Öffentliches Recht II – Oktober 2020 – Berlin/Brandenburg
Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zu einer Examensklausur im Öffentlichen Recht, die im Oktober 2020 in Berlin und Brandenburg gestellt wurde. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie ihr es getan habt.
Die Stadt S betreibt mehrere öffentliche Schwimmbäder, deren Benutzung mit einer formell rechtmäßigen „Bade- und Benutzungsordnung“ geregelt ist. In dieser Ordnung heißt es u.a.:
5.1 Das Baden ist nicht gestattet, soweit Personen an ansteckenden Krankheiten oder offenen Wunden leiden (z.B. Hautausschlag).
5.2 Beim Baden ist es untersagt, lange Badebekleidung (Neoprenanzug, Badeshirts, Burkini) zu tragen. Eine Ausnahme gilt für das Tragen eines Burkinis während des schulischen Schwimmunterrichts.
5.3 Bei Zuwiderhandlungen darf der Badegast dem Gelände verwiesen werde.
Die 38-jährige, streng gläubige, französische Muslimin F lebt in S und möchte mit einem Burkini baden gehen. F empfindet die islamischen Bekleidungsvorschriften, wonach Frauen ab dem zehnten Lebensjahr ihren Körper (u.a. Arme, Beine, Haare) vor den Blicken von Männern verbergen sollen, als für sich bindend. Sie hält die Badeordnung für rechtswidrig.
Die Stadt S hält dem Ansinnen der M entgegen, dass die Maßnahme dem Gesundheitsschutz anderer Badegäste diene. Außerdem sei nicht nur das Tragen von Burkinis, sondern das Tragen jeglicher langer Badebekleidung unzulässig. Zulässig sind danach Bikini, Badeanzug, Herren Bade Slip oder Badehose. Außerdem würden mittlerweile – was zutrifft – auch andere, nicht religiöse Personen Burkinis tragen.
M erhebt vor dem OVG ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO. Das OVG entscheidet, dass die Badeordnung rechtmäßig sei. Die zulässige Revision zum BVerwG wird ebenfalls als unbegründet abgewiesen und der M am 21.01.2020 zugestellt. Das BVerwG weist darüber hinaus auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hin, wonach es muslimische Mädchen im Schwimmunterricht teilnehmen können, wenn sie einen Burkini tragen. Dies diene dazu, einer Ausgrenzung der Betroffenen entgegenzuwirken und eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu fördern.
M fühlt sich in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Weiter könne es nicht sein, dass Schulmädchen einen Burkini tragen dürfen, M aber nicht.
M erhebt Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil des BVerwG. Dafür schickt sie ein Fax am 21.02.2020 an das BVerfG, welches dort auch am selben Tag eingeht. Aufgrund eines, für M nicht erkennbaren, Defekts des Empfangsgerätes beim BVerfG druckt das Gerät aber nur viele leere Seiten aus. Trotzdem ist erkennbar, dass das Fax von M stammt. Weiter schickt M das unterschriebene Original der Verfassungsbeschwerde am 21.02.2020 per Post los. Das Schreiben kommt am 24.02.2020 beim BVerfG an.
Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk:
1. Die Fallfrage ist umfassend zu klären, gegebenenfalls ist ein Hilfsgutachten zu erstellen.
2. Europarecht ist bei Beantwortung der Frage nicht zu berücksichtigen.
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