Jur:Next Urteil: Schadensersatz bei vorzeitigem Abbruch der Ebay-Auktion – Wer riskiert, kann auch verlieren!
Der nachfolgende Beitrag stammt aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next und befasst sich mit auf der Online-Plattform Ebay geschlossenen Verträgen anhand eines aktuellen Urteils des Bundesgerichtshofs.
BGH Urteil vom 12. November 2014 – VIII ZR 42/14: Wirksamkeit eines im Rahmen einer Internetauktion geschlossenen Vertrages (Ebay), bei dem ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, Schadensersatzansprüche bei Abbruch der Auktion
Fundstelle: Entscheidungsdatenbank des BGH (https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=dcdadd3cdd2a6d09300a7ac388cee621&nr=69628&pos=0&anz=1)
I. Problemaufriss
Aktuell gibt es beim BGH zwei wichtige Entscheidungen zum Thema Abbruch von Internetauktionen bei Ebay sowie deren Folgen. In beiden Entscheidungen wird deutlich, dass es ein „Reuerecht“ des Verkäufers bei ungünstiger Entwicklung seines Angebots nicht gibt. Wenn er bewusst einen Startpreis weit unter Wert festsetzt ohne Angabe eines Mindestkaufpreises, so schützt ihn die Rechtsordnung nicht vor der Enttäuschung bei einem wirtschaftlich ungünstigen Ausgang der Auktion:
1) BGH vom 12. November 2014 – VIII ZR 42/14 (hier besprochene Entscheidung)
2) BGH vom 10. Dezember 2014 – VIII ZR 90/14 (Auslegung der Ebay-AGB a.F. bei vorzeitiger Beendigung des Angebots)
Kernfrage beider Entscheidungen ist, wann der Abbruch einer Auktion bei Ebay berechtigt ist und was die Folge eines unberechtigten Abbruchs ist. Bei der hier nicht besprochenen BGH Entscheidung werden die damals geltenden AGB von Ebay zum Thema Abbruch von Auktionen Punkt für Punkt ausgelegt. Streitpunkt war die damalige Formulierung bei Ebay, dass Angebote, die noch länger als 12 Stunden laufen, „ohne Einschränkungen“ vorzeitig beendet werden dürfen. Diese Formulierung muss jedoch laut BGH im Kontext der gesamten AGB gelesen werden, wonach Angebote eben nur aus bestimmten, näher definierten Gründen (z.B. Zerstörung oder Verlust der Sache) abgebrochen werden dürfen.
Ebay hat infolge dieser BGH-Entscheidung seine zumindest irreführenden AGB überarbeitet und in diesem Punkt komplett abgeändert. Diese Entscheidungen sind sehr praxisrelevant und auch für das Examen zentral von Bedeutung, da diese Konstellation sehr häufig vorkommen dürfte. Die Lektüre der anderen, hier nicht besprochenen Entscheidung des BGH ist daher dringend ratsam.
Das hier behandelte Urteil des BGH stellt die Frage in den Mittelpunkt, ob bei einem bindenden Gebot weit unter dem tatsächlichen Marktpreis der Vertrag gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 242 BGB unwirksam ist. Der BGH verneint dies und billigt im Ergebnis dem Bieter bei einer unberechtigt abgebrochenen Auktion einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB zu. Der BGH hat die Revision des Beklagten daher zurück gewiesen.
II. Sachverhalt
Streitgegenstand sind Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten für dessen vorzeitig abgebrochenes Ebay-Angebot.
Der Beklagte stellte am Abend des 24. Mai 2012 einen gebrauchten VW Passat für 10 Tage zur Internetauktion bei Ebay mit einem Startpreis von 1 € ein. Einen Mindestpreis legte er nicht fest. Der Kläger nahm das Angebot wenige Minuten später an, wobei er ein Maximalgebot von 555,55 € festlegte. Nach rund 7 Stunden brach der Beklagte die Auktion ab. Zu dieser Zeit war der Kläger der einzige Bieter. Auf dessen Nachfrage teilte der Beklagte mit, dass er einen Käufer außerhalb der Auktion gefunden habe.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 5.249 € mit der Behauptung in Anspruch, dass das Fahrzeug 5.250 € wert gewesen sei. Die Klage hat vor dem LG dem Grunde nach Erfolg gehabt. Das OLG hat die Berufung des Beklagten hiergegen abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die zulässige Revision hat keinen Erfolg und wird daher vom BGH zurückgewiesen.
III. Entscheidung des Gerichts
Das Gericht weist die zulässige Revision als unbegründet zurück, weil dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch des Klägers aufgrund der unberechtigt abgebrochenen Auktion besteht gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 und Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB.
Das Gericht prüft die Wirksamkeit des Vertrages vorbildlich wie in einer Examensklausur.
1. Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag über das Fahrzeug entstanden durch Angebot und Annahme. Der Beklagte hat das Angebot ohne berechtigenden Grund vorzeitig abgebrochen (Genaueres findet sich hierzu im Urteil nicht, da die Feststellungen der Vorinstanz hier nicht angegriffen wurden. Hier wäre ggf. zu prüfen, ob der Abbruch berechtigt erfolgte z.B. wegen Zerstörung oder Verlust der Sache, siehe AGB a.F. von Ebay).
2. Eine Anfechtung des Vertrages durch den Beklagten nach §§ 119 ff. BGB wegen Irrtums greift nicht durch, da ein Irrtum nicht ersichtlich ist. Der Beklagte war daher nicht zur Anfechtung berechtigt.
3. Der Schadensersatzanspruch scheitert auch nicht an § 138 BGB. Der geschlossene Kaufvertrag ist nicht als wucherähnliches Rechtsgeschäft wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Zwischen dem Maximalgebot des Beklagten von 555,55 € und dem tatsächlichen Marktwert des Fahrzeugs besteht zwar ein enormes, grobes Missverhältnis. Bei einer Internetauktion rechtfertigt dies allein jedoch nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, aus denen auf eine verwerfliche Gesinnung geschlossen werden kann.
Die Begrenzung des Maximalgebotes auf 555,55 € – also deutlich unter dem Marktpreis – ist sittlich nicht zu missbilligen. Der Bieter muss sein Maximalgebot nicht am Marktpreis ausrichten. Es ist gerade Sinn und Reiz der Internetauktion bei Ebay, „Schnäppchen“ zu schlagen und Sachen unter Marktpreis zu ersteigern. Umgekehrt hat der Bieter die Chance, eine Sache durch den Mechanismus des Überbietens über Wert zu verkaufen.
4. Auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB greift nicht durch. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles und muss auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.
Das Gebot des Käufers unter Marktwert ist keine unzulässige Rechtsausübung. Denn es ist Sache des Verkäufers, sein Risiko, weit unter Wert zu verkaufen, durch Eingabe eines Mindestkaufpreises zu reduzieren. Der Beklagte ist vorliegend dieses Risiko ganz bewusst eingegangen, da er das Fahrzeug für 1 € eingestellt hat und keinen Mindestverkaufspreis festgelegt hat. Dieses selbst eingegangene Risiko hat sich vorliegend durch den unberechtigten Abbruch durch den Beklagten selbst voll verwirklicht und stellt damit keine unzulässige Rechtsausübung dar. Der Beklagte hat die Ursache gesetzt und muss die Konsequenzen folgerichtig tragen.
IV. Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung des Gerichts überzeugt. Das Gericht prüft Schritt für Schritt beinahe wie in einer Examensklausur die Wirksamkeit des Vertrages. Dabei kommt es konsequent zu dem Ergebnis, dass der Kaufvertrag entgegen §§ 138 Abs. 1, 242 BGB wirksam ist. Da der Beklagte die Sache anderweitig veräußert hat, steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung zu.
V. Examensrelevanz
Die Entscheidung zeichnet insgesamt eine sehr leichte Lesbarkeit aus. Die Urteilsbegründung ist aus sich heraus sehr gut verständlich. Das gleiche gilt für die Parallelentscheidung des BGH, in der die AGB a.F. von Ebay durchgeprüft und ausgelegt werden. Daher können beide Entscheidungen gut als Vorlage für eine Examensklausur herangezogen werden.
Beide Entscheidungen haben Examensrelevanz. Zum eine muss der Bearbeiter BGB AT prüfen (Kaufvertrag bei Ebay, Anfechtung, §§ 138, 242 BGB). Zum anderen kann das AGB-Recht eingehend geprüft werden. Die Tatsache, dass eine Regelung der AGB von Ebay, die ja nicht Vertragsbestandteil zwischen den Parteien sind, zur Auslegung herangezogen wird, ist spannend. Außerdem legt der BGH eine eigentlich eindeutige Regelung, wonach Angebote, die noch länger als 12 Stunden andauern, ohne Einschränkungen abgebrochen werden dürfen, im Kontext der übrigen AGB aus. Eigentlich contra Wortlaut braucht es laut BGH doch eines berechtigten Grundes zum Abbruch. Diese höchstrichterliche Rechtsanwendung wird nicht jedem Bearbeiter ins Auge springen und ist daher besonders zur Verwendung im Examen geeignet.
Hinweis: Eine gute Zusammenfassung der Urteile findet sich bei JM (Juris Monatszeitschrift) 04, 2015 Seite 152 ff.
Das stellt Eigentumsrecht in Frage, wenn der Käufer noch vor Vertragsabschluss in der Auktion über das Eigentum des Verkäufers verfügen darf.
Wieso wurde hier §§ 437 Nr. 3 mitzitiert? Mit einem Mangel hat das doch nichts zu tun.
Du hast Recht – dabei handelt es sich um einen Fehler. Hierzu: Riem, Jus 2015, 355: „Definitiv unzutreffend ist allerdings das Zitat des § 437 Nr. 3 BGB, welches der BGH von der Vorinstanz übernommen hatte: Diese Norm ist erst ab Gefahrübergang anwendbar, dh ab der Übergabe der Kaufsache (§ 446 BGB);
zu dieser ist es aber gar nicht gekommen.“