Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im April veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 4 StR 390/15
Die fakultative Strafmilderung wegen tätiger Reue nach § 320 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB kommt auch bei einer Verurteilung wegen Angriffs auf den Luft- und Seeverkehr im Sinne der Vorschrift des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in Betracht, bei der Vollendung bereits mit der Ausführung der Tathandlung eintritt (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Dem Wortlaut von § 320 Abs. 1 StGB, der ohne Einschränkung auf § 316c Abs. 1 StGB verweist, kann eine Einschränkung auf eine einzelne Tatvariante nicht entnommen werden. Es kommt hinzu, dass der Anwendungsbereich des § 320 Abs. 1 StGB nicht nur eröffnet wird, wenn der Täter „sonst den Erfolg abwendet“, sondern auch dann, wenn er „freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt“. Schon vom Wortsinn her sind damit die Tathandlungen des in § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB geregelten bloßen Tätigkeitsdelikts vom Anwendungsbereich der Vorschrift nicht ausgenommen. Vom Sinn und Zweck der Vorschrift her dient die Möglichkeit der tätigen Reue zudem im Fall des reinen Tätigkeitsdelikts als Ausgleich für die dadurch bewirkte erhebliche Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes, von dem an auch ein Rücktritt nach § 24 StGB ausgeschlossen ist, und dient darüber hinaus dem Opferschutz.
II. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 1 Ars 10/15
Der 1. Senat hält entgegen dem Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 18. März 2015 – 2 StR 96/14 – daran fest, dass die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB (Geltung des deutschen Strafrechts für im Ausland begangene Taten des unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln) zu ihrer Rechtfertigung über die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen hinaus keines weiteren legitimierenden Anknüpfungspunktes im Sinne einer Begrenzung der strafrechtlichen Regelungsgewalt bedarf. Denn das in der vorgenannten Vorschrift zum Ausdruck kommende Weltrechtsprinzip lässt eine Ausdehnung der Strafgewalt auf Taten gegen Rechtsgüter zu, deren Schutz im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft liegt, um Verfolgungsdefizite im Tatortstaat zu überwinden und im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft einen effektiven strafrechtlichen Schutz dieser Rechtsgüter zu gewährleisten. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des § 6 Nr. 5 StGB werden weitere Voraussetzungen nicht vorgesehen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine über den Wortlaut hinausgehende Einschränkung. Denn vom Schutzzweck her sachgerecht und vom Gesetzgeber erkennbar gewollt ist es, dem Betäubungsmittelhandel, der wegen seiner grenzüberschreitenden Gefährlichkeit auch Inlandsinteressen berührt, durch Anwendung des deutschen Strafrechts auf den Händler entgegenzuwirken, gleich welcher Staatsangehörigkeit er ist und wo er die Tat begangen hat. Die Beschränkung auf Taten mit einem qualifizierten Inlandsbezug wäre bei der Umsetzung dieses Schutzzwecks eher hinderlich.
III. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 3 StR 538/15
Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Diebstähle nach § 242 Abs. 1, § 244a Abs. 1 StGB zu begehen, hat dies nicht zur Folge, dass jede von einem der Bandenmitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den anderen Bandenmitgliedern ohne Weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben (ständige Rspr.). Sofern sich der Tatbeitrag eines Bandenmitglieds daher im konkreten Fall lediglich auf einen Hinweis bezüglich eines lohnenswerten Einbruchsobjekts beschränkt, bei dem die eigentliche Tat durch andere Bandenmitglieder erst Tage später vollzogen wird und der Tippgeber mit einem vergleichsweise geringen Teil der Tatbeute entlohnt wird, liegt insofern lediglich Strafbarkeit wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl vor (§ 27 i.V.m. § 244a Abs. 1 StGB).
IV. BGH, Beschluss vom 7. März 2016 – 2 StR 123/15
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zieht bei einem Geschehen, welches schon vollständig abgeschlossen ist, das Einverständnis des später Hinzutretenden trotz Kenntnis, Billigung oder Ausnutzung der durch den anderen Mittäter geschaffenen Lage eine strafbare Verantwortung für den bereits abgeschlossenen Vorgang nicht nach sich. Daher kann dann, wenn einer der Täter das überraschend anwesende Opfer im Rahmen eines geplanten Wohnungseinbruchsdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) mit Pfefferspray attackiert, was von dem weiteren Täter nachträglich gebilligt wird, eine Verurteilung des zweiten Täters wegen besonders schweren Raubes in Betracht kommen (§ 251 Abs. 2 Nr. 1 StGB), nicht hingegen im Hinblick auf die allein durch den ersten Täter bereits vollendete gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
V. BGH, Beschluss vom 14. März 2016 – 1 StR 337/15
Vorsätzlicher Bankrott durch Verheimlichen von Bestandteilen des Vermögens im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person bei fortdauerndem Verheimlichen bis zur Restschuldbefreiung erst dann beendet, wenn diese erteilt wird (Leitsatz des Gerichts). Dementsprechend kann auch erst ab diesem Zeitpunkt die Verfolgungsverjährung der Tat beginnen (§ 78a Satz 1 StGB). Nach dem vom BGH in ständiger Rechtsprechung angewendeten materiellen Beendigungsbegriff ist die Tat nämlich erst beendet, wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt abschließt, das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht ist. Das Rechtsgut der Insolvenzdelikte besteht im Schutz der Insolvenzmasse vor unwirtschaftlicher Verringerung, Verheimlichung und ungerechter Verteilung zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft. Bei der Insolvenz einer natürlichen Person dauert im Falle des Verheimlichens von Vermögensbestandteilen im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Angriff auf das geschützte Rechtsgut bei einer erstrebten Restschuldbefreiung daher jedenfalls so lange an, bis das Insolvenzgericht durch Beschluss feststellt, dass der Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung erlangt hat. Denn die Pflicht, ohne besondere Nachfrage Vermögensbestandteile zu offenbaren, besteht gemäß §§ 20, 97 InsO nicht nur nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern auch noch nach dessen Abschluss im Restschuldbefreiungsverfahren fort (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
VI. BGH, Urteil vom 6. April 2016 – 5 StR 504/15
Die Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord nach der sogenannten „Rechtsfolgenlösung“ (§§ 211, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wurde für Fälle der Heimtücke entwickelt und ist auf Konstellationen, in denen das Mordmerkmal der „Befriedigung des Geschlechtstriebs“ einschlägig ist (hier: „Schlachtung“ eines hiermit einverstandenen anderen Menschen, um hierdurch sexuelle Befriedigung, zumindest aber sexuellen Lustgewinn zu erhalten), nicht ohne weiteres anwendbar. In diesem Fall handelt der Täter nicht aus einer außergewöhnlichen Notlage oder einer notstandsnahen Bedrängnis heraus, sondern tötet primär zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und damit in besonders verwerflicher Weise. Hieran vermag auch der Wunsch des Tatopfers, getötet zu werden, nichts zu ändern, sofern die Voraussetzungen des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) nicht festgestellt werden können (hier: Wunsch des Opfers nicht handlungsleitend, da der Angeklagte von vornherein aus eigenem Antrieb im Internet nach Personen gesucht habe, die bereit wären, sich von ihm töten, insbesondere „schlachten“ zu lassen).
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Zum Schluss noch eine prozessuale Entscheidung, die sich mit dem Einbringen von polizeilichen Observationsberichten in die Hauptverhandlung beschäftigt:
VII. BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 484/15
Polizeiliche Observationsberichte können in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs.1 Nr. 5 StPO verlesen werden. Aus dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ergibt sich weder, dass Observationsberichte im Speziellen von einer Verlesung ausgenommen sein sollen, noch, dass Ermittlungshandlungen im Sinne der Vorschrift ausschließlich „Routinemaßnahmen“ betreffen. Ebenfalls spricht auch die teleologische Auslegung des § 256 Abs.1 Nr. 5 StPO gegen einen Ausschluss von Observationsberichten aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift. Als Erwägung für die Verlesung von Protokollen und Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden führen die Gesetzesmaterialien an, dass etwa ein Polizeibeamter „in der Hauptverhandlung ohnehin in der Regel kaum mehr bekunden [könne] als das, was in dem Protokoll bereits schriftlich festgelegt“ sei (BT-Drs. 15/1508 S. 26). Dies trifft auf polizeiliche Observationsprotokolle aber gleichfalls zu. Kleine Details wie etwa Zeitangaben zu – für sich gesehen – wenig eindrücklichen einzelnen Beobachtungsvorgängen, die erst nachträglich in einem größeren Zusammenhang Bedeutung gewinnen können, werden in der zeitnahen Verschriftung oft zuverlässiger bekundet werden als nach oft langer Zeit in der Hauptverhandlung aus dem Gedächtnis.
Etwa Fall III. (Bandendiebstahl):
Tatbeitrag, Tatplan und Vorsatz bzgl.
gemeinschaftlichem Bandendiebstahl eher unproblematisch. Problem
Tatherrschaft: die Konkretisierung ist mit durch einen blosen Hinweis
erfolgt. Es kann noch weiter problematisch scheinen, inwiefern das eine
ausreichende „Mitplanungshoheit“ bzgl. des konkreten Objektes mit begründen
kann. Ohne dies wäre der konkrete Diebstahl u.U. nicht so
erfolgt. Dass überhaupt ein Diebstahl begangen sein sollte, entsprach einem nicht verhinderten Bandentatplan. U.U. kann danach Tatherrschaft noch näher erwägbar erscheinen.