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Du bist hier: Startseite1 > Diebstahl

Schlagwortarchiv für: Diebstahl

Alexandra Ritter

Abgrenzung von Betrug und Diebstahl

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Allgemein

Betrug, § 263 StGB Diebstahl, § 242 StGB
a) Selbstschädigungsdelikt
b) Bewusste Vermögensverfügung
  Exklusivitätsverhältnisa) Fremdschädigungsdelikt
b) Wegnahme, Gewahrsamsbruch

II. Abgrenzungsfälle

1. Freiwilligkeit der Weggabe

a) Abgrenzungskriterium zwischen Verfügung und Wegnahme:

Innerer Willensrichtung des Opfers

b) Beispiel: Vorgetäuschte Beschlagnahmung

Mangels Freiwilligkeit keine Verfügung, sondern Wegnahme

2. Unmittelbarkeit

Keine Weggabe, wenn noch gelockerter Gewahrsam besteht

3. Abgrenzung von Trickdiebstahl und Dreiecksbetrug: Zurechenbarkeit einer Wegnahme durch einen Dritten

a) BefugnistheorieDritter zur Übertragung des Gewahrsams ermächtigt
b) Faktische NähetheorieTatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Dritten ausreichend
c) LagertheorieDritter steht im Näheverhältnis zu Opfer, Dritter glaubt zudem, im Interesse des Opfers zu handeln

4. Verfügungsbewusstsein:

a) Das Verfügungsbewusstsein muss sich nach h.M. auf einen bestimmten Gegenstand beziehen – kein generelles Verfügungsbewusstsein

b) Täuschung des Opfers über Objekt der Verfügung?

Bsp.: T legt wertvolles Parfüm in einen Karton für günstige Handtücher, die er bezahlt – nach h.M. trotzdem Wegnahme

17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:51:212022-12-23 08:50:23Abgrenzung von Betrug und Diebstahl
Alexandra Ritter

Diebstahl (§ 242 StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tatobjekt: fremde, bewegliche Sache

b) Tathandlung: Wegnahme

aa) fremder Gewahrsam

bb) Bruch dieses Gewahrsams

cc) Begründung neuen Gewahrsams

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz (bzgl. objektiver Tatbestandsmerkmale)

b) Zueignungsabsicht

aa) Vorsatz bzgl. dauerhafter Enteignung (dolus eventualis genügt)

bb) Absicht bzgl. zumindest vorübergehender Aneignung

3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung + Vorsatz

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle, § 243 StGB

1. Verwirklichung eines Regelbeispiels

2. Vorsatz (§ 15 StGB analog; ganz h.M.)

3. Keine Geringwertigkeit der Sache, § 243 II

4. Kein ausnahmsweises Entfallen der Indizwirkung

V. Ggf. Strafantrag gem. § 248a oder § 247 StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:16:532022-10-17 14:16:54Diebstahl (§ 242 StGB)
Dr. Sebastian Rombey

Diebstahl bei Durchsuchung: Polizist klaut Billigfeuerzeug – und wird dabei gefilmt

Arbeitsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Referendariat, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht BT, Zivilrecht

Ein Fall wie gemacht für eine mündliche Prüfung: Ein zum Tatzeitpunkt 24-Jähriger Polizeianwärter steckt im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung ein Billigfeuerzeug ein – und wird dabei von einer installierten Videokamera gefilmt. Er ließ sich (erfolglos) dahingehend ein, dass er das Einwegfeuerzeug an sich genommen habe, um es sicherzustellen, da er es als gefährlich eingestuft habe. Vor dem Verlassen des durchsuchten Gebäudes habe er es aber zurückgelassen. Gefunden wurde es freilich nicht. Außerdem zeigt eine Auswertung der Videoaufnahmen, dass bei der Durchsuchung eine recht ausgelassene Stimmung herrschte, auf eine Gefahrsituation deutet wenig hin. Besonders pikant: Im Sommer des vergangenen Jahres wurden die Videoaufnahmen bei Facebook geleakt. Nun wurde der Polizeianwärter aufgrund der getroffenen Feststellungen vom AG Recklinghausen wegen Diebstahls mit Waffen zu 90 Tagessätzen zu je 80 € verurteilt. Zusätzlich droht ihm die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. Die Berufung hat sein Verteidiger bereits angekündigt.

Der skurrile Fall gibt eine Bandbreite möglicher Prüfungsthemen her, die kurz angedeutet werden sollen (unterstellt, der Sachverhalt hat sich wie in der Presse geschildert ereignet): die Wegnahme kleiner Gegenstände in fremder Gewahrsamssphäre und die Beobachtung dabei; der Diebstahl mit Waffen bei Berufswaffenträgern und die Frage nach einer teleologischen Reduktion; das bloße „Beisichführen“ einer Waffe ohne Verwendung derselben als Qualifikation nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB; die Frage, ob anlasslose Videoaufnahmen überhaupt in einem Strafprozess verwertet werden dürfen; die Betrachtung der Frage, ob der junge Polizeianwärter durch das Zurücklassen des Feuerzeugs zurückgetreten ist; die Einordnung als minderschwerer Fall; nicht zuletzt die Frage, warum das Gericht eine Geldstrafe von 90 Tagessätze verhängen konnte, wenn doch § 244 Abs. 3 StGB einen Strafrahmen von 3 Monaten bis 5 Jahren Freiheitsstrafe vorsieht – und was die Schwelle von 90 Tagessätzen überhaupt bedeutet. Überdies drängt sich ein vergleichender Pendelblick auf den arbeits- bzw. dienstrechtlichen Einschlag des Falles förmlich auf: Darf aufgrund einer solchen Straftat tatsächlich eine Entlassung erfolgen? Im Einzelnen:

Aus strafrechtlicher Sicht hat der Polizeianwärter eine fremde bewegliche Sache (das Einwegfeuerzeug) weggenommen, indem er es in seine Hosentasche gesteckt hat. Auch wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber nicht vor Ort war, hatte er nach der Verkehrsauffassung jedenfalls von natürlichem Gewahrsamswillen getragenen „gelockerten“ Gewahrsam, und auch die Gegenauffassung würde ihm den Gewahrsam in seiner eigenen Wohnung sozial-normativ zuordnen. Die Neubegründung des gebrochenen, da gegen oder jedenfalls ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehobenen Gewahrsams kann trotz Beobachtung durch eine Videokamera („Diebstahl ist kein heimliches Delikt“) in einer fremden Gewahrsamssphäre durch Einstecken des Billigfeuerzeugs in die eigene Tasche erfolgen, weil hierbei eine Gewahrsamsenklave gebildet wird, die es dem bisherigen Gewahrsamsinhaber unmöglich macht, auf sozial-adäquate Weise den Gewahrsam zurückzuerlangen.

Aber ist dem jungen Polizeianwärter all dies auch nachweisbar? Das erstmalige Einstecken des Feuerzeugs bestreitet er nicht, es geht daher vornehmlich um die subjektive Tatbestandsseite, die neben dem Vorsatz nach § 15 StGB als Delikt mit überschießender Innentendenz eine rechtswidrige Zueignungsabsicht, also insbesondere den dauerhaften Enteignungsvorsatz bei jedenfalls vorübergehender Aneignungsabsicht fordert („se ut dominum gerere“). Er bestreitet dies und führt zu seiner Verteidigung vielmehr aus, er habe das Feuerzeug nicht für sich behalten, sondern vielmehr sicherstellen wollen. § 43 Nr. 1 PolG NRW drängt sich insoweit als Ermächtigungsgrundlage präventiven Polizeihandelns auf. Die Norm erlaubt eine Sicherstellung indes nur, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Das Gericht wertete die Einlassung indes als bloße Schutzbehauptung. Denn die Videoaufnahmen zeigen den Feststellungen zufolge einen gut gelaunten Polizeianwärter in eher lockerer Stimmung; eine gegenwärtige Gefahr ist nicht ersichtlich.

Aber sind diese Videoaufnahmen überhaupt in einem Strafverfahren verwertbar? Mangels Beweiserhebungsverbots kommt allein ein selbständiges Beweisverwertungsverbot aus einem Verstoß gegen die Grundrechte in Betracht. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Polizeianwärters aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG könnte insoweit verletzt sein. Es bedarf einer Abwägung, in die die Ziele des Strafprozesses einzubeziehen sind, eine Rechtsfrieden stiftende, die materiellen Wahrheit ans Tageslicht fördernde Entscheidung herbeizuführen, ohne hierbei rechtsstaatswidrige Wahrheitsfindung um jeden Preis zu betreiben, also unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten. Dieser Zielkonflikt tritt bei Videoaufnahmen besonders deutlich zu Tage. Bei privaten Videoaufnahmen geht die Abwägung aber meist zugunsten des Verwenders der Videotechnik, der damit sein Eigentum schützen will, bzw. der Strafverfolgungsinteressen aus (näher Meyer-Goßner/Schmidt/Köhler, StPO, 65. Aufl. 2022, § 100h Rn. 1b) – zumal die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall nichts von dem Einsatz der Videokamera wussten und sie damit denklogisch auch nicht dulden konnten, was für eine Zurechnung notwendig wäre.

Dies gibt Gelegenheit, auf die BGH-Entscheidung zum Einsatz von Dash-Cams im Straßenverkehr hinzuweisen (Urt. v. 15.05.2018 – VI ZR 233/17): Auch in diesem Fall verwenden Private (Pkw- oder Lkw-Fahrer) eine Videokamera und filmen damit den Verkehr. Diese anlasslosen Aufnahmen verstoßen zwar gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen der DS-GVO und führen zu einem Beweiserhebungsverbot, ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot folgt hieraus jedoch im Regelfall nicht. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Die Gefilmten begeben sich freiwillig in den öffentlichen Straßenverkehr und setzen sich damit einer Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer aus; zudem besteht in Unfallsituationen regelmäßig eine erhebliche Beweisnot; weiterhin zielt das Datenschutzrecht ausweislich Art. 1 DS-GVO nicht auf Beweisverwertungsverbote und – ganz zentral – ein systematischer Vergleich mit § 142 StGB zeigt, dass der Gesetzgeber den Beweisinteressen des Unfallgeschädigten ein besonderes Gewicht beimisst und Unfallbeteiligte im Rahmen ihrer aktiven Vorstellungs- und passiven Feststellungsduldungspflicht ohnehin ihre Personalien offenbaren müssen (siehe meine Besprechung zu dieser höchst relevanten Entscheidung hier).

Eine Besonderheit ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall des Polizeianwärters daraus, dass die Aufnahmen von einer Wildkamera stammen. An den grundsätzlichen Wertungen dürfte sich hierdurch indes nichts ändern, auch wenn die Interessenlage des Videotechnikverwenders im Ausgangspunkt eine andere sein dürfte, wenngleich auch Wildkameras häufig zur Überwachung von Objekten eingesetzt werden, schlicht weil sie keine Stromquelle benötigen.

Doch ist der Polizeianwärter möglicherweise gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 StGB vom Versuch zurückgetreten? Wohl kaum. Zu der Einlassung, er habe das Feuerzeug bei Verlassen des durchsuchten Gebäudes zurückgelassen, würde man als Verteidiger nicht unbedingt raten, sondern eher zum Schweigen: Denn zum einen wird bei dem Diebstahl kleinerer Gegenstände bereits mit dem Einstecken eine Gewahrsamsenklave begründet (s.o.), weshalb der Diebstahl in diesem Stadium bereits vollendet ist und ein Rücktritt ausscheidet. Zum anderen kann eine Rückgabe des Diebesguts an das Opfer zwar grundsätzlich bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten nach § 46 Abs. 2 StGB Berücksichtigung finden. Das gilt aber nur, wenn – anders als hier – das Diebesgut auch tatsächlich an das Opfer zurückgelangt. Vorliegend war das Einwegfeuerzeug indes nicht auffindbar. Dass offenbar nicht zur geständigen und reuigen Einlassung geraten wurde, die sonst immer bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten besonders positiv gewertet wird, dürfte indes daran liegen, dass § 244 StGB selbst in Abs. 3 eine starre Mindeststrafe statuiert, die das Gericht auch bei Vorliegen der genannten Strafmilderungsgründe nicht unterschreiten könnte – und weil offenbar Hoffnung bestand, doch noch den Freispruch zu erreichen.

Ist das Grunddelikt verwirklicht, drängt sich der Qualifikationstatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB auf. Der Diebstahl mit Waffen fordert seinem Wortlaut nach lediglich das Beisichführen einer Waffe. Voraussetzung hierfür ist allein, dass der Täter die Waffe beim Diebstahl zu irgendeinem Zeitpunkt in Griffweite hat und sich ihr jederzeit ohne nennenswerten Aufwand bedienen kann (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 244 Rn. 27). In der Literatur wird daher zuweilen eine restriktive Auslegung des Tatbestands oder gar ein zusätzliches subjektives Element gefordert – beides hat sich in der Rechtsprechung aber mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut der Norm, die Möglichkeit, einen minderschweren Fall anzunehmen, sowie den mittlerweile aktualisierten Willen des Gesetzgebers ohne Änderung des Wortlauts bei der Neufassung der Norm im Jahr 2011 durch das 44. StrÄndG bislang nicht durchgesetzt.

Gleiches gilt für die ebenfalls im Schrifttum teilweise vorgeschlagene teleologische Reduktion des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB für Berufswaffenträger. Eine solche Privilegierung, der der Gedanke zugrunde liegt, dass Berufswaffenträger weniger gefährlich seien als andere Täter, die bei einem Diebstahl eine Waffe bei sich führen, wird jedoch zu Recht abgelehnt. Zwar tragen Berufswaffenträger wie Polizisten ihre Dienstwaffe in Erfüllung dienstrechtlicher Pflichten, auch sind sie im Umgang damit besonders geschult; dies ändert aber nichts an der abstrakt höheren Gefährlichkeit eines unter Mitführung einer Waffe begangenen Diebstahls, da es auch hier stets zu unerwarteten Zwischenfällen während des Diebstahls kommen kann (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 244 Rn. 12 mwN). Man kann das Argument der Literatur sogar noch anders wenden: Gerade Berufswaffenträger wie Polizisten könnten aufgrund drohender beruflicher Nachteile zu einem Einsatz der Waffe verleitet werden, wenn der Diebstahl entdeckt wird (Rengier, Strafrecht BT I, 24. Aufl. 2022, § 4 Rn. 57).

Gleichwohl besteht – wie angedeutet – die Möglichkeit, einen minderschweren Fall anzunehmen, § 244 Abs. 3 StGB. Ein minderschwerer Fall liegt nach der Rechtsprechung immer dann vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens unangemessen bzw. die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Insoweit bedarf es einer Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 412/14; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 46 Rn. 85). So lag es hier: Das Einstecken eines Billigfeuerzeugs als bloßer Cent-Artikel dürfte von den allermeisten Fällen des Diebstahls mit Waffen vom Unrechtsgehalt her deutlich nach unten abweichen. Weitere Umstände (etwa zur Täterpersönlichkeit) sind nicht öffentlich bekannt, werden aber wohl in dieselbe Richtung gewiesen haben.

Colorandi causa sei noch auf die ausgeurteilte Strafe hingewiesen: Die Umschaltnorm des § 47 StGB enthält in Abs. 1 die Wertung, dass von der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen von unter 6 Monaten abzusehen ist, wenn und soweit eine kurze Freiheitsstrafe nicht ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände – insbesondere aus spezialpräventiven Gründen – unerlässlich ist (s. auch Nr. 138 Abs. 4 RiStBV). Vor allem bei Wiederholungstätern mit hoher Rückfallgeschwindigkeit oder Bewährungsversagen greift man in der Praxis hierauf zurück. Anderenfalls wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Abs. 2 S. 1 ermöglicht es, in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Gesetz keine Geldstrafe vorsieht, dennoch eine solche auszusprechen, wobei nach Abs. 2 S. 2 ein Monat Freiheitsstrafe 30 Tagessätzen entspricht – was die hier ausgeurteilte Geldstrafe von 90 Tagessätzen erklärt, sieht doch § 244 Abs. 3 StGB eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten vor.

Warum ist diese Schwelle von 90 Tagessätzen in der Praxis von besonderer Relevanz? Nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a) BZRG kann man sich als „nicht vorbestraft“ bezeichnen, solange man nicht zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wird und das Bundeszentralregister nach § 30 Abs. 1 S. 1 BZRG bislang keine Eintragung aufweist. Ein wichtiger Anreiz, um etwa gegen einen Strafbefehl oberhalb dieser Schwelle Einspruch einzulegen oder aber eine Revision hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zu führen. Gerade für manche Berufsgruppen ist dies besonders wichtig, oder aber für Vorstellungsgespräche, in denen – soweit kein „Recht zur Lüge“ besteht – Bewerber Auskunft über berufsbezogene Straftaten geben müssen, die für den konkret zu besetzenden Arbeitsplatz von zentraler Bedeutung sind (dazu Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Aufl. 2022, § 94 Rn. 25 f.). Nichts anderes gilt für Polizeianwärter: Gerade hier sind Vorstrafen besonders kritisch, weshalb die Geldstrafe von 90 Tagessätzen – so bitter sie auch sein mag – noch recht glimpflich ist.

Aus arbeitsrechtlicher Perspektive erinnert der Sachverhalt an den Fall „Emmely“: Eine Kassiererin löste zwei Pfandbons eines Kunden im Wert von 1,30 € selbst ein. Die daraufhin ausgesprochene außerordentliche (fristlose) Beendigungskündigung des Arbeitgebers sorgte bundesweit für Aufsehen. Vor den Arbeitsgerichten hielt sie indes nicht: Zwar könne eine Straftat im Arbeitsverhältnis eine Beendigungskündigung durchaus auf erster Stufe des § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ rechtfertigen, im Rahmen der Interessenabwägung auf zweiter Stufe sei aber bei einem über Jahrzehnte anstandslos bestehenden Beschäftigungsverhältnis eine sofortige Kündigung unverhältnismäßig, so das BAG (Urt. v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Maßstab sei – wie stets – die Frage, ob eine Vertrauensstörung eingetreten sei, die so erheblich ist, dass es dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist, den Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten.

Ob der hiesige Fall des Polizeianwärters gleich zu behandeln ist, darf mit guten Gründen bezweifelt werden: Rein arbeitsrechtlich liegt zwar auf erster Stufe ebenfalls eine leichtere Straftat vor, und auch geht es letztlich um eine Sache im Wert von wenigen Cent, doch auf zweiter Stufe fällt ins Gewicht, dass es angesichts des Diebstahls mit Waffen nicht mehr um eine reine Bagatellstraftat geht, es sich zudem um einen Berufswaffenträger handelt, der Recht und Ordnung in besonderem Maße verpflichtet ist und diese Werte auch beruflich repräsentiert respektive durchsetzt und die Straftat überdies von einem Polizeianwärter begangen wurde, dessen Dienstverhältnis noch nicht allzu lange besteht. Ein Unterschied liegt allein darin, dass anders als im Fall „Emmely“ die Straftat nicht unmittelbar gegen den Arbeitgeber gerichtet ist.

Diese Überlegungen müssen im hiesigen Fall aber nicht vertieft werden. Denn statusrechtlich ist ein Polizeianwärter regelmäßig nach § 4 Abs. 4 BeamtStG bzw. § 9 LBG NRW iVm LVOPol NRW Beamter auf Widerruf. Als solcher genießt er – anders als ein Beamter auf Lebenszeit – dienstrechtlich nicht den gleichen Schutz. Nach § 23 Abs. 4 BeamtStG (früher § 35 LBG NRW a.F.; auf Bundesebene § 37 BBG)  kann ein Beamter auf Widerruf „jederzeit“ entlassen werden, selbst die Beendigung der Vorbereitungszeit muss bei einem hier vorliegenden Dienstvergehen nicht abgewartet werden. Hierfür bedarf es allein eines willkürfreien sachlichen Grundes. Das OVG Münster sieht insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerwG die Einschätzung als entscheidend an, „inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Einschätzung der charakterlichen Eignung ist dem Dienstherrn vorbehalten.“ (OVG Münster, Beschl. v. 19.10.2020 – 6 B 1062/20; s. ferner BVerwG, Beschl. v. 20.07.2016 – 2 B 17.16)

Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein. Ein Diebstahl im Dienst lässt durchaus auf die charakterliche Eignung schließen, auch wenn sich die Tat auf ein Einwegfeuerzeug bezieht. Zwar kann sich der Polizeianwärter weiterhin als „nicht vorbestraft“ bezeichnen. Da die Straftat aber im Dienst begangen worden ist, kann der Dienstherr das Verhalten in seine Entscheidung mit einbeziehen, ohne dass insoweit ein Verwertungsverbot (etwa aus § 51 BZRG) bestünde, weshalb es auf die Ausnahmevorschrift des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG gar nicht mehr ankommt. Ob der Dienstherr im vorliegenden Fall von dieser Möglichkeit Gebrauch machen oder eher noch ein Auge zudrücken sollte, ist freilich eine davon zu trennende Frage. Auch unter Beachtung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) ergeben sich aufgrund der besonderen Anforderungen an Polizisten im Hinblick auf Recht und Ordnung, deren Wahrung im Dienst zu deren Kernpflichten gehört, durchaus Spielräume, die für eine Entlassung ins Feld geführt werden können.

Einmal mehr gilt: Straftaten im Dienst sind immer besonders riskant – selbst, wenn es sich um vermeintliche Bagatelldelikte handelt, und erst Recht, wenn der Täter Berufswaffenträger ist und sogar bei der Polizei als Anwärter arbeitet.

31.05.2022/0 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2022-05-31 09:55:002022-08-03 08:33:09Diebstahl bei Durchsuchung: Polizist klaut Billigfeuerzeug – und wird dabei gefilmt
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Gewahrsamsbruch am Geldautomaten

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Mit aktuellem Beschluss vom 03.03.2021 hat sich der BGH (Az.: 4 StR 338/20) wieder einmal zu Feinheiten des Gewahrsamsbruchs beim Diebstahl geäußert: Konkret widmete sich der BGH der Frage, wie sich die Gewahrsamsverhältnisse am Bargeld im Ausgabefach eines Geldautomaten darstellen, wenn der Kunde den Auszahlungsvorgang durch Einführen seiner Karte und Eingabe der PIN bereits ausgelöst hat. Hierzu hat der BGH ausgeführt, dass mit der Bereitstellung des Geldes im Ausgabefach und der hierdurch eröffneten Zugriffsmöglichkeit jedenfalls ein (Mit-)Gewahrsam des Berechtigten begründet wird. Dessen antizipierter Erlangungswille genügt für die Annahme eines erforderlichen subjektiven Herrschaftswillens. Ein Blick in die Grundzüge der Entscheidung lohnt sich nicht nur für Examenskandidaten: Die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation lässt sich problemlos in Klausuren ab dem Grundstudium einfügen und eignet sich auch hervorragend für mündliche Prüfungen. Das Setting des Falls ­– der Kunde am Bankautomaten – lädt dabei dazu ein, die erforderliche saubere Prüfung der Diebstahlsmerkmale mit der regelmäßig folgenden Abgrenzung Raub / räuberische Erpressung und sogar mit EC-Karten-Problemen zu kombinieren.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter (T) stellte sich in einer Bankfiliale in die Nähe seines Opfers (O). Er wartete darauf, dass der O in der Absicht, Bargeld abzuheben, seine EC-Karte in einen Geldautomaten eingeführt und seine PIN-Nummer ordnungsgemäß eingegeben hatte. Sodann bedrängte T den O, indem er ihn zur Seite schubste, und gab in das Bedienfeld einen Betrag von 500,00 Euro ein. Das sodann anforderungsgemäß ausgegebene Bargeld entnahm T dem Automaten und entfernte sich.
 
Strafbarkeit des T nach § 242 Abs. 1 StGB?
 
Anmerkung: In einem Fall mit einer offensichtlichen qualifizierten Nötigungshandlung wäre die Prüfung einer Strafbarkeit wegen Raubes gemäß § 249 StGB vorrangig. Aus didaktischen Gründen – und weil die vollendete qualifizierte Nötigung in der hier zu besprechenden Entscheidung durch die Vorinstanz nicht festgestellt wurde – erfolgen die nachstehenden Ausführungen zum Gewahrsamsbruch im Rahmen einer Diebstahlsprüfung. Diese sind freilich für die Prüfung einer Wegnahme im Rahmen von § 249 StGB bei einer entsprechenden Sachverhaltskonstellation dieselben.
 
B) Rechtserwägungen
In Betracht kommt eine Strafbarkeit des T wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB.
 
I. Objektiver Tatbestand
1. Fremde bewegliche Sache
Es müsste sich hierfür bei den Geldscheinen zunächst um fremde bewegliche Sachen handeln. Fremd ist eine Sache, wenn sie jedenfalls nicht im Alleineigentum des Täters steht (MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, StGB § 242 StGB Rn. 31). Vorliegend ist mithin zu klären, ob die Bank das Geld an den T gemäß § 929 S. 1 BGB durch Ausgabe der Scheine übereignet hat. Adressat des mit dem Ausgabevorgang verbundenen Einigungsangebots ist nach den vertraglichen Beziehungen zwischen Kontoinhaber und Geldinstitut und der Interessenlage der Parteien gleichwohl lediglich der Kontoinhaber, nicht aber ein unberechtigter Benutzer des Geldautomaten. Dies gilt nach der ganz herrschenden Meinung auch dann, wenn eine technisch ordnungsgemäße Bedienung des Automaten vorangegangen ist (BGH, Beschluss v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18, NStZ 2019, 726 Rn. 8; BGH, Beschluss v. 16.11.2017 – 2 StR 154/17, NJW 2018, 245 Rn. 9 m.w.N.). Denn bei der Auslegung der konkludenten rechtsgeschäftlichen Erklärung der Bank sind die Interessen und Zwecke, die mit einer dinglichen Einigung verfolgt werden, zu berücksichtigen. Danach hat ein Geldinstitut keinen Anlass, das in seinem Automaten befindliche Geld an einen unberechtigten Benutzer der Bankkarte und der Geheimzahl des Kontoinhabers zu übereignen. Im Gegenteil richtet sich sein Übereignungsangebot erkennbar ausschließlich an den Kontoinhaber (BGH, Beschluss v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18, NStZ 2019, 726 Rn. 9; BGH, Beschluss v. 16.11.2017 – 2 StR 154/17, NJW 2018, 245 Rn. 10). Da der O an einer Annahme durch den T gehindert worden ist, ist das Eigentum an den Geldscheinen mithin bei der Bank verblieben.
 
Anmerkung: Im aktuellen Beschluss stellt der BGH die Fremdheit unter Verweis auf die oben genannten Entscheidungen lediglich fest, ohne selbst eine mögliche Übereignung zu prüfen. In einer Klausur müsste selbstverständlich schon an dieser Stelle eine ausführliche Prüfung erfolgen.
 
2. Wegnahme 
Diese müsste der T aber auch weggenommen haben. Unter Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams zu verstehen. Gewahrsam bedeutet die von einem natürlichen Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft, deren Umfang nach der Verkehrsauffassung bestimmt wird. Maßgeblich ist hierbei, dass objektiv keine Hindernisse bestehen, den Willen zur unmittelbaren Einwirkung auf die Sache zu verwirklichen. Hierzu muss nicht notwendigerweise eine räumliche Nähe zur Sache bestehen. Vielmehr genügt es, wenn die Sachherrschaft bei einer räumlichen Trennung im Bereich des sozial Üblichen für eine bestimmte Zeit ausgeübt werden kann. Subjektiv ist ein Herrschaftswille erforderlich, der sich aber auch auf eine Vielzahl von Sachen in einem bestimmten Bereich beziehen kann. Beispielsweise hat der abwesende Wohnungsinhaber einen generellen Gewahrsamswillen hinsichtlich aller Sachen in der Wohnung, auch wenn er nicht zugegen ist (Lackner/Kühl/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 242 StGB Rn. 9, 11) und insoweit eine sogenannte Gewahrsamslockerung besteht.
 
a) Bruch des Gewahrsams des Geldinstituts?
Vorliegend könnte der T den Gewahrsam des Geldinstituts gebrochen haben, indem er die Scheine dem Ausgabefach entnahm. Es stellt sich jedoch diesbezüglich die Frage, ob die Herausnahme von Bargeld, das ein Geldautomat nach äußerlich ordnungsgemäßer Bedienung ausgibt, den Bruch des – gelockert fortbestehenden – Gewahrsams des den Automaten betreibenden Geldinstituts bzw. der für dieses handelnden natürlichen Personen (vgl. LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 242 Rn. 57 mwN) darstellt oder ob die Freigabe des Geldes als willentliche Aufgabe des Gewahrsams zu werten ist. Dies ist umstritten und wird auch in der höchstinstanzlichen Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt (für eine willentliche Aufgabe des Gewahrsams – mit der Folge, dass dieser nicht mehr gebrochen werden kann – hat sich der zweite Strafsenat des BGH im Jahr 2017 ausgesprochen, s. BGH, Beschluss v. 16.11.2017 – 2 StR 154/17, NJW 2018, 245; dagegen hat der dritte Strafsenat im Jahr 2019 einen fortbestehenden Gewahrsam des Geldinstituts an im Ausgabefach liegenden Scheinen angenommen, s. hierzu BGH, Beschluss v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18, NStZ 2019, 726).
 
b) Jedenfalls Bruch des (Mit-)Gewahrsams des Bankkunden
In dem aktuellen Beschluss vom 03.03.2021 hat sich der vierte Strafsenat des BGH es leicht gemacht und die Problematik offengelassen: Denn jedenfalls war nach der Ansicht des BGH im Zeitpunkt der Entnahme des Geldes durch den T bereits ein (Mit-)Gewahrsam des O an dem Geld begründet worden. Der BGH hat hierbei darauf hingewiesen, dass die Eigentumsverhältnisse in Bezug auf die Geldscheine nicht maßgeblich für die Bestimmung der Gewahrsamsverhältnisse sind:

„Hiernach kommt es für die Sachherrschaft zwar nicht auf eine Berechtigung an der Sache an, denn sonst könnte ein deliktischer Gewahrsam niemals erlangt werden (vgl. Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 25); vielmehr ist der Gewahrsam ein faktisches Herrschaftsverhältnis über eine Sache. Dessen Bestehen oder Nichtbestehen beurteilt sich auch danach, ob Regeln der sozialen Anschauung bestehen, nach denen die Sache einer bestimmten, ihr nicht unbedingt körperlich am nächsten stehenden Person zugeordnet wird (vgl. Schmitz in MK-StGB, 3. Aufl., § 242 Rn. 70).“ (Rn. 8)

Ausgehend von diesen Maßstäben hat der BGH angenommen, dass mit der Bereitstellung im Ausgabefach und der hierdurch eröffneten Zugriffsmöglichkeit jedenfalls ein (Mit-)Gewahrsam des Berechtigten, der durch die Einführung der Karte und die ordnungsgemäße Eingabe der PIN den Auszahlungsvorgang eingeleitet hat, begründet worden ist. Denn:

„Der Verkehr ordnet das Geld ab diesem Zeitpunkt jedenfalls auch dieser Person als das „ihre“ zu, wie sich auch daran zeigt, dass es sozial üblich ist und teils auch durch entsprechende Hinweise oder Vorrichtungen der Banken eingefordert wird, dass Dritte während des Abhebevorgangs Abstand zu dem Automaten und dem an ihm tätigen Kunden halten.“ (Rn. 10)

Das Vorliegen eines entsprechenden Herrschaftswillens des Bankkunden hat der BGH ebenfalls bejaht. Der in subjektiver Hinsicht erforderliche Herrschaftswille wird ebenfalls durch die Verkehrsanschauung geprägt. Es genügt zur Annahme eines Herrschaftswillens ein genereller, auf sämtliche in der eigenen Herrschaftssphäre befindlichen Sachen bezogener Wille ebenso wie der nur potentielle Beherrschungswille des schlafenden Gewahrsamsinhabers und ein antizipierter Erlangungswille in Bezug auf Sachen, die erst noch in den eigenen Herrschaftsbereich gelangen werden. Einen ebensolchen antizipierten Erlangungswillen hat der BGH im vorliegenden Fall angenommen:

„Der Abhebevorgang wird gerade zu dem Zweck und mit dem Willen zur Sachherrschaft über das ausgegebene Bargeld in Gang gesetzt. Dabei bezieht sich der antizipierte Herrschaftswille jedenfalls dann, wenn es sich – wie hier – bei dem Kartennutzer um den Kontoinhaber handelt, auf sämtliches Bargeld, das infolge des von ihm ausgelösten Vorgangs durch den Automaten ausgegeben wird. Denn das Bargeld wird – wie ihm bewusst ist – gerade unter entsprechender Belastung seines Bankkontos freigegeben. Für die Frage des Herrschaftswillens ist es deshalb unerheblich, dass im vorliegenden Fall jeweils nicht die Geschädigten, sondern die Angeklagten den Auszahlungsbetrag eingaben. Auch kommt es nicht darauf an, ob das Ansichnehmen des im Ausgabefach liegenden Geldes durch die Angeklagten von den Geschädigten wahrgenommen wurde oder ob dies heimlich geschah. Denn auch ein vom Bankkunden unbemerktes Ansichnehmen des Geldes änderte nichts an dessen Willen, an dem infolge seiner Eingabe bereitgestellten Geld die Sachherrschaft auszuüben.“ (Rn. 11)

Indem der T das Geld dem Ausgabefach entnommen hat, hat er mithin jedenfalls den (Mit-)Gewahrsam des O gebrochen und durch das Ansichnehmen und Fortlaufen eigenen Gewahrsam begründet.
 
II. Subjektiver Tatbestand
1. Vorsatz
T handelte auch mit Wissen und Wollen, also vorsätzlich.
2. Zueignungsabsicht
Er handelte zudem in der Absicht, sich die Geldscheine rechtswidrig zuzueignen.
 
III. Rechtswidrigkeit, Schuld
Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
 
IV. T hat sich wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit und Ausblick
Nach der aktuellen Entscheidung des BGH wird jedenfalls ein (Mit-)Gewahrsam des Bankkunden an den Geldscheinen begründet, die der Bankautomat nach ordnungsgemäßer Einführung der EC-Karte und Eingabe der PIN im Ausgabefach freigibt. Wenn nun ein anderer diese Geldscheine nimmt, bricht er also – unabhängig von der Frage, ob zu diesem Zeitpunkt noch das Bankinstitut (Mit-)Gewahrsamsinhaber ist, und unabhängig von den Eigentumsverhältnissen in Bezug auf die Geldscheine – jedenfalls den Gewahrsam des Bankkunden. Dies hat der BGH freilich nur für den berechtigten Karteninhaber entschieden. Hiervon ausgehend stellt sich als Ausblick beispielsweise die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn es sich um den nicht berechtigten oder den „nicht so“-berechtigten Karteninhaber handeln würde – eine komplexe Problematik, die im Rahmen von Hausarbeiten oder Examensklausuren in jedem Fall eine fundierte Argumentation erfordert. 
 

26.04.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-04-26 09:20:412021-04-26 09:20:41BGH: Neues zum Gewahrsamsbruch am Geldautomaten
Dr. Lena Bleckmann

BVerfG: Strafrechtliche Verurteilung wegen „Containerns“ verfassungsgemäß

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Wie schon die vorangegangenen Entscheidungen der Strafgerichte hat auch die Entscheidung des BVerfG (Az. 2 BvR 1985/19, 2 BvR 1986/19) zur strafrechtlichen Relevanz des sogenannten „Containerns“ große mediale Aufmerksamkeit erfahren. Die wesentlichen Entscheidungsgründe des BVerfG sollen Gegenstand des vorliegenden Beitrags sein.
I. Worum es geht
Die beiden Beschwerdeführerinnen wenden sich in ihren Verfassungsbeschwerden jeweils gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB. Die Studentinnen hatten mehrere Lebensmittel aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes entwendet. Der Abfallcontainer war für solche Lebensmittel vorgesehen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war oder die wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht mehr verkauft werden konnten. Er war – in Reaktion auf vorangegangene Entnahmen von Lebensmitteln – verschlossen und befand sich auf dem Gelände des Supermarktes.
Während sich die Beschwerdeführerinnen in den strafrechtlichen Verfahren darauf beriefen, die Lebensmittel seien infolge des Wegwerfens, das eine Eigentumsaufgabe darstelle, keine fremden Sachen i.S.d. § 242 Abs.1 StGB, sondern vielmehr herrenlos gewesen, sahen die Strafgerichte dies anders.
Eine Eigentumsaufgabe durch den Supermarktinhaber setze den vorherrschenden Willen voraus, sich der Sache ungezielt zu entäußern. Dies sei bei der Entsorgung in dem Abfallcontainer nicht gegeben, sodass die Lebensmittel weiterhin im Eigentum des Supermarktinhabers standen und taugliche Tatobjekte i.R.d. § 242 Abs. 1 StGB darstellten. Die Beschwerdeführerinnen wurden zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Hiergegen legten sie Verfassungsbeschwerden ein, mit der Begründung, die Verurteilung verletze sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Supermarkt habe kein schutzwürdiges Interesse an den Lebensmitteln und die Strafbarkeit des Verhaltens verstoße gegen das Übermaßverbot. Insbesondere sei die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zu beachten, die auch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln verpflichte.
II. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. In der Begründetheitsprüfung setzte sich das BVerfG zunächst mit einem möglichen Verstoß der Entscheidung gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot auseinander. Maßgeblich dafür, ob eine Gerichtsentscheidung gegen das Willkürverbot verstößt, ist, ob sie auf sachfremdem Erwägungen beruht:

„Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung allerdings nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Eine Maßnahme ist willkürlich, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich.“ (BVerfG, NJW 2010, 1349 (1350)).

Einen solchen Verstoß konnte das BVerfG in der vorliegenden strafrechtlichen Entscheidung nicht erkennen. Die Erwägungen der Strafgerichte zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Fremdheit, wonach die Wertlosigkeit allein nicht entscheidend sei und allein die Entsorgung in einem Abfallcontainer nicht zwingend auf einen Eigentumsaufgabewillen schließen lasse, zumal der Container verschlossen war, beruhen nach Ansicht des BVerfG auf sachgemäßen und nachvollziehbaren Erwägungen und sind daher nicht willkürlich.
Weiterhin ging das BVerfG auf die Verfassungsmäßigkeit der strafrechtlichen Beweiswürdigung ein. Entscheidend war hier, ob die Feststellung, dass die Entsorgung der Lebensmittel in dem Abfallcontainer keine Eigentumsaufgabe i.S.d. § 959 BGB darstelle, verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Hierzu führte das BVerfG aus:

„Die Feststellung, ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Abfallbehälter eine strafbare Wegnahme einer fremden Sache darstellt, obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Diese haben unter Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu entscheiden, ob die Abfälle durch eine Eigentumsaufgabe gemäß § 959 BGB herrenlos geworden sind, ob ein Übereignungsangebot an beliebige Dritte vorlag oder ob die Abfälle im Eigentum des bisherigen Eigentümers verblieben. Die Fachgerichte haben maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Abfallcontainer in der Anlieferzone des Supermarktes und damit auf dessen eigenem Gelände befunden habe und darüber hinaus verschlossen gewesen sei. Zudem hätten die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes und vom Inhaber bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestanden. Schließlich habe das Verschließen der Container eine Reaktion auf vorherige, unbefugte Entnahmen Dritter dargestellt. Aufgrund dieser Umstände sei auf den Willen des Unternehmens zu schließen, dass es weiterhin Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen. Gegen diese Beweiswürdigung ist aus Verfassungssicht nichts einzuwenden.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).

Schließlich setzt sich die Entscheidung mit der Verhältnismäßigkeit der Verurteilung auseinander. Hierbei lässt das BVerfG jedenfalls im Rahmen der bislang veröffentlichten Pressemitteilung offen, welches der von den Beschwerdeführerinnen gerügten Grundrechte verletzt sein könnte, jedenfalls eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG kommt jedoch in Betracht.
Die Verurteilung zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit stellt eindeutig einen Eingriff dar. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs kommt es darauf an, ob das Grundrecht beschränkbar ist und die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit gewahrt wurden. Die allgemeine Handlungsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Bei der Prüfung einer Urteilsverfassungsbeschwerde ist eine zweistufige Prüfung erforderlich: Zunächst muss die Einschränkung auf einem seinerseits verfassungsgemäßen Gesetz beruhen (Normprüfungsebene).
In Bezug auf § 242 Abs. 1 StGB führt das BVerfG aus:

„Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Es wacht lediglich darüber, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit der Verfassung steht. Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).

Weiterhin muss auch die gerichtliche Entscheidung verfassungsgemäß sein (Einzelaktsebene). Bei Vorliegen eines einfachen Gesetzesvorbehalts kommt es hier maßgeblich auf die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung an. Das BVerfG führt zur Rechtfertigung vor allem den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG an:

„Im vorliegenden Fall dient die Strafbarkeit des Verhaltens der Beschwerdeführerinnen dem Schutz des Eigentumsgrundrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG als Rechtsgut von Verfassungsrang. Der Eigentümer der Lebensmittel wollte diese bewusst einer Vernichtung durch den Abfallentsorger zuführen, um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen. Bereits das Interesse des Eigentümers daran, etwaige rechtliche Streitigkeiten und Prozessrisiken auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich zu akzeptieren.“ (BVerfG, Pressemitteilung Nr. 75/2020).

Weiterhin biete das Straf- und Strafprozessrecht die Möglichkeit, der geringen Schuld des Täters im Einzelfall Rechnung zu tragen, was auch im vorliegenden Fall erfolgt sei. Insgesamt sei die Entscheidung daher nicht verfassungsgerichtlich zu beanstanden.
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.
III. Ausblick
Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG stellte das BVerfG lediglich fest, diese sei vorliegend ohne Bedeutung, sie betreffe lediglich die Fragen, ob der Gesetzgeber auch eine alternative Regelung hinsichtlich des Umgangs mit entsorgten Lebensmitteln treffen könnte. Gerade die fehlende Berücksichtigung dieser Bestimmung für die vorliegende Entscheidung ist auf Kritik in den Medien gestoßen. Hatte man sich von der Entscheidung des BVerfG einen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Lebensmitteln erhofft, so wurde dies nicht erfüllt. Soll sich hier etwas ändern, ist nun der Gesetzgeber gefragt.

31.08.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-08-31 08:51:532020-08-31 08:51:53BVerfG: Strafrechtliche Verurteilung wegen „Containerns“ verfassungsgemäß
Gastautor

Rechtsprechungsüberblick Strafrecht und Strafprozessrecht 2019

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Wir freuen uns, heute einen Beitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Jura studiert und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn (Lehrstuhl Thüsing).
 
Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2019 als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht
 
BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – 1 StR 356/18: Bestätigung der Verurteilung gegen Waffenverkäufer im Fall des Amoklaufs in Münchener Olympia-Einkaufszentrum
Der BGH hat Anfang des Jahres das Urteil des LG München (19.1.2018 – 12 KLs 111 Js 239798/16) gegen den Verkäufer der Waffe, die der Amokläufer im Münchener Olympia-Einkaufszentrum verwendete, bestätigt, indem er die Rechtsmittel von Verteidigung und Nebenklage zurückwies: Der Verkäufer wurde durch das LG München wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen verurteilt. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord, wie sie auch die Nebenkläger forderten, lehnte das LG München ab, denn der notwendige doppelte Beihilfevorsatz fehle. Es liege aber eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den illegalen Verkauf von Schusswaffen und Munition, der sogar selbst den Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG verwirklicht, vor. Darüber hinaus sei der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs erkennbar und vorhersehbar. Das Dazwischentreten eines Dritten, also des Täters, stehe der Strafbarkeit nicht entgegen:

„[E]ine Mitverantwortung Dritter [führt] nur dann zum Wegfall des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg, wenn das für den Erfolg ebenfalls kausale Verhalten des Dritten außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt. Erforderlich ist demnach, dass die vom Täter ursprünglich gesetzte Ursache trotz des in den Kausalverlauf eingreifenden Verhaltens des Dritten wesentlich fortwirkt, der Dritte also hieran anknüpft. Hiervon ist jedenfalls in solchen Fallgestaltungen auszugehen, in denen sich in dem pflichtwidrigen Handeln des Dritten gerade das Risiko der Pflichtwidrigkeit des Täters selbst verwirklicht.“

Vgl. hier unsere ausführliche Besprechung.
 
Raserfälle: Relevant waren dieses Jahr auch die Verurteilungen von Rasern. Dies ist gerade mit Blick auf die Neueinführung des § 315d StGB ein hoch examensrelevantes Themengebiet, aber auch das mediale Interesse um die Verurteilungen wegen Mordes rückt entsprechende Urteile auch in den Fokus der Examensprüfer.
BGH, Beschl. v. 16.1.2019 – 4 StR 345/18: Bestätigung des Mordurteils gegen einen Raser
Anfang des Jahres hat der BGH ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt. Vorangegangen war die Entscheidung des LG Hamburg (Az.: 621 Ks 12/17) zu folgendem Sachverhalt: Bei einer Verfolgungsfahrt mit der Polizei in einem gestohlenen Taxi und fuhr der alkoholisierte A in der Innenstadt bewusst auf die Gegenfahrbahn. Diese war leicht kurvig und baulich von der übrigen Fahrbahn abgetrennt. A fuhr mit einer Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h, bis er wegen Kollisionen mit dem Kantstein der Fahrbahn und einer Verkehrsinsel die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und nach Überqueren einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h frontal mit einem ihm mit nur ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammenstieß. Einer der Insassen verstarb, zwei weitere wurden schwer verletzt.
Das LG ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass A mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, was auch der BGH bestätigte:

„[A war] bewusst, ,dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.‘ Ihm war auch ,bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.‘ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angekl. gebilligt, weil er ,kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen‘, verfolgte.“

Das Vorliegen eines Mordmerkmals mag mit Blick auf die Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels einschlägig sein, das ließ der BGH aber offen. Erfüllt sei vorliegend jedenfalls die Verdeckungsabsicht, da es A maßgeblich darauf ankam, zu entkommen.
Zu mehr Einzelheiten vgl. auch unsere Besprechung.
 
LG Berlin, Urt. v. 26.3.2019 – 532 Ks 9/18: Bedingter Tötungsvorsatz bei Autorennen
Im medialen Fokus stand bereits letztes Jahr das Urteil des LG Berlin, mit dem es zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, wegen Mordes verurteilte. Dieses erste Urteil hatte der BGH zwar aufgehoben, sodass das LG Berlin erneut entscheiden musste. Es blieb aber dabei, die Angeklagten wegen Mordes zu verurteilen: Zunächst maßgeblich war der Vorsatz. Die Angeklagten hätten das Risiko des Todes anderer Verkehrsteilnehmer erkannt, hätten aber – aus Gleichgültigkeit – dennoch entsprechend gehandelt. Dieses Bewusstsein habe schon in dem Zeitpunkt vorgelegen, in dem die volle Kontrolle über das Fahrzeug noch vorhanden gewesen sei – zur Erinnerung: Der BGH war davon ausgegangen, dass der Tötungsvorsatz erst nach der Tat gegeben sei und demnach unbeachtlich war.
An Mordmerkmalen bejahte das LG das Auto als gemeingefährliches Mittel, die Heimtücke, da das Opfer die Ampel bei Grün überquert habe und damit arglos gewesen sei, sowie niedrige Beweggründe.
Zu weiteren Details sei auf unsere ausführliche Besprechung verwiesen.
 
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.1.2019 – 2 Ws 341/18: Beendigung einer Beziehung als empfindliches Übel
Das OLG Karlsruhe hatte dieses Jahr darüber zu entscheiden, ob die Ankündigung der Beendigung einer Beziehung als ein empfindliches Übel bei der Strafbarkeit wegen (sexueller) Nötigung verstanden werden kann. Nachdem der Täter T die 17 Jahre alte O über ein soziales Netzwerk kennengelernt und mit dem falschen Profil X eine Internet-Beziehung aufgenommen hatte, traf er sich selbst als T mit O und kündigte an, dass, sollte sie sich weigern, mit ihm in sexuellen Kontakt zu treten, die Internet-Beziehung mit X beendet werde.
Das OLG entschied, dass T hierdurch den Tatbestand der sexuellen Nötigung gem. § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB verwirklicht habe, da bei der Frage, ob eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliege, ein individuell-objektiver Maßstab zugrunde zu legen sei:

„Danach ist das angedrohte Übel dann empfindlich, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinn des Täterverlangens zu motivieren, und von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Mithin kommt es auf eine den Opferhorizont berücksichtigende Sichtweise und nicht auf einen besonnenen Durchschnittsmenschen an. Auch unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Nötigungsdelikte – die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung – kommt deshalb der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung. Danach kann auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen, wenn dieser Beziehung für den Bedrohten ein hoher Stellenwert zukommt.“

Das OLG Karlsruhe ging mithin im Ergebnis von der Strafbarkeit des T wegen sexueller Nötigung aus, s. auch unsere Besprechung.
 
OLG Köln, Beschl. v. 4.4.2019 – 2 Ws 122/19: Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers nach § 223 StGB
Das OLG Köln beschäftigte sich im April mit der Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB. Profiboxer T besiegte in einem Boxkampf seinen Kontrahenten; allerdings war die nachfolgende Dopingprobe im Hinblick auf das synthetische anabole Steroid Stanozolol positiv. Nach Bejahung des objektiven Tatbestandes der einfachen Körperverletzung – ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs wegen der eingesetzten Boxhandschuhe lehnte des OLG ausdrücklich ab – ist maßgeblich nach der rechtfertigenden Einwilligung zu fragen, die bei einem Sportwettkampf regelmäßig konkludent vorliegt. Hierbei ist ein Irrtum des Einwilligenden denkbar, denn der Gegner geht regelmäßig von einem anderen Leistungsniveau aus, als von dem, welches erst durch das Doping erzielt wird. So führt das OLG Köln aus:

„Die vom Teilnehmer eines Boxkampfes zumindest konkludent erteilte Einwilligung erstreckt sich ausschließlich auf solche Verletzungen, die bei regelkonformem Verhalten des Gegners üblich und zu erwarten sind. Doping als schwere Missachtung der anerkannten Sport- und Wettkampfregeln, die der Gegner nicht zu erwarten braucht, kann der wirksamen Einwilligung entgegenstehen.“

All dies steht unter dem Vorbehalt, dass das Doping dem Täter sicher nachgewiesen wird, was im konkreten Fall noch aussteht. Sollte dies jedenfalls der Fall sein, handelte er ohne Rechtfertigung und hat sich mithin wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Vgl. hierzu unsere ausführlichere Besprechung.
 
BGH, Urt. v. 6.4.2019 – 5 StR 593/18: Konkretisierung des Gewahrsamswechsels bei kleinen, leicht transportablen Sachen
Im Frühjahr dieses Jahres hat der BGH eine Konkretisierung des Gewahrsamswechsels beim Diebstahl vorgenommen, wobei es insbesondere um die examensrelevante Frage der Begründung neuen Gewahrsams durch Verbringen der Sache in eine Gewahrsamsenklave ging. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Es ging um die Mitnahme von sechs Flaschen Alkohol, die der Täter T in einen Einkaufskorb und dann in seine Sporttasche legte, welche er verschloss, um die Flaschen ohne Bezahlung für sich zu behalten. Er wurde aber vor Verlassen des Ladens vom Ladendetektiv aufgehalten.
Zur Bestimmung, ob eine Wegnahme vorliegt, stellt der BGH auf die Gesamtumstände des konkreten Falls unter Berücksichtigung von Größe, Gewicht und Transportmöglichkeit der jeweiligen Sache ab:

„Danach macht es einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen […] lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam.“

Das gilt unabhängig davon, wenn sich die handelnde Person noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten – hier des Supermarktes befindet. Für Fälle wie den Vorliegenden gilt daher:

„Für ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen kann jedenfalls dann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft – wie hier – in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt; hierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung.“

Die Strafbarkeit wegen vollendeten Diebstahls ist im vorliegenden Fall somit gegeben. S. zu diesem Urteil unsere Besprechung.
 
BGH, Beschl. v. 7.5.2019 – 1 StR 150/19: Niedrige Beweggründe bei Tötung des Intimpartners
Zu folgendem Fall (gekürzt) erging im Mai dieses Jahres ein Beschluss des BGH: Zwischen T und seiner Ehefrau F kam es vor allem wegen des täglichen Alkoholkonsums des T zu Streit, wobei sich F von T trennte und ihn aufforderte, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Auch am nächsten Morgen beharrte sie auf ihrem Entschluss. Als sie das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, folgte T ihr mit einem Messer in der Jackentasche und dem Vorhaben, sie zu töten, sollte sie ihm keine weitere Chance geben. F verneinte das Ansinnen des T und wandte sich von ihm ab, sodass T ihr, die sich keines Angriffs versah, von hinten vier Mal in den Rücken stach. F drehte sich überrascht um und ging infolge weiterer gegen die Brust geführter Stiche zu Boden. T setzte sich sodann auf die auf dem Rücken liegende F und stach weiter wuchtig auf ihren Brustbereich ein, wobei ihre Versuche, die Stiche abzuwehren, erfolglos blieben. T ließ erst von ihr ab, als sie regungslos liegenblieb. F starb durch die Blutungen.
Die Überlegungen des LG München, es handle sich um einen Mord, bei welchem die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe vorliegen, stimmte der BGH nur teilweise zu: Während das Merkmal der Heimtücke gegeben sei, sei hinsichtlich der niedrigen Beweggründe, anders als vom LG vorgenommen, weder maßgeblich darauf abzustellen,

„ob der Täter tatsachenfundiert auf den Fortbestand der Verbindung zum Opfer vertrauen durfte, noch darauf, wie der Zustand der Beziehung war, ob sich das Tatopfer aus nachvollziehbaren Gründen zur Trennung entschlossen hat, ob der Täter seinerseits maßgeblich verantwortlich für eine etwaige Zerrüttung der Partnerschaft war und ob er – dies ist ohnehin stets der Fall – ,die Trennungsentscheidung‘ des Partners ,hinzunehmen‘ hatte. Derartige Erwägungen sind zwar für die entscheidende Frage, ob die – stets als verwerflich anzusehende – vorsätzliche und rechtswidrige Tötung eines Menschen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrt, nicht ohne jede Bedeutung; allein der Umstand, dass sich die Trennung des Partners wegen des Vorverhaltens des Täters und des Zustands der Beziehung als „völlig normaler Prozess“ darstellt und (daher) von diesem hinzunehmen ist, ist aber nicht geeignet, die Tötung des Partners, die wie jede vorsätzliche und rechtswidrige Tötung verwerflich ist, als völlig unbegreiflich erscheinen zu lassen.“

Zu beachten ist bei der Prüfung auch, dass nach Auffassung des BGH der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden darf.
 
BGH, Urt. v. 3.7.2019 – 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18: Grundsatzurteile zur Sterbehilfe
Medial auch im Fokus standen zwei Urteile zur Sterbehilfe, die der BGH diesen Sommer erlassen hat. Es ging um die Strafbarkeit zweier Ärzte: Der im Hamburger Verfahren angeklagte Facharzt erstellte für zwei Frauen, die sich an einen Sterbehilfeverein gewandt hatten, neurologisch-psychiatrische Gutachten zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Hierbei hatte er an der Festigkeit und Wohlerwogenheit ihrer Suizidwünsche keine Zweifel. Auf ihr Verlangen wohnte er auch der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ Rettungsmaßnahmen. Eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB und nach § 323c StGB wurde bereits in der Vorinstanz aufgrund der Tatherrschaft der Frauen über die Todesherbeiführung verneint. Der andere Arzt, um dessen Strafbarkeit es im Berliner Verfahren ging, war Hausarzt der Suizidwilligen, die an einer nicht lebensbedrohlichen, aber stark krampfartige Schmerzen verursachenden Krankheit litt und bereits mehrere Suizidversuche unternommen hatte. Er besorgte ihr ein tödlich wirkendes Medikament und betreute sie, als sie nach der Einnahme des Medikaments bewusstlos wurde. Auch er nahm keine Rettungsmaßnahmen vor. Auch hier wurde die Strafbarkeit abgelehnt, denn die Beschaffung des Medikaments eine straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung.
Zwar lagen die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit durch Unterlassen im Grundsatz wohl vor, wenn auch die Frage nach der Garantenstellung weitestgehend offen gelassen wurde. Allerdings verneinte der BGH die Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs:

„Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)

Konsequenterweise war daher auch nicht von einer Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB auszugehen. Im Ergebnis verneinte der BGH daher insgesamt die Strafbarkeit der Ärzte. Da sich im Rahmen der Sterbehilfe jedenfalls komplizierte Fälle stellen lassen, sind diese Entscheidungen besonders (examens-)relevant.
Vgl. hierzu auch unsere umfassende Besprechung.
 
Strafprozessrecht
 
BVerfG, Beschl. v. 5.7.2019 – 2 BvR 167/18: Neues zur Wahlfeststellung
Das BVerfG hat sich im Sommer mit der echten Wahlfeststellung beschäftigt. Zur Erinnerung: Die echte Wahlfeststellung kommt infrage, wenn sicher ist, dass der Täter einen von mehreren möglichen Straftatbeständen erfüllt hat, aber nicht klar ist, welches Delikt er tatsächlich vorliegt. Daher erfolgt nach Auffassung der Rechtsprechung bei rechtsethischer und physiologischer Vergleichbarkeit oder nach der h. L. bei Identität des Unrechtskerns eine wahlweise Bestrafung. Teilweise bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung, insbesondere da es an einer gesetzlichen Grundlage fehle, die aber wegen ihrer strafbarkeitsbegründenden Wirkung erforderlich sei, vgl. Art. 103 Abs. 2 GG. Das BVerfG hat nun jedoch die Verfassungsmäßigkeit bejaht. Zunächst stellte es heraus, dass es sich um eine Entscheidungsregel des Strafverfahrens handle, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berühre. Darüber hinaus sei auch kein Verstoß gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ festzustellen:

„In der Wahlfeststellungssituation hat das Tatgericht aufgrund des jeweils anwendbaren Straftatbestands zu prüfen, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn eindeutig die eine oder die andere strafbare Handlung nachgewiesen wäre. Von den so ermittelten Strafen ist dann zugunsten des Angeklagten die mildeste zu verhängen. Dass sich hiernach die zu verhängende Strafe durch einen Vergleich (der für jede Sachverhaltsvariante konkret ermittelten Strafen) bestimmt, ändert nichts daran, dass das Tatgericht Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand entnimmt, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt.“

Auch der Unschuldsvermutung sei Genüge getan: Zwar könne dem Angeklagten eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen werden, dennoch stünde zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht habe. Demnach ist die echte Wahlfeststellung als verfassungsgemäß zu betrachten.
Diesen Beschluss haben wir ebenfalls ausführlich besprochen.
 
 

11.11.2019/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-11-11 09:51:002019-11-11 09:51:00Rechtsprechungsüberblick Strafrecht und Strafprozessrecht 2019
Carlo Pöschke

Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Zu den Fallkonstellationen, die Jura-Studenten von den ersten Semestern bis zum Examen begleiten, gehören die sog. Tankstellenfälle. Hierbei betankt der Täter sein Fahrzeug an einer Selbstbedienungstankstelle, ohne den Kaufpreis an der Kasse zu entrichten. Die Komplexität dieser Fälle wird bereits deutlich, wenn man das Stichwort in die Google-Suche eingibt. So stellt eine Rechtsratgeber-Seite fest: „Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten.“ Und genau deshalb erfreuen sich die Tankstellenfälle sowohl in universitären Klausuren als auch im Examen größter Beliebtheit: Zu prüfen sind Straftatbestände wie Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB), die bereits in frühen Semestern zum Standard-Repertoire eines jeden Prüflings gehören (sollten), Vieles ist juristisch umstritten und durch kleine Abwandlungen lassen sich leicht neue Fallkonstellationen erzeugen. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass sich solche Prüfungsaufgaben häufig auf einige wenige Grundfälle zurückführen lassen. Wer diese typischen Fallgestaltungen im Hinterkopf behält, kann auch bei unbekannten Abwandlungen mit der entsprechenden Argumentation und einem guten systematischen Verständnis der Vermögensdelikte in der Klausur punkten.
A. Fallgestaltung 1: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird nicht beobachtet oder geht irrig davon aus, nicht beobachtet zu werden
Beispielsfall: T, der ständig knapp bei Kasse ist, aber trotzdem mit seinem Sportwagen auf der Straße prahlen möchte, betankt an der Selbstbedienungstankstelle des S seinen fast leeren Tank mit Benzin im Wert von 70 Euro mit der zuvor gefassten Absicht, das Tankstellengelände ohne Entrichten des Kaufpreises wieder zu verlassen. T hat bewusst die Tankstelle des S ausgewählt, da diese noch nicht über moderne Überwachungssysteme verfügt und das Kassenpersonal insb. zu Stoßzeiten mit dem Abkassieren so beschäftigt ist, dass das Geschehen im Außenbereich unbeachtet bleibt. So geschieht es:  Tankstellenmitarbeiter M bekommt von dem Tankvorgang zunächst nichts mit und nimmt von dem Vorfall erst Kenntnis, als T bereits unbehelligt davongefahren ist und ein Kunde ihn über die Sperrung der betreffenden Zapfsäule informiert. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB zunächst, dass es sich bei dem Benzin um eine fremde bewegliche Sache handelt. Benzin stellt (unabhängig vom Aggregatzustand) einen körperlichen Gegenstand i.S.d. § 90 BGB dar, der auch tatsächlich fortgeschafft werden kann, mithin eine bewegliche Sache.
Fraglich ist, ob das Benzin für T auch fremd ist. Fremd ist eine Sache, wenn sie zumindest auch im Eigentum eines anderen steht. Insbesondere in der älteren Literatur und Rechtsprechung wurde die Fremdheit des Benzins jedoch abgelehnt: Der Tankstellenbetreiber unterbreite dem sich selbst bedienenden Kunden bereits mit Aufstellen der Tanksäule ein Angebot auf Übereignung des Benzins, das vom Kunden durch Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank angenommen werde. Insofern vollziehe sich die Übereignung bereits an der Tanksäule gem. § 929 S. 1 BGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 249; Herzberg, NJW 1984, 896, 898). Nach der Gegenansicht sei die Fremdheit der Sache sehr wohl zu bejahen. Ganz überwiegend wird argumentiert, dass sich – sofern nicht ohnehin ein Eigentumsvorbehalt gem. § 449 BGB vereinbart wurde – die dingliche Einigung wie beim Kauf in Selbstbedienungsläden erst nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse vollziehe (OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 17). Denkbar wäre auch, einen gesetzlichen Eigentumserwerb des Tankenden gem.  § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB anzunehmen. Da der Tankende über § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB jedoch bloß Miteigentümer der Sache wird, wäre das Benzin für T immer noch fremd. Die Ansicht, die einen Eigentumsübergang bereits an der Tanksäule nach Maßgabe des § 929 S. 1 BGB annimmt, vermag nicht zu überzeugen, weil sie den Anschauungen des täglichen Lebens zuwiderläuft und mit einer Auslegung von Willenserklärungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB nicht zu vereinbaren ist. Denn es wird regelmäßig nicht dem Willen des Tankstelleninhabers entsprechen, an seine Kunden vorzuleisten. Vielmehr soll die Leistung Zug-um-Zug, d.h. Ware gegen Geld, erfolgen. Ob sich die Übereignung rechtsgeschäftlich nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse oder gesetzlich nach § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB vollzieht, ist nicht zu entscheiden, da beide Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Benzin eine für T fremde Sache ist.
Somit stellt das Benzin ein taugliches Tatobjekt dar.
b) Weiterhin müsste T dem S das Benzin weggenommen haben. Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Dabei ist Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft eines Menschen über eine Sache, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen und in ihrer Reichweite von der Verkehrsanschauung begrenzt wird. Vor Beginn des Betankungsvorgangs lag der Gewahrsam am Benzin bei S. Durch Befüllung des Tanks wurde dem S der ungehinderte Zugriff auf das Benzin entzogen, während T fortan – auch unter Zugrundlegung der Verkehrsanschauung – über das Benzin verfügen konnte. Insoweit hat er neuen Gewahrsam am Benzin begründet. Fremder Gewahrsam wird jedoch nur dann gebrochen, wenn der Täter gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers handelt. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Begründung des neuen Gewahrsams am Benzin von einem tatbestandausschließenden Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers (hier S) gedeckt wäre. Nach h.M. beinhaltet die Eröffnung einer Selbstbedienungstankstelle das generelle Einverständnis in die Entnahme von Kraftstoff. Wer die Zapfsäule ordnungsgemäß bediene, nehme selbst dann nicht weg, wenn er von vornherein nicht vorhat, das Benzin zu bezahlen (MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 108 m.w.N.). Dies wird von einer Mindermeinung bestritten, die das Einverständnis nicht nur an die ordnungsgemäße Bedienung, sondern zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt. Letztgenannte Ansicht führt jedoch dazu, dass die Abgrenzung zwischen Wegnahme i.S.v. § 242 Abs. 1 StGB und Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB verwischt und ist daher abzulehnen (so auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 36a). Damit ist auch im vorliegenden Fall von einem unbedingten Einverständnis des S in den Gewahrsamsübergang auszugehen, das eine Wegnahme ausschließt.
2. Ergebnis
T hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der Betrugstatbestand erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, worunter jedenfalls jedes Verhalten mit Erklärungswert fällt, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Weil T jedoch bis Beendigung des Tankvorgangs vom Tankstellenpersonal unberücksichtigt blieb, konnte er bereits gar nicht auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirken. T hat sich nicht gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Anmerkung: Gäbe es im Sachverhalt nicht den Hinweis darauf, dass die Tankstelle über keine Überwachungssysteme verfügt und die Mitarbeiter regelmäßig nicht das Außengelände überwachen, müsste geprüft werden, ob sich T gem. § 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen versuchten Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht hat. Hier könnte bspw. angeführt werden, dass bei realitätsnaher Betrachtung stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen ist und deshalb mit bedingtem Täuschungsvorsatz gehandelt wurde (OLG Köln NJW 2002, 1059, 1060).
III. § 246 Abs. 1 StGB durch Befüllen des Tanks
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) Dass das Benzin eine fremde bewegliche Sache ist, wurde bereits zuvor ausgeführt.
b) Des Weiteren müsste sich T das Benzin zugeeignet haben. Erforderlich ist die objektive Manifestation eines Selbst- oder Drittzueignungswillens. T wollte das Benzin der Einwirkungssphäre des S dauerhaft entziehen, um es selbst zu behalten. Er handelte also mit Zueignungswillen. Problematisch erscheint hingegen, ob auch ein über den bloßen Zueignungswillen hinausgehender objektiver Zueignungsakt vorliegt.
Die sog. enge Manifestationstheorie der h.L. stellt darauf ab, ob ein nach außen erkennbares Verhalten des Täters verlässlich zum Ausdruck bringt, dass der Täter die Sache behalten will. Dies sei aus der Sicht eines objektiven Beobachters zu beurteilen, der abgesehen vom Zueignungswillen des Täters alle tatsächlichen Umstände des Falls kennt. Der Tankvorgang stellt sich dabei als ein „an sich neutrale[r] Vorgang“ (Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799, 2800) dar. Zu diesem Zeitpunkt kann ein objektiver Beobachter ohne Kenntnis des Täterwillens nämlich noch nicht sagen, ob der sich ansonsten unauffällig verhaltende Tankende die Tankstelle ohne Bezahlung des Kaufpreises verlassen wird oder ordnungsgemäß bezahlen wird und an der Kasse das Eigentum am Benzin erwerben wird. Nach dieser Ansicht wurde der Zueignungswille mithin nicht manifestiert.
Nach der sog. weiten Manifestationstheorie, die insb. von der Rspr. vertreten wird, kann hingegen jede beliebige Handlung als Ausdruck des Zueignungsinteresses verstanden werden, soweit ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Verhalten als Bestätigung des Willens ansieht. Vorliegend würde ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Betanken des Fahrzeugs bereits als Manifestation des Willens betrachten.
Die vorgestellten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass der Streit zu entscheiden ist. Würde man der Ansicht der Rspr. folgen, hätte dies zur Konsequenz, dass eine Abgrenzung zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung nahezu unmöglich würde. Außerdem lässt sich aus § 22 StGB, wonach eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung unmittelbar zu ihr ansetzt, e contrario ableiten, dass die Vorstellungen des Täters im Rahmen des objektiven Tatbestands keine Berücksichtigung finden soll. Die weite Manifestationstheorie führt aber gerade dazu, dass der objektive Tatbestand vom subjektiven Tatbestand her interpretiert wird (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 18). Aus den genannten Gründen verdient die enge Manifestationstheorie den Vorzug. T hat durch das Befüllen des Tanks den Zueignungswillen nicht manifestiert hat.
2. Ergebnis
T hat sich durch das Befüllen des Tanks nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. § 246 Abs. 1 StGB durch Wegfahren
Dadurch, dass T unbehelligt davonfuhr, könnte er sich jedoch gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Wegfahren wird vorliegend auch nach der engen Manifestationstheorie der Zueignungswille des T nach außen manifestiert.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich, indem er unbehelligt davonfuhr, gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. Gesamtergebnis
T hat sich gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
B. Fallgestaltung 2: Anfänglich zahlungswilliger Täter fasst mit Abschluss des Tankvorgangs den Entschluss, die Tankstelle ohne Bezahlung des Kraftstoffs zu verlassen
Beispielsfall: T hat im vergangenen Monat mit seinem Geld gut gehaushaltet und hat sich 70 Euro beiseitegelegt, um seinen Sportwagen endlich wieder einmal vollzutanken. Er fährt zu der Selbstbedienungstankstelle des S in der Absicht, den Wagen vollzutanken und den Kaufpreis nach Beendigung des Tankvorgangs zu bezahlen. Er befüllt den Tank seines Sportwagens mit Benzin im Wert von 70 Euro. Auf dem Weg zur Kasse regt er sich jedoch über die Gewinnsucht der großen Ölkonzerne auf und sieht es gar nicht ein, die Reichen noch reicher zu machen. Um nicht aufzufliegen, entnimmt er deshalb aus dem Kühlregal des Tankstellenshops eine Dose Bier und bezahlt diese (aber nicht die Tankfüllung) an der Kasse. Wie von T erhofft geht die Tankstellenmitarbeiterin M irrig davon aus, dass T nur die Dose Bier bezahlen möchte und nicht getankt hat. Daraufhin fährt T unbehelligt davon. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist eine für T fremde bewegliche Sache (s.o.).
T müsste den Kraftstoff auch weggenommen haben. Dass T eigenen Gewahrsam am Benzin begründet hat, steht außer Frage. Jedoch ist die Aufhebung des Gewahrsams des S von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt, da es Sinn und Zweck einer Selbstbedienungstankstelle ist, Benzin in den eigenen Tank zu füllen. Auch die bereits dargestellte Mindermeinung, die das Einverständnis zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt, kommt zu keinem anderen Ergebnis. Denn hier hatte T anfänglich vor, den Kaufpreis an der Kasse zu bezahlen. K hat den Kraftstoff nicht weggenommen.
Er hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht haben, indem er nur die Bierdose an der Kasse vorlegte.
1. Objektiver Tatbestand
a) T müsste M getäuscht haben. Eine Täuschung ist jedes Verhalten mit Erklärungswert, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Ausdrücklich hat T hier nicht getäuscht. Jedoch hat T dadurch, dass er nur die Bierdose vorlegte, zu erkennen gegeben, dass dies alles sei, was er bezahlen müsse. M wurde also konkludent von T getäuscht.
b) Aufgrund dieser Täuschung müsste bei M ein Irrtum hervorgerufen worden sein. Ein Irrtum liegt bei einem Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit vor. Hier liegt die Abweichung darin, dass M aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des T glaubte, T müsse nur die Bierdose und nicht auch für getankten Kraftstoff bezahlen. Es liegt ein Irrtum vor.
c) Dieser Irrtum müsste zu einer Vermögensverfügung geführt haben. Eine Vermögensverfügung wird definiert als jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln, Dulden oder Unterlassen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn führt. Vorliegend hat es M unterlassen, die Kaufpreisforderung des S i.H.v. 70 Euro gegen T geltend zu machen. Dass Verfügender (M) und Geschädigter (S) nicht übereinstimmen, stellt grds. kein Problem dar, da im Rahmen des § 263 StGB der Dreiecksbetrug allgemein anerkannt ist. Damit M und S eine Zurechnungseinheit bilden, müssten sich die beiden Personen aber in einem besonderen Näheverhältnis befinden. Streitig ist in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die Qualität der Nähebeziehung zu stellen sind. Die strengste Ansicht, die sog. objektive Ermächtigungstheorie, fordert, dass der Getäuschte zur Vornahme der Verfügung ermächtigt ist. Für gewöhnlich werden Mitarbeiter zu solchen Verfügungen ausdrücklich oder zumindest konkludent bevollmächtigt. Jedenfalls kann aber auf die Vermutung für das Bestehen von Vertretungsmacht aus § 56 HGB („Ladenvollmacht“) abgestellt werden, die sich anhand der Sachverhaltsangaben nicht widerlegen lässt. Da M und S bereits nach der strengsten Ansicht eine hinreichende Nähebeziehung aufweisen, ist nach allen Ansichten eine Vermögensverfügung anzunehmen.
d) Die Vermögensverfügung müsste auch zu einem Vermögensschaden auf Seiten des S geführt haben. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist durch Vermögensvergleich zu ermitteln und liegt demnach vor, wenn die Vermögensminderung nicht im Wege der Saldierung durch die Gegenleistung ausgeglichen wird. Hier fließt keine Gegenleistung, die die Vermögensleistung kompensieren könnte. Dass S zwar gegen T einen schuldrechtlichen Anspruch hat, ändert daran nichts, da eine Forderung wertlos ist, wenn der Schuldner unbekannt ist. Folglich hat S auch einen Vermögensschaden erlitten.
2. Subjektiver Tatbestand
a) T handelte vorsätzlich bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale.
b) T handelte in der Absicht, sich zu bereichern. Der Vorteil des T (ersparte 70 Euro) erweist sich auch als Kehrseite des Schadens (Nichtgeltendmachung der 70 Euro). T handelte in der eigennützigen Absicht stoffgleicher Bereicherung.
3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung und entsprechender Vorsatz
Die Bereicherung des T war zudem rechtswidrig, was er auch wusste. T handelte bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung also ebenfalls vorsätzlich.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen war die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
5. Ergebnis: Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht.
III. § 246 Abs. 1 StGB durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Vorspiegeln an der Kasse, er müsse nur für die Bierdose bezahlen, hat T (auch nach der engen Manifestationstheorie) nach außen zum Ausdruck gebracht, dass er sich das Benzin zueignen will.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 IV. § 246 Abs. 1 StGB durch das Wegfahren
Durch das Wegfahren von der Tankstelle könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Im Davonfahren ist eine erneute Manifestation des Zueignungswillens zu sehen.
Fraglich ist, wie sich das Verhältnis zur bereits bejahten Strafbarkeit wegen Betrugs und der vorangegangenen Unterschlagung gestaltet. Nach der von Teilen der Literatur vertretenen Konkurrenzlösung (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 246 Rn. 19) würden wiederholte Manifestationen des Zueignungswillens bezüglich derselben Sache jeweils eine weitere tatbestandsmäßige Zueignungshandlung darstellen, die im Konkurrenzfall als mitbestrafte Nachtat zurücktrete. Als Argument für diese Auffassung wird angeführt, dass auf diese Weise Verurteilungen bei nicht strafbarer Erstzueignungshandlung sowie wegen Teilnahme an späteren Zueignungshandlungen ermöglicht würden. Letztgenanntes Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen, wenn man bedenkt, dass Anschlussstraftaten wie §§ 257, 259 StGB abschließende Regelungen für Verwertungshandlungen vorsehen. Diesem Einwand trägt die Tatbestandslösung (BGH NJW 1960, 684, 685; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 246 Rn. 38; Rengier, BT I, 20. Aufl. 2018, § 5 Rn. 51 f.) Rechnung, nach der sich ein Täter nach erfolgter Erstzueignung die Sache schon tatbestandlich nicht noch einmal zueignen kann. Für diese Ansicht streitet schon der Wortsinn des § 246 Abs. 1 StGB: Wer sich eine Sache einmal zugeeignet hat, kann sich die gleiche Sache nicht erneut zueignen. Nicht zuletzt würden durch die Konkurrenzlösung die für die Vortaten geltenden Verjährungsfristen (§§ 78 ff. StGB) faktisch aufgehoben. Es hat sich gezeigt, dass die besseren Argumente für die Tatbestandlösung sprechen, sodass sich im vorliegenden Fall T mangels Erfüllung des Tatbestands nicht erneut gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
V. Gesamtergebnis und Konkurrenzen
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der durch Vorlegen der Bierdose an der Kasse verwirklichte § 246 Abs. 1 StGB tritt im Wege der ausdrücklich in der Vorschrift geregelten Subsidiarität gegenüber § 263 Abs. 1 StGB zurück.
C. Fallgestaltung 3: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird vom Tankstellenperson beobachtet
Am einfachsten stellt sich der Fall dar, wenn ein von Anfang an zahlungsunwilliger Täter davon ausgeht, beobachtet zu werden und sich deshalb wie ein redlicher Kunde verhält. Hier wäre die Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB lehrbuchmäßig zu prüfen, ohne dass sich neue Probleme ergäben. Durch das Auftreten wie ein redlicher Kunde täuscht der Täter konkludent über seine Zahlungsbereitschaft, wodurch er beim Tankstelleninhaber bzw. dessen Personal den Irrtum hervorruft, er werde den Kaufpreis für den Kraftstoff entrichten. Im Rahmen der Vermögensverfügung wäre dann kurz anzusprechen, dass die Vermögensverfügung nach einer Ansicht in der dinglichen Einigung nach § 929 S. 1 BGB liegt, nach der (überzeugenden) Gegenansicht in der Gestattung des Besitzwechsels, wobei dieser Streit nicht entscheidungserheblich ist. Für den Fall, dass die Täuschung gegenüber einem Angestellten verübt wurde, wäre kurz darauf einzugehen, ob getäuschter Verfügender und Geschädigter eine fiktive Zurechnungseinheit bilden, indem zwischen ihnen eine hinreichende Nähebeziehung besteht. Im Ergebnis ist nach einhelliger Ansicht eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB oder im Falle fehlender Beobachtung wegen versuchten Betrugs nach §§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bejahen (zu dieser Fallkonstellation s. auch Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 46).
D. Fazit
Der eilige Leser wird die längeren Ausführungen wahrscheinlich nur rasch überflogen haben und im Fazit nach der Antwort auf die Frage suchen, wie sich ein Täter strafbar macht, der an einer Selbstbedienungstankstelle tankt ohne zu bezahlen. Die wenig erfreuliche Antwort lautet: Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten. Die vorgestellten Fallgruppen können jedoch bei einer Ordnung der ersten Gedanken hilfreich sein und können verhindern, dass wichtige Probleme übersehen werden. Nichtdestotrotz sollte man nicht in ein allzu starres „Schubladendenken“ verfallen. Das kann dazu führen, dass eingebaute Probleme übersehen werden oder schlimmstenfalls ein Fall gelöst wird, der so gar nicht zur Bearbeitung steht. Insgesamt sollte der Bearbeiter bei Tankstellenfällen seinen Blick verstärkt auf die Straftatbestände der §§ 242, 263 sowie 246 StGB einschließlich Versuchsstrafbarkeiten richten.

25.09.2019/4 Kommentare/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-09-25 09:30:312019-09-25 09:30:31Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle
Gastautor

Kurzüberblick: Standardprobleme beim Diebstahl in Selbstbedienungsläden

Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Dr. Jesko Baumhöfener veröffentlichen zu können. Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht Dr. Baumhöfener ist seit dem Jahr 2008 Strafverteidiger in Hamburg (https://strafverteidigung-hamburg.com). In seiner Praxis betreut er Delikte aus dem Wirtschaftsstrafrecht ebenso wie Schwurgerichtsverfahren oder „kleinere“ Vorwürfe wie Diebstahl und Betrug. Er hat sich besonders auf die Bearbeitung einer Revision im Strafrecht (https://revision-strafrecht.com) spezialisiert.
Der Diebstahl gemäß §242 StGB beinhaltet bereits für sich genommen eine Vielzahl von Problemfeldern, die auch stets Bestandteil von Examensklausuren sind. Dazu gehört sicherlich die Abgrenzung vom Trickdiebstahl zum Betrug gemäß § 263 StGB, das Exklusivitätsverhältnis dürfte den Kandidatinnen und Kandidaten bekannt sein. Während bei einem Diebstahl eine fremde, bewegliche Sache weggenommen wird, stellt der Betrug ein Selbstschädigungsdelikt dar und bedarf einer Vermögensverfügung.
Weitere Probleme liegen in der Definition des Begriffs ,,Wegnahme“, denn es muss sich um einen Bruch fremden Gewahrsams handeln.

,,Wegnahme definiert man als den Bruch fremden Gewahrsams und der Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.“

Die Subsumtion des Sachverhaltes unter das Merkmal der ,,Wegnahme“ ist regelmäßig ein Schwerpunkt strafrechtlicher Klausuren. Schon die Frage eines Bruchs kann problematisch sein, oftmals versteckt sich im Sachverhalt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis. Dieses muss aber durch den Gewahrsamsinhaber erfolgen, das Einverständnis des Eigentümers ist an dieser Stelle nicht relevant und vielmals eine falsche Fährte. Ebenso kommt es nicht auf den Besitzer im zivilrechtlichen Sinne an, sondern auf den Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft. Ein mittelbarer Besitzer hat keinen Gewahrsam, ein Besitzdiener hat dafür Gewahrsam, ohne Besitzer zu sein.
Dies sind nur Problemfelder im objektiven Tatbestand, zudem können auch Probleme im subjektiven Tatbestand sowie im Bereich der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auftauchen.
Für den Selbstbedienungsladen, gemeinhin ein Supermarkt, entstehen Besonderheiten, die im Folgenden dargestellt werden sollen.
1. Vollendung der Tat- Versuchsstrafbarkeit und Gewahrsamsenklave
Eine Tat ist vollendet, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Ist dies der Fall, ist das Stadium des Versuchs gemäß §§ 22, 23 StGB überschritten. Nach der vollendeten Tat kann Beendigung eintreten. Beendigung meint das Manifestieren des gesamten Unrechts der Tat nach außen. Dies ist bei einem Diebstahl dann der Fall, wenn sich der Täter entsprechend weit vom Tatort entfernt hat und die Beute gesichert ist.
 

,,Die Beendigung des Diebstahls setzt voraus, dass der Täter den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen bereits gefestigt und gesichert hat. Dies ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Verlässt der Täter den unmittelbaren Herrschaftsbereich des Opfers (hier: einen Supermarkt), befindet er sich aber noch in Sichtweite des ihn sofort verfolgenden Berechtigten und bleibt damit einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die Beute infolge der Nacheile wieder herausgeben zu müssen, scheidet eine Beendigung selbst dann aus, wenn bis zur Konfrontation durch den Berechtigten mehrere Minuten vergehen.“ BGH 5 StR 395/14 – Urteil vom 8. Oktober 2014

 
Im Selbstbedienungsladen könnte eine Vollendung der Tat daran scheitern, dass ein Ladendetektiv die Ausführung der Tat beobachtet. Hier kommt es darauf an, ob der Ladendetektiv dem vermeintlichen Täter eine sogenannte Diebesfalle gestellt hatte. Wird also ein sehr werthaltiger, kleiner Gegenstand im Regal platziert und hofft der Ladendetektiv, dass jemand die Gunst der Stunde ausnutzt und den Gegenstand einsteckt, liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor. Es fehlt mithin am Bruch im Rahmen der Definition der ,,Wegnahme“.
Der Diebstahl ist jedoch kein heimliches Delikt, weswegen grundsätzlich der beobachtete Diebstahl strafbar ist (BGH, StV 1985, 323), sofern dieser nicht auf einer präparierten Diebesfalle beruht. Es gibt dennoch Mindermeinungen, die einen Gewahrsamsbruch dann verneinen, sobald ein Hindernis in Form des Beobachtens vorliegt. Mit dieser Mindermeinung könnte man sich im ersten Examen noch in der gebotenen Kürze auseinandersetzen, in der Strafrechtsklausur für das zweite Examen wäre dies fatal.
Wie bereits dargelegt, erfordert die Bejahung einer Wegnahme neben dem Bruch fremden Gewahrsams auch zwingend die Begründung nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Daher kann eine Vollendung im Selbstbedienungsladen gegeben sein, sofern eine Gewahrsamsenklave entsteht. Dies bedeutet, während der vermeintliche Täter im Supermarkt steht und die Kassen und den Ausgangsbereich noch nicht passiert hat, können Dritte vom Gewahrsam ausgeschlossen sein. Nach sozialen Anschauungen haben Kunden eines Selbstbedienungsladens jedenfalls dann Alleingewahrsam, wenn sie die Kasse mitsamt Einkaufswagen passiert haben. Das Verstauen in der Hosentasche beispielsweise führt stets dazu, dass ein Dritter vom Gewahrsam ausgeschlossen wird. Nach der Verkehrsauffassung wird kein Fremder ungefragt in die Hosentasche eines anderen Menschen greifen.
Daher hat sich eine Faustformel entwickelt. Zusammenfassend besagt diese, dass eine Gewahrsamsenklave leichter zu begründen ist, desto kleiner die Sache ist.
 

“Namentlich bei Geldscheinen, Münzen und ähnlich handlichen Gegenständen wird regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten als Wegnahmehandlung genügen. Bei anderen Sachen geringen Umfangs ist die Wegnahme in aller Regel jedenfalls dann vollzogen, wenn der Täter diese in seine Kleidung oder in eine mitgeführte Tasche steckt. Damit hat er nach der Verkehrsauffassung die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehoben und ein eigenes, dessen freie Verfügungsgewalt ausschließendes, tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis hergestellt. Daran ändert auch eine etwaige Beobachtung nichts. Weder ist Diebstahl eine “heimliche” Tat, noch setzt die Vollziehung des Gewahrsamswechsels voraus, dass der Täter endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlangt.” (BGH, Urt. v. 3.7.1986, Az. 4 StR 199/86 – Juris)

 
Diese Faustformel wird auch durch ganz aktuelle Urteile bestätigt. So ist ein Diebstahl noch nicht vollendet, wenn ein vermeintlicher Täter einen recht sperrigen Gegenstand noch vor Passieren des Kassenbereichs sichtbar durch den Supermarkt trägt. Dabei ist es gleichgültig, ob der Täter für sich schon entscheiden hat, die Sache zu stehlen. Dies führt dazu, dass der vermeintliche Täter nach wie vor die Möglichkeit hat, durch einen Rücktritt gemäß § 24 StGB die ,,goldene Brücke“ zur Straflosigkeit wahrzunehmen. Derjenige Täter, der kleine Sachen in die Hosentasche steckt, hat diese Möglichkeit aufgrund der Gewahrsamsenklave und der entstehenden Vollendung der Tat nicht mehr. Ungerecht ist diese Rechtsauffassung nicht. Wer Sachen für Dritte sichtbar im Einkaufswagen schiebt, hat in diesem Zeitpunkt nicht dieselbe kriminelle Energie freigesetzt als ein Täter, der kleine Sachen in der Hosen- oder Jackentasche verbirgt.
 

„Das sichtbare Wegtragen von Waren begründet innerhalb der Geschäftsräume noch keinen neuen Gewahrsam des Täters. Sofern er sich dabei noch innerhalb des durch Sicherungsmaßnahmen begrenzten Geschäftsbereichs aufhält, ist der Diebstahl daher nur versucht, nicht aber vollendet.“ (Leitsatz des Gerichts), KG Berlin, Beschluss vom 22.10.2018 – (2) 161 Ss 59/18 (12/18), BeckRS 2018, 31492

 
Nutzt der vermeintliche Täter dagegen mehrere – auch mitgebrachte – Einkaufstüten, um einen Teil der Sachen zu bezahlen und steckt er eine zu stehlende Sache ebenfalls in die Tüte, liegt in diesem Zeitpunkt noch keine Gewahrsamsenklave vor. Dies begründet das Gericht damit, dass eine Einkaufstüte etwas anderes als eine Jackentasche sei und es nicht unüblich sei, dass Kunden mitgebrachte Einkaufstüten dafür verwenden, temporär die Einkäufe zu verstauen. Insoweit muss auf eine objektive Sicht abgestellt werden und nicht auf die subjektive Sicht des Täters.

 

,,Das Wegtragen der umfangreicheren Beute in zwei Tüten begründete innerhalb der Gewahrsamssphäre des Ladeninhabers noch keine Gewahrsamsenklave.” (BGH, Beschl. v. 18.6.2013, Az. 2 StR 145/13)

2. Das Geschehen an der Kasse- Diebstahl, versuchter Diebstahl oder Betrug
Der Täter wird aller Voraussicht tunlichst vermeiden, dass der Kassierer den eingesteckten Gegenstand wahrnimmt und den Täter darauf anspricht oder gar den Ladendetektiv ruft. Daher stellt sich die Frage, ob es eine Vermögensverfügung darstellt, dass der Kassierer den vermeintlichen Täter durch den Kassenbereich passieren lässt, obgleich eine versteckte Sache nicht bezahlt wurde. Dies ist nach einhelliger Rechtsprechung abzulehnen, da der Kassierer gar keine Kenntnis von der versteckten Sache hat. Dann fehlt es bereits an der Situation einer Selbstschädigung, denn es wurde schon gar kein Irrtum durch den Täter hervorgerufen. Der Kassierer hatte sich von vornherein keine Gedanken über einen etwaigen versteckten Gegenstand gemacht, insoweit wurde keine Fehlvorstellung hervorgerufen. Dies ist jedoch Tatbestandsmerkmal gemäß § 263 StGB.
 

,,Wer in einem Selbstbedienungsladen eine Ware in seinem Einkaufswagen verbirgt und die Kasse ohne Bezahlung der versteckten Ware passiert, begeht regelmäßig – vollendeten oder versuchten – Diebstahl, nicht Betrug (im Anschluss an BGH, 13. April 1962, 1 StR 41/62, BGHSt 17, 205). (BGHSt)“

 
Für eine Versuchsstrafbarkeit bleibt insoweit nur Platz, sofern der Täter eine größere Sache vor dem Kassierer verbergen wollte und aufgrund der Sperrigkeit der Sache eine Gewahrsamsenklave noch nicht entstehen konnte. Ein Versuch kommt in aller Regel auch dann zum Tragen, wenn der Täter auf frischer Tat ertappt und spätestens beim Anstellen an der Kasse in das Detektivbüro beordert wird (LG Zwickau, NJW 2006, 166).
Der BGH macht in einem Beschluss (BGH Beschl. v. 26.7.1995 – 4 StR 234/95 (BGHSt 41, 198 ff.) deutlich, dass ein Betrug als Selbstschädigungsdelikt in einer solchen Situation nicht in Betracht kommt, da der Kassierer gerade kein generelles Verfügungsbewusstsein über den gesamten Einkaufswagen des Kunden und vermeintlichen Täters habe. Mit dieser Konstruktion hatte die Vorinstanz einen Betrug angenommen. Letztlich sollte auch in Examensklausuren der Auffassung des BGH gefolgt werden, da ein Kassierer nur über die Sachen verfügen kann, die er tatsächlich im Wagen oder auf dem Band wahrgenommen hat.
In der Zukunft wird es in Selbstbedienungsläden auch immer mehr Selbstbedienungskassen geben. Hierbei treten auch Problemfelder auf, die auf der Abgrenzung von Diebstahl und (Computer-) Betrug beruhen. Wer eine Zeitschrift selbst an der Kasse einscannt und vorher einen falschen Zahlencode auf das Heft geklebt hatte, begeht mit dem Entfernen des Heftes aus dem Kassenbereich einen vollendeten Diebstahl. Ein Computerbetrug nach § 263 a StGB wird abgelehnt, da das Scannen selbst noch keine Vermögensverfügung darstellt und letztlich nur Vorbereitungshandlung zum vollendeten Diebstahl sei. Eine Wegnahme erfolge, da eine hypothetische Einwilligung des Ladeninhabers in den Gewahrsamswechsel darauf basiert, dass nur ordnungsgemäß gescannte Hefte aus dem Kassenbereich entfernt werden (OLG Hamm, Beschluss v. 08.08.2013, 5 RVs 56/13).

22.07.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-07-22 09:00:292019-07-22 09:00:29Kurzüberblick: Standardprobleme beim Diebstahl in Selbstbedienungsläden
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Konkretisierung des Gewahrsamswechsels bei kleinen, leicht transportablen Sachen

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Mit Urteil vom 6.3.2019 hat der BGH (Az.: 5 StR 593/18) eine Konkretisierung des Gewahrsamswechsels beim Diebstahl vorgenommen. Er widmete sich hierbei konkret der Frage, inwieweit bei kleinen, leicht transportablen Sachen die Begründung neuen Gewahrsams durch Verbringen der Sache in eine Gewahrsamsenklave möglich ist. Eine sichere Beherrschung dieser Klassiker-Problematik ist insbesondere für ein gutes Abschneiden in Strafrecht BT-Klausuren oder der Übung im Strafrecht unentbehrlich. Ein Blick in die Entscheidung lohnt aber nicht nur für die unteren Semester: Auch in Examensklausuren oder mündlichen Prüfungen eignet sich die Problematik hervorragend, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen.   
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der D nahm in einem Supermarkt vier Flaschen Jägermeister und zwei Flaschen Bacardi aus dem Regal, legte sie zunächst in einen Einkaufskorb und dann in eine von ihm mitgeführte Sporttasche, die er anschließend verschloss, um die Flaschen ohne Bezahlung für sich zu behalten. Bevor D den Supermarkt verlassen konnte, wurde er vom Ladendetektiv gestoppt.
Hat sich D wegen eines vollendeten Diebstahls strafbar gemacht?
 
B) Rechtserwägungen
Der D könnte sich, indem er die sechs Flaschen in seine Sporttasche gelegt hat, wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
 
I. Objektiver Tatbestand
1. Fremde bewegliche Sache
Bei den sechs Flaschen handelt es sich um fremde bewegliche Sachen i.S.v. § 90 BGB, mithin um taugliche Tatobjekte.
2. Wegnahme
Diese müsste der D aber auch weggenommen haben. Unter Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams zu verstehen. Gewahrsam bedeutet die von einem natürlichen Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft, deren Umfang nach der Verkehrsauffassung bestimmt wird. Maßgeblich ist hierbei, dass objektiv keine Hindernisse bestehen, den Willen zur unmittelbaren Einwirkung auf die Sache zu verwirklichen. Hierzu muss nicht notwendigerweise eine räumliche Nähe zur Sache bestehen. Vielmehr genügt es, wenn die Sachherrschaft bei einer räumlichen Trennung im Bereich des sozial Üblichen für eine bestimmte Zeit ausgeübt werden kann. Subjektiv ist ein Herrschaftswille erforderlich, der sich aber auch auf eine Vielzahl von Sachen in einem bestimmten Bereich beziehen kann. Beispielsweise hat der abwesende Wohnungsinhaber einen generellen Gewahrsamswillen hinsichtlich aller Sachen in der Wohnung, auch wenn er nicht zugegen ist (Lackner/Kühl/Kühl, 29. Aufl. 2018, StGB § 242 Rn. 9, 11) und insoweit eine sogenannte Gewahrsamslockerung besteht. Nach diesen Maßstäben hatte der Ladeninhaber Gewahrsam über die Flaschen, die sich im Regal des Supermarktes befanden. Dass ggf. keine ständige Überwachungs- oder Zugriffsmöglichkeit bestand, ist hierbei irrelevant. Anzunehmen ist eine objektive Sachherrschaft und ein genereller Gewahrsamswille hinsichtlich aller Gegenstände, die sich im Supermarkt befinden.
Fraglich ist indes, ob der Gewahrsam von dem D gebrochen wurde und dieser neuen Gewahrsam begründet hat. Für die Frage dieses Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter sie derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung nach den Anschauungen des täglichen Lebens (s. BGH, Urt. v. 6.3.2019 – 5 StR 593/18, BeckRS 2019, 3712, Rn. 3 m.w.N.). Abzustellen ist damit auf die Gesamtumstände des konkreten Falls, wobei – wie der BGH betont – insbesondere die Größe, das Gewicht und die Transportmöglichkeit der betreffenden Sache zu berücksichtigen ist:

„Danach macht es einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam.“

Dabei komme es auch nicht darauf an, dass sich die Person noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten – also etwa dem Supermarkt – befindet, wenn die Sache wie im vorliegenden Fall in einer mitgeführten Tasche verstaut wird. Der BGH zieht bei seiner Argumentation eine Parallele zu seiner ständigen Rechtsprechung, nach der ein Verstecken einer Sache unter der Kleidung bereits zur Erlangung der ausschließlichen Sachherrschaft des Täters genügt: 

„Die Verkehrsauffassung weist […] im Regelfall einer Person, die einen Gegenstand in der Tasche ihrer Kleidung trägt, die ausschließliche Sachherrschaft zu, und zwar auch dann, wenn er sich noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befindet […] Für ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen kann jedenfalls dann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft – wie hier – in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt; hierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung […]. Ob er hierbei die Aussicht hat, den Gewahrsam längere Zeit aufrechtzuerhalten, ist für die Frage, ob die Wegnahme vollendet ist, ohne Belang, denn die Tatvollendung setzt keinen gesicherten Gewahrsam voraus.“

Das heißt: Der Täter kann eigenen Gewahrsam durch das Verbringen der Sache in eine sogenannte Gewahrsamsenklave begründen, wenn er durch Verstecken unter eigener Kleidung oder dem Einstecken in eine mitgebrachte Tasche dem ursprünglichen Gewahrsamsinhaber jegliche Zugriffsmöglichkeit entzieht. In Abgrenzung hierzu bleibt es bei einer bloßen Gewahrsamslockerung, wenn der Gegenstand in der generellen Herrschaftssphäre verbleiben oder eine Zugriffsmöglichkeit (z.B. infolge Sichtkontakt, Wissen um Verbleib) bestehen bleiben soll, ohne dass zugleich das Einbringen in eine generelle Herrschaftssphäre oder Gewahrsamsenklave des Täters eben diese Zugriffsmöglichkeit ausschließt (Kulhanek, NStZ 2016, 727; vgl. auch Kudlich, JA 2013, 552, 553 f.).
Abzugrenzen ist die Entscheidung insbesondere vom Urteil vom 8.12.2016 (Az.: 5 StR 512/16), in dem der BGH ausführte, das alleinige Hineinlegen von Waren in einem Selbstbedienungsmarkt in eine mitgeführte Sporttasche begründe noch keinen neuen (eigenen) Gewahrsam an den Gegenständen, wenn diese sichtbar in der offenen Tasche transportiert werden. Im hier vorliegenden Fall hat der Täter die Sporttasche aber wieder verschlossen, sodass die Flaschen aus dem Sichtfeld der Supermarktangestellten verschwunden sind. Hierdurch konnte gerade keine Kenntnis mehr über den Ort des Verbleibes bestehen, was die Zugriffsmöglichkeit durch den ursprünglichen Gewahrsamsinhaber erschwerte. Aus diesem Grund sei anzunehmen, dass bereits in diesem Zeitpunkt ein Gewahrsamswechsel stattgefunden habe. Ob sich anderes ergebe, wenn der Täter die Flaschen in zwei Tüten gepackt und zudem eine weitere mit Waren gefüllte Tüte mit sich geführt hätte, um den Anschein eines regulären Einkaufs zu erwecken, hat der BGH ausdrücklich offen gelassen, denn eine solche Konstellation sei hier nicht gegeben. Es komme stets auf die Umstände des Einzelfalls an.
Damit liege im betreffenden Fall bereits durch das Verstauen der Flaschen in der Sporttasche eine Wegnahme vor, sodass der objektive Tatbestand gegeben ist.
 
II. Subjektiver Tatbestand
1. Vorsatz
D handelte auch mit Wissen und Wollen, also vorsätzlich.
2. Zueignungsabsicht
Er handelte zudem in der Absicht, sich die Sachen rechtswidrig zuzueignen.
 
III. Rechtswidrigkeit, Schuld
Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
 
IV. D hat sich wegen eines vollendeten Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Eine Wegnahme kleiner, leicht transportabler Sachen kann also nicht nur dann gegeben sein, wenn sie unter der Kleidung des Täters versteckt, sondern auch, wenn sie in einer mitgebrachten Tasche verstaut werden. Dies bedeutet indes nicht, dass mit Verbringen einer Sache in eine mitgebrachte Tasche oder einen Rucksack stets ein Gewahrsamswechsel stattfindet. Im Gegenteil weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind und in einer anderen Konstellation (- etwa, wenn mehrere Tüten getragen werden, um den Anschein eines regulären Einkaufs zu erwecken, oder auch wenn die Tasche geöffnet bleibt -) eine andere Beurteilung angezeigt sein kann. In der Klausur ist es daher wichtig, unter Ausschöpfung aller im Sachverhalt vorhandenen Informationen zu diskutieren, ob ein Gewahrsamswechsel stattgefunden hat – das Ergebnis ist hierbei zweitrangig.
 

08.05.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-05-08 09:15:142019-05-08 09:15:14BGH: Konkretisierung des Gewahrsamswechsels bei kleinen, leicht transportablen Sachen
Dr. Melanie Jänsch

Klassiker des Strafrechts: EC-Karten-Fälle

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EC-Karten-Fälle sind absolute Klassiker, die von jedem Examenskandidaten beherrscht werden sollten. Die Thematik stellt viele Studierende vor Probleme, was nicht zuletzt an der Vielgestaltigkeit der Konstellationen, der Vielzahl der zu prüfenden Delikte und der unterschiedlichen strafrechtlichen Bewertung einzelner – auf den ersten Blick ähnlich erscheinender –  Handlungen liegt. So kommen als zu prüfende Delikte regelmäßig Betrug (§ 263 StGB), Untreue (§ 266 StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB), Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266b StGB), Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) sowie Diebstahl (§ 242 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB) in Betracht. Insbesondere die Tatbestände des Computerbetrugs gemäß § 263a StGB und des Kreditkartenmissbrauchs gemäß § 266b StGB, die regelmäßig den Schwerpunkt der Prüfung bilden werden, vermögen aufgrund der teilweise sehr technisch formulierten Definitionen und verschiedener Streitigkeiten schwer greifbar zu sein. Im Rahmen dieses Beitrags soll die Thematik besser handhabbar gemacht werden, indem typische Problemfelder – illustriert anhand von Beispielsfällen – dargestellt und problemorientiert aufgeschlüsselt werden. Freilich kann hier nicht jeder mögliche Fall nachgezeichnet werden. Sofern man sich aber mit den gängigsten Konstellationen auseinandersetzt, fördert dies die Entwicklung eines Grundverständnisses, mit dessen Hilfe auch unbekannte Konstellationen in den Griff gekriegt werden können.
 
A) Anknüpfungspunkte
Zur (gedanklichen) Ordnung der vorzunehmenden Prüfung sollte sich vor Augen geführt werden, dass Unterschiede der einzelnen Konstellationen – die dann auch zu einer unterschiedlichen strafrechtlichen Beurteilung führen – nur in zweierlei Hinsicht bestehen können: Zum einen in Bezug auf die Person des Handelnden und zum anderen in zeitlicher Hinsicht. Hinsichtlich der Person des Handelnden ist zu unterscheiden zwischen

  • Dem Karteninhaber
  • Dem Nichtberechtigten

Für die strafrechtliche Bewertung in zeitlicher Hinsicht bestehen drei Anknüpfungspunkte:

  • Die Erlangung der Karte
  • Die Verwendung der Karte
  • Die Erlangung des Geldes

Es sind selbstverständlich nicht stets alle Anknüpfungspunkte problematisch und daher anzusprechen. Es kann aber im Rahmen der Erstellung der Gliederung hilfreich sein, sich an den einzelnen Elementen „entlang zu hangeln“, um sich die klassischen Problemfelder ins Gedächtnis zu rufen.
 
B) Typische Fallkonstellationen
Für die nachfolgende Betrachtung soll zur Systematisierung also zuerst auf zwei typische strafrechtlich relevante Handlungen des Karteninhabers, sodann auf Handlungen des Nichtberechtigten abgestellt werden, um die Unterschiede aufzuzeigen.  
 
I. Karteninhaber als Täter
Die Erlangung der Karte durch den späteren Karteninhaber ist regelmäßig nicht strafrechtlich relevant. Die klassischen Probleme betreffen die Verwendung der Karte und die Erlangung des Geldes.
Ausgangssituation: Das Konto des A bei der B-Bank weist eine erhebliche Unterdeckung auf. Ein Mitarbeiter der B-Bank hat dem A auch bereits mitgeteilt, dass er vor weiteren Abhebungen sein Konto auffüllen müsse. Insbesondere dürfe er – so stehe es in den AGB der Bank – seine EC-Karte nicht über seinen Dispokreditrahmen hinaus benutzen.
 
Fall 1:
Obwohl der A nur noch 1,27 Euro auf seinem Konto hat, bezahlt er im Laden des C mit seiner EC-Karte einen Betrag von 50 Euro im Wege des Lastschriftverfahrens mittels Unterschrift. Ohne Eingabe der PIN wird ein Lastschriftbeleg produziert, den der C dann bei der B-Bank einreichen will. Diese weist die Lastschrift allerdings wegen fehlender Kontodeckung zurück. Strafbarkeit des A?
 
1.Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
A könnte sich wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB strafbar gemacht haben.
a) Als berechtigter Karteninhaber ist A tauglicher Täter.
b) Es müsste sich bei der EC-Karte aber auch um ein taugliches Tatobjekt handeln. Dem ausdrücklichen Wortlaut nach sind jedoch nur Scheck- und Kreditkarten erfasst.
aa) Nach einer Ansicht kommen daher EC-Karten grundsätzlich nicht als taugliches Tatobjekt in Betracht (Wessels/Hillenkamp, StrafR BT 2, Rn. 795), sodass eine Strafbarkeit nach § 266b StGB von vornherein ausscheiden würde.
bb) Nach anderer Ansicht ist eine Subsumtion unter den Begriff der Scheckkarte trotz fehlender Beziehung zum Scheckverkehr möglich (Fischer, § 266b StGB, Rn. 6a f.), sodass auch eine EC-Karte hierunter fallen könnte.
cc) Jedoch muss der Streit nicht entschieden werden, wenn die Strafbarkeit aus einem anderen Grund scheitert: Denn die ganz herrschende Meinung verlangt, dass die Zahlungskarte – damit sie einer Kreditkarte in der Bewertung gleichkommt – eine Garantiefunktion aufweisen muss. Dies bedeutet, dass mit der Ausgabe der Karte an den Karteninhaber eine Garantie der Bank gegenüber einem Dritten übernommen wird. Vorausgesetzt wird ein Drei-Partner-System, in dem der Aussteller der Karte dem Dritten, dessen Leistungen der Inhaber der Karte in Anspruch nimmt, Erfüllung garantiert (BGH v. 21.11.2001 – 2 StR 160/01, BGHSt 47, 160). Dies ist aber beim Elektronischen Lastschriftverfahren gerade nicht der Fall, da die B-Bank die Lastschrift zurückweisen kann; insofern trägt allein C das Risiko. Mangels Garantiefunktion handelt es sich bei der EC-Karte also nicht um ein taugliches Tatobjekt, sodass eine Strafbarkeit nach § 266b I StGB ausscheidet.
 
2.Computerbetrug, § 263a I StGB
In Betracht kommt zudem eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nach § 263a I StGB zu Lasten der B-Bank.
 

Anmerkung: Da offensichtlich kein menschliches Gegenüber getäuscht wurde, wäre es hier verfehlt, einen Betrug gegenüber und zu Lasten der B-Bank zu prüfen.

 
a) Hierfür ist im Rahmen des objektiven Tatbestandes erforderlich, dass durch unrichtige Gestaltung des Programms, die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten, die unbefugte Verwendung von Daten oder durch sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst wird.
b) Fraglich erscheint hier insbesondere, ob über das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst und insofern eine Vermögensschädigung wurde. Dies ist dann der Fall, wenn Täter in einer Weise auf den Computer einwirkt, dass das Resultat der dort vollzogenen Verwertung von Daten geändert wird und hierdurch eine vermögensrelevante Disposition verursacht wird (Fischer, § 263a StGB, Rn. 20). Vorliegend konnte die B-Bank aber die Lastschrift zurückgeben, sodass durch die bloße Produktion des Lastschriftbelegs keine vermögensrelevante Disposition getroffen wurde. Mithin ist A auch nicht nach § 263a StGB strafbar.
 
3. Betrug, § 263 I StGB
In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten des C.
a) Indem der A die Lastschriftermächtigung erteilt hat, hat er konkludent seine Kontodeckung erklärt und somit den C über Tatsachen getäuscht. Der C unterlag auch hinsichtlich der Kontodeckung einer Fehlvorstellung, mithin einem Irrtum, auf dem die Vermögensverfügung – die Aushändigung der Kaufgegenstände – beruhte. Dies wurde mangels Zahlung des A auch nicht durch ein wirtschaftliches Äquivalent ausgeglichen, sodass der C auch einen Schaden erlitten hat. Der objektive Tatbestand ist mithin gegeben.
b) Dies wusste und wollte A auch, handelte also vorsätzlich. Zudem handelte er in der Absicht rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherung.
c) Er handelte rechtswidrig und schuldhaft.
d) A hat sich wegen Betrugs gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten des C strafbar gemacht.
 
Fall 2:
Obwohl der A nur noch 1,27 Euro auf seinem Konto hat, versucht er, an einem Geldautomaten der D-Bank unter Verwendung seiner EC-Karte und seiner PIN 100 Euro abzuheben. Da die D-Bank keine Onlineprüfung seiner Kontodeckung vornimmt, gelingt dies. Strafbarkeit des A?
 
1.Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
Fraglich ist, ob A sich durch diese Handlung wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266 I StGB strafbar gemacht hat.
a) Als berechtigter Karteninhaber ist er tauglicher Täter.
b) Die EC-Karte müsste ein taugliches Tatobjekt darstellen, was – wie oben dargelegt – nur dann der Fall sein kann, wenn mit ihr eine Garantiefunktion verbunden ist.
aa) Das ist nach einer Ansicht beim Abheben am Geldautomaten ohnehin nie der Fall, da die Karte lediglich als „Schlüssel“ für das Konto verwendet wird (so etwa Bernsau, Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 154 ff.).
bb) Die herrschende Meinung differenziert hierbei danach, ob die Abhebung an einem institutseigenen oder institutsfremden Bankautomaten vorgenommen wird. Hebt der Täter an einem Automaten des Kartenausstellers Geld ab, ist hier das für die Garantiefunktion erforderliche Drei-Partner-System gerade nicht gegeben. Handelt es sich dagegen um einen institutsfremden Automaten, ist die Garantiefunktion zu bejahen, da die kartenausstellende Bank (hier: die B-Bank) aufgrund der zwischen den Banken bestehenden „Vereinbarungen über das deutsche Geldautomatensystem“ verpflichtet ist, der anderen Bank (hier: der D-Bank) den Betrag zu erstatten (s. hierzu auch BGH v. 21.11.2001 – 2 StR 160/01, BGHSt 47, 160). Vorliegend hat der A das Geld an einem Automaten der D-Bank, also einem institutsfremden Geldautomaten, abgehoben, sodass die erforderliche Drei-Partner-Konstruktion vorliegt.
c) Hierdurch hat der A auch die ihm eingeräumte Möglichkeit, die B-Bank zu einer Zahlung zu veranlassen, missbraucht und diese dadurch geschädigt.
d) Dies tat er auch vorsätzlich. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
e) A hat sich wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB strafbar gemacht.
 
2. Computerbetrug, § 263a I StGB
Überdies kommt eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs gemäß § 263a I StGB in Betracht.
a) Dies erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine taugliche Tathandlung. A könnte durch die Abhebung an dem Automaten der D-Bank unbefugt Daten verwendet A hat die PIN eingegeben und der Magnetstreifen wurde eingelesen, eine Verwendung von Daten liegt mithin vor. Indes müsste es sich aber auch um eine unbefugte Verwendung von Daten handeln. Wie das Merkmal unbefugt zu bestimmen ist, ist umstritten.
aa) Nach einer subjektiven Auslegung ist hierunter das Verwenden gegen den Willen des Berechtigten zu verstehen, wobei als Berechtigter die kartenausstellende Bank anzusehen ist (so etwa BayOLG, NJW 1991, 438, 440). Da es dem Willen der B-Bank widerspricht – so steht es auch ausdrücklich in den AGB –, wenn der Karteninhaber sein Konto überzieht, ist eine unbefugte Verwendung nach dieser Ansicht zu bejahen.
bb) Nach der computerspezifischen Auslegung ist ein unbefugtes Verwenden dagegen nur dann zu bejahen, „wenn der durch Täterhandeln verletzte Wille in der konkreten Programmgestaltung hinreichend Niederschlag gefunden hat. Aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschieden werden mit diesem Ansatz insbesondere die Fälle, in denen der Täter den elektronisch gesteuerten Automaten ordnungsgemäß bedient“ (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a Rn. 45). Da die Überprüfung der Kontodeckung allerdings in der Programmgestaltung gerade keinen Niederschlag gefunden hat, handelt es nach der computerspezifischen Auslegung nicht um eine unbefugte Verwendung.
cc) Nach einer dritten Ansicht, der betrugsspezifischen oder auch täuschungsäquivalenten Auslegung, ist entscheidend, ob die Handlung gegenüber einem Menschen eine Täuschung i.S.v. § 263 StGB darstellen würde (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a Rn. 44). Das ist dann der Fall, wenn der Täter jedenfalls konkludent seine Berechtigung zur Inanspruchnahme der Leistung vorspiegelt. Fraglich ist, ob dies vorliegend der Fall ist.
(1) Man könnte annehmen, dass der Kontoinhaber auch einen Bankangestellten durch eine Zahlungsanfrage konkludent darüber täuschen würde, dass sich der auszuzahlende Betrag noch innerhalb seines Kreditrahmens befindet.
(2) Überzeugender erscheint es jedoch, anzunehmen, dass ein Bankangestellter die Bonität gerade nicht prüfen würde. Vielmehr ist es als ausreichend zu erachten, wenn dem berechtigten Karteninhaber die Karte samt PIN zur Benutzung überlassen wurde; über mehr braucht sich ein Bankangestellter keine Gedanken zu machen – gleiches muss für den Prüfungsumfang des Geldautomaten gelten. Damit handelt es sich auch nach der täuschungsäquivalenten Auslegung nicht um eine unbefugte Verwendung von Daten.
dd) Da die Meinungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, muss der Streit entschieden werden. Vorzugswürdig erscheint die betrugsspezifische Auslegung, da nur diese den Sinn und Zweck des § 263a StGB, einen Auffangtatbestand für die Fälle zu bilden, in denen gerade kein Mensch getäuscht wird, widerspiegelt. Zudem würde etwa die subjektive Auslegung einen Wertungswiderspruch zu § 266b StGB bedeuten. Denn dieser kennt zum einen keine Versuchsstrafbarkeit, zum anderen hat er einen geringeren Strafrahmen als § 263a StGB. Durch die Anwendung des § 263a StGB auf den berechtigten Karteninhaber würden diese bewussten Wertungen des Gesetzgebers unterlaufen werden. Damit handelt es sich nicht um eine unbefugte Verwendung von Daten.
b) A hat sich nicht nach § 263a I StGB strafbar gemacht.
 
3.Erschleichen von Leistungen, § 265a I StGB
Jedoch könnte sich A möglicherweise wegen Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a I StGB strafbar gemacht haben.
a) Dies setzt im objektiven Tatbestand ein Erschleichen voraus. Hierfür ist aber nach richtiger herrschender Meinung erforderlich, dass der Automat objektiv ordnungswidrig bedient wird. Das ist aber gerade nicht der Fall, da A den Geldautomaten funktionsgemäß verwendet hat.

Anmerkung: Die Bestimmung des Merkmals Erschleichen ist wiederum umstritten, soll im Rahmen dieses Beitrags allerdings nicht weiter thematisiert werden. Ein ausführlicher Überblick über die verschiedenen Ansichten findet sich in MüKoStGB/Hefendehl, 3. Aufl. 2019, StGB § 265a Rn. 106 ff.

b) Mangels Tathandlung scheitert auch eine Strafbarkeit nach § 265a StGB.
 
4.Untreue, § 266 I StGB
In Betracht kommt jedoch eine Strafbarkeit des A wegen Untreue gemäß § 266 I StGB.
a) Damit der Missbrauchstatbestand (Alt. 1) einschlägig ist, müsste eine rechtsgeschäftliche Verfügungsmacht bestehen. Aufgrund einer solchen Verfügungsmacht könnten die einzelnen Buchungen vorgenommen worden sind. Jedoch ist dies abzulehnen: Denn die Möglichkeit, Geld abzuheben, wurden bereits mit der Einrichtung des Kontos geschaffen. Insofern sind einzelne Abbuchungen nicht als eigene Verfügungen i.S.v. § 266 I Alt. 1 StGB zu kategorisieren.
b) Möglicherweise hat A jedoch die Treubruchsvariante (Alt. 2) verwirklicht. Dafür müsste eine Vermögensbetreuungspflicht bestehen, die der A verletzt hat. Unter den Begriff der Vermögensbetreuungspflicht fällt nicht schon jede vertragliche Verpflichtung, das Vermögen eines anderen nicht zu schädigen. Vielmehr ist eine Fürsorgepflicht von einiger Bedeutung erforderlich, die anhand der Kriterien des Grades der Selbständigkeit, der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit und der Verantwortlichkeit des Verpflichteten ermittelt wird. Zudem darf es sich bei der Vermögensbetreuungspflicht nicht um eine beiläufige Nebenpflicht handeln. Im Gegenteil muss sie eine Hauptpflicht darstellen (MüKoStGB/Dierlamm, 3. Aufl. 2019, StGB § 266 Rn. 45). Hiervon ausgehend kann eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Bank aber nicht angenommen werden.
c) A hat sich nicht nach § 266 I StGB strafbar gemacht.
 
5.Diebstahl, § 242 I StGB
Dadurch, dass der A die 100 Euro an sich genommen hat, könnte er sich auch wegen Diebstahls nach § 242 I StGB strafbar gemacht haben.
a) Dazu müsste der A im objektiven Tatbestand eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Unter Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams zu verstehen. Ein Gewahrsamsbruch ist dann anzunehmen, wenn der Gewahrsam des Berechtigten gegen dessen Willen aufgehoben wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank gegeben ist.
aa) Ein Einverständnis der Bank könnte man mit dem Argument verneinen, dass nach innerer Willensrichtung eine gewollte Gewahrsamsübertragung nur dann gegeben sei, wenn auch die entsprechende Kontodeckung vorliege.
bb) Richtigerweise – und so sieht es auch der BGH (s. etwa BGH v. 22.11.1991 – 2 StR 376/91, NJW 1992, 445 f.) – kommt es jedoch auf das äußere Erscheinungsbild des Vorgangs an. Sofern der Automat äußerlich ordnungsgemäß verwendet wird, ist anzunehmen, dass der Berechtigte mit dem Gewahrsamsübergang einverstanden ist.
cc) Damit liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor, das einen Gewahrsamsbruch ausschließt.
b) Mangels Wegnahme hat sich A nicht nach § 242 I StGB strafbar gemacht.
 
6.Unterschlagung, § 246 I StGB
Schließlich könnte sich A aber wegen Unterschlagung gemäß § 246 I StGB strafbar gemacht haben.  
a) Dafür müsste es sich bei dem Geld um eine fremde bewegliche Sache handeln. Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht.
aa) Hier kann entweder auf die Erwägungen zur Gewahrsamsübertragung verwiesen werden, sodass bei funktionsgemäßer Bedienung des Automaten auch eine Eigentumsübertragung an den berechtigten Karteninhaber erfolgen soll.
bb) Selbst wenn man aber annimmt, die Eigentumsübertragung erfolge unter einer aufschiebenden Bedingung i.S.v. § 158 I BGB, dann kann es sich bei der Bedingung nur um die grundsätzliche Berechtigung des Karteninhabers handeln. Und diese war bei dem A zweifellos gegeben.
b) Mithin liegt keine fremde Sache vor, sodass auch eine Strafbarkeit nach § 246 I StGB ausscheiden muss.
 

Anmerkung: Fall 2 ist ein Klausurklassiker, jedoch wenig praxisrelevant. Denn heutzutage verfügen die meisten Geldautomaten über eine Onlinevernetzung. Das bedeutet, dass, sofern eine Abhebung an einem Automaten einer institutsfremden Bank geplant ist, diese regelmäßig eine Anfrage an die kartenausstellende Bank sendet, ob hinreichende Kontodeckung besteht. Wenn die Auszahlung nicht bestätigt wird, wird diese verweigert. In einem solchen Fall müssen die erläuterten Probleme im Rahmen von Versuchsprüfungen dargestellt werden. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass Scheck- und Kreditkartenmissbrauch und Untreue im Versuch gerade nicht strafbar sind. Damit müsste schwerpunktmäßig eine Strafbarkeit wegen versuchten Computerbetrugs nach §§ 263a I Var. 3, II, 263 II, 22, 23 I StGB geprüft werden, wobei auch hier der Fokus auf der Diskussion des Merkmals unbefugt liegen würde.

 
II. Nichtberechtigter als Täter
Ist der Täter nicht der berechtigte Karteninhaber, kommen bereits Probleme auf der Ebene der Erlangung der Karte in Betracht (s. z.B. hierzu Fall 2). Klassische Probleme bestehen aber auch bei der Verwendung der Karte und der Erlangung des Geldes.
 
Fall 1:
F, deren Konto eine ausreichende Deckung aufweist, bittet ihren Freund T, mit ihrer EC-Karte einen bestimmten Geldbetrag abzuheben. Sie teilt ihm zu diesem Zweck ihre PIN mit. T hebt allerdings, ohne F dies mitzuteilen, einen Mehrbetrag ab, und behält diesen. Den absprachegemäß abgehobenen Betrag gibt er der F. Strafbarkeit des T?
 
1.Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB kommt nicht in Betracht, da T kein berechtigter Karteninhaber ist und daher kein tauglicher Täter sein kann.
 
2. Computerbetrug, § 263a I StGB
Möglich erscheint aber eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nach § 263a I Var. 3 StGB.
a) Dies erfordert im objektiven Tatbestand eine taugliche Tathandlung. T könnte durch die Abhebung unbefugt Daten verwendet haben. T hat die PIN eingegeben und der Magnetstreifen wurde eingelesen, eine Verwendung von Daten liegt mithin vor. Indes müsste es sich aber auch um eine unbefugte Verwendung von Daten handeln.
aa) Legt man die subjektive Auslegung zugrunde, ist dies der Fall: Wenn ein Dritter absprachewidrig einen Mehrbetrag abhebt, läuft dies sowohl dem Willen der Bank als auch dem Willen des Karteninhabers zuwider. Damit ergibt sich nach dieser Ansicht eine unbefugte Verwendung von Daten.
bb) Nach der computerspezifischen Auffassung ist das dagegen nicht der Fall, da die fehlende Befugnis im Innenverhältnis gerade nicht im Programm einen Niederschlag erfährt.
cc) Fraglich ist, wie der Fall unter Zugrundelegung der täuschungsäquivalenten Auslegung zu lösen ist. Bedenkt man den Fall der Täuschung eines hypothetischen Bankangestellten, so würde dieser nicht prüfen, ob T seine Befugnisse im Innenverhältnis überschreitet. Solange dieser die Karte nicht deliktisch erlangt hat, also vom berechtigten Karteninhaber zur Abhebung beauftragt wurde, kommt es nicht darauf an, dass absprachewidrig ein Mehrbetrag abgehoben wurde. Denn hierauf würde sich die Prüfung eines Bankangestellten nicht erstrecken und dann kann dies auch nicht vom Prüfungsumfang des Automaten erfasst sein. Mithin ist nach dieser Ansicht ein unbefugtes Verwenden von Daten ebenfalls nicht gegeben.
dd) Zu folgen ist der täuschungsäquivalenten Auslegung (s.o.), sodass T nicht tatbestandsmäßig handelte.
b) T hat sich nicht nach § 263a I StGB strafbar gemacht.
 
3.Untreue, § 266 I StGB
Fraglich ist, ob eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 I StGB in Betracht kommt.
a) Einzig in Betracht kommt die Verwirklichung der Treubruchsvariante (Alt. 2). Dafür müsste jedoch eine Vermögensbetreuungspflicht bestehen, die der T verletzt hat. Gemessen an den oben dargestellten strengen Anforderungen kann in dem bloßen Auftrag der F, einen bestimmten Geldbetrag abzuheben, noch keine Vermögensbetreuungspflicht gesehen werden. Denn es fehlt an der Selbständigkeit der Tätigkeit. Mithin scheidet auch die Treubruchsvariante aus.
c) T hat sich nicht wegen Untreue nach § 266 I StGB strafbar gemacht.
 
4. Diebstahl, § 242 I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls scheitert am fehlenden Gewahrsamsbruch. Wie oben erläutert, besteht ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank in allen Fällen, in denen der Geldautomat objektiv funktionsgemäß bedient wird.
 
5. Unterschlagung, § 246 I StGB
Möglicherweise hat sich T aber wegen Unterschlagung nach § 246 I StGB strafbar gemacht.
a) Hierbei ist wiederum problematisch, ob es sich bei dem Geld um eine fremde Sache handelt. Das wäre dann nicht der Fall, wenn eine Eigentumsübertragung an den T gewollt war. Dies ist – in Abweichung zu I. Fall 2 – aber gerade nicht der Fall. Unabhängig davon, ob man auf die äußerlich funktionsgemäße Bedienung abstellt oder aber eine Bedingung konstruiert, stimmen die beiden Ansichten insofern überein, als die kartenausstellende Bank stets an den berechtigten Karteninhaber übereignen will (s. hierzu auch OLG Köln v. 09.07.1991 – Ss 624/90, NJW 1992, 125, 127). Insofern könnte man lediglich überlegen, ob der T als Vertreter der F das Angebot auf Übereignung angenommen hat. Dies wird man aufgrund der entsprechenden Vollmacht aber nicht hinsichtlich des Mehrbetrags annehmen dürfen. Mithin ist eine fremde bewegliche Sache gegeben.
b) Indem der T den Mehrbetrag behalten hat, ist auch die Manifestation des Zueignungswillens zu bejahen.
c) T handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
d) T ist nach § 246 I StGB strafbar.
 
6. Betrug, §§ 263 I, 13 I StGB
Überdies kommt eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen gemäß §§ 263 I, 13 I StGB gegenüber und zu Lasten der F in Betracht.
a) Im Rahmen des objektiven Tatbestandes müsste T über Tatsachen getäuscht haben. Vorliegend verschwieg der T der F, dass er einen absprachewidrig einen Mehrbetrag abgehoben hat. Man könnte überlegen, ob der T dadurch, dass er der F den absprachegemäß abgehobenen Betrag gegeben hat, schlüssig erklärt hat, dass er keinen Mehrbetrag abgehoben hat. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hier aber eindeutig in der Nichtaufklärung, also in einem Unterlassen. Die erforderliche Garantenpflicht ergibt sich aus der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht im Rahmen des Auftrags nach § 666 BGB. Indem der T es unterlassen hat, die F über die Abhebung des Mehrbetrags aufzuklären, hat er ihre Fehlvorstellung aufrechterhalten, dass er nur den dem Auftrag entsprechenden Betrag abgehoben hat. Im Nichtgeltendmachen der Forderung liegt ein Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, mithin die Vermögensverfügung. Aufgrund der Unkenntnis hat F auch ihre Forderung nicht geltend gemacht, sodass kein wirtschaftliches Äquivalent, also ein Schaden, gegeben ist. Damit hat T den objektiven Tatbestand verwirklicht.
b) Er handelte auch vorsätzlich und in der Absicht rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherung.
c) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
d) T hat sich nach §§ 263 I, 13 I StGB strafbar gemacht.
 
Fall 2:
T fragt seine Freundin F, ob er sich kurzfristig ihre EC-Karte ausborgen könnte. Er wolle damit kein Geld abheben, sondern nur in seinem Freundeskreis den Unterstellungen entgegentreten, er sei pleite und seine EC-Karte sei eingezogen worden. F ist bereit, T diesen Gefallen zu tun und gibt ihm zu diesem Zweck ihre Geldbörse, in der neben der EC-Karte nur noch ein Zettel mit der PIN-Nummer ist. Wie von Anfang an geplant, geht T mit der Karte zum Geldautomaten und hebt 1000 Euro ab. Strafbarkeit des T?

 
1. Betrug, § 263 I StGB
Indem der T der F sagte, er wolle mit der Karte nur angeben und kein Geld abheben, und diese ihm daraufhin die Karte aushändigte, könnte er sich wegen Betruges gegenüber und zu Lasten der F gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht haben.
a) T täuschte die F über die Tatsache, dass er von vornherein mit der Karte Geld abheben wollte, wodurch bei dieser eine Fehlvorstellung, mithin ein Irrtum, erregt wurde. Durch die Übergabe der Geldbörse, die die EC-Karte und die PIN enthielt, nahm sie auch eine Handlung vor, die sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkte, sodass auch eine Vermögensverfügung vorliegt.
b) Fraglich ist allerdings, ob schon zu diesem Zeitpunkt ein Vermögensschaden gegeben ist. Das ist insoweit problematisch, als es zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einer Geldabhebung durch den T gekommen ist. Es könnte aber bereits eine konkrete Vermögensgefährdung vorliegen, die mit einer Vermögensschädigung gleichzustellen ist. Wie eine solche zu bestimmen ist, ist umstritten.
aa) Teilweise wird eine konkrete Vermögensgefährdung erst angenommen, wenn der Eintritt des Vermögensschadens nur noch vom Zufall abhängt. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Täter selbst noch Handlungen vornehmen muss, um den Schaden herbeizuführen (so etwa Schönke/Schröder, § 263 StGB, Rn. 143 f.). Hier muss der T noch am Geldautomaten Geld abheben, um den Vermögensschaden herbeizuführen, sodass nach dieser Ansicht eine konkrete Vermögensgefährdung noch nicht angenommen werden kann.
bb) Man könnte aber auch die konkrete Vermögensgefährdung dann bereits bejahen, wenn die wesentliche Zugriffsschwelle des Täters überschritten ist. Das wird man bei der Erlangung der EC-Karte samt PIN bejahen müssen, sodass nach dieser Ansicht eine konkrete Vermögensgefährdung gegeben ist.
cc) Die unterschiedlichen Ergebnisse erfordern die Entscheidung des Streits. Die besseren Gründe sprechen für die erste Ansicht: Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist eine restriktive Auslegung geboten. Zudem würde, wenn man die Anforderungen lockern würde, die Grenze zum Versuch unbillig verschoben. Daher ist zu diesem Zeitpunkt noch keine konkrete Vermögensgefährdung anzunehmen, die einem Vermögensschaden gleichsteht.

Anmerkung: Mit guten Argumenten ist eine andere Ansicht hier natürlich ebenso gut vertretbar.

dd) Durch die Erlangung der Karte hat sich T noch nicht nach § 263 I StGB strafbar gemacht.
 
2. Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b I StGB durch das Geldabheben kommt nicht in Betracht, da T kein berechtigter Karteninhaber ist und daher kein tauglicher Täter sein kann.
 
3. Computerbetrug, § 263a I StGB
Fraglich ist, ob eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs nach § 263 I Var. 3 StGB besteht.
a) Auch hier geht es wieder um die Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der unbefugten Verwendung. Da hier der täuschungsäquivalenten Auslegung gefolgt wird, stellt sich die Frage, ob sich das Geldabheben des T als täuschungsgleich darstellt. Dies ist der Fall: Einen hypothetischen Bankangestellten würde T über seine generelle Befugnis zur Benutzung der Karte täuschen, sodass ein unbefugtes Verwenden der Daten anzunehmen ist.
b) Hierdurch beeinflusste er das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs und führte einen Vermögensschaden i.H.v. 1000 Euro herbei.
c) Dies tat er auch vorsätzlich und in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
d) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
e) T hat sich nach § 263 I Var. 3 StGB strafbar gemacht.
 
4. Untreue, § 266 I StGB
Eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 I StGB scheidet mangels Vermögensbetreuungspflicht aus.
 
5. Erschleichen von Leistungen, § 265a I StGB
Mangels Erschleichen hat sich der T beim Geldabheben auch nicht nach § 265a I StGB strafbar gemacht.
 
6. Diebstahl, § 242 I StGB
Ebenso scheitert eine Strafbarkeit nach § 242 I StGB, da aufgrund der äußerlich funktionsgemäßen Bedienung ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Bank vorliegt.
 
7. Betrug, § 263 I StGB
Indes ist dann mit der Erlangung des Geldes ein Vermögensschaden eingetreten, mithin ein vollendeter Betrug (hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen s.o.) gegeben.
 
8. Unterschlagung, § 246 I StGB
Eine Unterschlagung durch dieselbe Handlung muss dann konsequenterweise ausscheiden, da eine durch Betrug erlangte Sache nicht gleichzeitig unterschlagen werden kann.
 
C) Zusammenfassung
Bei der ersten Auseinandersetzung mit der Problematik stellt sich diese oftmals als schwierig und kompliziert dar. Dabei hilft es, eine Ordnung in zeitlicher Hinsicht (Erlangung der Karte, Verwendung der Karte, Erlangung des Geldes) und hinsichtlich der Person des Handelnden (Karteninhaber/Nichtberechtigter) vorzunehmen. Als Faustformeln – die natürlich nicht auf jede Abwandlung passen – kann man sich folgendes merken:

  • Beim berechtigten Karteninhaber treten bezüglich der Erlangung der Karte regelmäßig keine Probleme auf. Bei der Verwendung der Karte kann er sich nach § 266b StGB strafbar machen, aber nur, wenn der Karte insofern eine Garantiefunktion zukommt. Eine Strafbarkeit nach § 263a I Var. 3 StGB scheidet dagegen nach der täuschungsäquivalenten Auslegung regelmäßig aus, da nur die generelle Befugnis zur Benutzung der Karte geprüft wird. Ebenso zu prüfen sind § 266 I StGB, § 265a I StGB, § 242 I StGB und § 246 I StGB, die aber – jedenfalls in den klassischen EC-Karten-Fällen – in der Regel abzulehnen sind.
  • Handelt der Nichtberechtigte, kann bezüglich der Erlangung der Karte § 263 I StGB (wie in Fall 2) oder § 242 I StGB zu prüfen sein. Der Nichtberechtigte kann sich nicht nach § 266b StGB strafbar machen; hier erscheint im Einzelfall allenfalls eine Teilnahme möglich. Bei § 263a I Var. 3 StGB kommt es hinsichtlich des Merkmals unbefugt darauf an, ob der berechtigte Karteninhaber dem Nichtberechtigten die Karte zur Verwendung überlassen hat. Ist das der Fall, scheidet eine Strafbarkeit auch dann aus, wenn der Nichtberechtigte absprachewidrig einen Mehrbetrag abhebt, denn der Umfang der Berechtigung im Innenverhältnis wird von der Bank nicht geprüft. Ist er jedoch nicht zur Verwendung befugt, kommt eine Strafbarkeit nach § 263a StGB in Betracht. § 266 StGB und § 265a StGB sind zu prüfen, aber in der Regel nicht einschlägig. Gleiches gilt für § 242 I StGB. Anknüpfend an die Erlangung des Geldes kann oftmals noch ein Schwerpunkt in der Prüfung einer Unterschlagung oder eines Betrugs (ggf. durch Unterlassen) liegen.

 

21.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-03-21 10:44:112019-03-21 10:44:11Klassiker des Strafrechts: EC-Karten-Fälle
Dr. Sebastian Rombey

Mündliche Prüfung: Neues zum Pfandflaschendiebstahl!

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Eine der jüngsten Entscheidungen des IV. Strafsenats des BGH (Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 591/17, NJW 2018, 3598) ist wie gemalt für eine mündliche Prüfung, da sie der ohnehin schon nicht leichten Problematik des Diebstahls von Pfandflaschen eine weitere Feinheit hinzufügt und sich zugleich prima zur Besprechung von Grundlagen eignet. Gerade da das Sammeln von Pfandflaschen in den Städten täglich zunimmt, treten immer öfter Fallkonstellationen auf, die eine StGB-Relevanz aufweisen – die BGH-Entscheidung entfaltet insoweit starke Praxisrelevanz. Die nachfolgende Simulation soll eine mündliche Examensprüfung abbilden und  zugleich die Grundzüge  sowie die neueste Rechtsprechung zum Problemfeld des Pfandflaschendiebstahls aufzeigen.
 
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte stellen Sie sich folgenden Fall vor, den ich aus Rn. 4 eines aktuellen BGH-Beschlusses zitieren möchte:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts gelangte der Angeklagte durch ein Loch in einem Zaun auf das Gelände eines Getränkehandels in M. Dort entwendete er unter Mitwirkung eines gesondert verfolgten Bekannten zahlreiche, zumeist nach Abgabe durch die Verbraucher bereits zusammengepresste Plastikpfandflaschen sowie einen Kasten mit Glaspfandflaschen; der Pfandwert betrug insgesamt 325 Euro. Beide beabsichtigten, die gepressten Plastikpfandflaschen auszubeulen und das gesamte Pfandleergut nochmals abzugeben, um dafür Pfand zu erhalten.“
Kandidat A, bitte nehmen Sie die Rolle eines Staatsanwalts ein. Welche Delikte des StGB können – erst einmal ganz abstrakt – in Fällen der Entwendung von Leergut respektive bei der späteren Abgabe desselben in Betracht kommen?
Hier denke ich vor allem an Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB), Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) und Pfandkehr (§ 289 BGB), sprich vor allem an Vermögensdelikte.
Sehr gut! Fangen wir doch leicht an: Was wäre denn Voraussetzung dafür, dass Sie als Staatsanwalt Ermittlungen aufnehmen können?
Das wäre nach dem Legalitätsprinzip grundsätzlich ein Anfangsverdacht, § 152 Abs. 2 StPO. Es muss nach kriminalistischer Erfahrung anhand tatsächlicher Anhaltspunkte möglich erscheinen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Zudem stehen hier Vermögensdelikte in Rede, so dass nach § 248a StGB an einen Strafantrag zu denken wäre (§ 77 StGB, § 158 StPO), soweit es um geringwertige Sachen geht.
Gut, gut. Wie grenzt man denn, wenn sie nun nicht wissen, ob sie wegen Diebstahls oder Betrugs ermitteln sollen, beide Delikte voneinander ab?
Anhand des Merkmals der Wegnahme beim Diebstahl und einer ungeschriebenen, in den Tatbestand des Betruges hineinzulesenden Vermögensverfügung.
Sehr richtig, denn nur so lassen sich Fremd- und Selbstschädigungsdelikt sinnvoll voneinander trennen. Wo wir gerade dabei sind: Wie lautet noch einmal die Definition einer Wegnahme?
Eine Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam ist hierbei die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache, getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen, beurteilt aus der Verkehrsauffassung. Gerade dieses letzte Kriterium ist wichtig in Fällen, in denen auf den ersten Blick nicht feststellbar ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft innehat. Das ist auch zugleich die Kritik einer Literaturansicht hieran; der Konstruktion des „gelockerten Gewahrsams“ bedarf es nämlich dann nicht, wenn man den Gewahrsam direkt sozial-normativ zuordnet.
Kandidat A, das klingt alles sehr solide. Kandidatin B: Die Pfandkehr wurde noch nicht angesprochen. Können Sie mir sagen, wie der Begriff der Wegnahme im Rahmen dieses Tatbestands definiert wird?
Sehr gerne, denn die Begriffsdefinition ist hier höchst streitig. Während manche dieselben Maßstäbe wie im Rahmen des Diebstahls anlegen wollen, wollen andere den Begriff der Wegnahme hier selbständig interpretieren und verstehen darunter  die räumliche Entziehung der Sache aus dem Machtbereich des Berechtigten – dies ist freilich die deutlich extensivere Lesart.
Vollkommen zutreffend. Welcher Ansicht würden Sie den Vorzug geben?
Zwar kann für die erstgenannte Ansicht das – gerade auf Grund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts doch recht schwache – Argument der Einheit der Rechtsordnung ins Feld geführt werden; die letztgenannte Sichtweise überzeugt indes mehr. Dies liegt vor allem daran, dass anderenfalls besitzlose Pfandrechte, für die der Straftatbestand u.a. geschaffen wurde, nicht erfasst werden könnten. Deshalb würde ich der zweiten Auffassung den Vorzug geben.
Das ist mit dieser Begründung durchaus gut vertretbar. Lassen Sie uns nun aber, nachdem wir uns ein wenig aufgewärmt haben, den Fall gutachterlich betrachten.
Kandidat C: Bitte beginnen Sie mit der Prüfung des § 242 StGB im soeben geschilderten Fall.
Der Angeklagte könnte sich des Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er die zusammengepressten Plastikpfandflaschen sowie den Kasten mit Glaspfandflaschen in der Absicht entwendete, sie später erneut als Leergut zurückzugeben.
Tatbestandlich müsste der Angeklagte hierfür zunächst in objektiver Hinsicht eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Dabei ist bereits die Fremdheit der Pfandflaschen genau zu betrachten, also die Frage, ob sie im Allein- oder Miteigentum eines anderen standen.
Korrekt – bereits das Vorliegen einer fremden beweglichen Sache erscheint fraglich. Wonach muss bei der Fremdheit der Sache in Fällen der Entwendung von Leergut zur späteren Rückgabe gegen Pfand differenziert werden?
Nach den zivilrechtlichen Verhältnissen sowie danach, ob Standard- oder Spezialleergut vorliegt.
Bitte konkreter, Kandidat C.
Maßgeblich sind die Eigentumsverhältnisse an den Pfandflaschen. Während der Hersteller von Spezialleergut hieran regelmäßig Eigentum behält, man denke etwa an spezielle Flaschen der Marke „Coca-Cola“, sodass der Händler und damit auch ein späterer Kunde allein Eigentum an dem Inhalt der Flaschen erhält, verliert der Hersteller von Standardleergut sein Eigentum regelmäßig bereits durch Vermengung mit anderen Standardflaschen, die von anderen Herstellern verwendet werden, §§ 947 f. BGB. Ein späterer Kunde kann also auch Eigentümer der Flaschen und nicht nur des Inhalts werden.
Für einen möglichen Diebstahl bedeutet dies in Bezug auf den subjektiven Tatbestand weitergedacht: Bei Spezialleergut fehlt es am Enteignungsvorsatz, wenn eine Rückgabe an den Eigentümer (hier dem Händler) intendiert ist, die Auszahlung des Pfandes also wegen der Rückgabe des Leergutes keine Anmaßung einer eigentümerähnlichen Stellung bedeutet; bei Standardleergut dagegen, bei dem die Rückgabe an den Händler erfolgt, liegt eine Enteignungskomponente vor, da gerade keine Rückgabe an den Eigentümer (hier den Hersteller) erfolgt. Zugleich liegt in der Auszahlung des Pfandes zwar keine Zueignung des Sachwertes (denn das Pfand setzt allein einen Anreiz zur Rückgabe der betreffenden Pfandflaschen), wohl aber eine Anmaßung einer eigentümerähnlichen Position, da der Täter hier das Eigentum des Herstellers leugnet. All dies setzt freilich voraus, dass sich der Täter die Eigentumslage zutreffend vorstellt.
Man merkt, Sie wissen, wovon Sie reden.
Kandidat D: Wie sieht es damit im konkreten Fall aus? Bitte subsumieren Sie und unterstellen Sie hierbei, dass es sich bei den zusammengepressten Pfandflaschen um Standardleergut und bei dem Glaskasten um Spezialleergut handelt.
Vorliegend hat der Angeklagte zusammengepresste Pfandflaschen sowie einen Kasten mit Glasflaschen entwendet. Unabhängig von der Frage, ob es sie hierbei jeweils um Standard- oder Spezialleergut handelt, ist nach den zutreffenden Ausführungen meiner Vorrednerin jedenfalls die Fremdheit zu bejahen, denn das Leergut stand entweder im Eigentum des Herstellers, oder im Eigentum des Händlers respektive des letzten Erwerbers der Pfandflaschen, jedenfalls aber nicht im Alleineigentum des Angeklagten. Die Frage kann also mit anderen Worten offenbleiben und wird erst im subjektiven Tatbestand virulent.
Okay, dann springen wir doch direkt zur Zueignungsabsicht. Bitte definieren Sie diese und subsumieren Sie anschließend.
Die Zueignungsabsicht fordert dauerhaften Enteignungsvorsatz bei zumindest vorübergehender Aneignungsabsicht. Während der Täter bei der ersten Komponente billigend in Kauf nehmen muss, dass der Eigentümer dauerhaft von seiner Eigentumsposition ausgeschlossen wird, muss sich seine Absicht gleichzeitig darauf konkretisieren, sich nach der Vereinigungstheorie entweder die Sache selbst oder den durch die Sache verkörperten Sachwert zumindest vorübergehend anzueignen.
Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte zusammengepresste Standardpfandflaschen entwendet und gleichzeitig Spezialglaspfandflaschen samt Kasten. Es kommt auf die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den Pfandflaschen und die Folgen der Rückführung in das Pfandsystem an. Insoweit muss differenziert werden:
Hinsichtlich des Standardleerguts ist es, da sich der Täter gerade die Sache selbst und nicht den Sachwert zueignen kann, denn das Pfand ist wie schon gesagt kein Sachwert, maßgeblich, dass der Täter das dem Eigentümer entwendete Standardleergut dem Händler zurückgibt, um als Nichtberechtigter das Pfandgeld zu erhalten.
Hinsichtlich des Spezialleerguts muss der Täter dem Grunde nach dasselbe tun. Wenn der Täter sich irrig vorstellt, der Händler sei selbst Eigentümer, kann auch hier eine Zueignungsabsicht und damit ein Diebstahl gegeben sein.
Kandidatin E. Vorhin wurde doch gesagt, dass  bei Spezialleergut eine Zueignungsabsicht fehlen kann. Können Sie mir sagen, warum das gerade hier nicht der Fall sein soll?
Beim Diebstahl handelt es sich um ein erfolgskupiertes Delikt, bei dem die Zueignungsabsicht keine Entsprechung im objektiven Tatbestand findet. Daraus folgt: Vorstellung des Täters über die Eigentumslage und wahre Eigentumslage können auseinanderfallen. Das heißt konkret: Selbst wenn in Wahrheit eine Rückgabe entwendeter Spezialpfandflaschen eine Rückführung an den Eigentümer (namentlich den Hersteller) bedeutet und objektiv gesehen keine Enteignungskomponente vorliegt, handelt es sich um ein rein subjektives Element, sodass allein der Vorsatz des Täters entscheidend ist. Stellt sich dieser – so wie man es in der Praxis in der Regel bei Laien annehmen muss – nicht die wirkliche Eigentumslage vor, also dass der Hersteller Eigentümer geblieben ist, sondern der Händler Eigentümer der Spezialpfandflaschen sei, dann liegt eben doch ein Enteignungsvorsatz und nachgelagert auch eine Zueignungsabsicht vor, die zu einer Strafbarkeit des Täters führen kann.
Wunderbar! Strafrechtlich macht es also nach der jüngsten BGH-Entscheidung gar keinen Unterschied, ob nun Spezial- oder Standardleergut in der Absicht der späteren Rückgabe gegen Erlangung von Pfandgeld entwendet wird. In beiden Fällen kann ein Diebstahl angenommen werden, es sei denn, der Täter hat sich – was freilich äußerst selten sein dürfte – die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den Spezialpfandflaschen zutreffend vorgestellt. Man ist fast geneigt zu sagen: Der „Schlaue“, der sich die Eigentumslage an Spezialleergut zutreffend vorstellt, macht sich nicht des Diebstahls strafbar, der „Unwissende“ schon – das scheint inkonsequent (auch wenn natürlich noch andere Delikte in Betracht kommen). Darin zeigt sich auch die Schwäche der Vermögensdelikte. Wer das näher nachlesen will, mag sich die Urteilsanmerkung von Hoven, NJW 2018, 3598 genauer anschauen.
Vielen Dank, das war die Prüfung im Strafrecht. 
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03.12.2018/3 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-12-03 09:01:412018-12-03 09:01:41Mündliche Prüfung: Neues zum Pfandflaschendiebstahl!
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Kein Versuchsbeginn bei Klingeln an der Tür

Examensvorbereitung, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht AT

In nahezu jeder strafrechtlichen Examensklausur muss eine Versuchsprüfung vorgenommen werden. Eine sichere Beherrschung der Versuchsvoraussetzungen ist unentbehrlich, wobei neben dem Vorliegen eines Tatentschlusses oder einer Rücktrittsproblematik auch das unmittelbare Ansetzen i. S. v. § 22 StGB – zu dem sich nun wieder einmal der BGH mit Beschluss v. 8.5.2018 (Az.: 5 StR 108/18) geäußert hat – den Schwerpunkt der Prüfung bilden kann. Dies lässt sich zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrads auch gut mit weiteren Problemen, zB dem Versuchsbeginn bei einer wie im vorliegenden Fall gegebenen Mittäterschaft, kombinieren, sodass von einer gesteigerten Examensrelevanz auszugehen ist.
 
A. Sachverhalt (vereinfacht und abgewandelt):
A, B und C schlossen sich zusammen, um sich künftig in arbeitsteiligem Vorgehen der Wohnungsschlüssel älterer Menschen zu bemächtigen, in deren Wohnungen einzudringen und dort werthaltige Gegenstände und Geld zu entwenden. Hierzu klingelten sie zunächst an der Tür des 103 Jahre alten O, welcher die Tür mit vorgelegter Sicherungskette öffnete. Unter einem Vorwand bat der A um Einlass. Beim O kam allerdings angesichts des Erscheinens der fremden Personen Misstrauen auf, sodass er die Tür wieder schloss. A, B und C verweilten noch einige Zeit vor der Tür, in der Hoffnung, dass der O die Wohnung irgendwann verlassen werde. Dann sollte sich B dem Wohnungsschlüssel ermächtigen, damit die Tat noch ausgeführt werden konnte. Der O verließ seine Wohnung aber nicht, A, B und C gaben schließlich auf und fuhren mit dem Auto wieder weg.
Auf dem Heimweg fiel ihnen der 73 Jahre alte U als geeignetes Opfer auf. Wie zuvor vereinbart, stieg die C aus dem Auto aus, bedrängte den U körperlich und versuchte, in seine Jackeninnentasche zu greifen, um den Wohnungsschlüssel zu erlangen. Der U entgegnete jedoch nur „Verfatz dich!“ und stieß die C von sich. Diese gab auf und stieg unverrichteter Dinge wieder ins Auto.
 
B. Lösung
Hinsichtlich der Strafbarkeit der Beteiligten ist allein problematisch, ob diese bereits i. S. v. § 22 StGB unmittelbar zum schweren Bandendiebstahl gemäß § 244a StGB angesetzt haben. Den Eintritt in das Versuchsstadium hat der BGH aber – in beiden Fällen – verneint.
I. Zunächst könnte problematisiert werden, ob im ersten Tatkomplex (Geschehen mit dem O) überhaupt ein Versuchsbeginn für B und C in Betracht kommt, hat doch nur der A um Einlass gebeten. Das gleiche Problem stellt sich – und hier noch deutlicher – im zweiten Tatkomplex (Geschehen mit dem U) hinsichtlich des Versuchsbeginns für A und B, indem der U lediglich von C bedrängt wird, während A und B im Auto warten. Es stellt sich also die Problematik des Versuchsbeginns bei der Mittäterschaft.
1. Nach der von der hM vertretenen Gesamtlösung (s. hierzu z. B. BGH v. 23.1.1958 – 4 StR 613/57, BGHSt 11, 271; v. 2.6.1993 – 2 StR 158/93; BeckOK-StGB/Beckemper/Cornelius, § 22 Rn. 59) wird der Versuchsbeginn für alle Beteiligten einheitlich beurteilt. Danach wird nicht auf die gesonderten Tatbeiträge abgestellt, sondern es treten alle Mittäter ins Versuchsstadium ein, wenn einer unmittelbar ansetzt. Insofern käme auch ein Versuchsbeginn für die Mittäter, die nicht die unmittelbare Handlung vornehmen, sondern sich lediglich im Hintergrund aufhalten, in Betracht.
2. Dagegen prüft die Einzellösung den Versuchsbeginn für jeden Mittäter gesondert (s. z. B. Bloy, ZStW 113 (2001), 93; Kratzsch, JA 1983, 587; LK-StGB/Roxin, § 25 Rn. 198 ff.), sodass der einzelne Mittäter erst dann ins Versuchsstadium eintritt, wenn er zu der Handlung, die seine Mittäterschaft begründet, unmittelbar ansetzt (BeckOK-StGB/Beckemper/Cornelius, § 22 Rn. 60).
3. Die Gesamtlösung ist vorzugswürdig, da die Einzellösung dem Grundgedanken der Mittäterschaft – der gegenseitigen Zurechnung der im Rahmen des Tatplans liegenden Tatbeiträge – nicht gerecht wird (BGH v. 23.1.1958 – 4 StR 613/57, BGHSt 11, 271, 276; BeckOK-StGB/Beckemper/Cornelius, § 22 Rn. 61). Zudem würde derjenige Mittäter unbillig privilegiert, der seinen Tatbeitrag erst zu einem späten Zeitpunkt erbringen soll.
 
II. Hierauf kommt es aber ohnehin nicht an, wenn auch für den jeweils unmittelbar Handelnden ein unmittelbares Ansetzen zu verneinen ist. Fraglich ist also, ob der Eintritt in das Versuchsstadium angenommen werden kann. Nach der herrschenden gemischt objektiv-subjektiven Theorie ist dies – wie der BGH ausführt –

„nicht erst der Fall, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern schon dann, wenn er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden. Das Versuchsstadium erstreckt sich dementsprechend auf Handlungen, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen; der Täter muss subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreiten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzen, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. September 1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 202 f.; vom 26. Oktober 1978 – 4 StR 429/78, BGHSt 28, 162, 163; Beschluss vom 14. März 2001 – 3 StR 48/01, NStZ 2001, 415, 416 mwN).

Anmerkung: Die Bestimmung des Versuchsbeginns ist mitunter noch umstritten. Eine ausführliche Darstellung verschiedener Ansätze findet sich in LK-StGB/Hillenkamp, § 22 Rn. 63 ff.
Vorliegend geht der BGH in beiden Fällen davon aus, dass zwar „wichtige Vorbereitungshandlungen“ vorgenommen wurden. Gleichwohl „waren die Maßnahmen noch nicht so weit gediehen, dass ihr Tun ohne weitere Zwischenakte unmittelbar in die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 244a StGB hätte einmünden können.“
Dies konkretisiert der BGH für das Geschehen mit O wie folgt:

„Bei Tat 1 setzte die Ausführung des Diebstahls voraus, dass der Zeuge [O] die Sicherheitskette abnehmen, die Tür öffnen, die […] Angeklagten einlassen und sich […] ablenken lassen würde. Erst dann hätten die anderen Täter die Wohnung durchsuchen und Gegenstände entwenden können. Damit sollte ihr Tun noch nicht unmittelbar in Wegnahmehandlungen einmünden (vgl. schon RG JW 1926, 2753; siehe auch BGH, Urteil vom 6. Oktober 1977 – 4 StR 404/77; Beschluss vom 14. März 2001 – 3 StR 48/01, aaO, jeweils mwN).
Soweit sich die Strafkammer für ihren gegenteiligen Standpunkt auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs stützt, in denen bereits das Klingeln an der Tür als Versuchsbeginn angesehen wurde (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. September 1975 – 1 StR 264/75, aaO, S. 203 f.; vom 11. Juli 1984 – 2 StR 249/84, NStZ 1984, 506 mwN), sind diese auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Sie betreffen Raubdelikte, bei denen der Täter nach dem Öffnen der Tür sofort Gewalthandlungen gegen das Opfer vollführen wollte und damit – anders als vorliegend – bereits ein Tatbestandsmerkmal des § 249 StGB erfüllt hätte.“

Anmerkung: Diese Annahme ist sicherlich nicht unproblematisch, berücksichtigt man, dass der BGH in früheren Entscheidungen gleichwohl den Versuchsbeginn bereits beim Klingeln an der Tür angenommen hat. Verwiesen wird hier insbesondere auf das Urteil v. 16.9.2015 (Az.: 2 StR 71/15), in dem der BGH zum Versuchsbeginn beim Diebstahl(!) ausgeführt hat:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl vor, wenn ein Diebstahl aus der Wohnung eines Opfers dadurch ermöglicht werden soll, dass sich ein Täter unter einem Vorwand Einlass verschafft, um das Tatopfer abzulenken und dann zu bestehlen. Der Angriff auf den fremden Gewahrsam beginnt in diesen Fällen bereits mit dem Begehren um Einlass (BGH, Urteil vom 12. März 1985 – 5 StR 722/84; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 – 3 StR 105/10). Nach der zuvor bereits bei anderen Opfern vielfach erfolgreich praktizierten Vorgehensweise hatten die Angeklagten hier die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ mit dem nicht unter einem Rücktrittsvorbehalt stehenden unmittelbaren Einwirken auf das zuvor bereits ausgespähte Tatopfer an der Wohnungstür überschritten. Zu diesem Zeitpunkt war auch eine konkrete Gefährdung des Opfervermögens bereits eingetreten. Dass das Gelingen und damit die Vollendung der Tat letztlich noch von dem Erfolg der Täuschung und von dem Auffinden von Wertgegenständen innerhalb der Wohnung abhängig war, und der Diebstahl hier „ohne Zutun“ der Angeklagten gescheitert ist, hindert nicht den Eintritt ins Versuchsstadium.“

Inwiefern sich die vorliegende Konstellation davon unterscheiden soll, erschließt sich nicht.
In Bezug auf das Geschehen mit dem U lehnt der BGH den Eintritt in das Versuchsstadium mit folgender Begründung ab:

„Entsprechendes gilt für Tat 2. In Bezug auf den Diebstahl von Gegenständen aus der Wohnung des ausgewählten Tatopfers hätten die Angeklagten diese noch aufsuchen und öffnen müssen (vgl. zum Versuchsbeginn bei der Beschaffung von [Nach-]Schlüsseln z.B. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1978 – 4 StR 429/78, aaO, S. 163 f.; Beschluss vom 24. Mai 1991 – 5 StR 4/91, BGHR StGB § 22 Ansetzen 14). Allerdings käme die Verwirklichung des § 244a StGB auch hinsichtlich des Wohnungsschlüssels selbst in Betracht, wobei insoweit der Versuchsbeginn nicht zweifelhaft erschiene (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 1957 – 5 StR 299/57, GA 1958, 191). Jedoch kann den Feststellungen nicht entnommen werden, ob die Angeklagten den Eigentümer insoweit dauernd enteignen wollten, also mit Zueignungsabsicht handelten. Dies versteht sich nach Lage des Falles auch nicht von selbst. Denn es liegt im Bereich des nicht nur denktheoretisch Möglichen, dass die Angeklagten etwa den für sie nach Gebrauch wertlosen Wohnungsschlüssel in der Wohnung zurückzulassen beabsichtigten.“

Mithin ist in beiden Fällen ein unmittelbares Ansetzen zu verneinen, sodass eine Strafbarkeit wegen versuchten schweren Bandendiebstahls ausscheidet.
 
Gegeben ist allerdings eine Strafbarkeit wegen Verabredung des Verbrechens des schweren Bandendiebstahls gemäß §§ 244a, 30 II StGB. Eine Straffreiheit nach § 31 StGB kommt nicht in Betracht, da die Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben wurde.
Scheitert eine Versuchsstrafbarkeit am unmittelbaren Ansetzen, ist bei Verbrechen stets auch an § 30 II StGB zu denken – dieser wird oft übersehen.
 
C. Fazit
Festzuhalten bleibt: Das Klingeln an der Tür kann bereits den Eintritt ins Versuchsstadium bedeuten, muss es aber nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung (BGH v. 16.9.2015, Az.: 2 StR 71/15), lässt die Rechtsprechung eine klare Linie diesbezüglich wohl eher vermissen. In der Klausur muss daher – wie immer – auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt und anhand des konkreten Sachverhaltes argumentiert werden.
 

30.08.2018/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2018-08-30 10:00:252018-08-30 10:00:25BGH: Kein Versuchsbeginn bei Klingeln an der Tür
Redaktion

Schema: Räuberischer Diebstahl, § 252 StGB

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Schema: Räuberischer Diebstahl, § 252 StGB

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand

a) Vortat: Vollendeter Diebstahl

– Diebstahl muss vollendet, darf aber noch nicht beendet sein.
– Als Vortat kommt auch ein Raub gem. § 249 StGB in Betracht.
– Täter des § 252 StGB kann jeder Täter der Vortat sein, ob ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 StGB sein kann, ist umstritten.

b)  Auf frischer Tat betroffen

– Erfordert einen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Wegnahmehandlung.
– Betreffen erfordert grundsätzlich, dass der Täter und die Tat von einem Dritten bemerkt wird. Ein reines Zusammentreffen kann nur ausnahmsweise ausreichen, zB wenn der Täter das Aufdecken der Tat verhindert durch den Einsatz der Nötigungsmittel.

c)  Nötigungsmittel: Gewalt gegen eine Person oder Drohungen mit 
gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben

2. Subjektiver Tatbestand

a)  Tatbestandsvorsatz

Es genügt bedingter Vorsatz.

b)  Bereicherungsabsicht
Der Täter muss in der Absicht handeln, sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten und diese seinem Vermögen einzuverleiben.

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

23.11.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-11-23 10:00:492017-11-23 10:00:49Schema: Räuberischer Diebstahl, § 252 StGB
Redaktion

Schema: Diebstahl, § 242 StGB

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Diebstahl – § 242 StGB

A. Tatbestandsmäßigkeit

I. Objektiver Tatbestand

1. Tatobjekt: Fremde bewegliche Sache

a) Sache = Alle körperlichen Gegenstände im Sinne von § 90 BGB, sowie Tiere (§ 90a BGB).

b) Beweglich = Alle Sachen, die faktisch von ihrem jeweiligen Standort entfernt werden können.

c) Fremd = Alle Sachen, die verkehrsfähig und nicht herrenlos sind und auch nicht im Alleineigentum des Täters stehen.

– Richtet sich nach zivilrechtlichen Maßstäben.

– Maßgeblich für die Fremdheit ist der Zeitpunkt der Tathandlung.

2. Tathandlung: Wegnahme
= Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwenig tätereigenen Gewahrsams.

– Gewahrsam ist ein von einem natürlichen Willen getragenes, tatsächliches Herrschaftsverhältnis.

– Der Gewahrsam des bisherigen Gewahrsamsinhabers muss ohne dessen Willen aufgehoben werden. An dieser Stelle kommt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in Betracht.

– Bei mehrstufigen Gewahrsamsverhältnissen kann der untergeordnete Gewahrsamsinhaber den Gewahrsam des übergeordneten Gewahrsamsinhabers brechen. Andersherum ist dies nicht möglich.

– Für den Bruch des fremden Gewahrsams genügt die Begründung einer sog. Gewahrsamsenklave: Befindet der Täter sich in einer fremden Gewahrsamssphäre, liegt eine Wegnahme bei kleinen Gegenständen schon dann vor, wenn der Täter sie in seine eigene Körpergewahrsamssphäre verbringt, sie also z.B. in einer mitgeführten Tasche versteckt.

II. Subjektiver Tatbestand

1. Zumindest bedingter Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands

2. Zueignungsabsicht

= Absicht des Täters die weggenommene Sache sich selbst oder einem Dritten zuzueignen. Dabei ist die Drittzueignung subsidiär.

a) Zumindest dolus eventualis bzgl. der dauerhaften Enteignung des Berechtigten.

– (-), wenn der Täter die Sache nach deren Gebrauch ohne wesentliche Veränderung oder Wertminderung in Anerkennung des fremden Eigentums an den Berechtigten zurückführen will (z.B.: Täter nimmt ein fremdes Haustier weg, um später einen Finderlohn zu erlangen).

– (+), wenn der Täter die Sache zwar an den Berechtigten zurückgeben will, dies jedoch nur unter Leugnung des fremden Eigentums (z.B.: Täter nimmt eine fremde Sache weg, um diese später an den Berechtigten zurück zu verkaufen).

b) Absicht bzgl. der zumindest vorübergehenden Aneignung

– Der Sache selbst oder

– Des Sachwertes 
(subsidiär zur Aneignung der Sachsubstanz)

3.  Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung

4.  Zumindest bedingter Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der Zueignung

B. Rechtswidrigkeit
C. Schuld
D. Strafzumessungsregel, § 243 StGB

I. Objektiv: Verwirklichung eines der Regelbeispiele des § 243 I 2 Nr. 1-7 StGB.

II. Subjektiv: Vorsatz bzgl. der Verwirklichung des Regelbeispiels analog §§ 15, 16 I 1 StGB.

III. Kein Ausschluss in den Fällen des § 243 I 2 Nr. 1-6 StGB gem. § 243 II StGB.

IV. (P) Indizwirkung des Regelbeispiels, wenn das Regelbeispiel nicht vollendet wurde.

E. Strafantrag
– § 247 StGB: Haus- und Familiendiebstahl
– § 248a StGB: Diebstahl geringwertiger Sachen
 
Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

27.10.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-10-27 10:00:482016-10-27 10:00:48Schema: Diebstahl, § 242 StGB
Tom Stiebert

OLG Hamm: Neues zur Abgrenzung Diebstahl/Betrug/Computerbetrug

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Einen Fall mit sehr hoher Examensrelevanz hat das OLG Hamm mit einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 8.8.2013 (5 RVs 56/13) entschieden (Näheres dazu hier). Es geht hierbei um die äußerst relevante, und den meisten in der allgemeinen Konstellation wahrscheinlich bekannte Abgrenzung von Diebstahl und (Computer)Betrug.
I. Sachverhalt
Es ging dabei um folgende Konstellation:
Der Angeklagte bezahlte in einem Supermarkt eine Zeitschrift im Wert von 5 Euro lediglich mit 2 Euro. Dies erreichte er durch folgenden Trick: Er scannte an der Selbstbedienungskasse des Ladens nicht den korrekten Strichcode, sondern einen aus einer anderen Zeitschrift (im Wert von 2 Euro) herausgerissenen Strichcode ein und bezahlte folglich auch nur die angeforderten 2 Euro.
Fraglich war dabei, ob es sich hierbei um einen Diebstahl oder einen (Computer)Betrug handelt.
 
II. Entscheidung des OLG Hamm
1. Allgemeines
Fraglich war dabei, ob es sich bei der Handlung an der Kasse um einen Diebstahl § 242 BGB oder um einen Computerbetrug nach § 263a StGB gehandelt hat.
Entscheidend ist daher, ob im konkreten Fall eine Wegnahme (dann Diebstahl) oder eine Vermögensverfügung (dann Computerbetrug) vorgelegen. Nicht in Betracht kommt im konkreten Fall ein „einfacher“ Betrug iSd. § 263 StGB. Dieser unterscheidet sich vom Computerbetrug darin, dass nicht eine natürliche Person getäuscht wird und verfügt, sondern lediglich der Kassenautomat und folglich also der Datenverarbeitungsvorgang (einscannen des Barcodes und anschließende Ausgabe des Preises) von der Einwirkung bzw. Täuschung betroffen ist.
Entscheidende Frage ist also, ob die Zeitschrift dem Kunden (aufgrund der Täuschung bzw. der Einwirkung in den Datenverarbeitungsvorgang) wirksam übereignet wird (dann kann nur ein Computerbetrug vorliegen) oder ob der Kunde durch die Handlung nicht fremden Gewahrsam bricht und neuen Gewahrsam begründet, ohne dass dies dem Willen eines hinter dem Kassenautomaten stehenden Menschen entspricht.
2. Vorliegen Übereignung
Entscheidend ist also zunächst, ob eine wirksame Übereignung durch den Ladeninhaber in Form der Benutzung des Kassenautomatens mit einem falschen Barcode vorgelegen hat. Hier muss zwangsläufig auf den Willen des berechtigten Eigentümers der Zeitschriften und nicht auf den Automaten abgestellt werden. Die Übereignung fordert nach § 929 BGB die Einigung und Übergabe. Eine für die Einigung notwendige Willenserklärung kann nur eine natürliche Person abgeben. Eine wirksame Übereignung scheidet hier mangels Abgabe eines Übereignungsangebots durch den Berechtigten aus:

Die Zeitschriften seien ihm nicht übereignet worden, weil er diese zuvor nicht mit den ihnen zugewiesenen Strichcodes eingescannt habe. Zu den tatsächlich eingescannten Preisen habe der Geschäftsinhaber nicht verkaufen wollen. Beide Zeitschriften habe der Angeklagte auch ohne Einverständnis des Geschäftsinhabers mitgenommen. Nachdem er zuvor einen nicht zu den Zeitschriften passenden Strichcode eingescannt hatte, seien die Bedingungen für einen vom Geschäftsinhaber gebilligten Gewahrsamswechsel beim Passieren der Kasse nicht erfüllt gewesen.

Entscheidend ist hier der Wille des Ladeninhabers, der nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist. Möchte er ein konkretes Produkt stets an denjenigen Kunden übereignen, der irgendeinen Barcode einscannt (und entsprechend bezahlt) oder nur an denjenigen, der den richtigen Barcode einscannt (und den entsprechenden Preis bezahlt). Dabei darf aber auch nicht vernachlässigt werden, dass er sich bei dem Einsatz des Automaten nicht widersprüchlich verhalten darf. Sein Wille ist zumindest dahin auszulegen, dass er bei (formell) ordnungsgemäßer Nutzung des Automaten auch die Ware übereignen will. Wird der Automat als „getäuscht“ (hierfür gibt es gerade den § 263a StGB) darf er sich nicht darauf berufen, er wolle in einem solchen Fall nicht übereignen.
Gleichwohl geht sein Wille aber allein dahin, diejenige Ware zu übereignen, die dem entsprechenden Barcode zugeordnet ist. Im konkreten Fall will er also – durch den Einsatz des Automaten – allein eine Zeitschrift für 2 Euro übereignen; nicht aber die Zeitschrift für 5 Euro. Anders wäre die Situation nur dann, wenn er beispielsweise das Computerprogramm manipuliert und der Automat folglich „denkt“, dass es sich um einen Barcode für die 5-Euro-Zeitschrift handelt. Dies liegt hier aber gerade nicht. Der Automat „denkt“ es handle sich um eine 2-Euro-Zeitschrift; nur diesbezüglich liegt folglich ein Übereignungsangebot vor. Die 5 Euro teure Zeitschrift wird folglich nicht wirksam übereignet.
3. Folge fehlender Übereignung
Bei § 263 StGB würde es folglich an einer Vermögensverfügung fehlen. Der Computerbetrug ist sehr eng mit dieser Regelung verwandt, so dass eine Strukturgleichheit zu fordern ist. Dabei tritt Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorgangs  an die Stelle des Irrtums und der dadurch hervorgerufenen Vermögensverfügung (BeckOK/Beckemper, § 263a, Rn. 37). Das Ergebnis dieser Beeinflussung muss zudem vermögensrelevant sein und sich unmittelbar vermögensmindernd auswirken. Eine solche Beeinflussung, die sich vermögensmindernd auswirkt, liegt nach Ansicht des OLG gerade nicht vor:

Der Tatbestand des § 263 a StGB erfordert daher, dass die Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs unmittelbar eine vermögensrelevante Disposition des Computers verursacht.  Die Vermögensminderung muss unmittelbar, d.h. ohne weitere Zwischenhandlung des Täters, des Opfers oder eines Dritten durch den Datenverarbeitungsvorgang selbst eintreten. Daran fehlt es, wenn durch die Manipulation der Datenverarbeitung nur die Voraussetzungen für eine vermögensmindernde Straftat geschaffen werden, z.B. beim Ausschalten oder Überwinden elektronischer Schlösser. Hier führt das Einscannen des Strichcodes der „WAZ“ allein zu der Anzeige eines im Verhältnis zu den tatsächlich ausgewählten Zeitschriften geringeren Kaufpreises. Diese Anzeige bewirkt noch keinen verfügungsähnlichen Vorgang, der sich als unmittelbare Vermögensbeeinträchtigung darstellte. Die nachfolgende Mitnahme der Zeitschriften wird durch den Datenverarbeitungsvorgang als solchen weder ermöglicht noch erleichtert.

4. Überdies: Fehlende Tathandlung des § 263a StGB
Die Diskussion, welche Tathandlung des § 263a StGB verwirklicht ist, muss deshalb hier nicht geführt werden. Dennoch empfiehlt es sich in der Klausur hierauf zumindest kurz einzugehen, um ein vollständiges Ergebnis zu haben. Das OLG subsumiert hier sehr anschaulich die einzelnen Varianten des § 263a Abs. 1 StGB:

Das unrichtige Gestalten eines Programms (1. Var.) setzt das Neuschreiben, Verändern oder Löschen ganzer Programme oder jedenfalls von Programmteilen voraus . Nichts davon geht mit dem Einscannen des „WAZ“-Strichcodes einher.
Das Verwenden unrichtiger oder unvollständiger Daten (2. Var.) erfasst Fälle, in denen eingegebene Daten in einen anderen Zusammenhang gebracht oder unterdrückt werden, wobei eine Programmgestaltung unrichtig bzw. unvollständig ist, wenn sie bewirkt, dass die Daten zu einem Ergebnis verarbeitet werden, das inhaltlich entweder falsch ist oder den bezeichneten Sachverhalt nicht ausreichend erkennen lässt, den Computer also gleichsam „täuscht“ . Vorliegend wird über das Einlesen des Strichcodes der Kaufpreis einer Ausgabe der „WAZ“ richtig und vollständig angezeigt, diesen Kaufpreis hat der Angeklagte auch bezahlt.
Das Merkmal der unbefugten Verwendung von Daten (3. Var.) ist nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, „betrugsspezifisch“ auszulegen ; unbefugt ist die Verwendung danach dann, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Insoweit muss auf das Vorstellungsbild einer natürlichen Person abgestellt werden, die sich ausschließlich mit den Fragen befasst, die auch der Computer „prüft“ . Da das Lesegerät einer Selbstbedienungskasse lediglich den in dem Strichcode festgelegten Kaufpreis anzeigt, ohne zu prüfen, ob auch tatsächlich die dem Strichcode zugewiesene Ware bezahlt und mitgenommen wird, würde auch ein „fiktiver Kassierer“ nur eine derart eingeschränkte Prüfung vornehmen und deshalb über den eingelesenen Preis der „WAZ“ nicht getäuscht.
Das sonstige unbefugte Einwirken auf den Ablauf (4. Var.) erfasst – im Sinne eines Auffangtatbestandes – solche strafwürdige Maßnahmen, die nicht unter Var. 1 bis 3 fallen, jedoch beinhaltet das Einscannen des Strichcodes der „WAZ“ keine Einwirkung auf den Ablauf, d.h. auf das Programm oder den Datenfluss.

5. Prüfung des Diebstahls
Es bleibt aber die Vollendung eines Diebstahls. Der Kunde hat hier eine fremde bewegliche Sache weggenommen, also den Gewahrsam gegen den Willen des Berechtigten gebrochen. Eine Übereignung lag nach dem oben Gezeigten gerade nicht vor. Die weiteren Voraussetzungen des Diebstahls sind auch erfüllt, sodass sich der Kunde nach § 242 StGB strafbar gemacht hat. In der Klausur wäre hier natürlich eine etwas ausführlichere prüfung geboten.
6. Überdies Urkundsdelikte
Zudem liegt eine Urkundenunterdrückung durch das Abtrennen des Barcodes von der günstigeren Zeitschrift vor (§ 274 StGB). Eine Urkundenfälschung in Form des Herstellens einer unechten Urkunde scheidet aus, da die Zeitschrift nicht mit dem Barcode fest verbunden wurde und damit keine neue, unechte Urkunde hergestellt wurde.
 
III. Examensrelevanz
Der Fall ist aufgrund seiner Aktualität von äußerst großer Examensrelevanz und ergänzt damit die bisherigen Supermarkt- und Selbstbedienungsfälle (bspw. SB-Tankstelle). Die Wertungen des Falles sollten auf jeden Fall beherrscht werden. Bedeutend ist auch, dass die zivilrechtlichen Wertungen auch im Strafrecht eine bedeutende Rolle spielen. Hier ist eine saubere Darstellung gefordert.
 

09.10.2013/8 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-10-09 13:58:502013-10-09 13:58:50OLG Hamm: Neues zur Abgrenzung Diebstahl/Betrug/Computerbetrug
Christian Muders

OLG Hamburg: Zur Strafbarkeit der Entnahme von Zahngold nach Einäscherung eines Verstorbenen

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Anm. zu OLG Hamburg, Beschluss v. 19.12.2011 – 2 Ws 123/11 = NJW 2012, 1601 ff.
1. Um was geht es?
Der B war dringend verdächtigt, in der Zeit vom 1.1.2006 bis zum 29.7.2010 als Mitarbeiter eines Krematoriums in Hamburg die nach Verbrennung der Leichen verbliebene Asche gezielt nach Edelmetallen, insbesondere Zahngold, durchsucht und diese Gegenstände in unbeobachteten Momenten eingesteckt zu haben, um sie später zu veräußern. Insgesamt soll er aus dieser Veräußerung 178.377,89 Euro erlöst haben. In einer Verfügung der Geschäftsführung des Krematoriums vom 9.2.2005 wurde festgestellt, dass das mit der Übernahme eines Verstorbenen begründete Gewahrsamsverhältnis auch nach der Einäscherung fortbestehe. Dies gelte insbesondere auch im Bezug auf  das von den Verschiedenen getrennte Zahngold, Schmuckreste und Körperersatzstücke, die nach dieser Verfügung in das Eigentum des Betreibers der Einrichtung übergehen sollten. Der Betreiber waren bis zum 31.12.2009  die Hamburger Friedhöfe – Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR). Ab dem 1.1.2010 wurde das Krematorium dann durch eine GmbH geführt, deren alleinige Anteilsinhaberin aber die Hamburger Friedhöfe AöR blieb. Das AG Hamburg hat auf Antrag der StA den dinglichen Arrest (§§ 111b Abs. 2 und 5, 111d Abs. 1 S. 1, 111e Abs. 1 S. 1 StPO) in Höhe des durch den B höchstwahrscheinlich aufgrund der Veräußerungen erlangten Betrages angeordnet. Es hat dabei angenommen, dass der B dringend verdächtigt sei, wegen der genannten Handlungen eine Vielzahl selbständiger Diebstähle in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Verwahrungsbruch begangen zu haben. Die hiergegen von B eingelegte Beschwerde hat das LG Hamburg verworfen. Das OLG Hamburg hatte nun über die weitere Beschwerde zu entscheiden.
2. Was sagt das OLG?
Das Gericht hat den dinglichen Arrest des AG Hamburg im Wesentlichen bestätigt. Materiellrechtlich hat es dabei drei Tatbestände untersucht:
a) Zunächst hat das OLG Hamburg einen vollendeten Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB geprüft, aber bereits deswegen abgelehnt, da es an einem tauglichen Tatobjekt fehle.
aa) Dabei hat es dem Zahngold, welches in den Überresten der Verstorbenen zu finden war, allerdings durchaus Sachqualität zuerkannt:

Dem menschlichen Leichnam und den mit ihm fest verbundenen Teilen wird nach heute herrschender Meinung Sachqualität zuerkannt. (…) Die mit dem Leichnam fest verbundenen künstlichen Körperteile des Zahngolds, die in Form und Funktion defekte Körperteile ersetzen, so genannte Substitutiv-Implantate, (…) gehören zur Leiche und teilen während der Verbindung deren Schicksal. (…)

bb) Sodann aber verneint das Gericht die Fremdheit des Zahngoldes: Fremd i.S.d. Diebstahls ist eine Sache bekanntlich dann, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist. Das OLG nimmt vorliegend eine Herrenlosigkeit des Zahngoldes an. Es prüft dabei die Frage der Eigentumsverhältnisse an dem Zahngold schulmäßig chronologisch nach der zeitlichen Abfolge der Geschehnisse und fragt zunächst, ob nicht die Erben der Verstorbenen mit dem Erbfall Eigentum am Zahngold gem. § 1922 BGB erlangt haben, was es aber i.E. verneint:

 Die Erben des Verstorbenen werden nicht im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB Eigentümer, denn die Leiche ist nicht Bestandteil des Vermögens (RGSt 64, 315). Die Gegenansicht (…) vermag nicht zu überzeugen, da der menschliche Körper erst durch den Tod zur Sache wird, vor dem Tod mithin noch kein Eigentum bestanden hat, das im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB auf den Erben hätte übergehen können. (…)

Sodann prüft das Gericht weiter, ob aufgrund der Geschäftsführungsverfügung der Hamburger Friedhöfe AöR vom 9.2.2005, wonach insbesondere Zahngold und Schmuckreste der Verstorbenen Eigentum des Betreibers werden, eine Aneignung der herrenlosen Sachen durch den jeweiligen Betreiber des Krematoriums nach § 958 Abs. 1 BGB erfolgt ist. Es verwirft jedoch diese Möglichkeit und zwar unter Hinweis auf § 958 Abs. 2 BGB, wonach Eigentum dann nicht durch Aneignung erworben wird, wenn die Aneignung gesetzlich verboten ist oder wenn durch die Besitzergreifung das Aneignungsrecht eines anderen verletzt wird. Das OLG nimmt hierbei das Vorliegen der zweiten Alternative an, da es den Erben des Verstorbenen bzw. den nahen Angehörigen ein solch vorrangiges Aneignungsrecht zubilligt, auf welches diese auch nicht durch Ablieferung der Leiche bei dem Hamburger Krematorium verzichtet hätten:

Ein konkludenter Verzicht dahingehend, dass die Hamburger Friedhöfe (…) das Verhalten der Hinterbliebenen nach den besonderen Umständen des Falls und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dahingehend verstehen konnten, diese hätten mit der Überlassung der Leiche (…) auf ihr Aneignungsrecht verzichtet, kann nicht angenommen werden. Die totensorgeberechtigten Angehörigen bzw. Erben haben durch die Übergabe des Leichnams an das Hamburger Krematorium zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Bestattung des Leichnams wünschten. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass sie (…) mit einer Ansichnahme durch Dritte stillschweigend einverstanden waren. Auf Nachfrage hätten die Hinterbliebenen vielmehr mit größter Wahrscheinlichkeit eine vollständige Bestattung gewünscht. (…)

b) Nach der Ablehnung eines vollendeten Diebstahls nimmt das OLG jedoch sodann einen versuchten Diebstahl des B an: Es begründet dies mit der veröffentlichten Verfügung der Geschäftsführung der Hamburger Friedhöfe, die dem Täter bekannt war, so dass er von einem Eigentumserwerb der AöR (später der GmbH) und damit einem tauglichen, nämlich fremden Tatobjekt ausgehen musste, das er mit Entfernung aus dem Krematorium auch in Zueignungsabsicht weggenommen hat. Die versuchten Diebstähle versieht das OLG dabei mit dem verschärften Strafrahmen des § 243 Abs. 1 S. 1 StGB (Diebstahl in einem besonders schweren Fall), da es aufgrund der fortdauernden Taten und des erlösten hohen Betrages das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StGB (Gewerbsmäßigkeit) als höchstwahrscheinlich erfüllt ansieht.
c) Sodann prüft das OLG Hamburg den Tatbestand eines (vollendeten) Verwahrungsbruchs gem. § 133 StGB. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift macht sich u.a. derjenige strafbar, der bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, der dienstlichen Verfügung entzieht.
aa) Hierbei stellt das Gericht zunächst fest, dass während des gesamten Tatzeitraums vom 1.1.2006 bis zum 29.7.2010 das Krematorium von einer Dienststelle i.S.d. § 133 Abs. 1 StGB betrieben wurde: Dies gelte zunächst für die Hamburger Friedhöfe AöR, welche die öffentliche Aufgabe der Feuerbestattung bis zum 31.12.2009 übernommen habe, aber auch für den nach diesem Zeitpunkt erfolgten Betrieb über die Hamburger Krematorium-GmbH; diese sei nämlich als Beliehene einzustufen:

Eine durch den Staat verliehene hoheitliche Kompetenz zur dienstlichen Ingewahrsamnahme kommt (…) auch den Beliehenen zu. Beliehene sind privatrechtlich organisierte Verwaltungsträger, die auf Grund eines Gesetzes öffentliche Aufgaben in eigenem Namen wahrnehmen. § 2 Abs. 5 S. 1 HbgFriedhofsG bestimmt, dass die Hambürger Friedhöfe – Anstalt des öffentlichen Rechts – zur Erfüllung ihrer Aufgaben unter anderem weitere Unternehmen gründen kann. Die Anstalt hat damit aufgrund Gesetzes die öffentliche Aufgabe der Feuerbestattung auf die Hamburger Krematorium-GmbH als Beliehene übertragen.

bb) Im Anschluss stellt das OLG dann fest, dass sich das kremierte Gold auch noch z.Zt. der Entziehung des Zahngoldes, nämlich durch die Mitnahme des B nach erfolgter Verbrennung der Leichen, in dienstlicher Verwahrung befunden habe: Diese dauere nämlich so lange fort, bis der Zweck der Verwahrung erfüllt sei. Der vorliegende Bestattungsauftrag sei aber erst mit der Beförderung der in der Urne befindlichen Asche zur Beisetzung auf einen Friedhof sowie der verfügungsgemäßen Aussonderung der sonstigen Verbrennungsrückstände in die dafür vorgesehenen Sammelbehältnisse erledigt. Hierzu verweist das Gericht nochmals auf die Geschäftsführungs-Verfügung vom 9.2.2005, wonach ausdrücklich das entstandene (dienstliche) Gewahrsamsverhältnis an den Verstorbenen nach der Einäscherung fortbesteht.
d) Zuletzt prüft das Gericht noch, ob der Tatbestand der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) erfüllt ist. Danach macht sich u.a. strafbar, wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt. Das Gericht sieht dabei die letzte Variante (Asche eines Verstorbenen) als erfüllt an und setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, ob das kremierte Zahngold unter den Begriff der „Asche“ fällt, was eine Gegenmeinung in Rspr. und Schrifttum verneint (OLG Nürnberg, NJW 2010, 2071 [2073]; MK-StGB/Hörnle, 2. Aufl. 2012, § 168 Rn. 11). Diese beruft sich dabei v.a. auf den Wortsinn des Begriffes der „Asche“, da hierunter allein ein „pulveriger staubartiger Verbrennungsrückstand“ zu verstehen sei. Gegenstände, die ein Feuer unbeschadet überstanden hätten, könnten danach nicht unter diesem Begriff subsumiert werden.
Das OLG weist demgegenüber darauf hin, dass letztgenannter Wortsinn zwar ein möglicher, aber nicht die einzig vorhandene Definition dieses Begriffes sei:

Nach einer Reihe von Wörterbüchern [wird mit Nachw. ausgeführt] sowie nach der Etymologie des Begriffs „einäschern“, der „in Asche legen, verbrennen“ bedeutet (…) und damit nach einem zumindest nicht unerheblichen Teil des allgemeinen sprachlichen Verständnisses umfasst der Begriff der Asche generell die bei einer Verbrennung verbleibenden Rückstände und damit alles, was von verbranntem Material übrig bleibt, so dass mit der Auslegung, dass auch kremiertes Gold unter den Aschebegriff des § 168 StGB zu fassen ist, nicht die äußerste Grenze des Wortsinns überschritten ist. Im Fall mehrerer gängiger Verständnisse eines Begriffs zieht der Bestimmtheitsgrundsatz dem Wortsinn nicht eine Grenze unter Ausschluss anderer auch im allgemeinen Sprachgebrauch vertretener Verständnisse.

Zusätzlich weist das OLG darauf hin, dass das Tatobjekt „Asche eines verstorbenen Menschen“ dem Tatobjekt „Körper eines verstorbenen Menschen“ gleichgestellt werden sollte – bei letzterem sei aber das in dem leblosen Körper enthaltene Zahngold unzweifelhaft von dem Tatbestand geschützt:

Nichts anderes ergibt die systematische Erwägung, dass bei einer Erdbestattung, bei der sich der Schutz des § 168 StGB hinsichtlich der Tatobjekte des Körpers oder seiner Teile ohne Weiteres auf die in den Körper eingefügten fremden Teile erstreckt (…), Zahngold nicht anders geschützt sein kann als bei einer Feuerbestattung.

3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
Der Beschluss des OLG Hamburg markiert den vorläufigen Schlusspunkt unter einen Problemkomplex, der im Laufe der letzten Jahre bereits zwei obergerichtliche Entscheidungen provoziert hat, plus zugehöriger Anmerkungen und Bspr. (vgl. OLG Bamberg, NJW 2008, 1543 ff m. Anm. Jahn, JuS 2008, 457 ff. und Bosch, JA 2008, 391 ff.; OLG Nürnberg, NJW 2010, 2071 ff. m. Anm. Kudlich, JA 2010, 226 ff.; zu beiden Entscheidungen außerdem Kudlich/Christensen, JR 2011, 146 ff.). Das erneute Aufgreifen der Thematik durch das OLG Hamburg führt dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch wieder zu einer verstärkten Examensrelevanz einschlägiger Sachverhalte.
a) Etwas ungewohnt für den Studenten mag dabei vorliegend zunächst die prozessuale Einkleidung der materiellen Rechtsfragen in die (wiederholte) Überprüfung der Anordnung eines dinglichen Arrestes sein: Nach § 111b Abs. 2, 5 StPO kann ein dinglicher Arrest gem. § 111d StPO dann verhängt werden, wenn entweder Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz bzw. der Einziehung von Wertersatz vorliegen, oder aber dem Verletzten ein Anspruch auf Rückgewähr oder Ersatz von aus der Tat erlangten Gegenständen entstanden ist (sog. Rückgewinnungshilfe). „Gründe“ meint hierbei zunächst einmal den einfachen Verdachtsgrad nach § 152 Abs. 2 StPO, solange nicht eine Frist von maximal zwölf Monaten ab Beginn der Maßnahme überschritten ist, was sich aus § 111b Abs. 3 StPO ergibt, wonach nach Ablauf dieser Frist in jedem Fall sogar „dringende Gründe“ vorliegen müssen (vgl. auch KK-StPO/Nack, 6. Aufl. 2008, § 111b Rn. 9). – Letzteres war vorliegend aber der Fall, da der ursprüngliche Arrestbeschluss des AG Hamburg bereits vom 3.11.2010 datierte. Für das Eingreifen des Verfalls bzw. den Verfall des Wertersatzes ist nach § 73 Abs. 1 StGB wiederum das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat entscheidend, worin das Einfallstor für die Überprüfung der materiellen Rechtslage liegt.
b) Insofern ist der Fall aus Prüfersicht v.a. deswegen interessant, weil er neben strafrechtlichen Problemen an bekannteren und unbekannteren Tatbeständen auch Abzweigungen in das Öffentliche Recht (namentlich bei der „Beliehenen“-Eigenschaft der Krematoriums-GmbH) und insbesondere in das Zivilrecht bietet: Bzgl. des letzteren Rechtsgebiets wird dem Prüfling ein Grundverständnis über die Folgen eines Erbfalls sowie ein sicherer Umgang mit der sachenrechtlich etwas exotischeren Problematik der Aneignung einer herrenlosen Sache nach den §§ 958 ff. BGB abverlangt. Dabei überzeugt vorliegend die Ansicht des OLG, wonach – entgegen einer Mindermeinung im Schrifttum (SK-StGB/Hoyer, § 242, Rn. 16) – eine Eigentümerstellung der Erben bzgl. des Zahngoldes ausscheidet: Da nur dasjenige vererbt wird, was vor dem Tod dem Vermögen des Erblassers angehörte, der Leichnam des Verstorbenen (gemeinsam mit dem Zahngold) aber erst mit dem Tod seine Sachqualität erhält, fällt das Zahngold gewissermaßen zu spät seiner ursprünglichen juristischen Natur als Rechtsobjekt anheim, um dem Vermögen des Erblassers zugeordnet werden zu können. Umso konsequenter ist es dann aber, dem Erben (bzw. den nächsten Angehörigen) quasi als Ausgleich (wenigstens) ein primäres Aneignungsrecht bzgl. der nach Trennung vom Leichnam aneignungsfähigen Sachen zuzubilligen, welches vorsorglich begründeten Aneignungsrechten Dritter – wie vorliegend der Hambuger Friedhöfe AöR – vorgeht, die damit über die Aneignungssperre des § 958 Abs. 2 BGB stolpern.
c) Dass das OLG nach Ablehnung eines vollendeten Diebstahls sodann unter Hinweis auf die Kenntnis des B von der Aneignungsklausel in der Krematoriumsverfügung einen versuchten Diebstahl annimmt, entspricht der h.M., die den Versuch als „umgekehrten Tatbestandsirrtum“ deutet: All diejenigen Umstände, die bei einer Unkenntnis des Täters (als negativem Irrtum) zu einem Ausschluss des Vorsatzes über § 16 Abs. 1 S. 1 StGB führen würden, führen bei einer entsprechenden (positiven) Fehlvorstellung zur Versuchsstrafbarkeit und nicht etwa zum straflosen Wahndelikt (sog. Umkehrprinzip; vgl. nur Kindhäuser, AT, 5. Aufl. 2011, § 30/26 ff. m.w.N., auch zur Gegenauffassung).
d) Bzgl. der Einordnung des kremierten Zahngoldes als „Asche“ kann die Argumentation des OLG Hamburg ebenfalls überzeugen: Die Wortlautgrenze ist solange nicht erreicht, wie zumindest nach einem möglichen (und einigermaßen verbreiteten) Wortsinn die Goldreste als „Asche“ bezeichnet werden können. Die ergänzende Begründung des Gerichts, wonach es nicht einsichtig wäre, dass das Zahngold bei einer Feuerbestattung anders zu schützen sei als bei einer Erdbestattung, unterstützt dieses Wortlautergebnis noch unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten. Eine nicht ganz unbedenkliche Konsequenz ist freilich, dass der Täter, der – durchaus nachvollziehbar – den Begriff der Asche in dem engeren Sinne lediglich als „pulverigen staubartigen Verbrennungsrückstand“ versteht, keinem Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB unterliegt, wenn er die Zahngoldrückstände mitnimmt, sondern sich nur in einem Subsumtionsirrtum befindet, der allein zur Anwendung des § 17 StGB führt.

21.06.2012/6 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-06-21 10:00:392012-06-21 10:00:39OLG Hamburg: Zur Strafbarkeit der Entnahme von Zahngold nach Einäscherung eines Verstorbenen
Christian Muders

Der Wegnahmebegriff und seine Anwendung im Strafrecht BT

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Der Begriff der Wegnahme begegnet uns im Strafrecht an verschiedenen, teils eminent wichtigen Stellen. Der Beitrag hat nicht den Ehrgeiz vertieft irgendwelche inhaltlichen Streitfragen zu erläutern, sondern möchte lediglich einen kurzen Überblick über einige Aufbaufragen für die Klausur anhand dreier relevanter Tatbestände behandeln – wobei allerdings, wie zu sehen sein wird, um kurze Hinweise zu inhaltlichen Kontroversen nicht herumzukommen ist.
1. Tatbestand: der Diebstahl, § 242 StGB.
§ 242 StGB ist der „klassische“ Fall für unseren Wegnahmebegriff – und häufig in diversen Klausuren zu bearbeiten. Bekanntlich wird die Wegnahme hier als „Bruch fremden und Begründung neuen (nicht unbedingt tätereigenen) Gewahrsams“ definiert. Als Marschroute in der Klausur bietet sich insofern ein Dreischritt an: 1. Bestand vor der Tathandlung des Täters fremder Gewahrsam eines Dritten? 2. Wurde dieser Gewahrsam gebrochen? 3. Wurde neuer Gewahrsam begründet? Bei der ersten Frage, nämlich dem Bestehen von Drittgewahrsam, ist dann die Definition des Gewahrsams („tatsächliche Sachherrschaft, getragen von einem natürlichen Besitzwillen, in ihrem Umfang von der Verkehrsanschauung bestimmt“) unterzubringen. Der mittlere Prüfungsschritt lässt sich wiederum aufteilen in zwei Unterprüfungsschritte, ausgehend von der Definition des Gewahrsamsbruchs: „Bruch ist die a) Aufhebung des bisherigen Gewahrsams b) ohne den Willen des alten Gewahrsamsinhabers.“ Im letzten Akt schließlich ist noch kurz (und regelmäßig unproblematisch) festzustellen, ob das Tatobjekt in eine neue Gewahrsamssphäre übergegangen ist, wofür wieder auf die Definition aus dem ersten Prüfungsschritt zurückgegriffen werden kann, die demgemäß nicht noch einmal neu zu wiederholen ist.
Alternativ zu diesem Prüfungsprogramm besteht auch die Möglichkeit, zunächst die Aufhebung und Neubegründung des Gewahrsams zu untersuchen, um erst im letzten Schritt zu prüfen, ob diese Gewahrsamsverlagerung ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers, also tatsächlich als „Bruch“ geschah. Diese Variante kann insofern einen Vorzug bieten, als Aufhebung des Alt- und Begründung des Neugewahrsams regelmäßig in einem Atemzug erfolgen, so dass die zeitlich enge Verbindung zwischen diesen Schritten deutlich ist und zudem etwas Schreibarbeit gespart wird. Allerdings ist zu bedenken, dass die Aufhebung des Altgewahrsams und die Begründung von Neugewahrsam nicht zwingend stets in einem Schritt erfolgen. So ist etwa an den Fall zu denken, dass der Täter T auf ein umschlossenes Werkgelände eindringt und dort einen Zementsack, den er sich zueignen will, über die Werksmauer auf die andere Seite wirft, um ihn später abholen zu können: Hier ist die Aufhebung des bisherigen Gewahrsams bereits mit dem Werfen des Zementsacks über die Mauer und damit hinaus aus der räumlichen Herrschaftssphäre des Werksinhabers eingetreten; die Neubegründung des Gewahrsams und mithin die Vollendung des Diebstahls erfolgen hingegen erst, wenn der T später das begehrte Objekt außerhalb der Werksmauern an sich nimmt. Neben diesem Merkposten spricht für die zuerst dargestellte Abfolge der Prüfungsschritte, dass sie der gesetzlichen Definition und zeitlichen Reihenfolge folgt: Ansonsten wird die Definition des Bruchs auseinandergerissen und (teilweise) mit der Neubegründung des Gewahrsams „vermengt“, was durchaus zu leichten Konfusionen im Gutachtenaufbau führen kann.
2. Tatbestand: der Raub, § 249 StGB.
Der Raub ist ein weiterer wichtiger Tatbestand, der sowohl in der universitären Ausbildung als auch im Examen häufig auftaucht. Grundsätzlich ist im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme zu sagen, dass die Definition der obigen Darstellung, inkl. der einzelnen Unterdefinitionen, entspricht. Dazu passt, dass weit überwiegend vertreten wird, der Raub sei ein aus Nötigung und Diebstahl zusammengesetztes, wenn auch eigenständiges Delikt (dazu nur Kindhäuser, BT II, 6. Aufl. 2011, § 13/1).
Im Hinblick auf die Frage, ob eine Gewahrsamsaufhebung und -neubegründung durch den Täter vorliegt, ergeben sich auch keine Besonderheiten. Problematisch kann allerdings das Merkmal der Aufhebung „ohne den Willen“, also ohne ein (tatbestandsausschließendes) Einverständnis sein. Insofern ist man zunächst geneigt anzunehmen, dass ein solches Einverständnis beim Raub eigentlich nie vorliegen könne, da auf den Willen des Opfers ja qua qualifizierter Nötigungshandlung (Gewalt gegen eine Person/Drohung gegen Leib oder Leben) eingewirkt wird. Indes scheint uns die beim Wegnahmebegriff zusätzlich vorzunehmende standardmäßige Abgrenzung zu einem verwandten Delikt, nämlich der räuberischen Erpressung, Gegenteiliges zu lehren: Auch dort sind die angewandten Nötigungsmittel identisch und dennoch soll eine „Verfügung“ des Opfers möglich sein, die, folgt man dem Exklusivitätsdogma der h.L., eine Wegnahme qua „Einverständnis“ mit dem Gewahrsamswechsel bei der Abpressung von Sachen ausschließt. Demgemäß wäre also auch ein abgenötigtes Einverständnis wirksam, was aber wiederum der allgemeinen Lehre, wonach ein Einverständnis zwar ggf. täuschungs-, nicht aber nötigungsresistent ist, zu widersprechen scheint (vgl. hierzu Wessels/Beulke, AT, 32. Aufl. 2002, Rn. 116; MK-Gropp/Sinn, 1. Aufl. 2003, § 240 Rn. 102; Kindhäuser, AT, 5. Aufl. 2011, § 12/50 ff.; a.A. aber offensichtlich Rengier, BT I, 9. Aufl. 2007, § 2/31). Auch kein besseres Bild liefert allerdings das Abgrenzungskriterium der Rspr., die bekanntlich das Vorliegen eine räuberischen Sacherpressung vom Raub nach dem „äußeren Erscheinungsbild“ (wegnehmen oder weggeben?) unterscheidet: Denn wenn man streng nach der allgemeine Definition der Wegnahme geht, kommt es nur auf den Gewahrsamswechsel ohne Einverständnis des Opfers an, nicht auch darauf, wer diesen (äußerlich) vollzieht (a.A. aber Mitsch, BT, 2. Aufl. 2003, § 3/16): Aufgrund der vorangehenden Nötigung durch den Täter kann nämlich auch eine eigenhändige Gewahrsamsaufhebung durch das Opfer nicht diesem selbst, sondern allein dem Täter zugerechnet werden (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Der in diese Feststellung stoßende Vorschlag von Otto (BT, 7. Aufl. 2005, § 46/11), der den konsequenten Weg geht, beim Raub einen anderen Begriff der Wegnahme als bei § 242 StGB zugrundezulegen, erscheint aber wiederum insofern zweifelhaft, als dies der fast durchgängig vertretenen These widerspricht, dass der Wegnahmebegriff bei Raub und Diebstahl identisch ist (s.o.).
Auf diese missliche Lage, dass nämlich die Kriterien zur Abgrenzung von Raub und räuberische Erpressung nicht exakt auf die gemeinhin verwendete Wegnahmedefinition zu passen scheinen, die Abgrenzung aber dennoch an eben dieser Stelle zu leisten ist, kann man m.E. folgendermaßen reagieren: Zunächst sollte man – entgegen dem oben für den Diebstahl aufgeführten Prüfungsprogramm – beim Raub den unproblematischen Teil der Wegnahme, nämlich die Aufhebung und Neubegründung des Gewahrsams, in einen ersten Prüfungspunkt vorziehen. Im Anschluss ist dann zu der Frage Stellung zu nehmen, ob dieser Gewahrsamswechsel auch als „Bruch“, also ohne Einverständnis des Opfers erfolgt ist. Diese Veränderung der Prüfungsreihenfolge lässt sich mit der Erwägung rechtfertigen, dass beim Raub regelmäßig nicht der Gewahrsamswechsel an sich (und eigentlich auch nicht die Unfreiheit desselben, s.o.) problematisch ist, sondern die Abgrenzung zur räuberischen Erpressung. Bei dem zweiten Prüfungspunkt des Bruchs sind dann die Abgrenzungskriterien von Rspr. und h.L. unterzubringen, wobei man etwa folgendermaßen formulieren könnte: „Fraglich ist, ob dieser Gewahrsamswechsel auch durch Bruch, nämlich – in Abgrenzung zur räuberischen Sacherpressung (§§ 253 Abs. 1, 255 StGB) – ohne Einverständnis des Opfers, erfolgt ist.“ Hiernach kann dann die Erfassung des Bruchs durch die Rspr., nämlich als eine allein im äußeren Geschehen verhaftete „Wegnahme“, und die von der h.L. bekleidete Position, wonach auf die innere Willensrichtung abzustellen ist, dargestellt werden, inkl. der konkreten Sachverhaltssubsumtion. Der ausdrückliche Verweis auf die Abgrenzung zur räuberischen Erpressung macht dabei deutlich, dass man den Prüfungspunkt des Einverständnisses hier in einem – je nach Auffassung – ggf. leicht abgewandelten Verständnis zum Normalfall heranzieht (vgl. auch Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 249 Rn. 8 ff; demgegenüber ist natürlich dann kein „angepasstes“ Verständnis erforderlich, wenn man wie Rengier, a.a.O. ein Einverständnis auch bei einer abgenötigten Übergabe als gegeben sieht [Harmonie mit dem Verfügungskriterium der h.L.] oder wie bei Mitsch, a.a.O. das Abstellen allein auf den äußeren Vollzug des Gewahrsamswechsels als mit der hergebrachten Wegnahmedefinition für vereinbar hält [Harmonie mit dem Kriterium der Rspr.]).
3. Tatbestand: die Pfandkehr, § 289 StGB.
Als letztes Delikt in unserem Streifzug soll noch kurz die Pfandkehr beleuchtet werden, die ebenfalls fordert, dass der Täter eine bestimmte Sache „wegnimmt“, und zwar als Eigentümer oder zumindest zugunsten desselben – bereits ein Fingerzeig, dass durch diesen Tatbestand abweichend zu den vorgenannten Delikten nicht der dingliche Vollrechtsinhaber, sondern sonstige (dinglich oder obligatorisch) berechtige Personen geschützt werden. Führt die Pfandkehr auch in der strafrechtlichen Ausbildung regelmäßig ein Schattendasein, so dürfte das Erkennen ihres Vorliegens in Klausur und mündlicher Prüfung regelmäßig mit einem wohlwollenden Punkteregen goutiert werden – dies gilt umso mehr, als entgegen der irreführenden gesetzlichen Überschrift der Tatbestand nicht nur beim Eingriff in (Faust-)Pfandrechte Dritter verwirklicht wird, sondern auch bei der Vereitelung von Gebrauchsrechten wie Miete oder Leasing sowie bei Zurückbehaltungsrechten (§§ 273, 320, 1000 BGB) zum Zuge kommt.
Bzgl. des Wegnahmebegriffs ist nun bedeutsam, dass dieser im Fall der Pfandkehr in Abkehr zum entsprechenden Begriff bei §§ 242, 249 StGB, zumindest nach h.L. und Rspr., nicht zwingend einen Gewahrsamsbruch im engeren Sinne erfordert (Kindhäuser, BT II, 6. Aufl. 2011, § 10/8 f. m.w.N.) – auch wenn ein solcher selbstverständlich unschädlich ist! So sollen insbesondere auch besitz- und damit gleichzeitig gewahrsamslose Pfandrechte, namentlich des Vermieters (§§ 562 ff BGB) und Verpächters (§ 581 Abs. 2 i.V.m. §§ 562 ff BGB), geschützt werden. Ausreichend ist danach, dass das Tatobjekt aus dem „Machtbereich“ des geschützten Rechtsinhabers entfernt wird, was etwa beim häufig vorkommenden Vermieterpfandrecht unproblematisch dann der Fall ist, wenn der Gegenstand aus der vermieteten Räumlichkeit oder von dem vermieteten Grundstück weggeschafft wird (nebenbei bemerkt: Der Vermieter hat hiergegen ein Selbsthilferecht, § 562b Abs. 1 S. 1 BGB, das in der Strafrechtsklausur als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt). In der Fallbearbeitung bietet es sich an, nach der hypothetischen Fragestellung, ob eine taugliche Tathandlung vorliegt, zunächst die allgemeingültige Wegnahmedefinition als „Grundsatz“ bzw. i.S.e. „Jedenfalls“-Sentenz abzuspulen und bei Problemfällen dann im ersten Schritt – der Frage nach dem Altgewahrsam – darzustellen, dass ein Gewahrsamsverhältnis (etwa des Vermieters) gerade nicht vorliegt. Sodann ist in einem weiteren Prüfungspunkt zu fragen, ob ein solches Gewahrsamsverhältnis bei § 289 StGB überhaupt erforderlich ist (dafür etwa Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 289 Rn. 3), oder ob nicht etwa auch ein ähnliches „Gewaltverhältnis“, das gebrochen wird, ausreicht – letzteres kann etwa damit begründet werden, dass das Gesetz nicht zwischen Faustpfand- und besitzlosen Pfandrechten unterscheidet, letztere aber demgemäß ebenfalls von § 289 StGB geschützt sein müssen (vgl. etwa MK-Maier, 1. Aufl. 2006, § 289 Rn. 15). Im Übrigen kann sicherlich auch in der mündlichen Prüfung bei der Frage, ob für die Wegnahme ausnahmslos ein Gewahrsamsbruch erforderlich ist, mit dem Hinweis auf die gegenteilige Rspr. bei § 289 StGB gepunktet werden.

29.05.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-05-29 09:34:162012-05-29 09:34:16Der Wegnahmebegriff und seine Anwendung im Strafrecht BT
Dr. Stephan Pötters

Außerordentliche Kündigung wegen „Diebstahl“ von Brotaufstrich?

Arbeitsrecht, Strafrecht

Der Diebstahl geringwertiger Sachen als Anlass für eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses hat sich mittlerweile zu einem echten Dauerbrenner entwickelt. Nachdem wir bereits ausführlich über den Pfandbon-/Emmely-Fall berichtet haben, folgt nun ein neuer Sachverhalt, bei dem allerdings im Unterschied zur Pfandbon-Geschichte keine Verdachtskündigung vorlag, sondern der Diebstahl bewiesen war.
LAG Hamm: Kündigung unverhältnismäßig
Das LAG Hamm (Urteil vom 18.09.2009 – 13 Sa 640/09) entschied nun, dass eine außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig sei, wenn ein Bäcker lediglich den Brotaufstrich seiner Arbeitgebers verzehrt habe, ohne diesen zuvor zu bezahlen. Methodisch lässt sich dies im Gutachten im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall festmachen.
Nachdem die Rechtsprechung in letzter Zeit noch sehr streng bei ähnlichen Sachverhalten war, scheint sich nun eine etwas großzügigere Haltung durchzusetzten.
Der Fall gibt Anlass, sich noch einmal mit den Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung im Arbeitsrecht auseinander zu setzen (der Emmely-Fall kam letzten Monat im Vortrag in der mündlichen Prüfung in NRW dran!).  Aus strafrechtliches Sicht ist noch interessant, ob beim Verzehr fremder Sachen überhaupt ein Diebstahl vorliegt. Man könnte insofern an der Zueignungsabsicht zweifeln. Grundsätzlich fehlt nämlich die Aneignungskomponente, wenn der Täter die Sache direkt zerstören möchte (dann lediglich Sachbeschädigung). Die beabsichtigte Zerstörung einer Sache kann aber ausnahmsweise die Aneignungskomponente begründen, wenn der Täter gerade durch die Zerstörung den wirtschaftlichen Wert der Sache erlangen will. Dies ist nach ganz hM beim Verzehr fremder Sachen der Fall. Das Sich-Einverleiben sei eine besonders starke Form des Sich-Zueignens.

19.09.2009/2 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-09-19 09:29:082009-09-19 09:29:08Außerordentliche Kündigung wegen „Diebstahl“ von Brotaufstrich?

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