Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonnim fünften Semester.
In einem aktuellen Urteil vom 27.4.2023 (Az.: VII ZR 144/22) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass einem Hochzeitspaar keinen Anspruch auf Rückgewähr der von ihnen getätigten „Anzahlung“ zusteht – weder nach §§ 326 IV, 346 ff. BGB noch im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder über § 313 BGB. Der Fall eignet sich hervorragend, grundlegenden und somit auch examensrelevanten Fragestellungen des Schuldrechts zu wiederholen.
I. Sachverhalt (gekürzt)
Das Hochzeitspaar (H) hatte für die anstehende Hochzeit im Juli 2020 eine Fotografin (F) engagiert und dieser eine Anzahlung von 1.231,70 € gezahlt. Als sie die Hochzeit aufgrund der Corona-Pandemie verschoben, beauftragte das Paar einen anderen Fotografen für den neuen Termin. Die F verlangte sodann die Zahlung des noch ausstehenden Honorars in Höhe von 551,45€. H erklärten demgegenüber wegen Störung der Geschäftsgrundlage den „Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung“ und klagten auf Rücküberweisung der bereits geleisteten Anzahlung iHv. 1.231,70 €.
II. Entscheidung des BGH – gutachterliche Falllösung
Wie schon die Instanzgerichte wies der BGH die Begehren des klagenden H ab und stellte fest, dass die beklagte F die bereits überwiesene Anzahlung nicht zurückzahlen muss. F stehe zudem ein Anspruch auf Zahlung des restlichen Honorars in Höhe von 551, 45€ zu. Im Folgenden soll das Urteil in der gebotenen Kürze gutachterlich aufgearbeitet werden:
H könnten einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung gem. §§ 326 IV, 346 I BGB innehaben. Damit ein Anspruch aus § 326 IV, 346 I auf Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung besteht, müsste jedoch die synallagmatische Gegenleistung unmöglich sein.
a) Synallagmatischer Vertrag
H und F schlossen im Sommer 2020 einen Werkvertrag gem. § 631 BGB über Fotografien bei und von ihrer Hochzeit und vereinbarten eine vorläufige Teilleistung.
b) Zahlung des Werkvertrags
Diese Teilleistung – Anzahlung – wurde durch H geleistet.
c) Unmöglichkeit der synallagmatischen Leistungspflicht nach § 275 I BGB
Die Anfertigung der Fotos und das Entgelt stehen im Synallagma. Die synallagmatische Gegenleistung müsste nach § 275 BGB unmöglich sein. Kern der richterlichen Prüfung war damit, ob es der Fotografin unmöglich war, die fotografischen Leistungen für die Hochzeitsfeier zu erbringen. Dafür müsste Unmöglichkeit iSv. § 275 I eingetreten sein. Unmöglichkeit bezeichnet die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolgs durch eine Leistungshandlung des Schuldners (HK-BGB/Schulze, BGB, § 275, Rn. 2). Dabei kann es sich um tatsächliche oder aber auch um rechtliche Unmöglichkeit handeln, die für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist.
(1) Unmöglichkeit aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit?
Vorliegend kommt zunächst rechtliche Unmöglichkeit in Betracht. Diese ist gegeben, wenn Rechtsgründe gegen eine Herbeiführung des geschuldeten Erfolgs sprechen (MüKoBGB/Ernst, BGB, § 275, Rn. 48).
In Frage kommen hier entsprechende zu dem Zeitpunkt geltende pandemiebedingte landesrechtliche Vorgaben – auf die aufgrund des schuldrechtlichen Schwerpunktes nicht näher eingegangen werden soll –, die das Erbringen von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten wegen der Pandemie eingrenzen und/oder verbieten. Diese regelten allerdings nur, dass Dienstleistungen, einschließlich Handwerkstätigkeiten „möglichst ohne unmittelbaren persönlichen körperlichen Kontakt“ durchgeführt und die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu Hygiene eingehalten werden sollten. Fotografien einer Hochzeit waren somit nicht untersagt, insbesondere weil körperlicher Kontakt bei der Anfertigung der Fotografien regelmäßig nicht erforderlich ist.
Zudem war die Zusammenkunft einer Glaubensgemeinschaft nicht verboten, sondern unter der Auflage, dass die Personen einen Abstand von 1,5m einhalten, weiterhin möglich. Der kirchlichen Trauung und der Anfertigung von Fotografien stand somit nichts im Wege.
Unmöglichkeit tritt auch nicht aufgrund des Umstandes ein, dass die Hochzeitsfeier nicht mit der geplanten Anzahl an Gästen durchgeführt werden konnte. Die Anzahl der Gäste beeinträchtigt nicht den geschuldeten Leistungserfolg – nämlich die Fotografie der anwesenden Gäste.
Diese Auffassung ist beizupflichten, zumal sie sich auch in die bisherige Rechtsprechung des BGH einordnet, der in einer anderen Entscheidung (BGH, NZM 2023, 243), ebenfalls keine rechtliche Unmöglichkeit – so hatte es das LG noch angenommen (LG Lüneburg, NJOZ 2021, 1142) – bei der Vermietung einer Räumlichkeit für 120 Personen annahm, wenn diese aufgrund von Verordnungen nur noch mit einer deutlich geringeren Anzahl an Personen genutzt werden darf. Grund für diese Annahme ist, dass der Vermieter zwar sämtliche Maßnahmen vornehmen muss, die den vertragsgemäßen Gebrauch des Vertragsobjekts ermöglichen, die Einschränkungen bedingt durch die Corona-Pandemie allerdings nicht in seinen Verantwortungsbereich fallen, sondern das Verwendungsrisiko des Mieters betreffen – zumal die Corona-Schutzverordnungen an den Mieter adressiert sind.
Es ist somit äußerst wichtig durch eine aufmerksame Differenzierung zwischen den geschuldeten Leistungen und den damit verbundenen Risiken Fehler zu vermeiden.
Der Beklagten war es somit rechtlich nicht unmöglich die geschuldete Leistung am Tag der Hochzeit zu erbringen.
Für eine tatsächliche Unmöglichkeit liegen keine Anhaltspunkte vor.
(2) Unmöglichkeit aufgrund eines absoluten Fixgeschäfts?
Die Leistung ist auch nicht deshalb unmöglich, weil es sich bei der Anfertigung der Hochzeitsfotos zum ersten Hochzeitstermin um ein absolutes Fixgeschäft handelt. Auf das Fixgeschäft geht der BGH – weil keine (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit angenommen wird – zwar in seiner Entscheidung richtigerweise nicht ein, in der Klausur sollten hier im Falle (vorübergehender) Unmöglichkeit wertvolle Punkte aber nicht verschenkt werden.
Ein Fixgeschäft liegt vor, wenn das Geschäft mit der Einhaltung des vereinbarten Leistungstermins stehen und fallen soll. Während bei einem relativen Fixgeschäft eine Nachholbarkeit nicht ausgeschlossen ist und lediglich die Fristsetzung bei der Geltendmachung von Schadensersatz und der Ausübung des Rücktritts entbehrlich ist, liegt ein absolutes Fixgeschäft vor, wenn die Einhaltung des Leistungszeitpunktes derart wichtig ist, dass eine spätere Leistungserbringung keine Erfüllung mehr darstellt, , weil sie dann eine ganz andere wäre und mit dem Leistungszweck nicht mehr verwirklicht werden kann (MüKoBGB/Ernst, BGB, § 275, Rn. 58).
Ob ein (absolutes) Fixgeschäft vorliegt ist vorbehaltlich einer expliziten vertraglichen Regelung durch Auslegung gem. §§ 133, 157 zu ermitteln. Merken Sie sich für die Klausur: Im Regelfall wird ein relatives Fixgeschäft vereinbart sein, nur in absoluten und eindeutigen Ausnahmefällen wird der Klausurersteller auf ein absolutes Fixgeschäft „hinauswollen“. Es zählt aber die Qualität der Argumentation.
Parallelen können zur Entscheidung des BGH betreffend die Unmöglichkeit bei pandemiebedingter Schließung eines Fitnessstudios gezogen werden. Dort wurde im Unterschied zu hiesigem Fall eine (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit angenommen. Der BGH löst den Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit, indem auf den Vertragszweck abgestellt wird. Er verwendet mithin eine Argumentationslinie, die mit der der Feststellung, ob ein absolutes Fixgeschäft vorliegt, nahezu identisch ist, denn hier steht die Frage im Raum, ob der Leistungszweck noch zu erreichen wäre. Es ist somit davon auszugehen, dass der BGH – hätte er in hiesigem Fall rechtliche Unmöglichkeit bejaht – durch Auslegung des Zwecks der Leistung und somit des Vertrags das Vorliegen eines absoluten Fixgeschäftes geprüft hätte.
Hier ist zu beachten, dass die Fotografieleistung an die Hochzeitsveranstaltung gebunden ist. Kann und wird die Hochzeit nachgeholt, spricht nichts dagegen, auch die Fotografie nachzuholen – der Leistungszweck fällt gerade nicht mit der Verschiebung der Hochzeit fort. Die Sachlage ist gerade anders, wenn nicht die Hochzeit, sondern die Fotografieleistung ausfällt. Denn bei Durchführung der Hochzeit ohne Fotografen kann die Hochzeitsfotografie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr nachgeholt werden, gerade weil die Hochzeitsfeier schon stattfand.
Es besteht kein Anspruch auf Rückzahlung gem. §§ 326 IV, § 346 ff. BGB.
2. Anspruch auf Rückzahlung im Wege ergänzender Vertragsauslegung
H könnten einen Anspruch auf Rückzahlung der 1231,70 € haben. Dies könnte sich durch die vorrangig vor dem § 313 BGB zu prüfende ergänzende Vertragsauslegung ergeben (s.u. 3.).
Notwendige Voraussetzung für die ergänzende Vertragsauslegung ist eine Regelungslücke.
Dies ist gegeben, wenn ein Vertrag eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist.
Im vorliegenden Fall beinhaltet der Vertrag zwar Regelungen zur Verzögerung des Ereignisses und/ oder dem Ausfall der Beklagten unter anderem aufgrund höherer Gewalt in den AGBs, aber keinerlei Bestimmungen, wie mit Beschränkungen der Hochzeit bzw. Hochzeitsfeier aufgrund einer Pandemie und einer damit verbundenen Verschiebung umzugehen ist. Eine Regelungslücke liegt also vor.
Entscheidend für die ergänzende Vertragsauslegung ist, was die Parteien als redliche Vertragspartner bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen unter der Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbart hätten. Aus einer objektiv-generalisierenden Sicht muss dem hypothetischen Willen der Parteien Rechnung getragen werden.
Das Ziel der Beklagten als Unternehmerin ist es durch die Anfertigung von Fotografien eine Vergütung zu erzielen. Ihrem unternehmerischen Interesse entspricht es ebenfalls, ihre vereinbarte Leistung zu erbringen, wenn das Ereignis nachgeholt werden muss und ein neuer Termin entsteht.
Zudem entspricht es dem objektiv-generalisierenden Interesse der Kläger, dass auch beim neuen Hochzeitstermin eine geeignete Fotografin heranzuziehen ist, um eine fotografische Dokumentation anfertigen zu lassen. Dass diese nach Absage des vereinbarten Termins einen neuen Fotografen heranziehen und der Beklagten absagen, ist nach Treu und Glauben bei der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 27.04.2023 – VII ZR 144/22, BeckRS 2023, 8403, Rn. 21ff.)
Somit ergibt sich kein Rücktrittsrecht der Kläger aus der ergänzenden Vertragsauslegung.
3. Anspruch auf Rückzahlung gemäß §§ 346 I, 313 III 1 BGB
Die Kläger könnten aber einen Anspruch auf Rückzahlung der 1231,70€ infolge der Störung der Geschäftsgrundlage zustehen.
Liegen die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB vor, kann der Kläger vom Vertrag zurücktreten und das Geleistete zurückfordern.
Der Anwendungsbereich des § 313 BGB ist aber immer erst dann eröffnet, wenn speziellere Regelungen nicht greifen. § 313 ist subsidiär zu vertraglichen Vereinbarungen, ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133,157 BGB) und gesetzlichen Sonderregelungen (§ 490 BGB oder §§ 530,531 BGB) und demnach erst anwendbar, wenn sich ein Ereignis infolge einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse der Beurteilung nach dem Vertragswillen entzieht (BGH, Urt. v. 26. April 2017 – IV ZR 126/16 Rn. 17, NJW 2017, 2191), wenn also spezieller Regelungen zur Beurteilung des Vertragswillen fehlen. E contrario darf keine Korrektur mehr über § 313 erfolgen, wenn – wie bereits oben dargestellt – die ergänzende Vertragsauslegung als speziellere Regelung Anwendung findet.
Das Hochzeitspaar hat keinen Anspruch auf Rückzahlung aus §§ 346 I, 313 III 1 BGB.
4. Freie Kündigung gem. § 648 I BGB
Aufgrund des Fehlens einer Kündigungserklärung des Hochzeitspaares, hat das Gericht das Vorliegen einer freien Kündigung gem. § 648 1 BGB angenommen, weshalb der Fotografin ein Anspruch auf Zahlung der restlichen Vergütung aus § 648 2 BGB zusteht. Dieser bemisst sich abzüglich ersparter Aufwendungen auf zusätzliche 551, 45€.
III. Eine kurze Summa
Dogmatisch ist das Ergebnis des BGH zu begrüßen. Die Vertragserfüllung stellt das primäre Ziel eines Vertrages und des Vertragsrechts dar, weshalb die Vorschrift § 275 BGB zurecht einem engen Anwendungsbereich unterliegt und Unmöglichkeit nur in bestimmten Grenzen anzunehmen ist. Dabei ist es – wie i.d.R. immer – wichtig alle Aspekte des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine genaue Subsumtion ist dabei vorteilhaft und führt in diesem Fall dazu, dass Unmöglichkeit nach § 275 I BGB nicht anzunehmen ist, sondern die Leistung weiterhin erbracht werden kann und eine Rückforderung nach §§ 326 V, 346 I BGB ausgeschlossen ist. Des Weiteren ist eine aufmerksame Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 313 BGB unabdingbar, sodass die Abgrenzung zur ergänzenden Vertragsauslegung und die Subsidiarität des § 313 BGB nicht übersehen bzw. vorschnell übergangen wird.