Zivilrecht ZII – Mai 2016 – 1. Staatsexamen NRW
Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll der zweiten gelaufenen Klausur im Zivilrecht des 1. Staatsexamens im Zivilrecht im Mai 2016 in NRW. Vielen Dank für die Zusendung. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
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Sachverhalt
Fall 1
A, der nicht viel Glück in seinem Berufsleben hat und deshalb einer unspektakulären Tätigkeit als Kostenfestsetzer bei der Behörde B in Düsseldorf nachgeht, sehnt sich zum Ausgleich nach dem Glück bei den Frauen. Daher trifft er sich regelmäßig mit der Prostituierten P die ihm viele schöne Stunden bereitet. Im Jahre 2014 teilt A der P mit, dass er, um ihre Beziehung aufrecht zu erhalten, seinen Dienstherrn angewiesen hat, ein Teil seines Arbeitsentgelts direkt an sie zu überweisen. In Wahrheit, nimmt A die Überweisungen an P jedoch selbst auf Kosten der Landeskasse vor. Dabei gibt er als Zahlungszweck stets „Gebühr“ an. Er stellt sich dabei so geschickt an, dass die Behörde dieses Vorgehen selbst mit regelmäßigen Kontrollen und stichprobenartigen Überprüfungen nicht aufdecken kann.
Später, im Jahre 2015 fliegt der Schwindel jedoch auf. A sitzt wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Die Behörde wendet sich nun an P die Zahlungen in Höhe von insgesamt 8000 € zurückzuzahlen.
P wendet ein, dass sie das ganze Geld bereits für die allgemeine Lebensunterhaltung ausgegeben habe. Ebenso habe sie 3000 Euro für Hotelzimmer und teure Getränke aufgewendet, um A schöne Stunden zu bereiten. Des Weiteren sagt sie, dass es – was zutrifft – nicht unüblich ist, dass ihre treuen Kunden, ihre Vorgesetzten anweisen, einen Teil ihres Arbeitsentgeltes direkt an sie zu zahlen. So habe sie sich auch nichts bei den Zahlungen für ihre Dienste bei A gedacht. Im Übrigen habe A die Zahlungen, was ebenfalls zutrifft, stets vorher bei der Behörde angekündigt.
Die Behörde wendet jedoch ein, dass es allgemein bekannt sei, dass Behörden niemals Zahlungen aufgrund Weisungen privater Personen vornehmen. Sondern ihre Zahlungen einzig und allein auf der Kostenfestsetzungsanordnung beruhen, um lediglich öffentlich – rechtliche Pflichten zu erfüllen.
Welche Ansprüche hat das Land gegen P?
Fall 2:
Für A läuft es immer schlechter. Als seine Hauptverhandlung für eine Pause unterbrochen wird, ergreift A die Möglichkeit und klettert durch das Fenster in der Toilette des ersten Stocks des Gerichtsgebäudes und springt vier Meter in die Tiefe. A ist geübter Sportler und verletzte sich dabei nicht. J, der Justizwachtmeister ist, rannte ihm sofort nach und sprang ebenfalls aus besagtem Fenster. Dabei verstauchte er sich den Knöchel schwer und erlitt eine Platzwunde. Angesichts der Wunde bekam J einen Schock und musste in medizinische Behandlung.
Im Folgenden wurde J erfolgreich behandelt muss jedoch für einen längeren Zeitraum Schmerztabletten im Wert von 80 € einnehmen. Seine Behandlungskosten werden von der Krankenkasse übernommen, nicht jedoch die Schmerztabletten. Ebenso wenig kommt sein Dienstherr für die Kosten auf. Des Weiteren kann J eine Woche lang nicht zur Arbeit erscheinen. Zu allem Übel hatte J in dieser Woche zwei Auftritte mit seiner Musikband, mit der er regelmäßig privat auf Veranstaltungen auftritt, sodass er auch auf eine Gage von insg. 350€ verzichten muss.
Welche materiell – rechtlichen Schäden kann J geltend machen?
Zusatzfrage:
J erhebt am 20.04.2016 Klage auf Zahlung des Schadensersatzes i.H.v. 430€. Die Klage des örtlich zuständigen Amtsgerichts wird A am 27.04.2016 zugestellt. Am 2.5.2016 zahlt A den entsprechenden Betrag auf dem Konto des J ein. J erklärt die Sache daraufhin für erledigt. A widerspricht der Erklärung des J.
Wie wird das Amtsgericht entscheiden?
Bearbeitervermerk: Es ist auf alle aufgeworfenen Fragen ggf. hilfsgutachterlich einzugehen. Auf das Prostitutionsgesetz (Schönfelder Ergänzungsband Nr. 29a) wird verwiesen. Im Übrigen ist unabhängig von Ihrem Ergebnis in Fall 2 bei der Zusatzfrage davon auszugehen, dass der Anspruch auf Zahlung von 430€ besteht.
Hat jemand eine Idee,was die Frage 1 angeht?
Als einzige AGL sehe ich hier §812 Abs. I S.1 1. Alt BGB, denn nach dem objektiven Empfängerhorizont musste die Hure davon ausgehen, dass ein Angestellter nicht die eigene Behörde anweisen kann, sein Gehalt hier und dorthin zu überweisen. Demnach liegt keine Leistungsbeziehung zwischen der Hure und dem Angestellten vor, so dass einer Leistungskondiktion der Behörde nichts im Wege steht.
Sieht jemand noch eine andere AGL?
Frage 2:
Herausforderungsfälle bei der haftungsausfüllenden Kausalität im Rahmen des §823 Abs. I BGB (842 BGB), dann noch ein normativierter Schaden mit der Band. Waren in Frage 2 sonst noch Probleme?
pardon, ich meinte die haftungsbegründende Kausalität
Frage 1:
A. Anspruch entstanden
1. Vertragliche Beziehungen zwischen P und L gibt es nicht.
2. Quasivertragliche Ansprüche (cic, GoA) gibt es ebenfalls nicht
3. Sachenrechtliche Ansprüche sind auch fernliegend, insbesondere ist das Geld auf dem Konto keine Sache zwecks EBV
4. Deliktische Ansprüche scheiden aus, für §823 Abs. I BGB fehlt das Rechtsgut, reiner Vermögensschaden. Für §823 Abs. II BGB fehlt ein einschlägiges Schutzgesetz. Für §826 BGB fehlt es am Vorsatz zur sittenwidrigen Schädigung.
5. Bleibt nur das Bereicherungsrecht
=> 1. §812 Abs. I S. 1 1. Alt BGB?
a) P hat etwas erlangt, hier Auszahlungsanspruch gegen die Bank
b) die müsste durch Leistung geschehen sein
(P) aus wessen Sicht ist Leistung zu beurteilen, wohl objektiver Empfängerhorizont
=> Geld kam von Konto von L, daher wohl Leistungsbeziehung +
=> unwahrscheinlich, dass ein Angestellter eine Behörde dazu anleiten kann, Gehalt direkt irgendwo hin zu überweisen
=> bewusste und gewollte Mehrung? Fraglich, ob dies vorliegen muss, es geht vor allem um die Zweckmäßigkeit. Hier bestand keine Erfüllungspflicht aus einem Kausalverhältnis, aber aus Sicht der P bestand der Zweck in der Erfüllung der Zusage des A, sie zu unterstützen.
=> i.E wohl +
c) ohne Rechtsgrund +
d) Rechtsfolge, §818 BGB
=> Abs. III wegen Entreicherung? Geld hat man zu haben?
=> §819 Abs I? positive Kenntnis der P abzulehnen –
=> §819 Abs. II ? Verstoß gegen gute Sitten, Geld von einer Behörde zu bekommen dürfte hier wohl zu bejahen sein
=> daher Entreicherung egal
=> Anspruch besteht
Frage 2:
A. Anspruch entstanden
1. Vertraglich –
2. §§677, 683 S. 1 BGB?
a) Geschäftsführung für einen anderen , jedes tatsächliche und rechtliche Handeln
=> Hinterherrennen ? Abwegig
3. §823 Abs. I BGB
a) Rechtsgutverletzung Leib, Gesundheit, Körper
b)Verletzungshandlung Flucht
c)haftungsbegründende Kausalität Herausforderungsfall, Schutzzweck der Norm
d)Rechtswidrigkeit indiziert
e)Verschulden +
f) Schaden, kommerzilaiisierter Schaden auf die Gage? +
g)haftungsausfüllende Kausalität Schockschaden entstand durch Rechtsgutverletzung
h) evt. §254 BGB? eher –
i) Ergebnis +
§823 Abs. II iVm §229 StGB +
§842 BGB +
Zusatzfrage:
91a –
269 sinnlos, weil er dann Kosten zahlt
264 +, privilegierte Klageänderung auf Begrenzung des Streitgegenstands auf Feststellung
ZPO natürlich
A.A.:
1. In die (nach dem ProstitutionsG) grds. kaum sittenwidrigen („Leistungs-„)Verträge zwischen A und P kann die Behörde erkennbar als schutzwürdiger Dritter geschädigt einbezogen sein.
P kann der Behörde daraus evtl. Einwendungen gegen A entgegenhalten. Somit u.U. eine vorsätzliche Täuschung von A. Evtl. hat P daher ebenso gegen die Behörde nicht zu haften. Solche Einwendungen können ebenso für andere Ansprüche, wie etwa Bereicherungsansprüche gelten. Die Behörde kann sich M.E. also grds. eher nur an A und weniger an P zu halten haben.
2. Der J kann das entkommen von A selbst hauptsächlich pflichtwidrig ebenso gegen sich selbst zu verantworten haben. Damit möglicherweise eigene Schäden bei Verfolgung. U.U. können Ansprüche aufrgund völligen eigenen Mitverschulen ausscheiden.
3. Entsprechend 2. kann die Klage unschlüssig und durch „unechtes Versäumnisurteil“ abzuweisen sein.
Bambus, wie kommen Sie vorschnell darauf, aus Sicht der P sei Leistender L? Das ist doch zunächst ziemlich deutlich nicht so, vielmehr war aus Sicht der P doch L Angewiesene, die Leistung des A zu erfüllen. Gleichzeitig hat doch L – träfe P’s Vorstellung zu – seinerseits zur Erfüllung der Vergütungsverpflichtung gegenüber A geleistet. Grundlegend besteht doch ein Dreiecksverhältnis zwischen A und L (Arbeitsvertrag), und A und P (Dienstleistungsvertrag), eine Leistungsbeziehung zwischen P und L besteht doch gerade NICHT. Es müsste eigentlich von P nach A und von A nach L kondiziert werden. Die Fallfrage fragt indes freilich nach Kondiktion direkt gegen P. Ist es nicht so, dass hier eine Ausnahme vom Vorrang der Leistungskondiktion in Mehrpersonenverhältnissen zwecks Anweisungsfall mit fehlender Weisung zu diskutieren ist? Ich bin mir da fast sicher. Und dies würde eben auf direkten Durchgriff L gegen P mittels NICHTLEISTUNGSKONDIKTION hinauslaufen. Der Fall sticht doch schon fast ins Auge: „wies A seinen Dienstherren an“!!!
Liebe Hannelore, es liegt eine Leistungskondiktion nach §812 Abs. I S. 1 1. Alt BGB vor. Hier das Urteil: https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/njw05_60.htm
Auszug:
Das Berufungsgericht hat diesen rechtlichen Ansatz nicht hinreichend beachtet. Es ist ferner – wie die Klägerin in der Revisionsverhandlung zu Recht gerügt hat – aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung zu der Feststellung gelangt, die Beklagte habe von ihrem Verständnishorizont aus annehmen dürfen, K (Anm: hier der Freier) . habe ihr gegenüber eine Leistung kraft Anweisung der Bundeskasse bewirkt. Sie habe sich offenbar vorgestellt, K. habe jeweils eine gerade Summe seines Gehaltes sich und den ungeraden Restbetrag ihr zur Zahlung angewiesen oder anweisen lassen.
Die angebliche Vorstellung der Beklagten, K. habe ihr Teile seines Gehaltes angewiesen oder anweisen lassen, entbehrte jeder vernünftigen Grundlage. Ein Beamter kann sich – was allgemein bekannt ist – nicht sein Gehalt selbst auszahlen oder seine Dienststelle entsprechend „anweisen“.
Das IST so, weil es die Auffassung bestimmter Richter in einem bestimmten Urteil in einem bestimmten Einzelfall ist? Da kann man nun darüber streiten, was denn nun im Rahmen des objektiven Horizonts der P an deren Stelle ein „verständiger“ Empfänger der Geldzahlungen wäre. Ist es „verständig“, davon auszugehen, A hätte gelogen? Wie ist der Maßstab für „verständig“? Wenn Sie auf die Straße gehen, und 100 Menschen fragen, ob ein Beamter durch Absprache mit seinem Vorgesetzten verabreden kann, er solle das Gehalt woanders hin überweisen, würden nicht wenige dies ohne weiteres für möglich halten. Die Formulierung im genannten Urteil „was allgemein bekannt ist“ ist m.E. viel zu pauschal. Zumindest sollte es hier möglich gewesen sein, beide Ansichten zu vertreten. Zumal man sich bei Annahme einer Leistungskondiktion das Problem der Ausnahme vom Vorrang der Leistungskondiktion bei Anweisungsfällen abschneidet… oder ist diese Ansicht (und wenn ja, warum?) unvertretbar?
unvertretbar sicherlich nicht, immerhin hat das vorinstanzliche Berufungsgericht ja auch eine Nichtleistungskondiktion angenommen.
Hier das F1 zugrundeliegende Urteil – entspricht i. E. dem, was hier
geäußert wurde. https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/njw05_60.htm
Meine Frage:
Unterstellt, P ging von einer Leistung des A aus und durfte dies auch (wäre vlt. vertretbar, wenn er privater AN und kein Beamter wäre), dann würde ja, wenn die Zahlung sie für ihre Dienste entgelten sollte, eine Direktkondiktion der Behörde am Vorrang der Leistungskondiktion scheitern. Wenn die Zahlung aber nur als Geschenk und gerade nicht als Entgelt gedacht gewesen wäre, dann könnte man unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 816 I S. 2 BGB eine Direktkondiktion aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB bejahen.
Oder ist mir da jetzt ein Denkfehler unterlaufen?