Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im November veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person nicht in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet werden. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, wenn die Einwirkung auf die Zielperson im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist (vorliegend bejaht). Dieser Fall ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK regelmäßig nicht mehr nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, sondern hat grundsätzlich ein Verfahrenshindernis zur Folge (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Urteil vom 16. September 2015 – 2 StR 71/15
Ein unmittelbares Ansetzen nach § 22 Abs. 1 StGB zum Diebstahl (§ 242 StGB) nach der „Wasserwerker-Methode“, bei der sich einer der Täter unter dem Vorwand, Handwerksarbeiten vornehmen zu wollen, bei alleinstehenden älteren Personen einschleicht und diese so ablenkt, dass ein weiterer Täter heimlich ebenfalls die Wohnung betreten und dort stehlenswerte Gegenstände entwenden kann, liegt schon dann vor, wenn der erste Täter bei der Person Einlass begehrt. Nach dem gemeinsamen Tatplan haben die Täter hier die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ mit dem nicht unter einem Rücktrittsvorbehalt stehenden unmittelbaren Einwirken auf das zuvor bereits ausgespähte Tatopfer an der Wohnungstür überschritten. Zu diesem Zeitpunkt ist auch eine konkrete Gefährdung des Opfervermögens bereits eingetreten. Dass das Gelingen und damit die Vollendung der Tat letztlich noch von dem Erfolg der Täuschung und von dem Auffinden von Wertgegenständen innerhalb der Wohnung abhängig ist, hindert nicht den Eintritt ins Versuchsstadium.
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Zuletzt noch eine Entscheidung, die sich mit der Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen eines OLG-Vorsitzenden auseinandersetzt:
III. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – StB 10/15 und 11/15
Die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden einer OLG-Strafsenats nach § 176 Abs. 1 GVG, dass Film und Fotoaufnahmen der Presse vor und nach der Sitzung erlaubt seien, die Gesichter der Angeklagten vor der Veröffentlichung aber durch technische Verfahren anonymisiert werden müssten, sowie der spätere Entzug der Akkreditierung bei einem Pressevertreter, der sich an diese Verfügung nicht hält, unterliegen nicht der Beschwerde nach § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 HS 2 StPO. Eine ausdrückliche Regelung zur Anfechtung der vorgenannten Maßnahmen enthält das GVG nicht. § 181 Abs. 1 GVG sieht lediglich ein befristetes Rechtsmittel gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach §§ 178, 180 GVG vor. Auch eine (analoge) Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 304 Abs. 1 StPO, wonach die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen Verfügungen zulässig ist, sofern sie das Gesetz nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht, scheidet aus; denn nach § 304 Abs. 4 Satz 2 HS 1 StPO ist eine Beschwerde gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte gerade ausgeschlossen; die vorgenannten Maßnahmen sind auch nicht ähnlich zu denjenigen, bei denen § 304 Abs. 4 Satz 2 HS 2 StPO ausdrücklich eine Ausnahme hiervon in Sachen zulässt, in denen die OLG im ersten Rechtszug zuständig sind. Eine über den dort genannten Katalog hinaus gehende Erweiterung der Beschwerdemöglichkeit ist demgegenüber auch eingedenk des Grundrechts der Pressefreiheit dem Gesetzgeber vorbehalten.
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