt, dass die Nutzung einer Bundesstraße durch einen Staffellauf unzulässig ist und demzufolge eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis nicht erteilt werden kann (der beck-Ticker berichtete).
Die Fallgestaltung eignet sich sehr gut, um die – auch im Studium und Examen wichtige – Materie des Straßen- und Wegerechts zu wiederholen. Vertieft werden kann in diesem Zusammenhang insbesondere die Differenzierung zwischen Sondernutzung und Gemeingebrauch.
I. Gesetzliche Grundlagen
Die gesetzlichen Regelungen hierzu sind dem Landesrecht zuzuordnen. In NRW und Bayern bspw. entstammen sie dem Straßen- und Wegegesetz; andere Länder bezeichnen das Gesetz lediglich als Wegegesetz (Hamburg) oder Straßengesetz (bspw. Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Thüringen). Eine Übersicht über die Gesetze findet sich hier.
Für den Gemeingebrauch findet sich stets folgende bzw. eine ähnliche Regelung:

Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet (Gemeingebrauch).

Wichtig ist dabei zu wissen, dass der Gemeingebrauch stets erlaubnisfrei zulässig ist.
Im Gegensatz dazu lautet für die Sondernutzung die Regelung:

Die Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus ist Sondernutzung. Die Sondernutzung bedarf der Erlaubnis der Straßenbaubehörde.

II. Gemeingebrauch/ Sondernutzung im Einzelfall
1. Allgemeine Begriffsbestimmung
Die Schwierigkeit ist damit im konkreten Fall zu bestimmen, ob in einer bezweckten Nutzung Gemeingebrauch oder Sondernutzung zu erkennen ist.
Entscheidend zur Definition ist damit der Zweck der Straße. Grundsätzlich ist ihr Hauptzweck die Benutzung zur Ortsveränderung. Damit ist jeder straßenrechtlich zugelassene ruhende und fließende Verkehr als Gemeingebrauch anzusehen. Dies zeigt sich auch in der Widmung der Straße als Bundesstraße o.ä. Wenn es sich hingegen um eine Fußgängerzone handelt, so ist auch die Benutzung durch Fußgänger zur Fortbewegung als Gemeingebrauch anzusehen. Auch solche Straßen sind ebenso wie bspw. Fuß- und Radwege unter den Anwendungsbereich des Straßen- und Wegegesetzes zu subsumieren (vgl. für NRW § 2 StrWG).
Dessen ungeachtet tritt aber nach der Rechtsprechung zumindest in besonderen Bereichen auch der kommunikative Aspekt zusätzlich zum eigentlichen Fortbewegungszweck hinzu. Die Straße/ der Weg dient nicht allein dem ungehinderten (Fußgänger)Verkehr, sondern auch der Kommunikation der Fußgänger untereinander. Damit sind bspw. auch das Betrachten von Schaufenstern sowie im Grundsatz auch kommunikative Aspekte als Gemeingebrauch anzusehen, wenn sie zumindest noch einen Bezug zur Fortbewegung haben.
Hierzu hat bspw. der VGH Mannheim (Urteil v. 31.01.2002 – 5 S 3057/99) dargelegt:

Unter „Verkehr“ im klassischen Sinn ist die Benutzung der Straße zum Zwecke der Ortsveränderung bzw. der Fortbewegung von Menschen und Sachen – unter Einschluss des „ruhenden Verkehrs“ – zu verstehen. In Fußgängerbereichen, ebenso in verkehrsberuhigten Bereichen zählen hierzu auch sonstige verkehrsbezogene Nutzungen wie etwa das Herumstehen oder das Sitzen/Ausruhen auf einer Bank. Darüber hinaus entspricht es dem modernen Funktionsbild vor allem von Fußgängerbereichen, aber auch verkehrsberuhigten Bereichen, dass hier auch andere Verhaltensweisen üblich sind, wie etwa das Betrachten von Schaufenstern oder sehenswerten Gebäuden sowie die Begegnung und Kommunikation mit anderen Passanten. Ein solch „kommunikativer Verkehr“ ist in der Aufenthaltsfunktion eines Fußgängerbereichs wie auch eines verkehrsberuhigten Bereichs angelegt und wird vom Widmungszweck dieser Verkehrsflächen gefördert.

2. Abgrenzung im Einzelfall
Gemeingebrauch scheidet freilich dann aus, wenn der kommunikative oder werbende Aspekt in den Vordergrund rückt und die Fortbewegung lediglich von untergeordneter Bedeutung ist. Hierfür finden sich in der Rechtsprechung zahlreiche Beispiele:

  • So ist beispielsweise das Musizieren oder auch Malen in Fußgängerzonen stets als Sondernutzung anzusehen (BVerwG v. 19.12.1986 – 7 B 144/86); BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 20.05.1987 – 1 BvR 386/87).
  • Auch das Aufstellen von Werbeständen ist als Sondernutzung anzusehen.

Umstritten ist, ob die das bloße (gezielte) Ansprechen von Passanten als Sondernutzung anzusehen ist, wenn keine weiteren Hilfsmittel verwendet werden (sog. Gehsteigberatung). Starke Tendenzen in der Rechtsprechung gehen dahin, dies zu verneinen (BVerfG , Beschl. v. 18.10.1991 – 1 BvR 1377/91; BVerwG, Urt. v. 07.06.1978 – 7 C 5.78; zuletzt VGH Bad.-Württemberg v. 11.10.2012 – 1 S 36/12). Siehe zu dieser sehr examensrelevanten Materie auch unseren Beitrag.
Ebenso zählt auch das Parken am Fahrbahnrand unstrittig zum Gemeingebrauch. Zwar dient dies nicht mehr unmittelbar der Fortbewegung, allerdings erfordert eine Fortbewegung im öffentlichen Verkehr bei objektiver Betrachtung eben auch das Parken. Die Grenze zur Sondernutzung ist aber dann überschritten, wenn das Parken lediglich oder überwiegend zu Werbezwecken erfolgt. Gleiches gilt auch, wenn Autofahrten lediglich werbende Zwecke haben. Hierzu legt bspw. das OVG NRW mit Urteil v. 12.07.2005 (Az. 11 A 4433/02) dar:

Das Abstellen eines zugelassenen und betriebsbereiten Kraftfahrzeuges auf einer zum Parken zugelassenen öffentlichen Straßenverkehrsfläche ist grundsätzlich ein straßenverkehrsrechtlich zulässiges Parken und damit eine Benutzung der Straße im Rahmen des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs. […]
Eine andere Sichtweise ist jedoch bei Fahrzeugen geboten, die allein oder überwiegend zu einem anderen Zweck als dem der späteren Wiederinbetriebnahme „geparkt“ werden mit der Folge, dass eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung der Straße vorliegt. Denn damit wird das Fahrzeug zu einer auf die Straße aufgebrachten verkehrsfremden „Sache“, nicht anders als jeder beliebige sonstige körperliche Gegenstand. Derartige Vorgänge fallen bereits aus der Widmung zum Verkehr und damit aus dem einschlägigen Gemeingebrauch heraus, da sie nicht „zum Verkehr“ geschehen. […]
Dies ist etwa der Fall, wenn die Straße trotz einer scheinbar äußerlichen Teilnahme am Straßenverkehr zum alleinigen oder überwiegenden Zweck der Werbung benutzt wird. Der Verkehrsraum wird dann zu verkehrsfremden Zwecken in Anspruch genommen, das Fahrzeug seiner Eigenschaft als Transportmittel entkleidet und als (motorisierte) Reklamefläche verwendet. Es ist daher in der Rechtsprechung im Grundsatz anerkannt, dass der Einsatz von Werbefahrzeugen den Gemeingebrauch überschreitet und eine straßenrechtliche Sondernutzung darstellen kann. Dies gilt sowohl für reine Werbefahrten mit Kraftfahrzeugen oder Anhängern […]
als auch für das Abstellen eines Kraftfahrzeuges zu Werbezwecken […] oder das Abstellen eines Reklameanhängers.

Abzugrenzen ist somit, ob die Teilnahme am Verkehr tatsächlich der Fortbewegung dienen soll oder andere Zwecke im Vordergrund stehen.
In diesem Kontext wird auch die Benutzung von Bierbikes behandelt. Auch hier steht nach Ansicht der Rechtsprechung die Fortbewegung nur im Hintergrund, sodass es sich um erlaubnispflichtige Sondernutzung handelt. (Siehe hierzu unsere Beiträge zum Urteil des BVerwG und OVG.)
3. Betrachtung im konkreten Fall
Bei der Entscheidung des VG Dresden ging es um die Zulässigkeit eines Staffellaufs. Zwar steht hier auf den ersten Blick die Fortbewegung im Vordergrund, allerdings erfolgt diese hier allein anlässlich eines sportlichen Wettkampfs. Zudem ist sie auch außerhalb der Widmung der Bundesstraße, darf diese gerade nicht von Fußgängern genutzt werden. (Schwieriger wäre die Frage damit zu beantworten, wenn der Lauf in einer Fußgängerzone stattfinden sollte).
III. Voraussetzung einer Erlaubnis zur Sondernutzung
Ob eine Sondernutzungserlaubnis erteilt wird, steht im Ermessen der jeweiligen Straßenbehörde. Zu berücksichtigen sind dabei bspw. Grundrechte (insbes. bei der Genehmigung von Versammlungen und bei künstlerischen oder wissenschaftlichen Darbietungen etc.). Letztlich ist in jedem Fall gesondert abzuwägen. Dabei ist insbesondere die Stärke der Einschränken des widmungsgemäßen Verkehrs zu berücksichtigen. Hinweis:  Ist Art. 8 GG betroffen, so kann offenbleiben, ob es sich bei einer Versammlung um Sondernutzung oder Gemeingebrauch handelt (für letzteres VGH Hessen v. 29.12.1987 – 3 TH 4068/87), da die Erlaubnisfreiheit aus Art. 8 GG bzw. aus dem VersG dann spezieller ist. Es bedarf damit lediglich der Anmeldung nach Art. 14 Abs. 1 VersG.
Ein solcher Fall lag hier aber nicht vor. Die Behörde hat die unterschiedlichen Interessen auch ausreichend berücksichtigt:

Die zuständigen Behörden führten aus, dass die Sperrung einer Bundesstraße nur in engen Ausnahmefällen in Betracht komme. Diese Straßen seien insbesondere zur Nutzung durch den überörtlichen Verkehr bestimmt. Eine Zustimmung zu ihrer Vollsperrung komme nur in Betracht, wenn dies aufgrund der Art der vorgesehenen Veranstaltung unumgänglich sei und andere Straßen nicht zur Verfügung stünden. Dies sei hier nicht der Fall, da die Stadt über einen großen Marktplatz und geeignete untergeordnete Straßen verfüge.

IV. Fazit/ Examensrelevanz

Die Lösung des VG Dresden überrascht nicht. Dennoch eignet sich der Fall sehr gut das Wissen zum Straßen- und Wegerecht aufzufrischen. Dies ist gerade deshalb notwendig, da in letzter Zeit, wie gezeigt, einige sehr examensrelevante Fälle in diesem Rechtsgebiet entschieden wurden, die allesamt allein eine Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung erforderten. Hier ist dann ein gutes Problembewusstsein wichtig, um auch neue unbekannte Konstellationen lösen zu können.

28.04.2013/2 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-04-28 14:00:592013-04-28 14:00:59VG Dresden: Gemeingebrauch vs. Sondernutzung: Zulässigkeit eines Staffellaufs auf Bundesstraße
Christian Muders

Fälle zur Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung

Fallbearbeitung und Methodik, Für die ersten Semester, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Verschiedenes

Der nachfolgende Beitrag befasst sich überblicksartig und anhand eines stetig abgewandelten Falles mit der strafrechtlichen Problematik der Abgrenzung von Fremd- zur Selbsttötung (Suizid). Ausgespart bleibt demgegenüber die Frage einer Strafbarkeit der Sterbehilfe (Euthanasie), die häufiger in diesem Problemkomplex mitbehandelt wird und durch die Entscheidung BGH 2 StR 454/09 neue Relevanz bekommen hat (s. dazu aber bereits unsere Artikel hier und hier). Für fortgeschrittene Semester bietet es sich an, insbesondere auch im Hinblick auf eine nahende mündliche Prüfung, nach Erfassung des jeweiligen Falles zunächst eine eigene Lösung zurechtzulegen, bevor der nachfolgende Erläuterungstext gelesen wird.
1. Fälle der unmittelbaren Fremdtötung

  • Fall 1: A tötet den B durch einen Schuss aus einer Pistole, nachdem dieser den A dazu aufgefordert hat.

Dieser Ausgangsfall ist einfach zu erfassen: Der A macht sich einer Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, schuldig. Die Einwilligung in die Einbuße des eigenen Rechtsguts, die regelmäßig zu einer Rechtfertigung (nach a.A. sogar zum Tatbestandsausschluss) führt, ist im Hinblick auf das Rechtsgut „Leben“ irrelevant, wie sich aus der vorgenannten Norm selbst ergibt: Danach wird gerade die Konstellation, dass jemand „durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden“ ist, explizit mit Strafe belegt. Die Einwilligung führt also nicht zu einem Ausschluss der Strafbarkeit, sondern berührt lediglich die Auswahl des einschlägigen Tötungstatbestandes und damit auch den in Betracht kommenden Strafrahmen. § 216 StGB stellt nämlich eine Privilegierung zum ebenfalls verwirklichten Delikt des Totschlags dar und sieht in der Rechtsfolge (lediglich) eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Der gleichzeitig vorliegende Totschlag, dessen Strafrahmen erst bei fünf Jahren beginnen würde, tritt demgegenüber als lex generalis zurück.

  • Fall 2: B tötet sich selbst mittels eines Schusses aus einer Pistole, nachdem ihn der A dazu aufgefordert hat.

In dieser Abwandlung ist eine Strafbarkeit des A schon schwieriger zu beurteilen: Eine Verwirklichung des § 216 Abs. 1 StGB scheidet deswegen aus, weil dem A keine Tatherrschaft über die Tötung zukommt, die allein von B vorgenommen wird. Da A den B aber zur Tötung aufgefordert hat, wäre an ein Bestimmen zur Tat i.S.d. § 26 StGB, also eine Anstiftung, zu denken. Indes scheidet eine solche Teilnehmerstrafbarkeit hier deswegen aus, da eine Tat, zu der der B als Haupttäter bestimmt worden wäre, nicht vorliegt. Der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB greift bereits seinem Wortlaut nach nicht ein, da dieser zwingend voraussetzt, dass die sterbewillige Person von einem Anderen zum Tode befördert wird. Aber auch § 212 StGB, der – neutraler – davon spricht, dass der Täter „einen Menschen tötet“, ist nicht einschlägig, da auch dieser Tatbestand nach ganz allgemeiner Meinung die Tötung eines Anderen erfordert, so dass der Suizid nicht hierunter subsumiert werden kann (vgl. MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, vor § 211 Rn. 30 m.w.N.). Demgemäß hat sich der A durch seine Aufforderung hier überhaupt nicht strafbar gemacht.

  • Fall 3: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat und zu dem dieser allein Zugang hatte.

Wiederum geht es um eine Strafbarkeit des A nach § 216 Abs. 1 StGB. Eine Tatherrschaft des A ist hier nicht ganz so einfach wie im letzten Fall zu verneinen, da der B sich zwar selbst mit dem Gift getötet hat, welches aber allein der A besorgen konnte. Geht man mit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass auch Mitwirkungen im Vorbereitungsstadium, jedenfalls bei einem erheblichen Gewicht des Beitrags, durchaus eine Tatherrschaft begründen können (man denke nur an den die Tat planenden „Bandenchef“, dazu etwa Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. 2010, vor § 25 Rn. 36 ff.) wäre eine Strafbarkeit des B nach § 216 Abs. 1 StGB im Hinblick auf seinen Mitwirkungsakt durchaus zu erwägen. Jedoch verengen Rechtsprechung und Schrifttum im Fall einer Beeinträchtigung eigener Güter den relevanten Zeitraum für die Tatherrschaft zu Recht auf den letzten todbringenden Akt. Danach ist allein entscheidend, wer die letzte Handlung, die dann ohne einen weiteren Zwischenschritt zum Tode führte, beherrscht hat. Diese Beschränkung der Tatherrschaft kann mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip begründet werden: Ein vorsätzliches, unmittelbar selbstschädigendes Verhalten sperrt danach die Zuständigkeit eines Anderen für den hieraus resultierenden Erfolg. Die Herrschaft über den letzten Akt, also die Einnahme des Giftes, hatte vorliegend aber (wiederum) allein der B, so dass eine diesbezügliche Tatherrschaft des A ausscheidet. Zu denken wäre allenfalls daran, die Tatherrschaft des B dem A zuzurechnen, und zwar über die Figur der Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – was hier nahe liegt – A und B von Anfang an im Hinblick auf einen gemeinsamen Tatplan zusammengewirkt haben. Indes stehen dieser Konstruktion zwei Einwände entgegen: Zum einen setzt auch die mittäterschaftliche Zurechnung voraus, dass der A einen täterschaftlichen, d.h. nach h.L. einen durch Tatherrschaft getragenen Tatbeitrag erbringt, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Zum anderen verwirklicht sein potentieller Mittäter B mit der Selbsttötung überhaupt keinen Tatbestand, so dass er kein Unrecht begründet, welches dem mitwirkenden B über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden könnte. Eine Beihilfe des A an der Selbsttötung (§ 27 Abs. 1 StGB) durch Verschaffen des Giftes schließlich scheidet in entsprechender Argumentation zu der bereits im letzten Fall verneinten Anstiftung aus.
2. Fälle der mittelbaren Fremdtötung

  • Fall 4: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat. Der A hat dem B zuvor vorgespiegelt, dass es sich um eine wohlschmeckende Limonade handelt.

In diesem Fall liegt die objektive Tatherrschaft wiederum bei B, der den letzten todbringenden Akt selbst ausführt. Allerdings kommt hier abweichend zum vorhergehenden Fall durchaus eine Zurechnung des Beitrags an A in Betracht, und zwar im Wege mittelbarer Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Im Gegensatz zur zuvor behandelten Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB verlangt diese Zurechnungsnorm gerade keine Unrechtsverwirklichung durch den Vordermann, sondern lässt auch einen tatbestandslosen Beitrag genügen. Nach welchen Kriterien allerdings in Fällen der Selbsttötung (die konsequenterweise auch auf sonstige Konstellationen der Selbstschädigung zu übertragen sind) nicht mehr von einer eigenverantwortlichen Schädigung des Opfers gesprochen werden kann, welche nach dem zuvor Ausgeführten die Zurechenbarkeit an einen mittelbaren Verursacher sperrt, ist umstritten:
a) Exkulpationstheorie
Nach der sog. Exkulpationslösung wird die Eigenverantwortlichkeit für eine Selbsttötung in Parallele zu der Verantwortlichkeit für eine Fremdtötung gesetzt. Es ist also der hypothetische Fall zu bilden, dass der B das Medikament nicht sich selbst, sondern einem Dritten zugeführt hätte. Sofern nach den vorliegenden Umständen eine Strafbarkeit für diesen hypothetischen Fall nicht gegeben wäre, namentlich weil der Suizident ohne Vorsatz oder Schuld gehandelt hätte, scheidet auch eine Verantwortlichkeit des Opfers für die tatsächlich vorgenommene Selbsttötung aus. Folge wäre, dass das hierauf bezogene Verhalten nicht als eigenverantwortlich eingestuft werden kann, so dass eine Zurechnung an den Hintermann offen stünde, sofern er selbiges veranlasst hat. Nach den vorgenannten Grundsätzen ist für den hier zu behandelnden Fall von einer fehlenden Eigenverantwortlichkeit des B auszugehen: Im Falle der Tötung eines Dritten hätte er nämlich, da er das Medikament für Limonade hielt, in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gehandelt, wäre also straflos geblieben. Da dieser Irrtum wiederum in die Zuständigkeit des A fällt, der ihn durch seine unzutreffenden Angaben ausgelöst hat, kann ihm das Verhalten des B über § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB wie ein eigenes Verhalten zugerechnet werden.
b) Einwilligungstheorie
Nach der sog. Einwilligungslösung wird die Eigenverantwortlichkeit für eine Selbsttötung zwar ebenso mit der Verantwortlichkeit für eine Fremdtötung verglichen, allerdings wird der hypothetische Fall in der Weise abweichend gebildet, dass der Suizident Opfer der Tötung bleibt, wobei jedoch nicht er selbst, sondern der Hintermann den unmittelbar todbringenden Akt vollzieht. Sodann wird gefragt, ob in dieser Konstellation – abzüglich der tatsächlichen Sperre des § 216 Abs. 1 StGB – eine wirksame Einwilligung des Opfers bestehen würde. Nach diesen Grundsätzen ist im zuvor formulierten Fall ebenso von einer fehlenden Eigenverantwortlichkeit des B auszugehen: Im Falle der Tötung des B durch die Hand des A wäre eine wirksame Einwilligung in das Verabreichen des todbringenden Medikaments nämlich nicht gegeben gewesen, da B selbiges für Limonade hielt; somit wäre seine Einwilligung mit einem (rechtsgutsbezogenen) Irrtum bemakelt, die ihre Wirksamkeit ausschließt.
Da beide Auffassungen im vorliegenden Fall zu einem identischen Ergebnis kommen, bedarf es folglich keines Streitentscheids.

  • Fall 5: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat. Der A hat dem B zuvor angedroht, dass er andernfalls dessen reiche Frau von den sexuellen Eskapaden des B unterrichten werde, was voraussichtlich zu einer Scheidung geführt hätte, die den B wirtschaftlich und gesellschaftlich ruiniert hätte.

Wiederum ist – ähnlich dem zuvor gegebenem Beispiel – zu fragen, ob die objektiv von B beherrschte Einnahme des Giftes dem A nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zugerechnet werden kann. Die hierzu vertretenen beiden Meinungen kommen indes vorliegend zu unterschiedlichen Ergebnissen:
Stellt man mit der Exkulpationslösung darauf ab, ob das Opfer B im Falle einer Fremdtötung straflos geblieben wäre, ist dies zu verneinen. Um seine Ehe und damit seine gesellschaftliche und finanzielle Situation zu retten, darf B keinen unbeteiligten Menschen töten und ist bei einer solchen Tat folglich weder gerechtfertigt (§ 34 StGB) noch entschuldigt (§ 35 StGB).
Anderes gilt hingegen, wenn man der Einwilligungslösung folgt: Eine Einwilligung, die durch Nötigung – hier die Drohung mit einem empfindlichen Übel – erlangt wird, wäre per se unwirksam, so dass danach auch eine Eigenverantwortlichkeit der Selbsttötung des B abzulehnen ist.
Wie man am vorliegenden Fall sieht, führt die Einwilligungslösung eher zu einer Verschiebung der Verantwortlichkeit für ein selbstschädigendes Verhalten hin zum veranlassenden Hintermann. Demgegenüber wird man mit der Exkulpationslösung häufiger zu einer Straflosigkeit desselben kommen, da die Hürden, die im Falle einer Fremdverletzung entlasten, ungleich höher und damit schwieriger zu überwinden sind als die Voraussetzungen, unter denen die Wirksamkeit einer Einwilligung zu versagen ist. Indes verdient die Einwilligungslösung in den vorgenannten Fallgestaltungen den Vorzug, da Fälle der Selbstschädigung des Opfers eher mit dem hypothetischen Fall einer Einwilligung desselben in die nämliche Verletzung als mit der Fremdverletzung einer anderen Person vergleichbar sind. Da es letztendlich um eine Schädigung des Opfers geht, erscheinen die hierfür entwickelten Kriterien i.F. der Einwilligungsvoraussetzungen passender als solche, die für die Verletzung eines Dritten herangezogen werden, was in dieser Konstellation gerade nicht zur Debatte steht (so auch die wohl h.L., vgl. Kindhäuser, BT I, 5. Aufl. 2012, § 4/15; Rengier, BT II, 11. Aufl. 2010, § 8/4 f.; a.A. etwa MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 54 ff.).
3. Fälle der Unterlassungstäterschaft

  • Fall 6: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihr Ehegatte A verschafft hat. Nach der Einnahme fällt B zunächst in Ohnmacht und lebt noch ca. eine Stunde weiter, bevor sie stirbt. A wacht an ihrem Bett, unternimmt aber nichts, da er den Todeswunsch seiner Frau respektiert.

Im vorliegenden Fall kommt neben einer Begehungsverantwortung durch Verschaffen des Giftes, die bereits oben abgelehnt wurde, zusätzlich noch eine Strafbarkeit wegen Unterlassens in Betracht: Dadurch, dass die B erst nach einer längeren Weile stirbt, hätte der A noch die konkrete („physisch-reale“) Möglichkeit gehabt, durch alarmieren eines Arztes seine Frau zu retten. Wie dieser Fall zu behandeln ist, ist wiederum umstritten.
a) Zumutbarkeitslösung der Rspr.
Die Rspr. nimmt an, dass eine Strafbarkeit des Garanten in diesen Fallgestaltungen durchaus in Betracht komme. Sie knüpft dabei an ihre Argumentation zur Tatherrschaft des Opfers beim Begehungsdelikt an, die grundsätzlich eine Strafbarkeit des Helfers sperrt (s. dazu oben). Für die vorliegenden Fallgestaltung nimmt sie aber an, dass im Falle der Bewusstlosigkeit ein „Tatherrschaftswechsel“ eintrete: Da es dann der Suizident nicht mehr in der Hand habe, den eigenen Todeseintritt zu verhindern, wandere diese Möglichkeit zu dem anwesenden Garanten, den aufgrund seiner Sonderstellung auch eine diesbezügliche Pflicht treffe. Allerdings soll im Rahmen des Prüfungspunktes der Schuld im Einzelfall eine Zumutbarkeit des Garanten fehlen beim eigenverantwortlichen Suizid des Opfers einzugreifen, so dass eine Strafbarkeit mangels Verschuldens entfiele.
b) Ausschluss der Garantenstellung nach h.L.
Die h.L. lehnt diese Konstruktion demgegenüber ab und sieht in der grundsätzlichen Strafbarkeit des Garanten einen Wertungswiderspruch begründet, da dieser zwar einerseits aktiv (durch Verschaffen des Todeswerkzeugs) an dem Suizid der Schutzperson mitwirken dürfe, aber anschließend, nämlich im Falle eines Tatherrschaftswechsels, plötzlich andererseits doch alles dafür tun müsse, den Tod zu verhindern (vgl. z.B. Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 216 Rn. 15; Kindhäuser, BT I, 5. Aufl. 2012, § 4/22). Die Literatur nimmt daher überwiegend an, dass den Garanten im Falle der freiwilligen Selbsttötung bereits keine objektive Pflicht zum Eingreifen (mehr) treffe; begründet wird dies etwa damit, dass das Opfer den ursprünglich Pflichtigen spätestens mit Ansetzen zum Suizid aus dessen Garantenstellung entlasse, so dass zum Zeitpunkt des Tatherrschaftswechsels ein Gebot zur Hilfe nicht mehr existiere (so MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 77). Diese Konstruktion steht freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 216 StGB, da die Entlassung aus der Garantenstellung faktisch mit der Einwilligung in eine Fremdtötung durch Unterlassen gleichgesetzt werden kann. Allerdings wird überwiegend angenommen, dass bzgl. dieser Norm, die im Hinblick auf die Einschränkung für eine Lebensbeendigung ohnehin verfassungsrechtlich problematisch erscheint, eine teleologische Reduktion angezeigt ist. Danach kann § 216 Abs. 1 StGB allein auf die aktive Herbeiführung des Todes eines Menschen angewendet werden, während Fälle eines garantenwidrigen Unterlassens ausgeklammert bleiben. Eine solche teleologische Reduktion (als methodologisches Gegenstück zum Analogieschluss) ist hier ohne Weiteres zulässig, da sie die Strafbarkeit des Täters einschränkt, nicht begründet. Sie kann auch mit der Wertung unterfüttert werden, dass ein Heileingriff, der zur Abwendung des Todes nach Abschluss der aktiven Einwirkung regelmäßig vonnöten wäre, von der Rspr. grundsätzlich als strafbare Körperverletzung (§ 223 ff. StGB) eingestuft wird, wenn das Opfer nicht (mutmaßlich) einwilligt – eine solche Einwilligung ist aber in Fällen des freiwilligen Suizids, bei dem der Todeswillige gerade nicht mehr weiterleben will, regelmäßig nicht anzunehmen. Insoweit kann den Garanten aber kein Gebot treffen, mit dessen Erfüllung er gleichzeitig gegen ein Verbot (die Beteiligung an der Körperverletzung) verstoßen würde.

c) Strafbarkeit nach § 323c StGB?
I.Ü. käme im vorgenannten Fall (sowie auch dann, wenn den Anwesenden von vornherein keine Garantenstellung trifft) daneben eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung, § 323c StGB, als „Auffangtatbestand“ in Betracht. Vom Standpunkt der Rspr. wäre auch insoweit allein an eine Einschränkung der Strafbarkeit wegen fehlender Zumutbarkeit des Eingriffs zu denken, wobei dieses Merkmal freilich hier nach überwiegender Auffassung ein echtes Tatbestandsmerkmal (und kein Element der Schuld) bildet. Die h.L. nimmt hingegen an, dass ein freiverantwortlicher Suizid bereits keinen Unglücksfall i.S.d. § 323c StGB darstellt (vgl. nur NK-Wohlers, 3. Aufl. 2010, § 323c Rn. 5 m.w.N.), und kommt so wiederum (ebenso) zur Straflosigkeit des Unterlassenden.

16.08.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-08-16 10:00:562012-08-16 10:00:56Fälle zur Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung
Gastautor

Aufsatzwettbewerb: Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen der §§ 280 ff. BGB in der Examensklausur

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Wir freuen uns, euch heute den dritten Beitrag zu unserem Aufsatzwettbewerb veröffentlichen zu können.
Der Beitrag wurde von David Ullenboom verfasst.
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I. Einführung
Die Abgrenzung der verschiedenen Haftungstatbestände der §§ 280 ff. BGB ist eine der schwierigsten Fragen des neuen Schuldrechts (BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 25). Um eine sachgerechte Abgrenzung in der Klausur vornehmen zu können, muss man sich zunächst die Systematik der §§ 280 ff. BGB vergegenwärtigen. Ausgangspunkt der neuen Systematik ist der Grundtatbestand des § 280 I BGB (sog. „einfacher Schadensersatz“). Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis und hat er die Pflichtverletzung zu vertreten, so ist er dem Gläubiger grds. zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei hat es aber nicht sein Bewenden. Gem. § 280 II BGB kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 (Mahnung) ersetzt verlangen (sog. „Verzugsschadensersatz“). § 280 III BGB fährt fort und bestimmt, dass der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 281 BGB (Fristsetzung) oder § 283 (nachträgliche Unmöglichkeit) beanspruchen kann (sog. „Schadensersatz statt der Leistung“). Der einfache Schadensersatz und der Verzugsschadensersatz treten neben die vertragliche Hauptleistungspflicht, lassen diese also unberührt (sog. „Schadensersatz neben der Leistung“). Der Schadensersatz statt der Leistung tritt, wie der Begriff bereits nahe legt, an die Stelle der Hauptleistungspflicht, bringt diese also zum Erlöschen (vgl. §§ 281 IV, 275 I, IV BGB)
Die Abgrenzung der verschiedenen Haftungsnormen ist im Übrigen keine rein akademische Frage für Examensklausuren, sondern eine Frage von immenser praktischer Bedeutung. Da Verzugsschadensersatz grds. nur im Falle einer Mahnung und Schadensersatz statt der Leistung nur bei Vorliegen einer Fristsetzung eingreift, kann die Frage der Anwendung der einschlägigen Haftungsnorm auch über Obsiegen und Unterliegen im Prozess entscheiden (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 26).
Das Verständnis der richtigen Anwendung der §§ 280 ff. BGB fällt vielen Studierenden der Rechtswissenschaft auch deshalb so schwer, weil dem modernen Schuldrecht nach wie vor ein Stück weit die „verschüttete“ Dogmatik des alten Schuldrechts vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 zugrunde liegt. Darauf wird an  geeigneter Stelle zurückzukommen sein.
II. Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung (§§ 281, 283) und Schadensersatz neben der Leistung (§§ 280, 286)
Für die Abgrenzung von Schadensersatz statt der Leistung und Schadensersatz neben der Leistung haben sich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion im Wesentlichen zwei Lösungsansätze herausgebildet. Während manche eine begriffliche Abgrenzung anhand der Art des Schadens vornehmen möchten (sog. „begriffsbezogener Ansatz“), favorisiert die Gegenansicht eine zeitliche Abgrenzung, d. h. eine Abgrenzung danach, wann der Schaden auf der Zeitachse beginnend ab Fälligkeit der Hauptleistungspflicht eingetreten ist. Entscheidend ist hier der Entstehungszeitpunkt des Schadens (sog. „zeitlicher Ansatz“), vgl. zum Ganzen BeckOK-Unberath, § 281 Rn. 27.
1.     Der begriffsbezogene Ansatz setzt bei dem Begriff „Schadensersatz statt der Leistung“ in § 281 BGB an und versucht diese Schadensart vom Schadensersatz neben der Leistung schadensphänomenologisch abzugrenzen (z.B. Grigoleit/Riehm, ACP 203, 727, 762; Jauernig-Stadler, § 280, Rn. 3 f.). Mit Schadensersatz statt der Leistung soll demnach nur das „Äquivalenzinteresse“ ersatzfähig sein. Dies ist das Interesse des Gläubigers, eine gemessen an seiner Leistung gleichwertige Gegenleistung zu erlangen und diese planmäßig verwenden oder verwerten zu können (z. B. Wert der Sache, entgangener Weiterveräußerungsgewinn, Mehrkosten eines Deckungskaufs). Über Schadensersatz neben der Leistung, soll nur das sog. „Integritätsinteresse“, d. h. das Interesse des Gläubigers an der Unversehrtheit seiner sonstigen Rechtsgüter, ausgeglichen werden. Gleichbedeutend unterscheidet man im Gewährleistungsrecht (§ 437 Nr.3 iVm §§ 280 ff.) zwischen dem sog. „Mangelschaden“, der allein über § 437 Nr.3, 281, 283 ersatzfähig sein soll und dem sog. „Mangelfolgeschaden“, der dem § 437 Nr.3, 280 I unterfällt. Der Mangelschaden ist hierbei der Schaden an der Sache selbst und der allgemeine Vermögensschaden (z. B. mangelbedingter Minderwert). Der Mangelfolgeschaden hingegen ist der Schaden, der dem Gläubiger an anderen Rechtsgütern als der Kaufsache entstanden ist (z. B. Körperschäden, Schäden an anderen Sachen).
2.    Im Anschluss an Lorenz, NJW 2002, 2497 ff. hat sich aber der zeitbezogene Ansatz überwiegend durchgesetzt. Lorenz hat zurecht darauf hingewiesen, dass die Verwendung der aus dem alten Schuldrecht geläufigen Begriffe wie Mangelschaden und Mangelfolgeschaden oder Äquivalenzinteresse und Integritätsinteresse, den Blick auf die Systematik des neuen Schuldrechts verstellt (Lorenz, NJW 2002, 2500). Der zeitbezogene Ansatz setzt hierbei nicht bei dem Begriff „Schadensersatz statt der Leistung“ in § 281 an. Weil der Gläubiger gem. §§ 281, 283 nur „unter den Voraussetzungen des § 280 I“ Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann und gem. § 280 I der „durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden“ zu ersetzen ist, soll Dreh- und Angelpunkt des neuen Leistungsstörungsrecht die „Pflichtverletzung“ des Schuldners sein. Schäden, die zeitlich vor der Pflichtverletzung endgültig entstanden sind, sollen nur mit Schadensersatz neben der Leistung ersatzfähig sein. Schäden, die hingegen zeitlich nach der Pflichtverletzung entstanden sind, sollen dem Schadensersatz statt der Leistung unterfallen. Worin indes genau die Pflichtverletzung im Rahmen der §§ 281, 283 BGB zu erblicken ist, ist umstritten. Im Wesentlichen werden hier die folgenden drei Ansichten vertreten:
a) Nach einer Ansicht ist die entscheidende Pflichtververletzung der §§ 281, 283 in der nicht ordnungsgemäßen Leistung trotz Fälligkeit zu erblicken. Demgemäß sei der Gläubiger im Rahmen der §§ 281, 283 so zu stellen, wie er stünde, wenn „ordnungsgemäß“, d. h. bei Fälligkeit und mangelfrei, geleistet worden wäre (z. B. Palandt-Grüneberg, § 281 Rn. 25). Dieser Ansicht liegt die Vorstellung zugrunde, dass der dem neuen Schuldrecht entstammende Begriff des „Schadensersatz statt der Leistung“ identisch sei mit dem Begriff des „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ nach altem Recht gem. den §§ 283, 326 I, 463 BGB a. F.. Der BGH hatte entschieden, dass der Gläubiger im Rahmen dieses Schadensersatzanspruchs so zu stellen sei, als wenn ordnungsgemäß zum vorgesehenen Erfüllungszeitpunkt erfüllt worden wäre (vgl. zuletzt BGH NJW 1999, 2625).
Dieser ersten Ansicht hat sich jüngst zumindest für das allgemeine Leistungsstörungsrecht, nicht aber für das Gewährleistungsrecht (!), auch der BGH angeschlossen und seine Rechtsprechung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung insoweit nunmehr auf den Anspruch aus § 281 BGB übertragen (vgl. BGH JZ 2010, 44 ff.).
In der Konsequenz dieser Ansicht liegt es aber, dass grds. alle Schäden, die zeitlich nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit eingetreten sind, mit dem Schadensersatzanspruch aus §§ 281, 283 BGB zu ersetzen wären. Also auch typische Integritätsschäden wie Gesundheitsverletzungen und typische Verzögerungsschäden wie z. B. Kosten für die vorübergehende Anmietung einer Ersatzsache. Da dies sogar manchen Vertretern dieser Ansicht zu weit geht, wollen einige nun wiederum in einem zweiten Schritt typische Integritäts- und Verzugsschäden aus dem Anwendungsbereich der §§ 281, 283 ausklammern (so z. B. Jauernig-Stadler, § 281 Rn. 16). Dass dies dann wieder auf eine (längst überwundene) begriffsbezogene Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen nach typischen Schadensarten hinausläuft ist offenbar.
Obwohl man feststellen muss, dass diese erstgenannte Ansicht jedenfalls in quantitativer Hinsicht mittlerweile herrschende Meinung sein dürfte, sollte man ihr in der Klausur nicht folgen. Insbesondere befindet sich die dazu ergangene oben zitierte BGH-Rechtsprechung noch in der Entwicklung und die weitere Konkretisierung und Ausdifferenzierung durch den Bundesgerichtshof sollte vorerst abgewartet werden. Diese Ansicht führt auch im Ergebnis zu einer völligen Verwischung der Grenzen zwischen den verschiedenen Schadensersatznormen der §§ 281/283, 286 und 280 BGB, was sicherlich nicht im Sinne des Erfinders, nämlich des Gesetzgebers gewesen sein dürfte.
b) Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht ist die maßgebliche Pflichtverletzung des § 281 nicht in der nicht ordnungsgemäßen Leistung bei Fälligkeit, sondern in der Nichtleistung oder Nicht-Nacherfüllung bei Ablauf der gem. § 281 dem Schuldner gesetzten Frist zu sehen. Der Gläubiger sei also so zu stellen, wie er stünde, wenn der Schuldner bei Fristablauf geleistet bzw. nacherfüllt hätte. Ist eine Fristsetzung gem. § 281 II BGB ausnahmsweise entbehrlich tritt an die Stelle des Fristablaufs der Zeitpunkt, in dem die Umstände (z. B. Erfüllungsverweigerung) eingetreten sind, die eine Fristsetzung obsolet gemacht haben (so z. B. Haberzettel, NJW 2007, 1329). Gegenüber der erstgenannten Ansicht kann diese Ansicht für sich ins Felde führen, dass die relevante Pflichtverletzung bei § 281 BGB die Nichtleistung trotz Fristablaufs ist. Die bloße Nichtleistung oder eine mangelhafte Lieferung sind zwar ebenfalls Pflichtverletzungen, diese führen aber allein noch nicht zu einem Anspruch aus § 281 BGB. Erforderlich ist vielmehr grds. immer eine erfolglose Fristsetzung zur Leistung oder Nacherfüllung. In der Konsequenz dieser Ansicht können Schäden, die vor Ablauf der gesetzten Frist bereits endgültig entstanden sind, nur im Rahmen des Schadensersatzes nebend der Leistung (§§ 280, 286) geltend gemacht werden. Mit dem Anspruch aus § 281 können nur solche Schäden ausgeglichen werden, die nach Ablauf der Frist entstanden sind. Zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Verzögerungsschäden, die erst nach Fristablauf eingetreten sind, kann es also immer noch zu Überschneidungen kommen, die eine saubere Abgrenzung verhindern.
c) Gewichtige Literaturstimmen, darunter insbesondere Lorenz sehen die relevante Pflichtverletzung der §§ 281, 283 BGB in dem endgültigen Ausbleiben der Leistung. Die Leistung bzw. Nacherfüllung bleibe aber erst in dem Moment endgültig aus, in dem der Schuldner sie nicht mehr erbringen könne (§§ 283, 275 IV) oder nicht mehr erbringen dürfe (§§ 281 IV, 323 ff.). Abzustellen sei also auf den Zeitpunkt, in dem die Leistung oder Nacherfüllung unmöglich geworden sei, in dem das Schuldverhältnis durch Rücktritt erloschen sei oder in dem der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung geltend mache (dann § 281 IV). Der Gläubiger sei demgemäß so zu stellen, wie er stünde, wenn eine logische Sekunde vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung noch geleistet oder nacherfüllt worden wäre. Der entscheidene Vorteil dieser Ansicht ist, dass sie eine saubere Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Schadensersatz neben der Leistung ermöglicht. Mit dem endgültigen Ausbleiben der Leistung geht der Erfüllungs- bzw. Nacherfüllungsanspruch unter (§§ 275, 281 IV, §§ 346 ff.). Ab diesem Zeitpunkt ist Verzug (§ 286) ausgeschlossen. Bei allen Schäden, die vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung endgültig eingetreten sind, kann es sich also nur noch um einen einfachen Schadensersatz gem. § 280 I oder einen Verzugsschadensersatz gem. § 286 handeln.
Die entscheidende Testfrage dieser Ansicht lautet also: „Wäre der Schaden ebenfalls eingetreten, wenn der Schuldner eine logische Sekunde vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung seine Leistung noch erbracht hätte?“ – Bejahendenfalls handelt es sich um Schadensersatz neben der Leistung, andernfalls handelt es sich um Schadensersatz statt der Leistung, weil der Schaden durch eine – wenn auch verspätete Leistung – noch hätte behoben werden können (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 281 Rn. 28).
Auch diese Ansicht ist indes nicht ganz zweifelsfrei. Da der Leistungsanspruch gem. § 281 IV BGB erst mit Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung untergeht, wäre der Gläubiger grds. gezwungen, Schadensersatz geltend zu machen bevor der Schaden überhaupt entstanden ist, da dieser ja erst nach der Geltendmachung eingetreten sein darf um nach § 281 ersatzfähig zu sein. Dieser Widerspruch mag in gewisser Weise dadurch relativiert werden, dass zumindest Kaufleute ihren Schaden „abstrakt“ berechnen können, d. h. in Gemäßheit eines fiktiven Deckungsgeschäfts ohne fixen Zeitpunkt. Dies hilft indes unter Privatleuten nicht weiter. Ebenso müsste diese Ansicht in letzter Konsequenz auch typische Integritätsschäden wie Gesundheitsverletzungen, die nach dem endgültigen Ausbleiben der Leistung entstanden sind, in den Anspruch aus § 281 BGB mit einbeziehen. Auch hier kann man wieder das Phänomen beobachten, dass die Literaturvertreter dieser Ansicht einen teilweisen „Rückzieher“ machen und typische Integritätsschäden in einem zweiten Schritt aus dem Anwendungsbereich der §§ 281, 283 wieder herausnehmen wollen (so z. B. Lorenz, NJW 2002, 2500).
d) Stellungnahme
In der Examensklausur sollte man der letztgenannten Meinung folgen, weil diese am ehesten eine saubere Abgrenzung der verschiedenen Anspruchsgrundlagen der §§ 280 ff. ermöglicht. Meines Erachtens kommt man aber gänzlich ohne „Anleihen“ bei den Befürwortern eines begriffsbezogenen Ansatzes in der Klausur schwer zurecht. Deshalb würde ich dazu raten, die begehrten Schäden zunächst anhand der oben beschriebenen Testfrage darauf zu überprüfen, ob sie grds. dem Schadensersatz statt der Leistung oder dem Schadensersatz neben der Leistung zuzurechnen sind. In einem zweiten Schritt würde ich dann (gedanklich) prüfen, ob das gefundene Ergebnis auch „stimmig“ ist. Typische Integritätsschäden (z. B. Körperverletzungen oder die Beschädigung anderer Sachen) und typische Verzugsschäden (z. B. Rechtsverfolgungskosten, Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache, Zinsen) sollte man dann dem Anwendungsbereich des § 281 BGB entziehen und unter § 280 I oder § 286 subsumieren. Ein Prüfer im Examen wäre sicher überrascht, wenn Rechtsanwaltskosten oder ärztliche Behandlungskosten unter einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung im Rahmen eines Kauf- oder Werkvertrages subsumiert würden, auch wenn dies der zeitbezogene Ansatz in letzter Konsequenz nahe legt.
III. Abgrenzung zwischen einfachem Schadensersatz (§ 280 I) und Verzugsschadensersatz (§ 286)
Hat man die eingetreten Schäden nach den vorherigen Ausführungen dem Bereich des Schadensersatzes statt der Leistung oder dem Schadensersatz neben der Leistung zugeordnet, dann stellt sich im letzteren Fall die weitere Frage, ob der Schaden ohne vorherige Mahnung als einfacher Schadensersatz gem. § 280 I BGB ersatzfähig ist oder ob es sich um einen Verzugsschaden handelt, der nur unter den Voraussetzungen des § 286 beansprucht werden kann (vgl. BeckOK BGB-Unberath, § 280 Rn. 29).
Diese Abgrenzung ist wesentlich einfacher und im Wesentlichen unstreitig. Gem. § 286 BGB nur nach vorheriger Mahnung ersatzfähig sind grds. nur diejenigen Schäden, die ausschließlich auf der Verzögerung der Leistung oder Nacherfüllung beruhen. Alle sonstigen Schäden, die nicht durch die Verzögerung der Leistung, sondern schwerpunktmäßig durch eine andere Pflichtverletzung (insbesondere Nebenpflichtverletzung gem. § 241 II BGB und Schlechtleistung als Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2 BGB) verursacht wurden, sind dann gem. § 280 I als einfacher Schadensersatz ersatzfähig (vgl. Palandt-Grüneberg, § 280 Rn. 13). Nach §§ 437 Nr.3, 280 I BGB ersatzfähig ist deshalb nach h. M. insbesondere der sog. „Betriebsausfallschaden“, weil dieser unmittelbar auf der Lieferung einer mangelhaften Sache beruhen soll und nicht ausschließlich auf die Verzögerung der Nacherfüllung zurückzuführen sei (vgl. BGH NJW 2009, 2674, str.).
IV. Besonderheiten im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit (§ 311a II)
Die anfängliche Unmöglichkeit machte eine § 283 BGB verdrängende Sonderregelung in § 311a II BGB erforderlich. Die §§ 280 ff. BGB setzen eine Pflichtverletzung voraus, im Falle anfänglicher Unmöglichkeit ist der Vertrag zwar wirksam (vgl. § 311a I), eine einklagbare Hauptleistungspflicht, die der Schuldner potentiell verletzen konnte, bestand aber von Anfang an nicht (§ 275 I BGB). § 311a II macht es dem Schuldner demgegenüber zum Vorwurf, dass er sich vor Vertragschluss nicht über seine eigene Leistungsfähigkeit versichert hat, es geht also um eine Pflichtverletzung im vorvertraglichen Bereich zu einem Zeitpunkt, als der Vertrag noch gar nicht geschlossen war (Jauernig-Stadler, § 311a Rn. 5).
Anders als bei § 283, wo hinsichtlich der Pflichtverletzung potentiell auf die Nichtleistung bei Fälligkeit oder auf die später eintretende Unmöglichkeit der Leistung abgestellt werden kann, gibt es bei § 311a II BGB nur eine Pflichtverletzung, nämlich die Kenntnis oder die zu vertretende Unkenntnis des Leistungshindernisses bei Vertragschluss. Zu ersetzen ist das positive Interesse. In diesem Fall ist der Gläubiger dann unstreitig so zu stellen, wie er stünde, wenn ordnungsgemäß, d. h. bei hypothetischer Fälligkeit und mangelfrei geleistet worden wäre (Staudinger-Löwisch, § 311a Rn. 39). Schwierige Abgrenzungsfragen wie oben unter II. ergeben sich hier nicht.
Geht es um die Lieferung einer Sache mit anfänglichem unbehebbaren Mangel, so kann der Gläubiger neben dem Schadensersatz statt der Nacherfüllung gem. §§ 437 Nr.3, 311a II BGB auch gem. §§ 437 Nr.3, 280 I den unmittelbar auf der Mangelhaftigkeit der Sache beruhenden Schaden (insbesondere den sog. „Betriebsausfallschaden“) ersetzt verlangen (vgl. Palandt-Grüneberg, § 311a Rn. 7; s. bereits oben).
V. Besonderheiten im Falle des Gewährleistungsrechts (§§ 437 Nr.3, 280 ff. BGB)
Die obigen Ausführungen lassen sich im Grundsatz auch auf das Gewährleistungsrecht übertragen, weil § 437 BGB für die Gewährleistungsrechte weitgehend auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht verweist (Ausnahme: Minderung gem. § 441 als Besonderheit des Gewährleistungsrechts!). Man muss sich aber folgende Unterschiede gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht klar machen. Spricht das Gesetz im Zusammenhang mit § 437 Nr.3 nun von „Schadensersatz statt der Leistung“, ist damit nicht mehr der ursprüngliche Leistungsanspruch auf Lieferung der Sache gemeint, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. §§ 437 Nr.1, 439. Schadensersatz statt der Leistung ist also nunmehr „Schadensersatz satt der Nacherfüllung“. Denn ursprünglich hat der Gläubiger gem. § 433 I 2 BGB einen einklagbaren Erfüllungsanspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache. Mit Übergabe (Gefahrübergang gem. § 446 S.1) wandelt sich dieser ursprüngliche allgemeine Erfüllungsanspruch in einen Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 BGB (sog. „modifizierter Erfüllungsanspruch“). Liefert der Schuldner also eine mangelhafte Sache, dann verstößt er dadurch gegen § 433 I 2. Erbringt er anschließend die Nacherfüllung verspätet oder gar nicht, dann verstößt er gegen seine Pflicht aus §§ 437 Nr.1, 439 BGB. Ebenso ist §§ 437 Nr.3, 286 der Sache nach dann „Schadensersatz wegen Verzögerung der Nacherfüllung“.

21.02.2012/14 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-02-21 12:00:082012-02-21 12:00:08Aufsatzwettbewerb: Abgrenzung der verschiedenen Schadenersatznormen der §§ 280 ff. BGB in der Examensklausur

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