Einer der absoluten Prüfungsklassiker im öffentlichen Recht sind Abschleppmaßnahmen bei Kraftfahrzeugen. Die Klausurkonstellationen zu diesem Thema sind vielfaltig und können unterschiedliche Schwerpunkte beinhalten (Polizei- und Ordnungsrecht, allgemeines Verwaltungsrecht, Verwaltungsprozessrecht usw.). Mit seiner Entscheidung vom 24.5.2018 – 3 C 25.16 hat das Bundesverwaltungsgericht erneut zu kostenpflichtigen Abschleppvorgängen judiziert – dieses Mal im Zusammenhang mit mobil aufgestellten Halteverbotsschildern. Da der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt bestens für Fortgeschrittenen- und Examensklausuren geeignet ist, sollte jeder Prüfling unbedingt einen vertieften Blick in die neue Entscheidung werfen:
I. Der Sachverhalt
A stellt ihr Fahrzeug am 19.8.2013 vor dem Nachbarhaus ihrer Wohnung in Düsseldorf ab und begibt sich anschließend per Flieger in den Urlaub. Am Vormittag des nächsten Tages werden in dem Abschnitt der Straße, in dem auch das Fahrzeug der A geparkt ist, zur Vorbereitung eines privaten Umzugs zwei mobile Halteverbotsschilder aufgestellt. Die Schilder gelten ausdrücklich für den Zeitraum vom 23.8.2013 bis 24.8.2013, jeweils von 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Am Nachmittag des 23.8.2013 beauftragt ein Mitarbeiter der Stadt Düsseldorf das Abschleppunternehmen U mit der Entfernung des Fahrzeugs der A. Als A am 5.9.2013 aus ihrem Urlaub zurückkehrt und von den Geschehnissen erfährt, begibt sie sich zum Hof des U und holt ihr Fahrzeug gegen Zahlung von EUR 176,98 ab. Für den Abschleppvorgang setzt die Stadt zusätzlich eine Verwaltungsgebühr i.H.v. EUR 62,00 fest.
A hält den Abschleppvorgang für rechtswidrig und verlangt von der Stadt Düsseldorf die Erstattung der Abschleppkosten i.H.v. EUR 176,98 sowie die Aufhebung des Gebührenbescheids über EUR 62,00. Zu Recht?
II. Einordnung des Halteverbotsschilds als Verwaltungsakt
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerwG sowie der ganz herrschenden Literatur stellen Verkehrsverbote und Verkehrsgebote einen Verwaltungsakt in Gestalt der Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG dar (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246 m.w.N.). Ebenso besteht Klarheit darüber, dass die Verkehrszeichen nicht schriftlich, sondern vielmehr „in anderer Weise“ gem. § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG erlassen werden. Der gedankliche Inhalt eines Verkehrszeichens wird nicht mittels Buchstaben und Zahlen verkündet, sondern durch ein Symbol, dessen Bedeutung sich durch die Vorgaben der StVO ermitteln lässt (Stelkens, NJW 2010, 1184 (1185). Es handelt sich bei Verkehrsschildern letztlich nicht um eine Bündelung von Einzelverwaltungsakten (so jedoch Manssen, NZV 1992, 465 (465)). Verkehrsschilder sind ein Verwaltungsakt, der für eine Vielzahl von bestimmbaren Personen – nämlich sämtliche Verkehrsteilnehmer – vorgesehen ist. Anders als etwa eine durch einen Polizeibeamten getroffene Verkehrsregelung sind Verkehrszeichen mehr oder weniger dauerhafter Natur, sodass sie vom BVerwG als Dauerverwaltungsakt eingeordnet werden (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246; v. 13.12.1979 – 7 C 46/78, NJW 1980, 1640).
III. Anforderungen an die Bekanntmachung
Nach § 43 VwVfG wird der Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist wirksam, wenn er ihm bekannt gegeben wird. Für die Bekanntgabe von Verkehrszeichen ist das Bundesrecht maßgeblich, wobei es entscheidend auf die Vorgaben der §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO ankommt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist für die Bekanntmachung – und diese Definition sollte jeder Prüfling beherrschen – auf Folgendes abzustellen:
„Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick” erfassen kann (BGH, NJW 1970 1126), äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht (BVerwGE 102, 316). Das gilt unabhängig davon, ob die Bekanntgabe in Form starrer Verkehrszeichen erfolgt oder mit Hilfe einer Anzeige über eine Streckenbeeinflussungsanlage oder einen Prismenwender.“ (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246 (247)
Für Verkehrsschilder, die den ruhenden Verkehr betreffen, hat das BVerwG zudem vor kurzem eine Konkretisierung vorgenommen. Die Anforderungen an die Sichtbarkeit des Verkehrsschildes sind danach im ruhenden Bereich geringer anzusetzen. Hier hat der Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit, sich auch noch nach Abstellen seines Fahrzeugs Klarheit über das Vorhandensein und den Inhalt eines Verkehrsschildes zu verschaffen. Daraus folgt, dass im ruhenden Verkehrsbereich eine einfache Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs dahingehend, ob ein Halte- oder Parkverbot besteht, zu den Pflichten des Verkehrsteilnehmers nach § 1 StVO gehört (BVerwG v. 6.4.2016 – 3 C 10/15, NJW 2016, 2353).
IV. Was ist maßgeblich für die Klagefrist?
Bei Verkehrszeichen ist allerdings eine Besonderheit hinsichtlich der Klagefrist zu beachten. Diese wird nämlich gerade nicht durch das Aufstellen des Verkehrszeichens in Gang gesetzt. Vielmehr ist für den Fristbeginn auf den Moment abzustellen, in dem sich der betroffene Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrsschildes gegenübersieht. Anders als bei der Bekanntmachung kommt es deshalb für die Klagefrist auf das subjektive Wahrnehmen der Regelung an. Das BVerwG begründet das Auseinanderfallen von Bekanntgabe und Fristbeginn mit dem Schutz der Rechtsweggarantie:
„Jedes andere Verständnis geriete in Konflikt mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die es verbietet, den Rechtsschutz in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Liefe die Anfechtungsfrist für jedermann schon mit dem Aufstellen des Verkehrsschilds, könnte ein Verkehrsteilnehmer, der erstmals mehr als ein Jahr später mit dem Verkehrszeichen konfrontiert wird, keinen Rechtsschutz erlangen; denn bis zu diesem Zeitpunkt war er an der Einlegung eines Rechtsbehelfs mangels individueller Betroffenheit (§ 42 Abs. 2 VwGO) gehindert, danach würde ihm der Ablauf der einjährigen Anfechtungsfrist entgegengehalten. Dieses Rechtsschutzdefizit wird auch durch die Möglichkeit, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu beantragen, nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise ausgeglichen, dies schon wegen der besonderen Voraussetzungen, die § 51 VwVfG an einen solchen Rechtsbehelf stellt.“ (BVerwG v. 23.9.2010 – 3 C 37/09, NJW 2011, 246 (247))
Im Übrigen gilt auch für die Rechtsbehelfsfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO, dass die einjährige Frist nicht erneut zu laufen beginnt, wenn derselbe Verkehrsteilnehmer erneut dem Verkehrszeichen gegenübersteht. Insoweit hat das Verkehrszeichen allein erinnernde Funktion – die ursprüngliche Anordnung und deren Bekanntgabe bleiben aufrechterhalten.
V. BVerwG: Verhältnismäßigkeit der Abschleppmaßnahme erst nach Vorlaufzeit von drei vollen Tagen
Auch wenn die Regelung eines Verkehrszeichens wirksam bekanntgemacht wurde, müssen die Abschleppmaßnahme und der auf dieser Grundlage ergehende Kostenbescheid dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Abschleppmaßnahme sind bei Parkvorgängen, die gegen ein Halteverbot verstoßen, regelmäßig unproblematisch. Wie aber ist die Angemessenheit zu beurteilen? Zu bedenken ist insoweit, dass im streitigen Fall die A das Verkehrszeichen aufgrund ihres Urlaubs subjektiv nicht wahrnehmen konnte. Dass dies für die wirksame Bekanntgabe des Verkehrszeichens unerheblich ist, muss von der Beurteilung der Angemessenheitsprüfung getrennt werden. Auch muss Berücksichtigung finden, dass der Normgeber die Möglichkeit eines dauerhaften Parkens grundsätzlich unbefristet zugelassen hat, ein solches Verhaltens mithin zu den rechtlich erlaubten Formen der Straßenverkehrsteilnahme zählt.
Im streitgegenständlichen Fall entschied das OVG Münster noch zuvor, dass bei besonders dringlichen Angelegenheiten wie etwa Straßenbauarbeiten oder Sondernutzungen wie Privatumzüge für Halteverbote ein zeitlicher Vorlauf von 48 Stunden notwendig sei, um Fahrzeughalter vor überraschenden Abschleppmaßnahme zu schützen (OVG Münster v. 13.9.2016 – 5 A 470/14, BeckRS 2016, 52498). Eine solche Vorlaufzeit decke üblicherweise kürzere Abwesenheitszeiten ab und verlagere das Risiko eines neu eingerichteten Halteverbots nicht unangemessen in die Sphäre des Fahrzeugführers.
Das BVerwG trat der Entscheidung des OVG Münster entgegen. Die Erforderlichkeit von Halteverbotsregelungen sei – auch wenn es um private Umzüge gehe – regelmäßig auch in großstädtischen Umgebungen deutlich vorher bekannt. Es könne deshalb keine Obliegenheit für Verkehrsteilnehmer geben, mindestens alle 48 Stunden nach Abstellen eines Fahrzeugs zu prüfen, ob zwischenzeitlich neue Verkehrsregeln bekanntgegeben wurden. Angemessen sei vielmehr ein Vorlauf von drei vollen Tagen (so auch bereits VGH Mannheim v. 13.2.2007 – 1 S 822/05, NJW 2007, 2058). Eine stundengenaue Berechnung sei – so das Gericht – von vornherein kaum handhabbar. Vor diesem Hintergrund wäre ein Abschleppen des Fahrzeugs erst am vierten Tag nach Aufstellen der Halteverbotsschilder angemessen gewesen.
VI. Schlussfolgerungen
Auch für Verkehrsschilder, die aus dringlichem Anlass aufgestellt werden, gelten die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze. Zu beachten ist, dass nach der Judikatur des BVerwG bei Verkehrszeichen im ruhenden Bereich geringere Anforderungen an die Sichtbarkeit, ergo Bekanntmachung des Verwaltungsaktes zu stellen sind. Hier zählt eine einfach Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs bezüglich etwaiger Halte- oder Parkverbot zu den Pflichten der Verkehrsteilnehmer. Wird ein verbotswidrig geparktes Fahrzeug abgeschleppt, ist dieser Vorgang erst ab dem vierten Tag nach Aufstellen des Schildes verhältnismäßig. Vorher müssen Verkehrsteilnehmer nicht mit zwischenzeitlichen Änderungen der Verkehrsregeln rechnen.
Schlagwortarchiv für: Abschleppfall
Das OVG Münster hat am 13.9.2016 – 5 A 470/14 eine wichtige Entscheidung zur Kostenlast beim Abschleppen bei mobilen Halteverbotsschildern getroffen (sog. „Abschleppfall“). Im Kern ging es um die Frage, wie lange ein Verbotsschild aufgestellt sein muss, bis ein Abschleppen auf Kosten des Fahrzeughalters möglich ist. Da es sich um Grundlagen des Gefahrenabwehrrechts und des Vollstreckungsrechts handelt, wird Examenskandidaten dringend die Lektüre unserer Artikel sowie zum Testen des eigenen Wissens einer simulierten mündlichen Prüfung empfohlen. An dieser Stelle wird nur die wesentliche Aussage des OVG Münster besprochen.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)
Die in Düsseldorf wohnhafte Klägerin hatte ihr Fahrzeug am 19.08.2013 in einer Straße in Düsseldorf geparkt, bevor sie am selben Tag in den Urlaub flog. Am Vormittag des 20.08.2013 wurde in dem Bereich, in dem das Auto abgestellt worden war, von einem Umzugsunternehmen durch Aufstellen von mobilen Halteverbotsschildern eine Halteverbotszone beginnend ab dem 23.08.2013, 7:00 Uhr, eingerichtet. Das Fahrzeug der Klägerin wurde am Nachmittag des 23.08.2013 abgeschleppt.
II. Lösung des OVG Münster
Das OVG Münster geht nun davon aus, dass der Umstand, dass Halteverbotsschilder erst nach dem rechtmäßigen Abstellen eines Fahrzeugs angebracht worden sind, der Verhältnismäßigkeit der Kostenbelastung des Fahrzeugverantwortlichen im Regelfall nicht entgegenstehen, wenn zwischen dem Aufstellen der Schilder und dem Abschleppen eine Frist von 48 Stunden verstrichen sind.
Andere Gerichte gehen hingegen von einer Frist von vollen drei Tagen aus.
Zur Einordnung: An dieser Stelle geht es allein um die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kostenlast des Fahrzeughalters, nicht um die Rechtmäßigkeit des als Ersatzvornahme einzuordnenden Abschleppens!
Welche Frist man für angemessen i.S.d. Verhältnismäßigkeit hält, hängt letztlich von den Obliegenheiten ab, die man von Fahrzeugverantwortlichen erwartet, ab.
- Für eine kurze Frist von 48 Stunden kann etwa angeführt werden, dass im Stadtverkehr ein häufiges Bewegen des PKW üblich ist und im Sinne einer ordnungsgemäßen Gefahrenabwehr auch kurzfristige Abschleppvorgänge auf Kosten des Fahrzeugverantwortlichen möglich sein müssen.
- Eine kurze Frist von 48 Stunden könnte jedoch unzumutbaren Aufwand für Verkehrsteilnehmer bedeuten. So müsste bei ortsabwesenden Verkehrsteilnehmern, etwa wenn diese sich im Urlaub befinden, eine Person mit der Kontrolle der Verkehrssituation alle zwei Tage beauftragt werden. Dies erscheint doch eine relativ kurze Frist.
Das OVG Münster hat die Revision zum BVerwG zugelassen und man darf gespannt sein, wie dieses entscheiden wird. Letztlich ist es eine offene Abwägungsfrage, für die es kaum rechtliche Leitplanken gibt. Umso mehr sollte an dieser Stelle in der Klausur der Sachverhalt ausgewertet werden und umfassend argumentiert werden.
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Einführung in die Thematik
Probleme um das „Abschleppen“ finden sich nicht nur im Öffentlichen, sondern auch im Zivilrecht. Im Zivilrecht drehen sich die Fälle um das Auffinden der richtigen Anspruchsgrundlagen (der BGH wählt § 823 II iVm § 868 BGB) und die einzelnen Schadensposten (was bekommt der Kläger ersetzt?). Auch im Öffentlichen Recht gehören die Fälle längst zum Standardrepertoire eines angehenden Juristen. Entscheidend für eine gute Klausur ist der richtige Einstieg in den Fall. In welcher Station steckt das Verfahren? Danach geht es in das Landesrecht, dort insbesondere in die Vorschriften zur Vollstreckung. Die Entscheidung des Gerichts greift das Abschleppen aus einer anderen Richtung auf. Hier wurde zum Schutz des Eigentums abgeschleppt.
Entscheidung des Gerichts
Was war passiert, im Fall des SächsOVG (NJW 2016, 181 f.)?
Die Polizeidirektion hatte den PKW des Klägers von einem Abschleppunternehmen zum Zwecke der Eigentumssicherung abschleppen lassen, da auf der hinteren rechten Seite des Fahrzeugs das Fenster nicht verschlossen war. Zuvor hatten die Polizeibeamten erfolglos versucht, die Telefonnummer des Klägers zu ermitteln, um ihn zu benachrichtigen. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Kostenbescheid gerichtete Klage abgewiesen. Ebenso das OVG.
Im Grunde geht das Gericht davon aus, dass es sich um eine Sicherstellung handelt:
„Rechtsgrundlage für eine Sicherstellung nach dem Polizeigesetz ist § 26 Abs. 1 SächsPolG. Danach kann die Polizei eine Sache sicherstellen, wenn dies erforderlich ist, um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung der Sache zu schützen. Entstehen der Polizei durch die Sicherstellung, Verwahrung oder Notveräußerung Kosten, so ist der Eigentümer oder der rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach § 29 Abs. 1 Satz 3 SächsPolG zum Ersatz verpflichtet.“
Soweit handelt es sich um keine neue Erkenntnis. Geübte Bearbeiter von „Abschleppkonstellationen“ erkennen schnell, dass es sich um einen Fall der Sicherstellung handelt. Dann wird unter die entsprechende Landesnorm subsumiert. Interessant sind aber die Parallelen, welche das Gericht zur Geschäftsführung ohne Auftrag zieht:
„Bei der Sicherstellung zum Schutz des Eigentums wird die Polizei für den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt tätig. Ihrem Wesen nach ist sie vergleichbar mit der Geschäftsführung ohne Auftrag i. S. v. § 677 ff. BGB. Die Sicherstellung zur Eigentumssicherung ist folglich zulässig, wenn sie dem objektivierten mutmaßlichen Willen des Berechtigten entspricht. Ob sie vom Betroffenen tatsächlich gebilligt wird, ist hingegen unerheblich. Ob diese Voraussetzungen für eine Sicherstellung vorliegen, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.“
Die Rechtsprechung behandelt die abschleppenden Staatsdiener großzügig:
„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Sicherstellung im Eigentümerinteresse schon dann erforderlich, wenn der Polizei andere Maßnahmen, die den Zweck der Sicherstellung ebenso erreichen würden, nicht ohne weiteres möglich sind. Demzufolge ist die Polizei regelmäßig nicht verpflichtet, zunächst den Halter oder für die Beseitigung des Fahrzeugs sonst Verantwortlichen zu ermitteln. Solche Ermittlungen führen meist zu nicht absehbaren zeitlichen Verzögerungen, die mit dem Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr durch die Polizei und zudem nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht vereinbar sind.“
Doch liegt eine solche Gefahr bei einem nicht abgeschlossenen Fenster tatsächlich vor? Stellt Euch die Frage mal selbst: Ihr vergesst das Fenster Eures Autos zu schließen. Die Polizei kommt und lässt abschleppen. Im Anschluss erhaltet ihr einen Leistungsbescheid in Höhe von 200 Euro. Was meint Ihr? Ist das gerecht?
Das Gericht rekurriert auf die Umstände des Einzelfalls:
„Ob die im Interesse des Eigentümers vorgenommene Sicherungsmaßnahme verhältnismäßig ist, hängt davon ab, wie hoch im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls des Fahrzeugs, eines Diebstahls von Gegenständen aus dem Fahrzeug oder einer Beschädigung des Fahrzeugs ist, wenn die Sicherstellung unterbleibt. Hierbei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. Sie ist auf der Grundlage der der Polizei zum Zeitpunkt ihres Handelns zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen, wobei unter anderem die voraussichtliche Dauer der die Möglichkeit eines Schadenseintritts erhöhenden Umstände, der Abstellort sowie der Wert eines Fahrzeuges zu berücksichtigen sind.“
Dazu fehlten hier die Angaben im Sachverhalt. Unter dem Strich zeigt sich aber auch hier eine Tendenz pro staatliche Fürsorge.
Auswirkungen auf das Examen
In einer Examensklausur wird gerne abgeschleppt. Die Verzahnungen zwischen Polizei- und Ordnungsrecht sowie Verwaltungsvollstreckungsrecht schaffen ansehnlichen Prüfungsstoff. Weil das allgemein bekannt ist, braucht jemand, der weiter hinaus will, Spezialkenntnisse. Diese werden durch das Studium der Rechtsprechung vermittelt. Die Entscheidung des OVGs fordert zweierlei: Aufzeigen des Spielraums für den Abschlepper samt Schlüsselwörter (Parallele GoA etc.) sowie eine saubere Subsumtion!
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Es geht weiter in unserer Serie der simulierten mündlichen Prüfungen. Heute: wieder mal abgeschleppt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur Prüfung im Öffentlichen Recht. Folgender Fall hat sich kürzlich in Neustadt an der Weinstraße ereignet, ich zitiere aus der Pressemitteilung des VG Neustadt:
Der Kläger stellte sein Fahrzeug am Mittwoch, den 27. Februar 2013, um 7.00 Uhr auf dem Pfalzplatz in Haßloch ab. Er wollte sich mit Freunden treffen, um gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt war das Parken auf dem Pfalzplatz erlaubt. Mehrere Schilder an den umliegenden Straßen und im Zufahrtsbereich des Pfalzplatzes wiesen hin auf „Pfalzplatz unbegrenzt P“. Auf dem Pfalzplatz selbst stehen keine Parkschilder. Ebenfalls am Mittwoch, den 27. Februar 2013, zu einer späteren Zeit, stellte die Beklagte an der Schillerstraße, der einzigen Zufahrt zum Pfalzplatz, folgende Verkehrsschilder auf: Verkehrszeichen 283 (absolutes Halteverbot) und 250 (Verbotder Einfahrt) sowie Zusatzzeichen „Sonntag, 03.03.2013 ab 7.00 Uhr“. Grundlage für die Aufstellung der Verkehrsschilder war die verkehrspolizeiliche Anordnung der Beklagten vom 7. Februar 2013 zum Sommertagsumzug, der am 3.März 2013 stattfinden sollte. Nach der Anordnung sollte die gesamte Beschilderung bis spätestens am Donnerstag, den 28. Februar 2013, aufgestellt werden. Eventuelle gegensätzliche Schilder sollten bis spätestens sonntags, 11.00 Uhr, abgehängt bzw. abgeklebt werden. Am Sonntag um 10.00Uhr wurden auch die Schilder„Pfalzplatz unbegrenzt P“ nach Angaben der Beklagten gemäß der Anordnung mit Müllsäcken abgedeckt. Am Sonntag, den 3. März 2013, um 12.15 Uhr wurde das Auto des Klägers abgeschleppt. Der Kläger konnte nicht informiert werden, da seine Nummer nicht im Telefonbuch eingetragen war.Mit Schreiben vom 7.März 2013 hörte die Beklagte den Kläger zu dem Vorgang an. Mit Bescheid vom 3. April 2013 zog die Beklagte den Kläger zu den Kosten für die Abschleppmaßnahme in Höhe von insgesamt 207,00 € heran. Die Kosten setzten sich zusammen aus 178,50 € Entgelt für das Abschleppunternehmen, 25,00 € Verwaltungsgebühren und eine Zustellungsgebühr von 3,50 €. Dagegen legte der Kläger am 23. April 2013 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2014, dem Kläger zugegangen am 10. April 2014, wies der Kreisrechtsausschuss der Kreisverwaltung Bad Dürkheim den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger richtet sich nun an das VG Neustadt. Ein relativer langer Sachverhalt, falls Sie Nachfragen hinsichtlich des Sachverhaltes haben, melden Sie sich bitte. Wir prüfen selbstverständlich nach nordrhein-westfälischem Recht. Zunächst: Welche Klageart kommt in Betracht?
In Betracht kommt eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO. Diese hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
Ja, wir möchten uns auf die Begründetheitsprüfung konzentrieren. Frau A, beginnen Sie doch bitte!
Die Anfechtungsklage des K ist nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Zunächst ist also die Rechtmäßigkeit des ergangenen Verwaltungsaktes, also des Kostenbescheides, zu prüfen. Ermächtigungsgrundlage hierfür ist §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59, 77 Abs. 1 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 VO VwVG.
Schön, Sie sind nun unmittelbar auf die Ersatzvornahme nach §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 1 VwVG NRW gesprungen. Was könnte „das Abschleppen“ noch sein?
Das Abschleppen eines PKW kann grundsätzlich sowohl als Ersatvornahme als auch als Sicherstellung eingeordnet werden. Sinnvoll erscheint eine Abgrenzung nach der Zweckrichtung der handelnden Behörde. Dabei liegt eine Sicherstellung vor, wenn eine Gefahr für das Fahrzeug vorlag, eine Ersatzvornahme, wenn von dem Fahrzeug eine Gefahr ausging. Demnach ist hier die Ersatzvornahme einschlägig, da die Behörde nicht zum Schutz des Fahrzeuges, sondern zur Beseitigung der von ihm ausgehenden Gefahr handelte.
Kommen wir zu formellen Rechtmäßigkeit, Herr B.
Eine nach § 28 VwVfG erforderliche Anhörung hat stattgefunden, diese war insbesondere nicht nach § 28 Nr. 5 VwVfG hinsichtlich des Kostenbescheides entbehrlich. Zugleich hat die nach § 77 VwVG NRW zuständige Behörde gehandel, wonach Kostengläubiger der Rechtsträger ist, dessen Behörde die Amtshandlung vornimmt.
Frau A, versuchen Sie sich doch bitte an der materiellen Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides.
Der Kostenbescheid ist rechtmäßig, wenn eine Amtshandlung nach diesem Gesetz vorliegt, vgl. § 77 VwVG NRW. Daher muss nun inzident die Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme geprüft werden, da nur dann eine „Amtshandlung nach diesem Gesetz“ gegeben ist. Die richtige Ermächtigungsgrundlage hängt davon ab, ob die Behörde das gestreckte Verfahren oder den Sofortvollzug verwendet hat, § 55 VwVG NRW. Hier besteht die Besonderheit, dass es einen Grund-VA in Form der Verkehrsschilder (Halteverbot) gibt, die Behörde diesen aber ohne die Voraussetzungen des Sofortvollzugs vollstreckt. Dies nennt man abgekürztes Verfahren, dessen Rechtmäßigkeit sich aus einem „argumentum a maiore ad minus“ ergibt: Wenn schon alle Voraussetzungen des gestreckten Verfahrens im Sofortvollzug außer Acht gelassen werden können, muss erst-recht das Auslassen einzelner Verfahrensabschnitte zulässig sein. Daher ist das sog. abgekürzte Verfahren rechtmäßig.
Sehr schön. Bevor wir fortfahren, erlauben Sie mir eine kurze Zwischenfrage: Welche weiteren Argumentationsmuster kennen Sie?
Besonders wichtig ist sicherlich das argumentum e contraria, also der Umkehrschluss. Beliebt ist zudem das argumentum ad absurdum sowie das argumentum ad horribilis. Vergleichbar dem schon angesprochenen argumentum a maiore ad minus ist das argumentum a fortiori. Ungeeignet und zu vermeiden ist hingegen ein argumentum ad personam – außer es gehen einem tatsächlich einmal die Argumente aus…
In Ordnung. Herr B, prüfen Sie doch bitte das von der Kollegin beschriebene abgekürzte Verfahren durch.
Zunächst sind die Voraussetzungen des gestreckten Verfahrens nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW zu prüfen. Das Verkehrsschild ist eine HDU-Verfügung, so dass nun die Rechtmäßigkeit des Grund-VAs, also des Verkehrsschildes zu prüfen ist. Dies folgt aus der Tatsache, dass wir mangels Androhung und Festsetzung nun den Sofortvollzug eines tatsächlich ergangenen Grund-VAs prüfen. Aus der Formulierung „im Rahmen ihrer Befugnisse“ folgt also zwingend eine Rechtmäßigkeitsprüfung.
Ist die HDU-Verfügung denn überhaupt wirksam geworden, was § 55 VwVG NRW ja voraussetzt?
Die Voraussetzungen zur Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes sindin § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG geregelt. Hierfür ist die Bekanntgabe erforderlich. Eine ältere Ansicht geht davon aus, dass der Verkehrsteilnehmer das Verkehrsschild wahrnehmen muss, also letztlich (erst) eine Einzelbekanntgabe die Wirksamkeit auslöst. Die Gegenaufassung nimmt hingegen an, dass ein Verkehrsschild durch öffentliche Bekanntgabe wirksam ((§41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG i.V.m.) §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO) wird. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den einzelnen Verkehrsteilnehmer kommt es dann nicht mehr. Aus Gründen der Rechtsklarheit und der Vermeidung des Auseinanderfallens von Regelungen im Straßenverkehr ist von der Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe auszugehen. Zudem könnten sonst Verkehrsschilder jederzeit angegriffen werden, man denke nur an den Kieler, der mit dem Auto nach Passau fährt. Im vorliegenden Fall wurde daher das Verkehrsschild mit Aufstellung bekanntgegeben und wirksam.
Wunderbar.Wie ordnen Sie demnach das Verkehrsschild dogmatisch ein?
Es handelt sich um eine Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG.
Ist das Verkehrsschild als Allgemeinverfügung denn auch sofort vollziehbar?
Ja, nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO analog. Es ist der Anordnung durch einen Polizisten gleichzusetzen, die Möglichkeit der sofortigen Vollziehung kann nicht davon abhängen, ob die Regelung durch bspw. Handzeichen eines Polizisten oder durch ein Schild verkörpert wird.
Korrekt. Wir springen in der Prüfung etwas weiter und fragen uns, ob die Ersatzvornahme im abkürzten Verfahren wirklich notwendig war. Was meinen Sie, Frau A?
An dieser Stelle ist eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an Beseitigung der Gefahr einerseits und den Interessen des Betroffenen andererseits. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Parkplatz als „Dauerparkplatz“ ausgeschildert war und der Kläger seinen PKW gerade deswegen dort abstellte. Man könnte also an eine Art „Vertrauensschutz“ denken. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass im Straßenverkehr nicht davon ausgegangen werden kann, dass Verkehrsschilder „ewig“ unverändert bleiben. Daher müsste der Parkende innerhalb einer bestimmten zeitlichen Frist, bspw. alle sieben Tage, kontrollieren, ob er noch rechtmäßig dort parkte. Doch in Ausnahmefällen kann auch ein sofortiges Abschleppen zulässig sein, es kommt auf den Einzelfall an. Hier versuchte die Behörde sogar den Kläger zu erreichen. Zudem behinderte das Fahrzeug die Durchführung des Sommerfestes, so dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Abschleppmaßnahme vorlag.
Also war das Abschleppen demnach wohl verhältnismäßig. Was bedeutet das für unseren Kläger?
Zunächst nur, dass das Abschleppen selbst rechtmäßig war. Somit liegt eine „Amtshandlung nach diesem Gesetz“ nach § 77 VwVG NRW vor. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, so dass grundsätzlich mit Rechtmäßigkeit des Verwaltungszwanges auch eine Kostenpflicht des Betroffenen entsteht. Dies ergibt sich aus der Formulierung „werden erhoben“. Allerdings ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Ausnahme vom Grundsatz der gebundenen Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen zu machen ist, wenn es sich um eine offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahme handelte. In diesen Fällen kann ausnahmsweise eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden.
Sehr schön. Zu welchem Ergebnis kommen Sie hier, Herr B?
Unverhältnismäßigkeit kann nur in absoluten Ausnahmefällen angenommen werden, bspw. wenn eine Behörde zwar rechtmäßig vollstreckt, aber die Änderung der Rechtslage nicht rechtzeitig angekündigt hatte. Im vorliegenden Fall liegt genau hier das Problem. Sinnvoll erscheint es davon auszugehen, dass der Parkende alle vier Tage kontrollieren muss, ob er noch rechtmäßig parkt. Insoweit hat die Behörde ihrer „Ankündigungsfrist“ Genüge getan. Der Kostenbescheid ist nicht unverhältnismäßig.
Ein vertretbares Ergebnis, genauso entschied das VG Neustadt a.d. Weinstraße (5 K 444/14.NW, Urteil hier abrufbar). Vielen Dank!
Der 5. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Urt. v. 04.07.2014 – V ZR 229/13) mit der Frage zu befassen, welche Kosten einer durch einen Privaten veranlassten Abschleppmaßnahme vom Fahrer des abgeschleppten Fahrzeugs ersetzbar sind.
Sachverhalt (vereinfacht)
Der Kläger (K) hatte sein Fahrzeug unberechtigt auf einem als solchen gekennzeichneten Kundenparkplatz eines Fitnessstudios abgestellt. Die Beklagte (B) war aufgrund eines Rahmenvertrags mit der Betreiberin des Fitnessstudios (F) damit beauftragt unbefugt parkende Fahrzeuge vom Grundstück der F zu entfernen. Hierfür war im Rahmenvertrag ein Pauschalbetrag von 250 Euro netto ohne MwSt. vereinbart. Die F hatte aus dem unberechtigten Parken herrührende Ersatzansprüche an die Beklagte abgetreten.
Die B schleppte das Fahrzeug des K ab und verbrachte es an einen anderen Ort. Der genaue Standort des abgeschleppten Fahrzeugs wurde dem K erst nach Teilzahlung von 100 Euro und späterer Hinterlegung von weiteren 197,50 Euro (250 Euro zzgl. MwSt.) mitgeteilt. Vor Zahlung der 100 Euro beauftragte K einen Rechtsanwalt.
K hält den von der Beklagten geforderten Betrag für zu hoch und verlangt von der B Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an ihn. Das AG München hielt in erster Instanz einen Betrag von 100 Euro für angemessen. Das LG München hatte diesen Betrag auf 175 Euro heraufgesetzt. Daneben verlangt K Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Die Entscheidung des BGH
1. Zu den Außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten
Der BGH verneinte in seiner Entscheidung zunächst einen Anspruch des K aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB auf Erstattung seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die B sich im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts nicht im Verzug befand. Unabhängig von der Höhe ihrer Forderung hatte die B so lange ein Zurückbehaltungsrecht an dem Fahrzeug, wie K den geschuldeten Betrag nicht zahlte oder nicht gemäß § 273 Abs. 3 BGB hinterlegte.
Der BGH verneinte daher auch einen entsprechenden Schadensersatzanspruch des K aus § 823 Abs. 1 BGB, weil die B aufgrund des ihr zustehenden Zurückbehaltungsrechts berechtigt war, dem K den Aufenthaltsort seines Fahrzeugs zu verschweigen, sodass eine Eigentumsverletzung durch die B insoweit nicht gegeben war.
2. Zu den Abschleppkosten
a) Soweit der vom Kläger gezahlte bzw. hinterlegte Betrag den ersatzfähigen Schaden übersteigt, den die F durch das unberechtigte Abstellen des Fahrzeugs erlitten hat, könnte dem K ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zustehen. Dabei stellt sich zunächst zu prüfen, ob eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung im Verhältnis K-B überhaupt zulässig ist. Dazu führt der BGH aus:
„Ebenfalls zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dieser Anspruch richte sich gegen die Beklagte. Zwar findet, wenn der Schuldner nach Abtretung des Anspruchs an den Zessionar (Abtretungsempfänger) geleistet hat, die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung grundsätzlich nicht direkt in dem Verhältnis dieser Personen statt, sondern zum einen zwischen dem Zessionar und dem Zedenten (Abtretender) und zum anderen zwischen diesem und dem Schuldner (Senat, Urteil vom 6. Juli 2012 – V ZR 268/11, NJW 2012, 3373 Rn. 7 mwN). Aber hier liegt es anders. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zustimmung zur Auszahlung hinterlegten Geldes an ihn. Beteiligte des Hinterlegungsverfahrens sind nur er als Hinterleger und die Beklagte als in dem Hinterlegungsantrag als die mögliche Empfangsberechtigte bezeichnete Person (OLG Hamm, NJW-RR 2000, 286, 287). Nur in diesem Verhältnis vollzieht sich der Bereicherungsausgleich.“
b) Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Beklagte etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat. Dem Grunde nach müsste der F also zunächst ein Schadensersatzanspruch zustehen, den sie wirksam an die B abgetreten haben müsste. Als Anspruchsgrundlage rekurrierte das Gericht vorliegend auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 858 Abs. 1 BGB. Der BGH führt in diesem Kontext aus:
„Das unberechtigte Abstellen des Fahrzeugs des Klägers auf dem Kundenparkplatz des Fitnessstudios stellte eine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB dar, der sich die Grundstücksbesitzerin nach § 859 Abs. 1 bzw. Abs. 3 BGB erwehren durfte, indem sie das Fahrzeug abschleppen ließ (vgl. Senat, Urteil vom 2. Dezember 2011 – V ZR 30/11, NJW 2012, 528 Rn. 6; Urteil vom 5. Juni 2009 – V ZR 144/08, BGHZ 181, 233 Rn. 16). Der Kläger ist deshalb verpflichtet, den ihr aus der verbotenen Eigenmacht entstandenen Schaden zu ersetzen. Diesen Anspruch hat die Grundstücksbesitzerin wirksam an die Beklagte abgetreten.“
Nachdem ein Erstattungsanspruch der B dem Grunde nach bejaht wurde, gelangt man zu der eigentlichen Kernfrage des Falles, nämlich welche einzelnen Posten der Abschleppkosten überhaupt erstattungsfähig sind.
c) Die Erstattungsfähigkeit der zu ersetzenden Schadensposten richtet sich nach § 249 Abs. 1 BGB; ersatzfähig sind danach solche Schäden, die in adäquatem Zusammenhang mit der von dem Kläger verübten verbotenen Eigenmacht stehen und von dem Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.
Zu den erstattungsfähigen Kosten zählen hierbei insbesondere die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Abschleppvorgangs entstandenen Kosten, etwa durch die Überprüfung des unberechtigt abgestellten Fahrzeugs, um den Halter ausfindig zu machen (durch visuelle Sichtung von außen und innen), die Zuordnung des Fahrzeugs in eine bestimmte Fahrzeugkategorie sowie das Anfordern eines geeigneten Abschleppfahrzeugs, da sie ebenfalls der Vorbereitung des Abschleppvorgangs, sowohl im Hinblick auf den Transport selbst als auch im Hinblick auf den Verbringungsort, dienen. Erstattungsfähig seien ferner auch die Kosten für die visuelle äußere Sichtung auf bereits vorhandene Schäden und deren Protokollierung. Diese Maßnahmen stünden zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des Abschleppvorgangs allerdings dienen sie
„der Beweissicherung und damit der späteren Abwicklung des Abschleppvorgangs, um unberechtigte Schadensersatzansprüche wegen angeblicher Beschädigungen abwehren zu können. Solche Kosten werden von dem Schutzbereich der verletzten Norm (§ 858 Abs. 1 BGB) erfasst.“
Nicht erstattungsfähig sind demgegenüber
„die Kosten für die Bearbeitung und außergerichtliche Abwicklung des Schadensersatzanspruchs sowie die Kosten für die Überwachung des Grundstücks im Hinblick auf unberechtigtes Parken.“
Da reine Parkraumüberwachungsmaßnahmen unabhängig von einem konkreten Parkverstoß durchgeführt werden, scheide insoweit eine Erstattungsfähigkeit daraus resultierender Kosten aus. Ebenfalls nicht ersatzfähig seien die Kosten die ausschließlich der späteren Bearbeitung und Abwicklung des Schadensersatzanspruches dienen. Das erkennende könne den nicht ersatzfähigen Anteil des Schadensersatzanspruches nach § 287 ZPO schätzen.
d) Soweit der entstandene Schaden erstattungsfähig ist, wird der Schadensersatzanspruch auch durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt und muss dementsprechend „erforderlich“ i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sein. Der Geschädigte hat also unter mehreren zum Schadensausgleich führende Maßnahmen grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Insoweit habe das Instanzgericht zu prüfen, ob sich die F bei der Auswahl der B und bei der Vereinbarung des Pauschalbetrags von 250 € an das Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten hat.
Als Maßstab für die Kostenschätzung können allerdings nicht die Gebühren herangezogen werden, die von der Polizei und Ordnungsbehörden für Abschleppvorgänge in Rechnung gestellt werden. Es könne insoweit nicht davon ausgegangen werden, dass die Kosten die von der Polizei oder Ordnungsbehörde veranschlagt werden, ebenso hoch sind wie die Kosten, die von einem privaten Abschleppdienst verlangt werden.
„Unmittelbar vergleichbar sind deshalb nur die Kosten, die andere Unternehmen für das Abschleppen fremder Fahrzeuge von privaten Grundstücken verlangen. Diesen reinen Abschleppkosten sind diejenigen Kosten hinzuzurechnen, die für vorbereitende Maßnahmen entstehen, soweit sie ersatzfähig sind. Dabei ist regionalen Unterschieden dadurch Rechnung zu tragen, dass nur die am Ort der Besitzstörung üblichen Kosten in den Vergleich einbezogen werden.“
Fazit
Da Abschleppfälle sowohl in zivilrechtlichen als auch öffentlich-rechtlichen Examensklausuren zu den absoluten Klassikern gehören, sei Prüflingen das Studium dieses Falles sowie des gesamten Themenkomplexes rund um das Abschleppen unbefugt abgestellter Fahrzeuge zur Vorbereitung auf anstehende Prüfungen wärmstens empfohlen.
Weitere Beiträge zu dem Thema:
- BVerwG: Zur Konkretisierung der Wartepflicht von Abschleppdiensten
- Der Abschleppfall im Zivilrecht
- BGH: Parkraumüberwachungskosten kein ersetzbarer Schaden nach Abschleppen
Wir danken Martin für die Zusendung des Sachverhalts der 1. Öffentliches Recht Examensklausur in NRW für den August 2011:
Der A parkt sein Fahrzeug in der kreisfreien Stadt E in einer Parkbucht, die Platz für 5 Autos bietet. Nachdem er sich entfernt hat, beschließt die Stadt, dort einen Taxistand einzurichten. Die zuständige Behörde stellt am 5.8.11 formell und materiell rechtmäßig das Zeichen 229 (Taxenstand) dort auf. Am gleichen Tag noch bringt ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes ein Schreiben mit dem Briefkopf des Ordnungsamtes an dem Fahrzeug an: „Sehr geehrter Fahrzeughalter! Bitte fahren Sie Ihr Fahrzeug in den nächsten 5 Tagen woanders hin, sonst schleppen wir es am 11.8.11 ab. Wir bitten um Verständnis.“
Am 11.8.11 steht das Fahrzeug immer noch da. Daraufhin beauftragt das Ordnungsamt einen privaten Abschleppdienst mit der Verbringung des Fahrzeugs auf den stadteigenen Verwahrungsplatz, da im Umkreis von 500 m um den Taxenstand kein freier Parkplatz mehr zu finden ist. So geschieht es.
Als A später am Tag zu dem Ort, wo sein Auto stehen sollte, kommt, ist er entsetzt, es nicht mehr vorzufinden. Am 12.8.11 wird dem A ein Kostenbescheid der Stadt E mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Darin fordert die Stadt E den A auf, 200 EUR für die Abschleppaktion zu zahlen. Dem Schreiben entnimmt A auch, wo sein Wagen zurzeit steht. Er fährt kurz entschlossen zu dem Verwahrplatz und fordert Herausgabe des Fahrzeugs. Der Mitarbeiter der Stadt E meint, A müsse erst 200 EUR bezahlen. A hat nur 50 dabei, gibt diese auch dem Parkplatzwächter. Der nimmt das Geld dankend an, verweigert aber die Herausgabe trotzdem, weil noch 150 EUR fehlen.
A meint, das könne alles gar nicht sein. Sein Fahrzeug dürfte nicht abgeschleppt werden, er war 5 Tage in Urlaub und konnte das Schild nicht sehen, der Zettel an der Windschutzscheibe habe ohnehin nicht ausgereicht. Wenigstens hätte das Ordnungsamt versuchen müssen, seine Telefonnummer zu ermitteln und ihn anzurufen, dann hätte er das Fahrzeug schon weggeschafft. Außerdem war die ganze Aktion sowieso übertrieben, weil – was zutrifft – zu keiner Zeit 5 Taxen da gestanden hätten, sodass er niemanden behindert hat.
Dem entgegnet die Stadt: A müsse öfter mal zu seinem Auto kommen, darauf könne man kaum Rücksicht nehmen. Außerdem habe man – was stimmt – eine Halteranfrage durchgeführt und versucht, A zu ermitteln, dieser sei aber nie erreichbar gewesen.
A sucht den Rechtsanwalt seines Vertrauens auf und bittet um Auskunft, ob und wie er am besten klagen kann. Er will den Kostenbescheid aus der Welt und seine 50 EUR zurück in der Tasche haben.
Aufgabe:
Erstellen Sie das Gutachten des Rechtsanwalts. Auf alle Fragen ist notfalls hilfgutachterlich einzugehen.
Der 5. Zivilsenat hat am 5.6.2009 (V ZR 144/08) entschieden, dass unbefugt auf fremden Grundstücken abgestellte Kraftfahrzeuge abgeschleppt werden dürfen und nur gegen Bezahlung der Abschleppkosten herausgegeben werden müssen.
Sachverhalt
Dem Beklagten gehört ein Grundstück, das als Parkplatz für mehrere Einkaufsmärkte genutzt wird. Auf diese Zweckbestimmung wird auf Schildern hingewiesen, ebenso darauf, dass widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden. Am 20. April 2007 stellte der Kläger seinen PKW unbefugt auf dem Parkplatz ab. Zwischen 19.00 Uhr und 19.15 Uhr wurde sein Fahrzeug von einem Unternehmer abgeschleppt, der aufgrund Vertrages mit dem Beklagten beauftragt ist, die Nutzung des Parkplatzes zu kontrollieren und – unter bestimmten Voraussetzungen – widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge zu entfernen. Der Vertrag regelt auch die Höhe der Abschleppkosten. Der Kläger löste das Fahrzeug gegen Bezahlung der Abschleppkosten (150 €) sowie sog. Inkassokosten (15 €) aus und nimmt mit der vorliegenden Klage den Beklagten auf Erstattung der Kosten in Anspruch. Amts- und Landgericht haben die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, unter welchen Voraussetzung dem Besitzer bei unbefugt abgestellten Fahrzeugen ein Selbsthilferecht zusteht und ob er die Wahrnehmung der damit verbundenen Maßnahmen einem Abschleppunternehmen übertragen darf.
Entscheidung
Der BGH hat beide Fragen bejaht und die Revision des Klägers insoweit zurückgewiesen. Er hat zunächst klar gestellt, dass der Rückzahlungsanspruch nur unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB) begründet sein könne. Das setze voraus, dass der Beklagte kein Recht zum Abschleppen des Fahrzeugs gehabt habe und der Kläger deshalb nicht zur Zahlung der Abschleppkosten verpflichtet gewesen sei. Diese Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof als nicht gegeben angesehen. Er hat das unbefugte Abstellen des Fahrzeugs als Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzes des Beklagten an der Parkplatzfläche und damit als verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) qualifiziert. Zur Beseitigung der Beeinträchtigung habe der Beklagte sofort sein ihm von dem Gesetz gewährtes Selbsthilferecht (§ 859 BGB) ausüben dürfen. Dieses gelte zwar nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht schrankenlos, habe aber hier – auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit – keiner Einschränkung unterlegen. Selbst wenn auf dem Gelände andere Parkplätze frei gewesen seien, stünde das der Befugnis des Beklagten zum Abschleppen nicht entgegen. Denn der unmittelbare Grundstücksbesitzer könne sich der verbotenen Eigenmacht unabhängig davon erwehren, welches räumliche Ausmaß sie habe und ob sie die Nutzungsmöglichkeit von ihr nicht betroffener Grundstücksteile unberührt lasse. Dieses Recht habe der Beklagte nicht anders als durch Abschleppen durchsetzen können. Dass er sich dafür des Abschleppunternehmens bedient habe, sei grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gelte hier umso mehr, als die zwischen dem Beklagten und dem Abschleppunternehmen getroffene Vereinbarung von dem Bestreben gekennzeichnet sei, rechtsmissbräuchliche Abschleppvorgänge, die z. B. auf bloßer Gewinnsucht des Abschleppunternehmens beruhten, zu verhindern. Deshalb sei der Kläger zur Bezahlung der Abschleppkosten an den Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verpflichtet gewesen.
Den Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Inkassokosten hat der Bundesgerichtshof im Gegensatz zu den Vorinstanzen für begründet gehalten, weil der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt diese Kosten habe zahlen müssen.
Examensrelevanz
Bei dieser Entscheidung des BGH handelt es um einen äußerst examensrelevanten Fall – sowohl für die Klausuren als auch für die mündliche Prüfung. In Hessen kam dieser Fall in den Examensklausuren im Juli dran.
Lesehinweise
Aktuell: JuS 2009 Heft 8 Seiten 711 u. 762