Mündliche Prüfung: Neues zum Pfandflaschendiebstahl!
Eine der jüngsten Entscheidungen des IV. Strafsenats des BGH (Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 591/17, NJW 2018, 3598) ist wie gemalt für eine mündliche Prüfung, da sie der ohnehin schon nicht leichten Problematik des Diebstahls von Pfandflaschen eine weitere Feinheit hinzufügt und sich zugleich prima zur Besprechung von Grundlagen eignet. Gerade da das Sammeln von Pfandflaschen in den Städten täglich zunimmt, treten immer öfter Fallkonstellationen auf, die eine StGB-Relevanz aufweisen – die BGH-Entscheidung entfaltet insoweit starke Praxisrelevanz. Die nachfolgende Simulation soll eine mündliche Examensprüfung abbilden und zugleich die Grundzüge sowie die neueste Rechtsprechung zum Problemfeld des Pfandflaschendiebstahls aufzeigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte stellen Sie sich folgenden Fall vor, den ich aus Rn. 4 eines aktuellen BGH-Beschlusses zitieren möchte:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts gelangte der Angeklagte durch ein Loch in einem Zaun auf das Gelände eines Getränkehandels in M. Dort entwendete er unter Mitwirkung eines gesondert verfolgten Bekannten zahlreiche, zumeist nach Abgabe durch die Verbraucher bereits zusammengepresste Plastikpfandflaschen sowie einen Kasten mit Glaspfandflaschen; der Pfandwert betrug insgesamt 325 Euro. Beide beabsichtigten, die gepressten Plastikpfandflaschen auszubeulen und das gesamte Pfandleergut nochmals abzugeben, um dafür Pfand zu erhalten.“
Kandidat A, bitte nehmen Sie die Rolle eines Staatsanwalts ein. Welche Delikte des StGB können – erst einmal ganz abstrakt – in Fällen der Entwendung von Leergut respektive bei der späteren Abgabe desselben in Betracht kommen?
Hier denke ich vor allem an Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB), Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) und Pfandkehr (§ 289 BGB), sprich vor allem an Vermögensdelikte.
Sehr gut! Fangen wir doch leicht an: Was wäre denn Voraussetzung dafür, dass Sie als Staatsanwalt Ermittlungen aufnehmen können?
Das wäre nach dem Legalitätsprinzip grundsätzlich ein Anfangsverdacht, § 152 Abs. 2 StPO. Es muss nach kriminalistischer Erfahrung anhand tatsächlicher Anhaltspunkte möglich erscheinen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Zudem stehen hier Vermögensdelikte in Rede, so dass nach § 248a StGB an einen Strafantrag zu denken wäre (§ 77 StGB, § 158 StPO), soweit es um geringwertige Sachen geht.
Gut, gut. Wie grenzt man denn, wenn sie nun nicht wissen, ob sie wegen Diebstahls oder Betrugs ermitteln sollen, beide Delikte voneinander ab?
Anhand des Merkmals der Wegnahme beim Diebstahl und einer ungeschriebenen, in den Tatbestand des Betruges hineinzulesenden Vermögensverfügung.
Sehr richtig, denn nur so lassen sich Fremd- und Selbstschädigungsdelikt sinnvoll voneinander trennen. Wo wir gerade dabei sind: Wie lautet noch einmal die Definition einer Wegnahme?
Eine Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam ist hierbei die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache, getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen, beurteilt aus der Verkehrsauffassung. Gerade dieses letzte Kriterium ist wichtig in Fällen, in denen auf den ersten Blick nicht feststellbar ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft innehat. Das ist auch zugleich die Kritik einer Literaturansicht hieran; der Konstruktion des „gelockerten Gewahrsams“ bedarf es nämlich dann nicht, wenn man den Gewahrsam direkt sozial-normativ zuordnet.
Kandidat A, das klingt alles sehr solide. Kandidatin B: Die Pfandkehr wurde noch nicht angesprochen. Können Sie mir sagen, wie der Begriff der Wegnahme im Rahmen dieses Tatbestands definiert wird?
Sehr gerne, denn die Begriffsdefinition ist hier höchst streitig. Während manche dieselben Maßstäbe wie im Rahmen des Diebstahls anlegen wollen, wollen andere den Begriff der Wegnahme hier selbständig interpretieren und verstehen darunter die räumliche Entziehung der Sache aus dem Machtbereich des Berechtigten – dies ist freilich die deutlich extensivere Lesart.
Vollkommen zutreffend. Welcher Ansicht würden Sie den Vorzug geben?
Zwar kann für die erstgenannte Ansicht das – gerade auf Grund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts doch recht schwache – Argument der Einheit der Rechtsordnung ins Feld geführt werden; die letztgenannte Sichtweise überzeugt indes mehr. Dies liegt vor allem daran, dass anderenfalls besitzlose Pfandrechte, für die der Straftatbestand u.a. geschaffen wurde, nicht erfasst werden könnten. Deshalb würde ich der zweiten Auffassung den Vorzug geben.
Das ist mit dieser Begründung durchaus gut vertretbar. Lassen Sie uns nun aber, nachdem wir uns ein wenig aufgewärmt haben, den Fall gutachterlich betrachten.
Kandidat C: Bitte beginnen Sie mit der Prüfung des § 242 StGB im soeben geschilderten Fall.
Der Angeklagte könnte sich des Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er die zusammengepressten Plastikpfandflaschen sowie den Kasten mit Glaspfandflaschen in der Absicht entwendete, sie später erneut als Leergut zurückzugeben.
Tatbestandlich müsste der Angeklagte hierfür zunächst in objektiver Hinsicht eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Dabei ist bereits die Fremdheit der Pfandflaschen genau zu betrachten, also die Frage, ob sie im Allein- oder Miteigentum eines anderen standen.
Korrekt – bereits das Vorliegen einer fremden beweglichen Sache erscheint fraglich. Wonach muss bei der Fremdheit der Sache in Fällen der Entwendung von Leergut zur späteren Rückgabe gegen Pfand differenziert werden?
Nach den zivilrechtlichen Verhältnissen sowie danach, ob Standard- oder Spezialleergut vorliegt.
Bitte konkreter, Kandidat C.
Maßgeblich sind die Eigentumsverhältnisse an den Pfandflaschen. Während der Hersteller von Spezialleergut hieran regelmäßig Eigentum behält, man denke etwa an spezielle Flaschen der Marke „Coca-Cola“, sodass der Händler und damit auch ein späterer Kunde allein Eigentum an dem Inhalt der Flaschen erhält, verliert der Hersteller von Standardleergut sein Eigentum regelmäßig bereits durch Vermengung mit anderen Standardflaschen, die von anderen Herstellern verwendet werden, §§ 947 f. BGB. Ein späterer Kunde kann also auch Eigentümer der Flaschen und nicht nur des Inhalts werden.
Für einen möglichen Diebstahl bedeutet dies in Bezug auf den subjektiven Tatbestand weitergedacht: Bei Spezialleergut fehlt es am Enteignungsvorsatz, wenn eine Rückgabe an den Eigentümer (hier dem Händler) intendiert ist, die Auszahlung des Pfandes also wegen der Rückgabe des Leergutes keine Anmaßung einer eigentümerähnlichen Stellung bedeutet; bei Standardleergut dagegen, bei dem die Rückgabe an den Händler erfolgt, liegt eine Enteignungskomponente vor, da gerade keine Rückgabe an den Eigentümer (hier den Hersteller) erfolgt. Zugleich liegt in der Auszahlung des Pfandes zwar keine Zueignung des Sachwertes (denn das Pfand setzt allein einen Anreiz zur Rückgabe der betreffenden Pfandflaschen), wohl aber eine Anmaßung einer eigentümerähnlichen Position, da der Täter hier das Eigentum des Herstellers leugnet. All dies setzt freilich voraus, dass sich der Täter die Eigentumslage zutreffend vorstellt.
Man merkt, Sie wissen, wovon Sie reden.
Kandidat D: Wie sieht es damit im konkreten Fall aus? Bitte subsumieren Sie und unterstellen Sie hierbei, dass es sich bei den zusammengepressten Pfandflaschen um Standardleergut und bei dem Glaskasten um Spezialleergut handelt.
Vorliegend hat der Angeklagte zusammengepresste Pfandflaschen sowie einen Kasten mit Glasflaschen entwendet. Unabhängig von der Frage, ob es sie hierbei jeweils um Standard- oder Spezialleergut handelt, ist nach den zutreffenden Ausführungen meiner Vorrednerin jedenfalls die Fremdheit zu bejahen, denn das Leergut stand entweder im Eigentum des Herstellers, oder im Eigentum des Händlers respektive des letzten Erwerbers der Pfandflaschen, jedenfalls aber nicht im Alleineigentum des Angeklagten. Die Frage kann also mit anderen Worten offenbleiben und wird erst im subjektiven Tatbestand virulent.
Okay, dann springen wir doch direkt zur Zueignungsabsicht. Bitte definieren Sie diese und subsumieren Sie anschließend.
Die Zueignungsabsicht fordert dauerhaften Enteignungsvorsatz bei zumindest vorübergehender Aneignungsabsicht. Während der Täter bei der ersten Komponente billigend in Kauf nehmen muss, dass der Eigentümer dauerhaft von seiner Eigentumsposition ausgeschlossen wird, muss sich seine Absicht gleichzeitig darauf konkretisieren, sich nach der Vereinigungstheorie entweder die Sache selbst oder den durch die Sache verkörperten Sachwert zumindest vorübergehend anzueignen.
Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte zusammengepresste Standardpfandflaschen entwendet und gleichzeitig Spezialglaspfandflaschen samt Kasten. Es kommt auf die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den Pfandflaschen und die Folgen der Rückführung in das Pfandsystem an. Insoweit muss differenziert werden:
Hinsichtlich des Standardleerguts ist es, da sich der Täter gerade die Sache selbst und nicht den Sachwert zueignen kann, denn das Pfand ist wie schon gesagt kein Sachwert, maßgeblich, dass der Täter das dem Eigentümer entwendete Standardleergut dem Händler zurückgibt, um als Nichtberechtigter das Pfandgeld zu erhalten.
Hinsichtlich des Spezialleerguts muss der Täter dem Grunde nach dasselbe tun. Wenn der Täter sich irrig vorstellt, der Händler sei selbst Eigentümer, kann auch hier eine Zueignungsabsicht und damit ein Diebstahl gegeben sein.
Kandidatin E. Vorhin wurde doch gesagt, dass bei Spezialleergut eine Zueignungsabsicht fehlen kann. Können Sie mir sagen, warum das gerade hier nicht der Fall sein soll?
Beim Diebstahl handelt es sich um ein erfolgskupiertes Delikt, bei dem die Zueignungsabsicht keine Entsprechung im objektiven Tatbestand findet. Daraus folgt: Vorstellung des Täters über die Eigentumslage und wahre Eigentumslage können auseinanderfallen. Das heißt konkret: Selbst wenn in Wahrheit eine Rückgabe entwendeter Spezialpfandflaschen eine Rückführung an den Eigentümer (namentlich den Hersteller) bedeutet und objektiv gesehen keine Enteignungskomponente vorliegt, handelt es sich um ein rein subjektives Element, sodass allein der Vorsatz des Täters entscheidend ist. Stellt sich dieser – so wie man es in der Praxis in der Regel bei Laien annehmen muss – nicht die wirkliche Eigentumslage vor, also dass der Hersteller Eigentümer geblieben ist, sondern der Händler Eigentümer der Spezialpfandflaschen sei, dann liegt eben doch ein Enteignungsvorsatz und nachgelagert auch eine Zueignungsabsicht vor, die zu einer Strafbarkeit des Täters führen kann.
Wunderbar! Strafrechtlich macht es also nach der jüngsten BGH-Entscheidung gar keinen Unterschied, ob nun Spezial- oder Standardleergut in der Absicht der späteren Rückgabe gegen Erlangung von Pfandgeld entwendet wird. In beiden Fällen kann ein Diebstahl angenommen werden, es sei denn, der Täter hat sich – was freilich äußerst selten sein dürfte – die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den Spezialpfandflaschen zutreffend vorgestellt. Man ist fast geneigt zu sagen: Der „Schlaue“, der sich die Eigentumslage an Spezialleergut zutreffend vorstellt, macht sich nicht des Diebstahls strafbar, der „Unwissende“ schon – das scheint inkonsequent (auch wenn natürlich noch andere Delikte in Betracht kommen). Darin zeigt sich auch die Schwäche der Vermögensdelikte. Wer das näher nachlesen will, mag sich die Urteilsanmerkung von Hoven, NJW 2018, 3598 genauer anschauen.
Vielen Dank, das war die Prüfung im Strafrecht.
Facebook: juraexamen.info
Instagram: @juraexamen.info
Eine mündliche Prüfung bei einem Prüfer etwa vom „Typ Dieter Bohlen“, könnte noch allein hinschtlich der von solchem Prüfer gebrauchten Worte eventuell anders verlaufen.
Wieso soll hier genauer bereits ein Diebstahlsmerkmal „fremd“ besonders zweifelhaft scheinen?
Eine Konstruktion einerbesonderen Relvanz von Spezial- oder Standardleegut für die Erfüllung von Diebstahlsvoraussetzungen kann fragwürdig wirken, wenn es einem möglichen Täter darauf gerade gar nicht ankommt, egal wie schlau jemand sein mag.
Eben wollte ich mich auf meine mündliche Prüfung vorbereiten und habe dabei den Beitrag gelesen und damit auch deinen Kommentar. Danach war ich mir kurz unsicher, ob es beim Merkmal der Fremdheit wirklich auf die Eigentumslage ankommt (zugegeben, ich habe dabei auch eine schlechte Pizza mit Thunfisch gegessen, sonst hätt ich mich das nicht gefragt). Als ich dann das neben mir liegenden Erstsemesterskript aufgeschlagen habe (stand dort beim Diebstahl ganz am Anfang), stellte ich fest, doch darauf kommt es schon an. Dennoch danke für das Kommentar!!
Fremdheit soll hier voraussetzen, dass ein möglicher Täter nicht selbst mit Eigentümer ist. Dass die Flaschen zunächst nicht Eigentum eines möglichen Täters waren, scheint klar. Man kann nur erwägen, dass ein möglicher Täter Eigentum erwirbt, indem er Flaschen ansichnimmt, und dass dies Fremdheit entgegensteht. Dies scheint sonst weniger verbreitet annehmbar, dass jemand zulässig Eigentum erwirbt, indem er etwas eventuell entgegen oder ohne den Willen eines Besitzers und daher mehr unzulässig ansichnimmt. Im Beitrag kann dies weniger problematisiert scheinen etc.