OLG Koblenz: Widerrufsrecht im Fernabsatzrecht auch bei wesentlicher Vertragsänderung
Das OLG Koblenz entschied mit Urteil vom 28.03.2012 – 9 U 1166/11 einen äußerst examensrelevanten Sachverhalt, der sicherlich auch Gegenstand von Klausuren werden wird.
Sachverhalt
Eine Verbraucherin hatte ihren Vertrag mit 1&1 über Telefon- und Internet-Dienste (Service-Flat 6.000 DSL-Paket) mit einer Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten fristgerecht gekündigt. Daraufhin wurde sie vor Ablauf des Vertrages von einem Mitarbeiter des Unternehmens angerufen. Dieser bot ihr einen neuen Vertrag (Doppel Flatrate 16.000 DSL-Paket) zum neuen Preis mit neuer 24-monatiger Laufzeit an. Die Verbraucherin willigte zunächst ein, bereute ihre Entscheidung jedoch später und erklärte per E-Mail, dass sie den neuen Vertrag nicht mehr wolle. Das Unternehmen teilte ihr daraufhin mit, dass ein Widerrufsrecht nur bei Neuabschlüssen bestehe. Dies sei hier nicht der Fall, weil es sich nur um eine Inhaltsänderung im Rahmen eines bestehenden Vertrages handele. (Quelle: Beck-aktuell).
Rechtliche Würdigung
Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der Verbraucherin ein Fernabsatzwiderrufsrecht gemä § 312d BGB zusteht. Hierzu bedarf es naturgemäß eines Fernabsatzvertrages i.S.d. § 312b Abs. 1 BGB. Das OLG Koblenze hatte sodann zu klären, ob der Begriff „Vertrag“ in diesem Sinne auch Änderungen eines Vertrages erfasst.
Das OLG führte hierzu aus, dass das Widerrufsrecht auch dann gelte, wenn ein Verbraucher per Fernkommunikationsmittel wesentliche Inhalte eines bestehenden Vertrages wie den Leistungsgegenstand ändert. Das OLG argumentierte, der Verbraucher sei in diesem Fall in Bezug auf den Abänderungsvertrag genauso schutzwürdig wie bei einem Erstvertrag. Eine derartige Auffassung ist folgerichtig, denn es kann keinen Unterschied machen, ob ein gänzlich neuer Vertrag abgeschlossen wird oder ob ein Vertrag verändert wird. Darüber hinaus ist in dogmatischer Hinsicht anzuführen, dass eine Vertragsänderung streng genommen auch den Abschluss eine Vertrages, nämlich eine Einigung durch zwei korrespondierende Willenserklärungen, darstellt. Insofern bestehen auch im Hinblick auf den Wortlaut des § 312b BGB, der einen „Vertrag über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen“ voraussetzt, keine Bedenken.
Folgerichtig müsste das Unternehmen im hiesigen Sachverhalt auch entsprechend über das Widerrufsrecht informieren, vgl. §§ 312c, 355, 360 BGB. Das Widerrufsrecht entfalle nur dann, wenn sich der Verbraucher unmittelbar vor dem Telefonat im Rahmen eines persönlichen Kontaktes bei dem Unternehmen über die neuen Vertragsbedingungen informiert habe. In diesem Fall müsse der Kunde nicht mehr vor Übereilung geschützt werden.
Examensrelevanz
Die hier besprochene Entscheidung ist im Kontext einer Vielzahl von Entscheidungen zum Fernabsatzrecht zu sehen. So hatten die Gerichte zunächst vielfältig über die Rechtsfolgen eines derartigen Widerrufs (s. dazu etwa hier) und über die Belehrungsvoraussetzungen (s. dazu etwa hier) zu entscheiden. Es rücken nunmehr vermehrt Fragestellungen in den Vordergrund, bei denen es um die Definition des Begriffs des Fernabsatzvertrages i.S.d. § 312b BGB geht (s. dazu auch hier). Mit dem Voranschreiten der judizierten Konstellationen steigt gleichsam auch die Examensrelevanz. Examenskandidaten sollten sich demnach über das Fernabsatzrecht auf dem Laufenden halten.
Im vorletzten Absatz hast du wohl einen Satz verschluckt ( “ nformiert habe, was In… „).
Ist behoben. Vielen Dank!