OVG Weimar kippt Erfurter Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen
Mit Entscheidung vom 21.06.2012 (Az. 3 N 653/09) erklärte das OVG Weimar die Regelung der Erfurter Stadtordnung (§ 8a), wonach das mit dem Alkoholverzehr verbundene Lagern von Personengruppen oder längere Verweilen einzelner Personen untersagt wird, für unwirksam. Durch Rechtsverordnung statuierte Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen waren bereits mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (wir berichteten dazu bereits hier). Dabei gilt es zunächst zu beachten, dass die gesetzgeberisch tätig werdenden kommunalen Ordnungsbehörden einer Verordnungsermächtigung bedürfen, die sich regelmäßig in den jeweiligen landesrechtlichen Ordnungsbehördengesetzen findet. Zentrale Voraussetzung der landesrechtlichen Verordnungsermächtigung ist dabei das Vorliegen einer abstrakten Gefahr (vgl. statt vieler: § 27 ThürOBG und § 27 OBG NW). In der vielzitierten Entscheidung des VGH Mannheim zum Alkoholverbot in Teilen der Freiburger Innenstadt (Urteil vom 28.07.2009 – 1 S 2200/08) wird der Begriff der abstrakten Gefahr wie folgt definiert:
„[…] eine abstrake Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit abstrakt generellen Mitteln, also einem Rechtssatz, zu bekämpfen. Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: es müssen – bei abstrakt-genereller Betrachtung – hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Der Schaden muss regelmäßig und typischerweise, wenn auch nicht ausnahmslos, zu erwarten sein.“
Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich dabei durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose von der konkreten Gefahr. Dabei ist bei der Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eine generell-abstrakte, an Fallgruppen orientierte Sichtweise einzunehmen, wohingegen die Prognose bei der konkreten Gefahr den jeweiligen Einzelfall in den Blick nimmt. Ferner gilt es zu beachten, dass bei Verordnungen zur Gefahrenabwehr allein der klassische Gefahrenbegriff maßgeblich ist. Das gefahrenabwehrrechtliche Einschreiten bei Anscheinsgefahr oder Gefahrenverdacht (zu den Unterschieden: Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage, 2011, § 3 Rn. 59 ff.) rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass Gefahrenabwehrmaßnahmen im Falle der vollständigen Sachverhaltsaufklärung regelmäßig zu spät kämen und einer effektiven Gefahrenabwehr daher nicht zuträglich wären. Beim Erlass von gefahrenabwehrrechtlichen Verordnungen besteht dieser situationsspezifische Zeitdruck allerdings nicht, sodass der Gefahrenbegriff in derartigen Konstellationen nicht um die Anscheinsgefahr und den Gefahrenverdacht erweitert wird.
Primäres Ziel der Verordnungsregelungen, die ein Verbot des Alkoholverzehrs auf öffentlichen Plätzen normieren, ist die Vermeidung von Gewalttaten als Folge übermäßigen Alkoholkonsums. Dabei fehlt es regelmäßig am Vorliegen einer abstrakten Gefahr, da nicht jeder Regelungsadressat der sich im vom Alkoholverbot erfassten räumlichen Geltungsbereich aufhält, unter Alkoholkonsum zu Gewalttaten tendiert. Dazu heißt es in der Entscheidung des VGH Mannheim:
„Dass Alkoholgenuss generell zu Aggressivität führt, widerspricht schon der Lebenserfahrung […].Vielmehr hängt es von den äußeren Umständen, den individuellen Gegebenheiten und Befindlichkeiten sowie den situativen Einflüssen ab, welche Wirkungen der Alkoholgenuss bei dem Einzelnen zeigt.“
Die gleichen Erwägungen dürften wohl auch das OVG Weimar dazu bewogen haben das Erfurter Alkoholverbot für unwirksam zu erklären. Dazu heißt es in der Pressemitteilung:
„Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts bildet § 27 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) keine ausreichende landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die umstrittene Regelung. Durch das Trinken in der Öffentlichkeit entstehe keine allgemeine Gefahrenlage, die allein eine solche Regelung rechtfertigen könnte. Vielmehr werde durch die Verordnung eine Maßnahme der Gefahrenvorsorge ergriffen, die durch die allgemeine Regelung des § 27 Abs. 1 OBG nicht erlaubt sei. Dafür bedürfe es einer spezielleren landesgesetzlichen Ermächtigung.“
Die vorliegende Entscheidung wird mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft Gegenstand von Examensklausuren oder mündlichen Prüfungen sein. In diesem Kontext sei empfohlen sich mit den Rechtmäßigkeitskriterien und Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen ordnungsbehördliche Verordnungen zur Gefahrenabwehr zu beschäftigen. (Zur Wiederholung der wesentlichen Problempunkte sehr veranschaulichend: Schoch, Jura 2005, 600).
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!