Im Folgenden eine Übersicht über im Juni veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 12. April 2016 – 2 StR 523/15
Ein soziales Näheverhältnis wie eine Wohngemeinschaft führt nicht allgemein zu einer Beschränkung des Notwehrrechts nach § 32 StGB. Selbst die Annahme einer Garantenstellung aufgrund einer rasch auflösbaren Gemeinschaft würde nämlich jedenfalls sowohl den Angreifer als auch den Verteidiger zur Rücksichtnahme verpflichten. Sie kann daher das dem Notwehrrecht zu Grunde liegende Prinzip der Rechtsbewährung nicht durchbrechen. Die Fallgruppe der besonderen persönlichen Beziehungen, die zu einer sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts führen, ist daher auf Fälle einer engen familiären Verbundenheit oder eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu beschränken. Damit ist eine einfache Wohngemeinschaft zwischen Täter und Opfer nicht vergleichbar (st. Rspr.).
II. BGH, Beschluss vom 28. April 2016 – 4 StR 317/15
Derjenige, der mit einem anderen im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages vereinbart, im eigenen Namen Gemälde und Oldtimer von Dritten anzukaufen und bei der Weiterleitung hierfür eine Erstattung der Auslagen zuzüglich einer Provision in Höhe von 3 bzw. 5 % zu erhalten, begeht einen Betrug (§ 263 StGB), wenn er dem Auftraggeber höhere Kaufpreise benennt, als tatsächlich mit den Dritten vereinbart und gezahlt wurden. Dabei kommt es für die Frage des Vermögensschadens nicht darauf an, ob die erworbenen Gemälde bzw. Oldtimer tatsächlich (auch) die vom Täter genannten, höheren Kaufpreise wert gewesen wären. Denn durch die falschen Angaben zu den angefallenen Kaufpreisen in den einzelnen Rechnungen täuschte der Täter seinem Auftraggebern vor, Zahlungen in dieser Höhe seien für die auftragsgemäße Beschaffung der Kunstwerke und Oldtimer jeweils erforderlich gewesen und von ihm auch tatsächlich erbracht worden. Gegenstand der Täuschung war somit nicht der Wert der jeweiligen Kaufgegenstände, sondern der Umfang der Aufwendungen, die bei der Erfüllung des zuvor erteilten Kaufauftrages angefallen sind und deren vollständiger Ersatz aufgrund der Rahmenvereinbarung in Verbindung mit den erteilten Kaufaufträgen geschuldet war.
III. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 487/15
Wird durch dieselbe Handlung ein Pkw in Brand gesetzt, während dies bei einem im Eigentum einer anderen Person stehenden Wagen trotz entsprechendem dolus eventualis nicht geschieht, liegen neben einer vollendeten Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB) nicht zusätzlich auch eine hierzu in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) stehende versuchte Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 und 4, §§ 23 Abs. 1, 22 StGB vor. § 52 Abs. 1 StGB erfasst zwar auch den Fall, dass dasselbe Strafgesetz durch eine Handlung mehrfach verletzt wird (sog. gleichartige Idealkonkurrenz). Ob eine mehrere taugliche Tatobjekte beeinträchtigende Handlung zu einer mehrmaligen oder lediglich zu einer in ihrem Gewicht gesteigerten einmaligen Gesetzesverletzung geführt hat, hängt aber von dem in Rede stehenden Tatbestand ab. Stellt dieser auf die Verletzung von Gesamtheiten ab und werden keine höchstpersönlichen Rechtsgüter geschützt, so führt eine handlungseinheitliche Beeinträchtigung mehrerer Tatobjekte selbst dann nicht zu einer mehrfachen Verwirklichung des Tatbestands, wenn verschiedene Rechtsgutsträger geschädigt worden sind. So verhält es sich auch bei der Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB, die als „qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt“, dem auch ein Element der Gemeingefährlichkeit anhaftet, keine höchstpersönlichen Rechtsgüter schützt.
– – –
Zuletzt noch eine prozessuale Entscheidung, die sich mit dem Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes hinsichtlich gewonnener Beweismittel bei Durchsuchung eines Pkw ohne die hierzu erforderliche richterliche Anordnung befasst:
IV. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 StR 394/15
Die Anordnung einer Pkw-Durchsuchung, die durch die Staatsanwaltschaft wegen der Annahme von Gefahr im Verzug ohne richterliche Beteiligung angeordnet wird (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO), obwohl eine solche Dringlichkeit nicht vorliegt, führt zu einem Beweisverwertungsverbot. Es entlastet den anordnenden Staatsanwalt dabei nicht, wenn diesem das Fehlen von Gefahr im Verzug nicht bewusst gewesen ist, wenn eine solche Fehlvorstellung auf nicht vollständiger Information beruht und damit der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, zumal wenn noch nicht einmal der Versuch unternommen wurde, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen, während der Angeklagte sich in Untersuchungshaft befand. Dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kann bei einer solch groben Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen. Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen.
Schlagwortarchiv für: materielles Recht
Im Folgenden eine Übersicht über im Mai veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 26. November 2015 – 3 StR 17/15
Ein Mitglied des Aufsichtsrats einer GmbH trifft die Pflicht im Sinne des Untreuetatbestandes (§ 266 StGB), das Vermögen der Gesellschaft zu betreuen. Es verletzt diese Pflicht u.a. dann, wenn es mit einem leitenden Angestellten der Gesellschaft bei einem das Gesellschaftsvermögen schädigenden, die Grenzen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit überschreitenden Fehlverhalten zusammenwirkt. Ein Verstoß gegen die europarechtlichen Vorschriften zur Gewährung von Beihilfen begründet jedoch keine Pflichtverletzung im Sinne des Untreuetatbestandes; denn diese Regelungen dienen nicht dem Schutz des Vermögens des Beihilfegebers, sondern dem des europäischen Binnenmarktes vor Wettbewerbsverzerrungen („Nürnburgringverfahren“; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15
Notwendige Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen vollendeten Raubes (§ 249 StGB) ist neben einer finalen Verknüpfung zwischen dem Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme ebenfalls ein räumlich-zeitlicher Zusammenhang dergestalt, dass es zu einer nötigungsbedingten Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Gewahrsamsinhabers über das Tatobjekt gekommen ist. Dieses neben den Finalzusammenhang tretende eigenständige Merkmal folgt aus der gegenüber einem Diebstahl erhöhten Strafdrohung bei Raub. Sie beruht auf dem wesentlich höheren Schuld- und Unrechtsgehalt, der an den Einsatz von qualifizierten Nötigungsmitteln zur Herbeiführung des Gewahrsamsbruchs beim Opfer anknüpft. Daher ist der Raubtatbestand nicht erfüllt, wenn der Täter auf das Opfer zwar mit Gewalt in der Absicht einwirkt, die Wegnahme zu erleichtern, das Opfer jedoch im Anschluss den Gewahrsam aus anderen Gründen preisgibt; es kommt dann nur ein versuchter Raub in Betracht (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
III. BGH, Beschluss vom 10. März 2016 – 3 StR 404/15
Wer eine Räumlichkeit durch eine zum ordnungsgemäßen Zugang bestimmte Tür betritt, steigt nicht im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein, unabhängig davon, auf welche Weise er die Tür geöffnet hat (Leitsatz des Gerichts). Daher verwirklicht eine Person, die durch ein auf Kipp stehendes Fenster eines Wohnhauses greift und die am oberen Fensterrahen angebrachte Verriegelungsschiene löst, um das Fenster weiter nach hinten zu kippen und sodann den Griff der danebenliegenden Terrassentür umzulegen, um zu Diebstahlszwecken in den Wohnbereich zu gelangen, lediglich einen einfachen Diebstahl. Dies entspricht der Binnensystematik der § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB, da der Alternative des Eindringens zu entnehmen ist, dass das Betreten durch eine hierzu bestimmte Öffnung nur dann vom Regelbeispiel bzw. der Qualifikation erfasst sein soll, wenn dies unter Nutzung eines falschen Schlüssels oder eines anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten, auf den Schließmechanismus einwirkenden Werkzeuges geschieht. Das hergebrachte Begriffsverständnis deckt sich zudem mit dem allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne des Sichverschaffens unrechtmäßigen Zutritts durch Hineinklettern (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH Urteil vom 28. April 2016 – 4 StR 563/15
Ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse im Sinne des § 316a Abs. 1 StGB (räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) setzt in objektiver Hinsicht nur voraus, dass der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deswegen leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann. Daher ist es regelmäßig ausreichend, dass sich das Fahrzeug des Opfers noch in Bewegung befindet, ohne dass es darauf ankommt, dass sich die konkrete Tat an einem einsamen Ort ohne weiteres Verkehrsaufkommen ereignet. Subjektiv ist erforderlich, dass sich der Täter in tatsächlicher Hinsicht der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs im Zeitpunkt der Tat bewusst ist. Nicht notwendig ist hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht. Dass der Täter nicht von vornherein geplant hat, sich durch die verkehrsspezifischen Umstände einen Vorteil für sein Angriffsvorhaben zu verschaffen, ist daher unschädlich.
– – –
Zum Schluss noch eine Entscheidung, die sich mit dem absoluten Revisionsgrund der fehlerhaften Besetzung des Gerichts (§ 338 Nr. 1 StPO) und damit der Frage nach dem gesetzlichen Richter im Zusammenhang mit der Anordnung der Zuziehung eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) durch den Vorsitzenden beschäftigt:
V. BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15
Kann ein zur Urteilsfindung berufener Richter wegen Krankheit nicht zu einer Hauptverhandlung er
scheinen, die bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO), so kommt der Eintritt eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann (Leitsatz des Gerichts). Im Hinblick auf das Prinzip des gesetzlichen Richters ist es insoweit geboten, die Feststellung des Verhinderungsfalls zurückzustellen und abzuwarten, ob die Hauptverhandlung noch unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden kann. Solange die Fristen gehemmt sind, ist für eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden deshalb kein Raum, und der Eintritt des Ergänzungsrichters kommt erst in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Im Folgenden eine Übersicht über im April veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 4 StR 390/15
Die fakultative Strafmilderung wegen tätiger Reue nach § 320 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB kommt auch bei einer Verurteilung wegen Angriffs auf den Luft- und Seeverkehr im Sinne der Vorschrift des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in Betracht, bei der Vollendung bereits mit der Ausführung der Tathandlung eintritt (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Dem Wortlaut von § 320 Abs. 1 StGB, der ohne Einschränkung auf § 316c Abs. 1 StGB verweist, kann eine Einschränkung auf eine einzelne Tatvariante nicht entnommen werden. Es kommt hinzu, dass der Anwendungsbereich des § 320 Abs. 1 StGB nicht nur eröffnet wird, wenn der Täter „sonst den Erfolg abwendet“, sondern auch dann, wenn er „freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt“. Schon vom Wortsinn her sind damit die Tathandlungen des in § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB geregelten bloßen Tätigkeitsdelikts vom Anwendungsbereich der Vorschrift nicht ausgenommen. Vom Sinn und Zweck der Vorschrift her dient die Möglichkeit der tätigen Reue zudem im Fall des reinen Tätigkeitsdelikts als Ausgleich für die dadurch bewirkte erhebliche Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes, von dem an auch ein Rücktritt nach § 24 StGB ausgeschlossen ist, und dient darüber hinaus dem Opferschutz.
II. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 1 Ars 10/15
Der 1. Senat hält entgegen dem Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 18. März 2015 – 2 StR 96/14 – daran fest, dass die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB (Geltung des deutschen Strafrechts für im Ausland begangene Taten des unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln) zu ihrer Rechtfertigung über die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen hinaus keines weiteren legitimierenden Anknüpfungspunktes im Sinne einer Begrenzung der strafrechtlichen Regelungsgewalt bedarf. Denn das in der vorgenannten Vorschrift zum Ausdruck kommende Weltrechtsprinzip lässt eine Ausdehnung der Strafgewalt auf Taten gegen Rechtsgüter zu, deren Schutz im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft liegt, um Verfolgungsdefizite im Tatortstaat zu überwinden und im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft einen effektiven strafrechtlichen Schutz dieser Rechtsgüter zu gewährleisten. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des § 6 Nr. 5 StGB werden weitere Voraussetzungen nicht vorgesehen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine über den Wortlaut hinausgehende Einschränkung. Denn vom Schutzzweck her sachgerecht und vom Gesetzgeber erkennbar gewollt ist es, dem Betäubungsmittelhandel, der wegen seiner grenzüberschreitenden Gefährlichkeit auch Inlandsinteressen berührt, durch Anwendung des deutschen Strafrechts auf den Händler entgegenzuwirken, gleich welcher Staatsangehörigkeit er ist und wo er die Tat begangen hat. Die Beschränkung auf Taten mit einem qualifizierten Inlandsbezug wäre bei der Umsetzung dieses Schutzzwecks eher hinderlich.
III. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 3 StR 538/15
Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Diebstähle nach § 242 Abs. 1, § 244a Abs. 1 StGB zu begehen, hat dies nicht zur Folge, dass jede von einem der Bandenmitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den anderen Bandenmitgliedern ohne Weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben (ständige Rspr.). Sofern sich der Tatbeitrag eines Bandenmitglieds daher im konkreten Fall lediglich auf einen Hinweis bezüglich eines lohnenswerten Einbruchsobjekts beschränkt, bei dem die eigentliche Tat durch andere Bandenmitglieder erst Tage später vollzogen wird und der Tippgeber mit einem vergleichsweise geringen Teil der Tatbeute entlohnt wird, liegt insofern lediglich Strafbarkeit wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl vor (§ 27 i.V.m. § 244a Abs. 1 StGB).
IV. BGH, Beschluss vom 7. März 2016 – 2 StR 123/15
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zieht bei einem Geschehen, welches schon vollständig abgeschlossen ist, das Einverständnis des später Hinzutretenden trotz Kenntnis, Billigung oder Ausnutzung der durch den anderen Mittäter geschaffenen Lage eine strafbare Verantwortung für den bereits abgeschlossenen Vorgang nicht nach sich. Daher kann dann, wenn einer der Täter das überraschend anwesende Opfer im Rahmen eines geplanten Wohnungseinbruchsdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) mit Pfefferspray attackiert, was von dem weiteren Täter nachträglich gebilligt wird, eine Verurteilung des zweiten Täters wegen besonders schweren Raubes in Betracht kommen (§ 251 Abs. 2 Nr. 1 StGB), nicht hingegen im Hinblick auf die allein durch den ersten Täter bereits vollendete gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
V. BGH, Beschluss vom 14. März 2016 – 1 StR 337/15
Vorsätzlicher Bankrott durch Verheimlichen von Bestandteilen des Vermögens im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person bei fortdauerndem Verheimlichen bis zur Restschuldbefreiung erst dann beendet, wenn diese erteilt wird (Leitsatz des Gerichts). Dementsprechend kann auch erst ab diesem Zeitpunkt die Verfolgungsverjährung der Tat beginnen (§ 78a Satz 1 StGB). Nach dem vom BGH in ständiger Rechtsprechung angewendeten materiellen Beendigungsbegriff ist die Tat nämlich erst beendet, wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt abschließt, das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht ist. Das Rechtsgut der Insolvenzdelikte besteht im Schutz der Insolvenzmasse vor unwirtschaftlicher Verringerung, Verheimlichung und ungerechter Verteilung zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft. Bei der Insolvenz einer natürlichen Person dauert im Falle des Verheimlichens von Vermögensbestandteilen im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Angriff auf das geschützte Rechtsgut bei einer erstrebten Restschuldbefreiung daher jedenfalls so lange an, bis das Insolvenzgericht durch Beschluss feststellt, dass der Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung erlangt hat. Denn die Pflicht, ohne besondere Nachfrage Vermögensbestandteile zu offenbaren, besteht gemäß §§ 20, 97 InsO nicht nur nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern auch noch nach dessen Abschluss im Restschuldbefreiungsverfahren fort (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
VI. BGH, Urteil vom 6. April 2016 – 5 StR 504/15
Die Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord nach der sogenannten „Rechtsfolgenlösung“ (§§ 211, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wurde für Fälle der Heimtücke entwickelt und ist auf Konstellationen, in denen das Mordmerkmal der „Befriedigung des Geschlechtstriebs“ einschlägig ist (hier: „Schlachtung“ eines hiermit einverstandenen anderen Menschen, um hierdurch sexuelle Befriedigung, zumindest aber sexuellen Lustgewinn zu erhalten), nicht ohne weiteres anwendbar. In diesem Fall handelt der Täter nicht aus einer außergewöhnlichen Notlage oder einer notstandsnahen Bedrängnis heraus, sondern tötet primär zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und damit in besonders verwerflicher Weise. Hieran vermag auch der Wunsch des Tatopfers, getötet zu werden, nichts zu ändern, sofern die Voraussetzungen des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) nicht festgestellt werden können (hier: Wunsch des Opfers nicht handlungsleitend, da der Angeklagte von vornherein aus eigenem Antrieb im Internet nach Personen gesucht habe, die bereit wären, sich von ihm töten, insbesondere „schlachten“ zu lassen).
– – –
Zum Schluss noch eine prozessuale Entscheidung, die sich mit dem Einbringen von polizeilichen Observationsberichten in die Hauptverhandlung beschäftigt:
VII. BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 484/15
Polizeiliche Observationsberichte können in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs.1 Nr. 5 StPO verlesen werden. Aus dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ergibt sich weder, dass Observationsberichte im Speziellen von einer Verlesung ausgenommen sein sollen, noch, dass Ermittlungshandlungen im Sinne der Vorschrift ausschließlich „Routinemaßnahmen“ betreffen. Ebenfalls spricht auch die teleologische Auslegung des § 256 Abs.1 Nr. 5 StPO gegen einen Ausschluss von Observationsberichten aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift. Als Erwägung für die Verlesung von Protokollen und Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden führen die Gesetzesmaterialien an, dass etwa ein Polizeibeamter „in der Hauptverhandlung ohnehin in der Regel kaum mehr bekunden [könne] als das, was in dem Protokoll bereits schriftlich festgelegt“ sei (BT-Drs. 15/1508 S. 26). Dies trifft auf polizeiliche Observationsprotokolle aber gleichfalls zu. Kleine Details wie etwa Zeitangaben zu – für sich gesehen – wenig eindrücklichen einzelnen Beobachtungsvorgängen, die erst nachträglich in einem größeren Zusammenhang Bedeutung gewinnen können, werden in der zeitnahen Verschriftung oft zuverlässiger bekundet werden als nach oft langer Zeit in der Hauptverhandlung aus dem Gedächtnis.
Im Folgenden eine Übersicht über im März veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 13. Januar 2016 – 2 StR 148/15
Ein in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis stehender Schulsekretär, der nach der internen Aufgabenverteilung allein für das Bestell- und Zahlwesen einer Schule zuständig ist, ist auch dann Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB, wenn er nicht nach außen als Entscheidungsträger auftritt, sondern nur faktisch die Entscheidung darüber trifft, welche Bestellungen realisiert, welche Zulieferer beauftragt und dass Zahlungen angewiesen werden (Leitsatz des Gerichts). Er kann daher wegen Bestechlichkeit (§ 332 StGB) strafbar sein, wenn er einen Lieferanten gegen „Provisionszahlungen“ bei der Bestellung für Verbrauchsmittel bevorzugt und diesem durch den gutgläubigen Schulleiter oder ein sonstiges gutgläubiges Mitglied des Kollegiums Auszahlungen zuweisen lässt, ohne dass tatsächlich Leistungen erfolgen (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 – 5 StR 328/15
Ein Verwaltungsangestellter, der mit der Bearbeitung von Bußgeldverfahren betraut ist und diese zu Gunsten der betroffenen Personen jeweils zu einem endgültigen – im Verfahrensgang nicht vorgesehenen – Abschluss bringt, indem er Akten aus dem Dienstverkehr entzieht, um auf diese Weise eine Ahndung der Verstöße zu verhindern, begeht eine Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Denn er beendet die Bußgeldverfahren mit fremdnütziger Zielrichtung in außergesetzlicher Weise, deren gesetzmäßige Führung seine dienstliche Aufgabe ist. Mit seinem im Ergebnis einer abschließenden Entscheidung gleichkommenden Vorgehen entfernt er sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz.
III. BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 – 1 StR 435/15
Die von einer Prostituierten aufgrund einer vorherigen Vereinbarung erbrachten sexuellen Handlungen und die dadurch begründete Forderung auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 Satz 1 ProstG) gehören zum strafrechtlich geschützten Vermögen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278 f.) (Leitsatz des Gerichts). Daher kann sich ein Freier eines Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB schuldig machen, wenn er der Prostituierten unter Vorspiegelung seiner Zahlungswilligkeit und -fähigkeit als Entgelt einen nicht gedeckten Scheck übergibt und im Anschluss die sexuellen Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Angesichts der gesetzgeberischen Wertung des § 1 Satz 1 ProstG muss bereits den in Erfüllung eingegangener Verabredungen und in Erwartung des vereinbarten Entgelts erbrachten sexuellen Leistungen ein betrugsstrafrechtlich relevanter wirtschaftlicher Wert zugemessen werden (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 – 4 StR 266/15
Die Verurteilung eines Elternteils wegen Misshandlungen des eigenen Kindes, die „in dubio pro reo“ für den Fall, dass der andere Elternteil die tatbestandliche Handlung begangen hat, ihm als Garant in Form des unechten Unterlassensdelikts (§§ 13, 225 StGB) angelastet wird, lässt sich nicht auf die Erwägung stützen, dass das Kind bereits in der Vergangenheit entweder durch den einen oder den anderen Elternteil Misshandlungen erfahren hatte, sodass dem verurteilten Elternteil eine besondere Fürsorgepflicht traf. Wenn nämlich auch für die frühere Misshandlung der jetzige Verurteilte als Täter in Betracht kommt, bestand für ihn keine Veranlassung, aufgrund dessen gerade im Hinblick auf einen zu befürchtenden und unterstellten Übergriff des anderen Partners von einer Erfolgsabwendungspflicht ausgehen zu müssen.
V. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 4 StR 459/15
Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch Unterlassen scheidet in einem Fall, in welchem der Inhaber einer Wohnung Kenntnis davon hat, dass sein Mitbewohner Heroin in der Wohnung lagert und damit handelt, ohne hiergegen einzuschreiten, mangels Garantenstellung des Wohnungsinhabers aus. Denn der Inhaber einer Wohnung hat grundsätzlich rechtlich nicht dafür einzustehen, dass in seinen Räumen durch Dritte keine Straftaten begangen werden. Ein Ausnahmefall kommt nur dann in Betracht, wenn die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage – über ihre Eigenschaft als nach außen abgeschirmter Bereich hinaus – eine Gefahrenquelle darstellt (ständige Rspr).
– – –
Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, die sich mit einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK und den Grundsatz des fairen Verfahrens bzw. der Frage beschäftigen, ob die Höhe der Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer zulässiger Gegenstand einer Verständigung nach § 257c StPO sein kann:
VI. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 457/14
Ein Angeklagter kann auf die das Strafverfahren abschließende Entscheidung nur dann hinreichend Einfluss nehmen, wenn ihm der Verfahrensgegenstand in vollem Umfang bekannt ist, was auch die Kenntnis der Anklageschrift voraussetzt. Deshalb hat ein Angeklagter nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache. Die mündliche Übersetzung allein des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist. Der Umstand, dass der Angeklagte einen Verteidiger hat, führt – auch unter Berücksichtigung des § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG – zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung. Ein Angeklagter, dem die Anklageschrift nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, kann daher grundsätzlich die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen, um seine Verteidigung genügend vorbereiten zu können. Wird ihm dies verwehrt, liegt hierin ein Verstoß gegen Art.6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens.
VII. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 1 StR 79/15
Die Höhe der Kompensation für eine hinsichtlich Art, Ausmaß und ihrer Ursachen prozessordnungsgemäß festgestellte überlange Verfahrensdauer ist ein zulässiger Verständigungsgegenstand nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers können Verständigungsgegenstand u.a. grundsätzlich die Maßnahmen sein, über die das erkennende Gericht verfügen kann, somit Maßnahmen, die es im Erkenntnis treffen kann; Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung sollten hingegen nicht angetastet werden. Danach erweist sich die Verständigung über Art und Ausmaß einer Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer als zulässiger Verständigungsgegenstand, sofern die tatsächlichen Grundlagen, aufgrund derer das Gericht Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen ermittelt hat, außen vor bleiben (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Im Folgenden eine Übersicht über im Dezember veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung des drohenden Verlustes des Rechtsguts (hier: Tod der eine unverdünnt giftigen BtM-Substanz des Garanten konsumierenden Person) entwickelt. Entgegen der in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 385/15
Zwischen den Tatbeständen des § 249 StGB (Raub) und des § 252 StGB (räuberischer Diebstahl) besteht zwar Gesetzeseinheit in der Weise, dass § 249 StGB grundsätzlich § 252 StGB verdrängt. Anders ist es allerdings, wenn die Nötigungshandlung in der Beendigungsphase schwerer wiegt, weil erst nach der Vollendung der Wegnahme ein Qualifikationstatbestand der §§ 250 oder 251 StGB verwirklicht wurde. In diesem Fall verdrängt der zur Sicherung der Beute aus dem vorhergehenden Raub begangene, besonders schwere räuberische Diebstahl den Tatbestand des § 249 StGB (ständige Rspr.).
III. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 199/15
Lehrfall zu Fragen rund ums Notwehrrecht: Derjenige, der bei der Flucht von Räubern aus seinem Haus mit seiner Pistole zielgerichtet auf einen der Fliehenden, der ihm unbemerkt bereits sein Portemonnaie gestohlen hat, schießt und ihn dadurch tötet, ist nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Ein Angriff auf Leib und Leben fand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr statt, bezüglich des gestohlenen Eigentums fehlte es an einem Verteidigungswillen. Selbst wenn man insofern die Regeln zum untauglichen Versuch anwenden wollte, fehlte es am objektiven Tatbestand der Notwehrlage, da der Täter im Hinblick auf den (nur noch in Rede stehenden) Angriff auf sein Eigentum auf einen Schuss in die Beine des Fliehenden zu verweisen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Hausrechts wäre der Schuss jedenfalls nicht mehr geboten gewesen, da die Räuber bereits flohen und damit diese Beeinträchtigung zeitnah beendet gewesen wäre. Die Annahme eines Notwehrexzesses scheitert daran, dass kein Verteidigungswille vorlag bzw. – im Hinblick auf Leib und Leben – eine nur vorgestellte Notwehrlage („Putativnotwehrexzess“) im Rahmen des § 33 StGB nicht ausreichend ist.
IV. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 218/15
Wer sich als Zivilperson in einem ausländischen Staat, auf dessen Gebiet ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen und Widerstandsgruppen bzw. terroristischen Organisationen – aber auch unter diesen – ausgetragen wird, bei einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung (hier: dem Ehemann nach islamischen Recht) aufhält und sich von diesem im Gebrauch von Schusswaffen zu dem Zweck unterweisen lässt, sich und seine Angehörigen im Falle eines Angriffs auch staatlicher Streitkräfte verteidigen zu können, bereitet in der Regel auch dann keine schwere staatsgefährdende Gewalttat im Sinne von § 89a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, wenn er mit der betreffenden terroristischen Vereinigung sympathisiert (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
V. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15
Derjenige, welcher ein Opfer durch heimtückische Schläge mit einer Metallstange auf den Kopf bewusstlos macht und hierbei tödlich verletzt begeht, wenn er später zum Tatort zurückkehrt und, da das Opfer wider erwarten noch nicht verstorben ist, sodann durch Messerstiche in den Hals tötet, einen vollendeten Heimtückemord (§ 211 StGB) und nicht einen lediglich versuchten Mord in Tatmehrheit mit vollendetem Totschlag (so die Vorinstanz). Denn die Schläge mit der Metallstange, die auch ohne die späteren Messerstiche zum Tod des Opfers geführt hätten, sind weiterhin kausal für dessen Tod gewesen. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat. Danach waren die mit Tötungsabsicht geführten Schläge mit der Metallstange unbeschadet des Umstands, dass das Tatopfer unmittelbar an den Folgen der späteren Messerschnitte verstarb, für den Tod des Opfers ursächlich. Denn der Einsatz des Messers gegen das bewusstlose, bereits tödlich verletzte Opfer, um es endgültig zu töten, knüpfte an das vorausgegangene Geschehen an und wäre ohne die durch die Schläge mit der Metallstange geschaffene Lage nicht möglich gewesen. Der Tod des Opfers als Folge der mit der Metallstange geführten Schläge ist dem Angeklagten auch subjektiv als von dem die Ausführung der Schläge tragenden Vorsatz mitumfasst zuzurechnen, da es sich um eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf handelt.
– – –
Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, wobei sich die eine mit der Frage einer Beschwer des Angeklagten trotz freisprechendem Urteil beschäftigt (Fall „Mollath“), während die andere die Reichweite des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach § 338 Nr. 6 StPO, §§ 169 ff. GVG im Zusammenhang mit einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO zum Thema hat:
VI. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15
Die Revision gegen ein (allein) aufgrund nicht erwiesener Schuldfähigkeit freisprechendes Urteil ist grundsätzlich unzulässig, da der Angeklagte hierdurch nicht beschwert wird. Es genügt nicht, dass nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgend einer Weise belastend ist. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in extrem gelagerten Ausnahmefällen zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes führen können, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Für den Angeklagten schlicht unangenehme Aussagen reichen hierzu nicht aus. Auch aus der Medienwirksamkeit des Strafverfahrens kann sich eine Beschwer im genannten Sinne nicht ergeben, denn diese ist nicht Folge des Urteils und der Entscheidungsgründe selbst. Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung in der Rechtsprechung des EGMR ist ebenfalls nicht verletzt. Zwar kann es hierfür nicht nur auf den Tenor der freisprechenden Entscheidung, sondern auch auf die Urteilsbegründung ankommen. Dies gilt aber vor allem dann, wenn das nationale Gericht im Fall eines Freispruchs aus sachlichen Gründen durch die Urteilsgründe zum Ausdruck bringt, es sei von der Schuld des Angeklagten tatsächlich überzeugt. Dies ist im vorliegenden Fall, in dem es um einen Freispruch aus Rechtsgründen ging, nicht gegeben.
VII. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15
Es liegt keine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit vor, wenn auf Antrag des Angeklagten durch Gerichtsbeschluss die Öffentlichkeit für die Dauer seiner Vernehmung gemäß § 171b Abs. 1 GVG wegen der aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommenden Umstände ausgeschlossen wird und in dieser Phase eine Erörterung gemäß § 257b StPO erfolgt, mit der Strafmaßerwartungen thematisiert und Fragen einer Verständigungsmöglichkeit geklärt werden sollen. Beschränkt sich der Ausschluss der Öffentlichkeit auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson, so umfasst er nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören. Dies war vorliegend der Fall. Denn zum Verfahren einer Verständigung nach § 257c StPO hätte auch die Klarstellung gehört, von welchem Sachverhalt, auf den sich ein Geständnis beziehen könnte, das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten ausgehen. Die Einlassung des Angeklagten, für deren Dauer die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, war mithin zwangsläufig Gegenstand einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO.
Im Folgenden eine Übersicht über im November veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person nicht in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet werden. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, wenn die Einwirkung auf die Zielperson im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist (vorliegend bejaht). Dieser Fall ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK regelmäßig nicht mehr nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, sondern hat grundsätzlich ein Verfahrenshindernis zur Folge (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Urteil vom 16. September 2015 – 2 StR 71/15
Ein unmittelbares Ansetzen nach § 22 Abs. 1 StGB zum Diebstahl (§ 242 StGB) nach der „Wasserwerker-Methode“, bei der sich einer der Täter unter dem Vorwand, Handwerksarbeiten vornehmen zu wollen, bei alleinstehenden älteren Personen einschleicht und diese so ablenkt, dass ein weiterer Täter heimlich ebenfalls die Wohnung betreten und dort stehlenswerte Gegenstände entwenden kann, liegt schon dann vor, wenn der erste Täter bei der Person Einlass begehrt. Nach dem gemeinsamen Tatplan haben die Täter hier die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ mit dem nicht unter einem Rücktrittsvorbehalt stehenden unmittelbaren Einwirken auf das zuvor bereits ausgespähte Tatopfer an der Wohnungstür überschritten. Zu diesem Zeitpunkt ist auch eine konkrete Gefährdung des Opfervermögens bereits eingetreten. Dass das Gelingen und damit die Vollendung der Tat letztlich noch von dem Erfolg der Täuschung und von dem Auffinden von Wertgegenständen innerhalb der Wohnung abhängig ist, hindert nicht den Eintritt ins Versuchsstadium.
– – –
Zuletzt noch eine Entscheidung, die sich mit der Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen eines OLG-Vorsitzenden auseinandersetzt:
III. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – StB 10/15 und 11/15
Die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden einer OLG-Strafsenats nach § 176 Abs. 1 GVG, dass Film und Fotoaufnahmen der Presse vor und nach der Sitzung erlaubt seien, die Gesichter der Angeklagten vor der Veröffentlichung aber durch technische Verfahren anonymisiert werden müssten, sowie der spätere Entzug der Akkreditierung bei einem Pressevertreter, der sich an diese Verfügung nicht hält, unterliegen nicht der Beschwerde nach § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 HS 2 StPO. Eine ausdrückliche Regelung zur Anfechtung der vorgenannten Maßnahmen enthält das GVG nicht. § 181 Abs. 1 GVG sieht lediglich ein befristetes Rechtsmittel gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach §§ 178, 180 GVG vor. Auch eine (analoge) Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 304 Abs. 1 StPO, wonach die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen Verfügungen zulässig ist, sofern sie das Gesetz nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht, scheidet aus; denn nach § 304 Abs. 4 Satz 2 HS 1 StPO ist eine Beschwerde gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte gerade ausgeschlossen; die vorgenannten Maßnahmen sind auch nicht ähnlich zu denjenigen, bei denen § 304 Abs. 4 Satz 2 HS 2 StPO ausdrücklich eine Ausnahme hiervon in Sachen zulässt, in denen die OLG im ersten Rechtszug zuständig sind. Eine über den dort genannten Katalog hinaus gehende Erweiterung der Beschwerdemöglichkeit ist demgegenüber auch eingedenk des Grundrechts der Pressefreiheit dem Gesetzgeber vorbehalten.
Im Folgenden eine Übersicht über im Oktober veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 28. April 2015 – 3 StR 48/15
Die Absicht, dem Tatopfer mit Schlägen und dem Vorhalten einer Waffe ein Handy zu entwenden, auf dem sich kompromittierende Fotos eines Dritten befinden, um diese zu löschen, belegt nicht die für einen Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) erforderliche Zueignungsabsicht. Dass die beabsichtigte Durchsuchung des Handyspeichers und die Identifizierung der dabei aufgefundenen Bilddateien im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache liegen, ändert hieran nichts, denn diese führen nicht zu deren Verbrauch. Insofern scheidet auch eine bei Fehlen der Zueignungsabsicht grundsätzlich mögliche räuberische Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255 StGB) aus. Denn der Täter handelt nicht in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern. Bloßer Besitz einer Sache bildet einen Vermögensvorteil nur dann, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt.
II. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15
Bei der Nutzung der Symbole der Rocker-Gruppe „Bandidos“ durch Angehörige einer nicht durch die Behörden verbotenen Ortsgruppe (sog. „Chapters“) machen sich diese nicht unbedingt wegen „Verwendens“ des Kennzeichens eines verbotenen Vereins nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG strafbar. Vielmehr ist – parallel zur Auslegung des identischen Merkmals in der Rechtsprechung des BGH zu § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) – den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Insofern ergibt sich durch die Hinzufügung einer auf ein nicht verbotenes „Chapter“ hinweisenden Ortsbezeichnung aus dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang der Kennzeichenverwendung eindeutig, dass der Betroffene das Symbol gerade nicht als Kennzeichen der verbotenen „Chapter“ verwendeten, sondern als Kennzeichen des eigenen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsvereins (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
III. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 2 StR 16/15
Wer der Täter vom Opfer durch eine Täuschungshandlung ec-Karte und PIN-Nummer erhält und anschließend damit am Bankautomaten Geldabhebungen vornimmt, verwirklicht er nicht kumulativ die beiden Straftatbestände des Betrugs und des Computerbetrugs. Vielmehr betrügt der Täter den berechtigten Inhaber von Bankkarte und Geheimnummer im Sinne von § 263 StGB, aber er „betrügt“ nicht außerdem noch den Geldautomaten gemäß § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB, wenn er hierbei die echte Bankkarte und die richtige Geheimnummer verwendet. Denn bei der gebotenen betrugsspezifischen Auslegung des Merkmals „unbefugt“ in § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB ist zu unterstellen, dass es bei dem fiktiven Prüfvorgang eines Bankmitarbeiters um dieselben Aspekte ginge, die auch der Geldautomat abarbeitet. Für den Automaten sind Identität und Berechtigung des Abhebenden aber mit der Eingabe der echten Bankkarte und der zugehörigen Geheimnummer hinreichend festgestellt (ständige Rspr. des BGH).
IV. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 StR 117/15
Die Tatbegehung einer gefährlichen Körperverletzung „mittels einer Waffe“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB) fordert, dass der Täter seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt. Dies ist in dem Fall, dass der Geschädigte bei einem Schuss des Täters mit einer Schusswaffe auf seinen Pkw lediglich durch Splitter der durch den Schuss geborstenen Glasscheibe verletzt wird und ein Knalltrauma erleidet, nicht der Fall. Die Körperverletzungserfolge sind erst durch das Zerbersten der Scheibe und damit durch eine Folge des Schusses eingetreten, nicht aber „mittels“ der eingesetzten Waffe.
V. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 1 StR 16/15
Dem Schutzbereich des § 202a Abs. 1 StGB (Ausspähen von Daten) unterfallen nur solche Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind. Dies sind nur solche, bei denen der Verfügungsberechtigte durch die Sicherung sein Interesse an der Geheimhaltung der Daten dokumentiert hat. Die Zugangssicherung im Sinne von § 202a Abs. 1 StGB muss den Täter dabei zu einer Zugangsart zwingen, die der Verfügungsberechtigte erkennbar verhindern wollte. Insofern kommt eine Firewall als tatbestandsmäßige Schutzvorrichtung dem Grunde nach nicht in Betracht, wenn die vom Täter eingesetzte Schadsoftware selbige nicht umgeht, sondern von der Firewall schlicht nicht erkannt wird.
VI. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 3 StR 104/15
Die für einen (versuchten) Raub (§ 249 Abs. 1, 22, 23 StGB) erforderliche rechtswidrige Zueignungsabsicht ist nicht ohne weiteres dann gegeben, wenn ein ausländischer Freier gegenüber einer Prostituierten vor Vornahme der vereinbarten sexuellen Handlungen das Geld zurückfordert und sie hierbei gegen eine Wand drückt, um sie zu durchsuchen. Vielmehr kommt ebenfalls in Betracht, dass der Freier von einem Anspruch auf Rückgewähr des Geldes wegen rechtsgrundloser Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeht. Denn die zwischen den Beteiligten getroffene Vereinbarung über die Vornahme sexueller Leistungen gegen ein Entgelt ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, § 138 Abs. 1 BGB. Aus § 1 ProstG ergibt sich nichts Gegenteiliges, da nach dieser Bestimmung eine Prostituierte nur dann eine rechtswirksame Forderung erwirbt, wenn die sexuelle Handlung bereits vorgenommen wurde. Ein Ausschluss des Bereicherungsanspruchs gemäß § 814 BGB oder § 817 BGB setzt u.a. voraus, dass der Täter als Leistender wusste, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war bzw. vorsätzlich gesetzes- oder sittenwidrig handelte oder sich der Einsicht in die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit leichtfertig verschloss. Auch dies versteht sich bei einem aus einem fremden Kulturkreis mit einer anderen Rechtsordnung entstammenden Täter nicht von selbst.
VII. BGH, Urteil vom 20. August 2015 – 3 StR 259/15
Der Täter, der in einer Bank unter Hinweis auf seinen geschlossenen Koffertrolly, in dem sich eine (tatsächlich nicht vorhandene) Bombe befinde, die Auszahlung von Bargeld erreichen will und dieses auch erhält, verwirklicht hierdurch eine schwere räuberische Erpressung nach §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB. Soweit die Rechtsprechung wegen der weiten Fassung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB den Tatbestand einschränkend dahingehend auslegt, dass dieser nicht auf Fälle Anwendung finden soll, in denen die objektive Ungefährlichkeit des Werkzeugs oder Mittels schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild offenkundig auf der Hand liegt, ist ein derartiger Sachverhalt in der vorgenannten Situation nicht gegeben. Denn es ist nicht erkennbar, ob der Koffer eine Bombe enthält oder nicht. Sofern der Bankangestellte zwar nicht an die Bombe glaubt, aber das Bargeld aus Angst vor einem mitgeführten Messer oder einer Spritze auszahlt, liegt hierin eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf, der für die rechtliche Beurteilung der Tat bedeutungslos ist.
VIII. BGH, Urteil vom 10. September 2015 – 4 StR 151/15
Für eine (versuchte) Strafvereitelung im Amt nach §§ 258 Abs. 1, 258a StGB ist nur in Bezug auf die Tathandlung und den Vereitelungserfolg direkter Vorsatz (§ 258 Abs. 1 StGB: „absichtlich oder wissentlich“) erforderlich, während für die Kenntnis der Vortat bedingter Vorsatz ausreicht. Eine genaue Vorstellung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ist dabei nicht notwendig. Daher ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn der Täter es – ungeachtet fortbestehender Zweifel – nur für möglich hält, dass eine Straftat begangen worden ist und die von ihm daraufhin ins Auge gefasste Handlung (hier: Telefonat mit dem Beschuldigten, um ihn über ein eventuell bevorstehendes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zu warnen) darauf abzielt, für den Fall, dass tatsächlich eine Straftat vorliegt, eine Bestrafung des Vortäters zumindest für geraume Zeit zu verhindern (st. Rspr. des BGH).
IX. BGH, Beschluss vom 30. September 2015 – 5 StR 367/15
Eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann auch dann vorliegen, wenn ein am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der gegnerischen Seite auch wegen des möglichen Eingreifens des anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten. Liegt das (alkoholisierte) Opfer jedoch bereits bei Beginn der Gewaltanwendung durch den Täter ohne Gegenwehr am Boden und ist ersichtlich nicht in der Lage, sich zu wehren oder zu fliehen, ist eine solche Situation nicht anzunehmen.
– – –
Zuletzt noch eine strafprozessuale Entscheidung, die sich mit dem Recht des Beschuldigten im Vorverfahren befasst, eigenständig die Beiordnung einen Pflichtverteidiger zu beantragen:
X. BGH, Beschluss vom 9. September 2015 – 3 Bgs 134/15
Für die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren bedarf es in den Fällen des § 141 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StPO eines Antrags der Staatsanwaltschaft. Eine autonome Entscheidungsbefugnis des Gerichts besteht nicht, was aus der Systematik des Gesetzes folgt. Denn § 141 StPO ergänzt die Regelungen zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO. Von Amts wegen kann das Gericht nur dann tätig werden, wenn es bereits mit dem Sachverhalt befasst ist, was im Fall des § 140 Abs. 3 StPO noch nicht geschehen ist. Auch ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten besteht nicht, wofür bereits der Wortlaut des § 141 Abs.3 Satz 2 StPO spricht, wonach die Staatsanwaltschaft den Antrag stellt, wenn „nach ihrer Auffassung“ die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig werden wird. Die differenzierte Regelung der Pflichtverteidigerbestellung des § 141 StPO steht in Einklang mit der grundsätzlichen Unterscheidung der Strafprozessordnung zwischen Ermittlungsverfahren und Verfahren ab Anklageerhebung. In dem Ermittlungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft „Herrin des Verfahrens“, das Gericht kann in diesem Verfahrensabschnitt keine Maßnahmen gegen den Willen bzw. ohne Antrag der Staatsanwaltschaft treffen.
Im Folgenden eine Übersicht über im August veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 18. März 2015 – 2 StR 656/13
Vorlagebeschluss des 2. Strafsenats nach § 132 Abs. 2 GVG an den Großen Senat für Strafsachen bezüglich der Frage, ob die Einführung und Verwertung der vormaligen Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der früheren richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig ist, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern in Form einer „qualifizierten Belehrung“ auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte (s. bereits Anfragebeschluss vom 4. Juni 2014 – 2 StR 656/13; eingehende Auseinandersetzung mit den abweichenden Stellungnahmen anderer Senate [Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 ARs 21/14; Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 ARs 20/14; Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 4 ARs 21/14; Beschluss vom 27. Januar 2015 – 5 ARs 64/14] unter Rn. 24 ff.).
II. BGH, Urteil vom 13. Mai 2015 – 3 StR 498/14
Der Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) entfaltet bei fehlender Verwirklichung keine Sperrwirkung für die Strafbarkeit wegen sonstiger (Vorsatz-)Delikte wie z.B. die Urkundenfälschung. Dies gilt jedenfalls, nachdem die Vorschrift im Jahr 1974 dahingehend geändert wurde, dass anstatt direktem Vorsatz bereits Eventualvorsatz ausreichend ist. Denn der Zweck der vormals angenommenen Sperrwirkung, zu verhindern, dass ein Richter, dem keine direkt vorsätzliche Rechtsverletzung anzulasten ist, wegen einer durch seine Entscheidung bedingt vorsätzlich oder auch nur fahrlässig begangenen Verwirklichung eines anderen Straftatbestandes zur Verantwortung gezogen werden kann, ist durch die Gesetzesänderung obsolet geworden. Zudem fordert es die verfassungsrechtlich gewährleistete richterliche Unabhängigkeit nicht, das Haftungsprivileg auch auf ein Handeln des Richters zu erstrecken, das nicht erst im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung, Anordnung oder Maßnahme der Verhandlungsleitung zur Erfüllung eines Straftatbestands führt, sondern bereits für sich alleine gegen Strafgesetze verstößt (hier: nachträgliche Abänderung einer bereits verlesenen Urteilsformel).
III. BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 – 1 StR 606/14
Der 1. Senat hält an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest, wonach sich die Rechtmäßigkeit des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt bezüglich § 32 Abs. 2 StGB (wie auch § 113 Abs. 3 StGB) weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht richtet. Vielmehr hängt die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind, „er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein ihm ggf. eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausübt. Lediglich bei einem schuldhafter Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung und bei missbräuchlichen oder willkürlichen Amtshandlungen ist sein Handeln rechtswidrig (hier im konkreten Fall – versuchte Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers, der noch eine zeitlich über den Abschiebezeitpunkt hinausreichende Bescheinigung über die Aussetzung seiner Abschiebung hatte und sich mit einem Messer gegen die Vollstreckungsbeamten wehrte – verneint; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 171/15
Eine gefährliche Körperverletzung in Gestalt einer mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB liegt dann nicht vor, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden. Denn in diesem Fall stehen dem jeweiligen Opfer die Beteiligten gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber. Damit fehlt es an dem Grund für die Strafschärfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der in der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Tat liegt, weil einem Geschädigten mehrere Angreifer körperlich gegenüber stehen und er deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist.
V. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 193/15
Das Tatbestandsmerkmal „bei der Tat“ bei der schweren räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) in Verbindung mit §§ 253, 255 StGB bezieht sich auf die finale Verknüpfung der Gewalt in Form einer schweren körperlichen Misshandlung und der Vermögensverfügung des Opfers, durch die die Erpressungsdelikte geprägt sind. Es ist daher nur dann erfüllt, wenn die schwere körperliche Misshandlung zur Erzwingung der Vermögensverfügung oder zumindest zur Sicherung der Beute verübt wird. Ein schlichter räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen einer räuberischen Erpressung und einer schweren Misshandlung genügt hierfür hingegen nicht, was sowohl dann gilt, wenn die Misshandlung der Erpressung nachfolgt, als auch dann, wenn sie ihr – wie hier im Fall einer mit körperlichen Misshandlungen verübten Vergewaltigung – unmittelbar vorangeht.
– – –
Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, die sich mit der Besetzung der großen Strafkammer eines Landgerichts bei Beschlüssen über die Eröffnung der Hauptverhandlung bzw. die Entscheidung über die konkrete Besetzung bei der Hauptverhandlung gemäß § 76 GVG sowie der Frage der zulässigen Unterbrechungszeit einer Hauptverhandlung nach § 229 StPO auseinandersetzen:
VI. BGH,Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 45/14
Beschließt die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen, dass das Hauptverfahren hinsichtlich einer weiteren Anklage eröffnet wird, die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist und das Verfahren hinzuverbunden wird, sind der Eröffnungsbeschluss und die Besetzungsentscheidung unwirksam. Ersteres führt zu einem Verfahrenshindernis für den neuen Verfahrensgegenstand. Im Übrigen kann die Besetzung der Strafkammer mit einer Verfahrensrüge beanstandet werden (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Fortführung von BGHSt 50, 267).
VII. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 202/15
Eine Hauptverhandlung ist entgegen der Regelung des § 229 Abs. 1 StPO auch dann länger als drei Wochen unterbrochen, wenn während dieses Zeitraums ein Termin für eine Zeugenvernehmung vorgesehen war, diese jedoch wegen Vorlage eines ärztlichen Attests des Zeugen nicht durchgeführt werden konnte und im Termin lediglich auf diesen Umstand hingewiesen und die Hauptverhandlung sodann erneut unterbrochen wird. Zwar kann auch in der Befassung lediglich mit Verfahrensfragen eine Förderung des Verfahrens in der Sache und damit eine Fortsetzung der Hauptverhandlung liegen, wenn deren Ziel die Klärung ist, durch welche Untersuchungshandlungen der Aufklärung des Sachverhalts Fortgang gegeben werden kann. Nicht ausreichend hierfür ist jedoch allein die in der Sache selbst nicht weiterführende Prüfung und Erörterung, ob eine – weitere – Unterbrechung der Hauptverhandlung notwendig ist und wann diese gegebenenfalls fortgesetzt werden kann. Insofern ist auch keine Ausnahme wegen eines unvorhersehbaren Ereignisses zu gewähren. Denn welche Auswirkungen es auf den Lauf der höchstzulässigen Unterbrechungsfrist hat, wenn ein Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit nicht zur Hauptverhandlung erscheinen kann, ist allein Gegenstand der besonderen und abschließenden Regelung in § 229 Abs. 3 StPO. Eine Hemmung der Unterbrechungsfrist wegen Erkrankung eines Zeugen ist dort nicht vorgesehen. Dies kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Bekanntgabe einer Erkrankung als Sachverhandlung im Sinne einer Fortsetzung der Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO gewertet wird, durch die die Unterbrechungsfrist gewahrt wird.
Im Folgenden eine Übersicht über im März veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 163/14
Es ist für die Annahme des Raubtatbestandes (§ 249 StGB) nicht erforderlich, dass die eingesetzten Nötigungsmittel objektiv erforderlich, ursächlich oder förderlich gewesen sind; genügend ist es, wenn der Täter nach seiner Vorstellung Raubmittel anwendet, um dadurch eine Wegnahme zu ermöglichen, ohne dass es objektiv darauf ankäme, ob dies tatsächlich der Fall ist (st. Rspr.). Daher kommt es nicht darauf an, ob das Opfer das Verschließen der eigenen Wohnungstür durch den Täters bemerkt und sich dadurch genötigt gefühlt hat, die Wegnahme der Tatbeute zu dulden.
II. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 StR 204/14
Eine Strafbarkeit wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in der Tatvariante der Gewaltanwendung (§ 113 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn – unmittelbar oder mittelbar über Sachen – körperlich spürbar ist. Bloße Flucht vor dem Zugriff der Polizei durch Rückwärtsfahren mit einem Pkw ist kein (gewaltsamer) Widerstand, auch wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet oder unvorsätzlich verletzt werden.
III. BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14
Bei Anwendung des § 228 StGB (Ausschluss einer Einwilligung bei Sittenwidrigkeit der Körperverletzung) auf eine einverständliche Schlägerei, bei der nicht lediglich Bagatellverletzungen zu erwarten sind, ist auch darauf abzustellen, ob die Beteiligten den Tatbestand des § 231 Abs. 1 StGB (Beteiligung an einer Schlägerei) erfüllen. Denn in diesem Fall liegt eine Missachtung der gesetzgeberischen Wertung des § 231 StGB vor, die das Sittenwidrigkeitsurteil unabhängig davon begründet, ob der sich hieraus ergebenden gesteigerten Gefahr für Leib und Leben durch Vorkehrungen, mit denen eine Eskalation der Auseinandersetzung verhindert werden soll, entgegengewirkt werden könnte. Die Annahme von Straflosigkeit infolge der Einwilligung in etwaige Körperverletzungen würde darüber hinaus in der gegebenen Konstellation zu unauflösbaren Widersprüchen führen, weil ein und dasselbe Täterverhalten einerseits ausdrücklich verboten, andererseits aber infolge der erteilten Einwilligung erlaubt wäre. Vorstehendes gilt dabei unabhängig davon, ob in der konkreten Schlägerei auch die schwere Folge des § 231 Abs. 1 StGB eingetreten ist, da es sich hierbei lediglich um eine objektive Strafbarkeitsbedingung handelt (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015 – 3 StR 541/14
Ein bereits mit bedingtem Tötungsvorsatz geführter Angriff kann nur dann Grundlage eines Verdeckungsmordes (§ 211 Abs. 1, 2 Fallgruppe 3 Alt. 1 StGB) durch die spätere Tötung des Tatopfers sein, wenn zwischen beiden Tathandlungen eine deutliche zeitliche Zäsur liegt; ein zäsurloser Übergang vom bedingten zum unbedingten Tötungsvorsatz lässt die zeitlich davorliegenden Teile einer einheitlichen Tötungshandlung hingegen nicht als eine andere Straftat erscheinen. Die Annahme eines Verdeckungsmordes, der sich darauf stützt, dass sich bei einer bereits zuvor vorgenommenen Verletzungshandlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ein zumindest bedingter Vorsatz feststellen lasse, stellt eine fehlerhafte Anwendung des In-dubio-pro-reo-Satzes dar.
V. BGH, Urteil vom 11. Februar 2015 – 2 StR 210/14
Die einen Diebstahl (§ 242 StGB) begründende Tathandlung der Wegnahme als Bruch fremden Gewahrsams ist auch dann gegeben, wenn der Angestellte einer DB-Verkaufsstelle ihm ohne weiteres zugängliche Blanko-Bahnscheine zur Herstellung von Falsifikaten an Dritte weitergibt, ohne dass durch seinen Arbeitgeber eine Kontrolle über den Bestand der Fahrkarten bzw. die Anzahl von Bestellungen und Verkäufen vorgenommen wird. Denn der Ladeninhaber besitzt hinsichtlich der in seinem Ladengeschäft befindlichen Waren im Hinblick auf seine jederzeitige Zugriffsmöglichkeit zumindest (Mit-)Gewahrsam, ohne dass es im Einzelnen darauf ankäme, ob er Kontrollen über den Bestand der Waren vornimmt oder überhaupt weiß, ob und wie viele der einzelnen zum Verkauf angebotenen Gegenstände sich in der Gewahrsamssphäre des Ladens befinden.
Im Folgenden eine Übersicht über im letzten Monat veröffentlichte interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 11.06.2013 – 1 StR 86/13
Es liegt – mangels Zueignungsabsicht – kein schwerer Raub vor, wenn in der Rockerszene ein Mitglied einem anderen mittels Schlägen mit einer schweren Taschenlampe gegen dessen Kopf seine „Kutte“ abnimmt und diese anschließend im Vereinslokal auf den Boden wirft, um damit symbolisch dessen Mitgliedschaft im jeweiligen Rockerclub zu beenden. (Anm.: In der Entscheidung werden auch andere examensträchtige Themen – bedingter Tötungsvorsatz, heimtückischer Mord, Rücktritt vom Versuch – angesprochen, daher ist das Urteil unbedingt lesenswert!)
II. BGH, Beschluss vom 16.7.2013 – 2 StR 163/13
Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss. Stellt sich der Täter für die erstrebte Bereicherung eine in Wirklichkeit nicht bestehende Anspruchsgrundlage vor, so handelt er in einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. (Konkret ging es um die Verurteilung wegen eines erpresserischen Menschenraubes bzw. einer versuchten räuberischen Erpressung, bei der der BGH nicht auszuschließen vermochte, dass sich die Täter einen Anspruch auf einen vom Geschädigten nicht ausgezahlten Werklohn vorstellten.)
III. BGH, Beschluss vom 23.07.2013 – 3 StR 96/13
Die Eingabe falscher Identitätsdaten in ein EDV-System durch einen Bankmitarbeiter, dem hierzu umfassende Befugnisse eingeräumt waren, um hierdurch Konten zu eröffnen, die danach von Mittätern ohne spätere Ausgleichsabsicht bis an das Kreditlimit überzogen werden, stellt keinen Computerbetrug des Bankmitarbeiters dar. Denn dieser steht bei entsprechenden Befugnissen „im Lager“ der Bank, so dass er für sie verfügt und sich hierbei nicht irrt. Vielmehr stellt eine solche Verhaltensweise eine Untreue des Bankmitarbeiters zu Lasten der Bank dar bzw. eine Teilnahme hieran durch die außenstehenden Mittäter.
IV. BGH, Urteil vom 31.7.2013 – 2 StR 38/13
Ein heftiger Faustschlag gegen die Schläfe des Opfers und ein wuchtiger Tritt gegen dessen Oberkörper stellen eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB dar.
V. BGH, Beschluss vom 1.8.2013 – 4 StR 189/13
Der Versuch, eine Prostituierte mit Gewalt zu einer unentgeltlichen sexuellen Dienstleistung zu zwingen, ist – anders als bei freiwillig erbrachten sexuellen Gefälligkeiten, bei denen später die vereinbarte Geldzahlung mit Nötigungsmitteln verweigert wird – keine versuchte räuberische Erpressung, da erzwungenem sexuellen Verhalten kein Vermögenswert zukommt. Solche deliktischen Verhaltensweisen sind vielmehr nach §§ 177, 240 StGB zu ahnden.
VI. BGH, Beschluss vom 21.8.2013 – 1 StR 332/13
Bei einem Zusammentreffen von Diebstahl und Sachbeschädigung (hier: bandenmäßiger Einbruchsdiebstahl nach § 244a und Sachbeschädigung) tritt die Sachbeschädigung jedenfalls dann nicht als typische Begleittat hinter den Einbruchsdiebstahl zurück, wenn der angerichtete Schaden höher als der Wert der Beute gewesen ist. Es besteht dann Tateinheit zwischen den gleichzeitig verwirklichten Delikten.