Jur:next Urteil: „Sicher ist sicher – wieder ein Abschleppfall!“
In Kooperation mit juraexamen.info stellt jur:next (Dein Partner für juristischen Einzelunterricht, Nachhilfe & Coaching; www.jurnext.de) jeweils ein Urteil des Monats aus den drei Rechtsgebieten vor. Diskutiere im Kommentarfeld direkt mit anderen die Entscheidung.
Einführung in die Thematik
Probleme um das „Abschleppen“ finden sich nicht nur im Öffentlichen, sondern auch im Zivilrecht. Im Zivilrecht drehen sich die Fälle um das Auffinden der richtigen Anspruchsgrundlagen (der BGH wählt § 823 II iVm § 868 BGB) und die einzelnen Schadensposten (was bekommt der Kläger ersetzt?). Auch im Öffentlichen Recht gehören die Fälle längst zum Standardrepertoire eines angehenden Juristen. Entscheidend für eine gute Klausur ist der richtige Einstieg in den Fall. In welcher Station steckt das Verfahren? Danach geht es in das Landesrecht, dort insbesondere in die Vorschriften zur Vollstreckung. Die Entscheidung des Gerichts greift das Abschleppen aus einer anderen Richtung auf. Hier wurde zum Schutz des Eigentums abgeschleppt.
Entscheidung des Gerichts
Was war passiert, im Fall des SächsOVG (NJW 2016, 181 f.)?
Die Polizeidirektion hatte den PKW des Klägers von einem Abschleppunternehmen zum Zwecke der Eigentumssicherung abschleppen lassen, da auf der hinteren rechten Seite des Fahrzeugs das Fenster nicht verschlossen war. Zuvor hatten die Polizeibeamten erfolglos versucht, die Telefonnummer des Klägers zu ermitteln, um ihn zu benachrichtigen. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Kostenbescheid gerichtete Klage abgewiesen. Ebenso das OVG.
Im Grunde geht das Gericht davon aus, dass es sich um eine Sicherstellung handelt:
„Rechtsgrundlage für eine Sicherstellung nach dem Polizeigesetz ist § 26 Abs. 1 SächsPolG. Danach kann die Polizei eine Sache sicherstellen, wenn dies erforderlich ist, um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung der Sache zu schützen. Entstehen der Polizei durch die Sicherstellung, Verwahrung oder Notveräußerung Kosten, so ist der Eigentümer oder der rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach § 29 Abs. 1 Satz 3 SächsPolG zum Ersatz verpflichtet.“
Soweit handelt es sich um keine neue Erkenntnis. Geübte Bearbeiter von „Abschleppkonstellationen“ erkennen schnell, dass es sich um einen Fall der Sicherstellung handelt. Dann wird unter die entsprechende Landesnorm subsumiert. Interessant sind aber die Parallelen, welche das Gericht zur Geschäftsführung ohne Auftrag zieht:
„Bei der Sicherstellung zum Schutz des Eigentums wird die Polizei für den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt tätig. Ihrem Wesen nach ist sie vergleichbar mit der Geschäftsführung ohne Auftrag i. S. v. § 677 ff. BGB. Die Sicherstellung zur Eigentumssicherung ist folglich zulässig, wenn sie dem objektivierten mutmaßlichen Willen des Berechtigten entspricht. Ob sie vom Betroffenen tatsächlich gebilligt wird, ist hingegen unerheblich. Ob diese Voraussetzungen für eine Sicherstellung vorliegen, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.“
Die Rechtsprechung behandelt die abschleppenden Staatsdiener großzügig:
„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Sicherstellung im Eigentümerinteresse schon dann erforderlich, wenn der Polizei andere Maßnahmen, die den Zweck der Sicherstellung ebenso erreichen würden, nicht ohne weiteres möglich sind. Demzufolge ist die Polizei regelmäßig nicht verpflichtet, zunächst den Halter oder für die Beseitigung des Fahrzeugs sonst Verantwortlichen zu ermitteln. Solche Ermittlungen führen meist zu nicht absehbaren zeitlichen Verzögerungen, die mit dem Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr durch die Polizei und zudem nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht vereinbar sind.“
Doch liegt eine solche Gefahr bei einem nicht abgeschlossenen Fenster tatsächlich vor? Stellt Euch die Frage mal selbst: Ihr vergesst das Fenster Eures Autos zu schließen. Die Polizei kommt und lässt abschleppen. Im Anschluss erhaltet ihr einen Leistungsbescheid in Höhe von 200 Euro. Was meint Ihr? Ist das gerecht?
Das Gericht rekurriert auf die Umstände des Einzelfalls:
„Ob die im Interesse des Eigentümers vorgenommene Sicherungsmaßnahme verhältnismäßig ist, hängt davon ab, wie hoch im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls des Fahrzeugs, eines Diebstahls von Gegenständen aus dem Fahrzeug oder einer Beschädigung des Fahrzeugs ist, wenn die Sicherstellung unterbleibt. Hierbei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. Sie ist auf der Grundlage der der Polizei zum Zeitpunkt ihres Handelns zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen, wobei unter anderem die voraussichtliche Dauer der die Möglichkeit eines Schadenseintritts erhöhenden Umstände, der Abstellort sowie der Wert eines Fahrzeuges zu berücksichtigen sind.“
Dazu fehlten hier die Angaben im Sachverhalt. Unter dem Strich zeigt sich aber auch hier eine Tendenz pro staatliche Fürsorge.
Auswirkungen auf das Examen
In einer Examensklausur wird gerne abgeschleppt. Die Verzahnungen zwischen Polizei- und Ordnungsrecht sowie Verwaltungsvollstreckungsrecht schaffen ansehnlichen Prüfungsstoff. Weil das allgemein bekannt ist, braucht jemand, der weiter hinaus will, Spezialkenntnisse. Diese werden durch das Studium der Rechtsprechung vermittelt. Die Entscheidung des OVGs fordert zweierlei: Aufzeigen des Spielraums für den Abschlepper samt Schlüsselwörter (Parallele GoA etc.) sowie eine saubere Subsumtion!
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