Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im Dezember veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung des drohenden Verlustes des Rechtsguts (hier: Tod der eine unverdünnt giftigen BtM-Substanz des Garanten konsumierenden Person) entwickelt. Entgegen der in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 385/15
Zwischen den Tatbeständen des § 249 StGB (Raub) und des § 252 StGB (räuberischer Diebstahl) besteht zwar Gesetzeseinheit in der Weise, dass § 249 StGB grundsätzlich § 252 StGB verdrängt. Anders ist es allerdings, wenn die Nötigungshandlung in der Beendigungsphase schwerer wiegt, weil erst nach der Vollendung der Wegnahme ein Qualifikationstatbestand der §§ 250 oder 251 StGB verwirklicht wurde. In diesem Fall verdrängt der zur Sicherung der Beute aus dem vorhergehenden Raub begangene, besonders schwere räuberische Diebstahl den Tatbestand des § 249 StGB (ständige Rspr.).
III. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 199/15
Lehrfall zu Fragen rund ums Notwehrrecht: Derjenige, der bei der Flucht von Räubern aus seinem Haus mit seiner Pistole zielgerichtet auf einen der Fliehenden, der ihm unbemerkt bereits sein Portemonnaie gestohlen hat, schießt und ihn dadurch tötet, ist nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Ein Angriff auf Leib und Leben fand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr statt, bezüglich des gestohlenen Eigentums fehlte es an einem Verteidigungswillen. Selbst wenn man insofern die Regeln zum untauglichen Versuch anwenden wollte, fehlte es am objektiven Tatbestand der Notwehrlage, da der Täter im Hinblick auf den (nur noch in Rede stehenden) Angriff auf sein Eigentum auf einen Schuss in die Beine des Fliehenden zu verweisen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Hausrechts wäre der Schuss jedenfalls nicht mehr geboten gewesen, da die Räuber bereits flohen und damit diese Beeinträchtigung zeitnah beendet gewesen wäre. Die Annahme eines Notwehrexzesses scheitert daran, dass kein Verteidigungswille vorlag bzw. – im Hinblick auf Leib und Leben – eine nur vorgestellte Notwehrlage („Putativnotwehrexzess“) im Rahmen des § 33 StGB nicht ausreichend ist.
IV. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 218/15
Wer sich als Zivilperson in einem ausländischen Staat, auf dessen Gebiet ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen und Widerstandsgruppen bzw. terroristischen Organisationen – aber auch unter diesen – ausgetragen wird, bei einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung (hier: dem Ehemann nach islamischen Recht) aufhält und sich von diesem im Gebrauch von Schusswaffen zu dem Zweck unterweisen lässt, sich und seine Angehörigen im Falle eines Angriffs auch staatlicher Streitkräfte verteidigen zu können, bereitet in der Regel auch dann keine schwere staatsgefährdende Gewalttat im Sinne von § 89a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, wenn er mit der betreffenden terroristischen Vereinigung sympathisiert (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
V. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15
Derjenige, welcher ein Opfer durch heimtückische Schläge mit einer Metallstange auf den Kopf bewusstlos macht und hierbei tödlich verletzt begeht, wenn er später zum Tatort zurückkehrt und, da das Opfer wider erwarten noch nicht verstorben ist, sodann durch Messerstiche in den Hals tötet, einen vollendeten Heimtückemord (§ 211 StGB) und nicht einen lediglich versuchten Mord in Tatmehrheit mit vollendetem Totschlag (so die Vorinstanz). Denn die Schläge mit der Metallstange, die auch ohne die späteren Messerstiche zum Tod des Opfers geführt hätten, sind weiterhin kausal für dessen Tod gewesen. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat. Danach waren die mit Tötungsabsicht geführten Schläge mit der Metallstange unbeschadet des Umstands, dass das Tatopfer unmittelbar an den Folgen der späteren Messerschnitte verstarb, für den Tod des Opfers ursächlich. Denn der Einsatz des Messers gegen das bewusstlose, bereits tödlich verletzte Opfer, um es endgültig zu töten, knüpfte an das vorausgegangene Geschehen an und wäre ohne die durch die Schläge mit der Metallstange geschaffene Lage nicht möglich gewesen. Der Tod des Opfers als Folge der mit der Metallstange geführten Schläge ist dem Angeklagten auch subjektiv als von dem die Ausführung der Schläge tragenden Vorsatz mitumfasst zuzurechnen, da es sich um eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf handelt.
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Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, wobei sich die eine mit der Frage einer Beschwer des Angeklagten trotz freisprechendem Urteil beschäftigt (Fall „Mollath“), während die andere die Reichweite des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach § 338 Nr. 6 StPO, §§ 169 ff. GVG im Zusammenhang mit einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO zum Thema hat:
VI. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15
Die Revision gegen ein (allein) aufgrund nicht erwiesener Schuldfähigkeit freisprechendes Urteil ist grundsätzlich unzulässig, da der Angeklagte hierdurch nicht beschwert wird. Es genügt nicht, dass nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgend einer Weise belastend ist. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in extrem gelagerten Ausnahmefällen zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes führen können, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Für den Angeklagten schlicht unangenehme Aussagen reichen hierzu nicht aus. Auch aus der Medienwirksamkeit des Strafverfahrens kann sich eine Beschwer im genannten Sinne nicht ergeben, denn diese ist nicht Folge des Urteils und der Entscheidungsgründe selbst. Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung in der Rechtsprechung des EGMR ist ebenfalls nicht verletzt. Zwar kann es hierfür nicht nur auf den Tenor der freisprechenden Entscheidung, sondern auch auf die Urteilsbegründung ankommen. Dies gilt aber vor allem dann, wenn das nationale Gericht im Fall eines Freispruchs aus sachlichen Gründen durch die Urteilsgründe zum Ausdruck bringt, es sei von der Schuld des Angeklagten tatsächlich überzeugt. Dies ist im vorliegenden Fall, in dem es um einen Freispruch aus Rechtsgründen ging, nicht gegeben.
VII. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15
Es liegt keine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit vor, wenn auf Antrag des Angeklagten durch Gerichtsbeschluss die Öffentlichkeit für die Dauer seiner Vernehmung gemäß § 171b Abs. 1 GVG wegen der aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommenden Umstände ausgeschlossen wird und in dieser Phase eine Erörterung gemäß § 257b StPO erfolgt, mit der Strafmaßerwartungen thematisiert und Fragen einer Verständigungsmöglichkeit geklärt werden sollen. Beschränkt sich der Ausschluss der Öffentlichkeit auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson, so umfasst er nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören. Dies war vorliegend der Fall. Denn zum Verfahren einer Verständigung nach § 257c StPO hätte auch die Klarstellung gehört, von welchem Sachverhalt, auf den sich ein Geständnis beziehen könnte, das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten ausgehen. Die Einlassung des Angeklagten, für deren Dauer die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, war mithin zwangsläufig Gegenstand einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO.
Zu Fall 1. „Tötung durch Unterlassen nach Betäubungsmittelkonsum“:
dem
Urteilstatbestand nach könnte noch unklar scheinen, inwieweit hier ein
zuerst zu Hilfe gerufener Rettungswagen die Gefahr, trotz u.U. zunächst noch gegebener Möglichkeit, nicht ausreichend beseitigt haben könnte. Im Hinblick hierauf könnte noch erwägbar bleiben, dass dies einen Kausalitäts,- Zurechnungszusammenhang von vorherigen Pflichtwidrigkeiten bezüglich des Lebens des Opfers unterbrochen haben könnte.
Danach könnte evtl. Straffreiheit im Hinblick auf den Tod des Opfers in Folge des Betäubungsmittlkonsums noch möglich scheinen.