Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sofiane Benamor, LL.B. veröffentlichen zu können. Der Autor wird demnächst im Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern tätig sein und beginnt ab kommendem Wintersemester ein Studium der Rechtswissenschaften an der Fernuniversität Hagen.
Die Störer- bzw. Verantwortlichkeitskategorien gehören zu den zentralen Begriffen des Polizei- und Ordnungsrechtes. Sie behandeln die Personen, gegen die sich die Ordnungs- und Polizeibehörden zur Gefahrenabwehr wenden können (vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 PolG NRW, §§ 13 f. ASOG Bln, explizit § 68 Abs. 1 SOG M-V). Die Verantwortlichkeit als normative Voraussetzung der Inanspruchnahme ist wesentliches Element rechtsstaatlichen Polizei- und Ordnungsrechtes. Es stellt sicher, dass nur derjenige, dem eine Gefahr zuzurechnen ist, auch in Anspruch genommen wird. Zwar ist das Gefahrenabwehrrecht typisches Landesrecht, sodass sich bundeslandspezifische Unterschiede ergeben können, wesentliche gesetzgeberische Entscheidungen sind jedoch weitestgehend bundeseinheitlich. Im Wesentlichen finden sich zwei bzw. drei Kategorien in den Polizeigesetzen:
I. Verhaltens- bzw. Handlungsstörer
II. Zustandsstörer
III. Nichtstörer
Diese sollen folgend skizziert und ihre wesentlichen Merkmale und praxis- bzw. fallrelevanten Gesichtspunkte dargestellt werden. Abschließend soll unter IV. ein kurzer Abriss der Problematik um die Auswahl bei Störermehrheit gegeben werden.
I. Verhaltens- bzw. Handlungsstörer
Bei dieser Störerkategorie ist, wie der Name bereits sagt, das Verhalten der Person maßgeblich. Dieses Verhalten kann zum einen im positiven, eigenen Tun liegen, also der aktiven Verursachung einer Gefahrenlage (z. B. dem Erzeugen nächtlichen Lärms durch Brüllen). Die Verhaltensverantwortlichkeit besteht verschuldensunabhängig, kann also einerseits Einsichtsunfähige und Betrunkene (z. B. den Betrunkenen, der nachts durch sein Liegen auf der Straße den Verkehr gefährdet) andererseits aber auch Kinder treffen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 14 (§ 17 Abs. 2 BPolG; § 4 Abs. 2 PolG NRW; § 68 Abs. 2 SOG M-V; § 13 Abs. 2 ASOG Bln) bzw. unter 16 Jahren (§ 6 Abs. 2 PolG BW) besteht daneben auch eine Zusatzverantwortlichkeit für den bzw. die Aufsichtspflichtigen. Eine solche kann auch für den Betreuer einer behinderten Person oder für den Geschäftsherrn eines Verrichtungsgehilfen bestehen (§ 69 Abs. 3 SOG M-V, § 6 Abs. 3 HSOG, § 17 Abs. 3 BPolG). Dieser Zusatzverantwortliche tritt neben den Hauptverantwortlichen, sodass beide je nach Zweckmäßigkeit in Anspruch genommen werden können.
Die Verhaltensverantwortlichkeit kann auch aus einem Unterlassen resultieren (OVG Münster, DVBl. 1979, 735; Kingreen/Poscher, POR, § 9 Rn.6). Voraussetzung hierfür sind gesetzlich normierte Handlungspflichten aus dem öffentlichen Recht (z. B. Pflicht der Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken; Straßenreinigungspflicht aus Landesrecht; vgl. auch § 10 KrWG, § 26 WHG), bzw. Pflichten aus öffentlich-rechtlichem Vertrag, Verwaltungsakt oder auch Garantenstellung. Ob zivilrechtliche Handlungspflichten ausreichen, ist umstritten und jedenfalls hinsichtlich der Pflicht zur Haltung einer Sache im ordnungsgemäßen Zustand eher abzulehnen, da ansonsten die normative Distinktion zwischen Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit unterlaufen würde (Thiel, POR, Rn. 228). Daran ändert auch die verfassungsrechtliche Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG nichts.
Regelmäßige Probleme bereiten Fälle, in denen der Gefahrzusammenhang bzw. die Gefahrverursachung des (vermeintlich) Verhaltensverantwortlichen nicht zweifellos feststeht. Zur Abgrenzung verwendet die h. M. die sog. Theorie der unmittelbaren Verursachung (Selmer, JuS 1992, 97 <98>). Danach ist das Verhalten maßgeblich, welches nach den Umständen des Einzelfalles die Gefahrengrenze überschreitet. Abzustellen ist mithin auf das letzte Glied der Kausalkette, mittelbare Verursacher scheiden damit aus. Die Gefahrenschwelle überschreitet eine Handlung, wenn sie nicht mehr denjenigen Anforderungen entspricht, die von der Rechtsordnung im Interesse eines störungsfreien Gemeinschaftslebens verlangt werden (OVG Münster, NVwZ 1985, 355 <356>). Es erfolgt also keine objektive naturwissenschaftliche, sondern eine normativ wertende Gesamtbetrachtung.
Als Korrektiv dieser Theorie wurde die Figur des Zweckveranlassers entwickelt. Hierunter ist die Person zu verstehen, welche „zwar die Gefahrengrenze überschreitet, aber nicht die zeitlich letzte Handlung vor dem Schadenseintritt vornimmt“ (Gusy, POR, Rn. 336). Er veranlasst eine Situation, in welcher durch das Verhalten anderer eine Gefahr entwickelt wird, er „fordert“ den unmittelbaren Störer „heraus“ (Schmidt, POR, Rn. 776). Die enge sachliche Nähe von Veranlassung und dem die Gefahr herbeiführenden Verhalten soll hier die Verantwortlichkeit begründen. Historisch entwickelt wurde die Figur im Schaufensterpuppenfall des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes (PrOVGE 40, 216 <217>). Der Eigentümer eines Ladens stellte diverse bewegliche Puppen in sein Schaufenster. Diese lockten viele schaulustige Passanten an, die dann Ansammlungen bildeten und mithin den Verkehr behinderten. Andere Fälle sind etwa die Vermietung von Wohnungen in Sperrbezirken gem. Art. 297 EGStGB an Prostituierte (VGH Kassel, NVwZ 1992, 1111), die Anmeldung einer potenziell unfriedlichen Demonstration (OVG Weimar, NVwZ-RR 1997, 287) oder die Einladung zu einer Facebook-Party (Klas/Bauer, K&R 2011, 533).
An dieser Rechtsfigur gibt es zahlreiche Kritik (vgl. exemplarisch Erbel, JuS 1985, 257), deren Bearbeitung jedoch den Rahmen dieses Beitrages erheblich übersteigen würde.
II. Zustandsstörer bzw. -verantwortlichkeit
Die Zustandsverantwortlichkeit als Ausfluss der Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG stellt im Gegensatz dazu auf die tatsächliche Sachherrschaft oder Eigentum an einer Sache, die wiederum Gefahren verursacht, ab (§ 18 BPolG; § 70 SOG M-V; § 7 PolG BW; § 5 PolG NRW; § 14 ASOG Bln). Es kommt hier also nicht darauf an, ob der Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt etwas für den Gefahrenzustand der betreffenden Sache kann oder diesen (schuldhaft oder unschuldhaft) verursacht hat, sondern nur auf die objektiven Gefahren, die von der Sache ausgehen. Klassische Anwendungsfälle für die Zustandsverantwortlichkeit sind der Baum auf einem Privatgrundstück, der auf die Straße (und damit auf Passanten) zu fallen droht oder der um sich beißende Hund.
Die Eigentümereigenschaft ist akzessorisch zu den Wertungen des bürgerlichen Rechts (Götz, POR, § 9 Rn. 55). Eigentümer ist somit, wer nach den Vorschriften des BGB Eigentum an einer Sache hat. Bei gemeinschaftlichem Miteigentum ist jeder Eigentümer eigenständig verantwortlich. Die Verantwortlichkeit des Eigentümers entfällt allerdings, wenn der Inhaber der tatsächlichen Welt diese ohne den Willen des Eigentümers oder des Nutzungsberechtigten ausübt (§ 18 Abs. 2 S. 2 BPolG, § 5 Abs. 2 S. 2 PolG NRW, § 14 Abs. 2 S. 2 ASOG Bln, § 7 Abs. 2 S. 2 HSOG). Dies kann durch typische Fallkonstellationen wie Diebstahl und Unterschlagung, aber auch durch hoheitliche Beschlagnahme (z. B. Pfändung) geschehen.
Nicht beendet wird die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers jedoch durch Dereliktion gem. §§ 928, 959 BGB. Hier regeln die Polizeigesetze explizit, dass diese auch nach der Dereliktion weiterhin besteht (vgl. § 18 Abs. 3 PolG BW; 5 Abs. 3 PolG NRW; § 14 Abs. 4 ASOG Bln; § 6 Abs. 3 BremPolG; § 70 Abs. 3 SOG M-V). Der Derelinquierende soll sich seiner Verantwortung nicht einfach durch Eigentumsaufgabe entziehen können.
Die andere Form der Zustandsverantwortlichkeit ist die des Inhabers der tatsächlichen Gewalt, also der tatsächlichen Sachherrschaft. Die tatsächliche Gewalt bzw. Sachherrschaft ist ein polizeirechtseigener Begriff, der zwar ähnlich, aber nicht völlig deckungsgleich mit dem zivilrechtlichen Besitzbegriff ist (Götz, § 9 Rn. 51), da er keinen Besitzbegründungswillen erfordert und nach der Verkehrsauffassung zu bestimmen ist. Er wird jedoch in aller Regel zum selben Ergebnis führen. Beispiele für diese Kategorie sind Mieter, Pächter und Verwahrer, aber auch Insolvenz- und Konkursverwalter.
III. Inanspruchnahme des Nichtstörers
Unter gewissen, sehr engen Voraussetzungen können auch Personen, die weder Verhaltens- noch Zustandsstörer bzw. Verantwortliche sind, in Anspruch genommen werden (§ 71 SOG M-V; § 20 BPolG, § 6 PolG NRW; § 9 PolG BW; § 16 ASOG Bln; § 7 BremPolG). Man spricht in diesem Zusammenhang vom polizeilichen Notstand. (Pieroth/Schlink/Kniesel, § 9 Rn. 74). Erforderlich ist hier eine Gefahr, die gegenwärtig und zumeist auch erheblich sein muss. Weiterhin ist die Inanspruchnahme des nichtverantwortlichen Dritten subsidiär zu anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr. Das bedeutet sowohl, dass die Gefahr weder durch Inanspruchnahme des Verhaltens- noch Zustandsstörer, noch durch die Behörde selbst gebannt werden kann. Die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen ist insoweit „doppelt subsidiär“ (Gusy, Rn. 384). Bei der Wahl und Ausprägung der Maßnahme muss die Behörde zudem darauf achten, dass diese sich auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt und so wenig invasiv wie möglich ist. Außerdem steht dem Nichtstörer ein öffentlich-rechtlicher Ausgleichsanspruch zu (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Bln; § 56 Abs. 1 Satz 1 BremPolG; § 72 Abs. 1 SOG M-V; § 67 PolG NRW; § 55 Abs. 1 PolG BW).
Klassische Beispiele für diese Konstellation sind die sog. Obdachlosenfälle, in denen die Ordnungsbehörde eingreift, um drohende Obdachlosigkeit zu verhindern oder bestehende Obdachlosigkeit (auch nur temporär) zu beenden (vgl. OVG Berlin, NVwZ 1991, 692; VGH München, BayVBl. 1991, 114). Hier wird der Eigentümer der bereits bewohnten oder einer unbewohnten Wohnung als Nichtstörer in Anspruch genommen, da eine Inanspruchnahme des tatsächlichen Störers – hier des Obdachlosen – nicht erfolgsversprechend ist. Da allerdings auch hier die Nachrangigkeit der Inanspruchnahme des Nichtstörers gilt, muss sich die Ordnungsbehörde zunächst bemühen, andere Unterkünfte für den (potenziell) Obdachlosen zu finden (Schmidt, Rn. 837).
Weiterhin in der Praxis bedeutsam sind Fälle auf dem Gebiet des Versammlungsrechtes, in denen die Teilnehmer einer Demonstration zwar friedlich agieren, eine Gefahr jedoch von der Gegendemonstration zu erwarten ist. Hier ist das Verhältnis der potenziellen Maßnahmen zueinander jedoch komplexer, da die Notstandsverantwortung z. B. durch Auflagen oder ggf. auch ein Totalverbot der gefährlichen Demonstration (vgl. § 15 Abs. 1 VersG) teilweise vermieden werden kann (BVerfG, NVwZ 2000, 1406). Hier ist auch zu prüfen, ob der Demonstrationsanmelder nicht bereits als Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden kann.
IV. Polizei- und ordnungsbehördliche Störerauswahl
In vielen Fällen wird es nicht nur einen, sondern mehrere Verantwortliche geben, die zur Abwehr der Gefahr in Anspruch genommen werden können. Gerade die aufgezeigten Zusatzverantwortlichkeiten bei der Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit oder die sog. Doppelstörer, die sowohl verhaltens- als auch zustandsverantwortlich sind, geben den zuständigen Behörden zur Gefahrenabwehr die Möglichkeit der individuellen Auswahl. Diese Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. § 12 ASOG Bln, § 14 SOG M-V, § 3 PolG NRW; § 3 PolG BW; § 4 Abs. 1 BremPolG; § 16 BPolG). Sie hat dabei Entschließungs- und Auswahlermessen. Bei „besonders hoher Intensität der Störung oder Gefährdung“ (BVerwGE 11, 95 <97>) oder „besonders schweren Gefahrenfällen“
(BVerwG, DÖV 1969, 465) kann dieser Ermessensspielraum eingeschränkt sein. Zentrales und entscheidendes Kriterium bei der Störerauswahl ist der gefahrenabwehrrechtliche Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr, dass sich die Behörde also an denjenigen wendet, der die Gefahr am schnellsten und effektivsten beseitigen kann (Schmidt, Rn. 816). So ist im Verhältnis Mieter (als Inhaber der tatsächlichen Gewalt) und Eigentümer der Mieter als Anwesender, sofort Handlungsfähiger eher in der Lage, einen losen Ziegelstein vom Dach des Hauses zu entfernen als der entfernt wohnende Eigentümer. Andersherum wird sich die Behörde an den Eigentümer wenden, wenn es um bestimmte Handlungen geht, die dem Mieter aus mietvertraglichen bzw. eigentumsrechtlichen Gründen verboten sind, er dazu also rechtlich nicht in der Lage ist. In der Literatur finden sich darüber hinaus vermehrt Faustformeln für die Inanspruchnahme, etwa „Verhaltensverantwortlicher/Handlungsstörer vor Zustandsstörer“ oder „Doppelstörer vor einfachem Störer“ (Thiel, Rn. 305). Die Tauglichkeit solcher Faustformeln ist umstritten (Vgl. Schoch, JURA 2012, 685 <688>). Es wird hier zu raten sein, eine wertende Gesamtbetrachtung der jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen.
Schlagwortarchiv für: Polizeirecht
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Daniel Dräger veröffentlichen zu können. Der Autor studiert an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und ist in Berlin in einer großen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft tätig.
Terrorismusbekämpfung zwischen Pritzwalk und der Niederlausitz:
Ein Einführungsbeitrag zum neuen Polizeigesetz in Brandenburg
I. Hintergrund
Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vom 19. Dezember 2016 durch Anis Amri zieht Brandenburg als weiteres Bundesland[1] nach im Reigen um die größte Verschärfung der Polizeigesetze der letzten Jahrzehnte. Die teils noch nicht mal abgeschlossenen Anschlagsuntersuchungen durch Kontrollgremien[2], Sonderermittler[3]und Untersuchungsausschüsse[4] in NRW, Berlin sowie auf Bundesebene hatten ergeben, dass Lücken in der Sicherheitsarchitektur den Anschlag erst ermöglichten. Die Politik fand recht schnell die ultimative Lösung der Probleme: neue und tiefer eingreifende Befugnisse für Polizei und Nachrichtendienste. Den ersten Schritt machte – auch noch unter den zusätzlichen Eindrücken der Anschläge in Würzburg[5] und Ansbach[6]– Bayern 2017 mit einer Reform seines PAG, dessen Medienecho[7] weit über die Grenzen des Freistaats hinaus vernehmbar war.
Mit Gesetz vom 01.04.2019 (GVBI. I 2019, Nr. 3 S. 1) reformiert nun auch Brandenburg sein Polizeigesetz[8], um der laut Gesetzentwurf „angespannten Terror- und Gefährdungslage“[9] zu begegnen. Es ist gegenüber seinen süddeutschen Pendants in einigen Teilen abgemildert, erweitert aber die Befugnisse der Polizei- und Ordnungsbehörden gegenüber Bürgern trotzdem deutlich spürbar. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet dabei die wichtigsten, examensrelevanten Änderungen.
II. Was ist neu? Das Wichtigste in Kürze zuerst
- neuer Abschnitt 1a (§§ 28a – 28e[10]) zur Abwehr von Gefahren des Terrorismus,
Vorverlagerung von- Befragungsrecht & Auskunftspflicht
- Identitätsfeststellung & erkennungsdienstlichen Maßnahmen
- Ingewahrsamnahme bis zu 4 Wochen
- erstmals überhaupt: die Aufenthaltsvorgabe
- Ausweitung der Schleierfahndung
- Meldeauflagen als Standardmaßnahme
- Einsatz von Bodycams
- neue formelle Rechtmäßigkeit für Observationen
- Erweiterung der Öffentlichkeitsfahndung
- erstmals Einsatz von Sprengmitteln
III. Was hat es nicht ins Gesetz geschafft?
- kein Staatstrojaner/Online-Durchsuchungen, aber auf Bundesebene (§ 49 BKAG)
- keine elektronische Fußfessel
IV. Die Reform im Detail
1. Abwehr der Gefahren des Terrorismus, §§ 28a ff.
Kernstück der Gesetzesreform sind die Ausweitung und Vorverlagerung der polizeirechtlichen Eingriffsbefugnis im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung. Der neue Abschnitt 1a (§§ 28a bis 28e) setzt niedrigschwellige, speziellere und damit vorgehende Eingriffsbefugnisse zu den Standardmaßnahmen der § 11 ff.
a) Geltungsbereich, § 28a Abs. 1
In § 28a Abs. 1 wird zunächst ein eigener Geltungsbereich für die nachfolgenden Befugnisse festgelegt. Darin wird die klassische Abwehr von (konkreten) Gefahren des Terrorismus und die Verhütung von Straftaten genannt. Zentraler Bezugspunkt ist dabei § 129a StGB der in seinen Abs. 1 und Abs. 2 StGB jenen Katalog terroristischer Straftaten ausrollt, auf den § 28a Abs.1 verweist; v.a. §§ 211 f. StGB, §§ 239a f. StGB oder §§ 306 ff. StGB. Die Taten müssen zudem dazu bestimmt sein, (Nr. 1) die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern oder (Nr. 2) eine Behörde/eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder (Nr. 3) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, Landes oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen. Zusätzlich muss die Art der Begehung oder die Tatauswirkungen ein Staat, Land oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Erstaunlich ist hierbei, dass der brandenburgische Gesetzgeber für die Regelung des Anwendungsbereichs dynamisch auf eine Norm des StGB und damit des Bundesgesetzgebers verweist. Letzterer hätte es folglich in der Hand durch Gesetzänderung damit auch gleichzeitig das Landesrecht zu ändern, was im Lichte von föderal-abgegrenzter Gesetzgebungszuständigkeit, Gewaltenteilung, Wesentlichkeitsgrundsatz und Parlamentsvorbehalt kritisch zu sehen ist.[11]
b) Ausweitung der Eingriffsbefugnisse der §§ 11 ff., § 28b
In § 28b finden die Standardmaßnahmen der §§ 11 ff. eine Vorverlagerung bzw. Ausweitung. Die Rechtsvoraussetzungen der ersten drei Maßnahmenbündel sind gestuft. Absatz 3 Satz 2 setzt dann einheitlich die Voraussetzungen aller nachfolgenden Datenerhebungsmaßnahmen.
c) Aufenthaltsvorgabe und Kontaktverbot, § 28c
Die Aufenthaltsvorgabe enthält sowohl Maßnahmen des (allbekannten) Aufenthaltsverbots als auch des Aufenthaltsgebots, eine in Land wie Bund völlig neue Polizeimaßnahme. Zur Gefahrenabwehr oder Verhütung von § 28a-Straftaten kann einer Person untersagt werden, sich (ohne polizeiliche Erlaubnis) aus einem bestimmten Bereich (z.B. Wohn- oder Aufenthaltsort) zu entfernen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Person prognostisch in Zukunft eine § 28a-Straftat begehen wird. Die Prognose wird bejaht, wenn (a) bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen oder (b) das individuelle Verhalten der verdächtigen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person in Zukunft auf eine konkretisierte Art eine § 28a-Straftat begehen wird. Die nicht unerhebliche Eingriffsintensität des Aufenthaltsgebots wird teilweise[12]als unverhältnismäßig betrachtet.
Unter den gleichen Voraussetzungen kann die Polizei auch einer Person den Kontakt mit bestimmten Personen(-gruppe) untersagen (Kontaktverbot). Die Maßnahme steht unter Richtervorbehalt (Abs. 3) und ist auf den erforderlichen Umfang beschränkt (Abs. 4); max. 3 Monate möglich (+ Verlängerung). Zur besonderen Verschärfung trägt auch bei, dass die Zuwiderhandlung einer Anordnung des § 28c nach § 28e mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe pönalisiert wird.
d) Ingewahrsamnahme, § 28d
Wenn es unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung/Fortsetzung einer § 28a-Straftat zu verhindern, kann die Polizei eine Person in Gewahrsam (vgl. § 17) nehmen. Eine Zuwiderhandlung gegen die Aufenthaltsvorgabe oder das Kontaktverbot, durch die der Anordnungszweck gefährdet wird, kann hierfür bereits ausreichen.
2. Ausweitung der Schleierfahndung, § 12 Abs. 1 Nr. 6
Bisher galt, dass die Schleierfahndung nur in dem 30 km tiefen Korridor diesseits der deutsch-polnischen Bundesgrenze möglich war. Die Reform erweitert jetzt die Einsatzgebiete der Schleierfahndung um sämtliche Bundes- und Europastraßen sowie öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs (womit erstaunlicherweise laut Gesetzentwurf[13] Park-/Rastplätze und Autohöfe gemeint sind). Diese erhebliche Ausweitung einer Befugnis, die sich ausdrücklich des Wortlauts der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität zum Zweck gesetzt hat, wurde unter anderem mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung begründet. Dabei ist die zeitliche und örtliche Ausweitung europa- wie verfassungsrechtlich kritisch zu sehen. Dies schon deshalb, weil sie anlass- und verdachtslos auch Nichtstörer betrifft.
3. Meldeauflagen, § 15a
Bisher wurden Meldeauflagen, vor allem bei bekannten Hooligans mit Wiederholungsgefahr, stets auf die Generalklausel des § 10 Abs. 1 gestützt, was zumindest in Teilen der Literatur[14] durchaus kritisch gesehen wurde. Insofern ist die Einführung als Standardmaßnahmein das BbgPolG zunächst unkritisch zu sehen. Bedenklich ist jedoch die Absenkung der Voraussetzungsschwelle. Nunmehr ist die Meldeauflage nach Abs. 1 bereits zur Verhütung von Straftaten (ohne Anfangsverdacht oder Gefahr) zulässig. Kritisch zu sehen ist auch die zeitliche Grenze von einem Monat (sowie Verlängerung um je einen Monat, Abs. 2 S. 1 und 2).
4. Sicherstellung, § 25 Abs. 2
Die Pfändung von Forderungen und sonstigen Vermögensrechtenkann nun unter den Voraussetzungen des Abs. 1 (der dem § 25 a.F. entspricht),zur Sicherstellung angeordnet werden. Damit soll Buchgeld genauso sichergestellt werden können, wie Bargeld. Voraussetzung ist also z.B. die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr im Moment der Sicherstellung und für jeden nachfolgenden Moment der Sicherstellung (vgl. § 28 Abs. 1 S. 1). Die gegenwärtige Gefahr liegt nach h.L. und laut Gesetzentwurf[15] vor, wenn ein zu erwartender Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit bejaht werden kann. Ob die Sicherstellung von Buchgeld wirklich ein geeignetesMittel ist, darf hinterfragt werden.
5. Einschränkung der Datenerhebung, § 29 Abs. 6
In § 29 Abs. 6 S. 1 wird die Erhebung von personenbezogener Daten für den Kernbereich privater Lebensgestaltung beschränkt. Damit wird die BVerfG-Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen. Ausnahmen gelten für Betriebs- und Geschäftsräume sowie für Äußerungen und Handlungen mit unmittelbarem Bezug zu einer dringenden Gefahr.
6. Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen usw., § 31 Abs. 2
Neben der rein redaktionellen Änderung des S. 1 wurden die Speicherfristen in S. 3 deutlich ausgeweitet. Das bei der Beobachtung und Aufzeichnung öffentlicher Straßen und Plätze gespeicherte Material muss in Zukunft statt nach 48 Stunden erst nach zwei Wochen gelöscht werden. Die längere Datenspeicherung soll laut Gesetzesentwurf der Verfolgungsvorsorge dienen, was einige Stimmen[16] als repressiv-polizeiliche Maßnahme eher der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuordnen würden.
7. Erweiterte Datenerhebung durch Bodycams, § 31a
Schon bisher galt, dass die Polizei (zum Zwecke der Eigensicherung) bei Personen- oder Fahrzeugkontrollen Bild- und Tonaufnahmen und –aufzeichnungen (u.U. auch personenbezogene Daten von Dritten) durch den Einsatz technischer Mittel in Polizeifahrzeugen herstellen konnte. Nach dem neu gefassten Abs. 2 können nun auch Bild-/Ton- aufnahmen/-aufzeichnungen durch den Einsatz körpernah getragener technischer Mittel (Bodycams) herstellen. Voraussetzung ist, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zum Schutz von Polizeivollzugsbeamten/-innen oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit erforderlich ist. Eingeschränkt wird die Bodycam-Befugnis für befriedetes Besitztum das nicht Wohnzwecken dient, wie Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen. Hier sind Aufnahmen nur zulässig, wenn die Gefahr dringend ist. Gänzlich unzulässig sind Aufnahmen (1) in Wohn- und Nebenräumen sowie (2) in Bereichen zur Ausübung der Tätigkeit von Berufsgeheimnisträgern i.S.d. §§ 53, 53a StPO.
Die Maßnahme selbst stellt einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar und wird vor allem wegen des anlasslosen pre-recording (ein, sich nach je 60 Sekunden stetig automatisch überschreibender Bereitschaftsbetrieb im Zwischenspeicher) in Abs. 2 S. 4 bis 7 skeptisch gesehen. Kritisiert wird die Neuerung auch mangels vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Bodycams (Geeignetheit).[17] Die Löschungsfrist wurden zudem von einem Tag auf zwei Wochen merklich erweitert (Abs. 1 S. 4).
8. Verlängerte kurzfristige Observation & Verfahren bei längerfristiger Observation, § 32
Bisher galt für die voraussetzungsärmere kurzfristige Observation(§ 32 Abs. 4 S. 1) eine Höchstdauer von durchgehend 24 Stunden oder 2 (Kalender-)Tagen. Die Zeitgrenzen wurden erhöht auf 48 Stunden bzw. 3 Tage. In diesem Punkt wird das Brandenburger Polizeigesetz zum ersten Mal schärfer als sein süddeutschen Gegenstücke. Darüber hinaus wurde der längerfristigen Observation (§ 32 Abs. 1 S. 1) ein Richtervorbehalt eingefügt (bei Gefahr im Verzug durch den/die Behördenleiter/-in mit unverzüglicher richterlicher Bestätigung).
9. Formelle Rechtmäßigkeit bei der Datenerhebung nach §§ 33, 34 und 35
Relativ identisch werden die Verfahrensvorschriften des § 33 Abs. 2 (verdecktes Abhören, Fotografieren auf Filmen) des § 34 Abs. 2 (Einsatz von V-Leuten) sowie des § 35 Abs. 5 (Einsatz verdeckter Ermittler) neu geregelt. Alle drei Maßnahmen (der § 33-Einsatz nur, wenn durchgehend über 48h/3d) werden unter Richtervorbehalt gestellt bzw. dürfen nur noch bei Gefahr im Verzug durch den Behördenleiter (mit unverzüglich nachzuholender richterlichen Bestätigung) angeordnet werden.
10. Erweiterung der Öffentlichkeitsfahndung, § 44 Abs. 2
Personenbezogene Daten und Abbildungen einer Person können zur Ermittlung der Identität, des Aufenthaltsorts oder zur Warnung öffentlich bekannt gegeben werden. Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person muss dafür dringend sein und die Maßnahme unerlässlich (§ 44 Abs. 2 Nr. 1). Alternativ ist die Öffentlichkeitsfahndung zur Straftatverhütung möglich, wenn es sich um eine erhebliche Straftat (i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 1) handelt und die Verhütung auf keine andere Weise möglich ist (§ 44 Abs. 2 Nr. 2).
11. Weitere Änderungen in Kürze
- die Grundrechtseinschränkungen in § 8 werden in Nr. 3 um die Versammlungsfreiheit ergänzt
- die Definition der erheblichen Straftaten (jetzt nach § 100a Abs. 2 StPO) und der besonders schweren Straftaten (jetzt nach § 100c Abs. 2 StPO) des § 10 Abs. 3 S. 1 und 2 wird geringfügig verändert
- das Verfahren zur Befragung nach § 11 Abs. 3 S. 3 wurde geringfügig geändert: Die Anordnung erfolgt nun durch den/die Behördenleiter/-in bzw. Vertretung
- die formelle Rechtmäßigkeit wurde geringfügig geändert: für die Wohnungsüberwachung in § 33a Abs. 4 S. 7 und für die Überwachung der Telekommunikation in § 33b Abs. 5 S. 7
- Dokumentationspflicht bei der automatischen Kfz-Kennzeichenfahndung, § 36a Abs. 1 S. 2, veränderte Berichtspflicht nach Abs. 3
- erstmals ist der Einsatz von Explosivmitteln nach § 69 gegen Personen als unmittelbarer Zwang zur Terrorabwehr möglich, wenn die Angreifer Schuss- bzw. Kriegswaffen i.S.d. § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG gebrauchen, andere Mittel erfolglos sind und die Gefährdung Unbeteiligter ausgeschlossen werden kann.
Weitere Links zum Nachlesen und Nachhören
- https://polizeigesetz.brandenburg.de/polg/de/was-hat-sich-geaendert%3f/
- https://www.deutschlandfunk.de/neue-polizeigesetze-in-den-bundeslaendern-mehr-befugnisse.724.de.html?dram:article_id=444777
- https://www.landtag.brandenburg.de/media_fast/5701/Stellungnahme%20Prof.%20Arzt%20Polizeigesetz%20%28003%29.pdf
- https://www.amnesty.de/informieren/positionspapiere/deutschland-stellungnahme-zur-einfuehrung-einer-bodycam-durch-einen#_ftn6
(zum Polizeigesetz in Sachsen)
[1]BY, B-W, HE, R-P, S-A und NRW haben bereits reformiert; in S wird es zum 1.1.2020, in NDS am 1.6.2019 in Kraft treten; in B, S-H und M-V diskutieren zurzeit; HH und SL planen noch; in BR wurde ein Gesetzentwurf abgelehnt; nur TH will nichts verändern.
[2]https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/125/1812585.pdf
[3]https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/weitere-informationen/abschlussbericht-bruno-jost.pdf
[4]https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/30-000-Menschen-protestieren-gegen-das-Polizeiaufgabengesetz-id51076681.html; https://www.nopagby.de/
[5]https://www.zeit.de/2016/31/anschlag-in-wuerzburg-islamischer-staat
[6]https://www.spiegel.de/panorama/bayern-explosion-in-ansbacher-innenstadt-ein-toter-a-1104496.html
[7]Kommentatoren sprechen sogar vom schärfsten Polizeigesetz seit 1945 (https://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/expertenrat/nocun/expertenrat-katharina-nocun-bayern-koennte-das-schaerfste-polizeigesetz-seit-1945-bekommen/21254002.html).
[8]https://www.landesrecht.brandenburg.de/dislservice/public/gvbldetail.jsp?id=8071; https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/03/polizeigesetz-brandenburg-landtag-abstimmung-linke-spd-schroeter.html
[9]Bbg-Drucks. 6/9821, Gesetzesentwurf d. LandesReg., S. 1
[10]Alle nachfolgenden §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BbgPolG.
[11]Weitere Kritikpunkte: Arzt in seiner Stellungnahme zur Reform des BbgPolG vom 7.1.2019, S. 24 ff.
[12]Klageschrift von Prof. Dr. Dr. Ino Augsberg an BayVerfGH zum BayPAG vom 26.03.2018, S. 59 ff.
[13]Bbg-Drucks. 6/9821, S. 7
[14]z.B. Behnsen, NordÖR 2013, 1/2 ff.; Trute, Verwaltung 2013, 537/545 ff.
[15]Bbg-Drucks. 6/9821, S. 11
[16]Arzt a.a.O., S. 13 f.
[17]Dazu auch Amnesty International zum Sächs. PolG unter B. II.: https://www.amnesty.de/informieren/positionspapiere/deutschland-stellungnahme-zur-einfuehrung-einer-bodycam-durch-einen#_ftn6
Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Judith Blohm zu veröffentlichen. Die Autorin hat Ende 2016 das erste Staatsexamen in Hamburg erfolgreich abgelegt und ist ab Januar 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei LUTHER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. In ihrem Beitrag befasst sie sich mit der Problematik, die Betriebs- und Geschäftsräumen im Rahmen der Prüfung des Art. 13 GG aufwerfen.
I. Schutzbereich des Art. 13 I GG
In sachlicher Hinsicht schützt Art. 13 I GG die Privat- und Intimsphäre im räumlichen Bereich der Wohnung und ist daher besonderer Ausdruck des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde.
Wohnung ist dabei grundsätzlich jeder Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zum Ort seines Lebens und Wirkens bestimmt. Umfasst sind also zB auch Keller, Hotelzimmer und Wohnmobil, nicht dagegen das Auto oder die Gefängniszelle (weil der Insasse nicht selbst die Zugänglichkeit bestimmt).
Auch juristische Personen können eine Wohnung iSd. Art. 13 GG haben, sind also gem. Art. 19 III GG vom persönlichen Schutzbereich erfasst.
Problematisch ist jedoch, ob auch Betriebs- und Geschäftsräume vom Schutzbereich erfasst sind:
1. Ansicht:
Historisch wolle Art. 13 GG den Einzelnen im Familienkreis schützen, für Betriebs- und Geschäftsräume sei der Schutzbereich also nicht eröffnet; das Grundrecht sei vielmehr nur auf private Wohnräume sowie Geschäftsräume, die tatsächlich auch zu Wohnzwecken genutzt werden, anwendbar.
2.Ansicht: (Pieroth/Schlink, Kingreen/Poscher: Grundrechte Staatsrecht II, 30. Aufl. 2014, Rn 950; 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG: BVerfG, NJW 2003, 2669, https://www.jurion.de/Urteile/BVerfG/2003-04-28/2-BvR-358_03):
Betriebs- und Geschäftsräume seien grundsätzlich vom Schutzbereich erfasst, dies aber nur soweit, wie sie für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Für auf unkontrollierten Zugang angelegte Geschäftsräume (z.B. Einkaufspassage, Kaufhaus) soll während der Öffnungszeiten also kein Schutz durch Art. 13 I GG bestehen, da der Wohnungsinhaber während der Öffnungszeiten auf diesen verzichtet habe. Zu schützen seien nur dem unkontrollierten öffentlichen Zutritt generell entzogene Räume oder Geschäftsräume außerhalb der regulären Öffnungszeiten.
3. Ansicht (BVerfGE 32, 54, https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv032054.html):
Betriebs- und Geschäftsräume seien immer erfasst, da auch das Wirken und die berufliche Entfaltung geschützt würden; eine Differenzierung der Schutzintensität nach Art der Räume solle erst auf der Eingriffs- sowie ggf. der Rechtfertigungsebene erfolgen.
Streitentscheid:
Für die erstgenannte Ansicht spricht zunächst, dass der Wortlaut des Begriffes „Wohnung“ nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Beschränkung auf private Wohnräume nahe legt. Daneben wird von den Vertretern dieser Ansicht darauf verwiesen, dass die Ausdehnung des Schutzbereiches auf Betriebsstätten und der damit verbundene Schutz juristischer Personen nicht mit dem personalen Gehalt des Art. 13 I GG zu vereinbaren sei.
Bedenkt man allerdings, dass Art. 13 I GG die Wohnung vor allem im Hinblick auf die dort stattfindende Persönlichkeitsentfaltung schützt und persönliche Entfaltung in starkem Maße auch in den dem Beruf gewidmeten Räumen stattfindet, ist zumindest die zuerst genannte Ansicht als zu strikt abzulehnen.
Aus klausurtaktischer Sicht ist es empfehlenswert, der Auffassung des BVerfG, derzufolge Betriebs- und Geschäftsräume immer erfasst sind, zu folgen, um im Rahmen des Eingriffs die folgende Problematik erörtern zu können.
II. Eingriff:
Ein Eingriff in Art. 13 GG liegt vor bei körperlichem und nichtkörperlichem Eindringen in die Wohnung.
Es wird differenziert zwischen „Durchsuchen“ (Art. 13 II GG), dies liegt vor bei zielgerichtetem Suchen und Erforschen und sonstigen Maßnahmen, insbesondere Betreten (Art. 13 VII GG), welches durch Hineingehen und Verweilen und damit verbundene unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen und Sachen erfüllt wird.
Auch bei der Prüfung des Eingriffs stellt sich, vorausgesetzt die Eröffnung des Schutzbereichs wurde wie oben bejaht, wieder das Problem der Betriebs- und Geschäftsräume:
Der weite Schutzbereich hat Auswirkungen auf die Qualifikation staatlicher Maßnahmen als Grundrechtseingriff. Geschäfts- und Betriebsräume genießen während der Geschäftsöffnungszeiten nicht dieselbe Schutzbedürftigkeit wie Privaträume. Da bei öffentlich zugänglichen Betriebs- und Geschäftsräumen der Inhaber seine Räume „nach außen“ geöffnet habe, empfinde er ein Betreten und Prüfen iRe behördlichen Nachschau nicht als Eingriff in sein Hausrecht iSv. 13 VII GG.
Voraussetzungen behördlicher Betretungs- und Besichtigungsrechte bei Betriebs- und Geschäftsräumen sind also:
- Es muss eine besondere Rechtsgrundlage für das Betreten vorhanden sein. Dabei muss es sich um ein Gesetz handeln, Satzungen sind keine ausreichende Rechtsgrundlage.
- Dieses Gesetz muss Zweck, Umfang und Gegenstand der behördlichen Besichtigung regeln.
- Das Betreten muss einem erlaubten Zweck dienen und für diesen erforderlich sein.
- Die Maßnahme muss auch insgesamt verhältnismäßig sein.
Nach dem BVerfG (BVerfGE 32, 54, https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv032054.html) stellt ein Betreten während der Öffnungszeiten wenn obengenannte Voraussetzungen erfüllt sind schon gar keinen Eingriff in Art. 13 GG dar.
Es ist jedoch nach den einzelnen Maßnahmen zu differenzieren – ein Durchsuchen stellt immer einen Eingriff dar und kann nur nach Maßgabe von Art. 13 II GG geschehen. Das Betreten außerhalb der normalen Geschäftszeiten stellt ebenfalls einen Eingriff dar und muss die Voraussetzungen des Art. 13 VII GG erfüllen.
Im Folgenden ist dann unter Umständen noch ein Verstoß gegen Art. 2 I GG zu prüfen.
III. Fazit:
In praktisch jeder öffentlich-rechtlichen Klausur spielen die Grundrechte eine wichtige Rolle. Eine intensive Aufbereitung der jeweiligen grundrechtlichen Prüfung ist daher zwingend notwendig.
Speziell Art. 13 GG ist auch aufgrund der Überschneidungen zu anderen Rechtsgebieten sowie der sich immer noch entwickelnden Rechtsprechung ein für Prüfer interessantes Thema. Gerade in eine polizeirechtlich gelagerte Prüfung lassen sich Geschäfts- und Betriebsräume gut integrieren:
Die Voraussetzungen für die präventive Durchsuchung sowie das Betreten von Wohnungen sind (für Hamburg) in den §§ 16, 16a HmbSOG geregelt. Die oben aufgeführte Lösung ist dort insofern kodifiziert, dass der Begriff der „Wohnung“ ausdrücklich auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume erfasst.
§ 16 V HmbSOG gestattet das Betreten zum Zwecke der Gefahrenabwehr während der Arbeits-, Betriebs-, Geschäfts- oder Öffnungszeit, sowie in der Zeit, zu der sich Kunden, Arbeitnehmer oder andere Personen dort aufhalten (§ 16 V 1 HmbSOG), solange die Räume nicht für einen sachlich und personell eng abgegrenzten Personenkreis bestimmt und Vorkehrungen getroffen sind, die andere am Betreten hindern (§ 16 V 2 HmbSOG).
Die Voraussetzungen für eine repressiven Zwecken dienende Durchsuchung sind in den §§ 102 ff. StPO geregelt. In §§ 102, 103 StPO ist zwar nur die Wohnung explizit genannt, „andere Räume“ sollen jedoch auch erfasst sein. § 105 II StPO bezieht ausdrücklich auch die Geschäftsräume ein.
In Kooperation mit juraexamen.info stellt jur:next (Dein Partner für juristischen Einzelunterricht, Nachhilfe & Coaching; www.jurnext.de) jeweils ein Urteil des Monats aus den drei Rechtsgebieten vor. Diskutiere im Kommentarfeld direkt mit anderen die Entscheidung.
Einführung in die Thematik
Probleme um das „Abschleppen“ finden sich nicht nur im Öffentlichen, sondern auch im Zivilrecht. Im Zivilrecht drehen sich die Fälle um das Auffinden der richtigen Anspruchsgrundlagen (der BGH wählt § 823 II iVm § 868 BGB) und die einzelnen Schadensposten (was bekommt der Kläger ersetzt?). Auch im Öffentlichen Recht gehören die Fälle längst zum Standardrepertoire eines angehenden Juristen. Entscheidend für eine gute Klausur ist der richtige Einstieg in den Fall. In welcher Station steckt das Verfahren? Danach geht es in das Landesrecht, dort insbesondere in die Vorschriften zur Vollstreckung. Die Entscheidung des Gerichts greift das Abschleppen aus einer anderen Richtung auf. Hier wurde zum Schutz des Eigentums abgeschleppt.
Entscheidung des Gerichts
Was war passiert, im Fall des SächsOVG (NJW 2016, 181 f.)?
Die Polizeidirektion hatte den PKW des Klägers von einem Abschleppunternehmen zum Zwecke der Eigentumssicherung abschleppen lassen, da auf der hinteren rechten Seite des Fahrzeugs das Fenster nicht verschlossen war. Zuvor hatten die Polizeibeamten erfolglos versucht, die Telefonnummer des Klägers zu ermitteln, um ihn zu benachrichtigen. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Kostenbescheid gerichtete Klage abgewiesen. Ebenso das OVG.
Im Grunde geht das Gericht davon aus, dass es sich um eine Sicherstellung handelt:
„Rechtsgrundlage für eine Sicherstellung nach dem Polizeigesetz ist § 26 Abs. 1 SächsPolG. Danach kann die Polizei eine Sache sicherstellen, wenn dies erforderlich ist, um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung der Sache zu schützen. Entstehen der Polizei durch die Sicherstellung, Verwahrung oder Notveräußerung Kosten, so ist der Eigentümer oder der rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach § 29 Abs. 1 Satz 3 SächsPolG zum Ersatz verpflichtet.“
Soweit handelt es sich um keine neue Erkenntnis. Geübte Bearbeiter von „Abschleppkonstellationen“ erkennen schnell, dass es sich um einen Fall der Sicherstellung handelt. Dann wird unter die entsprechende Landesnorm subsumiert. Interessant sind aber die Parallelen, welche das Gericht zur Geschäftsführung ohne Auftrag zieht:
„Bei der Sicherstellung zum Schutz des Eigentums wird die Polizei für den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt tätig. Ihrem Wesen nach ist sie vergleichbar mit der Geschäftsführung ohne Auftrag i. S. v. § 677 ff. BGB. Die Sicherstellung zur Eigentumssicherung ist folglich zulässig, wenn sie dem objektivierten mutmaßlichen Willen des Berechtigten entspricht. Ob sie vom Betroffenen tatsächlich gebilligt wird, ist hingegen unerheblich. Ob diese Voraussetzungen für eine Sicherstellung vorliegen, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.“
Die Rechtsprechung behandelt die abschleppenden Staatsdiener großzügig:
„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Sicherstellung im Eigentümerinteresse schon dann erforderlich, wenn der Polizei andere Maßnahmen, die den Zweck der Sicherstellung ebenso erreichen würden, nicht ohne weiteres möglich sind. Demzufolge ist die Polizei regelmäßig nicht verpflichtet, zunächst den Halter oder für die Beseitigung des Fahrzeugs sonst Verantwortlichen zu ermitteln. Solche Ermittlungen führen meist zu nicht absehbaren zeitlichen Verzögerungen, die mit dem Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr durch die Polizei und zudem nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht vereinbar sind.“
Doch liegt eine solche Gefahr bei einem nicht abgeschlossenen Fenster tatsächlich vor? Stellt Euch die Frage mal selbst: Ihr vergesst das Fenster Eures Autos zu schließen. Die Polizei kommt und lässt abschleppen. Im Anschluss erhaltet ihr einen Leistungsbescheid in Höhe von 200 Euro. Was meint Ihr? Ist das gerecht?
Das Gericht rekurriert auf die Umstände des Einzelfalls:
„Ob die im Interesse des Eigentümers vorgenommene Sicherungsmaßnahme verhältnismäßig ist, hängt davon ab, wie hoch im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls des Fahrzeugs, eines Diebstahls von Gegenständen aus dem Fahrzeug oder einer Beschädigung des Fahrzeugs ist, wenn die Sicherstellung unterbleibt. Hierbei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. Sie ist auf der Grundlage der der Polizei zum Zeitpunkt ihres Handelns zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen, wobei unter anderem die voraussichtliche Dauer der die Möglichkeit eines Schadenseintritts erhöhenden Umstände, der Abstellort sowie der Wert eines Fahrzeuges zu berücksichtigen sind.“
Dazu fehlten hier die Angaben im Sachverhalt. Unter dem Strich zeigt sich aber auch hier eine Tendenz pro staatliche Fürsorge.
Auswirkungen auf das Examen
In einer Examensklausur wird gerne abgeschleppt. Die Verzahnungen zwischen Polizei- und Ordnungsrecht sowie Verwaltungsvollstreckungsrecht schaffen ansehnlichen Prüfungsstoff. Weil das allgemein bekannt ist, braucht jemand, der weiter hinaus will, Spezialkenntnisse. Diese werden durch das Studium der Rechtsprechung vermittelt. Die Entscheidung des OVGs fordert zweierlei: Aufzeigen des Spielraums für den Abschlepper samt Schlüsselwörter (Parallele GoA etc.) sowie eine saubere Subsumtion!
Du suchst Erfolg und Spaß im Jurastudium und hervorragenden juristischen Einzelunterricht (Nachhilfe & Coaching) auf Augenhöhe? Weitere Informationen dazu findest Du auf www.jurnext.de.
Eine aktuelle Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zum Polizei- und Ordnungsrecht beschäftigt sich mit der Störereigenschaft.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde (nach Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 06.08.2015): Die rechtsextremistische Gruppierung „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland e.V.“ (keine Satire!) veranstaltete am 23.02.2013 – anknüpfend an die alliierten Luftangriffe auf Pforzheim am 23. Februar 1945 – auf dem Wartberg in Pforzheim eine angemeldete „Mahnwache“. Zu der Veranstaltung waren verschiedene Gegendemonstrationen angemeldet. Das „Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit“ hatte der Stadt Pforzheim vorab mitgeteilt, es werde an an diesem Tag mit „Demonstrationsbeobachtern“ präsent sein, die durch ihre besondere Kleidung erkennbar seien. Diese verstünden sich nicht als Versammlungsteilnehmer, sondern wollten das Demonstrationsrecht schützen und dazu das Verhalten aller Beteiligten beobachten und dokumentieren.
Am Tag der Veranstaltung bewegte sich aus einer angemeldeten Gegendemonstration der „Initiative gegen Rechts“ ein Aufzug mit ca. 300 bis 400 Personen in Richtung Wartberg. Dieser Aufzug löste sich nach den Feststellungen der Polizei in teilweise vermummte kleine Gruppen auf, die einzelne Polizeisperren umgingen oder teils mit Brettern, Flaschen und Steinen attackierten. Eine Gruppe bewegte sich zu einer Wiese, auf der die Polizei einen Bauzaun errichtet hatte, jenseits dessen eine Störung der Versammlung des FHD möglich gewesen wäre. Die Gruppe versuchte den Bauzaun zu durchbrechen. Dabei wurde sie von der Polizei eingekreist. Die Polizei gab mit Lautsprecher bekannt, die innerhalb der Umkreisung gebildete spontane Versammlung habe durch Stein- und Flaschenwürfe sowie Einsatz von Pyrotechnik einen unfriedlichen Verlauf genommen und werde daher endgültig aufgelöst; es würden nun „von allen“ die Personalien festgestellt. Ein Polizeibeamter traf die Klägerin, die mit einer hellblauen Weste mit der in Leuchtschrift gehaltenen Aufschrift „Demo-Beobachterin“ bekleidet war, am Rand der eingekreisten Gruppe an und nahm ihre Personalien auf. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass diese polizeiliche Maßnahme rechtswidrig war. Dies blieb in erster Instanz ohne Erfolg.
Lösung des VGH
Der VGH hat dies bestätigt (Entscheidung vom 10.3.2015 – 1 S 1225/14).
Das Versammlungsrecht ist „polizeifest“, d.h. es ist für die Abwehr versammlungstypischer Gefahren abschließend. Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer können nur auf Grundlage des Versammlungsrechts ergriffen werden. Da hier die Versammlung bereits aufgelöst worden war und die Klägerin zudem ohnehin nicht an ihr teilgenommen hatte, konnte die Polizei auf Grundlage des allgemeinen Polizeirechts handeln. Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung war damit § 26 PolG Ba-Wü (vgl. etwa auch § 12 PolG NRW). Abzugrenzen wäre diese Ermächtigungsgrundlage in der Klausur noch von § 163 b StPO, wonach die Polizei zur Strafverfolgung die Identität des Verdächtigen (§ 163 b Abs. 1 StPO) und anderer Personen (§ 163 b Abs. 2 StPO) feststellen darf.
Problematisch war im vorliegenden Fall insbesondere die Störereigenschaft der Klägerin. Der VGH bejahte sie: Die Klägerin sei Verhaltensstörerin. Die Polizei habe die Klägerin aufgrund der Gesamtumstände und der Nähe der Klägerin zur umschlossenen unfriedlichen Versammlung als Gefahrverursacherin ansehen dürfen. Die Klägerin habe sich ursprünglich in der von der Polizei eingekreisten Versammlung befunden. Als sie von dem Polizeibeamten angesprochen worden sei, habe sie sich nach wie vor in einem sehr engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu unfriedlichen Aktionen aufgehalten, die vorher aus der Gruppe verübt worden seien. Allein aufgrund ihrer Kleidung und ihrer Bezeichnung als „Demonstrationsbeobachter“ habe sie sich nicht erkennbar von der Gefahrenquelle distanziert.
Quelle: Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 06.08.2015, Entscheidung im Volltext liegt noch nicht vor
Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Julien Lindner veröffentlichen zu können.
In einer am Samstag veröffentlichten Pressemitteilung gab die Bremer Polizei bekannt, dass ihr seit Freitagabend Hinweise auf eine erhöhte Gefährdung durch islamistische Gewalttäter vorlagen (s. aktuelle Presse). Als Reaktion auf die gesteigerte Gefährdungslage hatte die Bremer Polizei verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgten. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die ergriffenen polizeilichen Maßnahmen und deren rechtliche Voraussetzungen gegeben werden.
I. Ingewahrsamnahme von Personen
Die Frage, ob die Polizei zur Gefahrenabwehr (präventiv) oder zur Strafverfolgung (repressiv) tätig wird, entscheidet nicht nur über den Rechtsweg (§ 23 EGGVG), sondern auch darüber, welche Ermächtigungsgrundlage für das polizeiliche Handeln in Betracht kommt. Die (vorläufige) Ingewahrsamnahme einer Person kann sowohl auf Polizeigesetze (etwa § 15 BremPolG) als auch auf die Strafprozessordnung (§§ 112, 127 StPO) gestützt werden. Ob das Schwergewicht vorliegend auf dem Gefahrenabwehr- oder auf dem Strafverfolgungszweck lag, war den Presseberichten nicht zu entnehmen. Letzteres könnte etwa durch einen Anfangsverdacht einer Strafbarkeit nach den neu geschaffenen §§ 89a, 89b, 91 StGB begründet sein, zumal diese Tatbestände die Strafbarkeit auf den Bereich der Vorbereitungshandlungen ausdehnen (und hierfür viel Kritik erfahren haben, s. etwa Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling, NStZ 2009, 593). Zu denken ist insofern auch an § 129a StGB. Allerdings wurden entsprechende Straftaten in der Presse nicht erwähnt, sodass wohl eher von einer die Gefahrenabwehr bezweckenden Ingewahrsamnahme auszugehen ist. Diese findet ihre Grundlage in der Standardermächtigung des § 15 BremPolG. Der Tatbestand setzt zunächst das Bestehen eines Gewahrsamsgrundes voraus. Vorliegend ist dabei an den sog. Verhinderungsgewahrsam, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BremPolG, zu denken. Demnach darf die Polizei „eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerläßlich ist […] zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr, […]“. In Betracht kommt eine Begehung der o. g. Delikte sowie Körperverletzungs- und Tötungsdelikte. Unmittelbares Bevorstehen ist gleichzusetzen mit dem Begriff der gegenwärtigen Gefahr, das heißt der jederzeitigen Möglichkeit bzw. der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 11. Aufl. 2014, § 35 Rn. 7, § 8 Rn. 13). Der Tatbestand setzt zudem die Unerlässlichkeit der Ingewahrsamnahme für die Verhinderung voraus. Dem Merkmal fehlt eine konstitutive Wirkung, es geht vielmehr vollständig im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, namentlich dem Erforderlichkeitserfordernis, auf; es verdeutlicht die grundrechtliche Bedeutsamkeit der Ingewahrsamnahme, welche einen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 Abs. 1 (Freiheitsbeschränkung) bzw. Abs. 2 (Freiheitsentziehung) GG darstellt. Gem. § 16 BremPolG bedarf es einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung. Aus Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG folgt darüber hinaus, dass jede präventivpolizeiliche Ingewahrsamnahme spätestes mit Ablauf des Tages nach der Ingewahrsamnahme enden muss (R. Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, 2006, § 16 Rn. 2).
II. Überprüfung und Beschattung von Personen
In der Pressemitteilung der Bremer Polizei war auch von Überprüfungen von Personen die Rede. Was damit gemeint ist, ist nicht ganz klar. Zu denken ist dabei zum einen an die Befragung von Personen sowie an Gefahrerforschungseingriffe, das heißt Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts zwecks Erhärtung eines Gefahrenverdachts. Zum anderen könnte hierunter auch die (vorübergehende) Observation von Personen zu verstehen sein. Richtige Ermächtigungsgrundlage für Gefahrerforschungseingriffe ist nach ganz herrschender Meinung die polizeirechtliche Generalklausel, hier: § 10 BremPolG (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 86 ff.). Hiernach muss die Maßnahme notwendig sein, um „eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren“. In § 2 Nr. 3 lit. a BremPolG ist die Gefahr legal definiert als „eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird“. Für den Gefahrerforschungseingriff soll dagegen bereits das Vorliegen eines Gefahrenverdachts genügen, also eine Sachlage in der eine Gefahr nach objektiven Anhaltspunkte lediglich möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich erscheint (R. Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, 2006, § 10 Rn. 12, § 2 Rn. 63). Die öffentliche Sicherheit ist in § 2 Nr. 2 BremPolG legal definiert als „die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt“. Bei terroristischen Anschlägen dürfte die Verletzung jedes der genannten Schutzgüter in Betracht kommen. Hinsichtlich der oben unter I. genannten Straftaten ist an eine Verletzung der Rechtsordnung zu denken. Die körperliche Unversehrtheit von Personen unterfällt zudem dem Schutzgut der „subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen“. Bemerkenswert ist, dass selbst die Generalklausel das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzt. Die polizeilichen Maßnahmen in Bremen machen daher deutlich, dass die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière proklamierte „abstrakte hohe“ Gefahr nun doch eine konkrete geworden ist. Für die Befragung genügt gem. § 13 BremPolG bereits, dass „von der [befragten Person] Angaben zur Aufklärung eines Sachverhalts in einer bestimmten polizeilichen Angelegenheit erwartet werden können“. Sie ist abzugrenzen von der strafprozessualen informatorischen (Zeugen-)Befragung einerseits sowie der Vernehmung des Beschuldigten gem. §§ 163 f. StPO (setzt Anfangsverdacht voraus) andererseits.
Sofern mit Überprüfung eine Überwachung von Personen im Sinne einer Observation zum Zwecke der Gefahrenabwehr gemeint ist, findet diese ihre Ermächtigungsgrundlage in § 32 BremPolG. Was die formelle Rechtmäßigkeit einer Observation betrifft, sind in § 27 BremPolG grundsätzliche Anforderungen an eine präventivpolizeiliche Datenerhebung geregelt. Gem. § 32 Abs. 3 BremPolG darf die Polizei weniger als 24 Stunden dauernde Observationen (kurzfristige Observationen) durchführen, „soweit dies zum Zwecke der Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 [BremPolG]) erforderlich ist und wenn ohne diese Maßnahme die Erfüllung der polizeilichen Aufgabe gefährdet würde“. Eine solche kurzfristige Observation wäre der hier naheliegende Fall. Die Formulierung in § 32 Abs. 3 BremPolG ist allerdings fragwürdig, da sie auf eine Aufgabenzuweisungsnorm verweist (R. Schmidt, Bremisches Polizeigesetz, 2006, § 32 Rn. 13). Jedenfalls erfüllt eine konkrete Gefahr (s. o.) diese Voraussetzung.
III. Durchsuchungen von Wohnungen und Vereinsgebäuden
Zunächst muss wiederum zwischen präventivem und repressivem Polizeihandeln unterschieden werden. Geht man wiederum davon aus, dass es für die Verfolgung von Straftaten vorliegend noch am erforderlichen Anfangsverdacht fehlt, so ist nicht auf § 102 StPO, sondern auf die Standardermächtigung für die Durchsuchung von Wohnungen, § 21 BremPolG, abzustellen. Hiernach darf die Polizei „eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn
[…]
dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr erforderlich ist“. Durch das Voraussetzen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr, wird der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 13 GG Rechnung getragen. Bei einer gegenwärtigen Gefahr handelt es sich nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 3 lit. b BremPolG um „eine Sachlage, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht“. Erheblich ist gem. § 2 Nr. 3 lit. d BremPolG eine „Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut, wie Bestand des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit oder nicht unwesentliche Vermögenswerte“. Durchsucht wurde nach Mitteilung der Bremer Polizei auch das IKZ, ein islamisches Kulturzentrum. Fraglich ist, ob auch ein solches Vereinsgebäude im Lichte des Art. 13 GG als Wohnung i. S. d. § 21 BremPolG zu verstehen ist. Nach § 21 Abs. 1 S. 2 BremPoG umfasst die Wohnung „die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum“. Unter einem befriedeten Besitztum ist insbesondere ein bebautes Grundstück zu verstehen (vgl. Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 11. Aufl. 2014, § 35 Rn. 7, § 41 Rn. 8). Demnach stellt auch das Vereinsgebäude als befriedetes Besitztum eine Wohnung i. S. d. § 21 BremPolG dar. Für Wohnungsdurchsuchungen ordnet § 22 BremPolG abgesehen von Fällen von Gefahr im Verzug zudem einen Richtervorbehalt an.
IV. Erhöhte Präsenz schwer bewaffneter Polizisten, insbesondere zum Schutz jüdischer Gemeinden
Fraglich ist, ob die erhöhte Polizeipräsenz überhaupt einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, oder ob insofern das Bestehen einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung an die Polizei (§ 1 BremPolG) genügt. Letzteres wäre nach allgemeiner Auffassung der Fall, sofern eine den Bürger rechtlich belastende Wirkung nicht besteht (Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 36). So liegt der Fall grundsätzlich bei der bloßen Präsenz von Polizisten im öffentlichen Raum, zum Beispiel bei Polizeistreifen. Gleichwohl könnte man hier aufgrund der schweren Bewaffnung und der hohen Zahl der Polizisten, die sich über längere Zeit an einem Ort aufhalten, an einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, der betroffenen Bürger, etwa der Anwohner, denken. Dann wäre wohl jedenfalls die Generalklausel des § 10 BremPolG als Ermächtigungsgrundlage einschlägig.
Sachverhalt
Innerhalb der in Deutschland fast bespiellos gespaltenen Fanszene des Vereines und Fußballclubs Aachener Turn- und Sportverein Alemannia 1900 e. V. (kurz: Alemannia Aachen) gibt es auch durchaus solche Fangruppierungen, die nicht nur eine unterschiedliche Fanzugehörigkeit, sondern auch eine divergierende politische Einstellung zum Anlass nehmen, Gewalt gegenüber Fußballfans anderer Vereine oder sogar der des „eigenen“ Vereines anzuwenden. Insbesondere die Gruppe „Alemannia Supporters“ gerät dabei fortwährend in das Rampenlicht der Medienberichterstattung sowie der Polizei, nachdem es bereits im Dezember 2011, im Verlaufe des Heimspieles der Alemannia gegen Erzgebirge Aue, zu gewaltsamen Übergriffen auf die Fangruppen der „Aachen Ultras“ (ACU) gekommen ist.
So kam es auch im Rahmen des Auswärtsspieles der Alemannia Aachen bei Preußen Münster am 16.03.2013 in der dritten deutschen Fußball-Liga (Anmerkung: Das Spiel endete 4:1 für Preußen Münster) abermals zu tätlichen Ausschreitungen zwischen verschiedenen Fanlagern, wobei dies größtenteils von eigens mit zwei Bussen angereisten Mitgliedern der „Alemannia Supporters“ ausging. Unmittelbare Folge dieser Ausschreitungen war, dass die Polizei dies zum Anlass nahm gegenüber sämtlichen betroffenen Fans, die mehrheitlich Mitglieder oder zumindest unmittelbare Unterstützer dieser Fangruppierung sind, ein Aufenthaltsverbot für die restlichen Heimspiele der Alemannia Aachen innerhalb der Saison 2012/2013 anzuordnen. Die ausgesprochenen Aufenthaltsverbote hat das Verwaltungsgericht Aachen mit noch nicht veröffentlichen Beschlüssen vom 26.04.2013 (Az.: 4 L 162/13 und andere) bestätigt.
Rechtliche Würdigung
In der aus rechtlichen Gesichtspunkten durchaus interessanten Hauptsache ist zunächst festzustellen, dass es sich hierbei um eine Anfechtungssituation handelt, da sich die betroffenen Fans gegen das von der Polizei ausgesprochene Aufenthaltsverbot wenden, welches unproblematisch einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 I VwVfG darstellt. Angesichts des am 23.11.2012 gestellten Insolvenzantrages der abstiegsbedrohten Alemannia hat sich das Aufenthaltsverbot, das für die restlichen Heimspiele der noch laufenden Saison gilt, im Übrigen noch nicht erledigt, denn der Spielbetrieb wurde bislang noch nicht eingestellt und es ist im Übrigen auch zu erwarten, dass die restlichen Heimspiele dennoch stattfinden werden. Die Durchsetzung der Regelung ist damit nicht sinnlos geworden, sodass die rechtliche Beschwer des Aufenthaltsverbotes erhalten bleibt.
Die Prüfung der Begründetheit hält im Grunde lediglich zu Beginn eine Tücke parat, denn so erfordert jeder Eingriff in die (Grund-)Rechte des Bürgers, im Sinne des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes (abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 III GG), eine hinreichende Rechtsgrundlage. Offensichtlich scheiden spezialgesetzliche Rechtsgrundlagen aus, sodass lediglich das Polizeigesetz NRW eine solche Rechtsgrundlage vorsehen könnte.
Zu denken wäre zunächst an eine sogenannte Standardmaßnahme gemäß § 34 I PolG NRW (Platzverweisung), wonach die Polizei eine Person, zur Abwehr einer Gefahr (siehe § 8 PolG NRW), von einem Ort verweisen oder ihr das Betreten eines Ortes verbieten kann. Nach dem Wortlaut des § 34 I PolG NRW ist ein solches Verbot des Aufenthalts an einem Ort jedoch nur vorübergehend zu erteilen, was in etwa der typischen Dauer eines Hilfs- oder Rettungsdienst-Einsatzes entsprechen dürfte und auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden sein kann, führt man sich hier vor Augen, dass das Aufenthaltsverbot für die Dauer mehrerer Heimspiele ausgesprochen wurde.
Bevor man sich zur Heranziehung einer Rechtsgrundlage auf die Generalklausel des § 8 I PolG NRW stürzt und das Aufenthaltsverbot damit als atypische Maßnahme der Gefahrenabwehr behandeln will, womit eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich wäre, sollte jedoch § 34 II PolG NRW nicht übersehen werden. Demnach kann es einer Person für eine bestimmte Zeit verboten werden, einen örtlichen Bereich im Sinne des § 34 II 2 PolG NRW zu betreten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person in eben diesem Bereich eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Vor diesem Hintergrund könnte es hier problematisch sein, ob die Polizeibehörde mit der angeordneten Maßnahme auf Tatbestandsebene überhaupt rechtmäßig gehandelt hat, denn so erging im Hinblick auf die vorangegangenen Vorfälle im März 2013 pauschal gegenüber jedem dabei anwesenden Fan ein solches Aufenthaltsverbot, unabhängig von der Feststellung, ob tatsächlich eine Beteiligung an der Auseinandersetzungen oder eine Mitgliedschaft bei der Gruppe „Alemannia Supporters“ nachgewiesen werden kann. Obwohl es an diesem Tag zu tätlichen Auseinandersetzungen und damit auch zu Straftaten gekommen ist, sollte es gerade gegenüber mitreisenden Fans, die zumindest nicht direkt der gewaltbereiten Fangruppierung angehören, fraglich sein, ob eine derart angestellte Vermutung den Voraussetzungen des § 34 II PolG NRW entspricht und diesen so unterstellt werden kann, auch in Zukunft bei Spielen der Alemannia für tätliche Auseinandersetzungen zu sorgen oder zumindest hierzu beizutragen.
Von daher liegt hier der Schwerpunkt dieses Falles verborgen, denn an dieser Stelle ist eine besonders fundierte Begründung anzustellen, auf die aber leider nicht hinreichend eingegangen werden kann, da die Veröffentlichung des Beschlusses noch nicht vorliegt. Das VG Aachen stellte diesbezüglich jedenfalls klar, dass es in Bezug auf die angeordnete Maßnahme schon ausreiche, der Gruppe vom 16.03.2013 bloß angehört zu haben, ohne dabei unmittelbar als Mitglied der „Alemannia Supporters“ zu gelten. Demnach sei es also allein ausschlaggebend, wenn auch nur mittelbar bereits dem Umfeld dieser gewaltbereiten Fangruppierung zugerechnet werden zu können, da ein solcher Fan sich dennoch mit dieser Gruppe auf den Weg gemacht habe, um eine gewalttätige Auseinandersetzung mit der Polizei und den gegnerischen Fans zu suchen. Im Übrigen müsse für Mitglieder und unmittelbare Unterstützer der „Alemannia Supporters“ ein solcher Maßstab erst recht angelegt werden.
Des Weiteren ist zu beachten, dass es sich bei § 34 II PolG NRW um eine Maßnahme handelt, deren Erlass im Ermessen der zuständigen Behörde steht, womit die bekannte Problematik der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens zu diskutieren wäre. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass der Erlass einer solchen Maßnahme im Rahmen der Erforderlichkeit an gewisse Grenzen bzw. besonders hervorgehobene Verhältnismäßigkeitsvorbehalte gebunden ist: Nach § 34 II 3 PolG NRW ist die Maßnahme zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken, wobei gemäß § 34 II 4 PolG NRW die Dauer von drei Monaten nicht überschritten werden darf. Da das letzte Heimspiel der Alemannia Aachen voraussichtlich am 11.05.2013 gegen den VfB Stuttgart II stattfinden wird, sind zumindest die zeitlichen Grenzen des Aufenthaltsverbotes unproblematisch eingehalten. Auch der örtliche Umfang des Aufenthaltsverbotes dürfte hier letztlich keine Schwierigkeiten bereiten, sofern es sich auf das unmittelbare Umfeld des Stadions sowie die An- und Abfahrtswege der Fans bezieht.
Bewertung
Die in der Vergangenheit vermehrt aufgekommene und zum größten Teil auch undifferenziert geführte Diskussion zum Thema „Gewalt bei Fußballfans“ sollte – unabhängig vom eigenen Empfinden – für einen Studenten der Rechtswissenschaften nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hierin auch ein Potenzial für mögliche Anfänger- oder Examensklausuren verbirgt. Dem aufmerksamen Student sollte daher ans Herz gelegt werden, sich auch für die Vorgänge innerhalb der sogenannten „Dritten Halbzeit“ und nicht nur für das Geschehen auf dem Fußballplatz zu interessieren. Insbesondere im Polizeirecht lassen sich aktuelle Ereignisse unproblematisch zu Klausuren verarbeiten.
In dieser Sache bleibt zur weiteren Erläuterung die Veröffentlichung dieses Beschlusses abzuwarten, wobei insbesondere die Begründung für ein pauschales Aufenthaltsverbot genau begründet werden müsste, um nicht alle Fußballfans unter den Generalverdacht der Gewaltbereitschaft derart abzustrafen, ohne auf die tatsächlichen Geschehnisse einzugehen und die bloße mittelbare Zugehörigkeit zu einer gewissen Fangruppierung ausreichen zu lassen. Zwar mag ein solches Vorgehen der Polizei zweckmäßig erscheinen, doch ist es hier mehr als fraglich, ob solche einschneidenden Sanktionen, die im Übrigen einen Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 II 2; Art. 104 I GG) darstellen, einzig durch eine bloße Gruppenzugehörigkeit zu rechtfertigen sind. Die Welt des Fußballs darf kein rechtsfreier Raum sein – und dies muss für beide Seiten gelten, auch für den Staat.
Das OVG des Landes Schleswig-Holstein hatte am 26.1o.2012 einen im polizeirechtlichen Kontext durchaus examensträchtigen Sachverhalt zu beurteilen (Az. 4 MB 71/12). In der Sache ging es um die Rechtmäßigkeit eines per sog. Allgemeinverfügung erlassenen Verbots des Beisichführens bzw. Konsumierens von alkoholischen Getränken, Glasflaschen und pyrotechnischen Gegenständen in Regionalzügen zu einem Fußballspiel.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Bundespolizei sah sich aufgrund des Regionalligaspiels zwischen den Mannschaften von Borussia Dortmund II und Hansa Rostock veranlasst die eingangs erwähnte Allgemeinverfügung zu erlassen. Das Verbot erfasst alle Fahrgäste auf der Regionalzugverbindung von Rostock über Hamburg, Bremen, Wunstorf und Minden nach Dortmund. Die Bundespolizei stützt sich bei der Begründung des Verbots auf ihre jüngsten Erfahrungen mit sog. Problemfans des F.C. Hansa Rostock, die bei der An- und Abreise zu anderen Spielen regelmäßig an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt waren, bei denen gegnerische Fans, Polizeibeamte und Unbeteiligte mit Flaschen und pyrotechnischen Gegenständen beworfen worden seien. Die Alkoholisierung von Fans habe dabei zur Eskalation beigetragen.
Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht hatte den Eilantrag des Fußballfans abgelehnt. Allein der Besitz von Alkohol sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts für polizeiliche Maßnahmen (z.B. am Vatertag) zwar grundsätzlich noch nicht ausreichend. Allerdings liege hier aber wegen der besonderen örtlichen Situation in Zügen und der Erfahrungen mit den Problemfans des F.C. Hansa Rostock wohlmöglich eine Ausnahme vor. Nach summarischer Prüfung gelangte das entscheidende Gericht daher zu dem Ergebnis, dass das Interesse am Vollzug des Alkoholverbots bzw. Verbots der aufgeführten Gegenstände, welches der Abwehr von Gefahren von menschlichem Leib und Leben dient, Vorrang vor den Interessen des Antragsstellers hat.
Das OVG Schleswig hat die Beschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, da die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts zutreffend erfolgt sei. Unter Berücksichtigung der mit alkoholisierten und randalierenden Fahrgästen in Zügen verbundenen Gefahrenlage spreche nach Auffassung des OVG im Übrigen viel dafür, dass das hier verfügte Alkoholverbot rechtmäßig sei.
Rechtliche Würdigung
Die entscheidenden Gerichte hatten sich vorliegend, soweit bislang ersichtlich, lediglich mit der Rechtmäßigkeit des Alkoholverbots auseinanderzusetzen, da die übrigen Regelungsgegenstände vom Antragssteller nicht angegriffen wurden. Im Rahmen einer gutachterlichen Prüfung wird man als Rechtskandidat allerdings in der Regel alle Regelungsgegenstände auf ihre Rechtmäßigkeit zu untersuchen haben.
Bevor man mit der gutachterlichen Prüfung des Falles beginnt, sollte man sich zunächst vergegenwärtigen, dass die Allgemeinverfügung von der Bundespolizei erlassen wurde. Eine taugliche Ermächtigungsgrundlage hat man daher im Bundespolizeigesetz (BPolG) zu suchen, wobei man im Rahmen der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit ebenfalls stets die bundesgesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschriften zitieren muss.
Auch wenn vorliegend ausdrücklich die Bezeichnung „Allgemeinverfügung“ seitens der Polizeibehörde verwendet wurde, sollte man bei der Prüfung der statthaften Klage- bzw. Antragsart dennoch einige Worte zur Rechtsqualität der in Frage stehenden polizeilichen Maßnahme verlieren. Zur Beantwortung der Frage, ob es sich vorliegend um einen VA handelt, kann § 35 VwVfG Bund herangezogen werden. Fraglich ist hier einzig, ob es sich um eine Einzelfallregelung handelt, da sich das Verbot an eine Vielzahl von Personen richtet. Es könnte sich folglich bei der Verfügung um eine adressatenbezogene, konkret-generelle Maßnahme i.S.v. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG Bund handeln, die sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Der Einzelfallbezug der Maßnahme ließe sich vorliegend aus dem Umstand herleiten, dass sich das Alkoholverbot auf den bestimmbaren Kreis derjenigen Personen bezieht, die sich innerhalb des Geltungszeitraums im räumlichen Wirkungsbereich der Verbotsverfügung aufhalten. Angesichts der relativ kurzen Geltungsdauer und dem hinreichend abgrenzbaren räumlichen Geltungsbereich ist der geregelte Sachverhalt konkret genug, um von einer Einzelfallregelung auszugehen. Wäre dies nicht der Fall, hätte die Regelung abstrakt-generellen Charakter und müsste daher als Gefahrenabwehrverordnung qualifiziert werden, zu deren Erlass die Polizeibehörden des Bundes mangels tauglicher Ermächtigungsgrundlage allerdings nicht befugt sind.
Als Ermächtigungsgrundlage kommt vorliegend § 14 Abs. 1 BPolG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BPolG in Betracht.
§ 14 Allgemeine Befugnisse
1) Die Bundespolizei kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den §§ 1 bis 7 die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht dieses Gesetz die Befugnisse der Bundespolizei besonders regelt.
(2) Gefahr im Sinne dieses Abschnitts ist eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Bereich der Aufgaben, die der Bundespolizei nach den §§ 1 bis 7 obliegen. Eine erhebliche Gefahr im Sinne dieses Abschnitts ist eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut, wie Bestand des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit, wesentliche Vermögenswerte oder andere strafrechtlich geschützte Güter von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit.
[…]
§ 3 Bahnpolizei
(1) Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die
1. den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder
2. beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen.
[…]
Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst neben Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen die Veranstaltungen und Einrichtungen des Staates und anderer Hoheitsträger sowie die Gesamtheit der objektiven Rechtsordnung. Durch die zu befürchtenden alkoholbedingten Ausschreitungen drohen Verletzungen von Personen, sodass zunächst Rechtsgüter des Einzelnen betroffen sind, namentlich Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG). Die objektive Rechtsordnung ist wegen der drohenden Verwirklichung der §§ 229, 223 Abs. 1 ff., 303 StGB tangiert. Stellt man ferner in Rechnung, dass auch Polizeibeamte möglicherweise zum Angriffsziel der Randalierer werden, so droht dem Polizeieinsatz und damit einer staatlichen Veranstaltung ebenfalls eine Gefahr.
Die von der Bundespolizei gewählte Handlungsform des VA darf nur zur Anwendung kommen, wenn eine konkrete Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit vorliegt. Im Gegensatz zu Gefahrenabwehrverordnungen, die lediglich das Vorliegen einer abstrakten Gefahr voraussetzen (siehe dazu hier), bedarf es für den vorliegenden Einzelfall einer hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit für eines der genannten polizeilichen Schutzgüter.
Eine konkrete Gefahr liegt vor bei einem Lebenssachverhalt, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an polizeirechtlich geschützten Gütern führt. Der Gefahrenbegriff setzt eine Prognose im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts voraus, wobei das zu erwartende Schadensausmaß Berücksichtigung finden muss. Dabei gilt: Je größer das Ausmaß des Schadens, umso geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und die zeitliche Nähe des Schadenseintritts zu stellen. Maßgeblich ist dabei die ex-ante Perspektive eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Beamten. Anknüpfungspunkt der Prognoseentscheidung kann auch das polizeiliche Erfahrungswissen sein. Danach müsste man das Vorliegen einer konkreten Gefahr bejahen, wenn statistische Beobachtungen der Vorjahre belegen, dass gewaltsame Ausschreitungen zwischen den Fangruppierungen maßgeblich durch den massiven Konsum von alkoholischen Getränken begünstigt worden sind. In ähnlich gelagerten Konstellationen haben einige Verwaltungsgerichte auf § 19 GastG gestützte Alkoholausschankverbote aufrechterhalten (so etwa VG Düsseldorf, Beschluss v. 22.10.2009, Az. 12 L1623/09).
Fazit
Vorliegend lässt sich das Vorliegen einer konkreten Gefahr durch das bloße Mitführen bzw. Konsumieren alkoholischer Getränke allerdings mit guten Gründen verneinen, da zwischen dem Verzehr alkoholischer Getränke und etwaigen gewaltsamen Ausschreitungen regelmäßig noch ein freier Willensentschluss liegt. In derartigen Konstellationen einer mittelbaren Gefahrenursache darf ein Verhalten nur dann Anknüpfungspunkt polizeilicher Verfügungen sein, wenn es automatisch zu einem Schadenseintritt für polizeiliche Schutzgüter führt. Hier wird allerdings ein Verhalten verboten, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit typischerweise in eine konkrete Gefahr mündet, also die „Gefahr einer Gefahr“ begründet. Ein solcher Zustand ist jedoch gerade kennzeichnend für eine sog. abstrakte Gefahr, der nur im Wege einer Polizeiverordnung begegnet werden darf. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes (Stichwort: keine Vorwegnahme der Hauptsache; Interessenabwägung; s. dazu umfassend hier) ist das Ergebnis des OVG Schleswig-Holstein indes durchaus vertretbar. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren bleibt insoweit abzuwarten.
Der VGH Baden-Württemberg hat entschieden, dass das gezielte Ansprechen von Frauen auf Schwangerschaft oder Abtreibung in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (sog. „Gehsteigberatung“) durch unbekannte Dritte weiterhin verboten bleibt (Urteil vom 19.10.2012 – Az. 1 S 915/11). Die „Gehsteigberatung“ verletze aller Voraussicht nach das allgemeine Persönlichkeitsrecht der angesprochenen Frauen, so der VGH Baden-Württemberg.
Sachverhalt
Die Stadt Freiburg hat im zugrunde liegenden Fall dem Kläger (einem gemeinnützigen Verein) mittels einer sofort vollziehbaren Untersagungsverfügung und unter Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 250 €, verboten, in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle Personen auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen. Der Verein (Kläger) hat zunächst – ohne Erfolg – einstweiligen Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung ersucht. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Klage im Hauptsacheverfahren ebenfalls abgewiesen. Der VGH bestätigte nunmehr – nachdem in der Berufungsverhandlung zahlreiche Zeugen angehört wurden – dieses Urteil.
Rechtliche Würdigung
Man wird zunächst bei der gutachterlichen (Begründetheits)Prüfung der Klage untersuchen müssen, auf welche Ermächtigungsgrundlage die Behörde ihre Untersagungsverfügung stützen konnte. Dabei sollte vorliegend nicht voreilig auf die polizeiliche bzw. ordnungsbehördliche Generalklausel rekurriert werden. Vielmehr sollte zunächst geprüft werden, ob entsprechende Vorschriften des Landesstraßenrechts einschlägig sind (die Landesstraßengesetze finden Sie hier). Nach Maßgabe der straßenrechtlichen Vorschriften kann die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Straßenbenutzung anordnen, wenn und soweit die Straße ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis benutzt wird (vgl. etwa § 22 Satz 1 StrWG NRW). Die landesrechtlichen Vorschriften des Straßenrechts legen fest, dass eine über den Gemeingebrauch der Straße hinausgehende Sondernutzung einer behördlichen Erlaubnis bedarf. Der Gemeingebrauch wird regelmäßig dahingehend definiert, dass der Gebrauch der öffentlichen Straßen jedermann im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen gestattet ist. Öffentliche Straßen sind nur Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen „Verkehr“ gewidmet sind (vgl. § 2 Abs. 1 StrWG NRW). Der klassische Verkehrsbegriff erfasst dabei nach allgemeinem Verständnis die Benutzung zum Zwecke der Ortsveränderung bzw. Fortbewegung von Menschen und Sachen, einschließlich des ruhenden Verkehrs. In Fußgängerbereichen umfasst dies auch sonstige verkehrsbezogene Nutzungen, wie etwa das bloße Herumstehen oder Ausruhen auf einer Bank. Allerdings wird nunmehr auch dem kommunikativen Aspekt des Gemeingebrauchs Rechnung getragen. Danach sind insbesondere Fußgängerzonen nicht nur zur Fortbewegung bzw. zum kurzzeitigen Verweilen bestimmt, sondern dienen auch dazu, Fußgängern die Möglichkeit zum Austausch und Verbreiten von Informationen und Meinungen zu geben. Das bloße Verteilen von Flugblättern und Ansprechen von Passanten wird dabei im Lichte von Art. 5 Abs. 1 GG generell als Gemeingebrauch gewertet. Gleiches gilt mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 GG für das Verbreiten religiöser bzw. weltanschaulicher Schriften und Missionierungstätigkeiten. Eine erlaubnispflichtige Sondernutzung wird hingegen regelmäßig bejaht, wenn die Leichtigkeit und Sicherheit des Fußgängerverkehrs etwa durch das Aufstellen von Schildern oder sonstigen Hindernissen beeinträchtigt wird oder wenn mit dem Verteilen von Flugblättern gewerbliche Zwecke verfolgt werden. Vorliegend dürfte das Verhalten des Klägers noch dem kommunikativen Verkehr und damit dem Gemeingebrauch zuzurechnen sein, sodass straßenrechtliche Eingriffsbefugnisse nicht einschlägig sind.
Bei der sodann anstehenden Prüfung der polizei- bzw. ordnungsbehördlichen Generalklausel kommt es zunächst primär darauf an, ob das dem Kläger zurechenbare Verhalten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Eine Gefahr liegt bei einem Lebenssachverhalt vor, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an polizeirechtlich geschützten Gütern führt. Der Gefahrenbegriff setzt eine Prognose im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts voraus, wobei das zu erwartende Schadensausmaß Berücksichtigung finden muss. Dabei gilt: Je größer das Ausmaß des Schadens, umso geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und die zeitliche Nähe des Schadenseintritts zu stellen. Maßgeblich ist dabei die ex-ante Perspektive eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Beamten. Die öffentliche Sicherheit umfasst drei Schutzgüter: den Schutz von Individualrechten, den Schutz der Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung und den Schutz des Bestandes und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger.
Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zähle auch das durch das Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Die gezielte Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation durch unbekannte Dritte auf der Straße verletze das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen. In der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen komme. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebe die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Diese Situation begründe ein hohes Schutzniveau für das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Frauen hätten daher gerade in dieser Lebensphase ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprächen, in Ruhe gelassen zu werden. Die für den Kläger tätige Gehsteigberaterin missachte mit der gezielten Ansprache auf eine Schwangerschaft das Persönlichkeitsrecht der Frauen. Erschwerend komme hinzu, dass die Ansprache in der Öffentlichkeit auf einer belebten Straße und in einer für unbeteiligte Dritte wahrnehmbaren Weise erfolge. Dies hätten zahlreiche Zeuginnen bestätigt. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts werde noch weiter verstärkt durch die den angesprochenen Frauen angebotenen Faltblätter mit teilweise einschüchternden und verstörend wirkenden Bildern von Föten und Teilen von Föten.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es sodann einer Abwägung zwischen den sich im konkreten Fall gegenüberstehenden Grundrechtspositionen. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:
Der Kläger könne sich nicht auf den grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen. Denn die „Gehsteigberatung“ ziele allein auf eine individuelle Kommunikation mit Einzelpersonen. Im Rahmen der Abwägung müsse auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Klägers im konkreten Fall gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Frauen zurücktreten. Denn auch bei einem Thema von besonderem öffentlichen Interesse wie dem eines Schwangerschaftsabbruchs schütze das Recht auf Meinungsfreiheit keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine bestimmte Meinung aufgedrängt werden solle. Gerade hierauf ziele aber die Gehsteigberatung ab. Die Meinungsfreiheit des Klägers und seiner Mitglieder werde durch das Verbot der „Gehsteigberatung“ ferner nicht unverhältnismäßig beschränkt. Denn außerhalb der Humboldtstraße bleibe die Gehsteigberatung möglich. Eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung könnte darüber hinaus – ohne eine gezielte Ansprache von möglicherweise schwangeren Frauen – auch in der Humboldtstraße geäußert werden. Weiterhin komme dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen Vorrang auch gegenüber dem durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Klägers zu.
Das Einschreiten der Stadt sei auch im öffentlichen Interesse geboten, da eine unbestimmte Vielzahl schwangerer Frauen von der mit der „Gehsteigberatung“ einhergehenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei. Eine zeitnahe wirkungsvollere Abwehr der Beeinträchtigungen sei nicht zu erreichen. Schließlich leide die Untersagungsverfügung an keinen Ermessensfehlern.
Examensrelevanz
Die vorliegende Entscheidung ist geradezu prädestiniert, um in naher Zukunft in schriftlichen und/oder mündlichen Examensprüfungen abgefragt zu werden. Ihr kann mithin eine äußerst hohe Examensrelevanz beigemessen werden. Der Fall lässt sich verwaltungsprozessual wunderbar einbetten (vor allem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; s. dazu hier). Das erforderliche polizeirechtliche Standardwissen, die vorliegend bei der rechtlichen Würdigung ebenfalls heranzuziehenden grundrechtlichen Erwägungen sowie die Aktualität des Falles, dürfte einige Prüfer sicherlich dazu verleiten den Sachverhalt in naher Zukunft abzuprüfen.
„Die Unschuld der Muslime“ – Rechtliche Beurteilung eines Verbots der öffentlichen Vorführung in Deutschland
A. Einführung
In den vergangenen Tagen und Wochen hat ein islamkritischer Film über den Propheten Mohammed, von manchen als „Schmähfilm“ bezeichnet, die Gemüter in der arabischen Welt verletzt und zu blutigen Protesten in verschiedenen arabischen Ländern geführt, in deren Zuge es zur Erstürmung von Botschaften westlicher Staaten und zur Tötung von Diplomaten der betroffenen Länder kam.[i] Stein des Anstoßes für viele Gläubige ist nicht allein die bildliche Darstellung des Propheten als solche, deren Verbot z.T. durchaus kontrovers diskutiert wird, sondern vielmehr die Art und Weise der Porträtierung, die – wohl zu Recht – als Verächtlichmachung und Verunglimpfung empfunden wird.
In dieser ohnehin aufgeheizten Situation, in der sich das religiöse Empfinden vieler Muslime und unser westliches Staats- und Gesellschaftsverständnis mit Meinungs- und Kunstfreiheit diametral und unversöhnlich gegenüber zu stehen scheinen, kündigte die Bürgerbewegung „Pro Deutschland“ an, den Film öffentlich vorführen zu wollen.[ii]
Von verschiedener Seite ist daraufhin gefordert worden, eine derartige Veranstaltung zu verbieten.[iii] Die Bundesregierung prüft nach eigenen Angaben momentan die Möglichkeiten, nach geltendem Recht gegen die beabsichtigte Vorführung vorzugehen.[iv]
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Verbot der Aufführung auf Grundlage des geltenden Rechts in Deutschland Aussicht auf Erfolg hätte. Hierbei wird unterstellt, dass sich der Fall in NRW abspielt, die rechtliche Beurteilung basiert daher auf nordrhein-westfälischem Landesrecht. Eine Verwendung des Falles im Rahmen des 1. Staatsexamens in der hier unterstellten oder in abgewandelter Form ist sowohl auf Grund seiner Aktualität als auch wegen seiner vielfältigen Berührungspunkte mit klassischer Materie des 1. Staatsexamens (Versammlungsrecht, allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Verfassungsrecht) gut denkbar. Auf den examensrelevanten Aspekten der rechtlichen Beurteilung liegt daher auch das Hauptaugenmerk des Verfassers.
Die Kernprobleme, die sich bei der Lösung stellen, sind folgende:
- Auf welche Rechtsgrundlage kann ein Verbot gestützt werden?
- Welche polizeilich geschützten Rechtsgüter sind vorliegend einschlägig?
- Liegt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt auf Grund der geplanten Vorführung vor?
- Besteht eine polizeirechtliche Verantwortlichkeit der Veranstalter von „Pro Deutschland“ und wenn nein, greift der polizeiliche Notstand?
B. Rechtliche Grundlage
I. Die Generalklausel
Als Ermächtigung für jedwedes behördliche Einschreiten zur Gefahrenabwehr im Einzelfall kommt § 14 I OBG in Betracht. Die Norm ermächtigt die zuständigen Behörden bei Vorliegen einer Gefahr zur Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen. Hierbei können die Behörden auch in Grundrechte der Bürger eingreifen.[v] Eine Untersagungsverfügung hinsichtlich der öffentlichen Vorführung eines Films wäre daher prinzipiell nach dieser Norm möglich.
II. Subsidiarität der Generalklausel
Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass § 14 OBG als Generalklausel lediglich eine Auffangwirkung zukommt, und ihre Anwendung überall da ausscheidet, wo der Gesetzgeber eine Rechtsmaterie bzw. eine Eingriffsmaßnahme durch speziellere Normen geregelt hat (allgemeiner Grundsatz: lex specialis derogat legi generali). Durch einen Rückgriff auf die allgemeinere und von ihren Voraussetzungen u.U. weniger strenge Generalklausel würden die gesetzlich aufgestellten Hürden für die gesondert typisierten Eingriffsformen unterlaufen und die Wertungen des Gesetzes umgangen.[vi]
Demzufolge schiede ein Verbot, gestützt auf § 14 I OBG, aus, wenn die öffentliche Vorführung des besagten Films eine Versammlung i.S.d. Versammlungsgesetzes wäre, deren Verbot in den §§ 5 und 15 VersG geregelt wurde, die Versammlung wäre insofern „polizeifest“[vii]. Zwar ist die Kompetenz des Bundesgesetzgebers für das Versammlungsrecht mit Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.08.2006 („Föderalismusreform“) weggefallen, das VersG gilt aber gemäß Art. 125a I GG solange die Länder ihre Kompetenz nicht wahrnehmen als Bundesrecht fort . In NRW ist das bislang nicht geschehen.
II. Der Versammlungsbegriff
Der Begriff der Versammlung ist im VersG nicht definiert. Er orientiert sich daher grundsätzlich an dem Versammlungsbegriff des Art. 8 GG, ist aber mit diesem nicht deckungsgleich.[viii] Eine Versammlung ist demnach die Zusammenkunft mehrerer Menschen zu einem gemeinsamen Zweck.
1. Teilnehmeranzahl
Umstritten ist bereits die notwendige Anzahl, es soll jedoch unterstellt werden, dass eine entsprechende Anzahl an Menschen an der beabsichtigten öffentlichen Vorführung teilnimmt.
2. Zweck der Zusammenkunft
Unklar ist ferner, wie der gemeinsame Zweck der Zusammenkunft beschaffen sein muss. Teilweise wird jedweder Zweck, sei er auch privater Natur, als ausreichend erachtet.[ix] Der Versammlungsfreiheit komme auch neben ihrer Bedeutung für die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eine eigenständige Bedeutung zu, erfasst sei „jede Persönlichkeitsentfaltung in Gemeinschaft“[x]. Demgegenüber vertritt das Bundesverfassungsgericht heute einen engen Versammlungsbegriff und beruft sich auf die Kernfunktion von Artikel 8 als „demokratiekonstitutives“ Grundrecht, das dem Bürger erlauben soll, durch Versammlungen an der Bildung der öffentlichen Meinung teilzuhaben und mitzuwirken.[xi]
Überträgt man diese Kontroverse auf die öffentliche Vorführung eines Films, so könnte man geneigt sein, unter Zugrundelegung des engen Versammlungsbegriffs, dieser den Versammlungscharakter abzusprechen. Begründen ließe sich dies mit Hinweis darauf, eine solche Veranstaltung diene schwerpunktmäßig der Unterhaltung.[xii] Diese Einschätzung ist aber vor dem gegebenen Hintergrund nicht haltbar. Die Organisatoren von „Pro Deutschland“ sehen ihre Aktion als politisches Statement und verknüpfen das Event mit Forderungen aus ihrem politischen Programm hinsichtlich des Umgangs der BRD mit hier lebenden Muslimen und dem Islam generell. Man engagiere sich für die „Bewahrung des christlichen Abendlandes“[xiii]. Ungeachtet der Polemik ist die Vorführung daher weniger als Unterhaltungsveranstaltung zu sehen, als vielmehr als eine Informationsveranstaltung und als ein Beitrag zur öffentlichen Debatte. Als solche ist sie vom engen, wie auch vom weiten Versammlungsbegriff erfasst.
Eine Versammlung würde schließlich auch bei „Unfriedlichkeit“ ausscheiden [xiv]. Fraglich ist daher, ob die öffentliche Vorführung des Films, der von vielen Muslimen als Schmähfilm und Verunglimpfung ihres Glaubens betrachtet wird, „friedlich“ ist. Eine Versammlung im verfassungsrechtlichen Sinne ist aber erst dann „unfriedlich“, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt.[xv] Das VersG geht noch weiter und erlaubt für eine unfriedlich werdende Versammlung die Auflösung, ohne ihr aber den Versammlungscharakter als solchen abzusprechen (§§ 5 Nr.3, 13 I Nr.2 VersG).
Umso deutlicher geht hieraus hervor, dass allein verbale Gewalt nicht ausreichend ist, um an der Einstufung als Versammlung nach dem VersG etwas zu ändern. Vielmehr sind verbale Provokation und Angriffe gegen die Argumente und Ansichten der Gegenseite einer jeden Versammlung immanent und bilden den Kern der Versammlungsfreiheit. Nur so ist effektive Teilhabe an der Meinungsbildung überhaupt möglich. Selbst „Schmähkritik“, die die strafrechtliche Grenze des § 185 StGB überschreitet, führt nicht dazu, dass die Veranstaltung aus dem Schutzbereich von Art. 8 I GG herausfällt. Denn würde jedweder Rechtsverstoß durch Versammlungsteilnehmer diese Folge nach sich ziehen, wäre der Gesetzesvorbehalt in Art. 8 II GG gegenstandslos.[xvi] Selbstverständlich bestünde dann jedoch die rechtliche Möglichkeit, die Versammlung wegen Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu verbieten oder aufzulösen.
Eine Versammlung liegt daher vor. Es soll im Folgenden davon ausgegangen werden, dass bei der Vorführung einer unbestimmten Vielzahl von Personen der Zugang offensteht, es sich also um eine „öffentliche“ Versammlung handelt und sie zudem „unter freiem Himmel“ (i.S.v. Art. 8 II GG) stattfindet. § 15 I VersG wäre demnach die einschlägige Rechtsgrundlage für ein Verbot.
(Anmerkung der Redaktion: Bei Maßnahmen gegen Versammlungen in geschlossenen Räumen ist hingegen § 5 VersG einschlägige Ermächtigungsgrundlage).
C. Gefahrenlage
Wie auch die polizeilichen Generalklauseln knüpft § 15 VersG das behördliche Einschreiten an das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Unter einer Gefahr versteht man nach herkömmlicher Definition eine Sachlage oder ein Verhalten, das bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen wird.[xvii]
Gegner der öffentlichen Vorführung argumentieren, radikal-islamische Muslime könnten sich von der Veranstaltung zusätzlich provoziert fühlen und es könne im Ausland wie im Inland zu einer Verschärfung der Unruhen und zu Gewalt gegen deutsche Bürger und Einrichtungen kommen.[xviii] Es soll im Folgenden zunächst geklärt werden, welche der betroffenen Rechtsgüter als polizeilich geschützt anzusehen sind.
I. Geschützte Rechtsgüter
§ 15 I VersG stellt auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ab. Unter öffentlicher Sicherheit versteht man „die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt“ (§ 2 Nr.2 HBPolG; § 3 Nr.1 LSASOG).
Öffentliche Ordnung ist die „Summe ungeschriebener Normen, deren Befolgung als unentbehrliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens angesehen wird“[xix].
1. Direkt betroffene Rechtsgüter
Möglicherweise liegt bereits in der bloßen Durchführung der öffentlichen Vorführung durch „Pro Deutschland“ und in der Teilnahme daran ein strafrechtlich relevantes Verhalten und somit auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, das zum Verbot ermächtigen würde.
a) Strafrechtliche Relevanz
aa) § 185 StGB
Die Vorführung könnte den Straftatbestand der Beleidigung erfüllen.
Beleidigung ist Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung.[xx] Diese muss geeignet sein, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.[xxi]
Die Annahme einer Beleidigung durch das Zeigen des Films oder die Teilnahme sieht sich verschiedenen Einwänden ausgesetzt.
Zweifelhaft erscheint bereits die Annahme einer Beleidigungshandlung. Zwar ist anerkannt, dass die Äußerung der Beleidigung sowohl sprachlich als auch durch Gesten erfolgen kann, in jedem Fall muss sie aber gegenüber dem Betroffenen geäußert werden. Aus der Vorführung eines Films geht aber nicht zwingend hervor, dass der Teilnehmer seine Missachtung dem Betroffenen kundgeben möchte. Es ist nicht einmal zwingend, dass er sich die Aussage des Films zu eigen machen will oder sich nicht bloß informiert.
Zudem ist fraglich, ob eine beleidigungsfähige Person vorhanden ist. Unstreitig dürfte sein, dass nur lebende Personen Opfer einer Beleidigung nach § 185 StGB sein können. Das ergibt ein Umkehrschluss aus § 189 StGB.[xxii] Der Prophet Mohammed ist somit zweifelsohne kein taugliches Tatsubjekt.
Über die Frage der Beleidigungsfähigkeit eines Kollektivs wie dem Islam als Religionsgemeinschaft herrscht Streit. Diese wird zum Teil gänzlich abgelehnt. Eine „Kollektivehre“ gäbe es nicht, sie hafte allein dem einzelnen Menschen kraft seiner Würde an.[xxiii]
Die Rechtsprechung gewährt Personengemeinschaften Ehrschutz, die eine „rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können“[xxiv]. Da der Islam nicht wie die römisch-katholische Amtskirche z.B. einheitlich institutionell organisiert ist, ist von einer solchen Fähigkeit zur Willensbildung nicht auszugehen.
Möglich bleibt gleichwohl die „Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung“. Sie richtet sich nicht gegen das Kollektiv als solches, sondern gegen jedes einzelne Mitglied.[xxv] Eine Strafbarkeit liegt hier nach der Rechtsprechung nur vor, wenn die Personengruppe aus der Allgemeinheit hinreichend hervortritt, sodass eine klare Abgrenzung getroffen werden kann und der Personenkreis zahlenmäßig überschaubar ist.[xxvi] So sind die „als Juden vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen“[xxvii] u.U. noch überschaubar. Hieran fehlt es jedoch bei einer Beleidigung gegen „die Muslime“.
bb) § 166 StGB Verunglimpfung eines Bekenntnisses
Nach § 166 StGB macht sich strafbar, wer
„öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“
Über die genaue Grenze der enthaltenen „Friedensschutzklausel“ herrscht Streit. Man ist sich aber insoweit einig, als dass weder offene oder latente Feindschaft entstehen, noch eine gewaltsame Entladung stattfinden muss.[xxviii] Teilweise wird als ausreichend erachtet, wenn die Beschimpfung geeignet ist, das Vertrauen der Gläubigen in einen respektvollen Umgang mit ihrem Glauben zu erschüttern und bei Dritten die Bereitschaft zu Intoleranz gegenüber der Religion zu fördern.[xxix]
Andere stellen darauf ab, ob bei den Betroffenen der Eindruck entstehe, eine Religionsausübung sei in Deutschland nicht mehr frei von Diskriminierung möglich und man könne sich auf rechtlichem Weg gegen Schmähungen nicht zur Wehr setzen.[xxx] Angesichts der auch in Deutschland herrschenden Proteste kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Veranstaltung von „Pro Deutschland“ geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Fraglich ist aber, ob die Aufführung des Films den Tatbestand einer „Beschimpfung“ erfüllt. „Beschimpfen“ meint die Kundgabe von Missachtung in einer besonders rohen Art und Weise.
Der Film „Die Unschuld der Muslime“, wie auch der 13-minütige Trailer desselben, ist mit einer ganzen Reihe von diffamierenden Aussagen und fragwürdiger Interpretation der geschichtlichen Fakten gefüllt . Mohammed wird in einigen – vermutlich nachvertonten – Sequenzen als Kinderschänder, blutrünstiger Feldherr, Homosexueller und Feigling dargestellt.[i] Allerdings spricht eine Reihe von Argumenten für eine enge Auslegung des Begriffs des „Beschimpfens“.
Der strafrechtliche Schutz religiöser Gefühle ist in Deutschland – zuletzt 1969 – sukzessive abgebaut worden. Bis dahin fand sich noch der Tatbestand der „Gotteslästerung“ im StGB. Die Straftatbestände zum Schutz religiöser Bekenntnisse stellen insofern Exoten dar, als dass es der Gesetzgeber in keiner anderen Materie als notwendig erachtet hat, über die §§ 185 ff. StGB hinaus besonderen Schutz zu gewähren.[ii]
Ferner ist nach st. Rechtsprechung des BVerfG jedwede Norm, welche die Meinungsfreiheit einschränkt, im Lichte von Art. 5 I GG derart auszulegen, dass eine „Vermutung für den Vorrang der freien Rede“[iii] gilt. Auch ein geschmackloser, auf Provokation ausgelegter Film ist daher solange hinzunehmen, wie er nicht jedweden Sachbezug verliert und sich allein in der Äußerung von „Schmähkritik“ erschöpft. Für die Annahme von Schmähkritik bestehen hohe Hürden; das BVerfG sagt hierzu:
Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen.[iv]
Da eine vollständige Version des Films, die angeblich zwei Stunden lang sein soll, noch nicht frei zugänglich ist, kann vorläufig schwer beurteilt werden, ob sich der Inhalt des Films in einer solchen Diffamierung des Propheten Mohammed erschöpft, oder ob er seine provokativen und polemischen Aussagen über die Person Mohammed mit historischer Interpretation verbindet. Nach Betrachtung des bisher veröffentlichten 13-minütigen Trailers spricht viel dafür, dass es dem Autor auf eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Islam und der Person Mohammed nicht ankam, sondern dass vielmehr der alleinige oder weit überwiegende Zweck der Produktion darin besteht, die religiösen Gefühle von Muslimen zu verletzen.
Dieser Befund führt jedoch nicht zwangsläufig dazu, auch in der öffentlichen Vorführung eine Beschimpfung zu sehen. Denn es erscheint durchaus denkbar, dass es den Initiatoren von „Pro Deutschland“ – anders als dem Regisseur/Produzenten – nicht allein um die Diffamierung eines fremden Bekenntnisses geht, sondern dass die Aktion zuvorderst als Debattenbeitrag zur Diskussion um die Art und Weise des Umgangs mit dem Konflikt zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit auf der einen und den religiösen Gefühlen von Muslimen auf der anderen Seite verstanden werden soll.
Der öffentlichen Vorführung des Films fehlt es daher im Gegensatz zu dem Film als solchen nicht an Sachbezug. Vielmehr ist der Aktion – wie man sie auch inhaltlich bewerten mag – ein von sachlichen Argumenten getragenes Anliegen nicht abzusprechen.
Eine bloße Beschimpfung liegt daher nicht vor, § 166 StGB ist nicht verwirklicht.
Nach alledem liegt mit der öffentlichen Vorführung des Films „Die Unschuld der Muslime“ kein strafrechtlich relevantes Verhalten vor.
b) Individualrechtsgüter
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als persönliche Ehre hat in den §§ 185 ff. StGB seine einfachrechtliche Ausformung erfahren. Eine hierüber hinausreichende Verletzung durch die Aufführung liegt nicht vor.
Auch Art. 4 I GG ist nicht gefährdet. Die Glaubensfreiheit schützt zwar sowohl die Annahme und Ausübung eines Glaubens („positive Glaubensfreiheit“) als auch die Freiheit, keinen Glauben auszuüben („negative Glaubensfreiheit“), sie schützt aber nicht davor, Kritik anderer an der eigenen Religion und dem eigenen Glauben ausgesetzt zu sein.
c) Verletzung der öffentlichen Ordnung
Schließlich könnte die öffentliche Vorstellung gegen die öffentliche Ordnung verstoßen (vgl. § 15 I VersG). Die öffentliche Ordnung ist jedoch subsidiär zur öffentlichen Sicherheit und greift daher dort nicht ein, wo durch gesetzgeberische Wertungen die Schwellen für polizeirechtliches Einschreiten festgelegt sind. Da eine Verwirklichung von Straftaten nach dem StGB wie gezeigt nicht vorliegt, liegt im Verhalten der Teilnehmer der von „Pro Deutschland“ geplanten Vorführung auch kein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung.
Eine unmittelbare Gefährdung polizeirechtlich geschützter Rechtsgüter liegt somit i.E. nicht vor.
2. Indirekt betroffene Rechtsgüter – Ausschreitungen
Als Folge der öffentlichkeitswirksamen Vorführung des Films könnten zudem Ausschreitungen von Muslimen im In- wie im Ausland zu befürchten sein. Sollte es im Zuge dieser Proteste zu Gewalttätigkeiten kommen, wären sowohl die Rechtsordnung in Form von strafrechtlichen Normen gefährdet (§§ 303, 223, 224, 126, 231 StGB) als auch die dahinter stehenden geschützten Rechtsgüter Einzelner (Art. 2 II GG – Körperliche Unversehrtheit; Art. 14 I GG – Eigentum).
3. Ort des Schadenseintritts
Soweit es die Begehung von Straftaten als Gefahr für die Rechtsordnung betrifft, ist der Begehungsort ohne Belang solange nach den §§ 3 ff. StGB das deutsche StGB anwendbar ist. Das ist insb. dann der Fall, wenn die Straftaten von Deutschen oder an Deutschen begangen werden und auch am Ort der Begehung unter Strafe stehen (§ 7 I, II Nr.1 StGB).
Die Grundrechte, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sind von den deutschen Behörden grenzüberschreitend zu achten. Zulässig ist daher auch die Abwehr solcher Gefahren, die sich im Ausland realisieren.
II. Gefahr
Polizeiliches bzw. generell gefahrenabwehrrechtliches Einschreiten sieht sich immer dann einem besonderen Rechtfertigungsbedürfnisses ausgesetzt, wenn der Eintritt eines Schadens an geschützten Rechtsgütern nicht mit Sicherheit zu erwarten ist, sondern auf der Prognose der handelnden Behörden beruht. Auch im vorliegenden Fall ist nicht zweifelsfrei erwiesen, dass von der geplanten Veranstaltung eine äquivalente Kausalkette zu Gewalt- und Straftaten führen wird. Die Rechtsprechung und weite Teile der Literatur befürworten jedoch den sog. subjektiven „Gefahrbegriff“. Demnach liegt eine Gefahr bereits dann vor, wenn die handelnden Behörden bei verständiger Würdigung der Faktenlage „ex ante“ berechtigterweise von einem Schadenseintritt ausgehen durften.[v]
In der jüngeren Vergangenheit haben islamkritische Presseveröffentlichungen bereits zu Gewaltausbrüchen in arabischen Ländern geführt.[vi] Es erscheint daher durchaus plausibel, dass eine derart medienwirksame Veranstaltung, wie die von „Pro Deutschland“, welche sich noch dazu demonstrativ gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten auf Grund religiöser Gefühle von Muslimen richtet, Gewalttätigkeiten provozieren wird. Eine Annahme einer Gefahrsituation ist daher i.E. nicht zu beanstanden, auch wenn es letztendlich nicht nachweisbar ist, ob es im Zuge der Vorführung zu Rechtsgutsverletzungen kommen würde.
D. Polizeirechtliche Verantwortlichkeit/Pflichtigkeit
Der Themenkomplex Polizeipflichtigkeit bzw. polizeirechtliche Verantwortlichkeit befasst sich mit der Frage, wer als Adressat einer belastenden polizeilichen Maßnahme in Anspruch genommen werden kann. Das Versammlungsgesetz enthält hierzu keine Regelung, es wird insofern auf die allgemeinen Normen des PolG NRW zurückgegriffen (§§ 4 ff. PolG).[vii]
Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Organisatoren von „Pro Deutschland“ könnte sich aus § 4 I PolG ergeben.
I. „Pro Deutschland“ als Handlungsstörer
Die Veranstalter könnten Handlungsstörer nach § 4 I PolG sein. Das wäre der Fall, wenn sie die Gefahr durch ihr „Verhalten“ verursachen würden.
1. Äquivalent-kausale Verursachung
Das von den Behörden prognostizierte Szenario zu Grunde gelegt würde die angenommene Gefahrenlage kausal auf der Veranstaltung von „Pro Deutschland“ beruhen.
2. Wertungsgemäße Korrektur
Anerkanntermaßen reicht die rein äquivalent-kausale Verursachung einer Gefahr für die Inanspruchnahme als Störer nach § 4 I PolG nicht aus.[viii] Es darf nur derjenige zur Gefahrenabwehr herangezogen werden, dem die Gefahr normativ „zuzurechnen“ ist.[ix]
Zu der Frage, wann dies der Fall ist, werden verschiedenste Ansätze verfolgt (Sozialadäquanzlehre, Rechtswidrigkeitstheorie, Unmittelbarkeitstheorie). Einigkeit herrscht nur insoweit, als dass das klassisch zivilrechtliche Korrektiv über die „Adäquanz“ der Verursachung nicht zielführend ist. Gefahrenabwehr ist vielfach auch die Abwehr unvorhergesehener und damit inadäquater Gefahrsituationen. Eine Korrektur unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit einer Gefahr ist damit zweckwidrig.[x]
a) Unmittelbarkeitstheorie
aa) Kernaussage
Die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung im Schrifttum folgen der sog. „Theorie der unmittelbaren Verursachung“[xi]. Entscheidendes Kriterium ist demnach das „Überschreiten der Gefahrenschwelle und damit das Setzen der unmittelbaren Ursache für den Eintritt der Gefahr“[xii]. Dies soll unter „wertender Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls“ ermittelt werden. Die Unmittelbarkeit ist keineswegs zeitlich gemeint. Vielmehr ist unmittelbarer Verursacher derjenige, bei dem der Schwerpunkt der Verantwortlichkeit für die Gefahrenlage liegt.
Im Fall der gewalttätigen Proteste als Folge einer Versammlung besteht kein Zweifel, dass letztlich erst in der Gewaltausübung durch protestierende Muslime – so sie denn auftreten – die Überschreitung der Gefahrenschwelle zu sehen ist. Die Veranstalter von „Pro Deutschland“ würden dann als Handlungsstörer ausscheiden.
Im Gegensatz zu den Literaturstimmen, die eine polizeirechtliche Verantwortlichkeit dann stets ausschließen wollen, wenn Dritte vorsätzlich in die Kausalkette eintreten[xiii], geht die Unmittelbarkeitstheorie so weit zu sagen, dass Handlungsverantwortlicher auch sein kann, wer das spätere vorsätzliche Handeln entweder subjektiv „bezweckt“ (so der eine Teil der Lehre) oder bei objektiver Vorhersehbarkeit (so andere) gleichwohl verursacht hat. Auch dem sog. Zweckveranlasser sei die Gefahr zurechenbar, die Inanspruchnahme daher zulässig.
bb) Kritik
Gegen eine solche Ausweitung der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit wird oftmals eingewandt, der Zweckveranlasser sei i.S.d. Unmittelbarkeitstheorie gerade nicht „unmittelbarer“ Verursacher, sondern nur Veranlasser[xiv], die Annahme eines Zweckveranlassers widerspräche insofern der Kernaussage der Unmittelbarkeitstheorie. Zudem unterlaufe die Annahme eines Zweckveranlassers in letzter Konsequenz durch eine ausufernde Polizeipflichtigkeit die Normen über den polizeilichen Notstand.
Befürworter wenden hingegen ein, dass die Lehre vom Zweckveranlasser die Pflichtigkeit keinesfalls über den von § 6 I PolG gesteckten Rahmen hinaus erweitere. Vielmehr gehe § 4 I PolG dem Wortlaut nach allein von der Kausalität des Verhaltens aus. Die Lehre vom Zweckveranlasser sei daher, wie die übrigen Zurechnungstheorien auch, lediglich Korrektiv der ansonsten uferlosen Handlungsverantwortlichkeit. Sie konkretisiert und ergänzt in zulässiger Weise die in einigen Punkten als zu restriktiv empfundene Unmittelbarkeitstheorie, indem sie das Maß der Zurechenbarkeit letztlich anhand wertender Gesichtspunkte entscheidet.[xv] Dass hierbei auch der insb. von der Rechtsprechung betonte Aspekt der „Effektivität der Gefahrenabwehr“[xvi] eine Rolle spielt, ist nicht zu beanstanden.
cc) Stellungnahme
Dieser Streit muss aber für den konkreten Fall letztlich nicht entschieden werden, wenn die Figur des Zweckveranlassers zumindest auf Versammlungen und Meinungskundgaben keine Anwendung finden kann. Würde man die Figur des Zweckveranlassers nämlich auf Versammlungen anwenden, hätten es z.B. gewaltbereite Gegendemonstranten in der Hand, durch die Ankündigung von Gewalt den verfassungsmäßig garantierten Schutzbereich des Art. 8 I GG von anderen zu verkürzen.[i] Störer kann daher in solchen Fällen nur derjenige sein, der gewalttätig auf die Versammlung reagiert. Die Annahme, die Gefahr sei bereits durch die Versammlung provoziert, in ihr sei also die „Überschreitung der Gefahrenschwelle“ zu sehen, überzeugt nicht.
Nach der Unmittelbarkeitstheorie wäre „Pro Deutschland“ nicht Handlungsstörer.
b) Theorie der rechtswidrigen Verursachung
aa) Kernaussage
Aus dem weithin anerkannten Gedanken, nicht allein naturwissenschaftliche Kausalität, sondern auch die „rechtliche Zurechenbarkeit“ entscheide über die Handlungsverantwortlichkeit, hat sich ein anderer Ansatz entwickelt, die sog. „Theorie der rechtswidrigen Verursachung“.
Hauptaussage dieser ist, dass wenn ohnehin nicht Mittelbarkeit oder Unmittelbarkeit entscheidend sind, sondern wertende Kriterien, dann könnten einzig und allein rechtliche Gesichtspunkte über die Risikoverteilung und Verantwortlichkeitssphären im Polizeirecht entscheiden. Die Pflichtigkeit knüpfe an die Verletzung einer rechtlichen oder sozial gebotenen Verhaltensnorm an.
Störer kann demnach nur sein, wer die Gefahr durch „rechtswidriges“ Verhalten verursacht.[ii]
bb) Begrenzung durch Grundrechte
Dieses Rechtswidrigkeitsurteil ist einfach zu fällen, wo das Gesetz ein bestimmtes Verhalten als verboten ausweist.
Problematisch wird es, wenn es an einer solchen gesetzlichen Wertung fehlt.
Die Organisatoren „Pro Deutschland“ verstoßen durch die Veranstaltung nicht nur nicht gegen ein gesetzliches Verbot, sie können sich sogar auf ihre Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG berufen. Die Initiatoren machen damit von einem ihnen ausdrücklich gewährten, verfassungsrechtlich verbürgten Recht Gebrauch. Innerhalb der Unmittelbarkeitstheorie war seit Langem anerkannt, dass – frei nach dem Grundsatz qui iure suo utitur neminem laedit – regelmäßig der Gebrauch von gewährten Rechten nicht Anknüpfungspunkt für polizeirechtliche Verantwortlichkeit sein kann.[iii] Lediglich in Fällen des Zweckveranlassers wird hiervon z.T. abgerückt[iv] (nicht jedoch bei Art. 8 I GG, s.o.).
Auch die Theorie der rechtswidrigen Verursachung muss sich fragen, ob sie in derartigen Fällen ein Rechtswidrigkeitsurteil fällt und worauf sie es stützen kann. Letztlich wird hier darauf abgestellt, ob das Verhalten „sozial inadäquat“ ist.
Kollidiert – wie vorliegend – die legitime Grundrechtsausübung mit Rechtsgütern Dritter (hier: Leben und körperliche Unversehrtheit), dann kann die Frage der „Rechtswidrigkeit“ und damit letzten Endes die der Polizeipflichtigkeit nur auf Grund einer umfassenden Güterabwägung zwischen der einzuschränkenden und der bedrohten Rechtsposition entschieden werden.[v]Hierbei ist zu berücksichtigen, ob es sich um ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht handelt oder ob das Grundgesetz es unter Vorbehalt stellt. Ist ersteres der Fall, so kann nur bei überwiegender Gefahr für eine Rechtsposition von Verfassungsrang eine Zurechnung stattfinden. Ist wie vorliegend mit Artikel 8 II GG eine Einschränkung vorbehalten, muss der Eingriff immerhin noch der Abwehr eines konkret gefährdeten Rechtsguts dienen.[vi] Das ist unstreitig der Fall.
Gleichwohl kann auch im Rahmen der Frage nach der Sozialadäquanz der Gedanke, der bereits zum Ausschluss der Figur des Zweckveranlassers führte, nicht unberücksichtigt bleiben. Die Durchführung einer Versammlung ist nicht sozial inadäquat, sei ihr Zweck auch noch so provokativ. Sozial inadäquat ist allein das Verhalten von Dritten, die vorsätzlich in die Kausalkette eintreten.
Hier zeigt sich, dass die Theorie der rechtswidrigen Verursachung in den gesetzlich nicht normierten Bereichen letzten Endes doch wieder auf das Kriterium der Unmittelbarkeit angewiesen ist, da sie nur unter seiner Zuhilfenahme eine plausible Beurteilung der Sozialadäquanz finden kann.[vii]
Polizeiliche Maßnahmen haben sich primär an diese unmittelbaren Verursacher zu halten.
„Pro Deutschland“ wäre demnach nicht Handlungsstörer i.S.v. § 4 I PolG.
c) Stellungnahme
Unmittelbarkeitstheorie und die Theorie der rechtswidrigen Verursachung kommen zum selben Ergebnis. Ein Streitentscheid ist nicht von Nöten.
„Pro Deutschland“ ist nicht nach § 4 I PolG als Handlungsstörer polizeipflichtig.
II. „Pro Deutschland“ als Nichtstörer, § 6 PolG
Mangels polizeilicher Verantwortlichkeit kommt ein Einschreiten gegen die öffentliche Vorführung von „Die Unschuld der Muslime“ nur dann in Frage, wenn die Behörden ausnahmsweise gegen unbeteiligte Personen vorgehen dürfen. Ein solches Vorgehen ist nur sehr eingeschränkt möglich, da § 6 PolG hohe Hürden aufstellt. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem „polizeilichen Notstand“. Es gilt zu klären, ob ein solcher Notstand gegeben ist.
1. Gegenwärtige, erhebliche Gefahr
Hierzu müsste eine „gegenwärtige, erhebliche Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen.
Eine gegenwärtige Gefahr besteht (s.o.). Erheblich ist eine Gefahr, wenn der zu befürchtende Schaden besonders wichtigen Rechtsgütern droht. Hierzu zählen unzweifelhaft Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die vorliegende Gefahr ist daher erheblich.
2. Erfolgslosigkeit von Maßnahmen gegen Störer
Die Inanspruchnahme von Nichtstörern ist „subsidiär“ in der Hinsicht, als dass sie nur erfolgen darf, wenn Maßnahmen gegen die eigentlich Verantwortlichen nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen.[i]
Vorliegend erschließt sich nicht, warum ein Vorgehen gegen gewalttätige Gegendemonstranten keinen Erfolg versprechen sollte.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, die Polizei könne eventuellen gewalttätigen Protesten in nicht ausreichendem Maße durch Einschreiten gegen die unmittelbar Verantwortlichen (vgl. §§ 4, 5 PolG NRW) begegnen. Rechtsprechung und Literatur sind sich grundsätzlich einig, dass die Polizei, ehe sie eine nicht störende Versammlung auflösen kann, alle ihr zur Verfügung stehenden und die ihr zu unterstellenden fremden Kräfte einsetzen muss, um die Durchführung einer Versammlung zu gewährleisten.[ii]
Dies vorausgesetzt, erscheint ein Vorgehen gegen die Handlungsverantwortlichen nach § 4 I PolG durchaus erfolgversprechend.
Ein polizeilicher Notstand liegt daher nicht vor.
E. Fazit
Aufgrund der Verbindung der Filmvorführung mit einer politischen Aussage überwiegt der Zweck der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eindeutig einen u.U. daneben bestehenden Unterhaltungszweck. Es ist daher vom Vorliegen einer Versammlung auszugehen. Polizeiliche Maßnahmen gegen diese sind dem speziellen Regime des Versammlungsrechts unterworfen.
Durch die geplante Vorführung werden zwar nicht unmittelbar Strafgesetze oder andere Rechtsnormen verletzt, wohl aber besteht letztlich auf Grund der zu befürchtenden Ausschreitungen eine Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit, hier in Form von Individualrechtsgütern (Art. 2 II, 14 GG) und der abstrakten Rechtsordnung (§§ 223, 303, 126 StGB u.A.).
Eine Inanspruchnahme der Veranstalter von „Pro Deutschland“ als Handlungsstörer nach § 4 I PolG scheidet nach Auffassung des Verfassers aus, da weder die herrschende Unmittelbarkeitstheorie noch die Theorie der rechtswidrigen Verursachung zu dem Ergebnis kommen, dass „Pro Deutschland“ die Gefahr nach den Maßstäben des Polizeirechts „verursacht“.
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands nicht vor.
Maßnahmen gegen die Vorführung von „Die Unschuld der Muslime“ wären daher rechtswidrig.
https://www.pro-deutschland-online.de/index.php?option=com_content&view=article&id=526:rouhs-bestaetigt-wir-zeigen-den-film&catid=14&Itemid=2 jeweils Stand 20.09.2012
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner heutigen Entscheidung geurteilt, dass ein von der Polizei gegenüber Zeitungsmitarbeitern ausgesprochenes Verbot der Anfertigung von Fotos der an einem Einsatz beteiligten Beamten eines Spezialeinsatzkommandos rechtswidrig war.
A. Sachverhalt (vereinfacht)
Die in zivil gekleideten Beamten des Einsatzkommandos waren damit beauftragt, den mutmaßlichen Sicherheitschef einer russischen Gruppierung, die dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzuordnen ist (russische Mafia), aus der Untersuchungshaft bei einer Augenarztpraxis in der Fußgängerzone der Stadt X in NRW vorzuführen.
Der Einsatz wurde von zwei Journalisten, darunter ein Fotoreporter, bemerkt. Als sich der Fotoreporter anschickte Bilder der Einsatzfahrzeuge und der am Einsatz beteiligten Beamten anzufertigen, wurde er von dem Einsatzleiter in formell rechtmäßiger Weise aufgefordert sein Vorhaben zu unterlassen. Der Journalist unterließ es daraufhin, Bilder anzufertigen. Begründet wurde das Verbot damit, dass die beteiligten Einsatzkräfte durch eine Veröffentlichung der Bilder hätten enttarnt werden können, was ihrer Einsetzbarkeit in Zukunft nicht zuträglich gewesen wäre. Zudem hätten sie auch persönlich durch etwaige Racheakte gefährdet werden können.
Der Zeitungsverlag, für den die Journalisten tätig, sind klagte vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen das Fotografierverbot.
B. Rechtliche Würdigung
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO ist zu bejahen, da die streitentscheidende Norm vorliegend dem Polizeirecht, mithin einer Materie des öffentlichen Rechts, zuzuordnen ist.
II. Zulässigkeit
1. Im Rahmen einer Klausurbearbeitung des Falles stellt sich zunächst bei der Zulässigkeitsprüfung die Frage nach der statthaften Klageart. Hierbei könnte angenommen werden, dass eine Anfechtungsklage statthaft sei. Dazu müsste es sich bei dem Fotografierverbot um einen Verwaltungsakt gehandelt haben. Ein solcher lag vorliegend mithin vor, insbesondere war das Verhalten des Einsatzleiters darauf gerichtet eine einzelfallbezogene Rechtsfolge zu setzen. Es sollte dem Bearbeiter allerdings auffallen, dass sich die rechtliche Beschwer dieses Verwaltungsaktes durch Zeitablauf erledigt hat (§ 43 Abs. 2 VwVfG NW) und folglich eine Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft ist.
2. Der Zeitungsverlag ist als Drittbetroffener möglicherweise in seinem aus der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) folgenden Recht auf Informationsbeschaffung durch eigenes Personal verletzt und folglich klagebefugt.
3. Ein Vorverfahren i. S. von § 68 VwGO ist jedenfalls in NRW nach § 110 Abs. 1 JustG NW nicht erforderlich. Darüber hinaus hätte es seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung und Zweckmäßigkeitsprüfung) vorliegend ohnehin nicht mehr erfüllen können.
4. Die Klageerhebung bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsakts vor Eintritt der Bestandskraft unterliegt keiner Fristbindung.
5. Das erforderliche Fortsetzungsfestellungsinteresse, welches in Fällen vorprozessualer Erledigung mit dem Feststellungsinteresse in § 43 Abs. 1 VwGO identisch ist und alle schützenswerten Interessen rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Art umfasst, ergibt sich vorliegend aus der Tatsache, dass sich polizeiliche Maßnahmen typischerweise kurzfristig erledigen und die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit der Klageeröffnung gebietet (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 – 6 C 7.98; s. auch BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 – 5 C 4/84). Des Weiteren ist ein Fortsetzungsfestellungsinteresse auch aufgrund der möglich erscheinenden Verletzung des Zeitungsverlags in seiner Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegend zu bejahen.
III. Begründetheit
Die Klage ist begründet, wenn und soweit die polizeiliche Maßnahme rechtswidrig war und der Kläger (der Zeitungsverlag) dadurch in seinen Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Die polizeiliche Maßnahme war rechtmäßig, wenn sie auf einer Ermächtigungsgrundlage basierte von der in formell und materiell rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht wurde.
1. Als Ermächtigungsgrundlage kommt vorliegend, mangels Einschlägigkeit spezieller Befugnisnormen, die polizeiliche Generalklausel aus § 8 Abs. 1 PolG NW in Betracht.
2. Die polizeiliche Maßnahme ist laut Sachverhalt in formell rechtmäßiger Weise ergangen.
3. Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten ist das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Maßgeblich ist dabei die Prognose aus der ex-ante Perspektive.
Eine Gefahr ist zu bejahen, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf ein Schadenseintritt für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Als Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit gelten, die objektive Rechtsordnung, Individualrechte des Einzelnen sowie die Funktionsfähigkeit von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger.
Vorliegend sah der Einsatzleiter eine Enttarnung der am Einsatz beteiligten Beamten und eine Gefährdung von Leib und Leben eben jener durch das Anfertigen von Fotografien des Einsatzes, sowie eines damit einhergehenden Verlustes der zukünftigen Einsatzfähigkeit des Sondereinsatzkommandos als wahrscheinlich an. Aus der Sicht eines einsichtigen und unbefangenen Polizeibeamten lässt sich damit das Vorliegen einer Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, namentlich den Individualrechten der beteiligten Polizeibeamten, sowie
(mit Blick auf die eventuelle Gefährdung der Einsatztauglichkeit für zukünftige Einsätze) der Funktionsfähigkeit staatlicher Veranstaltungen, bejahen.
Die Einschreitungsvoraussetzungen der polizeilichen Generalklausel sind damit im vorliegenden Fall zu bejahen.
4. Das vom Einsatzleiter ausgesprochene Anfertigungsverbot müsste auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Die Maßnahme müsste hinsichtlich der Erreichung des mit ihr verfolgten legitimen Zwecks also geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Das Verbot Bilder vom Einsatz anzufertigen ist nicht schlichtweg untauglich die damit verfolgten Zwecke zu erreichen und folglich geeignet.
Weiterhin müsste die Maßnahme erforderlich gewesen sein, was dann der Fall ist, wenn es kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckerreichung gab. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts:
„[…]Die Polizei durfte nicht schon das Anfertigen der Fotografien untersagen. Der Einsatz von Polizeibeamten, namentlich ein Einsatz von Kräften des Spezialeinsatzkommandos stellt im Sinne der einschlägigen Bestimmung des Kunsturhebergesetzes ein zeitgeschichtliches Ereignis dar, von dem Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden dürfen. Ein berechtigtes Interesse der eingesetzten Beamten kann dem entgegenstehen, wenn die Bilder ohne den erforderlichen Schutz gegen eine Enttarnung der Beamten veröffentlicht werden. Zur Abwendung dieser Gefahr bedarf es aber regelmäßig keines Verbots der Anfertigung von Fotografien, wenn zwischen der Anfertigung der Fotografien und ihrer Veröffentlichung hinreichend Zeit besteht, den Standpunkt der Polizei auf andere, die Pressefreiheit stärker wahrende Weise durchzusetzen. Eine solche Lage war hier gegeben.“
Danach hätte ein Hinweis der Einsatzleitung auf die bei ohne Unkenntlichmachung der Polizeibeamten bestehenden Gefahr genügt, um einer Enttarnung und den damit einhergehenden Gefahren entgegenzuwirken.
Im Ergebnis war das Verbot der Anfertigung von Bildern rechtswidrig und verletzte den Zeitungsverlag in seinen Rechten. Folglich ist die Fortsetzungsfeststellungsklage begründet.
Anmerkung: Die Bearbeitung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll den Lesern ein Leitfaden für die Lösung des Falles, wie er beispielsweise im Rahmen einer mündlichen Prüfung auftauchen könnte, gegeben werden.
Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage 2011, Verlag C.H. Beck, ISBN: 978-3-406-62761-3, Verkaufspreis 29,90 €
Das hier rezensierte Werk versteht sich als landesspezifisches Kompendium, das auf gut 600 Seiten die drei examensrelevanten Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts abdecken soll. Darüber hinaus enthält das Werk einen Abschnitt zum (weniger examensrelevanten) Landesverfassungsrecht. In den Augen des Rezensenten ist das Werk durchaus sehr gelungen, jedoch nicht in jedem Stadium des Studiums sinnvoll einsetzbar.
Inhalt
Neben der Besonderheit, dass spezifisch das Landesrecht NRW besprochen wird, gilt es die Aktualität des Lehrbuchs zu loben. Das JustizG NRW sowie die kürzliche Polizeirechtsreform sind im Lehrbuch berücksichtigt. Zudem fanden äußerst aktuelle Entscheidungen Eingang in das Buch.
Inhaltlich fällt zunächst einmal auf, dass gut 120 der knapp 620 Seiten einen Abschnitt zum Landesverfassungsrecht ausmachen. Für das Examen sind die dort geschilderten Ausführungen nicht zwingend notwendig. Wer also schnell auf die relevanten Rechtsgebiete springen möchte, sollte diesen Teil überspringen. Ich persönlich fand den Abschnitt zur Landesverfassung NRW allerdings äußerst interessant und sogar für Klausuren hilfreich. Zumindest diejenigen Kandidaten, die bereits Grundkenntnisse in den Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts und des Verfassungsrechts vorweisen können, erwerben in diesem Abschnitt sinnvolles Grundlagenwissen. Ohne entsprechendes Vorwissen halte ich die Lektüre dieses Abschnitts für verfehlt, da dies wohl mehr Verwirrung als Erkenntnis bringen wird.
Der Abschnitt zum Kommunalrecht baut anschließend auf den zuvor gewonnenen Erkenntnissen auf und vertieft zunächst die verfassungsrechtlichen Wurzeln des Kommunalrechts. Die Einleitung in das Rechtsgebiet fällt umfassend aus, bietet jedoch für den bereits vorbereiteten Leser erneut sinnvolles Hintergrundwissen. Sodann werden viel diskutierte kommunalrechtliche Fragestellungen erörtert. Dies erfolgt in prägnanter Form. klausurmäßige Aufbaufragen, wie sie etwa bei den Skripten namhafter Repetitoren zu finden sind, werden in diesem Werk konsequent auch nur vereinzelt und äußerst knapp dargestellt. Für mich persönlich war eine solche Darstellung gelungen, da sich die Probleme und Rechtssysteme so schnell erfassen ließen. Für jemanden, der sich das Gebiet allerdings erst erschließen möchte und insbesondere auch in der Klausurbearbeitung noch nicht erfahren ist, wird eine solche Art der Darstellung wohl regelmäßig zu knapp sein.
Die Abschnitte zum Polizei- und Baurecht ähneln dem kommunalrechtlichen Abschnitt sehr. Zu Beginn findet sich stets eine etwas breitere Einleitung in die Materie, die vertiefenden Background zu den jeweiligen Rechtsgebieten bietet. Derjenige, der lediglich wissen möchte, wie er die Klausur in diesen Rechtsgebieten am sinnvollsten bearbeitet, wird diese Einleitungen wohl erneut überspringen, um direkt zu den Rechtsproblemen zu gelangen.
Insgesamt lässt sich zu allen Abschnitten wohl sagen, dass die jeweiligen Ausführungen wohl knapper sind als die meisten vergleichbaren Lehrbücher, die jeweils explizit nur eines der Rechtsgebiete abdecken. M.E. enthalten diese Abschnitte dennoch alles, was für das Examen in den großen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts zu wissen ist. Klausurtaktik und vertiefende prozessuale Betrachtungen können angesichts der Kürze der Abschnitte natürlich nicht in umfassender Länge erwartet werden.
Lesbarkeit
Der optische Stil des Buches wirkt etwas altbacken, lässt sich jedoch gleichwohl angenehm lesen. Zum Schreibstil gilt es zu sagen, dass das Werk in dieser Hinsicht in allen Abschnitten äußerst gelungen ist. Sofern entsprechende Vorkenntnisse vorhanden sind, lässt sich das ganze wie ein einfacher Roman runterlesen und die wichtigsten Normstrukturen und Besonderheiten können stets schnell erfasst werden.
Fazit
In meinen Augen ist das Werk von Dietlein/Burgi/Hellermann eine perfekte Wahl für diejenigen Examenskandidaten, die bereits einige Vorkenntnisse in den drei Rechtsgebieten des Kommunal-, Polizei- und Baurechts gesammelt haben. Für eine erste Einführung in die Dogmatik und insbesondere für die Handhabe in der Klausur halte ich leichtere Kost (wie etwa die Werke der bekannten Repetitoren) zunächst für angemessen. Angesichts des geringen Preises spricht m.E. allerdings nichts dagegen, dass zunächst der Beginn der Examensvorbereitung im öffentlichen Recht mit anderen Werken eröffnet und dass sodann in einem zweiten Durchlauf das Werk von Dietlein/Burgi/Hellermann durchgelesen wird. Die bereits erarbeiteten Kenntnisse werden sich durch das Wiederholen der Materie setzen und gleichzeitig wird das Wissen an vielen Stellen vertieft. Da sich das Buch wirklich gut und einfach lesen lässt, wird ein solcher zweiter Durchgang der Rechtsgebiete auch nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen, so dass die Investition auch in Zeiten immer kürzer werdender Examensvorbereitungen sinnvoll ist.