Wir freuen uns, Euch heute einen weiteren Gastbeitrag von Dr. Ole Sachtleber vorstellen zu können. Ole ist Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein. Er stellt das Urteil des BGH vom 27.2.2015 (Az. V ZR 128/14) dar, das die bis dato nicht hinreichend geklärte und daher höchst prüfungsverdächtige Frage behandelt, ob und inwieweit eine Prozessführungsermächtigung während des Rechtsstreits widerrufen werden kann. Der Beitrag wendet sich deswegen in erster Linie an Referendarinnen und Referendare, aber auch an Studierende (mit zivilprozessualem Schwerpunkt).
I. Sachverhalt (vereinfacht)
K ist Eigentümer einer Wohnung in einem aus zwei Eigentumswohnungen bestehenden Haus. Die andere Wohnung steht im Eigentum des N. Das Haus dieser Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ist an die zentralen Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen angeschlossen, insbesondere an die Heizungs- und Warmwasserbereitungsanlage einer benachbarten Wohnungseigentümergemeinschaft (W).
Mit Schreiben vom 16. Juli 2015 ermächtigt N den K schriftlich dazu Ansprüche der WEG im eigenen Namen geltend zu machen. Der Kläger erhebt Klage gegen die W und beantragt die Feststellung, dass das Grundstück, auf dem sich die Eigentumswohnungen von K und N befinden, keinem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegt. Die Klage wird der W am 31. Juli 2015 zugestellt. Noch vor dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung widerruft N mit Schreiben vom 31. August 2015 die dem K erteilte Prozessführungsermächtigung. Daran ändert sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nichts.
Ist K prozessführungsbefugt?
II. Die Entscheidung des BGH (Urteil vom 27.2.2015, Az. V ZR 128/14)
Der Fall, dessen materiell-rechtliche Fragestellungen nicht weiter vertieft werden sollen, wirft ein sehr interessantes und prüfungsrelevantes Problem des Zivilprozessrechts auf: Welche Auswirkungen hat der während des Rechtsstreits (also nach Rechtshängigkeit, §§ 253 I, 261 I ZPO) erklärte Widerruf einer Prozessführungsermächtigung auf die Prozessführungsbefugnis des Klägers?
1. Die Prozessführungsbefugnis als Sachurteilsvoraussetzung
Die Prozessführungsbefugnis, die in § 51 I ZPO zumindest angesprochen wird, ist die prozessuale Befugnis ein behauptetes Recht im eigenen Namen geltend zu machen. Es handelt sich dabei – anders als die Aktiv-/Passivlegitimation, die die Begründetheit der Klage betrifft – um eine Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens (in der Zulässigkeit) zu prüfen ist (§ 56 I ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Prozessführungsbefugnis ist der Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. §§ 136 IV, 323 II, 767 II ZPO). Insofern unterscheidet sich die Prozessführungsbefugnis nicht von den übrigen Sachurteilsvoraussetzungen. Eine wichtige Ausnahme normiert etwa § 261 III Nr. 2 ZPO für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts: Das einmal zuständige Gericht bleibt zuständig, auch wenn die zuständigkeitsbegründenden Umstände nach Rechtshängigkeit (§§ 253 I, 261 I ZPO) wegfallen (sogenannter Grundsatz der perpetuatio fori; siehe aber § 506 ZPO).
Fehlt die Prozessführungsbefugnis, ist die Klage nach entsprechendem Hinweis gemäß § 139 III ZPO durch Prozessurteil (als unzulässig) abzuweisen, ohne dass in der Sache eine Entscheidung ergeht. Das hat Auswirkungen auf die materielle Rechtskraft des Urteils: Wird der Zulässigkeitsmangel behoben, kann der Kläger erneut klagen, ohne dass § 322 ZPO dem entgegensteht. Aus dieser beschränkten Reichweite der Rechtskraft eines Prozessurteils folgt im Übrigen auch, dass die Frage der Zulässigkeit der Klage grundsätzlich nicht offen bleiben kann, etwa mit der Begründung, die Klage sei „jedenfalls“ unbegründet (zu Ausnahmen und allgemein zur Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen siehe Dresenkamp/Sachtleber, Zivilakte – Von der Klageschrift bis zum Urteil (3. Aufl. 2015), Rn. 23).
2. Prozessstandschaft
Behauptet der Kläger, selbst Inhaber des Rechts zu sein, ist die Prozessführungsbefugnis in der Regel unproblematisch; anders kann dies bspw. bei Insolvenzverwaltung (§ 80 InsO) oder Testamentsvollstreckung (§§ 2205, 2211 BGB) sein. Etwas schwieriger gestaltet sich die Rechtslage, wenn der Kläger ein behauptetes fremdes Recht im eigenen Namen geltend macht. In diesen Fällen spricht man von einer Prozessstandschaft (allgemein dazu Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO (36. Aufl. 2015), § 51 Rn. 19-45).
Um einen solchen Fall der Prozessstandschaft geht es hier. Denn der geltend gemachte Anspruch steht der Wohnungseigentümergemeinschaft als rechtsfähigem Verband zu, nicht aber den einzelnen Wohnungseigentümern (§ 10 VI 2 WEG). K macht also ein behauptetes fremdes Recht (das der WEG) im eigenen Namen geltend.
Man unterscheidet zwischen gesetzlicher (auf gesetzlicher Ermächtigung beruhender) und gewillkürter (rechtsgeschäftlicher) Prozessstandschaft. Maßgeblich ist, wie es der Wortlaut des § 51 I ZPO auch nahelegt („…die Notwendigkeit einer besonderen Ermächtigung zur Prozessführung bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts…“), insoweit das materielle Recht.
Eine gesetzliche Prozessstandschaft sehen eine ganze Reihe von Vorschriften vor, etwa §§ 1011, 2039 BGB. In diesen Fällen kann jeder einzelne Teilhaber den gemeinschaftlichen Anspruch geltend machen. Auch § 265 II ZPO regelt einen Fall, in dem ein Nicht(mehr)berechtigter einen fremden Anspruch im eigenen Namen geltend machen kann. Schließlich fällt die Prozessführung durch sogenannte Parteien kraft Amtes (zu diesem Begriff vgl. § 116 Nr. 1 ZPO) darunter (bspw. Insolvenzverwalter oder Testamentsvollstrecker). Eine gesetzliche Ermächtigung, die es K gestattet, den Anspruch des Verbands der Wohnungseigentümer geltend zu machen, gibt es aber nicht.
Möglich ist auch eine gewillkürte Prozessstandschaft. Der Kläger kann ein behauptetes fremdes Recht ausnahmsweise im eigenen Namen geltend machen, wenn der Rechtsinhaber ihn dazu entsprechend § 185 Abs. 1 BGB wirksam ermächtigt hat, der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der eigenen Prozessführung hat und der Beklagte dadurch nicht unzumutbar benachteiligt wird.
Diese Voraussetzungen waren hier (jedenfalls zunächst) gegeben:
In dem Schreiben des N vom 16. Juli 2015 liegt eine Ermächtigung. Weil die WEG nur aus K und N besteht, bedurfte es nach Ansicht des BGH dazu keiner Beschlussfassung der WEG:
„Eine Ermächtigung zur Geltendmachung von Ansprüchen des Verbandes muss jedoch nicht zwingend in Gestalt eines (Mehrheits-) Beschlusses der Wohnungseigentümer erteilt werden. Sie kann auch in der Zustimmung aller Wohnungseigentümer zu einer Klageerhebung durch einzelne Wohnungseigentümer liegen (vgl. Senat, Urteil vom 24. Juni 2005 – V ZR 350/03, NJW 2005, 3146, 3147). Dabei kann die Zustimmung in der gemeinsamen Erhebung der Klage zum Ausdruck kommen (vgl. Senat, Urteil vom 24. Juni 2005 – V ZR 350/03, aaO) oder gegenüber dem klagenden Wohnungseigentümer erklärt werden. Bei einer zweigliedrigen Wohnungseigentümergemeinschaft, wie sie hier gegeben ist, genügt es daher, wenn der eine Wohnungseigentümer den anderen zur Geltendmachung von Ansprüchen der Wohnungseigentümergemeinschaft ermächtigt.“
Auch steht K ein schutzwürdiges Interesse an der eigenen Prozessführung zu. Es folgt sowohl aus der zu erwartenden deutlichen Wertsteigerung seiner Eigentumswohnung für den Fall, dass die Wohnanlage nicht mehr dem Versorgungsverbund mit der W unterliegt, als auch aus der mit einer rechtlichen Loslösung der Wohnungseigentümergemeinschaft vom Versorgungsverbund gewonnenen Dispositionsfreiheit.
3. Widerruf der Prozessführungsermächtigung während des Rechtsstreits?
Der BGH hatte sich nun mit der Frage zu befassen, welche Wirkungen dem mit Schreiben vom 31. August 2015 durch N erklärten Widerruf der Prozessführungsermächtigung zukommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Prozessführungsbefugnis (hier in Form einer gewillkürten Prozessstandschaft) ist – wie ausgeführt – der Schluss der mündlichen Verhandlung. Danach müsste die Klage des K als unzulässig abgewiesen werden, weil der Widerruf vor diesem Zeitpunkt erklärt wurde. Allerdings erfolgte der Widerruf erst nach Klageerhebung (Rechtshängigkeit, §§ 253 I, 261 I ZPO). Erstmals war also die Frage zu entscheiden, ob und inwiefern eine Prozessführungsermächtigung noch während des Rechtsstreits widerrufen werden kann.
a) Bisheriger Meinungsstand
Zunächst stellt der BGH den (etwas unübersichtlichen) Meinungsstand dar:
„(1) Der Senat hat in einer älteren Entscheidung ohne weitere Differenzierung den Widerruf als jederzeit möglich angesehen (Urteil vom 12. Juli 1985 – V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158). Dem haben sich andere Senate des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 7. Juli 1993 – IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132, 135; BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – VIII ZR 31/14, NJW 2014, 1970 Rn. 8: „grundsätzlich“; im Ergebnis wohl auch BGH, Urteil vom 22. Dezember 1988 – VII ZR 129/88, NJW 1989, 1932) und auch Teile der Literatur angeschlossen (vgl. PG/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl., § 50 Rn. 39; im Ergebnis ebenfalls für die Möglichkeit eines jederzeitigen Widerrufs Musielak/Weth, ZPO, 12. Aufl., § 51 Rn. 26 und Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., § 51 Rn. 33 u. 38).
(2) Demgegenüber soll sich nach Auffassung des VI. Zivilsenats und weiter Teile der Literatur der Widerruf einer rechtswirksam erteilten Ermächtigung während des gerichtlichen Verfahrens auf ihren Fortbestand nicht auswirken (BGH, Urteil vom 19. September 1995 – VI ZR 166/94, NJW 1995, 3186, 3187; MüKoZPO/Lindacher, 4. Aufl., Vorbem. zu § 50 Rn. 56; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., Vor § 50 Rn. 45; BeckOK-ZPO/Hübsch, Stand 1. Januar 2015, § 51 Rn. 48; Rosenberg, JZ 1952, 137; Staudinger/Gursky, BGB [2014], § 183 Rn. 12; MüKoBGB/Bayreuther, 6. Aufl., § 183 Rn. 13; Palandt/Ellenberger, BGB, 74 Aufl., § 183 Rn. 1; Soergel/Leptien, BGB, 13. Aufl., § 183 Rn. 3). In diesem Sinne hat auch das Reichsgericht entschieden (RGZ 164, 240, 242).
(3) Schließlich findet sich in der Literatur die Meinung, dass zwar der Widerruf auch nach Klageerhebung wirksam sei, allerdings müsse zum Schutz des Prozessgegners entweder der Prozess in analoger Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO zwischen den bisherigen Parteien weitergeführt oder aber ein gesetzlicher Parteiwechsel von dem Prozessstandschafter auf den Rechtsinhaber gemäß § 239 ff. ZPO analog angenommen werden (vgl. Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465, 485 f.).“
b) Die Lösung des BGH
Da die ZPO keine näheren Vorschriften über Erteilung und Bestand einer Prozessführungsermächtigung enthält und § 51 I ZPO insoweit auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts verweist, stellt der BGH zunächst dar, dass sich der Widerruf der Prozessführungsermächtigung nach bürgerlichem Recht richtet, nämlich nach § 183 S. 1 BGB:
„(a) Materiell-rechtlich ist die Ermächtigung zur Prozessführung mit einer Verfügungsermächtigung gemäß § 185 Abs. 1 BGB vergleichbar (ebenso Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 36. Aufl., § 51 Rn. 33). Diese legitimiert einen Nichtberechtigten zur Verfügung über einen fremden Gegenstand im eigenen Namen. Sie ist funktional und systematisch mit der unmittelbaren Stellvertretung verwandt, da beide es ermöglichen, unmittelbar auf den Rechtskreis eines anderen einzuwirken. Sie unterscheiden sich allerdings darin, dass der Ermächtigte im eigenen Namen auftritt, während bei der Stellvertretung ausschließlich der Vertretene Geschäftspartei ist (MüKoBGB/Schramm, 6. Aufl., Vorbem. Vor §§ 164 bis 181, Rn. 39). Die Prozessführungsermächtigung berechtigt den Ermächtigten zur Durchsetzung eines fremden Rechts im eigenen Namen. Diese Ähnlichkeit zwischen Verfügungsermächtigung und Prozessführungsermächtigung rechtfertigt es, die Regelung über die Widerruflichkeit einer Verfügungsermächtigung (§ 183 BGB) auch auf die Prozessführungsermächtigung anzuwenden (im Ausgangspunkt ebenso RGZ 164, 240, 242 sowie Staudinger/Gursky, BGB [2014], § 183 Rn. 12; MüKoBGB/Bayreuther, 6. Aufl., § 183 Rn. 13; Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., § 183 Rn. 1).
(b) Hieraus folgt aber nicht, dass eine Prozessführungsermächtigung nur bis zur Erhebung der Klage widerrufen werden kann. Die Einwilligung ist ebenso wie die Vollmacht (§ 168 Satz 2 BGB) frei widerruflich, soweit sich nicht aus dem Gesetz oder aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ein anderes ergibt (vgl. MüKoBGB/Bayreuther, 6. Aufl., § 183 Rn. 9 mwN). Die Widerruflichkeit einer Ermächtigung endet erst mit der Vornahme des Hauptgeschäfts (§ 183 Satz 1 BGB). Insoweit kommt es auf dessen vollständige Verwirklichung an; bei mehraktigen Verfügungsgeschäften ist der Widerruf bis zu dem Zeitpunkt möglich, in dem das letzte Teilstück des Rechtsgeschäfts vorgenommen wird (vgl. MüKoBGB/Bayreuther, 6. Aufl., § 183 Rn. 12; Staudinger/Gursky, BGB [2014], § 183 Rn. 10; Bamberger/Roth/Bub, BGB, 3. Aufl., § 183 Rn. 3).
Bei einer Prozessführungsermächtigung ist Hauptgeschäft die gerichtliche Durchsetzung eines Rechts. Demgemäß umfasst eine Prozessführungsermächtigung nicht nur die Einleitung eines Rechtsstreits, sondern dessen Führung insgesamt. Zur Durchsetzung des Rechts genügt in den wenigsten Fällen die Erhebung der Klage. Um das erstrebte Ziel – eine verbindliche Entscheidung über den materiellen Anspruch – zu erreichen, sind regelmäßig vielfältige weitere Maßnahmen und Erklärungen des Prozessstandschafters notwendig (z. B. Antragstellung in der mündlichen Verhandlung, Beweisantritte, Rechtsmitteleinlegung). Dies hat zur Folge, dass eine Prozessführungsermächtigung mit materiell-rechtlicher Wirkung auch während des Rechtsstreits widerrufen werden kann, solange zur Durchsetzung des Rechts noch Prozesshandlungen des Prozessstandschafters geboten sind. Etwas anderes gilt nur, wenn sich aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis Abweichendes, z. B. die Unwiderruflichkeit der Ermächtigung, ergibt.“
Dieses – auf der Grundlage des bürgerlichen Rechts gefundene – Ergebnis kassiert der BGH aber recht schnell wieder ein, indem er darauf verweist, dass der materiell-rechtliche Widerruf zunächst nur „im Verhältnis zwischen dem Rechtsinhaber und dem Ermächtigten“ wirksam sei und daraus nicht „in jedem Fall“ die Unzulässigkeit der Klage folge. Für die prozessualen Wirkungen greift der Senat stattdessen zusätzlich auf die Grundsätze über den Widerruf von Prozesshandlungen zurück. Eine Prozessführungsermächtigung vermittelt dem Kläger nämlich seine prozessuale Befugnis zur Prozessführung und entfaltet seine Wirkungen auf dem Gebiet des Prozessrechts, weswegen es sich dabei um eine Prozesshandlung handelt.
Es gibt Prozesshandlungen, die unmittelbar prozessrechtliche Wirkungen entfalten (sog. Bewirkungshandlungen). Darunter fallen etwa die Klagerücknahme nach § 269 ZPO und das Anerkenntnis nach § 307 ZPO. Daneben gibt es Prozesshandlungen, deren bezweckter Erfolg erst durch ein Tätigwerden des Gerichts erreicht werden kann (sog. Erwirkungshandlungen) wie bspw. Anträge oder Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 282 ZPO). Soweit die ZPO keine speziellen Regelungen zum Widerruf bzw. zur Rücknahme enthält (Beispiele: § 290 ZPO für den Widerruf eines Geständnisses, §§ 346, 516 ZPO für die Rücknahme des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil), ist zu unterscheiden:
Bewirkungshandlungen können widerrufen werden, solange ihr prozessualer Erfolg noch nicht eingetreten ist. Erwirkungshandlungen können widerrufen werden, solange der Gegner keine schutzwürdige Rechtsposition erlangt hat (Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., Einl. III Rn. 22; allgemein zu Prozesshandlungen: Dresenkamp/Sachtleber, a.a.O, Rn. 15).
Der BGH ordnet die Prozessführungsermächtigung als Erwirkungshandlung ein. Es kommt danach darauf an, ab wann der Gegner eine schutzwürdige Position erlangt hat. Insoweit verweist der BGH auf den in § 269 I ZPO genannten Zeitpunkt (Beginn der mündlichen Verhandlung durch den Beklagten), weil dem Beklagten dann ein „Recht auf Sachentscheidung“ zusteht:
„Eine geschützte Rechtsposition erlangt die beklagte Partei, wenn sie bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt hat. Von diesem Zeitpunkt an kann die Klage nur noch mit ihrer Zustimmung zurückgenommen werden (§ 269 Abs. 1 ZPO). Der Kläger hat es also nicht mehr allein in der Hand, eine Entscheidung des Gerichts durch eine Klagerücknahme zu vermeiden. Diese Rechtsposition des Beklagten muss auch zum Tragen kommen, wenn dem Kläger die Prozessführungsbefugnis mittels Widerrufs seiner Prozessführungsermächtigung durch den Rechtsinhaber entzogen wird. Denn der Widerruf wirkte für die beklagte Partei wie eine Klagerücknahme, wenn er ohne weiteres zur Unzulässigkeit der Klage führte. Durch einen willentlichen, der Sphäre des Klägers zuzurechnenden Akt wäre einer Entscheidung des Gerichts in der Sache der Boden entzogen, eine erneute Klage aber jederzeit möglich. Dies muss ein Beklagter, der bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt hat, nach dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 1 ZPO nicht hinnehmen. Stimmt er einer Abweisung der Klage als unzulässig nicht zu, ist die Ermächtigung des Klägers, auch wenn sie materiell-rechtlich wirksam widerrufen wurde, mit Rücksicht auf den Vorrang des Prozessrechts in diesem Bereich (vgl. § 51 ZPO) als fortbestehend anzusehen und der Rechtsstreit – vorbehaltlich eines Eintritts des Rechtsinhabers in den Prozess nach den Regeln über den Parteiwechsel (vgl. zu dieser Möglichkeit BGH, Urteil vom 7. Juli 1993 – IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132) – mit dem Prozessstandschafter fortzusetzen.“
c) Keine analoge Anwendung der §§ 265 II 2, 261 III Nr. 2 ZPO
Einer analogen Anwendung des § 265 II 2 ZPO oder § 261 III Nr. 2 ZPO erteilt der BGH eine Absage, weil es jedenfalls an der Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen fehle:
„Aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO lässt sich der Fortbestand der Prozessführungsbefugnis trotz Widerrufs der Ermächtigung weder unmittelbar noch aufgrund einer entsprechenden Anwendung herleiten. Nach dieser Bestimmung hat die Veräußerung der im Streit befangenen Sache oder die Abtretung des geltend gemachten Anspruchs auf den Prozess keinen Einfluss. Dies bedeutet, dass bei einer Rechtsnachfolge auf Klägerseite grundsätzlich der bisherige Kläger den Prozess für den Rechtsnachfolger in gesetzlicher Prozessstandschaft fortführt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 265, Rn. 1, 6 mwN). Hiermit ist der nachträgliche Wegfall der Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht vergleichbar, weil das materielle Recht, um das es im Prozess geht, bei einer Prozessstandschaft nicht übertragen wird. Es steht vielmehr schon während der Dauer der Prozessstandschaft ebenso wie nach deren Ende unverändert dem Rechtsinhaber zu (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1993 – IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132, 135 f.).
Der in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO im Zusammenhang mit der Zuständigkeit des Prozessgerichts statuierte Grundsatz der perpetuatio fori regelt einen speziellen Fall, der dem nach Klageerhebung erklärten Widerruf einer Prozessführungsermächtigung ebenfalls nicht gleichgestellt werden kann.“
5. Ergebnis
Da die Beklagte noch nicht zur Hauptsache mündlich verhandelt hat, steht der Rechtsgedanke des § 269 ZPO einem auch prozessual wirksamen Widerruf der Prozessführungsermächtigung durch N nicht entgegen. Weil K die Prozessführungsbefugnis fehlt, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Der Tenor des (Prozess)Urteils könnte bspw. lauten (Klammerzusätze optional):
Die Klage wird (als unzulässig) abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist (wegen der Kosten) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Bei der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist zu beachten, dass in der Hauptsache nichts zu vollstrecken ist und ausschließlich die Beklagte ihre Kosten bei dem Kläger vollstrecken kann. Bei obiger Tenorierung wurde davon ausgegangen, dass § 709 ZPO zur Anwendung kommt, weil der von der Beklagten vollstreckbare Kostenbetrag über 1.500 Euro und damit über dem in § 708 Nr. 11, Alt. 2 ZPO genannten Betrag liegt. Wird die Klage abgewiesen, ist das bei einem Gebührenstreitwert von mindestens 8.000,01 Euro der Fall (siehe Dresenkamp/Sachtleber, a.a.O., Rn. 188 mit Berechnung). Liegt der vollstreckbare Kostenbetrag unter 1.500 Euro, kommen §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO zur Anwendung. Dann würde wie folgt tenoriert werden können (Formulierungsbeispiel auch bei Thomas/Putzo-Seiler, a.a.O., § 711 Rn. 3b; allgemein zur Tenorierung: Dresenkamp/Sachtleber, a.a.O., Rn. 176 ff.):
Das Urteil ist (wegen der Kosten) vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
III. Fazit
Eine Problematik, die sich hervorragend eignet, um in eine Prüfungsaufgabe (bspw. eine Urteilsklausur oder einen Aktenvortrag im Assessorexamen) einzufließen. Da in einer Urteilsklausur nicht damit zu rechnen ist, ein Prozessurteil anfertigen zu müssen, könnte der Aktenauszug etwa vorsehen, dass der Widerruf nach dem in § 269 I ZPO bezeichneten Zeitpunkt erfolgt und der Beklagte der Klageabweisung als unzulässig nicht zustimmt. Der Widerruf der Prozessführungsermächtigung wäre dann prozessual unbeachtlich und die Klage zulässig, sodass eine Entscheidung in der Sache zu entwerfen wäre.