BGH: Kosten der Parkraumüberwachung kein ersetzbarer Schaden nach Abschleppen
In einer kürzlich ergangenen Entscheidung des BGH (BGH Urteil v. 02.12.2011 – V ZR 30/11) geht es um die Frage, welche Kosten einer durch einen Privaten veranlassten Abschleppmaßnahme (hier: Supermarktparkplatz) vom Halter des abgeschleppten Fahrzeugs ersetzbar sind.
Sachverhalt (verkürzt)
F will ihr Auto parken. Da sie keinen andere Parkplatz findet und obwohl sie nicht in dem Supermarkt des S einkaufen will, parkt sie ihr Fahrzeug auf dessen Kundenparkplatz trotz des deutlich erkennbaren Hinweisschildes, dass unberechtigt parkende Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden. S, der das Verhalten der F nicht billigt und seine Parkplätze für „zahlende Kunden“ freihalten will, hat einen Vertrag mit Dienstleister D, der nicht nur die Abschleppmaßnahmen durchführt, sondern auch einen Sonderservice „Rund um die Uhr“ bietet. Diesen Sonderservice berechnet D dem S pauschal anhand einer „Grundgebühr“. Diese Serviceleistungen umfassen zum einen vorbereitende Maßnahmen des Abschleppens, wie zum Beispiel Feststellung des Fahrzeugtyps und Anforderung eines geeigneten Abschleppfahrzeugs. Zum anderen wird die lückenlose Überwachung (z.B durch Kontrollgänge) des Parkraums gewährleistet.
Ein Teil der Vereinbarung ist zudem, dass S alle zukünftigen Ansprüche gegen „Parksünder“ an D abtritt.
D bemerkt das unberechtigt parkende Fahrzeug der F und verbringt es auf öffentlichen Parkgrund. D, der nunmehr Inhaber etwaiger Schadensersatzansprüche des S ist, verlangt von F 300 Euro für die entstandenen Kosten (Versetzen des Pkw: 200 Euro; Feststellung des Fahrzeugs: 50 Euro; Überwachung des Parkplatzes: 50 Euro). F verweigert die Zahlung. D weigert sich im Gegenzug, der F den Standort des Fahrzeugs mitzuteilen, sodass die F ihr Fahrzeug für eine gewisse Zeit nicht nutzen kann.
F verlangt Nutzungsentschädigung von S hinsichtlich ihres Fahrzeugs. Zu Recht?
Anmerkung: In einer Klausur wäre, würde man den Fall dem Urteil nachbilden, die Problematik etwas „versteckt“, nämlich bei der Frage nach einem etwaigen Zurückbehaltungsrecht der D, das den Anspruch der F auf Nutzungsentschädigung mangels Verzugs nicht zur Entstehung gelangen lassen könnte. Eine Nutzungsentschädigung kann nur derjenige verlangen, dem unberechtigt ein Nutzungsrecht vorenthalten worden ist. Im Rahmen des Zurückbehaltungsrechts ist dann der – abgetretene! – Schadensersatzanspruch des D (zediert von S) nach § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 858 Abs.1 BGB zu prüfen und insbesondere auf den ersetzbaren Schaden einzugehen. Zur Rechtmäßigkeit solcher Abschleppmaßnahmen von Supermarktparkplätzen:
Wie der Senat bereits entschieden hat, stellt das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem privaten Kundenparkplatz eine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB dar, der sich der unmittelbare Grundstücksbesitzer erwehren darf, indem er das Fahrzeug abschleppen lässt (Senat, Urteil vom 5. Juni 2009 – V ZR 144/08, BGHZ 181, 233 ff.). Die Klägerin ist daher verpflichtet, dem Betreiber des Supermarkts den ihm aus der verbotenen Eigenmacht entstandenen Schaden zu ersetzen.
Beseitigung der Folgen verbotener Eigenmacht richtet sich nach § 249 Abs. 1 BGB
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bemisst sich der Umfang des zu ersetzenden Schadens allerdings nicht nach § 249 Abs. 2 BGB, sondern nach § 249 Abs. 1 BGB. Denn es geht hier nicht um die Beschädigung einer Sache, sondern um die Beseitigung der Folgen einer verbotenen Eigenmacht. Ersatzfähig sind solche Schäden, die in adäquatem Zusammenhang mit der von der Klägerin verübten verbotenen Eigenmacht stehen und vom Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.
Kosten der „reinen“ Abschleppmaßnahme sind ersetzbarer Schaden
Bei der Frage, welche Kosten jeweils zu ersetzen sind, muss nach dem jeweiligen Zweck genau differenziert werden. In der Klausur wären – wie auch hier – die Kosten im Sachverhalt einzeln aufgeschlüsselt. Wer diesen Hinweis des Klausurerstellers vernachlässigt, landet schnell im Abseits. Die Kosten der Abschleppmaßnahme an sich dürften gedanklich aber kein größeres Problem darstellen, da es sich insoweit um den „Standardfall“ ersetzbarer Kosten handelt.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den auf das reine Abschleppen (ohne Grundgebühr) anfallenden Anteil dem Grunde nach als einen erstattungsfähigen Schaden des Supermarktbetreibers angesehen. Dass unbefugt auf dem Grundstück des Supermarktbetreibers abgestellte Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden, stellt keine überraschende oder fern liegende Reaktion des unmittelbaren Besitzers dar, sondern die Verwirklichung der deutlich sichtbaren Ankündigung auf dem aufgestellten Schild. Diese Schadensfolge liegt auch im Schutzbereich der verletzten Norm. Indem das Gesetz dem unmittelbaren Besitzer als spontane Reaktion auf eine verbotene Eigenmacht das Selbsthilferecht (§ 859 BGB) zubilligt, dessen Ausübung mit Kosten verbunden sein kann, stellt es selbst den notwendigen Zusammenhang zwischen der Verletzung des Schutzgesetzes (§ 858 Abs. 1 BGB) und der Schadensfolge her.
Vorbereitung des Abschleppens ist adäquat kausaler Schaden
Anders dagegen sieht es bei den sonstigen Kosten aus. Hier sollte man nah am konkreten Fall bleiben und die (haftungsausfüllende) Kausalität zwischen Rechtsgutverletzung (Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht) und den entstandenen sonstigen Kosten genau herausarbeiten. Wer sich hier an die gängigen Regeln zur Kausalität hält und auch lebensnah argumentiert, wird den Unterschied zwischen den Vorbereitungshandlungen für das Abschleppen und der Parkraumüberwachung durch D erkennen.
Der Einwand der Revision, die Vorbereitungskosten seien deshalb nicht erstattungsfähig, weil sie den Rahmen der von einem privaten Geschädigten üblicher- und typischerweise für die Durchsetzung des Anspruchs zu erbringende Mühewaltung nicht überschritten, greift nicht durch. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel kein Ersatz für den Zeitaufwand verlangt werden, wenn die Zeit zur Schadensermittlung und zur außergerichtlichen Abwicklung des Schadensersatzanspruchs angefallen ist und der im Einzelfall erforderliche Zeitaufwand nicht die von einem privaten Geschädigten typischerweise zu erbringende Mühewaltung überschreitet. Um einen derartigen Aufwand geht es jedoch bei der Vorbereitung des konkreten Abschleppvorgangs nicht. Auch insoweit dient die Tätigkeit nicht der Abwicklung oder Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs des Grundstücksbesitzers, sondern unmittelbar der Beseitigung der durch die verbotene Eigenmacht hervorgerufenen konkreten Störung. Sie ist Teil des ausgeübten Selbsthilferechts gemäß § 859 BGB.
Parkraumüberwachung ohne Bezug zu konkreter Besitzstörung
Wer in seiner Lösung gute Vorarbeit geleistet hat, wird zu der Feststellung kommen, dass,
[d]er hierauf entfallende Kostenanteil der Grundgebühr […] von der Klägerin nicht zu ersetzen [ist]. Denn Kosten, die nicht der Beseitigung der Besitzstörung dienen, sondern im Zusammenhang mit deren Feststellung angefallen sind, wie etwa die Kosten einer Parkraumüberwachung durch regelmäßige Kontrollgänge, zählen nicht zu dem adäquat verursachten und damit erstattungsfähigen Schaden. Solchen allgemeinen Überwachungsmaßnahmen fehlt der Bezug zur konkreten Besitzstörung, da sie nicht entfallen, wenn die schädigende Handlung hinweggedacht wird; sie entstehen unabhängig von dem konkreten schadensstiftendenden Ereignis. Vorkehrungen zur Überwachung des Parkplatzes sind daher im Verhältnis zum Schädiger der Sphäre des Grundstücksbesitzers zuzurechnen.
Fazit
Also wie folgt vorgehen: Nutzungsentschädigung der F prüfen und bei der Frage nach dem Verzug das ZBR der D gemäß § 273 BGB untersuchen. Im Rahmen hiervon sodann ihren von S abgetretenen Schadensersatzanspruch ansprechen und auf die genannte Problematik eingehen.
Danke für die Urteilsbesprechung! In der Tat ein heißer Kandidat für das Erste und auch Zweite Examen. Gerade weil der BGH damit seine bisherige Rechtsprechung zum Thema „zementiert“ … Hier finden sich übrigens die Ausgangsentscheidungen des LG Berlin und KG Berlin http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20110311.1035.335023.html
Lief tatsächlich fast 1:1 als ZIII im November in NRW!
https://red.ab7.dev/zivilrecht-z-iii-november-2012-1-staatsexamen-nrw/
Das zeigt mal wieder, wie schnell die Prüfungsämter auf aktuelle Entscheidungen reagieren.