BGH: Wer hat ein Recht auf Rauch auf dem Balkon?
Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Konstantin Filbinger veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat in Freiburg absolviert und ist aktuell als Akad. Rat a.Z. am LS für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte bei Prof. Kannowski in Bayreuth tätig. Zudem ist er Co-Autor des Werks „BGB AT – Das Werkstattbuch“ (Filbinger/Lebkuecher).
Vor einigen Monaten entschied der BGH (Urt. v. 16.01.2015, Az. V ZR 110/14) einen aufsehenerregenden Fall. In der letzten Woche wurden hierzu nun auch die Urteilsgründe veröffentlicht. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Mieter (R=Raucher) eines Mehrfamilienhauses raucht exzessiv auf seinem Balkon im ersten Stock. Einem anderen, nichtrauchenden Mieter (NR) „stinkt“ das: Er stört sich am aufsteigenden Zigarettenrauch und verlangt vom rauchenden Mieter persönlich (zeitweise) Unterlassung des Rauchens.
Zu Recht?
I. Schuldrechtliche Unterlassungsansprüche scheiden mangels schuldrechtlicher Beziehung aus. Auch die faktische Nähebeziehung von Nachbarn vermag kein Schuldverhältnis zu begründen (ganz h.M., Umkehrschluss aus § 922 S.4 BGB).
II. Anspruch aus §§ 862 I, 858 I?
1. Die Beeinträchtigung durch Immissionen i.S.d. § 906 I 1 kann eine Besitzstörung darstellen.
2. Eine Besitzstörung ist nicht zu verneinen, weil das Rauchen dem R von seinem Vermieter (schuldrechtlich) gestattet ist; § 858 I BGB stellt allein auf eine mögliche Gestattung per Gesetz ab.
3. Anspruchsausschluss, § 906 I 1 analog
a) Der BGH wendet § 906 I 1 analog an: Der Abwehranspruch sei ausgeschlossen, „wenn die mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind.“
b) Vor Inkrafttreten der Nichtrauchergesetze wurde von der Rspr. vertreten, dass Rauchen sozialadäquat und in der Gesellschaft akzeptiert sei. Vor diesem Hintergrund und Art. 2 I GG des Rauchenden sei die Beeinträchtigung anderer stets unwesentlich.
c) Der BGH schließt sich jedoch dem Schrifttum an: Auch das Recht des Nichtrauchenden auf Gebrauch seiner Mitsache sei zu beachten, der Rauchende habe „sich auf maßvolles Rauchen zu beschränken“. Der Gedanke der Sozialadäquanz überzeuge mit Inkrafttreten der Nichtraucherschutzgesetze nicht mehr.
d) Ab welchem Punkt liegt nun eine (un)wesentliche Beeinträchtigung vor?
Entscheidend ist laut BGH die Sicht des „verständigen durchschnittlichen Menschen“!
Liege nach diesem Maßstab eine als störend empfundene – also wesentliche – Beeinträchtigung vor, sei ein Unterlassungsanspruch zu bejahen. Allerdings bestehe dieser nur eingeschränkt: Die beiden „grundrechtlich geschützten Besitzrechte“ seien in angemessenen Ausgleich zu bringen. Der nichtrauchende Mieter habe ein Recht auf tabakrauchfreie Wohnungsnutzung, der rauchende Mieter ein Recht auf Nutzung der Wohnung zur Verwirklichung seiner Lebensbedürfnisse. Im Regelfall sei eine Regelung nach Zeitabschnitten zu treffen: Zu bestimmten Zeiten müsse jedem der Beteiligten die von diesen gewünschte Nutzung (aktives Rauchen vs. kein Passivrauchen) gewährt werden (sog. „Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“).
III. In Betracht kommt ferner ein Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 I 2 BGB analog i.V.m. § 823 I BGB. Die Norm wird auf absolute Rechte i.S.d. § 823 I BGB entsprechend angewandt.
Voraussetzungen:
- Beeinträchtigung
- Anspruchssteller Rechtsgutsinhaber
- Anspruchsgegner Störer
- Wiederholungsgefahr
- Rechtswidrigkeit / Keine Duldungspflicht
1) Der Anspruch setzt zunächst eine „Beeinträchtigung“ voraus; gemeint ist ein Eingriff in ein nach § 823 I BGB geschütztes Rechtsgut. Die Gesundheit des NR könnte beeinträchtigt sein. Allerdings sei bei der Einschätzung der Gefährlichkeit durch Tabakrauch zu berücksichtigen, dass im Freien geraucht werde. Den Nichtraucherschutzgesetzen komme insoweit Indizwirkung zu, dass mit dem Rauchen auf dem Balkon keine konkreten Gefahren für die Gesundheit anderer einhergingen.
Diese Annahme müsse der Anspruchssteller erschüttern. Er habe nachzuweisen, dass im konkreten Fall der fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung bestehe. Nur dann liege eine wesentliche Beeinträchtigung vor. Sei dies der Fall, müsse eine Gebrauchsregelung getroffen werden.
Hier fehlte es an entsprechenden Feststellungen der Vorinstanz. Unter anderem deshalb wurde der Fall zurückverwiesen.
2) Der Anspruchssteller ist Inhaber des „gestörten“ Rechtsguts.
3) Der Anspruchsgegner R bewirkt die Beeinträchtigung selbst, indem er raucht. Damit ist er unmittelbarer Handlungsstörer, mithin Störer i.S.v. § 1004 I BGB.
4) Wiederholungsgefahr
Die Beeinträchtigung indiziert die Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung hat R nicht widerlegt.
5) Rechtswidrigkeit / Keine Duldungspflicht
Der Anspruch wäre aber ausgeschlossen, wenn es an der Rechtswidrigkeit fehlte, der NR zur Duldung verpflichtet wäre, vgl. § 1004 II BGB analog. Die Beweislast hierfür liegt bei R.
Mangels individueller Vereinbarungen kommt hier nur eine gesetzliche Duldungspflicht aus § 906 I 1 BGB in Betracht.
Immissionen, die die Gefahr gesundheitlicher Schäden begründen, sind nach Ansicht des BGH grundsätzlich als eine wesentliche und damit nicht zu duldende Beeinträchtigung anzusehen. In diesem Fall wäre eine Gebrauchsregelung nach obig dargestellter Maßgabe zu treffen.
IV. Fazit
Der BGH bejaht unter bestimmten Voraussetzungen einen Unterlassungsanspruch. Als beeinträchtigte Rechte kommen Besitz und Gesundheit in Betracht. Ein ggf. bestehender Anspruch führt indes regelmäßig nur zu einer zeitlich begrenzten Unterlassung, also einer Gebrauchsregelung zwischen den Parteien.
Das possessorische Besitzrecht schützt auch den fehlerhaften Besitz. Auch der bösgläubige Wohnungsbesetzer kann also mit Erfolg gegen rauchende Nachbarn vorgehen. Im Übrigen greift das Selbsthilferecht nach § 859 I BGB.
In der Klausur muss i.R.d. Prüfung des § 1004 I 2 BGB die Beweislastverteilung klar herausgearbeitet werden; wichtig ist auch der Schlüsselbegriff „Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“. Für den Klausurersteller bietet sich ferner ein Anspruchsausschluss gemäß § 864 I an. Man sollte dann thematisieren, ob § 864 I analog auf den Abwehranspruch aus § 1004 I 2 BGB anzuwenden ist, schließlich richten sich die Ansprüche hier gegen das gleiche Verhalten. Mangels Regelungslücke ist eine Analogie aber zu verneinen.
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