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Schlagwortarchiv für: Strafrecht

Gastautor

Das Betäubungsmittelstrafrecht – Ein Überblick über Begriff, Menge und Straftatbestände

Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Volljuristin. Ihr Studium und Referendariat absolvierte sie in Düsseldorf.

Ist das Betäubungsmittelstrafrecht – zumindest als Lehrmaterie – im Studium noch völlig unbekannt, so erhält es spätestens im Referendariat eine große Relevanz. Denn nicht zuletzt in der Strafstation, in der als Referendarin plötzlich die Rolle einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwaltes zu übernehmen ist, kommt es zu einer Konfrontation mit genau diesem strafrechtlichen Nebengebiet. Vor den Strafrichterinnen finden sich gerne verschiedenste Ausprägungen von Täterinnen, die mit dem Betäubungsmittelstrafrecht in Berührung gekommen sind. Sei es ein einmaliger Erwerb zur Erprobung, seien es Hobby-Kifferinnen oder sogar Kleindealer*innen, die am jeweiligen Hauptbahnhof ihre Runden drehen.

I. Der Begriff des „Betäubungsmittels“

Um in die Materie einzusteigen, drängt sich jedoch zunächst eine erste Frage auf: Wie wird überhaupt der Begriff des „Betäubungsmittels“ im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) bestimmt? Welche Substanzen dürfen denn gerade nicht hergestellt, verkauft oder erworben werden? Auf eine Legaldefinition hofft man hier vergeblich; es gibt keine abstrakt-generellen Merkmale, anhand derer eine Begriffsdefinition stattfindet (vgl. BeckOK BtMG/Exner BtMG § 1 Rn. 1). Um dieses Rätsel zu lösen, lohnt sich jedoch ein Blick in § 1 Abs. 1 BtMG und davon gleich weiter in die Anlagen I bis III. Denn: Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Um die Schnelligkeit der Drogenszene hinsichtlich der Kreation neuer Suchtstoffe aber nicht außer Acht zu lassen, gibt es in § 1 BtMG noch die Abs. 2- 4, die eine Verordnungsermächtigung enthalten und die Bundesregierung ermächtigen, noch kurzfristig den Begriff des Betäubungsmittels über die Positivliste der Anlagen I-III hinaus zu weiten (vgl. JuS 2019, 211f.).

Mit Blick auf diese Anlagen fallen nun mehrere Dinge auf: Was viele erleichtern mag, sogenannte Genussdrogen (womit Alkohol, Koffein und Nikotin gemeint sind) sind keine Betäubungsmittel und nicht von der Positivliste umfasst. Ebenso nicht umfasst, sind solche Mittel des täglichen Lebens, die auf zweckentfremdende Weise wie beispielsweise mittels Inhalierens zum Rauschmittel gemacht werden. Man denke hier an das bekannte Phänomen des „Klebstoff-Schnüffelns“. Die Positivliste zeigt auf, nur besonders gefährliche psychotrop wirksame Stoffe und Zubereitungen sind als Betäubungsmittel erfasst (vgl. BeckOK BtMG/Exner BtMG § 1 Rn. 6). Diese werden wiederum in einer Dreiteilung aufgeführt: In Anlage I nicht verkehrsfähige, mithin medizinisch ungeeignete, gesundheitsschädliche Stoffe (zB Psilobycin-Pilze), in Anlage II verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Stoffe (zB Metamphetamin), in Anlage III verkehrsfähige und verschreibungsfähige Stoffe (zB Tilidin).

II. Die Mengenbegriffe des BtMG

Ist nun die Einordnung als Betäubungsmittel erfolgreich vorgenommen, stellt sich auch schon die zweite große Frage: In welcher Menge liegt das Betäubungsmittel im konkreten Fall vor? Denn das Betäubungsmittelstrafrecht ist nicht nur von der Art, sondern auch von der Menge des Rauschgiftes geprägt. Die jeweilige Menge gilt als Indikator für den Unrechtsgehalt der Tat (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG Vorb. zu § 29 Rn 14) und wirkt sich somit auf die tatbestandliche Einordnung und die Rechtsfolgen aus. Dabei wird zwischen drei Mengenbegriffen differenziert: die geringe Menge, die nicht geringe Menge und die normale Menge. Die geringe Menge findet in den § 29 Abs. 5 und § 31a BtMG Erwähnung und ermöglicht unter Umständen das Absehen von Verfolgung oder Bestrafung. Unter der geringen Menge versteht man eine solche, die zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG Vorb. zu § 29a Rn.16). Die Grenzwerte sind je nach Betäubungsmittel verschieden und richten sich vorrangig nach dem Wirkstoffgehalt. Für einige Betäubungsmittel haben die Obergerichte entsprechende Grenzwerte festgelegt; im Übrigen ermittelt sich dieser regelmäßig aus dem Dreifachen einer Konsumeinheit des jeweiligen Betäubungsmittels für durchschnittliche Konsument*innen (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG Vorb. zu § 29a Rn.17). Die nicht geringe Menge liegt bei sichtlichem Überschreiten der geringen Menge vor und katapultiert den Deliktscharakter von einem Vergehen auf ein Verbrechen. Das zeigen die §§ 29a ff. BtMG.Auch hierzu haben die Obergerichte einige Grenzwerte festgelegt. Die normale Menge erfasst den Raum zwischen der geringen und der nicht geringen Menge. Sie ist gesetzlich nicht normiert, findet sich aber in § 29 BtMG wieder (vgl. JA 2011, 613f.).

III. Die wichtigsten Straftatbestände

In den §§ 29 bis 30b BtMG sind die Straftatbestände des BtMG normiert. Dabei ist § 29 BtMG in Form eines Vergehenstatbestandes der Grundtatbestand und enthält eine umfangreiche Aufzählung von Handlungsmodalitäten, die unter Strafe gestellt sind. Dabei umfasst die Norm strafbare Verhaltensweisen für Konsumentinnen (zB „erwirbt“) sowie für Versorgerinnen (zB „veräußert“). Regelmäßig relevant werden dabei die Varianten des § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BtMG. In diese lohnt sich ein Blick. Die darauffolgenden §§ 29a ff. haben als Qualifikationen Verbrechenscharakter. Dass es eine so umfassende Normierung von Handlungsmodalitäten gibt, ist darauf zurückzuführen, dass Schutzgut der Straftatbestände die menschliche Gesundheit ist und daher möglichst jeder Kontakt zu Betäubungsmitteln strafrechtlich erfasst werden sollte (vgl. JA 2011, 614). Auch aus diesem Grund ist eine extensive Auslegung der Tatbestände vorzunehmen.

IV. Der Grundtatbestand

Da § 29 BtMG ein sehr umfangreicher Grundtatbestand ist, konzentrieren wir uns hier auf die praxisrelevantesten Handlungsmodalitäten: § 29 Abs. 1 Nr. 3, der erlaubnislose Besitz von Betäubungsmitteln, dient als Auffangtatbestand und soll dort Strafbarkeitslücken schließen, wo unklar ist, wie – also durch welche Handlung – es zu dem letztlich feststehenden Besitz gekommen ist. Erforderlich ist nur noch die tatsächliche Verfügungsmacht (vgl. JuS 2019, 214). Mit der Nr. 3 wurde mithin eine Beweiserleichterung für die Strafverfolgungsbehörden geschaffen (vgl. BeckOK BtMG/Wettley BtMG § 29 Rn 472). In allen anderen Fällen, in denen sich die Erlangung der Betäubungsmittel aufschlüsseln lässt, ist Nr. 3 nicht mehr anzuwenden. Weshalb wir uns nun Nr. 1 zuwenden. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG wird bestraft, wer Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft. Eigentlich ist diese Aufzählung trotz der verschiedensten Varianten sehr einfach: sobald man unerlaubt, also ohne behördliche Erlaubnis, in Kontakt mit Betäubungsmitteln kommt, ist das schlecht. Von besonderer Bedeutung ist aber das Handeltreiben. Denn dieses ist Dreh- und Angelpunkt für die effektive Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität. Das Handeltreiben setzt nämlich nicht den Erfolg eines Absatzes voraus, sondern umfasst alle Stadien, die einem Absatzgeschäft vorausgehen (vgl. BeckOK BtMG/Becker BtMG § 29 Rn. 53f.). Mit dem Handeltreiben wird damit ein ganzes Bouqet an strafwürdigem Verhalten erfasst, was die Abgrenzung zwischen Vollendung und Versuch sowie Täterschaft und Teilnahme oftmals erschwert. Ausreichend kann so beispielsweise bereits die erfolglose Bemühung um einen Ankauf von Betäubungsmitteln für einen späteren Weiterverkauf sein (JuS 2019, 214).

V. Die Verbrechenstatbestände

Was muss nun passieren, damit aus diesem Grundtatbestand ein Verbrechen wird? Das wiederum zeigen die §§ 29a, 30 und 30a BtMG. Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr werden Personen bestraft, die über 21 Jahre alt sind und Betäubungsmittel an solche Personen abgeben, verabreichen oder überlassen die unter 18 Jahre alt sind (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) sowie Personen, die – unabhängig vom Alter – mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge agieren (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Die Qualifizierung zum Verbrechen beruht damit im Falle der Nr. 1 auf der gehobenen Verwerflichkeit, als erwachsene Person Minderjährigen Betäubungsmittel zur Verfügung zu stellen und das unabhängig davon, ob dies in der Funktion als Dealer*in oder im privaten Umfeld erfolgt (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG § 29a Rn. 1,2). Minderjährige sind immer besonders schutzwürdig und dürfen nicht zur Sucht „verführt“ werden. Im Falle der Nr. 2 beruht die Qualifizierung auf der unüblich hohen Menge. Einen weiteren Qualifikationstatbestand normiert § 30 BtMG, der seinen Verbrechenscharakter jedoch aus anderen Umständen erhält: Im Fokus stehen bei § 30 Abs. 1 BtMG eine Bandenmitgliedschaft, Gewerbsmäßigkeit, das leichtfertige Verursachen des Todes (Achtung: hierbei handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation) und – hier zeigt sich ein Muster – das Einführen einer nicht geringen Menge an Betäubungsmitteln. Der Strafrahmen steigt im Gegensatz zu § 29a BtMG auf eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Um sowohl die Bande als auch die Gewerbsmäßigkeit zu definieren, kann einfach auf die Definitionen des allgemeinen Vermögensstrafrechts zurückgegriffen werden (vgl. JuS 2019, 213). Fallen nun Bandenmitgliedschaft und nicht geringe Menge zusammen, wird § 30a Abs. 1 BtMG relevant und der Strafrahmen steigt erneut, nun auf ein Mindestmaß einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Wichtig ist, dass sich die Bandenabrede auch auf genau diese nicht geringe Menge beziehen muss (vgl. MüKoStGB/Oğlakcıoğlu BtMG § 30a Rn. 16). § 30a Abs. 2 BtMG ähnelt § 29a Abs. 1 BtMG. So wird in Nr. 1 wieder auf das Erwachsenen-Minderjährigen-Verhältnis abgestellt, allerdings mit dem Unterschied, dass es sich bei § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG um eine Anstiftungshandlung („bestimmt“) handelt. Die betroffenen Minderjährigen sollen nun auch noch für die erwachsene Person im Drogenmilieu tätig werden. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG kombiniert nun das Mitsichführen einer Schusswaffe oder sonstiger Gegenstände mit dem Agieren mit einer nicht geringen Menge. § 30b BtMG ist kein eigenständiger Straftatbestand, sondern weitet den Anwendungsbereich des § 129 StGB aus (vgl. BeckOK BtMG/Schmidt BtMG § 30b Vorb.). Relevant wird dies im Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität.

Wichtig ist stets, die Normen genau zu lesen, denn die Handlungsmodalitäten, die vom Grundtatbestand übernommen werden, variieren bei den Qualifikationen stets. Nicht immer sind alle Modalitäten erfasst; meist sogar nur eine Auswahl. Außerdem hat der Gesetzgeber ausreichend Gebrauch von minder schweren Fällen gemacht, wie sich meist am Ende der jeweiligen Norm zeigt.

VI. Konkurrenzen

Mit Blick auf die Handlungsmodalitäten des § 29 Abs. 1 BtMG und dabei insbesondere auf das unerlaubte Handeltreiben, ist leicht vorstellbar, dass mehrere Handlungsmodalitäten, die sich auf ein und dasselbe Betäubungsmittel beziehen, hintereinander auftreten können. Dies führt uns zu der Frage: Wie ist dieser Umstand konkurrenzrechtlich zu bewerten? Im Betäubungsmittelstrafrecht existiert die sogenannte Bewertungseinheit, die einen Fall der tatbestandlichen Handlungseinheit darstellt (vgl. BeckOK BtMG/Becker BtMG § 29 Rn 103-105). So wird beispielsweise Anbau, Lagerung, Transport und Verkauf einer bestimmten Rauschgiftmenge zu einer Tat, nämlich dem Handeltreiben zusammengefasst.

Das Betäubungsmittelstrafrecht ist folglich kein zu unterschätzendes strafrechtliches Nebengebiet, das sowohl in seinem Zweck herausragende Bedeutung innehat als auch in seiner Anwendung einige Abgrenzungsschwierigkeiten bereithält. Gerade in der Praxis sind die Strafverfolgungsbehörden einigen Hürden ausgesetzt und nicht stets ist zweifelsfrei zu klären, ob beispielsweise gewerbsmäßig gehandelt wird, wo die Betäubungsmittel versteckt sind und wer alles Teil der Organisationsstruktur ist.

01.02.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-02-01 10:00:002023-01-25 11:49:57Das Betäubungsmittelstrafrecht – Ein Überblick über Begriff, Menge und Straftatbestände
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Strafrecht August 2022 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Strafrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur Strafrechtsklausur des August-Durchgangs 2022 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Jonathan ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Ihr habt gerade Examen geschrieben, seid mittendrin oder steht kurz davor? Dann helft uns, eine lange Tradition fortzuführen und nachfolgende Generationen von Examenskandidaten zu unterstützen, indem ihr Protokolle eurer eigenen Klausuren unter examensreport@juraexamen.info einreicht.

T arbeitet am Paketband in einem Paketverteilungszentrum der World Parcel Services GmbH (WPS GmbH). Er arbeitet dort seit Jahren und kennt die Abläufe genau. Wenn Mitarbeiter ausstempeln und den Arbeitsplatz verlassen, müssen sie eine Schleuse passieren. Per Zufall wählt an der Schleuse ein Computersystem einzelne Mitarbeiter aus, die dann vom Sicherheitsdienst der WPS GmbH in einem Nebenraum durchsucht werden.
Nach der Durchsuchung kann der Sicherheitsdienstes das Computersignal ausschalten, der Paketarbeiter kann dann nach Hause.
T hat sich überlegt, in Zukunft regelmäßig vor allem kleine, hochwertige Pakete von größeren Technologieunternehmen mitgehen zu lassen. Davon möchte er sich und seiner Freundin gelegentliche Restaurantbesuche und Skiurlaube leisten.

Zufällig kennt T die S, eine Angestellte des Sicherheitsdienstes der WPS GmbH, beide sind Mitglieder im örtlichen Kegelverein. Bei einer abendlichen Runde überredet der T die S, ihn demnächst einfach passieren zu lassen. Auch wenn das Computersignal aufleuchtet, solle S es einfach ausschalten und den T ohne Durchsuchung gehen lassen.
S hält es für möglich, dass T irgendwie plant, irgendetwas mitgehen zu lassen. Weil T ihr im Gegenzug verspricht, ihr demnächst ein paar Runden Bier auszugeben, fragt sie aber nicht weiter nach.

Wenige Tage später haben T und S gleichzeitig Dienst. Als T ein kleines Paket eines großen Telekommunikationsanbieters sieht, erkennt er darin die perfekte Beute. Die Vereinbarung mit S ist nicht der Grund für seine Entscheidung, gibt  T aber ein gutes Gefühl der Sicherheit, unentdeckt zu bleiben.
Als der Aufseher der WPS GmbH, der das Verteilungszentrum überblickt, gerade wegschaut, greift T das Paket und versteckt es notdürftig unter seiner Jacke. Er begibt sich sofort mit dem Paket in den Toilettenraum. Dort öffnet er das Paket und entnimmt ein brandneues iPhone samt Zubehör. Er steckt das verpackte iPhone in seine Jackentasche. Das Paket selbst war dafür zu groß. 
Das Paket macht er wieder zu und verbringt es zurück aufs Band.

Als seine Schicht vorbei ist, hat S überhaupt nicht mehr Dienst. T passiert die von einem anderen Mitarbeiter bediente Schleuse, wobei kein Signal ausgelöst wird und er auch nicht kontrolliert wird.
Begeistert von seiner Beute macht sich T pläne, das iPhone zu Geld zu machen. Er stellt es in einem Online-Verkaufsportal zu einem Preis von 400 € ein. Er geht davon aus, dass sich angesichts des niedrigen Preises schon keiner Gedanken über die Herkunft des iPhones machen würde und keine Zweifel an der Legitimität aufkommen würden.
Jurastudentin J sieht das iPhone und ist begeistert von dem Schnäppchen. Zutreffend erkennt sie, dass das iPhone einen Wert von 800 € hat. Sie hält es angesichts des beachtlich niedrigen Preises für möglich, dass T das iPhone gestohlen hat oder selber von einem Dieb erworben hat. Da sie sich das Schnäppchen aber keinesfalls entgehen lassen möchte, stellt sie über die Chatfunktion der Plattform Kontakt mit T her. Schnell einigt man sich auf einen Preis von 350 € und einen Übergabeort.

Am Tag der Übergabe hebt J schnell ihr letztes Geld für den Kaufpreis vom Konto ab und begibt sich zum Treffpunkt, wo T schon auf sie wartet. J übergibt ihm die 350 €. Gerade als T ihr das iPhone reichen will, bemerkt J einen Streifenwagen der Polizei. Er hält in Sichtweite des Übergabeortes. J geht nun davon aus, dass sie nach Erhalt des iPhones mit Sicherheit von der Polizei kontrolliert und befragt wird. Als Jurastudentin, meint sie, könne sie sich jedoch keinerlei Ärger mit der Polizei erlauben und nicht in Verbindung mit diesem iPhone geraten. Sie entfernt sich daher ohne das iPhone. Dem verwunderten T wirft sie noch mit der Hand einen Kuss zu.

T geht voller Freude nach Hause, schließlich hat er jetzt das iPhone und das Geld. In seiner Wohnung erwartet ihn seine Freundin R, die alles andere als begeistert davon ist, dass T mal wieder so spät nach Hause kommt. T möchte sie beschwichtigen und versucht, ihr das iPhone zu schenken. R, die sich keinesfalls erklären kann, wie T angesichts seiner dürftigen Finanzlage auf legalem Wege an das Gerät gekommen ist, lehnt das Geschenk ab.
Im Laufe des Abends nimmt R das iPhone aber dennoch an sich. Sie ist überzeugt davon, dass T irgendein krummes Ding gedreht haben muss. Damit T das iPhone nicht wieder hergeben muss, nimmt sie es mit zu sich in die Wohnung, um es T einige Wochen später zurückzugeben. Damit will sie gleichzeitig vermeiden, dass T für diese „Dummheit“ bestraft wird.

Zwei Wochen später kommt es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen T wegen des iPhones zu einer Hausdurchsuchung beim T. Nachdem dort aber nichts hilfreiches gefunden wird, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 170 II StPO mangels hinreichendem Tatverdacht ein.
Erst einige Zeit später kommt es, nachdem die Ermittlungsbehörden von einer Freundin der R einen Tipp erhalten, zu einer Hausdurchsuchung bei R. Das iPhone wird gefunden, schlussendlich wird T wegen der Geschichte zu einer Haftstrafe verurteilt.
Das geschieht allerdings 2 Monate später, als wenn die erste Hausdurchsuchung erfolgreich verlaufen wäre.

Wie haben sich T, S, J und R nach StGB strafbar gemacht?

Delikte nach §§ 202, 261, 303 StGB sind nicht zu prüfen. Auf etwaig erforderliche Strafanträge ist nicht einzugehen, sie wurden gestellt.

15.12.2022/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2022-12-15 07:51:032022-12-23 08:49:41Gedächtnisprotokoll Strafrecht August 2022 NRW
Gastautor

Das Sanktionssystem im Jugendstrafrecht – von Erziehungsmaßregeln bis zur Jugendstrafe

Rechtsgebiete, StPO, Strafrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Sie studierte Rechtswissenschaften in Düsseldorf und ist zurzeit als Rechtsreferendarin am Landgericht Düsseldorf tätig.

Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Jugendstrafe? Einstellen oder aburteilen? Liest man sich erst einmal in die Grundlagen des Jugendstrafrechts ein, fällt auf: Das Jugendstrafrecht hat als Sonderstrafrecht für junge Täter*innen ein ganz eigenes Rechtsfolgensystem. Dieses nachvollziehen zu können, erfordert eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem JGG. Das Jugendstrafrecht geht mit Strafe nämlich deutlich anders um als das Erwachsenenstrafrecht. Es stellt den Erziehungsgedanken in den Vordergrund und nimmt Abstand von negativer Generalprävention. § 5 JGG enthält ein in sich geschlossenes eigenständiges System von Rechtsfolgen. § 5 JGG gilt für Jugendliche und über § 105 Abs. 1 JGG in großen Teilen für Heranwachsende und normiert als mögliche Rechtsfolgen eine Trias aus Erziehungsmaßregeln (§§ 9-12 JGG), Zuchtmitteln (§§ 13- 16 JGG) und der Jugendstrafe (§§ 17 ff. JGG). § 5 Abs. 1 JGG erfasst die reinen Erziehungsmaßnahmen, Abs. 2 die Ahndungsmittel (Zuchtmittel und Jugendstrafe). Wegen des unterschiedlichen Schwerpunktes in der Zielsetzung der Sanktionen sind die Rechtsfolgen des JGG gegenüber denen des Erwachsenenstrafrechts ein „aliud“ (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, § 5 JGG Rn. 2; Eisenberg/Kölbel, JGG, § 5 Rn. 9). Gemäß § 8 JGG können die möglichen Sanktionen auch miteinander kombiniert werden.

I. Erziehungsmaßregeln

Fangen wir vorne an: Erziehungsmaßregeln können aus Anlass der Straftat angeordnet werden. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Erziehungsmaßregeln sind (1) die strafrechtliche Verantwortlichkeit, (2) Erziehungsbedürftigkeit, (3) Erziehungsfähigkeit und (4) Erziehungsbereitschaft. Ob sie angeordnet werden, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes. Entscheidend ist, dass die Erziehungsmaßregeln aus der Sicht des Gerichts nur erzieherische, positiv-präventive Zwecke verfolgen dürfen; Gesichtspunkte der Sühne und Vergeltung dürfen keine Rolle spielen (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, § 9 Rn. 7). Die Erziehungsmaßregeln stehen unter dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie sind nicht dafür bestimmt, das Unrecht der Tat auszugleichen, sondern werden nur aus Anlass der Tat angeordnet. Was genau Erziehungsmaßregeln sind, normiert § 9 JGG: Nr. 1 die Erteilung von Weisungen, Nr. 2 die Anordnung, Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 in Anspruch zu nehmen. Diese Aufzählung ist erschöpfend und gilt gemäß § 105 Abs. 1 JGG auch für Heranwachsende. § 10 JGG definiert wiederum Weisungen als „Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen“. Kommen die Jugendlichen oder Heranwachsenden Weisungen schuldhaft nicht nach, so kann gemäß § 11 Abs. 3 JGG Jugendarrest verhängt werden, wenn eine Belehrung über die Folgen schuldhafter Zuwiderhandlung zuvor erfolgt war. Dieser Arrest wird in der Form des § 16 JGG angeordnet, ist also Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest. Die Erziehungsmaßregel „Hilfe zur Erziehung“ gemäß § 12 JGG wird in § 105 JGG nicht erwähnt und gilt daher nur für Jugendliche.

II. Ahndungsmittel

Reichen Erziehungsmaßregeln hingegen nicht aus, so hat das Gericht auf Ahndungsmittel (Zuchtmittel und Jugendstrafe) zurückzugreifen. Die Ahndungsmittel berücksichtigen neben dem Erziehungsgedanken ebenso die Sanktionszwecke der Sühne und Vergeltung.

III. Zuchtmittel

Auf der zweiten Stufe der Rechtsfolgentrias stehen nun die Zuchtmittel. Zuchtmittel haben nicht die Rechtswirkung einer Strafe. Die Verhängung von Zuchtmitteln setzt voraus, dass einerseits Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen, andererseits die einschneidendere Ahndungsform der Jugendstrafe nicht geboten ist (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, § 13 JGG Rn. 4; Eisenberg/Kölbel, JGG, § 13 Rn. 7 ff.).  § 13 Abs. 2 JGG enthält einen abschließenden Katalog von Zuchtmitteln: Die Verwarnung, die Erteilung von Auflagen und den Jugendarrest. Die Verwarnung gemäß § 14 JGGgilt als mildestes Zuchtmittel. Sie kommt bei leichten Verfehlungen in Betracht. Die Verwarnung kann isoliert ausgesprochen oder mit anderen Maßnahmen kombiniert werden (§ 8 JGG). Die Ermahnung unterscheidet sich von der Verwarnung dadurch, dass sie kein Zuchtmittel ist, formlos erteilt wird und zur Einstellung des Verfahrens führt. Auflagen gemäß § 15 JGG dienen der Ahndung der Tat. Das mit den Auflagen angeordnete Verhalten ist eine echte tatbezogene Sühneleistung mit dem erzieherischen Zweck, den Jugendlichen und Heranwachsenden von weiteren Straftaten abzuhalten. Abs. 1 enthält dabei eine abschließende Regelung der im Jugendstrafrecht zulässigen Auflagen: Schadenswiedergutmachung, Entschuldigung, Arbeitsleistungen und Zahlung eines Geldbetrages. Bei schuldhafter Nichterfüllung von Auflagen kann das Gericht entsprechend § 11 Abs. 3 JGG Jugendarrest als Ungehorsamsarrest verhängen (§ 15 Abs. 3 JGG). Der Jugendarrest gemäß § 16 JGG ist Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, § 16 Rn. 27 ff.) und kann gegen Jugendliche sowie Heranwachsende verhängt werden. Jugendarrest ist kurzzeitiger Freiheitsentzug ohne Rechtswirkungen einer Strafe. Höchstmaß des Dauerarrestes ist ein Zeitraum von vier Wochen. Die oder der Verurteilte gilt nicht als vorbestraft.

IV. Jugendstrafe

In den §§ 17 ff. JGG finden sich die Vorschriften über die Jugendstrafe, dem letzten Glied der Rechtsfolgentrias. Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. Eine Jugendstrafe kann gegen Jugendliche und Heranwachsende verhängt werden. Voraussetzung für die Verhängung ist gemäß § 17 Abs. 2 JGG das Vorliegen einer „schädlichen Neigung“, die in der Tat hervorgetreten ist, das Nichtausreichen von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln zur Erziehung oder die Erforderlichkeit der Strafe aufgrund der Schwere der Schuld. Schädliche Neigungen liegen vor, „wenn bei dem Täter erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel zu beobachten sind, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat angelegt waren und im Zeitpunkt des Urteils noch gegeben sind und deshalb weitere Straftaten befürchten lassen.“ Die besondere Schwere der Schuld ist regelmäßig nur bei Tötungsdelikten oder Delikten mit Todesfolge gegeben. § 18 JGG gibt als Dauer der Jugendstrafe als Mindestmaß 6 Monate, als Höchstmaß 10 Jahre an. Entgegen § 18 Abs. 1 JGG beträgt bei Heranwachsenden die Höchststrafe bis zu zehn Jahren, bei Mord und Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld bis zu 15 Jahren (§ 105 Abs. 3 JGG). Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Dauer der Jugendstrafe nach der erforderlichen erzieherischen Einwirkung zu bemessen. § 18 Abs. 2 JGG steht damit im Kontrast zum Zumessungsprogramm des allgemeinen Strafrechts in § 46 StGB und bildet die Grundlage für eine eigenständige jugendstrafrechtliche Zumessungslehre.

V. Strafaussetzung zur Bewährung

Bei einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht regelmäßig die Vollstreckung der Strafe unter den Voraussetzungen des § 21 JGG zur Bewährung aus. Bei einer günstigen Prognose ist die Strafaussetzung zwingend vorgeschrieben. Voraussetzung für eine günstige Prognose ist die Erwartung, dass die oder der Jugendliche oder Heranwachsende künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird, und zwar aufgrund der Möglichkeiten in der Bewährungszeit und ohne die Einwirkung des Strafvollzuges. Die Strafaussetzung ist sowohl von einer günstigen Sozial- als auch von einer positiven Sanktionsprognose abhängig (vgl. Diemer/Schatz/Sonne, § 21 JGG Rn. 8; Eisenberg/Kölbel, JGG, § 21 Rn. 11ff.). Die Höchstgrenze der Strafaussetzung zur Bewährung beträgt zwei Jahre und richtet sich damit nach dem allgemeinen Strafrecht. Die Bewährungszeit darf gemäß § 22 JGG drei Jahre nicht überschreiten und zwei Jahre nicht unterschreiten.  Auflagen und Weisungen nach § 23 JGG sind als flankierende Maßnahmen zu der Strafaussetzung auf Bewährung möglich.

VI. Vorabentscheidung gemäß § 27 JGG

§ 27 JGG normiert keine eigenständige Rechtsfolge des Jugendstrafrechts im strafrechtlichen Sinne. Die Vorschrift erlaubt nur in bestimmten Fällen die Aufspaltung der sonst vorgeschriebenen einheitlichen Entscheidung über die Schuld- und Rechtsfolgenfrage. Hinsichtlich des Schuldspruchs trifft das Gericht eine rechtskraftfähige Vorabentscheidung, während die Rechtsfolgenbestimmung in Ob und Maß zunächst noch aufgeschoben und vom Bewährungsverlauf abhängig gemacht wird (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, § 27 Rn. 2). Inhaltlich regelt die Vorschrift eine Ausnahme von dem Grundsatz „in dubio pro reo“, die dazu führt, dass begründete Zweifel an dem Vorliegen einer schädlichen Neigung im notwendigen Umfang nicht dazu führen, von vornherein in dubio pro reo von einer Jugendstrafe abzusehen, sondern die Entscheidung darüber bis zur endgültigen Gewissheit aufzuschieben. Die Regelung des § 27 JGG soll den Jugendlichen und Heranwachsenden eine Chance bieten, in der Bewährungszeit (§ 28 JGG) zu zeigen, dass die festgestellten schädlichen Neigungen nicht den Umfang haben, den die Verhängung einer Jugendstrafe erfordert. Die Entscheidung nach § 27 JGG wird in das Bundeszentralregister, nicht jedoch in das Führungszeugnis eingetragen. Die Eintragungen werden entfernt, wenn der Schuldspruch getilgt oder in eine Entscheidung einbezogen wird, die in das Erziehungsregister einzutragen ist. Wird die schädliche Neigung im erforderlichen Umfang festgestellt, ist gemäß § 30 Abs. 1 JGG eine Jugendstrafe zu verhängen. Wird diese hingegen nicht festgestellt, wird der Schuldspruch gemäß § 30 Abs. 2 getilgt (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, § 30 Rn. 18, 19).

VII. Aburteilung

Haben sich Jugendliche oder Heranwachsende wegen mehrerer Straftaten strafbar gemacht, setzt das Gericht gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 JGG nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Dabei dürfen die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe nicht überschritten werden.

Wurden mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen begangen und werden diese gleichzeitig abgeurteilt, gilt gemäß § 32 S. 1 JGG einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die auch nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Liegt das Schwergewicht im allgemeinen Strafrecht, so ist dieses anzuwenden.

Welche dieser Sanktionsmittel schlussendlich verhängt werden, liegt im Ermessen des zuständigen Jugendgerichtes. Entscheidend sind neben der Schwere der Tat insbesondere die Reife der Jugendlichen und Heranwachsenden, die Vorschläge der Jugendgerichtshilfe sowie das Nachtatverhalten.

VIII. Einstellungsmöglichkeiten im JGG

Ähnlich wie im Erwachsenenstrafrecht gibt es aber auch im Jugendstrafrecht Einstellungsmöglichkeiten. Es muss also nicht immer jede Verfehlung vor Gericht landen oder auch durch Urteil entschieden werden. § 45 JGG ermöglicht ein Absehen von der Verfolgung.  Die Staatsanwaltschaft kann ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen. § 45 JGG ist eine der wesentlichen Grundlagen der Diversion im Jugendstrafverfahren (vgl. Diemer/Schatz/Sonne, § 45 JGG Rn. 4). § 47 JGG ermöglicht die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht. Eingestellt werden kann, „wenn 1. die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen, 2. eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich macht, bereits durchgeführt oder eingeleitet ist, 3. der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 Abs. 3 Satz 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder 4. der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist.“ Die Einstellung nach § 47 JGG bedarf gemäß Abs. 2 der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, sofern nicht bereits der vorläufigen Einstellung zugestimmt wurde. Einer Zustimmung bedarf es ferner nicht, wenn die Einstellung im vereinfachten Jugendverfahren (§§ 76 ff. JGG) erfolgt und die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat.

In § 2 JGG ist klar normiert, dass der Erziehungsgedanke im Vordergrund zu stehen hat. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten. Dieser Hintergedanke muss bei der Konfrontation mit dem Jugendstrafrecht auch stets beachtet werden. Nur mit diesem Hintergrund kann ein passender Umgang mit Jugendlichen und Heranwachsenden und die Prävention weiterer Taten erreicht werden. Dringend notwendig ist dafür die vertiefte Kenntnis des Sanktionssystems als „aliud“ zum Erwachsenenstrafrecht.

30.11.2022/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-11-30 10:00:002022-12-23 08:49:45Das Sanktionssystem im Jugendstrafrecht – von Erziehungsmaßregeln bis zur Jugendstrafe
Gastautor

Das Jugendstrafrecht – Ein Überblick

Rechtsgebiete, Startseite, StPO, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Sie studierte Rechtswissenschaften in Düsseldorf und ist zurzeit als Rechtsreferendarin am Landgericht Düsseldorf tätig.

Begeht eine Erwachsene oder ein Erwachsener eine Straftat, passiert meist Folgendes: Wir arbeiten uns materiell-rechtlich durch die Straftatbestände des StGB und prozessrechtlich durch die Verfahrensvorschriften der StPO und des GVG. Wir finden die einschlägigen Paragrafen, klagen vor der Strafrichterin oder dem Strafrichter, dem Schöffengericht, dem Landgericht oder sogar Oberlandesgericht an und verhandeln meist öffentlich über die zu erwartende Strafe. Doch was geschieht, wenn die Täterin oder der Täter jünger als 21 Jahre alt ist?

Diese Fragestellung kann beispielsweise in der mündlichen Prüfung auftauchen und wird die Prüflinge häufig überraschend treffen. Denn leider wird dieses strafrechtliche Nebengebiet oftmals  vernachlässigt. Wie dann zu antworten ist, verraten wir im Folgenden:

Unterhalb der magischen Altersgrenze von 21 Jahren ist das Jugendstrafrecht einschlägig. Das Jugendstrafrecht ist ein strafrechtliches Nebengebiet und Sonderstrafrecht für junge Täterinnen. Für Ermittlungs- und Strafverfahren gegen die jungen Täterinnen gelten zwar grundsätzlich die Vorschriften der StPO, aber nur bis zu dem Punkt, an dem das Jugendgerichtsgesetz (JGG) oder allgemeine Grundsätze des JGG vorrangig sind. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht, das auf die Tat bezogen ist, ist das Jugendstrafrecht auf die jeweiligen Täter*innen bezogen. Im Vordergrund steht nicht die Strafe, sondern die Erziehung. Gemäß § 2 Abs. 1 JGG soll die Anwendung des Jugendstrafrechts vor allem erneuten Straftaten von Jugendlichen oder Heranwachsenden (Rückfallkriminalität) entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten. Aus diesem Grund sieht das JGG auch andere Rechtsfolgen vor als das Erwachsenenstrafrecht. Als Rechtsfolgen normiert sind Erziehungsmaßregeln (§§ 9-12 JGG), Zuchtmittel (§§ 13-16a JGG), und die Jugendstrafe (§§ 17 ff. JGG). Aspekte der negativen Generalprävention dürfen allgemein nicht berücksichtigt werden.

I. Anwendbarkeit des JGG

Doch zunächst stellt sich die Frage: Auf wen ist das Jugendstrafrecht anwendbar? Kinder unter 14 Jahren sind nach § 19 StGB schuldunfähig. Diese Schuldunfähigkeit stellt ein Prozesshindernis dar, sodass Kinder unter 14 Jahren strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, § 1 Rn. 10). Im Falle von vermehrter Kinderdelinquenz muss das Verhalten für ein Kind unter 14 Jahren jedoch nicht folgenlos bleiben. Das Jugendamt – insbesondere die jeweils zuständige Jugendgerichtshilfe – kann sich einschalten. Bei der Frage nach dem Anwendungsbereich des JGG hilft § 1 Abs. 2 weiter: „Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.“ Ausschlaggebend ist stets das Alter zum Zeitpunkt der Tat. Das heißt, dass auch eine jetzt 25-jährige Täterin nach Jugendstrafrecht behandelt werden kann, wen sie die Tat eben acht Jahre zuvor begangen hat. Ist zweifelhaft, ob die oder der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden, ergänzt § 1 Abs. 3 JGG. Bei Zweifeln über den genauen Tatzeitpunkt oder über das exakte Geburtsdatum gilt also die jeweils günstigere Rechtsfolge (in dubio pro reo) (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, § 1 JGG Rn. 25; Eisenberg/Kölbel, JGG, § 1 Rn. 3).

II. Gerichtliche Zuständigkeiten

Wer ist nun für dieses Sonderstrafrecht zuständig? Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem allgemeinen Strafverfahrensrecht; sie kann sich mithin nach den §§ 7 ff. StPO richten. Es ist aber in aller Regel das Gericht am Wohnort der Jugendlichen oder Heranwachsenden zuständig. Anders als bei Erwachsenen soll das Verfahren nämlich grundsätzlich bei dem Gericht stattfinden, wo seine Durchführung die Jugendlichen oder Heranwachsenden wegen des jugendlichen Alters am wenigsten belastet und dem die familiengerichtliche Zuständigkeit obliegt. Damit wird auch bezweckt, dass sowohl Jugendliche als auch Heranwachsende stets auf die gleichen Gesichter treffen und auf diese Weise dem Erziehungsgedanken besser Genüge getan werden kann. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den §§ 39, 40 und 41 JGG für Jugendliche, über § 108 Abs. 1 JGG für Heranwachsende. Die Jugendrichterin oder der Jugendrichter ist gemäß § 39 JGG zuständig, wenn nur Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, nach dem JGG zulässige Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Entziehung der Fahrerlaubnis zu erwarten sind.  Gemäß § 39 Abs. 2 JGG darf die Jugendrichterin oder der Jugendrichter auf Jugendstrafe von mehr als einem Jahr nicht erkennen. Das Jugendschöffengericht ist gemäß § 40 JGG zuständig für alle Verfahren, für die nicht die Jugendrichterin oder der Jugendrichter oder die Jugendkammer beim Landgericht zuständig sind. Die Rechtsfolgenkompetenz ist im Gegensatz zum Jugendrichter oder zur Jugendrichterin und allgemeinen Schöffengericht grundsätzlich unbeschränkt. Wendet das Jugendschöffengericht Jugendstrafrecht an, hat es eine unbeschränkte Rechtsfolgenkompetenz und kann bei Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen eine Jugendstrafe bis zur gesetzlichen Höchstgrenze verhängen; wendet es hingegen Erwachsenenstrafrecht an, hat es eine Strafgewalt in Höhe von 4 Jahren (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, § 40 JGG Rn. 2; Eisenberg/Kölbel, JGG, § 40 Rn. 4). Die Jugendkammer ist gemäß § 41 JGG erstinstanzlich zuständig vor allem für die Sachen, die nach allgemeinem Recht vor das Schwurgericht gehören, für umfangreiche Sachen, die die Jugendkammer nach Vorlage durch das Jugendschöffengericht übernommen hat, sowie nach § 103 Abs. 1 JGG für verbundene Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene, sofern für die Erwachsenen die große Strafkammer zuständig wäre. Als Rechtsmittelgericht entscheidet die Jugendkammer über Berufungen gegen Urteile der Jugendrichterin oder des Jugendrichters und des Jugendschöffengerichtes. Sie entscheidet auch über Beschwerden gegen Verfügungen und Entscheidungen der Jugendrichterin oder des Jugendrichters sowie des Jugendschöffengerichtes.

III. Beteiligte im Jugendstrafverfahren

Grundsätzlich finden sich die gleichen Beteiligten im Jugendstrafverfahren, die auch im Erwachsenenstrafverfahren vorzufinden sind: Staatsanwaltschaft, Gericht und gegebenenfalls Verteidigerin. Bei der Staatsanwaltschaft besteht eine eigene Abteilung mit Jugendstaatsanwältinnen, das Gericht ist mit Jugendrichterinnen besetzt und auch die eingesetzten Schöffen sollten pädagogisch qualifiziert sein. Besondere Beteiligte in einem Jugendstrafverfahren ist aber die Jugendgerichtshilfe (JGH) oder auch Jugendhilfe im Strafverfahren (JiS). Die Bezeichnung variiert je nach Jugendamt. Die JGH wird gemäß § 38 JGG von den Jugendämtern in Zusammenwirken mit den Vereinigungen der Jugendhilfe ausgeübt. Die Mitarbeiterinnen der JGH werden durch die Polizei und/oder Staatsanwaltschaft über jedes Verfahren informiert, das gegen Jugendliche oder Heranwachsende eingeleitet worden ist. Sie beraten die Beschuldigten und deren Angehörige, helfen bei Schwierigkeiten, die sich durch das Verfahren ergeben können, interessieren sich für die Persönlichkeit und die besonderen Lebensumstände der Betroffenen. Sie klären Beweggründe für die Straftat und verhelfen dem Gericht zu einem ausgewogenen Urteil, indem sie die Gesprächsergebnisse in Form eines Jugendgerichtshilfeberichtes vorlegen sowie bei der Gerichtsverhandlung eine mündliche Stellungnahme abgeben, verbunden mit einem Vorschlag der zu ergreifenden Maßnahme. Die Zuständigkeit der JGH richtet sich nach dem Wohnort. Bei Minderjährigen ist der Wohnort der Eltern ausschlaggebend, § 87b SGB VIII. Die Zuständigkeiten innerhalb der JGH sind wiederum unterteilt nach Stadtbezirken.

IV. Grundsatz der Nichtöffentlichkeit

Bei einem Jugendstrafverfahren ist ferner § 48 JGG zu beachten. Danach gilt im Jugendstrafverfahren der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. § 48 JGG gilt dabei nicht für Heranwachsende, jedoch kann gemäß § 109 Abs. 1 S. 4 JGG die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn dies „im Interesse des Heranwachsenden geboten“ ist. Maßgeblich für die Anwendung des § 48 JGG ist wiederum das Alter der Angeklagten oder des Angeklagten zur Tatzeit.

V. Strafrechtliche Verantwortlichkeit

Damit schlussendlich Jugendliche strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, muss deren strafrechtliche Verantwortlichkeit positiv festgestellt werden. Gemäß § 3 JGG sind dabei die Einsichtsfähigkeit, Steuerungsfähigkeit und der individuelle Entwicklungsstand zu überprüfen. Ob auch auf Heranwachsende das Jugendstrafrecht anzuwenden ist, entscheidet sich anhand der Kriterien der Marburger-Richtlinie (§ 105 JGG). Kriterien sind unter anderem die mangelhafte Ausbildung der Persönlichkeit, Hilflosigkeit, Naivität, Neigung zu abenteuerlichen Unternehmungen, spielerische Einstellung zur Arbeit, mangelnder Anschluss an Altersgenossen, keine Lebensplanung sowie mangelnde Eigenständigkeit. Wohnen Heranwachsende beispielsweise noch im Elternhaus, haben noch keinen Abschluss und weisen auch sonst keine besondere Selbstständigkeit auf, liegt die Anwendung des Jugendstrafrechts nahe. Es wird also deutlich, dass das Jugendstrafrecht durchaus vom Erwachsenenstrafrecht divergiert. Wo im Erwachsenenstrafrecht der Versuch gescheitert ist, die Täter*innen umzuerziehen, da versucht das Jugendstrafrecht früher anzusetzen und die junge Bevölkerung mit erzieherischen Mitteln und Einfühlungsvermögen zurück auf den gesetzestreuen Weg zu bringen

23.11.2022/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-11-23 10:00:002022-12-23 08:49:55Das Jugendstrafrecht – Ein Überblick
Alexandra Ritter

Abgrenzung von Betrug und Diebstahl

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Allgemein

Betrug, § 263 StGB Diebstahl, § 242 StGB
a) Selbstschädigungsdelikt
b) Bewusste Vermögensverfügung
  Exklusivitätsverhältnisa) Fremdschädigungsdelikt
b) Wegnahme, Gewahrsamsbruch

II. Abgrenzungsfälle

1. Freiwilligkeit der Weggabe

a) Abgrenzungskriterium zwischen Verfügung und Wegnahme:

Innerer Willensrichtung des Opfers

b) Beispiel: Vorgetäuschte Beschlagnahmung

Mangels Freiwilligkeit keine Verfügung, sondern Wegnahme

2. Unmittelbarkeit

Keine Weggabe, wenn noch gelockerter Gewahrsam besteht

3. Abgrenzung von Trickdiebstahl und Dreiecksbetrug: Zurechenbarkeit einer Wegnahme durch einen Dritten

a) BefugnistheorieDritter zur Übertragung des Gewahrsams ermächtigt
b) Faktische NähetheorieTatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Dritten ausreichend
c) LagertheorieDritter steht im Näheverhältnis zu Opfer, Dritter glaubt zudem, im Interesse des Opfers zu handeln

4. Verfügungsbewusstsein:

a) Das Verfügungsbewusstsein muss sich nach h.M. auf einen bestimmten Gegenstand beziehen – kein generelles Verfügungsbewusstsein

b) Täuschung des Opfers über Objekt der Verfügung?

Bsp.: T legt wertvolles Parfüm in einen Karton für günstige Handtücher, die er bezahlt – nach h.M. trotzdem Wegnahme

17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:51:212022-12-23 08:50:23Abgrenzung von Betrug und Diebstahl
Alexandra Ritter

Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 I StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Grundtatbestand, §§ 223 ff.

II. Erfolgsqualifikation

1. Eintritt einer schweren Folge: Tod der verletzten Person

2. Kausalität zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge

3. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang

Spezifische, im Grunddelikt angelegte Gefahr muss sich im Erfolg realisieren

(P): Gefahr der Körperverletzungshandlung oder des Körperverletzungserfolges?

Insb. wichtig für die Frage, ob der Versuch des § 223 StGB erfolgsqualifiziert sein kann!

  • e.A.: Gefahr des Erfolges, d.h. eingetretene Verletzung muss lebensgefährlich sein. Arg.: Wortlaut „verletzte Person“ (Letalitätsthese)
  • h.M.: Handlungsgefahr genügt, Arg.: § 223 StGB erfasst auch Misshandlung; § 224 I Nr. 5 erfasst lebensgefährliche Behandlung; Verweise auch jeweils auf Versuchstatbestände 

4. Mindestens Fahrlässigkeit hinsichtlich schwerer Folge: § 18 StGB

III. Rechtswidrigkeit

IV. Schuld und subjektiver Fahrlässigkeitsvorwurf

17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:28:232022-12-23 08:50:28Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 I StGB)
Alexandra Ritter

Mord (§ 211 StGB)

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Tatbezogene Mordmerkmale (2. Gruppe)

Heimtückisch:

Bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers

Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Ausführungshandlung keines tatsächlichen Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht.

(P): Fähigkeit zum Argwohn

 – Kleinkinder, Bewusstlose (-)

 – Schlafende (+), insofern „Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen“ wurde

(P): Arglosigkeit schutzbereiter Dritter

Wehrlos ist, wer sich infolge der Arglosigkeit nicht oder nur eingeschränkt verteidigen kann.

(P): Weitere Einschränkungen erforderlich?

 – e.M.: Tückisch-verschlagenes Vorgehen

 – a.A.: Besonders verwerflicher Vertrauensbruch

 – Rspr.: Handeln in feindlicher Willensrichtung

Grausam:

Wer dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung unvermeidliche Maß hinausgehen.

Gemeingefährliches Mittel:

Mittel deren Wirkung auf Leib oder Leben einer Mehrzahl anderer Menschen der Täter nach den konkreten Umständen nicht beherrschen kann.

Täterbezogene Mordmerkmale (1. und 3. Gruppe)

Mordlust:

 Der Antrieb zur Tat entspringt dem Wunsch, einen Menschen sterben zu sehen.

Befriedigung des Geschlechtstriebs:

Wer Befriedigung im Tötungsakt selbst sucht; Töten, um seine sexuelle Lust an der Leiche zu befriedigen oder wer die Tötung zur Durchführung des Sexualakts zumindest in Kauf nimmt.

Habgier:

Ungezügeltes und rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis.

Niedrige Beweggründe:

Solche Beweggründe, die auf sittlich tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und menschlich nicht nachvollziehbar sind.

  • Auffangtatbestand
  • Maßgebend ist die Vorstellung der Wertegemeinschaft Deutschlands

Ermöglichungsabsicht:

Wenn die Tötungshandlung notwendiges Mittel zur Ermöglichung einer Straftat ist.

  • Ermöglichung einer gegenüber der Tötung anderen, nicht notwendig eigenen Tat
  • Bzgl. Tötung genügt dolus eventualis

Verdeckungsabsicht:

 Wenn es dem Täter auf die Nichtentdeckung einer Straftat ankommt.

  • Nach h.M. auch bei Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen
  • Verdeckung durch Unterlassen nach h.M. möglich
17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:23:262022-12-23 08:50:34Mord (§ 211 StGB)
Alexandra Ritter

Raub (§ 249 StGB)

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I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Wegnahme einer fremden beweglichen Sache

(P): Abgrenzung zur Räuberischen Erpressung nach §§ 253, 255 StGB

Abgrenzungskriterium:

  • Rspr.: Äußeres Erscheinungsbild
  • h.L.: Innere Willensrichtung des Opfers

b) Qualifiziertes Nötigungsmittel: Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

c) Zusammenhang zwischen Wegnahme und Nötigung

aa) Finalzusammenhang: Nötigung muss aus der Sicht des Täters kausal für die Wegnahme in ihrer konkreten Gestalt werden

bb) Weitere Anforderungen der Rspr.: zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz

b) Zueignungsabsicht

3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:15:392022-10-17 15:15:40Raub (§ 249 StGB)
Alexandra Ritter

Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB)

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Rechtsnatur: persönlicher Strafaufhebungsgrund (ganz h.M.)

I. Kein fehlgeschlagener Versuch

Fehlschlag: Aus Sicht des Täters tatsächlich unmöglich bzw. sinnlos ist im unmittelbaren Fortgang des Geschehens die Tatbestandsverwirklichung noch herbeizuführen

II. Objektive Rücktrittsanforderungen gem. § 24 I (Einzeltäter) oder gem. § 24 II 1 (Tatbeteiligung mehrerer)

III. Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch: § 24 I 1 StGB

Beendet ist ein Versuch, wenn der Täter nach seiner Vorstellung alles Erforderliche zur Tatbestandsverwirklichung getan hat

1. Rücktritt vom unbeendeten Versuch gem. § 24 I Alt. 1 StGB

a) Aufgabe der weiteren Tat: Absehen von weiteren Maßnahmen zur Tatbestandsverwirklichung

b) Freiwilligkeit: Rücktritt erfolgt aus selbstbestimmten, selbstgesetzten Gründen

oder         

2. Rücktritt vom beendeten Versuch gem. § 24 I Alt. 2 StGB

a) Verhinderung der Vollendung: (P): Über die Kausalität hinausgehenden Anforderungen an die Verhinderungshandlung?

b)   Freiwilligkeit

wenn kein kausales Verhindern:

3. Rücktritt vom beendeten Versuch durch Sichbemühen gem. § 24 I 2 StGB

a) Nichtvollendung ohne Zutun

b) Ernsthaftes Bemühen

Täter nimmt eine Handlung vor, die gemessen an der von ihm verwirklichten Gefahr zumindest aus seiner Sicht geeignet ist, die Tatbestandsverwirklichung mit hinreichender Sicherheit zu verhindern

c) Freiwilligkeit

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:00:292022-10-17 15:00:31Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB)
Alexandra Ritter

Betrug (§ 263 StGB)

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I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Täuschung:

Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel der Irreführung über Tatsachen
Tatsachen: Zustände und Ereignisse der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind

b) Irrtum (str. ob Zweifel einem Irrtum entgegenstehen)

c) Vermögensverfügung

Jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt

d) Vermögensschaden

Minderung des Vermögens durch Vergleich vor und nach der Vermögensverfügung

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz bzgl. aller obj. Tatbestandsmerkmale

b) Absicht stoffgleicher und rechtswidriger Bereicherung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafzumessung

V. Ggf. Strafantragserfordernis nach § 263 IV, 247, 248a StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:33:372022-10-17 14:33:39Betrug (§ 263 StGB)
Alexandra Ritter

Die Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO)

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Die Untersuchungshaft wird durch schriftlichen Haftbefehl des Ermittlungsrichters angeordnet: §§ 114, 125 StPO

I. Voraussetzungen nach § 112 StPO

1. Dringender Tatverdacht

Wenn nach aktuellem Stand er Ermittlungen eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist

2. Haftgrund nach § 112 II oder III StPO

Besonderheiten für Haftgrund nach § 112 III StPO: Verfassungskonforme Auslegung – Haftgrund nach § 112 II StPO muss hinzutreten, aber Lockerung der strengen Voraussetzungen an dessen Nachweis

3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: § 112 I 2 StPO

4. Antrag durch Staatsanwaltschaft: § 125 StPO

Ausnahme: Gefahr im Verzug: Möglichkeit Haftbefehl von Amts wegen zu erlassen

II. Rechtsschutz

1. Haftbeschwer: § 304 StPO

Devolutiveffekt, kein Suspensiveffekt

2. Haftprüfungsverfahren: § 117 StPO

Kein Devolutiveffekt, kein Suspensiveffekt

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:22:262022-10-17 14:22:31Die Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO)
Alexandra Ritter

Nötigung (§ 240 StGB)

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I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Nötigungsmittel: Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel (str. ob Gewaltbegriff auch vis absoluta erfasst)

b) Nötigungserfolg: Handeln, Dulden, Unterlassen

c) Nötigungsspezifischer Zusammenhang: Mittel bewirkt Erfolg

2. Subjektiver Tatbestand

Vorsatz (str. Absicht hinsichtlich Erfolgs)

II. Rechtswidrigkeit

1. Rechtfertigungsgründe

2. Verwerflichkeit der Tat, § 240 II StGB

a) Verwerflichkeit des Mittels

b) Verwerflichkeit des Zwecks

c) Verwerflichkeit der Mittel-Zweck-Relation

III. Schuld

IV. Ggf. Strafrahmenverschiebung, § 240 IV StGB (besonders schwerer Fall)

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:17:302022-10-17 14:17:31Nötigung (§ 240 StGB)
Alexandra Ritter

Diebstahl (§ 242 StGB)

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I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tatobjekt: fremde, bewegliche Sache

b) Tathandlung: Wegnahme

aa) fremder Gewahrsam

bb) Bruch dieses Gewahrsams

cc) Begründung neuen Gewahrsams

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz (bzgl. objektiver Tatbestandsmerkmale)

b) Zueignungsabsicht

aa) Vorsatz bzgl. dauerhafter Enteignung (dolus eventualis genügt)

bb) Absicht bzgl. zumindest vorübergehender Aneignung

3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung + Vorsatz

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle, § 243 StGB

1. Verwirklichung eines Regelbeispiels

2. Vorsatz (§ 15 StGB analog; ganz h.M.)

3. Keine Geringwertigkeit der Sache, § 243 II

4. Kein ausnahmsweises Entfallen der Indizwirkung

V. Ggf. Strafantrag gem. § 248a oder § 247 StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:16:532022-10-17 14:16:54Diebstahl (§ 242 StGB)
Alexandra Ritter

Versuch (§§ 22, 23 I StGB)

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I. Vorprüfung

1. Fehlende Deliktsvollendung
2. Versuchsstrafbarkeit (§ 23 I StGB i.V.m. § 12 I, II StGB)

II. Tatbestandsmäßigkeit

1. Tatentschluss
a) Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale
b) Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale

2. Unmittelbares Ansetzen zur Tat
Subjektive Überschreitung der Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ und objektive Vornahme einer Handlung, die keine zusätzlichen wesentlichen Zwischenschritte mehr zur Vollziehung der Tatbestandshandlung erfordert

VI. Rechtswidrigkeit

V. Schuld

VI. Rücktritt
Insb. Rücktritt gem. § 24 StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:15:582022-10-17 14:15:59Versuch (§§ 22, 23 I StGB)
Alexandra Ritter

Körperverletzung (§ 223 I StGB)

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I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Alt. 1: Körperliche Misshandlung: Jede substanzverletzende Behandlung des Körpers, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird

b) Alt. 2: Gesundheitsschädigung: Das Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines vom Normalzustand negativ abweichenden pathologischen Zustands physischer (oder psychischer, str.) Art

c) Kausalität

d) Objektive Zurechnung

2. Subjektiver Tatbestand

Vorsatz

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Ggf. Strafantrag gem. § 230 StGB

V. Qualifikationen

§§ 224, 226 I, II, 227, 340 StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:10:082022-10-17 14:10:09Körperverletzung (§ 223 I StGB)
Dr. Lena Bleckmann

Die Urkundenfälschung, § 267 StGB (Teil 1: Der Urkundsbegriff)

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Uncategorized, Verschiedenes

Die Urkundenfälschung ist ein Delikt, dass für Klausursteller ganz besondere Potentiale bietet und Studierende zuweilen zur Verzweiflung bringen kann. Das liegt weniger an der besonderen Komplexität der Prüfung als daran, dass sie geschickt in Sachverhalten versteckt werden und von den Prüflingen allzu leicht übersehen werden kann. Der mehrteilige Grundlagenbeitrag nennt daher zahlreiche Beispiele, die zwar nicht auswendig gelernt werden müssen, aber Klausur- und Examenskandidaten und -kandidatinnen ein Gespür dafür geben sollen, wann an § 267 BGB zu denken ist.

In diesem ersten Teil soll es zunächst um den Begriff der Urkunde gehen. Hieran hängt viel, sodass sich ein wenig Auswendiglernen am Ende doch nicht vermeiden lässt. Die Definition muss sitzen.

I. Definition und Funktionen

Eine Urkunde ist jede verkörperte, aus sich heraus verständliche, menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen.  

Zentral sind dabei drei Funktionen, die jede Urkunde erfüllen muss und die sich aus dieser Definition herauslesen lassen: Die Perpetuierungsfunktion (in der Definition anlegt im Merkmal der verkörperten, menschlichen Gedankenerklärung), die Beweisfunktion (in der Definition angelegt im Merkmal der Eignung und Bestimmung zum Beweis im Rechtsverkehr) sowie die Garantiefunktion (in der Definition angelegt im Merkmal der Erkennbarkeit des Ausstellers). Der Reihe nach:

1. Perpetuierungsfunktion

Die Urkunde muss eine menschliche Gedankenerklärung mit einer körperlichen Sache verbinden und dadurch gewissermaßen fassbar machen. Zunächst ist daher eine menschliche Gedankenerklärung notwendig. Aus ihr müssen sich menschliche Gedanken erkennen lassen. Durch dieses Merkmal ist die Urkunde insbesondere von einem bloßen Augenscheinsobjekt abzugrenzen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 4).

  • Keine Gedankenerklärungen sind Spuren oder Fingerabdrücke
  • Technische Aufzeichnungen sind nur dann Gedankenerklärungen, wenn sie einem Menschen oder einer juristischen Person zugerechnet werden können, etwa weil die Aufzeichnung von der Person veranlasst wurde und/oder sie sich die enthaltene Erklärung zu Eigen gemacht hat. Die Aufzeichnungen eines Fahrtenschreibers selbst sind beispielsweise noch keine Gedankenerklärung (OLG Karlsruhe, NStZ 2002, 653), der Parkschein aus dem Parkscheinautomaten ist demgegenüber als Erklärung des Betreibers darüber zu werten, dass jemand eine Parkgebühr entrichtet hat (OLG Köln, NJW 2002, 527 f.)
  • Strittig ist die Einordnung von Wertzeichen wie Rabattmarken und Bons (die Urkundseigenschaft ablehnend BayObLG, NJW 1980, 196; a.A. Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 4 m.w.N.)

Die Gedankenerklärung muss nicht so abgefasst sein, dass sie aus sich heraus für jedermann verständlich ist; der Inhalt der Erklärung muss sich nicht vollständig und offensichtlich aus der Urkunde selbst ergeben. Sonst könnten letztlich nur ausführliche Schriftstücke Urkunden sein. Es genügt vielmehr, dass irgendjemand neben dem Aussteller den Erklärungsgehalt nachvollziehen kann. Unter dieser Voraussetzung (der Verständlichkeit der Urkunde jedenfalls für Eingeweihte) genügt etwa auch die Verwendung von Symbolen (siehe auch Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 7).

Neben einer Erklärung erfordert die Urkunde eine gewisse Fixierung, eine Dauerhaftigkeit des „Datenträgers“, also der körperlichen Sache. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Erklärung unveränderlich bzw. unaufhebbar mit der körperlichen Sache verbunden ist.

  • Beispiele, in denen die hinreichende Verkörperung fehlt: Nachrichten in Schnee oder Sand, nur lose mit einer Klarsichtfolie verbundene Kaufsache (OLG Köln, NJW 1979, 729), Tonträger, elektronische Daten
  • Grenzfälle, in denen eine hinreichende Verkörperung noch vorliegt: Mit Bleistift geschrieben Erklärungen, auf eine Kaufsache aufgeklebtes Preisschild
2. Beweisfunktion

Die verkörperte Erklärung muss objektiv beweisgeeignet für eine rechtserhebliche Tatsache sein. Rechtserheblichkeit liegt vor, wenn die Erklärung „allein oder in Verbindung mit anderen Beweismitteln für die Entstehung, Erhaltung, Veränderung oder das Erlöschen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses öffentlicher oder privater Natur von Bedeutung ist“ (so Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 12).

  • Problematisch sind hier insbesondere formnichtige Erklärungen. Wenn durch einen Verstoß gegen die vorgeschriebene Form offensichtlich ist, dass die Erklärung im Rechtsverkehr keine Bedeutung entfaltet, fehlt ihr insoweit die Beweiseignung. Das heißt nicht, dass die Erklärung nicht beweisgeeignet für etwas anderes als den Abschluss des gewollten Rechtsgeschäfts sein kann. Auch kann ein Interesse an dem Beweis des Abschlusses des nichtigen Vertrags bestehen. Ein heilbarer Formverstoß steht der Beweiseignung grds. nicht entgegen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 9).

Daneben muss die Erklärung subjektiv beweisbestimmt sein. Der Aussteller oder Dritte muss die Erklärung also als Beweismittel im Rechtsverkehr einsetzen wollen. Ob es hierzu allein auf den inneren Willen oder aber auf den objektiven Empfängerhorizont ankommt, ist umstritten, in der Klausur aber selten relevant.

  • Hier wird zwischen Absichts- und Zufallsurkunden differenziert. Absichtsurkunden werden mit dem Ziel der Nutzung als Beweismittel hergestellt, so z.B. eine Quittung für einen Zahlungsvorgang. Zufallsurkunden erhalten ihre Beweisbestimmung erst später durch den Aussteller oder Dritte. Der BGH nennt als Beispiel einen Brief des Ehegatten an eine dritte Person als Beweismittel im Scheidungsprozess, BGH, NJW 1959, 2174.

Problematisch ist die Abgrenzung von Beweis- und Kenn- bzw. Unterscheidungszeichen. Letztere sollen allein der Individualisierung oder Unterscheidbarkeit dienen und die Urkundseigenschaft nicht erfüllen. In der Literatur wird die Differenzierung vielfach für ihre Undurchsichtigkeit kritisiert (BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 8; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 20). Für Studierende ist das natürlich misslich, letztlich ist in der Prüfungssituation hierdurch aber häufig auch viel vertretbar. Einige Beispiele zur Sensibilisierung:

  • Kennzeichen ohne Beweisfunktion sollen sein: Garderobenmarken, Autogramme, abgelöste und gestempelte Briefmarken
  • Beweiszeichen sollen sein: Kreidezeichen auf Strandkorb als Markierung für bezahlte Miete, Siegelabdruck eines Weinprüfers, Künstlerzeichen auf Gemälde
  • Siehe diese und weitere Beispiele auch bei BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 8 f.
3. Garantiefunktion

Um die sog. Garantiefunktion zu erfüllen, muss die Erklärung die Person ihres Ausstellers erkennen lassen. Wer Aussteller ist, war früher einmal umstritten. Die Körperlichkeitstheorie, nach der Aussteller derjenige ist, der den Herstellungsakt selbst vollzogen hat, wird heute allerdings soweit ersichtlich nicht mehr vertreten. Vielmehr ist die sog. Geistigkeitstheorie anerkannt, nach der Aussteller derjenige ist, der geistig für die Erklärung einsteht. Anders gesagt: Aussteller ist der, von dem die Erklärung geistig herrührt (BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 13). Die Urkunde muss den Anschein erwecken, dass eine individualisierbare Person für die Erklärung einsteht. Wichtig: Das setzt nicht voraus, dass diese Person tatsächlich existiert!

Die Garantiefunktion ist dann nicht erfüllt, wenn der (scheinbare) geistige Urheber der Erklärung anonym bleibt, also nicht ermittelbar ist.

  • Sog. offene Anonymität liegt vor, wenn der Aussteller sich gar nicht zu erkennen gibt oder offensichtlich hinter einem Decknamen o.ä. versteckt
  • Versteckte Anonymität liegt vor, wenn zwar ein Name angegeben wird, es sich aber um einen Allerweltsnamen handelt und offensichtlich ist, dass die Identität verborgen bleiben soll
  • Das heißt natürlich nicht, dass Menschen mit häufigen Namen keine Urkunden erstellen können. Verstecke Anonymität liegt nur vor, wenn deutlich wird, dass der verwendete Name ein persönliches Einstehen für die Erklärung verhindern soll

II. Sonderformen der Urkunde

Neben der „klassischen“ Urkunde, bei der die verkörperte Gedankenerklärung für sich steht und aus sich heraus alle Merkmale und Funktionen der Urkunde erfüllt (klassisches Beispiel: Zeugnis mit Unterschrift), ist als Sonderform die sog. zusammengesetzte Urkunde anerkannt. Bei der zusammengesetzten Urkunde wird die verkörperte Gedankenerklärung i.d.R. durch ein Bezugsobjekt ergänzt, das selbst nicht die Urkundseigenschaften erfüllt, durch eine räumlich feste Verbindung mit der Gedankenerklärung aber zu einer Beweiseinheit verschmilzt.

  • Beispiele: Aufgeklebtes Preisschild auf Kaufsache, Kennzeichen auf KFZ bzw. TÜV-Prüfplakette auf KFZ-Kennzeichen, Foto im Personalausweis
  • Diskutiert, aber abgelehnt etwa auch für ein Verkehrszeichen in Verbindung mit einem räumlich nicht überschaubaren Straßenabschnitt (OLG Köln, NJW 1999, 1042). Das ist ein Beispiel, das besonders anschaulich zeigt, dass die Urkundenfälschung in der Strafrechtsklausur auch mal an ungewöhnlichen Stellen auftauchen kann.

Das Entfernen oder Auswechseln des Bezugsobjekts kann bei Vorliegen einer zusammengesetzten Urkunde auch schon den Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllen, auch wenn die Erklärung selbst streng genommen nicht angetastet wird.

Auch mehrere Urkunden können gemeinsam eine zusammengesetzte Urkunde bilden, wenn eine auf die andere inhaltlich verweist und die Urkunden räumlich fest verbunden sind (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 36b).

Demgegenüber liegt eine weitere Sonderform der Urkunde, nämlich eine sog. Gesamturkunde vor, wenn mehrere Urkunden körperlich so zusammengefasst sind, dass sich aus der Zusammenfassung ein neuer Erklärungs- und Beweisinhalt i.S.e. Vollständigkeits- und Abgeschlossenheitserklärung ergibt.

  • Beispiele sind die Personalakte, die Handelsbücher eines Kaufmanns, Strafprozessregister oder Einwohnermeldeverzeichnisse (MüKoStGB/Erb, § 267 Rn. 57).

Entfernt man aus einer Gesamturkunde eine Einzelurkunde, so kann das also unter § 267 StGB fallen, weil aus der Zusammenfassung der einzelnen Urkunden wiederum eine eigenständige Urkunde mit neuem Erklärungswert entsteht.

III. Beliebtes Sonderproblem: Fotokopien und Collagen

Häufiges Klausurproblem ist die Einordnung von Fotokopien. Bei Kopien, die als solche erkennbar sind, ist der Aussteller grundsätzlich nicht erkennbar, sodass sie nach herrschender Ansicht keine Urkundsqualität haben. Man kann darüber hinaus erwägen, ob die Kopie überhaupt eine selbstständige Gedankenerklärung enthalten (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 42a) oder ob sie beweisgeeignet sind (Beweisbedeutung und Garantiefunktion ablehnend etwa OLG Düsseldorf, NJW 2001, 167).

Dass es sich nicht um Urkunden handelt, heißt aber nicht, dass als solche erkennbare Kopien im Rahmen des § 267 StGB irrelevant sind. So kann beispielsweise das Vorlegen einer Kopie einer unechten Urkunde ein Gebrauchmachen eben dieser darstellen und so wiederum strafrechtlich relevant sein (zu den Tathandlungen des § 267 StGB siehe den zweiten Teil dieses Beitrags).

Ist die Kopie allerdings nicht als Kopie erkennbar, sondern erweckt vielmehr den Eindruck eines Originals und soll auch gerade als falsches Original verwendet werden, ist die Urkundseigenschaft zu bejahen (OLG Stuttgart, NJW 2006, 2869).

Feingefühl können KlausurbearbeiterInnen auch beim Umgang mit Collagen beweisen. Wenn der Täter etwa mehrere einzelne Schriftstücke zusammenklebt, dann dürfte das „Kunstwerk“ selbst in aller Regel als selbst zusammengesetzt erkennbar sein, es handelt sich hierbei nicht um eine Urkunde (Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 69). Ebenso ist die Kopie der Collage (dasselbe gilt für lose zusammengelegte und kopierte Blätter) keine Urkunde, soweit sie als Kopie erkennbar ist (s.o.). Erweckt sie hingegen selbst den Eindruck, es handle sich um ein Original, wird durch den Kopiervorgang eine Urkunde hergestellt (Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 43).

Aufgrund des Sachzusammenhangs sei hier auf ein Problem hingewiesen, dass sich nach Lektüre des zweiten Teils dieses Beitrags, der sich mit den Tathandlungen des § 267 StGB befasst, noch besser erschließen dürfte: Die fehlende Urkundseigenschaft der Collage selbst führt dazu, dass es von vorneherein an einer Urkunde fehlt, die gebraucht werden könnte. Während die Vorlage einer erkennbaren Kopie eines Dokuments, das selbst die Anforderungen an eine unechte oder gefälschte Urkunde erfüllt, wie bereits erwähnt als Gebrauchen eben dieses Dokuments eingeordnet werden kann, kann dieser Kunstgriff bei Collagen nicht gelingen (siehe auch Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 69).

In Teil 2 des Beitrags, der bald erscheint, geht es um die Tathandlungen des § 267 StGB sowie den subjektiven Tatbestand der Norm.

09.09.2022/2 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-09-09 08:23:072022-09-23 07:40:56Die Urkundenfälschung, § 267 StGB (Teil 1: Der Urkundsbegriff)
Dr. Yannick Peisker

BGH: Neues zur Sterbehilfe im Rahmen des § 216 StGB

Klassiker des BGHSt und RGSt, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Mit Entscheidung v. 28.6.2022 (Az. 6 StR 68/21) hat der BGH die bereits aus der „Gisela-Entscheidung“ bekannten Grundsätze zur Abgrenzung der straflosen Beihilfe zur strafbaren Tötung nach § 216 StGB weiter präzisiert. Dieses Problem ist ein echter Examensklassiker und immer wieder Gegenstand mündlicher und schriftlicher Prüfungen. Eine genaue Lektüre nicht nur dieses Beitrags, sondern auch der Entscheidungsgründe, die in Teilen wiedergegeben werden, kann sich daher bezahlt machen. Die neue Entscheidung des BGH soll zum Anlass genommen werden, die Problematik der Abgrenzung der straflosen Beihilfe von der strafbaren Tötung auf Verlangen noch einmal aufzubereiten. Auch sollen wertvolle Hinweise auf eine mögliche verfassungskonforme Auslegung infolge der Rechtsprechung des BVerfG zum grundrechtlichen Schutz der Selbsttötung. Eine klausurmäßige Aufbereitung der Probleme ist hier auffindbar.

I. Der Sachverhalt der Entscheidung

Der Sachverhalt, über den der sechste Senat des BGH zu entscheiden hatte, gestaltete sich wie folgt:

O wurde seit 2016 von der seiner Ehefrau T, einer ehemaligen Krankenschwester, betreut. Er hatte seit 1993 ein schweres chronisches Schmerzsyndrom entwickelt und war krankheitsbedingt berufsunfähig und in Rente. Er litt zudem unter zahlreichen Erkrankungen. Seine Schmerzen nahmen 2019 weiter zu und sein Zustand verschlechterte sich stetig, sodass er erwog, die Dienste eines Sterbehilfevereins in Anspruch zu nehmen. Nahezu wöchentlich äußerte er seinen Wunsch, sterben zu wollen. Er bat die T darauf hin, ihn ein paar Tage nicht zu pflegen und wegzufahren, damit er sich mit Tabletten das Leben nehmen wollte. Die T weigerte sich jedoch. Sein Leiden verschlimmerte sich weiter. Während eines gemeinsamen Kaffeetrinkens sagte O „Heute machen wir’s“, der T war klar, dass O sich das Leben nehmen wollte. Gegen 23:00 forderte O die T auf, ihm alle vorrätigen Tabletten zu geben, die O daraufhin selbständig einnahm. Dann forderte er die T auf, ihm alle noch vorhandenen Insulinspritzen zu geben, was sie auch tat. O und T sprachen noch miteinander, bevor er einschlief, gegen 3:30 konnte T seinen Tod feststellen. Er starb an Unterzuckerung infolge des Insulins, die eingenommenen Tabletten waren ebenfalls zur Herbeiführung des Todes geeignet, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Ursächlich war damit die Gabe des Insulins.

II. Die Prüfung der Strafbarkeit der T

Täter des § 216 StGB ist nur, wer die Straftat auch selbst vornimmt. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe. Auf eine erneute Darstellung der Abgrenzung zwischen subjektiver Theorie und Tatherrschaftslehre soll hier verzichtet werden. Denn auch der BGH ist zumindest im Kontext des § 216 StGB von seinem subjektiven Ansatz abgewichen und stellt prinzipiell ausschließlich darauf ab, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht (BGH NJW 1965, 699, 701) Gerade im Falle des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes, wo grundsätzlich beide Suizidenten einen entsprechenden Willen gebildet haben, sei eine subjektive Abgrenzung fraglich (BGH NJW 1965, 699, 700).

In seiner jüngsten Entscheidung formuliert der BGH wie folgt:

„Täter einer Tötung auf Verlangen ist, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht, auch wenn er sich damit einem fremden Selbsttötungswillen unterordnet. Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt. Gibt sich der Suizident nach dem Gesamtplan in die Hand des anderen, um duldend von ihm den Tod entgegenzunehmen, dann hat dieser die Tatherrschaft. Behält der Sterbewillige dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dies gilt nicht nur, wenn die Ursachenreihe von ihm selbst, sondern auch, wenn sie vom andern bewirkt worden war. Solange nach Vollzug des Tatbeitrags des anderen dem Sterbewilligen noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor […]. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid kann dabei nicht sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln vorgenommen werden. Geboten ist vielmehr eine normative Betrachtung.“

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21 Rn. 14 f.

Der BGH verordnete die Tatherrschaft bei O selbst. T hingegen habe lediglich unterstützende Akte vorgenommen und sei demnach lediglich Gehilfin einer straflosen Beihilfe zum Suizid.

Dieses Ergebnis mag zunächst erstaunen, denn das Spritzen des Insulins hat ausschließlich T vorgenommen, bei genauer Betrachtung ist dies jedoch folgerichtig und nicht als Täterhandlung einzuordnen.

„[Denn] Eine isolierte Bewertung dieses Verhaltens trägt dem auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Danach wollte sich [O] in erster Linie durch die Einnahme sämtlicher im Haus vorrätigen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel das Leben nehmen, während die zusätzliche Injektion des Insulins vor allem der Sicherstellung des Todeseintritts diente; er wollte keinesfalls „als Zombie zurückkehren“. Bei wertender Betrachtung bildeten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan einen einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein [O] bestimmte. Die Medikamente nahm er eigenständig ein, während die Angeklagte ihm der jahrelangen Übung entsprechend die Insulinspritzen setzte, weil ihm dies aufgrund seiner krankheitsbedingten Beeinträchtigungen schwerfiel. Nach dem Gesamtplan war es letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten. In Anbetracht dessen wird die Annahme des Landgerichts, dass [O] sich in die Hand der Angeklagten begeben und den Tod duldend von ihr entgegengenommen habe, den Besonderheiten des Falles nicht gerecht. […].

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21 Rn. 16.

In anderen Worten: Die Tatsache, dass sowohl der Suizident als auch die betreuende Person aktive Handlungen vornehmen ist unerheblich, sofern es sich um einen Gesamtplan handelt und über diesen Gesamtplan allein der Suizident die Tatherrschaft innehat.

III. Keine Strafbarkeit durch Unterlassen

Wird der Suizident bewusstlos oder schläft ein, kommt es vorliegend zu keinem Tatherrschaftswechsel und damit zu einer Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB. Denn trotz kraft der hier bestehenden Ehe zu bejahenden Garantenstellung der T für den O, liegt keine Garantenpflicht für das Leben ihres Mannes vor. Ein frei und selbstbestimmt gefasster Sterbewille führt zur Suspendierung der Garantenpflicht. Es gilt dasselbe wie für ärztliche Garantenpflichten, zu denen sich der BGH bereits mit seinen beiden Entscheidungen vom 3.7.2019 – 5 StR 132/18; 5 StR 393/18 geäußert hatte. Die Besprechung durch Juraexamen.info lässt sich hier abrufen.

IV. Exkurs: Verfassungskonforme Auslegung des § 216?

In seiner Entscheidung reißt der BGH zudem die Problematik an, ob durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB auch eine Neubewertung der Verfassungsmäßigkeit des § 216 StGB angezeigt ist. Zur Erinnerung: Das BVerfG hat in seiner Entscheidung (BVerfGE 153, 182) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die grundrechtlich geschützte Freiheit abgeleitet, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden und bei der Umsetzung dieser Selbsttötung auch auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen. Wenn die betroffene Person zur Wahrnehmung dieses Freiheitsrechts auch auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, schützt das APR auch vor einer Beschränkung gegenüber Dritten, die eine solche Unterstützung anbieten (Rn. 213). Strafrechtliche Normen dürften nach Auffassung des BVerfG nicht dazu führen, dass diese freie Entscheidung letztlich unmöglich gemacht wird, anderenfalls wird der verfassungsrechtliche Schutz dieser Freiheit nicht mehr gewährleistet (Rn. 273).

Eine Vergleichbarkeit der Konstellationen ist nicht von der Hand zu weisen, denn auch hier wird die Möglichkeit des Sterbewilligen, auf die Unterstützung Dritter zurückzugreifen, durch die Strafandrohung des § 216 StGB beschränkt. Dies sieht auch der 6. Senat des BGH so. Nach den Angaben in der o.g. Entscheidung hält er es für naheliegend, dass § 216 Abs. 1 StGB stets einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe. Es seien jedenfalls die Fälle vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, in denen es einer sterbewilligen Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung selbst umzusetzen. Dies sei der Fall, wenn sie darauf angewiesen ist, dass eine andere Person die unmittelbar zum Tod führende Handlung ausführt.

Wie genau eine solch verfassungskonforme Auslegung auszusehen hat und an welchem Merkmal des § 216 Abs. 1 StGB hier anzuknüpfen sein sollte, lässt der BGH offen. Für Studierende stellt sich daher die schwierige Frage, an welcher Stelle dieses Problem verortet werden sollte. Denkbar ist die Anwendung des § 34 StGB unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen. Der Wunsch des Suizidenten müsste intern gegen sein Rechtsgut „Leben“ abgewogen werden. Sofern der Suizidwunsch selbstbestimmt und frei von Willensmängeln bestand, müsste eine entsprechende Abwägung von „Tod“ gegen „Leben“ ausnahmsweise zulässig sein.

V. Wann liegen die Voraussetzungen für eine solche verfassungskonforme Auslegung vor?

Nicht geklärt ist hingegen, wann es einer Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung umzusetzen. In der Kommentarliteratur wird teils eine solch faktische Unmöglichkeit ausgeschlossen, sie könne nahezu nie vorliegen. Denn so sei vorstellbar, dass durch eine technische Einrichtung, durch die der Suizident mittels eines Augenzwinkerns eine Maschine in Gang setzen könne, auch ein an Armen und Beinen gelähmter Suizident selbständig töten könne. Sofern eine solche Einrichtung verfügbar sei, werde bis zur Verfügungstellung lediglich die Lebenszeit verlängert, dies sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen (zu alldem Schneider, MüKoStGB, 4. Auflage 2021, § 216 StGB Rn. 60 mwN). Sofern der Sachverhalt auf eine solche Möglichkeit aber nicht ausdrücklich hinweist und er zugleich die körperliche Unfähigkeit zur Selbsttötung betont, liegt nahe, dass der Klausurersteller auf eine solch verfassungskonforme Einschränkung hinauswollte. Das genaue Lesen des Klausursachverhalts ist hier besonders essentiell. Gleichwohl ist damit natürlich nur Examenskandidaten, nicht aber der Praxis geholfen.

12.08.2022/von Dr. Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannick Peisker2022-08-12 08:22:172022-08-12 08:27:44BGH: Neues zur Sterbehilfe im Rahmen des § 216 StGB
Alexandra Ritter

Heimtücke bei einem Erpresser als Tatopfer (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)

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Dieser Beitrag beschäftigt sich mit neueren Tendenzen des BGH zur Auslegung und Anwendung des Mordmerkmals der Heimtücke.

Die Prüfung der Mordmerkmal muss von allen Jurastudierenden beherrscht werden. Das prüfungsrelevante Wissen beschränkt sich dabei jedoch nicht auf die jeweilige Definition, sondern es wird vorausgesetzt, die Tendenzen von Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung darlegen zu können. In diesem Beitrag wird daher der Beschluss des BGH v. 18.11.2021 (Az. 1 StR 397/21) näher betrachtet, in dem der BGH sich mit der Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke befasst.

I. Sachverhalt (Schilderung nach BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)

Der Sachverhalt, der dem Beschluss des BGH zugrunde lag, gestaltete sich wie folgt: A erwirbt von O regelmäßig Kokain. Nach einiger Zeit kündigt O dem A jedoch eine Vereinbarung, nach der A die erworbenen Rauschmittel erst zum Monatsende zu bezahlen hatte und fordert den Geldbetrag nunmehr sofort. A kann die Summe nicht aufbringen, was O dazu veranlasst „Strafzinsen“ zu verlangen. In der folgenden Zeit verlangt O von A auf diese Weise immer höhere und aus Sicht des A ungerechtfertigte Beträge. Dabei verleiht O seinen Forderungen mit gelegentlichen Schlägen und Drohungen gegenüber A Nachdruck. In der Folge übergibt A dem O wiederholt Beträge in dreistelliger Höhe.

So kommt es, dass O von A nun 8.000 Euro verlangt. A spiegelt dem O vor, dass seine Mutter einen Kredit aufgenommen und er die Forderung begleichen könne und sie verabreden sich zu einem Treffen für den nächsten Tag. Bei dem Treffen wird die Stimmung des O immer aggressiver. Schließlich fahren sie zum Haus des A und dessen Mutter. Allerdings muss O das Treffen unterbrechen, da er etwas zu erledigen hat. Bevor er geht, schlägt er A mit voller Wucht in den Bauch. Unterwegs kündigt er dem A telefonisch an, er werde alles auseinandernehmen, wenn A bei der Rückkehr des O nicht zahle.

A nimmt während der Abwesenheit des O eine Selbstladepistole vom Dachboden und steckt sie in seine Jackentasche. Später geht er so zum mit O verabredeten Standort, wo O in seinem Pkw auf A wartet. Dort setzt A sich auf die Hinterbank, sodass O dem A die Pistole nicht entreißen kann. Als O nach dem Geld fragt, erwidert A, seine Mutter sei noch nicht da. Dann zieht A die Waffe und erklärt O er brauche mehr Zeit zur Beschaffung des Geldes. O lacht den A daraufhin aus, fragt, was A mit dem „Spielzeug“ wolle und sagt: „Schieß doch, Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe.“ Zudem macht er eine Handbewegung in Richtung des A. Darauf schießt A dreimal aus kurzer Distanz schnell hintereinander in den Kopf des O. O hatte sich in der Situation keines Angriffs auf Leib oder Leben versehen und konnte sich deshalb nicht effektiv gegen den Angriff durch A wehren. O verstarb. Den Umstand, dass O sich keines Angriffs auf Leib oder Leben versah, nutze A zur Tötung aus.

II. Entscheidung des BGH

Anders als die Vorinstanz hat der BGH in dem Verhalten des A keine heimtückische Tötung erkannt. Die Erwägungen des BGH sollen im Folgenden dargestellt werden.

1. Keine Notwehr gem. § 32 StGB

Zunächst beschäftigt sich der BGH mit der Frage, ob A aus Notwehr i.S.v. § 32 StGB und damit gerechtfertigt gehandelt haben könnte. Er bejaht das Vorliegen einer Notwehrlage durch einen andauernden und damit gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die freie Willensentschließung und das Vermögen des A,

„weil die von gewalttätigen Übergriffen begleiteten fortlaufenden Drohungen des Tatopfers zwecks Durchsetzung der von ihm erstrebten rechtsgrundlosen Zahlungen ununterbrochen fortwirkten und sich sogar zunehmend intensivierten.“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 7)

Allerdings war die Notwehrhandlung, wenn auch geeignet, nicht geboten, da es dem Täter zumutbar gewesen wäre, das erpresserische Verhalten des O durch Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zu beenden. Dem stehe auch nicht das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur“) entgegen, da A die Anzeige ohne Preisgabe seiner Beteilung an Drogengeschäften hätte aufgeben können (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 8).

A handelte demnach nicht gerechtfertigt gem. § 32 StGB.

2. Kein § 33 StGB

Zudem liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter das Notwehrrecht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten habe, sodass auch § 33 StGB ausscheidet (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 9).

3. Kein entschuldigender Notstand

Auch die Voraussetzungen des § 35 StGB liegen, wegen der zumutbaren Möglichkeit der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, nicht vor (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 10).

4. Kein § 211 StGB

Nachdem der BGH festgestellt hat, dass A weder gerechtfertigt noch entschuldigt gehandelt hat, beschäftigt er sich mit der Frage, ob A durch sein Verhalten das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht hat.

a) Heimtücke i.S.v. § 211 Abs. 2 StGB

„Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 12)

Problematisch ist in der hiesigen Fallkonstellation insbesondere die Arglosigkeit des O.

aa) Zunächst könnte es an der Arglosigkeit des O dadurch fehlen, dass A dem O die Waffe offen gezeigt hat. Aber:

„Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Nach ständiger Rspr. des BGH kann das Opfer vielmehr auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (stRspr; vgl. nur BGH Urt. v. 6.1.2021 – 5 StR 288/20 Rn. 28 mwN.).“  (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 13, Hervorhebung durch d. Verf.)

bb) Sodann eröffnet der BGH die Möglichkeit der normativen Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke.

„Begeht der Täter seine Tat als Opfer einer Erpressung in einer bestehenden Notwehrlage, kann dies – unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes – Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns haben (vgl. BGH Urt. v. 12.2.2002 – 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207 ff. Rn. 9). Das Mordmerkmal der Heimtücke ist insoweit einer – auch normativ orientierten – einschränkenden Auslegung zugänglich, die dem Wortsinn des Begriffs der Heimtücke mit dem ihm innewohnenden Element des Tückischen Rechnung zu tragen hat (BGHSt, aaO, Rn. 12; kritisch hierzu – nicht tragend – BGH Urt. v. 10.5.2007 – 4 StR 11/07 Rn. 20; und v. 10.11.2004 – 2 StR 248/04 Rn. 19; vgl. im Übrigen BGH Urt. v. 19.8.2020 – 5 StR 219/20 Rn. 11 f., 18).“(BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 14, Hervorhebung durch d. Verf.)

Weiter beschäftigt der BGH sich mit der Frage, ob in derartigen Konstellationen, in denen eine normativ einschränkende Auslegung in Betracht kommt, das Opfer überhaupt arglos sein kann.  Dazu führt er aus:

„Die Beurteilung, ob ein Mensch arglos ist, richtet sich dabei grundsätzlich nach seiner tatsächlichen Einsicht in das Bestehen einer Gefahr; maßgeblich sind hierfür jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BGHSt, aaO Rn. 11 [BGH Urt. v. 12.2.2002 – 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207 ff.]). Ein Erpresser mag in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten im Hinblick auf einen etwaigen abwehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben regelmäßig dann nicht arglos sein, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden oder zu beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpressten zu bewirken. Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt hiernach in einem solchen Fall in aller Regel nicht heimtückisch (BGHSt, aaO Rn. 10). Denn in einer Konstellation, in der sich das Erpressungsopfer gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriff durch Tötung seines Erpressers wehrt, ist regelmäßig der Erpresser der Angreifer, weil er durch sein Verhalten den schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausgefordert hat, mag dieser Gegenangriff sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder die Grenzen der Notwehr überschreiten (BGHSt, aaO Rn. 11). Da der Erpresser mit einer Ausübung des Notwehrrechts durch sein Opfer grundsätzlich jederzeit rechnen muss, spricht bereits die Grundkonstellation gegen dessen Arglosigkeit (vgl. BGHSt, aaO, vgl. auch Urt. v. 9.1.1991 – 3 StR 205/90; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13); deren Vorliegen ist aber dennoch aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Tatumstände im Einzelfall festzustellen (BGHSt, aaO).“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 15, Hervorhebung durch d. Verf.)

Daraus schlussfolgert der BGH, dass die sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls richtende Feststellung, ob das Opfer arglos war, oder es die Arglosigkeit durch den Angriff auf die Willensfreiheit des späteren Täters verloren hat, dahinstehen kann,

„weil es [das Opfer bzw. der Erpresser] in einer von ihm geschaffenen Notwehrlage schon nach der gesetzlichen Wertung jederzeit mit einem Gegenangriff des Erpressten rechnen muss (vgl. BGHSt, aaO)“, (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16).

Der (tödlichen) Gegenwehr des Erpressungsopfers wohne das Tückische nicht in dem Maße inne, „welches den gesteigerten Unwert des Mordmerkmals der Heimtücke kennzeichnet (BGHSt, aaO.)“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16). Aufgrund der vom Erpresser geschaffenen Notwehrlage, sei dieser der „wirkliche Angreifer“, der wegen der gesetzlichen Wertung des § 32 StGB mit Gegenwehr rechnen müsse (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16). Handelt das sich wehrende Opfer in dieser Situation im Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung oder exzessiv,

„erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer […] das Risiko aufzubürden, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen (BGHSt, aaO).“(BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16)

In dem vorliegenden Fall hat der BGH daher ein heimtückisches Verhalten des A verneint.

b) Rückausnahmen möglich?

Im Anschluss an diese Feststellung trifft der BGH Ausführungen dazu, dass das Verhalten des A im konkreten Fall nicht planmäßig auf die Tötung des O gerichtet war und er die Situation auch nicht gezielt vorbereitet hatte (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 17 f.). Diese Ausführungen haben den Anklang, dass der BGH sich Rückausnahmen vorbehalten möchte, in denen trotz der obigen Erwägungen in ähnlichen Situationen die Bejahung der Heimtücke möglich sein soll (s. hierzu auch Holznagel, RÜ 5/2022, 301, 305 Randbemerkung).

III. Bewertung

Die Entscheidung des BGH wurde in der Literatur aus verschiedenen Gründen kritisiert.

1. Dogmatische Anknüpfung

Zunächst eröffnet Nettersheim in seiner Anmerkung zu dem Beschluss (NStZ 2022, 288, 290 ff.), die Frage, ob die Tücke ein geeigneter Anknüpfungspunkt ist, um die vom BGH vorgenommenen Wertungen einzubringen. Dem stehe entgegen, dass der Arg- und Wehrlosigkeit nach stetiger Rechtsprechung ein rein faktisches Verständnis zugrunde liege (Nettersheim, NStZ 2022, 288, 290 f.; auch i.E. dies als nicht überzeugend einordnend Jäger, JA 2022, 697, 699). Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich unbeachtlich, ob das Opfer mit einer Attacke hätte rechnen müssen (BGH, Urt. v. 13.11.1985 – 3 StR 273/85; Eisele, JuS 2022, 370, 372; Jäger, JA 2022, 697, 699).

Die Wertung des BGH, dass einer Tötung bei bestehender Notwehrlage das Tückische fehle – auch wenn die Grenzen der gebotenen Verteidigung überschritten werden – entspricht im Ergebnis der von der Literatur bereits vertretenen negativen Typenkorrektur (Jäger, JA 2022, 697, 699 m.w.N.). Nach der negativen Typenkorrektur ist in Fällen wie dem hier behandelten das Merkmal der Heimtücke zunächst zu bejahen, schließlich sind seine Voraussetzungen nach der Definition erfüllt. Im Anschluss ist dann zu prüfen, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, welche der besonderen Verwerflichkeit, die die Mordmerkmale auszeichnet, entgegenstehen. Befindet der Täter sich in einer Notwehrlage und erwehrt er sich eines Angriffs, kann es dann an der besonderen Verwerflichkeit fehlen und die Annahme der Heimtücke ist dann nicht gerechtfertigt.

2. Abweichung von der Rechtsfolgenlösung

Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass der BGH die Tötung des Erpressers anders als die Tötung im sog. Haustyrannenfall (BGH, Urt. v. 25.3.2003 – 1 StR 483/02) beurteile (Nettersheim, NStZ 2022, 288, 290 f.). Hier wurde die Täterin wegen Mordes verurteilt, die Strafe jedoch nach §§ 35 II, 49 I Nr. 1 StGB gemildert (Stichwort: Rechtsfolgenlösung).

Hierbei bedarf es jedoch eines genaueren Blicks: Die korrigierende Wertung, die den BGH im vorliegenden Fall dazu veranlasste, die Heimtücke zu verneinen, beruht auf der Erwägung, dass eine Notwehrlage in der Tötungssituation gegeben war. In den sog. Haustyrannenfällen liegt im Tatzeitpunkt lediglich eine Dauergefahr vor, die keinen gegenwärtigen Angriff i.S.v. § 32 StGB begründet. Hierin unterscheiden sich die Fallkonstellationen (s. auch Jäger, JA 2022, 697, 699).

IV. Hinweise für die Fallbearbeitung

Der Fall eignet sich sowohl für die Prüfung der Heimtücke im schriftlichen als auch im mündlichen Examen. Studierende, die mit den Ansätzen der Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung der Mordmerkmale vertraut sind, können hier ihr Verständnis davon beweisen und auch die Tendenzen der Rechtsprechung hin zur negativen Typenkorrektur, die bislang von (Teilen) der Literatur vertreten wurde, aufzeigen. Dabei muss jedoch der Sachverhalt präzise subsumiert werden, um die Wertungen bei der Tötung des Erpressers nicht mit denen der sog. Haustyrannenfälle zu vermischen oder zu verwechseln.

Für den Prüfungsaufbau bietet es sich an, nicht mit dem schwersten Delikt (§ 211 StGB) zu beginnen, sondern mit dem Totschlag gem. § 212 StGB. Dadurch können Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf der Rechtfertigungsebene geprüft und eine Inzidentprüfung auf Tatbestandsebene vermieden werden (s. hierzu auch Jäger, JA 2022, 697, 698; Holznagel, RÜ 5/2022, 301 ff.). In der zweiten Prüfung kann dann bei der Bearbeitung des Mordmerkmals der Heimtücke auf die Ausführungen zur Notwehrlage Bezug genommen werden.

25.07.2022/1 Kommentar/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-07-25 07:26:112022-09-23 07:41:45Heimtücke bei einem Erpresser als Tatopfer (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)
Gastautor

OLG Hamm: Zur erforderlichen Darlegung des Vermögensschadens bei Verurteilung wegen Betruges aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf

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Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Ass. iur. Dr. Lorenz Bode, LL.M. veröffentlichen zu können.

Die spannendsten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben. Auch gerichtliche Entscheidungen sind letztlich nichts anderes als geronnenes Leben, aufbereitet und beurteilt als juristischer Sachverhalt. Spannend sind sie allerdings, zumindest für Juristinnen und Juristen, nur dann, wenn es in den Verfahren um für die Rechtspraxis oder -ausbildung bedeutsame Rechtsfragen geht.

Der Beschluss des OLG Hamm vom 7.4.2022 – 5 RVs 35/22 (= BeckRS 2022, 8093) ist insofern in doppelter Hinsicht spannend. Es ging in dem Strafverfahren – kurz gesagt – um einen Gebrauchtwagenverkauf, bei dem vom Verkäufer einige Vorschäden verschwiegen worden waren. Er wurde daraufhin strafrechtlich belangt und sowohl vom AG als auch – auf die Berufung hin – vom LG wegen Betruges zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen wandte sich der Verkäufer (als Angeklagter) mit der Revision an das OLG Hamm – mit einem für ihn erfreulichen Ergebnis: Das OLG hob das (Berufungs-)Urteil des LG auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des LG zurück. So viel zum Prozessverlauf.

Materiell-rechtlich betrachtet hält die Entscheidung einen für die Ausbildung und Praxis gleichermaßen spannenden Aspekt bereit. Denn das OLG (aaO, Rn. 7) schließt sich den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft an und betont, dass der Betrug „kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr“ ist, „sondern eine Vermögensstraftat“. Demgemäß sei für die Schadensbewertung „grundsätzlich die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend, die sich nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten, sondern an den Marktverhältnissen auszurichten hat“. Weiter heißt es: „Für einen Vermögensschaden reicht es nicht aus, dass der Käufer ohne die Täuschung durch den Verkäufer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt.“

Die Ausführungen des OLG überzeugen. Schon wegen des Wortlauts von § 263 Absatz 1 StGB („das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt“) kann es nicht sein, dass sich eine Verurteilung wegen Betrugs auf die bloße Feststellung von Unwahrheiten stützt. Würde man dies anders sehen, so wäre zu befürchten, dass der Deliktscharakter der Strafrechtsnorm überdehnt wird, nämlich weg von einem Erfolgsdelikt hin zu einem bloßen Gefährdungsdelikt (Lorenz, FD-StrafR 2022, 448468). Der geprellte Käufer wird insoweit nicht schutzlos gestellt. Denn ihm steht neben dem Schutz durch das Strafrecht auch der Zivilrechtsweg offen.

Abschließend ein Hinweis zur Bedeutung der Entscheidung für die Ausbildung: Bekanntermaßen gehört das Justizprüfungsamt beim OLG Hamm zu den bundesweit eifrigsten Produzenten von Examensklausuren. Klausuren von dort gelangen im sogenannten Ringtausch der Bundesländer auch über die Landesgrenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus zum Einsatz. Wenn es sich bei diesem Beschluss also nicht nur um eine Entscheidung handelt, die hervorragend als Tatkomplex in einer Strafrechtsklausur dienen kann, sondern auch um ein Judikat, das direkt vom OLG Hamm stammt, dann ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Hinzu kommt, dass Klausurerstellerinnen und Klausurersteller – besonders im zweiten Examen – oftmals auf Fälle aus der Rechtsprechung zurückgreifen. Insofern ist auf den Aktendeckeln bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften zumeist ein eigenes Ankreuz-Feld vorgesehen, um geeignete Akten nach Abschluss dem Prüfungsamt vorzulegen. Die Rechtsprechung regelmäßig im Blick zu behalten, lohnt sich also doppelt: für den Autokauf und fürs Examen.

06.07.2022/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-07-06 09:00:002022-07-21 09:00:24OLG Hamm: Zur erforderlichen Darlegung des Vermögensschadens bei Verurteilung wegen Betruges aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf
Dr. Lena Bleckmann

OLG Celle zur Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Impfpasses

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Im Oktober vergangenen Jahres erhielt u.a. eine Entscheidung des LG Osnabrück (Beschl. v. 26.10.2021 – 3 Ws 38/21) große Aufmerksamkeit: Sie befasste sich mit der Strafbarkeit der Vorlage gefälschter Impfausweise in einer Apotheke und lehnte diese im Ergebnis ab – juraexamen.info berichtete. Die Entscheidung bezog sich auf die alte Rechtslage, dasselbe gilt für ein nun vorliegendes Urteil des OLG Celle (Urt. v. 31.5.2022 – 1 Ss 6/22). Die Diskussion bleibt jedoch aktuell. Hier ein schneller Überblick zu den wichtigsten Eckpunkten.

I. Die Fragestellung und die Entscheidung des LG Osnabrück und anderer Gerichte

Der Knackpunkt: Die Voraussetzungen der urkundsstrafrechtlichen Spezialnormen, die sich auf Gesundheitszeugnisse beziehen (§§ 277 ff. StGB), präziser noch der Tatbestand des Gebrauchens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 279 StGB, war nicht erfüllt. Ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm des § 267 StGB in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Var. 3 StGB) wurde zwar untersucht – denn auch das Gesundheitszeugnis ist eine Urkunde –, im Ergebnis aber wegen Spezialität der §§ 277 ff.  StGB abgelehnt. Das LG Osnabrück war nicht allein in der Auffassung, dass § 277 ff. StGB eine Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB entfaltet (siehe etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 17.1.2022 – 1 Ws 732-733/21; LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.11.2021 – 19 QS 90/21).

II. Die abweichende Ansicht u.a. des OLG Celle

Andere Ansicht nun das OLG Celle. Schon im ersten Leitsatz heißt es dort: „Der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB wird bei der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung verdrängt“. Zwar geht auch das OLG Celle davon aus, dass es sich bei § 279 StGB um eine gegenüber § 267 StGB speziellere Regelung handelt Eine Sperrwirkung soll aufgrund der Spezialität allerdings nur eintreten, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (siehe Rn. 16, 22). Dass dies im Hinblick auf das Gebrauchen von Gesundheitszeugnissen nach § 279 StGB bei Vorlage eines falschen Impfausweises in einer Apotheke nicht der Fall ist, ist unstreitig – die Apotheke ist schon keine Behörde, was die Norm jedoch bis zum 24.11.2021 voraussetzte (siehe hierzu ausführlich unseren Beitrag zur Entscheidung des LG Osnabrück). Eine Verdrängungswirkung gegenüber § 267 StGB lehnt das OLG Celle nunmehr mit Blick auf die ansonsten eintretende Privilegierung des Täters ab (Rn. 22.). Das Gericht nimmt eine mustergültige Auslegung nach Wortlaut, Historie, Systematik und Gesetzeszweck vor, die in dieser Struktur auch jedem Klausurbearbeiter anzuraten ist. Das Ergebnis ist dabei in der Klausur zweitrangig – das zeigen schon die zahlreichen divergierenden Entscheidungen, die mittlerweile vorliegen. Ebenso, wie die Auffassung des LG Osnabrück mehrere Anhänger fand, steht auch die Entscheidung des OLG Celle nicht allein. Zu demselben Ergebnis gelangten etwa bereits das OLG Hamburg (Beschl. v. 27.1.2022 – 1 WS 114/21), das OLG Stuttgart (Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 33/22) und das OLG Schleswig (Beschl. v. 31.3.2022).

III. Aktuelle Rechtslage und Ausblick

Die im vergangenen Jahr unter anderem vom LG Osnabrück bekundete Strafbarkeitslücke hat der Gesetzgeber zu schließen gesucht und den Gebrauch unrichtiger Impfbescheinigungen in § 75a Abs. 3 Nr. 2 IfSG unter Strafe gestellt. Auch wurde § 279 StGB erweitert und bezieht sich nunmehr auf die Täuschung im Rechtsverkehr, nicht mehr allein auf Täuschungen gegenüber Behörden und Versicherungsgesellschaften. Zwischen den nebenstrafrechtlichen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes und §§ 278, 279 StGB in der aktuellen Fassung kann Idealkonkurrenz bestehen (BT-Drucks. 20/15, S. 35). Folgt man der Auffassung, die nun auch das OLG Celle vertritt, wären diese Anpassungen nicht zwingend notwendig gewesen, eine Strafbarkeitslücke hätte aufgrund der Anwendbarkeit des § 267 StGB nicht bestanden. Die aktuelle Entscheidung zeigt: Trotz der gesetzlichen Anpassungen läuft die Debatte weiter und bleibt so auch prüfungsrelevant. Es ist insbesondere Examenskandidaten zu empfehlen, hier auf dem Laufenden zu bleiben und sich mit den wesentlichen Argumentationslinien vertraut zu machen. Sowohl die aktuelle Gesetzeslage – trotz des Bezugs zum Nebenstrafrecht – als auch die gerichtlichen Entscheidungen, die sich noch auf die alte Rechtslage beziehen, sollten jedenfalls in ihren Grundzügen bekannt sein.

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I. Die Fragestellung und die Entscheidung des LG Osnabrück und anderer Gerichte

Der Knackpunkt: Die Voraussetzungen der urkundsstrafrechtlichen Spezialnormen, die sich auf Gesundheitszeugnisse beziehen (§§ 277 ff. StGB), präziser noch der Tatbestand des Gebrauchens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 279 StGB, war nicht erfüllt. Ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm des § 267 StGB in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Var. 3 StGB) wurde zwar untersucht – denn auch das Gesundheitszeugnis ist eine Urkunde –, im Ergebnis aber wegen Spezialität der §§ 277 ff.  StGB abgelehnt. Das LG Osnabrück war nicht allein in der Auffassung, dass § 277 ff. StGB eine Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB entfaltet (siehe etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 17.1.2022 – 1 Ws 732-733/21; LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.11.2021 – 19 QS 90/21).

II. Die abweichende Ansicht u.a. des OLG Celle

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14.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
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