Das OVG Lüneburg (11 LA 1/13) hat sich in zweiter Instanz mit Rechtsfragen aus dem Themenkomplex „Fotografieren von Polizeibeamten“ befasst.
A. Sachverhalt
Anlass des Verwaltungsrechtsstreits ist ein Geschehen, das sich im Januar 2011 im Zusammenhang mit einer Zwischenkundgebung im Rahmen einer angemeldeten Versammlung in Göttingen ereignete. Dabei kam es zu einem Zusammentreffen zwischen dem Kläger, seiner Begleiterin und zwei Polizeibeamten. Die Einzelheiten dieses Zusammentreffens sind streitig. Fest steht, dass der Kläger und seine Begleiterin durch Buttons an ihrer Kleidung als Angehörige der Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ zu erkennen waren. Unstreitig ist auch, dass der Kläger den Polizeibeamten für einige Minuten seinen Personalausweis aushändigte, während seine Begleiterin eine Kamera in Richtung der Polizisten hielt. Zwischen den Parteien streitig ist aber, ob tatsächlich Bildaufnahmen von den Polizisten gefertigt wurden und was mit etwaigen Aufnahmen hätte geschehen sollen. Der Kläger ist der Ansicht, es sei zu einer polizeirechtswidrigen Feststellung seiner Identität gekommen und begehrt insoweit nachträglich die Feststellung.
B. Rechtliche Würdigung
I. Zulässigkeit
In Rahmen der Zulässigkeit einer Klage wäre hier besonders die Statthaftigkeit zu problematisieren. In Betracht kommt eine allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) oder eine Fortsetzungsfeststellungsklage (analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ). Ob es im vorliegenden Fall tatsächlich zu einer (auf § 13 Abs. 1 und 2 Nds. SOG gestützten) Identitätsfeststellung in Form eines Verwaltungsakts kam, ist zwischen den Parteien streitig. Wäre dies der Fälle, müsste der Kläger die Rechtswidrigkeit dieser – noch vor Klageerhebung erledigten – Maßnahme im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage angreifen. Andernfalls wäre eine allgemeine Feststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines in der Vergangenheit liegenden Rechtsverhältnisses, statthaft. Das OVG konnte die Frage letztlich offen lassen, da es das für beide Klagearten erforderliche qualifizierte Feststellungsinteresse als gegeben ansah (siehe zu den Fallgruppen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses etwa hier). In dem erstinstanzlichen Urteil (1 A 14/11) heisst es hierzu:
Das für beide Klagearten gleichermaßen erforderliche schutzwürdige Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung ist gegeben. Ein solches Interesse besteht u. a. in den Fällen einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.03.2012 – 6 C 12/11 -, NJW 2012, 2676), die hier zu bejahen ist. Ob der Kläger daneben auch ein Rehabilitationsinteresse oder einen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß geltend machen kann, kann dahinstehen.
In der Prüfungssituation müsste man sich vermutlich auf der Grundlage eines unstreitigen Sachverhalts für eine der beiden Klagearten entscheiden. In der mündlichen Prüfung kann man natürlich punkten, wenn man erkennt und begründet, dass die statthafte Klageart bei unklarer Tatsachenlage letztlich dahinstehen kann, da die Voraussetzungen für beide Ansätze gegeben sind.
II. Begründetheit
In der Begründetheit ist die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen zu prüfen.
1. Streitige Tatsachengrundlage
Bevor man in die Prüfung einsteigt, muss man sich überlegen, wie mit der Tatsache umzugehen ist, dass auf Grund des Sachverhalts nicht feststeht, ob es tatsächlich zu einer Identitätsfeststellung im Sinne des § 13 Abs. 1 und 2 Nds. SOG (als potentielle Ermächtigungsgrundlage) kam. In einer Klausur dürfte sich das Problem angesichts regelmäßig unstreitiger Sachverhalte (jedenfalls im ersten Examen) nicht stellen. Wie das OVG kann man die Maßnahme aber auch einfach auf der Grundlage des klägerischen Vortrags am Maßstab des § 13 Abs. 1 und 2 Nds. SOG messen und prüfen, ob die Voraussetzungen einer Identitätsfeststellung vorlagen.
2. Ermächtigungsgrundage
Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG). Dabei können sie zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen, insbesondere die betroffene Person anhalten, nach ihren Personalien befragen und verlangen, dass sie mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG).
3. Bestimmung des Gefahrbegriffs im Rahmen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG
Zur Definition des Gefahrbegriffs kann im Anwendungsbereich des Nds. SOG auf eine Legaldefinition zurückgegriffen werden.
Nach § 2 Nr. 1 lit. 1 Nds. SOG ist „Gefahr“ definiert als eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird.
Der Fall könnte freilich auch in einem Bundesland gestellt werden, dessen polizei- und ordnungsrechtliche Gesetzestexte keine Legaldefinitionen enthalten. Dann müsste man die gelernte (gleichlautende) Definition bemühen (siehe zu Standarddefinitionen im Polizei- und Ordnungsrecht hier). Maßgeblich für die Wahrscheinlichkeitsprognose ist im Übrigen das Urteil eines fähigen, sachkundigen und besonnenen Beamten aus der ex-ante Perspektive.
4. Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG
Gemessen an diesem Prüfungsmaßstab könnte eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form der Begehung einer Straftat nach § 33 KunstUrhG vorliegen. Danach macht sich strafbar, wer entgegen den §§ 22, 23 KunstUrhG ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt.
a) Bildnis im Sinne der §§ 22, 23 KunstUrhG
Zunächst müsste überhaupt ein Bildnis im Sinne der §§ 22, 23 KunstUrhG vorliegen (das Filmen und Fotografieren polizeilicher Einsätze ist im Grundsatz zulässig). Der Kläger bestreitet zwar, überhaupt Fotoaufnahmen gemacht zu haben. Hierauf kommt es aber nicht an, weil aus der maßgeblichen ex-ante Sicht der beteiligten Polizeibeamten davon auszugehen war:
Die daran beteiligten Polizeibeamten konnten im maßgeblichen Zeitpunkt der von ihnen getroffenen Maßnahme von der Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG durch den Kläger ausgehen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erweckte das Verhalten des Klägers und seiner Begleiterin, die durch „Buttons“ an ihrer Kleidung als Angehörige der Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ zu erkennen waren, den Eindruck, Nahaufnahmen von den Polizeibeamten zu erstellen. Zwar hat der Kläger bestritten, selbst Aufnahmen gemacht zu haben. Das Verwaltungsgericht hat aber zu Recht entschieden, dass dem Kläger das Verhalten seiner Begleiterin, mit der er als “Beobachtungsteam“ aufgetreten sei und die auch nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zumindest den Anschein erweckt habe, Videoaufnahmen von den Polizeibeamten zu machen, zuzurechnen sei.
b) Verbreiten oder öffentliches Zur-Schau-stellen entgegen §§ 22, 23 KunstUrhG
Fraglich ist weiter, ob die Fotos in einer gegen §§ 22, 23 KunstUrhG verstoßenden Weise veröffentlicht werden sollten. Maßgeblich ist auch insoweit wieder die ex-ante Sicht der beteiligten Polizeibeamten.
Während etwa eine Beschlagnahme von Fotografieren – wie das Gericht ausführt – nur gerechtfertigt wäre, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Lichtbilder entgegen den Vorschriften der §§ 22, 23 KunstUrhG unter Missachtung des Rechts von Polizeibeamten und/oder Dritter am eigenen Bild auch veröffentlicht werden, bedarf es für die vorgelagerte Maßnahme der Identitätsfeststellung, die das Gericht als Gefahrerforschungsmaßnahme qualifiziert, lediglich hinreichender Anhaltspunkte für die Gefahr einer Veröffentlichung (Gefahrenverdacht):
Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Sicherstellung von Foto- oder Filmmaterial bzw. ein Fotografier- oder Filmverbot, sondern um die einer solchen Maßnahme vorgelagerte Identitätsfeststellung. Gegenüber den Polizeibeamten haben der Kläger und seine Begleiterin angegeben, für die Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ tätig zu sein und die Aufnahmen dort verwenden zu wollen. Insofern lagen für die Polizeibeamten hinreichende Anhaltspunkte für die Gefahr vor, dass von ihnen gefertigte Nahaufnahmen öffentlich zur Schau gestellt, d.h. zumindest innerhalb der Gruppe oder sogar im Internet verbreitet werden könnten.
III. Fazit
Der dargestellte Grundfall bietet schon die Gelegenheit polizei- und ordnungsrechtliches Standardwissen (Fortsetzungsfeststellungsklage, Gefahrbegriffe) abzufragen (insoweit nochmal der Hinweis auf unseren Beitrag zu Standarddefinitionen). Besonders interessant wird der Themenkomplex allerdings erst, wenn man das Geschehen in dem Kontext einer jüngeren Entscheidung des BVerwG (6 C 12/11) sieht, die eine polizeiliche Untersagung von Fotoaufnahmen durch Presseorgane zum Gegenstand hatte (die Lektüre der Entscheidung ist dringend zu empfehlen, wir hatten dazu berichtet). Das BVerwG hat in diesem Urteil nämlich im Hinblick auf die gebotene Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit ausgeführt, die mit einer Bildaufnahme verbundene Möglichkeit einer gegen §§ 22, 23 KunstUrhG verstoßenden Veröffentlichung der Bilder müsse nicht notwendig immer auf der sog. ersten Stufe (durch ein Fotografierverbot) abgewehrt werden; dies könne vielmehr in vielen Fällen auch auf der sog. zweiten Stufe (des Gebrauchs der entstandenen Bilder), insbesondere durch eine ausreichende Verpixelung, geschehen.
Zur Anwendbarkeit dieser Rechtsprechungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall hat das OVG sich wie folgt geäußert:
Abgesehen davon, dass der Kläger sich nicht auf die Pressefreiheit berufen kann, geht es im vorliegenden Fall auch (noch) nicht um eine Gefahrenabwehrmaßnahme auf der ersten Stufe wie z.B. ein Fotografier- bzw. Filmverbot, sondern – lediglich – um die einer möglichen weiteren polizeilichen Maßnahme vorgeschaltete Identitätsfeststellung. Der Auffassung des Klägers, dass das Verwaltungsgericht die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts falsch gewertet habe, kann daher nicht gefolgt werden.
Es liegt allerdings auf der Hand, dass man sich in einer Prüfungssituation (bei geringfügiger Abwandlung des Falls) mit diesen Fragen wird auseinandersetzen müssen. Wer die Rechtsprechung des BVerwG und die vorliegende Entscheidung des OVG kennt, dürfte insoweit allerdings keine Schwierigkeiten haben.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass Ausgangspunkt der Entscheidung ein Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung war. Dies ließe sich auch in der Klausur einbauen. Fallfrage wäre dann etwa:
Hat der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Erfolg?
Dies ist der Fall, wenn der Antrag zulässig und begründet ist. Gegen erstinstanzliche Urteile der Verwaltungsgerichte ist der Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 VwGO statthaft (die Berufung selbst ist nach § 124 Abs. 1 VwGO nur dann statthaftes Rechtsmittel, wenn sie ausnahmsweise im Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen wurde). Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen lassen sich problemlos der Lektüre des § 124a Abs. 4 VwGo entnehmen. Der Antrag ist begründet, wenn ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Dabei ist dann vor allem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu prüfen, wonach die Berufung zuzulassen ist, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Urteils bestehen, wenn das Urteil unrichtig ist. Dies ist der Fall, wenn die Klage zulässig und begründet war (vgl. auch § 128 Satz 1 VwGO). Dann ist man wieder im gewohnten Fahrwasser.
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