Urteil des OLG München: Online-Glücksspiel im Bereicherungsrecht
In seiner Entscheidung vom 20.09.2022 – 18 U 538/22 befasste sich das OLG München mit einem immer wiederkehrenden Klassiker des Bereicherungsrechts: Die teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB. Die Vorschrift des § 817 S. 2 BGB – auch „Kondiktionssperre“ genannt – regelt den Ausschluss des Bereicherungsanspruchs des Leistenden, dem ein gesetzes- bzw. sittenwidriges Verhalten anzulasten ist. Das heißt, wenn der Leistende schon den Boden der Rechtschaffenheit verlässt und sich durch sein Geschäft in den Bereich der Illegalität begibt, soll er nicht dann noch Rechtsschutz beanspruchen und das Geleistete nach den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB zurückfordern können.
I. Sachverhalt
Der Kläger nahm als Spieler an Online-Glücksspielen teil, deren Anbieterin und gleichzeitig Beklagte des Rechtsstreits in Malta saß. Ebendort besaß die Beklagte eine maltesische Lizenz für die Durchführung derartiger Glücksspiele – in Deutschland, am Wohnsitz des Klägers, hingegen nicht. In dem fast zweijährigen Zeitraum zwischen Oktober 2018 und September 2020 führte die Teilnahme an den deutschsprachigen Glücksspielen zu Verlusten aufseiten des Klägers in Höhe von 18.175,00 Euro. Der Kläger litt an einer Spielsucht und war sich im Übrigen wohl nicht darüber bewusst, dass Glücksspiele wie diese in Deutschland einem gesetzlichen Verbot unterliegen. Das OLG München befasste sich als zweite Instanz mit der Frage, ob der Kläger die verspielte Summe zurückverlangen kann.
II. Rechtlichen Erwägungen
1. Anwendbarkeit des deutschen Sachenrechts
Gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom-I-VO ist im entschiedenen Fall das deutsche Sachenrecht anwendbar: (1) Die Parteien schlossen einen Verbrauchervertrag, (2) der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers war in Deutschland und (3) entsprechend lit. b hat der Kläger sein Glücksspielgewerbe auf Deutschland ausgerichtet, war sein Angebot doch auch in deutscher Sprache abrufbar.
2. Tatbestandsvoraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB
Sodann prüfte das Gericht die Tatbestandsvoraussetzungen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs des Klägers gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Der Anspruch steht dem Anspruchsteller dann zu, wenn der Anspruchsgegner etwas durch Leistung des Anspruchstellers und ohne Rechtsgrund erlangt hat.
a. Etwas erlangt durch Leistung
Im entschiedenen Fall erzielte die Klägerin durch den Einzug des Spielgeldes in Höhe von 18.175,00 Euro einen vermögenswerten Vorteil und hat mithin etwas erlangt. Diesen Vorteil erlangte die Beklagte durch eine zwecks Spielvertrags erbrachte Leistung des Klägers.
b. Ohne Rechtsgrund
Hinsichtlich des Rechtsgrundes stritten die Parteien:
aa. Nichtigkeit des Glücksspielvertrags gemäß § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV
Der Kläger berief sich auf die Nichtigkeit des Glücksspielvertrags gemäß § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV i.V.m. § 134 BGB. Der § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV verbietet das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet, die nicht von S. 1 erfasst sind. Das OLG München schloss sich der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts an, dass Sinn und Zweck der Norm die Suchtprävention und der Gesundheitsschutz seien. Daher sei die Vorschrift so zu verstehen, dass sie das Rechtsgeschäft des Onlineglücksspiels „als solches missbilligt“ (LG Traunstein, Urt. v. 20.12.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 23). § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV stelle folglich eine taugliche Verbotsnorm dar. Die Beklagte hatte für die durchgeführten Glücksspiele keine gültige Erlaubnis, sodass der Glücksspielvertrag zwischen der Beklagten und dem Kläger dem Verbot des § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV unterfällt und daher gem. § 134 BGB nichtig ist.
bb. Unionsrechtswidrigkeit der Verbotsnorm?
Die Beklagte hingegen stützte sich auf die Unionsrechtswidrigkeit der Verbotsnorm und ihre Unvereinbarkeit mit Art. 56 AEUV, welcher ein Verbot für Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs statuiert. Jene Rechtsfrage wurde jedoch nicht weiter relevant, da die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits in mehreren Urteilen einen etwaigen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit als gerechtfertigt ansah und einen Verstoß der deutschen Vorschrift gegen das Unionsrecht ablehnte (z.B. BGH, Urt. v. 22.7.2021 – I ZR 194/20; BVerwG, Urt. v. 26.10.2017 – 8 C 18/16).
c. Zwischenergebnis
Der Vertrag ist mithin gem. § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV i.V.m. § 134 BGB nichtig. Der Kläger erbrachte die zielgerichtete Leistung ohne Rechtsgrund. Der Tatbestand des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist erfüllt.
3. Eingreifen der Kondiktionssperre, § 817 S. 1 BGB?
Allerdings könnte der Rückforderungsanspruch gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein. Das Gesetz verlangt hierfür, dass „dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß [gegen das Gesetz und die guten Sitten] zur Last fällt“. In der Rechtsprechung bildete sich neben dem objektiven Kriterium auch ein subjektives heraus: So muss der Leistende objektiv einen gesetzlichen Verstoß begangen haben, sich aber auch in subjektiver Hinsicht zumindest der Einsicht in den Gesetzes- oder Sittenverstoß leichtfertig verschlossen haben (so auch das OLG München, Beschl. v. 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008 Rn. 20).
Im entschiedenen Fall wurde die Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV herangezogen. Ihrem Wortlaut nach verbietet sie das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet. Der Adressat der Norm ist somit der Veranstalter des Glücksspiels, nicht aber der Konsument, sodass dem Spieler selbst ein Verstoß gegen die Norm nicht angelastet werden könne (so das LG Traunstein, Urt. v. 20.12.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 31). Ein möglicher Verstoß hätte sich weiterhin objektiv aus § 285 StGB ergeben können. Doch auch da konnte jedenfalls der subjektive Aspekt nicht festgestellt werden, da die darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keinen Beweis diesbezüglich führte. Die Kondiktionssperre greift daher mangels Vorliegens der subjektiven Voraussetzungen nicht ein.
4. Teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB
Das OLG München hielt zusätzlich – ohne dass es für den Fall entscheidend war – fest, dass in einer solchen Sachverhaltskonstellation eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB geboten wäre. Im Zusammenhang mit § 817 S. 2 BGB ist diese grundsätzlich dann vorzunehmen, wenn durch die Kondiktionssperre der gesetzes- bzw. sittenwidrige Zustand aufrechterhalten oder gar gefördert wird. So dürfte die Kondiktionssperre in den Fällen nicht eingreifen, „in denen ein Ausschluss der Rückforderung nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar wäre […] [und] die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die gerade den leistenden Teil schützen sollen“ (OLG München, Beschl. v. 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008 Rn. 21). Damit sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: Die Schutzrichtung des Verbotsgesetzes und die Vereinbarkeit der Kondiktionssperre im konkreten Fall mit dem Telos des Bereicherungsrechts.
Das Gericht warf einen systematischen Blick in den Staatsvertrag und argumentierte folgendermaßen (OLG München, Beschl. v. 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008 Rn. 21): Die Vorschrift des § 1 GlüStV statuiert die Ziele des Staatsvertrags, die gemäß S. 2 insbesondere den glücksspielspezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotentialen Rechnung tragen sollen. Gesetzgeberischer Wille sei daher auch, die Spieler generell vor unerlaubtem Glücksspiel zu schützen. Würde die Kondiktionssperre nach einer geleisteten Transaktion seitens des Spielers nicht greifen, so würde der Anbieter von der Kondiktionssperre gar profitieren, da der gesamte Spieleinsatz ihm dauerhaft zugesichert wäre. Gleichzeitig würde der rechtswidrige Zustand fortbestehen und ein Anreiz für das illegale Geschäft geschaffen werden, könnten Anbieter solches weiterhin veranstalten und die Geldeinsätze aufgrund ihrer Kondiktionsfestigkeit einbehalten. Ein solches Ergebnis stehe aber mit dem Zweck des Bereicherungsrechts nicht im Einklang. Daher sei eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB geboten – auch wenn der Spieler Kenntnis von der Illegalität des Glücksspiels hat. Der bereicherungsrechtliche Anspruch des Spielers unterliegt somit nicht der Kondiktionssperre.
5. Rechtsfolge
Eine Herausgabe des Geldes „in natura“ ist in einem solchen Fall nicht möglich, sodass dem Spieler der Wert des Erlangten gemäß § 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen ist.
III. Einordnung der Entscheidung
Konsumenten von Online-Glücksspielen können sich über eine weitere verbraucherfreundliche Entscheidung freuen. Der Ansatz des OLG München vermag aber noch keine Leitentscheidung darzustellen, reiht er sich vielmehr in eine (sich der Klärung noch nicht nähernde) Diskussion um den Eingriff der Kondiktionssperre ein. Als Gegenpol zur aufgezeigten Entscheidung lässt sich beispielsweise die Beurteilung des LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21 heranziehen, dessen Ansätze nur als Exempel für die noch uneinheitliche Rechtsprechung skizziert werden:
So kommt das LG Bonn zum gegenteiligen Ergebnis, dass die Kondiktionssperre des § 818 Abs. 2 BGB einschlägig ist. Die Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel ist gemäß § 285 StGB strafbar, sodass jedenfalls jene strafrechtliche Vorschrift als Verbotsnorm herangezogen werden kann. Nun müsste der Spieler in Unkenntnis dieser Vorschrift gehandelt haben. Dabei ist – laut dem LG Bonn – insbesondere bei langjährigen Spielern durchaus zweifelhaft, ob sie tatsächlich von der Legalität des Online-Glücksspiels ausgehen und deswegen von den Konsequenzen des § 817 S. 2 BGB befreit sind. Das Gericht argumentiert, dass in den letzten 10 Jahren iGaming und Online-Glücksspiele stark an Relevanz zugenommen haben. Fragen um die Legalität des Glücksspiels waren in der überregionalen Presse und Berichterstattung nicht nur beiläufiger Gegenstand, sondern standen ständig im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, sodass es „lebensfremd“ sei, einem erfahrenen Spieler Unkenntnis bzw. Verschlossenheit hinsichtlich der Illegalität zuzuschreiben (LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 24).
Auch nimmt das Bonner Gericht hinsichtlich der Intention des Gesetzgebers des GlüStV eine andere Interpretation vor. Es ordnet die Vorschrift des § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV nicht als eine dem Individualinteresse dienende Schutznorm ein, sondern versteht diese als eine ordnungsrechtliche Bestimmung, die sich lediglich an die Glücksspielaufsicht richtet, da sie in einem „Zusammenhang mit den Überwachungsbefugnissen der Glücksspielaufsicht in § 9 GlüStV“ (LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 32) steht (vgl. auch LG München II, Urt. v. 19.8.2021 – 9 O 5322/20). Die Vorschrift sei mithin keine taugliche Verbotsnorm i.S.d. § 817 S. 2 BGB.
Ferner handelt es sich nach Auffassung des LG Bonn um einen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn der Spieler zunächst „sehenden Auges und aus eigenem Handlungsantrieb heraus“ (LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 28) an Online-Glücksspielen teilnehmen kann, um sich dann im Falle von Verlusten das verspielte Geld auf gerichtlichem Wege zurückzuholen – für den Spieler bedeutet dieses rechtliches Ergebnis ein risikoloses Geschäft. Während das LG Bonn also eine Korrektur über § 242 BGB befürwortet, spricht sich das vorinstanzliche Gericht der besprochenen Entscheidung, das LG Traunstein, dagegen aus: § 242 BGB habe lediglich den Charakter einer „Auffangnorm“ (LG Traunstein, Urt. v. 20.21.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 38) und sei nicht heranzuziehen und rechtlich auszureizen, wenn es bereits speziellere Normen gibt, deren Voraussetzungen aber nicht vorliegen. Dabei übersieht letzteres Gericht womöglich, dass Funktion des § 242 BGB nicht ausschließlich die „Lückenfüllung“, sondern auch die Begrenzung vorhandenen Rechts ist (vgl. MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 2). Stärker spielte aber in die Erwägungen des LG Traunstein noch hinein, dass der Kläger der besprochenen Entscheidung keine Kenntnis von der Illegalität des Glücksspiels hatte. Ihm könnte daher der Vorwurf der Treuwidrigkeit nicht angelastet werden – so „jedenfalls im Vergleich mit den Rechtsverstößen, die der Beklagten anzulasten sind“ (LG Traunstein, Urt. v. 20.21.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 38).
Wie man erkennen kann, ist eine plausible Argumentation in unterschiedliche Richtungen möglich. Ein höchstrichterliches Urteil hinsichtlich der behandelten Fragen steht weiterhin noch aus. Es bleibt somit gespannt abzuwarten, wie der BGH an diese Problematik herangeht.