VGH Baden-Württemberg: „Demonstrationsbeobachter“ als Störer
Eine aktuelle Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zum Polizei- und Ordnungsrecht beschäftigt sich mit der Störereigenschaft.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde (nach Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 06.08.2015): Die rechtsextremistische Gruppierung „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland e.V.“ (keine Satire!) veranstaltete am 23.02.2013 – anknüpfend an die alliierten Luftangriffe auf Pforzheim am 23. Februar 1945 – auf dem Wartberg in Pforzheim eine angemeldete „Mahnwache“. Zu der Veranstaltung waren verschiedene Gegendemonstrationen angemeldet. Das „Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit“ hatte der Stadt Pforzheim vorab mitgeteilt, es werde an an diesem Tag mit „Demonstrationsbeobachtern“ präsent sein, die durch ihre besondere Kleidung erkennbar seien. Diese verstünden sich nicht als Versammlungsteilnehmer, sondern wollten das Demonstrationsrecht schützen und dazu das Verhalten aller Beteiligten beobachten und dokumentieren.
Am Tag der Veranstaltung bewegte sich aus einer angemeldeten Gegendemonstration der „Initiative gegen Rechts“ ein Aufzug mit ca. 300 bis 400 Personen in Richtung Wartberg. Dieser Aufzug löste sich nach den Feststellungen der Polizei in teilweise vermummte kleine Gruppen auf, die einzelne Polizeisperren umgingen oder teils mit Brettern, Flaschen und Steinen attackierten. Eine Gruppe bewegte sich zu einer Wiese, auf der die Polizei einen Bauzaun errichtet hatte, jenseits dessen eine Störung der Versammlung des FHD möglich gewesen wäre. Die Gruppe versuchte den Bauzaun zu durchbrechen. Dabei wurde sie von der Polizei eingekreist. Die Polizei gab mit Lautsprecher bekannt, die innerhalb der Umkreisung gebildete spontane Versammlung habe durch Stein- und Flaschenwürfe sowie Einsatz von Pyrotechnik einen unfriedlichen Verlauf genommen und werde daher endgültig aufgelöst; es würden nun „von allen“ die Personalien festgestellt. Ein Polizeibeamter traf die Klägerin, die mit einer hellblauen Weste mit der in Leuchtschrift gehaltenen Aufschrift „Demo-Beobachterin“ bekleidet war, am Rand der eingekreisten Gruppe an und nahm ihre Personalien auf. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass diese polizeiliche Maßnahme rechtswidrig war. Dies blieb in erster Instanz ohne Erfolg.
Lösung des VGH
Der VGH hat dies bestätigt (Entscheidung vom 10.3.2015 – 1 S 1225/14).
Das Versammlungsrecht ist „polizeifest“, d.h. es ist für die Abwehr versammlungstypischer Gefahren abschließend. Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer können nur auf Grundlage des Versammlungsrechts ergriffen werden. Da hier die Versammlung bereits aufgelöst worden war und die Klägerin zudem ohnehin nicht an ihr teilgenommen hatte, konnte die Polizei auf Grundlage des allgemeinen Polizeirechts handeln. Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung war damit § 26 PolG Ba-Wü (vgl. etwa auch § 12 PolG NRW). Abzugrenzen wäre diese Ermächtigungsgrundlage in der Klausur noch von § 163 b StPO, wonach die Polizei zur Strafverfolgung die Identität des Verdächtigen (§ 163 b Abs. 1 StPO) und anderer Personen (§ 163 b Abs. 2 StPO) feststellen darf.
Problematisch war im vorliegenden Fall insbesondere die Störereigenschaft der Klägerin. Der VGH bejahte sie: Die Klägerin sei Verhaltensstörerin. Die Polizei habe die Klägerin aufgrund der Gesamtumstände und der Nähe der Klägerin zur umschlossenen unfriedlichen Versammlung als Gefahrverursacherin ansehen dürfen. Die Klägerin habe sich ursprünglich in der von der Polizei eingekreisten Versammlung befunden. Als sie von dem Polizeibeamten angesprochen worden sei, habe sie sich nach wie vor in einem sehr engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu unfriedlichen Aktionen aufgehalten, die vorher aus der Gruppe verübt worden seien. Allein aufgrund ihrer Kleidung und ihrer Bezeichnung als „Demonstrationsbeobachter“ habe sie sich nicht erkennbar von der Gefahrenquelle distanziert.
Quelle: Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 06.08.2015, Entscheidung im Volltext liegt noch nicht vor
Eine sehr problematische Entscheidung: Als „Verhaltensstörer“ kommt (nur) in Betracht, wer eine Gefahr iSd Polizeirechts „selbst verursacht“ hat, also für eine Beeinträchtigung der öff. Sicherh. u. Ordnung „verantwortlich“ zu machen ist. Diese Verursachung war der Beobachterin schwerlich nachzuweisen: Denn bei Demonstrationen wird polizeilicherseits eine Einkesselung idR so vorgenommen, dass alle Anwesenden oder sich in Nähe der Versammlung befindlichen Personen erfasst und „gekesselt“ werden – auch Beobachter. Ggf. kann man sogar davon ausgehen, dass die Polizei Beobachter beim Kesseln ganz besonders miterfassen will, weil sich Beamte bei ihrem Vorgehen ungern beobachten lassen wollen, nach außen erkennbare Beobachter also ein „Reizfaktor“ sind. Aus der bloßen Einkesselung und Nähe zur Versammlung schon die „Verursachung“ einer Gefahr und die Verantwortlichkeit dafür zu schließen (wofür andere verantwortlich sein könnten), mithin die Beobachtung mit einem renitenten Verhalten bei der Versammlung gleichzustellen – das ist nicht schlüssig. Aus der bloßen Anwesenheit kann keine Gefahrenverursachung hergeleitet werden: Nicht alle Personen im Kessel sind – weil gekesselt – zugleich auch Verhaltensstörer. Das erscheint gezwungen und verbiegt die maßgeblichen Fakten. Natürlich ist diese Wertung polizeilich praktischer und einfacher. – Bedauerlich, dass ein Obergericht nicht den nötigen Abstand hat und derart judiziert.
Gewisse Bauchschmerzen hatte ich auch – ich wollte aber nicht das Gericht kritisieren ohne die Entscheidung im Volltext vorliegen zu haben. Eine aktuelle Meldung war der Fall aber allein auf Grundlage der Pressemitteilung allemal wert. Man muss abwarten wie das Gericht den Sachverhalt genau gesehen hat und seine Entscheidung begründet.
Jedenfalls verstehe ich die Ausführungen so, dass gerade nicht alle eingekesselt wurden, sondern nur die Gruppierung, die veruscht hatte, den Bauzaun zu durchbrechen. Nur dieser unfriedliche Teil der ursprünglichen Versammlung wurde als Spontanversammlung aufgelöst. Inwiefern nun die Klägerin hierbei die Möglichkeit hatte, diese Gruppierung vorher zu verlassen, ergibt sich aus der PM leider nicht.
Ich gebe außerdem zu bedenken, dass man für die Verhaltensstörereigenschaft gerade kein Verschulden braucht.
Ist so ein Fall in einer mündlichen Prüfung in NRW möglich oder eher unwahrscheinlich, da es sich um ein VG in einem anderen Bundesland handelt ?
Ja, die Fakten sind wichtig: Wenn die Beobachterin (nur) die „Durchbrecher“-Gruppierung begleiten und sehen wollte, wie geht die Polizei mit dieser Gruppe um, hierbei dann aber (absichtlich) mitgekesselt wurde, ohne dass die Möglichkeit bestand, diese Gruppierung „vorher zu verlassen“, was beim Kesseln durch gestandene Beamte häufig sehr schwierig ist, dann ist die Entscheidung eben problematisch. Anwesenheit ist keine Verursachung von Gefahren mit entsprd. Verantwortlichkeit (ohne Verschulden natürlich).
Wenn von feindlichen Gruppen zu eskalieren drohende Gefahren ausgehen, kann doch bloße Mitanwesenheit u.U. eine Gefahrverantwortlichkeit schon allein im Hinblick auf Selbstgefährdung mit begründen.
Man kann hier m.E. bei den eskalierend verfeindeten Gruppen nicht ohne weiteres das Maß an Verständigkeit gegenüber bloßen Beobachtern voraussetzen, wie auf Seiten der Gefahrenabwehrbehörde?
Bimbam: Es ist nicht ganz nachvollziehbar, was mit „Gefahrverantwortlichkeit“ hinsichtlich einer „Selbstgefährdung“ gemeint ist. Die Beobachterin ist von Seiten der Polizei / Gefahrabwehrkräften als „Störerin“ bewertet worden, als Urheberin von Gefahren – und das als bloße Beobachterin. Das dürfte nicht angehen.
Die Frage ist ja gerade, ob nicht auch ein „bloßer Beobachter“ Störer sein kann, wenn er zB durch seine Nähe zur Gefahr die Polizeiarbeit behindert, zumal hier ja einiges dafür spricht, dass auch die selbsternannten „Beobachter“ i.E. Teilnehmer der (Gegen)Versammlung waren. Wie gesagt, man muss den genauen Sachverhalt und die Begründung abwarten. Jedenfalls macht ein T-Shirt-Aufdruck jemanden nicht automatisch zum Nichtstörer…
Bei bereits aufgeheizter Atmosphäre von Demonstration und Gegendemonstration kann doch bloße Mitanwensenheit zu einer weiteren Aufheizung der Atmosphäre, bzw. noch weiteren Eskalationsgefahr beitragen?
Man kann hier eventuell bei Demosntrations-teilnehmern nicht mehr ohne weiteres ein weitgehende Besonnenheit erwarten, klar zwischen bloßen Beobachtern und Gegendemonstranten und Sympathisanten davon zu unterscheiden, zumal hier gewisse Grauszonen bestehen können.
Dies könnte eine Gefahr im Hinblick auf weitere Eskalation o.ä. vorantreiben.
Bloße Mitanwesenheit könnte insofern schon im Sinne von Störung eine Gefahr mit über das rechtmäßig zulässige Maß befördern?