Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im Oktober veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 28. April 2015 – 3 StR 48/15
Die Absicht, dem Tatopfer mit Schlägen und dem Vorhalten einer Waffe ein Handy zu entwenden, auf dem sich kompromittierende Fotos eines Dritten befinden, um diese zu löschen, belegt nicht die für einen Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) erforderliche Zueignungsabsicht. Dass die beabsichtigte Durchsuchung des Handyspeichers und die Identifizierung der dabei aufgefundenen Bilddateien im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache liegen, ändert hieran nichts, denn diese führen nicht zu deren Verbrauch. Insofern scheidet auch eine bei Fehlen der Zueignungsabsicht grundsätzlich mögliche räuberische Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255 StGB) aus. Denn der Täter handelt nicht in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern. Bloßer Besitz einer Sache bildet einen Vermögensvorteil nur dann, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt.
II. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15
Bei der Nutzung der Symbole der Rocker-Gruppe „Bandidos“ durch Angehörige einer nicht durch die Behörden verbotenen Ortsgruppe (sog. „Chapters“) machen sich diese nicht unbedingt wegen „Verwendens“ des Kennzeichens eines verbotenen Vereins nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG strafbar. Vielmehr ist – parallel zur Auslegung des identischen Merkmals in der Rechtsprechung des BGH zu § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) – den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Insofern ergibt sich durch die Hinzufügung einer auf ein nicht verbotenes „Chapter“ hinweisenden Ortsbezeichnung aus dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang der Kennzeichenverwendung eindeutig, dass der Betroffene das Symbol gerade nicht als Kennzeichen der verbotenen „Chapter“ verwendeten, sondern als Kennzeichen des eigenen, nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsvereins (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
III. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 2 StR 16/15
Wer der Täter vom Opfer durch eine Täuschungshandlung ec-Karte und PIN-Nummer erhält und anschließend damit am Bankautomaten Geldabhebungen vornimmt, verwirklicht er nicht kumulativ die beiden Straftatbestände des Betrugs und des Computerbetrugs. Vielmehr betrügt der Täter den berechtigten Inhaber von Bankkarte und Geheimnummer im Sinne von § 263 StGB, aber er „betrügt“ nicht außerdem noch den Geldautomaten gemäß § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB, wenn er hierbei die echte Bankkarte und die richtige Geheimnummer verwendet. Denn bei der gebotenen betrugsspezifischen Auslegung des Merkmals „unbefugt“ in § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB ist zu unterstellen, dass es bei dem fiktiven Prüfvorgang eines Bankmitarbeiters um dieselben Aspekte ginge, die auch der Geldautomat abarbeitet. Für den Automaten sind Identität und Berechtigung des Abhebenden aber mit der Eingabe der echten Bankkarte und der zugehörigen Geheimnummer hinreichend festgestellt (ständige Rspr. des BGH).
IV. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 StR 117/15
Die Tatbegehung einer gefährlichen Körperverletzung „mittels einer Waffe“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB) fordert, dass der Täter seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt. Dies ist in dem Fall, dass der Geschädigte bei einem Schuss des Täters mit einer Schusswaffe auf seinen Pkw lediglich durch Splitter der durch den Schuss geborstenen Glasscheibe verletzt wird und ein Knalltrauma erleidet, nicht der Fall. Die Körperverletzungserfolge sind erst durch das Zerbersten der Scheibe und damit durch eine Folge des Schusses eingetreten, nicht aber „mittels“ der eingesetzten Waffe.
V. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 1 StR 16/15
Dem Schutzbereich des § 202a Abs. 1 StGB (Ausspähen von Daten) unterfallen nur solche Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind. Dies sind nur solche, bei denen der Verfügungsberechtigte durch die Sicherung sein Interesse an der Geheimhaltung der Daten dokumentiert hat. Die Zugangssicherung im Sinne von § 202a Abs. 1 StGB muss den Täter dabei zu einer Zugangsart zwingen, die der Verfügungsberechtigte erkennbar verhindern wollte. Insofern kommt eine Firewall als tatbestandsmäßige Schutzvorrichtung dem Grunde nach nicht in Betracht, wenn die vom Täter eingesetzte Schadsoftware selbige nicht umgeht, sondern von der Firewall schlicht nicht erkannt wird.
VI. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 3 StR 104/15
Die für einen (versuchten) Raub (§ 249 Abs. 1, 22, 23 StGB) erforderliche rechtswidrige Zueignungsabsicht ist nicht ohne weiteres dann gegeben, wenn ein ausländischer Freier gegenüber einer Prostituierten vor Vornahme der vereinbarten sexuellen Handlungen das Geld zurückfordert und sie hierbei gegen eine Wand drückt, um sie zu durchsuchen. Vielmehr kommt ebenfalls in Betracht, dass der Freier von einem Anspruch auf Rückgewähr des Geldes wegen rechtsgrundloser Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeht. Denn die zwischen den Beteiligten getroffene Vereinbarung über die Vornahme sexueller Leistungen gegen ein Entgelt ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, § 138 Abs. 1 BGB. Aus § 1 ProstG ergibt sich nichts Gegenteiliges, da nach dieser Bestimmung eine Prostituierte nur dann eine rechtswirksame Forderung erwirbt, wenn die sexuelle Handlung bereits vorgenommen wurde. Ein Ausschluss des Bereicherungsanspruchs gemäß § 814 BGB oder § 817 BGB setzt u.a. voraus, dass der Täter als Leistender wusste, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war bzw. vorsätzlich gesetzes- oder sittenwidrig handelte oder sich der Einsicht in die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit leichtfertig verschloss. Auch dies versteht sich bei einem aus einem fremden Kulturkreis mit einer anderen Rechtsordnung entstammenden Täter nicht von selbst.
VII. BGH, Urteil vom 20. August 2015 – 3 StR 259/15
Der Täter, der in einer Bank unter Hinweis auf seinen geschlossenen Koffertrolly, in dem sich eine (tatsächlich nicht vorhandene) Bombe befinde, die Auszahlung von Bargeld erreichen will und dieses auch erhält, verwirklicht hierdurch eine schwere räuberische Erpressung nach §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB. Soweit die Rechtsprechung wegen der weiten Fassung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB den Tatbestand einschränkend dahingehend auslegt, dass dieser nicht auf Fälle Anwendung finden soll, in denen die objektive Ungefährlichkeit des Werkzeugs oder Mittels schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild offenkundig auf der Hand liegt, ist ein derartiger Sachverhalt in der vorgenannten Situation nicht gegeben. Denn es ist nicht erkennbar, ob der Koffer eine Bombe enthält oder nicht. Sofern der Bankangestellte zwar nicht an die Bombe glaubt, aber das Bargeld aus Angst vor einem mitgeführten Messer oder einer Spritze auszahlt, liegt hierin eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf, der für die rechtliche Beurteilung der Tat bedeutungslos ist.
VIII. BGH, Urteil vom 10. September 2015 – 4 StR 151/15
Für eine (versuchte) Strafvereitelung im Amt nach §§ 258 Abs. 1, 258a StGB ist nur in Bezug auf die Tathandlung und den Vereitelungserfolg direkter Vorsatz (§ 258 Abs. 1 StGB: „absichtlich oder wissentlich“) erforderlich, während für die Kenntnis der Vortat bedingter Vorsatz ausreicht. Eine genaue Vorstellung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ist dabei nicht notwendig. Daher ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn der Täter es – ungeachtet fortbestehender Zweifel – nur für möglich hält, dass eine Straftat begangen worden ist und die von ihm daraufhin ins Auge gefasste Handlung (hier: Telefonat mit dem Beschuldigten, um ihn über ein eventuell bevorstehendes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zu warnen) darauf abzielt, für den Fall, dass tatsächlich eine Straftat vorliegt, eine Bestrafung des Vortäters zumindest für geraume Zeit zu verhindern (st. Rspr. des BGH).
IX. BGH, Beschluss vom 30. September 2015 – 5 StR 367/15
Eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann auch dann vorliegen, wenn ein am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der gegnerischen Seite auch wegen des möglichen Eingreifens des anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten. Liegt das (alkoholisierte) Opfer jedoch bereits bei Beginn der Gewaltanwendung durch den Täter ohne Gegenwehr am Boden und ist ersichtlich nicht in der Lage, sich zu wehren oder zu fliehen, ist eine solche Situation nicht anzunehmen.
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Zuletzt noch eine strafprozessuale Entscheidung, die sich mit dem Recht des Beschuldigten im Vorverfahren befasst, eigenständig die Beiordnung einen Pflichtverteidiger zu beantragen:
X. BGH, Beschluss vom 9. September 2015 – 3 Bgs 134/15
Für die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren bedarf es in den Fällen des § 141 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StPO eines Antrags der Staatsanwaltschaft. Eine autonome Entscheidungsbefugnis des Gerichts besteht nicht, was aus der Systematik des Gesetzes folgt. Denn § 141 StPO ergänzt die Regelungen zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO. Von Amts wegen kann das Gericht nur dann tätig werden, wenn es bereits mit dem Sachverhalt befasst ist, was im Fall des § 140 Abs. 3 StPO noch nicht geschehen ist. Auch ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten besteht nicht, wofür bereits der Wortlaut des § 141 Abs.3 Satz 2 StPO spricht, wonach die Staatsanwaltschaft den Antrag stellt, wenn „nach ihrer Auffassung“ die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig werden wird. Die differenzierte Regelung der Pflichtverteidigerbestellung des § 141 StPO steht in Einklang mit der grundsätzlichen Unterscheidung der Strafprozessordnung zwischen Ermittlungsverfahren und Verfahren ab Anklageerhebung. In dem Ermittlungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft „Herrin des Verfahrens“, das Gericht kann in diesem Verfahrensabschnitt keine Maßnahmen gegen den Willen bzw. ohne Antrag der Staatsanwaltschaft treffen.
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