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Schlagwortarchiv für: Störer

Gastautor

Störerkategorien des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechtes

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sofiane Benamor, LL.B. veröffentlichen zu können. Der Autor wird demnächst im Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern tätig sein und beginnt ab kommendem Wintersemester ein Studium der Rechtswissenschaften an der Fernuniversität Hagen.
 
Die Störer- bzw. Verantwortlichkeitskategorien gehören zu den zentralen Begriffen des Polizei- und Ordnungsrechtes. Sie behandeln die Personen, gegen die sich die Ordnungs- und Polizeibehörden zur Gefahrenabwehr wenden können (vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 PolG NRW, §§ 13 f. ASOG Bln, explizit § 68 Abs. 1 SOG M-V). Die Verantwortlichkeit als normative Voraussetzung der Inanspruchnahme ist wesentliches Element rechtsstaatlichen Polizei- und Ordnungsrechtes. Es stellt sicher, dass nur derjenige, dem eine Gefahr zuzurechnen ist, auch in Anspruch genommen wird. Zwar ist das Gefahrenabwehrrecht typisches Landesrecht, sodass sich bundeslandspezifische Unterschiede ergeben können, wesentliche gesetzgeberische Entscheidungen sind jedoch weitestgehend bundeseinheitlich. Im Wesentlichen finden sich zwei bzw. drei Kategorien in den Polizeigesetzen:
I. Verhaltens- bzw. Handlungsstörer
II. Zustandsstörer
III. Nichtstörer

Diese sollen folgend skizziert und ihre wesentlichen Merkmale und praxis- bzw. fallrelevanten Gesichtspunkte dargestellt werden. Abschließend soll unter IV. ein kurzer Abriss der Problematik um die Auswahl bei Störermehrheit gegeben werden.
 
I. Verhaltens- bzw. Handlungsstörer
Bei dieser Störerkategorie ist, wie der Name bereits sagt, das Verhalten der Person maßgeblich. Dieses Verhalten kann zum einen im positiven, eigenen Tun liegen, also der aktiven Verursachung einer Gefahrenlage (z. B. dem Erzeugen nächtlichen Lärms durch Brüllen). Die Verhaltensverantwortlichkeit besteht verschuldensunabhängig, kann also einerseits Einsichtsunfähige und Betrunkene (z. B. den Betrunkenen, der nachts durch sein Liegen auf der Straße den Verkehr gefährdet) andererseits aber auch Kinder treffen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 14 (§ 17 Abs. 2 BPolG; § 4 Abs. 2 PolG NRW; § 68 Abs. 2 SOG M-V; § 13 Abs. 2 ASOG Bln) bzw. unter 16 Jahren (§ 6 Abs. 2 PolG BW) besteht daneben auch eine Zusatzverantwortlichkeit für den bzw. die Aufsichtspflichtigen. Eine solche kann auch für den Betreuer einer behinderten Person oder für den Geschäftsherrn eines Verrichtungsgehilfen bestehen (§ 69 Abs. 3 SOG M-V, § 6 Abs. 3 HSOG, § 17 Abs. 3 BPolG). Dieser Zusatzverantwortliche tritt neben den Hauptverantwortlichen, sodass beide je nach Zweckmäßigkeit in Anspruch genommen werden können.
Die Verhaltensverantwortlichkeit kann auch aus einem Unterlassen resultieren (OVG Münster, DVBl. 1979, 735; Kingreen/Poscher, POR, § 9 Rn.6). Voraussetzung hierfür sind gesetzlich normierte Handlungspflichten aus dem öffentlichen Recht (z. B. Pflicht der Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken; Straßenreinigungspflicht aus Landesrecht; vgl. auch § 10 KrWG, § 26 WHG), bzw. Pflichten aus öffentlich-rechtlichem Vertrag, Verwaltungsakt oder auch Garantenstellung. Ob zivilrechtliche Handlungspflichten ausreichen, ist umstritten und jedenfalls hinsichtlich der Pflicht zur Haltung einer Sache im ordnungsgemäßen Zustand eher abzulehnen, da ansonsten die normative Distinktion zwischen Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit unterlaufen würde (Thiel, POR, Rn. 228). Daran ändert auch die verfassungsrechtliche Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG nichts.
Regelmäßige Probleme bereiten Fälle, in denen der Gefahrzusammenhang bzw. die Gefahrverursachung des (vermeintlich) Verhaltensverantwortlichen nicht zweifellos feststeht. Zur Abgrenzung verwendet die h. M. die sog. Theorie der unmittelbaren Verursachung (Selmer, JuS 1992, 97 <98>). Danach ist das Verhalten maßgeblich, welches nach den Umständen des Einzelfalles die Gefahrengrenze überschreitet. Abzustellen ist mithin auf das letzte Glied der Kausalkette, mittelbare Verursacher scheiden damit aus. Die Gefahrenschwelle überschreitet eine Handlung, wenn sie nicht mehr denjenigen Anforderungen entspricht, die von der Rechtsordnung im Interesse eines störungsfreien Gemeinschaftslebens verlangt werden (OVG Münster, NVwZ 1985, 355 <356>). Es erfolgt also keine objektive naturwissenschaftliche, sondern eine normativ wertende Gesamtbetrachtung.
Als Korrektiv dieser Theorie wurde die Figur des Zweckveranlassers entwickelt. Hierunter ist die Person zu verstehen, welche „zwar die Gefahrengrenze überschreitet, aber nicht die zeitlich letzte Handlung vor dem Schadenseintritt vornimmt“ (Gusy, POR, Rn. 336). Er veranlasst eine Situation, in welcher durch das Verhalten anderer eine Gefahr entwickelt wird, er „fordert“ den unmittelbaren Störer „heraus“ (Schmidt, POR, Rn. 776). Die enge sachliche Nähe von Veranlassung und dem die Gefahr herbeiführenden Verhalten soll hier die Verantwortlichkeit begründen. Historisch entwickelt wurde die Figur im Schaufensterpuppenfall des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes (PrOVGE 40, 216 <217>). Der Eigentümer eines Ladens stellte diverse bewegliche Puppen in sein Schaufenster. Diese lockten viele schaulustige Passanten an, die dann Ansammlungen bildeten und mithin den Verkehr behinderten. Andere Fälle sind etwa die Vermietung von Wohnungen in Sperrbezirken gem. Art. 297 EGStGB an Prostituierte (VGH Kassel, NVwZ 1992, 1111), die Anmeldung einer potenziell unfriedlichen Demonstration (OVG Weimar, NVwZ-RR 1997, 287) oder die Einladung zu einer Facebook-Party (Klas/Bauer, K&R 2011, 533).
An dieser Rechtsfigur gibt es zahlreiche Kritik (vgl. exemplarisch Erbel, JuS 1985, 257), deren Bearbeitung jedoch den Rahmen dieses Beitrages erheblich übersteigen würde.
 
II. Zustandsstörer bzw. -verantwortlichkeit
Die Zustandsverantwortlichkeit als Ausfluss der Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG stellt im Gegensatz dazu auf die tatsächliche Sachherrschaft oder Eigentum an einer Sache, die wiederum Gefahren verursacht, ab (§ 18 BPolG; § 70 SOG M-V; § 7 PolG BW; § 5 PolG NRW; § 14 ASOG Bln). Es kommt hier also nicht darauf an, ob der Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt etwas für den Gefahrenzustand der betreffenden Sache kann oder diesen (schuldhaft oder unschuldhaft) verursacht hat, sondern nur auf die objektiven Gefahren, die von der Sache ausgehen. Klassische Anwendungsfälle für die Zustandsverantwortlichkeit sind der Baum auf einem Privatgrundstück, der auf die Straße (und damit auf Passanten) zu fallen droht oder der um sich beißende Hund.
Die Eigentümereigenschaft ist akzessorisch zu den Wertungen des bürgerlichen Rechts (Götz, POR, § 9 Rn. 55). Eigentümer ist somit, wer nach den Vorschriften des BGB Eigentum an einer Sache hat. Bei gemeinschaftlichem Miteigentum ist jeder Eigentümer eigenständig verantwortlich. Die Verantwortlichkeit des Eigentümers entfällt allerdings, wenn der Inhaber der tatsächlichen Welt diese ohne den Willen des Eigentümers oder des Nutzungsberechtigten ausübt (§ 18 Abs. 2 S. 2 BPolG, § 5 Abs. 2 S. 2 PolG NRW, § 14 Abs. 2 S. 2 ASOG Bln, § 7 Abs. 2 S. 2 HSOG). Dies kann durch typische Fallkonstellationen wie Diebstahl und Unterschlagung, aber auch durch hoheitliche Beschlagnahme (z. B. Pfändung) geschehen.
Nicht beendet wird die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers jedoch durch Dereliktion gem. §§ 928, 959 BGB. Hier regeln die Polizeigesetze explizit, dass diese auch nach der Dereliktion weiterhin besteht (vgl. § 18 Abs. 3 PolG BW; 5 Abs. 3 PolG NRW; § 14 Abs. 4 ASOG Bln; § 6 Abs. 3 BremPolG; § 70 Abs. 3 SOG M-V). Der Derelinquierende soll sich seiner Verantwortung nicht einfach durch Eigentumsaufgabe entziehen können.
Die andere Form der Zustandsverantwortlichkeit ist die des Inhabers der tatsächlichen Gewalt, also der tatsächlichen Sachherrschaft. Die tatsächliche Gewalt bzw. Sachherrschaft ist ein polizeirechtseigener Begriff, der zwar ähnlich, aber nicht völlig deckungsgleich mit dem zivilrechtlichen Besitzbegriff ist (Götz, § 9 Rn. 51), da er keinen Besitzbegründungswillen erfordert und nach der Verkehrsauffassung zu bestimmen ist. Er wird jedoch in aller Regel zum selben Ergebnis führen.  Beispiele für diese Kategorie sind Mieter, Pächter und Verwahrer, aber auch Insolvenz- und Konkursverwalter.
 
III. Inanspruchnahme des Nichtstörers
Unter gewissen, sehr engen Voraussetzungen können auch Personen, die weder Verhaltens- noch Zustandsstörer bzw. Verantwortliche sind, in Anspruch genommen werden (§ 71 SOG M-V; § 20 BPolG, § 6 PolG NRW; § 9 PolG BW; § 16 ASOG Bln; § 7 BremPolG). Man spricht in diesem Zusammenhang vom polizeilichen Notstand. (Pieroth/Schlink/Kniesel, § 9 Rn. 74). Erforderlich ist hier eine Gefahr, die gegenwärtig und zumeist auch erheblich sein muss.  Weiterhin ist die Inanspruchnahme des nichtverantwortlichen Dritten subsidiär zu anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr. Das bedeutet sowohl, dass die Gefahr weder durch Inanspruchnahme des Verhaltens- noch Zustandsstörer, noch durch die Behörde selbst gebannt werden kann. Die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen ist insoweit „doppelt subsidiär“ (Gusy, Rn. 384). Bei der Wahl und Ausprägung der Maßnahme muss die Behörde zudem darauf achten, dass diese sich auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt und so wenig invasiv wie möglich ist. Außerdem steht dem Nichtstörer ein öffentlich-rechtlicher Ausgleichsanspruch zu (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Bln; § 56 Abs. 1 Satz 1 BremPolG; § 72 Abs. 1 SOG M-V; § 67 PolG NRW; § 55 Abs. 1 PolG BW).
Klassische Beispiele für diese Konstellation sind die sog. Obdachlosenfälle, in denen die Ordnungsbehörde eingreift, um drohende Obdachlosigkeit zu verhindern oder bestehende Obdachlosigkeit (auch nur temporär) zu beenden (vgl. OVG Berlin, NVwZ 1991, 692; VGH München, BayVBl. 1991, 114). Hier wird der Eigentümer der bereits bewohnten oder einer unbewohnten Wohnung als Nichtstörer in Anspruch genommen, da eine Inanspruchnahme des tatsächlichen Störers – hier des Obdachlosen – nicht erfolgsversprechend ist. Da allerdings auch hier die Nachrangigkeit der Inanspruchnahme des Nichtstörers gilt, muss sich die Ordnungsbehörde zunächst bemühen, andere Unterkünfte für den (potenziell) Obdachlosen zu finden (Schmidt, Rn. 837).
Weiterhin in der Praxis bedeutsam sind Fälle auf dem Gebiet des Versammlungsrechtes, in denen die Teilnehmer einer Demonstration zwar friedlich agieren, eine Gefahr jedoch von der Gegendemonstration zu erwarten ist. Hier ist das Verhältnis der potenziellen Maßnahmen zueinander jedoch komplexer, da die Notstandsverantwortung z. B. durch Auflagen oder ggf. auch ein Totalverbot der gefährlichen Demonstration (vgl. § 15 Abs. 1 VersG) teilweise vermieden werden kann (BVerfG, NVwZ 2000, 1406). Hier ist auch zu prüfen, ob der Demonstrationsanmelder nicht bereits als Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden kann.
 
IV. Polizei- und ordnungsbehördliche Störerauswahl
In vielen Fällen wird es nicht nur einen, sondern mehrere Verantwortliche geben, die zur Abwehr der Gefahr in Anspruch genommen werden können. Gerade die aufgezeigten Zusatzverantwortlichkeiten bei der Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit oder die sog. Doppelstörer, die sowohl verhaltens- als auch zustandsverantwortlich sind, geben den zuständigen Behörden zur Gefahrenabwehr die Möglichkeit der individuellen Auswahl. Diese Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. § 12 ASOG Bln, § 14 SOG M-V, § 3 PolG NRW; § 3 PolG BW; § 4 Abs. 1 BremPolG; § 16 BPolG). Sie hat dabei Entschließungs- und Auswahlermessen. Bei „besonders hoher Intensität der Störung oder Gefährdung“ (BVerwGE 11, 95 <97>) oder „besonders schweren Gefahrenfällen“
(BVerwG, DÖV 1969, 465) kann dieser Ermessensspielraum eingeschränkt sein. Zentrales und entscheidendes Kriterium bei der Störerauswahl ist der gefahrenabwehrrechtliche Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr, dass sich die Behörde also an denjenigen wendet, der die Gefahr am schnellsten und effektivsten beseitigen kann (Schmidt, Rn. 816). So ist im Verhältnis Mieter (als Inhaber der tatsächlichen Gewalt) und Eigentümer der Mieter als Anwesender, sofort Handlungsfähiger eher in der Lage, einen losen Ziegelstein vom Dach des Hauses zu entfernen als der entfernt wohnende Eigentümer. Andersherum wird sich die Behörde an den Eigentümer wenden, wenn es um bestimmte Handlungen geht, die dem Mieter aus mietvertraglichen bzw. eigentumsrechtlichen Gründen verboten sind, er dazu also rechtlich nicht in der Lage ist. In der Literatur finden sich darüber hinaus vermehrt Faustformeln für die Inanspruchnahme, etwa „Verhaltensverantwortlicher/Handlungsstörer vor Zustandsstörer“ oder „Doppelstörer vor einfachem Störer“ (Thiel, Rn. 305). Die Tauglichkeit solcher Faustformeln ist umstritten (Vgl. Schoch, JURA 2012, 685 <688>). Es wird hier zu raten sein, eine wertende Gesamtbetrachtung der jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen.

23.08.2021/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-08-23 09:00:592021-08-23 09:00:59Störerkategorien des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechtes
Dr. Lena Bleckmann

Bundesverwaltungsgericht zu Polizeikosten bei Hochrisikospielen

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In der vergangenen Woche erging ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Kostentragungspflichten bei Hochrisikofußballspielen (PM Nr. 26/2019 v. 29.3.2019). Aufgrund der Berührungspunkte mit mehreren Teilgebieten des Öffentlichen Rechts, insbesondere dem Polizeirecht und den Grundrechten, bietet die Entscheidung eine gute Basis für zukünftige Klausuren.
Sachverhalt
Aus Anlass eines Polizeieinsatzes bei einem Fußballspiel des SV Werder Bremen gegen den Hamburger SV erhob das Land Bremen von der Deutschen Fußball Liga (DFL) Gebühren in Höhe von 425.000 €. Dies geschah auf Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahre 2014: Es sieht die Möglichkeit vor, von Veranstaltern gewinnorientierter Großveranstaltungen Gebühren für Polizeieinsätze zu erheben, sofern in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang gewaltsame Ausschreitungen zu erwarten und so der Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte voraussichtlich erforderlich sei. Die Gebühr richtet sich nach dem jeweiligen Mehraufwand der Polizei. 
Bei dem Spiel bestand die hohe Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Auseinandersetzungen, sodass statt der üblichen 150 Beamten über 950 Polizisten, größtenteils aus anderen Bundesländern, im Einsatz waren. Die hierdurch entstandenen Kosten soll die DFL nun ersetzen. 
Die DFL ging gegen den Gebührenbescheid vor. Sie selbst sei schon nicht der richtige Adressat, die Gebühren könnten ausschließlich vom Verein Werder Bremen erhoben werden. Das Gesetz sei außerdem verfassungswidrig, insbesondere im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot, Art. 12 GG und Art. 14 GG. Weiterhin sei die Gefahrenabwehr Kernaufgabe des Landes und dürfe nur über Steuern finanziert werden. Auch sei die DFL selbst kein Störer i.S.d. Polizeigesetzes des Landes Bremen, sondern müsse vielmehr selbst vor den Ausschreitungen geschützt werden (siehe zu den Einwänden der DFL die Entscheidung der Vorinstanz, OVG Bremen, Az. 2 LC 139/17 – juris).
Während die erste Instanz der Klage der DFL stattgab und das Gesetz für zu unbestimmt hielt, entschied das OVG Bremen zugunsten des Landes.
So nun auch das Bundesverwaltungsgericht:
Zunächst sei bei der Gebührenerhebung zu beachten, dass der Gebührenpflichtige Steuerzahler sei und so unter anderem auch die Gefahrenabwehr mitfinanziere. Aufgrund einer besonderen Rechtfertigung sei die Erhebung zusätzlicher Gebühren dennoch möglich. Richtig sei der Einwand, die DFL selbst sei kein Störer im polizeirechtlichen Sinne, sodass die Gebühren nicht auf die Grundsätze der Störerhaftung gestützt werden können. Allerdings handle es sich bei dem Einsatz auch nicht um die übliche Gefahrenabwehr, sondern um eine Sonderleistung, die die Gebühren rechtfertige. Die DFL sei insoweit Nutznießer, sodass die Gebührenerhebung gerechtfertigt sei. 
Zwar sei auch die allgemeine Gefahrenabwehr betroffen, sodass in Erwägung gezogen werden könnte, einen entsprechenden Betrag in Abzug zu bringen. Das BVerwG stellte jedoch fest, dass das Interesse des Nutznießers das allgemeine Interesse so sehr überwiege, dass ein Abzug nicht angezeigt sei. 
Hinsichtlich der Bestimmtheit des Gesetzes bestünden jedenfalls im Hinblick auf Hochrisikofußballspiele keine Zweifel: Aufgrund der bestehenden Erfahrungswerte sei absehbar, in welchem Ausmaß zusätzliche Polizeikräfte erforderlich seien. Zwar müsse die Polizei den betriebenen Aufwand stets im Einzelnen rechtfertigen, dies sei ihr aufgrund der Erfahrungswerte allerdings regelmäßig möglich. 
Wichtig: Anderes soll für andersartige Großveranstaltungen gelten, für die keine ähnlichen Erfahrungswerte bestehen – die in diesem Fall mit dem Gebührentatbestand verbundenen Unsicherheiten seien dem Veranstalter unzumutbar, sodass keine Gebühr erhoben werden dürfe. 
Auch die Höhe der erhobenen Gebühr sah das BVerwG als unproblematisch an: Zwar können die polizeilichen Ausgaben eine beträchtliche Höhe erreichen, dies sei aber zumutbar, da der Tatbestand ausschließlich an gewinnorientierte Veranstaltungen anknüpfe. Insbesondere in der (hier betroffenen) Ersten Bundesliga stehe die Gebühr in einer angemessenen Relation zu dem durch den Veranstalter erzielten Gewinn. Dieser erhöhe sich auch gerade durch die gewährleistete Sicherheit – ohne den Einsatz der Polizeikräfte sei das Risiko von Ausschreitungen so hoch, das Besucher fernbleiben, der Gewinn einbrechen und der Ruf der DFL leiden könnte. In nachrangigen Ligen oder bei anderen Großveranstaltungen, bei denen keine vergleichbaren Gewinne erzielt werden, können die Gebühren jedoch unverhältnismäßig sein. 
Soweit die DFL geltend macht, sie sei nicht der richtige Adressat des Gebührenbescheids, führt das BVerwG lediglich aus, das Land könne nach seiner Wahl zwar auch den Verein Werder Bremen in Anspruch nehmen – die DFL sei jedoch jedenfalls Mitveranstalter des Fußballspiels. Sie bestimme wesentlich mit, wann und wo die Spiele der Ersten Bundesliga stattfinden. Der interne Ausgleich zwischen den Beteiligten bleibe diesen überlassen. 
Problematisch seien die erhobenen Gebühren allerdings insoweit, als dass sie auch direkt von den jeweiligen Störern erhoben werden könnten. Dies betrifft insbesondere die Kosten für zahlreiche Ingewahrsamnahmen am Spieltag. Hier seien ausschließlich die Störer in Anspruch zu nehmen, um eine doppelte Erstattung auszuschließen.
Bezüglich möglicher Grundrechtseingriffe lässt sich der Pressemitteilung des BVerwG nichts entnehmen. Allerdings stellte schon die Vorinstanz fest, Art. 14 GG schütze nicht das Vermögen als solches und damit nicht vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten. Ein Eingriff in Art. 12 GG sei zwar aufgrund einer objektiv berufsregelnden Tendenz gegeben, jedoch durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt – der Schutz bei Hochrisikospielen diene vorrangig dem wirtschaftlichen Interesse des Veranstalters, sodass die Kosten auch von diesem, nicht aber von der Allgemeinheit zu tragen seien. 
Fazit
Die Entscheidung eröffnet dem Klausursteller viele Möglichkeiten: je nach Schwerpunktsetzung und Fragestellung können Ansprüche aus dem Polizeirecht gegen Veranstalter und Teilnehmer sowie grundrechtliche Fragestellungen zu prüfen sein. Die Möglichkeit der Kostenerhebung bei „Sonderleistungen“ der Polizei ist ungewöhnlich und stellt eine besondere Schwierigkeit dar. Der Bearbeiter, der diesbezüglich Überlegungen anstellt, dürfte sich bei vertretbarer Argumentation besonders vom Durchschnitt abheben. 

03.04.2019/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-04-03 09:00:422019-04-03 09:00:42Bundesverwaltungsgericht zu Polizeikosten bei Hochrisikospielen
Dr. Stephan Pötters

VGH Baden-Württemberg: „Demonstrationsbeobachter“ als Störer

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Versammlungsrecht

Eine aktuelle Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zum Polizei- und Ordnungsrecht beschäftigt sich mit der Störereigenschaft.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde (nach Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 06.08.2015): Die rechtsextremistische Gruppierung „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland e.V.“ (keine Satire!) veranstaltete am 23.02.2013 – anknüpfend an die alliierten Luftangriffe auf Pforzheim am 23. Februar 1945 – auf dem Wartberg in Pforzheim eine angemeldete „Mahnwache“. Zu der Veranstaltung waren verschiedene Gegendemonstrationen angemeldet. Das „Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit“ hatte der Stadt Pforzheim vorab mitgeteilt, es werde an an diesem Tag mit „Demonstrationsbeobachtern“ präsent sein, die durch ihre besondere Kleidung erkennbar seien. Diese verstünden sich nicht als Versammlungsteilnehmer, sondern wollten das Demonstrationsrecht schützen und dazu das Verhalten aller Beteiligten beobachten und dokumentieren.
Am Tag der Veranstaltung bewegte sich aus einer angemeldeten Gegendemonstration der „Initiative gegen Rechts“ ein Aufzug mit ca. 300 bis 400 Personen in Richtung Wartberg. Dieser Aufzug löste sich nach den Feststellungen der Polizei in teilweise vermummte kleine Gruppen auf, die einzelne Polizeisperren umgingen oder teils mit Brettern, Flaschen und Steinen attackierten. Eine Gruppe bewegte sich zu einer Wiese, auf der die Polizei einen Bauzaun errichtet hatte, jenseits dessen eine Störung der Versammlung des FHD möglich gewesen wäre. Die Gruppe versuchte den Bauzaun zu durchbrechen. Dabei wurde sie von der Polizei eingekreist. Die Polizei gab mit Lautsprecher bekannt, die innerhalb der Umkreisung gebildete spontane Versammlung habe durch Stein- und Flaschenwürfe sowie Einsatz von Pyrotechnik einen unfriedlichen Verlauf genommen und werde daher endgültig aufgelöst; es würden nun „von allen“ die Personalien festgestellt. Ein Polizeibeamter traf die Klägerin, die mit einer hellblauen Weste mit der in Leuchtschrift gehaltenen Aufschrift „Demo-Beobachterin“ bekleidet war, am Rand der eingekreisten Gruppe an und nahm ihre Personalien auf. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass diese polizeiliche Maßnahme rechtswidrig war. Dies blieb in erster Instanz ohne Erfolg.
Lösung des VGH
Der VGH hat dies bestätigt (Entscheidung vom 10.3.2015 – 1 S 1225/14).
Das Versammlungsrecht ist „polizeifest“, d.h. es ist für die Abwehr versammlungstypischer Gefahren abschließend. Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer können nur auf Grundlage des Versammlungsrechts ergriffen werden. Da hier die Versammlung bereits aufgelöst worden war und die Klägerin zudem ohnehin nicht an ihr teilgenommen hatte, konnte die Polizei auf Grundlage des allgemeinen Polizeirechts handeln. Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung war damit § 26 PolG Ba-Wü (vgl. etwa auch § 12 PolG NRW). Abzugrenzen wäre diese Ermächtigungsgrundlage in der Klausur noch von § 163 b StPO, wonach die Polizei zur Strafverfolgung die Identität des Verdächtigen (§ 163 b Abs. 1 StPO) und anderer Personen (§ 163 b Abs. 2 StPO) feststellen darf.
Problematisch war im vorliegenden Fall insbesondere die Störereigenschaft der Klägerin. Der VGH bejahte sie: Die Klägerin sei Verhaltensstörerin. Die Polizei habe die Klägerin aufgrund der Gesamtumstände und der Nähe der Klägerin zur umschlossenen unfriedlichen Versammlung als Gefahrverursacherin ansehen dürfen. Die Klägerin habe sich ursprünglich in der von der Polizei eingekreisten Versammlung befunden. Als sie von dem Polizeibeamten angesprochen worden sei, habe sie sich nach wie vor in einem sehr engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu unfriedlichen Aktionen aufgehalten, die vorher aus der Gruppe verübt worden seien. Allein aufgrund ihrer Kleidung und ihrer Bezeichnung als „Demonstrationsbeobachter“ habe sie sich nicht erkennbar von der Gefahrenquelle distanziert.
 
Quelle: Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 06.08.2015, Entscheidung im Volltext liegt noch nicht vor

07.08.2015/8 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2015-08-07 08:29:502015-08-07 08:29:50VGH Baden-Württemberg: „Demonstrationsbeobachter“ als Störer
Zaid Mansour

Überblick zur Rechtsfigur des sog. Zweckveranlassers

Für die ersten Semester, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Schon gelesen?, Verschiedenes

Die Figur des Zweckveranlassers ist seit geraumer Zeit in Schrifttum und Rechtsprechung höchst umstritten und mithin ein „Klassikerproblem“ des Polizei- und Ordnungsrechts. Solides Grundwissen erleichtert dem Prüfling dabei den Einstieg in die Falllösung. Klausurtechnisch taucht die Zweckveranlasserproblematik im Rahmen der auf Tatbestandsebene zu verortenden Prüfung auf, ob die handelnde Polizei- oder Ordnungsbehörde ihre Maßnahme gegen den richtigen Störer bzw. den Verursacher der Gefahr gerichtet hat. Zunächst sollen die gängigen Verursachungstheorien hinsichtlich der polizei- und ordnungsrechtlichen Handlungsverantwortlichkeit kurz dargestellt werden (I.). Im Anschluss daran folgt eine sich auf das im Rahmen des Examens erforderliche Wissen beschränkende Darstellung des Streitstandes hinsichtlich Zulässigkeit und Voraussetzungen einer Inanspruchnahme als Zweckveranlasser (II.).

I. Verursacherbegriff im Polizei- und Ordnungsrecht

Die Störereigenschaft hängt maßgeblich davon ab, ob im polizeirechtlichen Sinne eine Gefahr verursacht wurde. Auf ein Verschulden oder eine Verschuldensfähigkeit kommt es dabei nicht an. Zur Ermittlung der polizeirechtlichen Kausalität kommt zunächst die Äquivalenztheorie i.S.d condicio sine qua non – Formel in Betracht, wonach grundsätzlich jede getätigte Handlung, die nicht hinweggedacht, bzw. jede unterlassene Handlung, die nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, ursächlich ist. Die Äquivalenztheorie wird allerdings in diesem Kontext von der h.M aufgrund ihrer Uferlosigkeit und der damit einhergehenden übermäßigen Ausdehnung der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit abgelehnt. Beim polizeirechtlichen Verursacherbegriff darf also nicht allein auf die Kausalität im Sinne naturwissenschaftlicher Regeln abgestellt werden. Auch die aus dem Zivilrecht bekannte Adäquanztheorie erscheint im Kontext des Polizeirechts als untauglich, da Ädaquanz im Ergebnis auf die Vorhersehbarkeit und damit auf das Verschulden abstellt. Die polizeirechtliche Haftung ist jedoch, wie eingangs bereits erwähnt, verschuldensunabhängig (täterindifferent). Die Theorie der rechtswidrigen Verursachung stellt hingegen darauf ab, dass die Handlungsverantwortlichkeit Folge rechtswidrigen Handelns ist. Nach einer anderen Literaturmeinung ist die Frage der Verhaltensverantwortlichkeit anhand wertender Kriterien wie Pflichtwidrigkeit oder Risikosphäre zu ermitteln (Lehre von der Risikosphäre).

Nach der mittlerweile wohl herrschenden Theorie der unmittelbaren Verursachung ist nur diejenige Person verhaltensverantwortlich, die die Gefahr unmittelbar herbeigeführt hat und damit selbst und in eigener Person die Gefahrenschwelle überschritten hat.

II. Die Lehre vom Zweckveranlasser

Als Zweckveranlasser (auch mittelbarer Verursacher genannt) wird im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne eine Person bezeichnet, der eine Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch Dritte aufgrund einer eigenen, für sich betrachtet rechtmäßigen bzw. neutralen Handlung zugerechnet wird.

Die Rechtsfigur des Zweckveranlassers wird von Teilen des Schrifttums grundsätzlich abgelehnt. Begründet wird dies mit dem Analogieverbot, dem Schutz von Grundrechten sowie dem Verweis auf den Grundsatz, wonach eine polizeirechtwidrige Situation nur durch eigenverantwortliches Handeln geschaffen werden kann. Danach soll gegen denjenigen, der lediglich einen mittelbaren Verursachungsbeitrag geleistet hat, nur unter den Voraussetzungen der Notstandverantwortlichkeit vorgegangen werden können.

Der herrschenden Ansicht zufolge kann auch ein mittelbarer Verursacher einer Gefahr als Handlungsverantwortlicher im polizeirechtlichen Sinne angesehen werden, wobei allerdings streitig ist, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist.

Die subjektive Zweckveranlassertheorie stellt primär darauf ab, ob der Handelnde zweckgerichtet die Gefahrenverwirklichung durch Dritte beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen hat. Auf Grundlage der objektiven Zweckveranlassertheorie ist eine Verhaltensstörereigenschaft dann zu bejahen, wenn aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten die eingetretene Folge typischerweise durch die Veranlassungshandlung herbeigeführt wird. Die h.M vertritt hingegen eine vermittelnde Sichtweise, indem sie diese beiden Ansichten in ein Alternativitätsverhältnis stellt. Danach ist Zweckveranlasser und damit Verhaltensstörer, wer die Störung bzw. Gefahr subjektiv bezweckt oder dessen Verhalten zwangsläufig eine Störung oder Gefahr zur Folge hat.

Gegner und Befürworter dieser Rechtsfigur sind sich allerdings einig, dass eine Inanspruchnahme als Zweckveranlasser in der Regel jedenfalls dann ausscheiden muss, wenn bei wertender Betrachtungsweise in rechtmäßiger Weise von grundrechtlich geschützten Verhaltensweisen Gebrauch gemacht wurde. In derartigen Konstellationen kommt jedoch eine Inanspruchnahme als Nichtstörer in Betracht.

Beispiel 1: Ladeninhaber L engagiert gutaussehende (weibliche) Models und lässt sie im Schaufenster seines Ladengeschäfts spärlich bekleidet in aufreizender Weise posieren. Dadurch entsteht eine große Menschenansammlung, die eine Blockade der am Laden vorbeiführenden Straße und ein Verkehrschaos nach sich zieht. L ist jedenfalls objektiver Zweckveranlasser, obwohl ihm das Verkehrschaos möglicherweise (subjektiv) unerwünscht war.

 Beispiel 2: A ist Inhaber eines Warenlagers und will seinem Nachbarn eins auswischen. Dazu weist er seinen Warenlieferanten unter Mitgabe des Schlüssels für das Warenlager an, in den nächsten Tagen nur zur Nachtzeit anzuliefern. Hinsichtlich der eintretenden nächtlichen Ruhestörung ist A (subjektiver) Zweckveranlasser. Die Tatsache, dass der Warenlieferant ebenfalls Verhaltensstörer ist, steht dem nicht entgegen. Dies spielt im Falle der Inanspruchnahme des A allein auf Ebene der Ermessensprüfung eine Rolle (Störerauswahlermessen).

26.05.2012/5 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-05-26 19:25:022012-05-26 19:25:02Überblick zur Rechtsfigur des sog. Zweckveranlassers
Dr. Christoph Werkmeister

OLG Köln: Keine per se Haftung des Anschlussinhabers für Rechtsverletzungen durch Dritte

Deliktsrecht, Zivilrecht

Das OLG Köln hat mit Urteil vom 16.05.2012 (Az. 6 U 239/11) über eine Streitfrage des Urheberrechts entschieden, die allerdings auch allgemeine zivilrechtliche Kategorien betrifft. Es ging in der Sache darum, ob und wann ein Internetanschlussinhaber für Urheberrechtsverletzungen haftet, die von seinem (den Anschluss mitbenutzenden) Ehegatten begangen wurden. Das Urheberrecht, insbesondere die spezialgesetzlich geregelten Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach § 97 UrhG, sind nicht examensrelevant. Gleichwohl eignet sich die Entscheidung hervorragend dazu, um Probleme wie die Störerhaftung und die Zurechnung von Verursachungsanteilen allgemein und ganz losgelöst von einem bestimmten Rechtsrahmen zu diskutieren. Deshalb und nicht zuletzt auch weil die Haftung für Rechtsverletzungen im digitalen Zeitalter eines der umstrittensten Themen der aktuellen Tagespresse darstellt (Stichwort: Piratenpartei), sollte das hier angemerkte Urteil für anstehende mündliche Prüfungen berücksichtigt werden.
Sachverhalt

In dem zur Entscheidung stehenden Fall wurde über den Internetanschluss der beklagten Ehefrau an zwei Tagen jeweils ein Computerspiel zum Download angeboten. Die Inhaberin des Urheberrechts an diesem Spiel mahnte die Beklagte ab. Die Beklagte nahm die Abmahnung nicht hin, sondern widersprach. Im anschließenden Rechtsstreit vor dem LG Köln verteidigte sich die Beklagte damit, das Spiel sei nicht von ihr selbst angeboten worden. Der Anschluss sei auch und sogar hauptsächlich von ihrem – zwischenzeitlich verstorbenen – Ehemann genutzt worden. Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben und die Ehefrau zu Unterlassung und Schadensersatz einschließlich Erstattung der Abmahnkosten verurteilt. Das OLG Köln hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Beweislast
Im zu entscheidenden Fall war zunächst problematisch, wie in einem derartigen Fall die Darlegungs- und Beweislast verteilt ist. Dieser Problemkreis ist allgemeiner Natur und kann deshalb auch als Aufhänger für entsprechende Fragerunden im Beweisrecht dienen. Grundsätzlich gilt, vereinfacht ausgedrückt, dass alle anspruchsbegründenden Tatsachen vom Anspruchssteller, und damit vom Kläger zu beweisen sind. Im vorliegenden Fall lässt sich anhand der IP-Protokolle (siehe zur faktischen Verfolgbarkeit urheberrechtlicher Straftaten hier und hier) beweisen, dass die Verletzung vom Anschluss der Ehefrau ausging. Welche Person aber den Anschluss zum Zeitpunkt des Verstoßes benutzt hat, war zwischen den Parteien streitig. Es stellt sich damit die Frage, ob die Verletzung vom Anschlussinhaber selbst oder durch einem Dritten begangen worden ist.
Zu diesem Aspekt berief sich das OLG Köln auf die Rechtsprechung des BGH, wonach zwar eine Vermutung dafür spreche, dass der Anschlussinhaber selbst der Täter gewesen sei. Lege der Inhaber jedoch – wie hier – die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes dar, müsse wiederum die klagende Seite den Beweis für die Täterschaft führen.
Zurechnung des Verhaltens des Ehemanns
Da eine Urheberrechtsverletzung durch die Ehefrau somit nicht bewiesen werden konnte, kam eine Haftung ihrerseits nur dann in Betracht, sofern ihr das Verhalten ihres Mannes haftungsrechtlich zuzurechnen war. Das OLG hatte somit zu klären, ob der Anschlussinhaber auch für Urheberrechtsverletzungen haftet, die nicht von ihm selbst, sondern von einem Dritten begangen werden.
Das OLG Köln vertrat in diesem Kontext, dass die bloße Überlassung der Mitnutzungsmöglichkeit an den Ehegatten noch keinerlei Haftung auslöse. Eine Haftung käme nur dann in Betracht, wenn die Ehefrau als Anschlussinhaber Kenntnis vom illegalen Verhalten des Dritten, in diesem Fall also des Ehemannes, habe. Zudem käme eine Haftung in Betracht, wenn eine Aufsichtspflicht der Ehefrau bestünde. Eine solche Pflicht in Form einer Prüf- und Kontrollpflicht könne nach dem OLG Köln etwa dann angenommen werden, wenn Eltern ihren Internetanschluss auch für ihre Kinder zugänglich machen. Eine solche Überwachungspflicht bestehe aber nicht im Verhältnis zum Ehepartner.
Eingang der Problematik ins allgemeine Zivilrecht
Im Ergebnis handelt es sich also um eine Problematik, die sich genauso im Rahmen eines Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruchs nach §§ 1004, 823 BGB abspielen könnte. Insbesondere im Rahmen von Cyberkriminalität und anderen computerbezogenen Eingriffen (etwa in Form von Hackerangriffen) kommen die Erwägungen des OLG Köln auch im allgemeinen Zivilrecht zum Tragen. Bei Ansprüchen nach § 1004 Abs. 1 BGB stellt sich dann die Frage, ob der Anschlussinhaber als Störer im Sinne der Anspruchsgrundlage eingeordnet werden kann. Bei Ansprüchen auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB ist dagegen zu fragen, ob ein schadensstiftendes Handeln oder Unterlassen seitens des Anschlussinhabers vorlag, was insbesondere im Falle der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der Fall wäre.
Die Entscheidung des OLG geht dabei in die Richtung, dass der Anschlussinhaber nicht per se für jede Rechtsverletzung durch Dritte haftet. Nur dann, wenn eine bestimmte Überwachungspflicht, etwa in Form der elterlichen Fürsorge, besteht, könne von einer Zurechnung des Verhaltens ausgegangen werden. Im Ausgleich hierzu bestehen wiederum die besonderen beweisrechtlichen Vermutungsregeln, wonach der Anschlussinhaber darlegen muss, dass er selbst nicht den Anschluss genutzt hat.
More to come…
Die Entscheidung des OLG Köln stellt sicherlich nicht das Ende der Judikatur zur Frage der computerspezifischen Zurechnungsproblematik dar. Im hier besprochenen Fall wurde die Revision zum BGH zugelassen, so dass mit weiterer Rechtsprechung in diesem zukunftsträchtigen Feld zu rechnen ist.

23.05.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-05-23 19:53:562012-05-23 19:53:56OLG Köln: Keine per se Haftung des Anschlussinhabers für Rechtsverletzungen durch Dritte

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