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Schlagwortarchiv für: Bundesgerichtshof

Yannick Peisker

BGH: Neues zur Sterbehilfe im Rahmen des § 216 StGB

Klassiker des BGHSt und RGSt, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Mit Entscheidung v. 28.6.2022 (Az. 6 StR 68/21) hat der BGH die bereits aus der „Gisela-Entscheidung“ bekannten Grundsätze zur Abgrenzung der straflosen Beihilfe zur strafbaren Tötung nach § 216 StGB weiter präzisiert. Dieses Problem ist ein echter Examensklassiker und immer wieder Gegenstand mündlicher und schriftlicher Prüfungen. Eine genaue Lektüre nicht nur dieses Beitrags, sondern auch der Entscheidungsgründe, die in Teilen wiedergegeben werden, kann sich daher bezahlt machen. Die neue Entscheidung des BGH soll zum Anlass genommen werden, die Problematik der Abgrenzung der straflosen Beihilfe von der strafbaren Tötung auf Verlangen noch einmal aufzubereiten. Auch sollen wertvolle Hinweise auf eine mögliche verfassungskonforme Auslegung infolge der Rechtsprechung des BVerfG zum grundrechtlichen Schutz der Selbsttötung. Eine klausurmäßige Aufbereitung der Probleme ist hier auffindbar.

I. Der Sachverhalt der Entscheidung

Der Sachverhalt, über den der sechste Senat des BGH zu entscheiden hatte, gestaltete sich wie folgt:

O wurde seit 2016 von der seiner Ehefrau T, einer ehemaligen Krankenschwester, betreut. Er hatte seit 1993 ein schweres chronisches Schmerzsyndrom entwickelt und war krankheitsbedingt berufsunfähig und in Rente. Er litt zudem unter zahlreichen Erkrankungen. Seine Schmerzen nahmen 2019 weiter zu und sein Zustand verschlechterte sich stetig, sodass er erwog, die Dienste eines Sterbehilfevereins in Anspruch zu nehmen. Nahezu wöchentlich äußerte er seinen Wunsch, sterben zu wollen. Er bat die T darauf hin, ihn ein paar Tage nicht zu pflegen und wegzufahren, damit er sich mit Tabletten das Leben nehmen wollte. Die T weigerte sich jedoch. Sein Leiden verschlimmerte sich weiter. Während eines gemeinsamen Kaffeetrinkens sagte O „Heute machen wir’s“, der T war klar, dass O sich das Leben nehmen wollte. Gegen 23:00 forderte O die T auf, ihm alle vorrätigen Tabletten zu geben, die O daraufhin selbständig einnahm. Dann forderte er die T auf, ihm alle noch vorhandenen Insulinspritzen zu geben, was sie auch tat. O und T sprachen noch miteinander, bevor er einschlief, gegen 3:30 konnte T seinen Tod feststellen. Er starb an Unterzuckerung infolge des Insulins, die eingenommenen Tabletten waren ebenfalls zur Herbeiführung des Todes geeignet, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt. Ursächlich war damit die Gabe des Insulins.

II. Die Prüfung der Strafbarkeit der T

Täter des § 216 StGB ist nur, wer die Straftat auch selbst vornimmt. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe. Auf eine erneute Darstellung der Abgrenzung zwischen subjektiver Theorie und Tatherrschaftslehre soll hier verzichtet werden. Denn auch der BGH ist zumindest im Kontext des § 216 StGB von seinem subjektiven Ansatz abgewichen und stellt prinzipiell ausschließlich darauf ab, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht (BGH NJW 1965, 699, 701) Gerade im Falle des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes, wo grundsätzlich beide Suizidenten einen entsprechenden Willen gebildet haben, sei eine subjektive Abgrenzung fraglich (BGH NJW 1965, 699, 700).

In seiner jüngsten Entscheidung formuliert der BGH wie folgt:

„Täter einer Tötung auf Verlangen ist, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht, auch wenn er sich damit einem fremden Selbsttötungswillen unterordnet. Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt. Gibt sich der Suizident nach dem Gesamtplan in die Hand des anderen, um duldend von ihm den Tod entgegenzunehmen, dann hat dieser die Tatherrschaft. Behält der Sterbewillige dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dies gilt nicht nur, wenn die Ursachenreihe von ihm selbst, sondern auch, wenn sie vom andern bewirkt worden war. Solange nach Vollzug des Tatbeitrags des anderen dem Sterbewilligen noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor […]. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid kann dabei nicht sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln vorgenommen werden. Geboten ist vielmehr eine normative Betrachtung.“

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21 Rn. 14 f.

Der BGH verordnete die Tatherrschaft bei O selbst. T hingegen habe lediglich unterstützende Akte vorgenommen und sei demnach lediglich Gehilfin einer straflosen Beihilfe zum Suizid.

Dieses Ergebnis mag zunächst erstaunen, denn das Spritzen des Insulins hat ausschließlich T vorgenommen, bei genauer Betrachtung ist dies jedoch folgerichtig und nicht als Täterhandlung einzuordnen.

„[Denn] Eine isolierte Bewertung dieses Verhaltens trägt dem auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Danach wollte sich [O] in erster Linie durch die Einnahme sämtlicher im Haus vorrätigen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel das Leben nehmen, während die zusätzliche Injektion des Insulins vor allem der Sicherstellung des Todeseintritts diente; er wollte keinesfalls „als Zombie zurückkehren“. Bei wertender Betrachtung bildeten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan einen einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein [O] bestimmte. Die Medikamente nahm er eigenständig ein, während die Angeklagte ihm der jahrelangen Übung entsprechend die Insulinspritzen setzte, weil ihm dies aufgrund seiner krankheitsbedingten Beeinträchtigungen schwerfiel. Nach dem Gesamtplan war es letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten. In Anbetracht dessen wird die Annahme des Landgerichts, dass [O] sich in die Hand der Angeklagten begeben und den Tod duldend von ihr entgegengenommen habe, den Besonderheiten des Falles nicht gerecht. […].

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21 Rn. 16.

In anderen Worten: Die Tatsache, dass sowohl der Suizident als auch die betreuende Person aktive Handlungen vornehmen ist unerheblich, sofern es sich um einen Gesamtplan handelt und über diesen Gesamtplan allein der Suizident die Tatherrschaft innehat.

III. Keine Strafbarkeit durch Unterlassen

Wird der Suizident bewusstlos oder schläft ein, kommt es vorliegend zu keinem Tatherrschaftswechsel und damit zu einer Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB. Denn trotz kraft der hier bestehenden Ehe zu bejahenden Garantenstellung der T für den O, liegt keine Garantenpflicht für das Leben ihres Mannes vor. Ein frei und selbstbestimmt gefasster Sterbewille führt zur Suspendierung der Garantenpflicht. Es gilt dasselbe wie für ärztliche Garantenpflichten, zu denen sich der BGH bereits mit seinen beiden Entscheidungen vom 3.7.2019 – 5 StR 132/18; 5 StR 393/18 geäußert hatte. Die Besprechung durch Juraexamen.info lässt sich hier abrufen.

IV. Exkurs: Verfassungskonforme Auslegung des § 216?

In seiner Entscheidung reißt der BGH zudem die Problematik an, ob durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB auch eine Neubewertung der Verfassungsmäßigkeit des § 216 StGB angezeigt ist. Zur Erinnerung: Das BVerfG hat in seiner Entscheidung (BVerfGE 153, 182) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die grundrechtlich geschützte Freiheit abgeleitet, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden und bei der Umsetzung dieser Selbsttötung auch auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen. Wenn die betroffene Person zur Wahrnehmung dieses Freiheitsrechts auch auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, schützt das APR auch vor einer Beschränkung gegenüber Dritten, die eine solche Unterstützung anbieten (Rn. 213). Strafrechtliche Normen dürften nach Auffassung des BVerfG nicht dazu führen, dass diese freie Entscheidung letztlich unmöglich gemacht wird, anderenfalls wird der verfassungsrechtliche Schutz dieser Freiheit nicht mehr gewährleistet (Rn. 273).

Eine Vergleichbarkeit der Konstellationen ist nicht von der Hand zu weisen, denn auch hier wird die Möglichkeit des Sterbewilligen, auf die Unterstützung Dritter zurückzugreifen, durch die Strafandrohung des § 216 StGB beschränkt. Dies sieht auch der 6. Senat des BGH so. Nach den Angaben in der o.g. Entscheidung hält er es für naheliegend, dass § 216 Abs. 1 StGB stets einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe. Es seien jedenfalls die Fälle vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, in denen es einer sterbewilligen Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung selbst umzusetzen. Dies sei der Fall, wenn sie darauf angewiesen ist, dass eine andere Person die unmittelbar zum Tod führende Handlung ausführt.

Wie genau eine solch verfassungskonforme Auslegung auszusehen hat und an welchem Merkmal des § 216 Abs. 1 StGB hier anzuknüpfen sein sollte, lässt der BGH offen. Für Studierende stellt sich daher die schwierige Frage, an welcher Stelle dieses Problem verortet werden sollte. Denkbar ist die Anwendung des § 34 StGB unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen. Der Wunsch des Suizidenten müsste intern gegen sein Rechtsgut „Leben“ abgewogen werden. Sofern der Suizidwunsch selbstbestimmt und frei von Willensmängeln bestand, müsste eine entsprechende Abwägung von „Tod“ gegen „Leben“ ausnahmsweise zulässig sein.

V. Wann liegen die Voraussetzungen für eine solche verfassungskonforme Auslegung vor?

Nicht geklärt ist hingegen, wann es einer Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung umzusetzen. In der Kommentarliteratur wird teils eine solch faktische Unmöglichkeit ausgeschlossen, sie könne nahezu nie vorliegen. Denn so sei vorstellbar, dass durch eine technische Einrichtung, durch die der Suizident mittels eines Augenzwinkerns eine Maschine in Gang setzen könne, auch ein an Armen und Beinen gelähmter Suizident selbständig töten könne. Sofern eine solche Einrichtung verfügbar sei, werde bis zur Verfügungstellung lediglich die Lebenszeit verlängert, dies sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen (zu alldem Schneider, MüKoStGB, 4. Auflage 2021, § 216 StGB Rn. 60 mwN). Sofern der Sachverhalt auf eine solche Möglichkeit aber nicht ausdrücklich hinweist und er zugleich die körperliche Unfähigkeit zur Selbsttötung betont, liegt nahe, dass der Klausurersteller auf eine solch verfassungskonforme Einschränkung hinauswollte. Das genaue Lesen des Klausursachverhalts ist hier besonders essentiell. Gleichwohl ist damit natürlich nur Examenskandidaten, nicht aber der Praxis geholfen.

12.08.2022/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2022-08-12 08:22:172022-08-12 08:27:44BGH: Neues zur Sterbehilfe im Rahmen des § 216 StGB
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Unmöglichkeit bei pandemiebedingter Schließung des Fitnessstudios

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 4. Mai 2022 (Az.: XII ZR 64/21) hat der BGH festgestellt, dass ein Betreiber eines Fitnessstudios bei einer pandemiebedingten Schließung des Studios gegen seinen Vertragspartner keinen Anspruch auf eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB hat. Im Gegenteil hat der Kunde gemäß §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB einen Anspruch auf Rückzahlung desjenigen Entgelts, das er während des Schließungszeitraums gezahlt hat, sofern der Fitnessstudiobetreiber von der in Art. 250 § 5 EGBGB eingeräumten „Gutscheinlösung“ keinen Gebrauch macht. Aufgrund ihrer enormen praktischen Auswirkungen hat die Entscheidung nicht nur im juristischen Bereich Aufsehen erregt. Da sich der BGH in seinem Urteil ferner mit grundlegenden Fragen des allgemeinen Schuldrechts auseinandersetzt, die problemlos in jede Zivilrechtsklausur vom zweiten Semester bis zum zweiten Staatsexamen eingebaut werden können, und unter Berücksichtigung der abweichenden Rechtsprechung zum Gewerberaummietrecht (s. BGH, Urteil v. 16.02.2022 – XII ZR 17/21, NJW 2022, 1378; BGH, Urteil v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21, NJW 2022, 1370) ist von gigantischer Klausur- und Examensrelevanz auszugehen.

I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)

Worum es geht, ist schnell erzählt: Die Parteien schlossen einen Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios ab. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste der Betreiber das Fitnessstudio in der Zeit vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020 schließen. Die Monatsbeiträge für diesen Zeitraum wurden dabei weiterhin vom Konto des Vertragspartners eingezogen. Im Anschluss verlangte dieser die Rückzahlung der per Lastschrift eingezogenen Mitgliedsbeiträge für den Schließungszeitraum.

Das Gericht erster Instanz verurteilte den Fitnessstudiobetreiber zur Rückzahlung der Monatsbeiträge; eine hiergegen gerichtete Berufung des Betreibers vor dem Landgericht wurde zurückgewiesen.

II. Die Entscheidung des BGH

In der Revision sprach sich auch der BGH zu Gunsten des Kunden aus und stellte fest, dass diesem ein Anspruch auf Rückzahlung gemäß §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zustand.

1. Schließung des Studios als rechtliche Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB

Dreh- und Angelpunkt der Prüfung war die Frage, ob die behördliche Schließungsanordnung zur rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung des Fitnessstudiobetreibers gemäß § 275 Abs. 1 BGB führt mit der Konsequenz, dass während des Schließungszeitraums gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB auch der Gegenanspruch auf Zahlung des Entgelts entfällt. Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Sog. rechtliche Unmöglichkeit ist dabei gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf (vgl. BGH, Urteil v. 25.10.2012 – VII ZR 146/11, NJW 2013, 152 Rn. 33; MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, § 275 BGB Rn. 48). Auf der Grundlage dieser Definition hat der BGH die Unmöglichkeit bejaht:

In diesem Zusammenhang bedurfte es der Auseinandersetzung mit der Frage, ob hierin ein Fall lediglich vorübergehender Unmöglichkeit liegt, die nach herrschender Meinung dem Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1 BGB nicht unterfällt, sondern nur verzugsbegründend wirkt (s. Jauernig/Stadler, 18. Aufl. 2021, § 275 BGB Rn. 10 m.w.N.). Diskussionsbedürftig war dies unter dem Gesichtspunkt, dass die behördliche Maßnahme befristet war und auf dieser Basis lediglich ein ­– bereits dem allgemeinen Sprachverständnis entsprechendes – „vorübergehendes“ Hindernis darstellte. Jedoch sind vorübergehende Hindernisse dauerhaften jedenfalls dann gleichzustellen, wenn sie den Vertragszweck in Frage stellen und damit eine Nachholung ausgeschlossen ist. Dies hat der BGH in der vorliegenden Entscheidung unter Verweis auf den Zweck eines Fitnessstudiovertrags, eine regelmäßige sportliche Betätigung zu ermöglichen zur Erreichung bestimmter Fitnessziele oder der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit, angenommen:

Ein anderes Ergebnis könne auch nicht im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung erreicht werden. Insbesondere sei keine stillschweigende Vereinbarung dahingehend getroffen worden, dass der Fitnessstudiobetreiber berechtigt sein solle, entsprechend § 315 Abs. 1 BGB sein Studio nach Billigkeit für einen begrenzten Zeitraum zu schließen, und dem Kunden im Gegenzug ein Recht auf Nachholung der verpassten Trainingszeit einzuräumen.

2. Keine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB

Nach der Auffassung des BGH kann der Fitnessstudiobetreiber dem Kunden auch nicht entgegenhalten, dass der Vertrag wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen gewesen sei, dass die vereinbarte Vertragslaufzeit um den Schließungszeitraum zu verlängern sei. Dies beruhe auf dem Anwendungsbereich des § 313 BGB und damit letztlich auf dem Konkurrenzverhältnis der Vorschriften zur Unmöglichkeit und § 313 BGB. Ein Rückgriff auf die Störung der Geschäftsgrundlage sei nur dort möglich, wo spezielle Regelungen zur Behebung einer Leistungsstörung fehlen würde. E contrario könne dort keine Korrektur mehr über § 313 BGB erfolgen, wo die Rechtsfolgen eines Leistungshindernisses – wie im vorliegenden Fall – bereits abschließend geregelt würden:

Dieses dogmatisch zwingende Ergebnis verstärkt der BGH durch einen Pendelblick auf Art. 240 § 5 EGBGB, der – rechtlich im Wege der Ersetzungsbefugnis – für den Fall der Zahlung für Freizeitveranstaltungen und -einrichtungen die Berechtigung schafft, dem Inhaber einer vor dem 8.3.2020 erworbenen Nutzungsberechtigung für eine Freizeiteinrichtung anstelle der vertraglich geschuldeten Leistung einen Gutschein zu übergeben, wenn die Freizeiteinrichtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen gewesen ist. In einfacheren Worten: Macht der Kunde seinen aufgrund der Unmöglichkeit der Leistung bestehenden Anspruch auf Rückzahlung nach §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB geltend, kann der Fitnessstudiobetreiber diesen durch Übergabe eines Gutscheins in entsprechender Höhe erfüllen. Durch die Schaffung dieser Spezialnorm habe der Gesetzgeber eine abschließende Regelung getroffen, um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich abzufedern:

Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für Miet- und Pachtverträge über Grundstücke und Räume, die keine Wohnräume sind, in Art. 240 § 7 EGBG eine Vermutung aufgestellt habe, dass bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ein Fall des § 313 Abs. 1 BGB gegeben sei. Der Umstand, dass für diesen Bereich eine entsprechende Regelung geschaffen worden sei, lasse darauf schließen, dass in anderen Bereichen ein Rückgriff auf § 313 BGB nicht möglich sein solle:

Ein Anspruch des Betreibers auf eine Anpassung nach § 313 BGB sei damit in hiesiger Konstellation ausgeschlossen.

III. Fazit

Die Entscheidung des BGH ist nicht nur unter Verbraucherschutzgesichtspunkten begrüßenswert, sondern auch rechtlich vollumfänglich überzeugend. Streng subsumiert führt die behördliche Schließungsanordnung nach allgemeinen Grundsätzen dazu, dass der Fitnessstudiobetreiber seiner Leistungspflicht nicht mehr nachkommen kann, § 275 Abs. 1 BGB. Dementsprechend entfällt die Gegenleistungspflicht nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, sodass der Kunde bereits entrichtete Beiträge gemäß §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zurückverlangen kann, sofern der Betreiber nicht von der „Gutscheinlösung“ gemäß Art. 240 § 5 EGBGB Gebrauch macht. Eine Anpassung nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage kommt aufgrund der Subsidiarität des § 313 BGB nicht in Betracht. In einer Klausur wird es im Wesentlichen auf eine saubere Subsumtion und eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Konkurrenzverhältnis von § 275 BGB und § 313 BGB ankommen; das Ergebnis dürfte vom BGH zwingend vorgegeben sein.

07.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2022-06-07 08:30:002022-08-03 08:30:22BGH: Unmöglichkeit bei pandemiebedingter Schließung des Fitnessstudios
Gastautor

Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot wegen des Alters: BGH bleibt seiner Linie treu

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, folgenden Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu können. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn und Wissenschaftlicher Beirat des Juraexamen.info e.V.
 
Der BGH entschied vor einiger Zeit in der Rechtfertigung großzügig zu Adults-only-Hotels: Hotels können Kinder den Zutritt versagen und Familien außen vor lassen, wenn sie sich in ihrem Geschäftskonzept eben dezidiert an kinderlose Gäste wende, die Ruhe suchen (BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 401/18, BGHZ 226, 145-161). Nun ging es ebenfalls um eine mögliche Rechtfertigung der Unterscheidung nach dem Alter, wenn auch nicht für eine Zurückweisung wegen zu geringen, sondern wegen zu hohen Alters – und es ging nicht um ein Hotel, sondern um eine Musikveranstaltung (Urteil vom 5. Mai 2021 – VII ZR 78/20).
 
Der seinerzeit 44-jährige Kläger wollte 2017 ein von der Beklagten veranstaltetes Open-Air-Event in München besuchen, bei dem über 30 DJs elektronische Musik auflegten. Die Veranstaltung hatte eine Kapazität von maximal 1.500 Personen, ein Vorverkauf fand nicht statt. Ein Ticket konnte erst nach Passieren der Einlasskontrolle erworben werden. Dem Kläger sowie seinen beiden damals 36 und 46 Jahre alten Begleitern wurde der Einlass verwehrt. Zu alt! Vorprozessual teilte die Beklagte dem Kläger mit, Zielgruppe der Veranstaltung seien Personen zwischen 18 und 28 Jahren gewesen. Aufgrund der beschränkten Kapazität und um den wirtschaftlichen Erfolg einer homogen in sich feiernden Gruppe nicht negativ zu beeinflussen, habe es die Anweisung gegeben, dem optischen Eindruck nach altersmäßig nicht zur Zielgruppe passende Personen abzuweisen. Der Kläger hielt das für eine unzulässige Altersdiskriminierung und klagte auf Entschädigung gemäß § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 2 AGG In Höhe von 1.000 € sowie den Ersatz der Kosten eines vorangegangenen Schlichtungsverfahrens in Höhe von 142,80 €, jeweils nebst Zinsen.
In den Instanzen blieb der Kläger erfolglos – und auch der BGH gab dem für seine AGG Klagen bundesweit bekannten Kläger nicht recht. Entscheidend waren die §§ 19, 20 AGG:
 
 § 19 AGG
(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die 1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen … …ist unzulässig.
 
§ 20 AGG
(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung 1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, 2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, 3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt, 4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.
 
Das Landgericht ist der Meinung, dem Kläger stehe kein Entschädigungsanspruch wegen Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG zu, da dessen Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Das Benachteiligungsverbot sei auf Massengeschäfte (Fall 1) beschränkt, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (wie etwa Einzelhandel, Personennahverkehr, Kino, Schwimmbäder), oder diesen gleichgestellte Geschäfte, bei denen für den Anbieter einer Leistung nach der Art des Schuldverhältnisses die persönliche Auswahl seines Vertragspartners nachrangige Bedeutung hat (Fall 2).
Keiner der beiden Fälle liege hier vor, auch nach Ansicht des BGH. Der Vertrag über den Zutritt zu der hier betroffenen Veranstaltung sein kein „Massengeschäft“ iSd § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 AGG. Es liege ein Ansehen der Person vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach Würdigung des Vertragspartners treffe. Ob persönliche Merkmale typischerweise eine Rolle spielen, bestimme sich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise, bei der auf die für vergleichbare Schuldverhältnisse herausgebildete Verkehrssitte abzustellen ist.
Und darauf folgerten die Karlsruher Richter:

„Eine Verkehrssitte, dass zu öffentlichen Veranstaltungen, die mit dem hier betroffenen Schuldverhältnis vergleichbar sind, jedermann Eintritt erhält, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Soweit öffentlich zugängliche Konzerte, Kinovorstellungen, Theater- oder Sportveranstaltungen im Regelfall dem sachlichen Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG unterfallen, weil es der Verkehrssitte entspricht, dass dort der Eintritt ohne Ansehen der Person gewährt wird, ist für diese Freizeitangebote charakteristisch, dass es den Veranstaltern – meist dokumentiert durch einen Vorverkauf – nicht wichtig ist, wer ihre Leistung entgegennimmt. Das unterscheidet sie maßgeblich von Party-Event-Veranstaltungen wie der vorliegenden, deren Charakter in der Regel auch durch die Interaktion der Besucher geprägt wird, weshalb der Zusammensetzung des Besucherkreises Bedeutung zukommen kann. Dass auch bei solchen Veranstaltungen gleichwohl nach der Verkehrssitte jedermann Eintritt gewährt wird, macht der Kläger nicht geltend.“

Dann legt das Gericht nach:

„Der Vertrag über den Zutritt zu der von der Beklagten durchgeführten Veranstaltung war auch kein „massengeschäftsähnliches“ Schuldverhältnis im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 AGG. …Bei Schuldverhältnissen wie öffentlichen Party-Event-Veranstaltungen kann die Zusammensetzung des Besucherkreises deren Charakter prägen und daher ein anerkennenswertes Interesse des Unternehmers bestehen, hierauf Einfluss zu nehmen. Soweit der Veranstalter deshalb sein Angebot nur an eine bestimmte, nach persönlichen Merkmalen definierte Zielgruppe richtet und nur Personen als Vertragspartner akzeptiert, die die persönlichen Merkmale der Zielgruppe erfüllen, kommt diesen Eigenschaften nicht nur nachrangige Bedeutung zu. Diese Willensentscheidung ist hinzunehmen; wenn dabei auch das Merkmal „Alter“ betroffen ist, steht dies nicht entgegen.“

Anders als in seiner Entscheidung vom 27. Mai vergangenen Jahres argumentierte das Gericht also bereits mit der fehlenden Anwendbarkeit des AGG – nicht mit der möglichen Rechtfertigung. Dadurch mogelt es sich aus dem AGG heraus. Die Zulassung zur Veranstaltung nicht als Massengeschäft einzuordnen, scheint mir sportlich, denn wer da kommt, ist egal – Hauptsache, das Alter stimmt. Es wird nicht nach Bildungsabschluss, Einkommensverhältnissen, politischer Überzeugung, Familienstand und anderem gefragt. Und selbst das wirkliche Alter interessiert wohl weniger als das optische Alter. Das verträgt sich nicht so recht mit der Ablehnung eines Massengeschäfts oder eines gleichgestellten Geschäfts. 
Derr BGH hätte – wie ehemals bei seiner Entscheidung über ein Hotel ohne Kinder – wohl besser auf der Rechtfertigungsebene argumentiert. Das scheint mir richtiger. Bei der Rechtfertigung ist es dann wir beim Frauentag im Schwimmbad: Selbstverständlich vom Anwendungsbereich des AGG erfasst – aber eben gerechtfertigt in der Unterscheidung. Karlsruhe bleibt also bei seiner großzügigen Linie. Der unternehmerischen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit wird ein hoher Stellenwert beigemessen.
 
Das AGG ist durchaus examensrelevant – es lohnt sich in die Entscheidungsgründe zu schauen, sobald sie veröffentlicht werden. Wer vorher schon tiefer einsteigen will: MüKo/Thüsing, § 20 AGG Rnr. 1 ff (bald auch in 9. Aufl.) und auch Thüsing/Pöschke, jm 2020, S. 359.

12.05.2021/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-05-12 08:24:522021-05-12 08:24:52Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot wegen des Alters: BGH bleibt seiner Linie treu
Tobias Vogt

Neue Wendung im Kudamm-Raser-Fall

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Es war ein Paukenschlag, als das Landgericht Berlin zum ersten Mal Raser wegen Mordes verurteilte. Rechtskräftig ist die Entscheidung hinsichtlich eines der beiden Angeklagten immernoch nicht. Nach mehreren Zurückweisungen des BGH erging nun das dritte Urteil des LG Berlin (Urt. v. 02.03.2021, Az. 529 Ks 6/20) in diesem Verfahren. Statt wie noch in seinen beiden ersten Urteilen befand das LG Berlin den Angeklagten, der nicht selbst mit dem Wagen des Opfers kollidierte, nicht wegen gemeinschaftlichem Mord, sondern wegen versuchten Mordes für schuldig. Diese erneute Entscheidung dürfte abermals Prüfer dazu animieren, diesen höchst examensrelevanten Fall mit seinen zahlreichen Tücken etwa im Bereich der Abgrenzung des Eventualvorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, der Mittäterschaft und der Mordmerkmale als Klausursachverhalt zu nutzen.
 
I. Bisheriger Verfahrensgang:
 
Den ersten Aufschlag lieferte das LG Berlin (Urteil vom 27.2.2017, Az. 535 Ks 8/16). Dieses verurteilte die beiden Raser, die sich an einer roten Ampel haltend mit Gestiken und dem Spiel mit dem Gas zu einem spontanen Autorennen hochschaukelten, in dessen Fortgang sie mit Geschwindigkeiten von über 160 km/h mehrere rote Ampeln überfuhren, wegen gemeinschaftlichen Mordes, nachdem einer der beiden Angeklagten während dieses Rennens mit dem Wagen eines anderen Verkehrsteilnehmers kollidierte, der an den Folgen des Unfalls starb.
 
Der BGH hat mit Urteil vom 1.3.2018 (Az. 4 StR 399/17) das Urteil des LG Berlin aufgehoben und zurückverwiesen (siehe dazu ausführlich unser Beitrag). Der BGH bemängelte hier zum einen, dass das LG den Tötungsvorsatz nur zu einem Zeitpunkt festgestellt hat, in dem die Täter die Kollision nicht mehr verhindern konnten. Die Feststellungen trugen daher keinen Tötungsvorsatz zum Tatzeitpunkt. Des Weiteren habe das LG den Tötungsvorsatz nicht ausreichend begründet, sich insbesondere nicht hinreichend mit der möglichen Eigengefährdung der Täter auseinandergesetzt. Schließlich bemängelte der BGH auch die Bejahung von Mittäterschaft.
 
Das LG Berlin kam mit Urteil vom 26.03.2018 (Az. 532 Ks 9/18) aber auch nach der Zurückverweisung abermals zum gleichen Ergebnis: Gemeinschaftlicher Mord (siehe ausführlich unser Beitrag).
 
Da das LG nun jedoch den Tötungsvorsatz eingehend auch unter Berücksichtigung der Eigengefährdung begründete – aufgrund der gut ausgestatteten Sportwagen sei schon nicht sicher, ob die Täter sich selbst derart gefährdet sahen, jedenfalls nahmen sie den Tod anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf, da sie das Rennen um jeden Preis gewinnen wollten – bestätigte der BGH (Urteil vom 18.6.2020 – 4 StR 482/19) nun die Verurteilung des Angeklagten, der den tödlichen Unfall verursachte, wegen Mordes. Hierbei bejahte der BGH jedoch entgegen dem LG Berlin lediglich die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung aus niedrigen Beweggründen, lehnte jedoch das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels ab. Denn erforderlich ist nicht nur, dass das Mittel objektiv in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Es bedarf auch eines entsprechenden Vorsatzes des Täters. Diesem konnte jedoch im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden, dass er über den Primäraufprall hinausgehende weitere Unfallfolgen für sich oder Dritte für möglich hielt und in Kauf nahm.
 
Hinsichtlich des weiteren Angeklagten verwies der BGH die Sache wieder an das LG Berlin zurück. Es bemängelte wie schon in seiner Entscheidung aus 2018 die Bejahung eines für die Mittäterschaft notwendigen gemeinsamen Tatplans. Denn ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt setzt voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist; es genügt nicht, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt, so der BGH.
 
II. Aktuelle Entscheidung des LG Berlin:
 
Nachdem der BGB nun wiederholt die fehlerhafte Bejahung eines gemeinsamen Tatplans gerügt hatte, geht auch das LG Berlin nicht mehr von einer Mittäterschaft aus. Der Todeserfolg ist dem Angeklagten, der selbst nicht mit dem Wagen des Verstorbenen kollidierte, demnach nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zurechenbar.
 
Das LG verurteilte ihn jedoch folgerichtig wegen versuchten Mordes. Denn schließlich habe er ebenso wie der andere Fahrer um das Rennen zu gewinnen bewusst in Kauf genommen, dass er selbst derart mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kollidiert, dass dieser stirbt. Es hat lediglich vom Zufall abgehangen, dass nicht er, sondern der Fahrer, mit dem er sich ein Rennen lieferte, unmittelbar den Tod herbeigeführt hat.
 
Da bei der riskanten Rennfahrt auch die Beifahrerin des Angeklagten verletz wurde, wurde dieser auch wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB verurteilt. In einer Klausur ist zunächst auf eine in Betracht kommende vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB einzugehen und an dieser Stelle ebenfalls ausführlich zu prüfen, ob ein Verletzungsvorsatz vorliegt. Hier spielt die mögliche Eigengefährdung eine noch größere Rolle als bei der Frage nach dem Tötungsvorsatz in Bezug auf andere Verkehrsteilnehmer. Denn wenn der Täter eine Verletzung seiner Beifahrerin bewusst in Kauf genommen hätte, müsste er auch eine eigene Verletzung in Kauf genommen haben. Da er aber aufgrund der Ausstattung seines Wagens darauf vertraute, selbst bei einer Kollision nicht verletzt zu werden, galt dies auch in Bezug auf seine Beifahrerin. Gibt es im Klausursachverhalt dagegen Hinweise darauf, dass der Angeklagte eine eigene Verletzung und die seiner Beifahrerin ebenfalls in Kauf nahm, könnte dagegen eine vorsätzliche Körperverletzung bejaht werden.
 
Ebenfalls schuldig gesprochen wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) und d) StGB, da er die durch Ampelzeichen geregelte Vorfahrt des Geschädigten nicht beachteten, an einer Straßenkreuzung zu schnell fuhren und dadurch Leib und Leben des Geschädigten gefährdete.
 
In einem Klausurgutachten ebenfalls zu prüfen ist eine Strafbarkeit nach den weiteren Verkehrsdelikten § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 315d Abs. 1, Abs. 2 StGB. Eine Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist jedoch zu verneinen, da das Fahrzeug zur Fortbewegung und nicht primär als Waffe eingesetzt wurde und es daher an einer pervertierten Nutzung fehlt, die für die Bejahung eines verkehrsfremden Eingriffs in den Straßenverkehr notwendig wäre.
 
III. Fazit:
 
– Zunächst einmal zeigt die aktuelle Entscheidung, dass die Täter zwingend getrennt zu prüfen sind. Zu beginnen ist mit dem tatnächsten Täter, der mit dem Wagen des Opfers kollidierte.
 
– Bei der Prüfung des Vorsatzes ist zunächst einmal darauf zu achten, dass der Vorsatz zu einem Zeitpunkt vorliegen muss, in dem der Täter noch einen Tatbeitrag leisten konnte, nicht also erst in dem Zeitpunkt, als die Kollision ohnehin unausweichlich war.
 
– Sodann ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob der Täter mit Eventualvorsatz handelte oder nur mit bewusster Fahrlässigkeit. Hierbei ist auch auf die mögliche Eigengefährdung einzugehen, die zwar gegen einen Tötungsvorsatz sprechen kann, diesen jedoch auch nicht per se ausschließt.
 
– In Betracht kommen die Mordmerkmale Heimtücke, niedrige Beweggründe und gemeingefährliches Mittel. Insbesondere bei letzterem kann jedoch der Vorsatz in Bezug auf die Gefährdung einer Mehrzahl an Menschen problematisch sein.
 
– Dem Mitangeklagten, der selbst nicht mit dem verstorbenen Opfer kollidierte, ist der Todeserfolg nur über § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen, wenn ein gemeinsamer auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichteter Tatplan vorlag. Sich zu einem gemeinsamen, riskanten Straßenrennen zu entschließen, reicht hierfür nicht aus, auch wenn hierdurch letztendlich ein Mensch zu Tode kam. Daher hat der Mitangeklagte sich nur wegen versuchtem Mord strafbar gemacht.
 
– Von dem bedingten Tötungsvorsatz in Bezug auf andere Verkehrsteilnehmer kann nicht auf einen Verletzungsvorsatz der Beifahrerin geschlossen werden, so dass bei einer Verletzung dieser ggf nur eine fahrlässige Körperverletzung vorliegt.
 
– Nicht zu vergessen ist in einer Klausur zudem die Prüfung der Straßenverkehrsdelikte §§ 315b, 315c 315d StGB.
 
Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf unsere Besprechung zu einem etwas anders gelagerten Raser-Fall, in dem der BGH (Beschluss vom 16.1.2019, 4 StR 345/18) eine Verurteilung wegen Mordes bestätigte.
 
Zudem noch einmal die Links zu den Besprechungen des ersten BGH-Entscheidung und dem zweiten LG Berlin-Urteil in dem hiesigen Verfahren: hier und hier

04.03.2021/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2021-03-04 13:00:502021-03-04 13:00:50Neue Wendung im Kudamm-Raser-Fall
Gastautor

BGH: Schadensersatz bei Kauf eines gebrauchten VW-Diesels nach Bekanntwerden der Abgasmanipulation

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Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Ansgar Kalle veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wiss. Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Lehrstuhl Prof. Dr. Stefan Greiner.
 
Die hier zu besprechende Entscheidung des BGH (Urt. v. 30. Juli 2020 – Az. VI ZR 5/20 = NJW 2020, 2798) stellt die bislang jüngste Entscheidung des BGH zum Abgasskandal dar. Rechtsfragen des Abgasskandals werden seit Jahren intensiv erörtert und berühren mit dem Kauf- und dem Deliktsrecht Kernthemen des Zivilrechts. Dies macht das gesamte Thema äußerst examensrelevant.
Die hier zu erörternde Entscheidung rückt mit § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB zwei examensrelevante Normen in den Vordergrund, die wegen ihrer Wertungsoffenheit viel Streit- und Argumentationspotential bergen. Sie enthält viel Lehrreiches zur Prüfung dieser Paragraphen.
 
1. Sachverhalt (verkürzt und vereinfacht)
Der Kläger erwarb im August 2016 einen gebrauchten VW Touran von der S-GmbH, die ein Autohaus betrieb. Der Dieselmotor des Fahrzeugs, Typ EA189, war von der beklagten VW-AG mit einer illegalen technischen Vorrichtung ausgestattet worden, die den Motor speziell für Messungen auf dem Prüfstand in einen besonders schadstoffarmen Modus schaltete. Nur in diesem Modus, also nicht im alltäglichen Fahrbetrieb, hielt das Fahrzeug die Grenzwerte der Euro 5-Norm ein.
Bereits im September 2015 hatte die Beklagte Mitteilungen veröffentlicht, in denen sie eingestand, dass der Motor des Typs EA189 mit der beschriebenen Vorrichtung ausgestattet war und dass man sich bemüht, den Vorfall in Kooperation mit den Behörden rasch aufzuklären. Im Oktober 2015 hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Beklagte dazu aufgefordert, bei den Fahrzeugen, die mit dem betroffenen Motor ausgestattet waren, in Zukunft einen rechtmäßigen Betrieb zu gewährleisten. Zu diesem Zweck entwickelte die VW-AG ein Software-Update, das die Vorrichtung deaktivierte. Dieses spielte sie u.a. beim Touran des Klägers auf.
Der Kläger begehrt nun von der VW-AG Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises zzgl. Zinszahlung Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs.
 
2. Anspruch auf Schadensersatz iHd. Kaufpreises aus § 823 Abs. 2 BGB wegen Schutzgesetzverletzung
Der erste Schwerpunkt des Falls liegt auf einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift knüpft an den Verstoß gegen ein Schutzgesetz an. Der BGH zog drei Schutzgesetze in Betracht.
 
a. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV
Zunächst stellte das Gericht auf zwei Normen aus der Kraftfahrzeuggenehmigungsverordnung ab: §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
 
aa. Vorwort
In einer Klausur wird keinesfalls erwartet, dass diese exotischen Vorschriften bekannt sind. Sie wären abgedruckt, damit sie in der Klausur (erstmals) gelesen und ausgelegt werden (Beispiel bei Pohlmann/Scholz JA 2020, 574).
Zusammengefasst ordnen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV an, dass ein Fahrzeug nur dann veräußert werden darf, wenn bescheinigt ist, dass es mit allen einschlägigen Vorschriften übereinstimmt. Zu den einschlägigen Vorschriften zählt insbesondere Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, wonach Kraftfahrzeuge nicht mit Abschalteinrichtungen ausgestattet werden dürfen, die Emissionskontrollsysteme täuschen.
Die Prüfung des § 823 Abs. 2 BGB wirft regelmäßig drei Fragen auf, die in einer Klausur in aller Regel nacheinander gutachterlich beantwortet werden sollten.

  1. Liegt eine Schutznorm vor?
  2. Wurde die Schutznorm verletzt?
  3. Hat der Anspruchssteller einen Schaden erlitten, der kausal auf die Schutzgesetzverletzung zurückzuführen ist?

 
bb. Kausaler Schaden
Der BGH ging nicht auf die Fragen Nr. 1 und 2 ein, sondern wandte sich in seiner Entscheidung direkt der Frage Nr. 3 zu.
 
(1) Schaden
Um diese zu beantworten, ist zunächst zu prüfen, ob ein Schaden vorliegt. Der Kläger macht als Schaden den Abschluss des Kaufvertrags geltend. Er rügt also die Verletzung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in ihrer speziellen Ausprägung als wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht.
Als Schaden kommt jede unfreiwillige Einbuße an schadensersatzrechtlich geschützten Rechten, Gütern und Interessen in Frage. Ob eine Einbuße vorliegt, ist im Ausgangspunkt nach der Differenzhypothese zu ermitteln. Es ist also die gegenwärtige Vermögenslage mit der zu vergleichen, die ohne das schädigende Ereignis bestünde. Der Kläger müsste also darlegen, dass er den Kaufvertrag über den Touran nicht abgeschlossen hätte, wenn es nicht zur Schutzgesetzverletzung gekommen wäre.
Ob dies gelang, ließ der BGH offen, weil es aus seiner Sicht hierauf nicht ankam.
 
(2) Kausalität, insb. Schutzzweck der Norm
Stattdessen befasste sich das Gericht ausführlich mit dem Schutzzweck der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Beim Schutzzweck der Norm liegt häufig der Schwerpunkt von Klausuren zu § 823 Abs. 2 BGB. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB kommt nur dann in Frage, wenn das verletzte Schutzgesetz genau vor der Art von Schaden schützen will, die der Anspruchssteller geltend macht. Um dies zu klären, ist der Zweck der Schutznorm durch Auslegung präzise herauszuarbeiten.
Der BGH ging davon aus, dass §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV keinen Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts bezweckten. Hierfür fehlte es an Anhaltspunkten im Gesetz. Dementsprechend hielt das Gericht den geltend gemachten Schaden für nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Dieses Ergebnis hielt das Gericht für so eindeutig, dass es nach der Acte-claire-Doktrin auf eine Vorlage an den EuGH verzichtete. Zur Begründung verwies das Gericht auf seine vorangegangene Diesel-Entscheidung aus Mai 2020. Bereits dort hatte es den Anspruch am Schutzzweck §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitern lassen (BGH, Urt. v. 25. Mai 2020 – Az. VI ZR 252/19 Rn. 76; s. auch unsere Urteilsbesprechung hier ). Leider hatte der BGH auch dort seine Sichtweise nicht näher erläutert.
Dies enttäuscht ein wenig, da in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum Gegenteiliges ausführlich begründet vertreten wird: Zum einen solle die von §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV geforderte Übereinstimmungsbescheinigung dem Käufer versichern, dass das Fahrzeug betrieben werden darf. Sie habe den Charakter einer Garantieerklärung. Daher schütze das Verbot des Handelns mit Fahrzeugen, denen diese Bescheinigung fehlt, Käufer davor, ein Fahrzeug zu erwerben, das nicht betrieben werden darf (LG Ingolstadt, Urt. v. 15. Mai 2018 – Az. 42 O 1199/17 = BeckRS 2018, 33798 Rn. 25-37; Artz/Harke NJW 2017, 3409, 3412 f.). Zum anderen sei wegen des Effektivitätsgebots (effet utile) und der großen Bedeutung der Übereinstimmungsbescheinigung für das europarechtlich geprägte Typgenehmigungsverfahren ein Individualschutz durch § 27 Abs. 1 EG-FGV gar nicht erforderlich. Nach den Grundsätzen der EuGH-Entscheidung in der Rs. Muñoz (EuGH, Urt. v. 17. September 2002 – Rs. C-253/00 = Slg. I 2002, 7289) müsse es für den Anspruch genügen, dass das Unionsrecht eine privatrechtliche Sanktion gebietet (Harke VuR 2017, 83, 84 f.).
Für die Sichtweise des BGH lässt sich jedoch anführen, dass es in der Tat schwer ist, dem § 27 Abs. 1 EG-FGV konkrete Anhaltspunkte für einen Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Käufers zu entnehmen. Das EG-FGV regelt das öffentlich-rechtliche Typengenehmigungsverfahren, in das der Käufer nicht eingebunden ist. Auch hätte die beschriebene Deutung der Rs. Muñoz einen beachtlichen Eingriff in die Dogmatik des § 823 Abs. 2 BGB zur Folge, dessen Notwendigkeit fraglich ist (ablehnend auch Armbrüster ZIP 2019, 837, 839 f.; Lorenz NJW 2020, 1924; Riehm DAR 2019, 247, 248 f.; skeptisch ebenfalls Gutzeit JuS 2019, 649, 656).
Folgt man an dieser Stelle dem BGH, scheiden §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze aus.
 
b. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007
Im Anschluss wandte sich der BGH der Frage zu, ob Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 als Schutzgesetz dem Kläger zu einem Anspruch verhelfen konnte.
Auch dies verneinte er, was angesichts der Bewertung der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV konsequent ist. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass sie das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers schützen will. Ausweislich ihrer Erwägungsgründe diene die Richtlinie dem Umwelt- und Gesundheitsschutz. Das Effektivitätsgebot ändere hieran nichts. Laut der Rs. Muñoz könne dieses zwar gebieten, dass die Verletzung von Unionsrecht in einem Zivilprozess geltend gemacht werden kann, allerdings müsse der Betroffene hierfür durch die Norm geschützt werden. Die Rs Muñoz zwinge also nicht dazu, auf den Individualschutz des Schutzgesetzes zu verzichten. Da die VO keinen Individualschutz bezwecke, könne deren Verletzung daher keinen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen.
Schließt man sich dem an, eröffnet auch Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 dem Kläger keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB.
 
c. Zu § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB
aa. Schwerpunkt: Verletzung des Schutzgesetzes
Im Anschluss stellte der BGH auf § 263 StGB als Schutzgesetz ab. Für § 263 Abs. 1 StGB ist anerkannt, dass es sich um ein Schutzgesetz handelt. Auch war der geltend gemachte Schaden zweifellos vom Schutzzweck der Norm umfasst. Daher kam es hier entscheidend darauf an, ob der Betrugstatbestand erfüllt war.
An dieser Stelle wäre in einer Klausur eine vollständige, gutachterliche Inzidentprüfung des § 263 Abs. 1 StGB geboten.
 
bb. Objektiver Tatbestand
Zu Täuschung und Irrtum gibt der Sachverhalt keine Informationen. Es sei an dieser Stelle unterstellt, dass beide Merkmale vorliegen. In einer Klausur sollte man bei diesen Merkmalen insbesondere an die Problembereiche Täuschung durch Unterlassen, Aufklärungspflichten und sachgedankliches Mitbewusstsein denken (eingehend Berg Jura 2020, 239, 240 f.; Isfen JA 2016, 1, 2 f.).
Die notwendige Vermögensverfügung nahm der Kläger dadurch vor, dass er mit der S-GmbH einen Kaufvertrag abschloss und sich dadurch zur Kaufpreiszahlung verpflichtete (Eingehungsbetrug).
Fraglich ist der Vermögensschaden. Ein solcher liegt vor, wenn die Verfügung nicht durch eine Gegenleistung kompensiert wird. Dies ist im Ausgangspunkt durch eine Saldierung der wechselseitigen Leistungen zu beurteilen. Als Kompensation kommt der Anspruch des Käufers auf Verschaffung des Fahrzeugs (§ 433 I 1 BGB) in Frage. Dieser Anspruch glich die Vermögensverfügung aus, wenn die Kaufsache ihr Geld wert war. Ein Vermögensschaden kann also nicht bereits darin erblickt werden, dass der Käufer einen Vertrag abgeschlossen hat, den er ohne Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Das Merkmal „Vermögensschaden“ ist wegen des Bestimmtheitsgebots und des Analogieverbots enger auszulegen als der zivilrechtliche Schadensbegriff. An dieser Stelle wäre etwa zu klären, ob das Update zu einer Wertminderung führte oder ob ein Fall des subjektiven Schadenseinschlags vorlag. Der BGH ließ offen, ob ein Schaden vorlag, da er jedenfalls den subjektiven Tatbestand nicht für erfüllt hielt.
 
cc. Subjektiver Tatbestand
Im subjektiven Tatbestand ist das Merkmal der Bereicherungsabsicht problematisch. Diese liegt vor, wenn der Täter für sich selbst oder einen Dritten nach einem Vermögensvorteil strebt, auf den er keinen Anspruch hat und der mit dem Vermögensschaden stoffgleich ist. Da die Beklagte keinen Bezug zum Kaufvertrag zwischen dem Kläger und der S-GmbH hatte, kommt nur eine Drittbereicherungsabsicht zugunsten der S-GmbH in Frage.
Zweifelhaft ist, ob die Beklagte nach einem stoffgleichen Vorteil der S-GmbH strebte. Stoffgleichheit liegt vor, wenn der Vermögensschaden des Opfers die unmittelbare Kehrseite des angestrebten Vermögensvorteils ist.
Aus Sicht des BGH fehlte es hieran: Die Beklagte wollte durch ihre Manipulation ihre Fahrzeuge günstiger produzieren und dadurch ihren Umsatz steigern. Dieses Ziel wurde bereits durch den Verkauf als Neuwagen erreicht. Ein späterer Weiterverkauf der Wagen als Gebrauchtfahrzeuge war der Beklagten daher egal. Deshalb lag keine Bereicherungsabsicht vor.
 
dd. Ergebnis
Gegen § 263 Abs. 1 StGB wurde nicht verstoßen. Daher fehlt es bereits an einer Schutzgesetzverletzung.
 
d. Ergebnis
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB bestehen nicht.
 
3. § 826 BGB
Schließlich setzte sich der BGH mit einem Anspruch aus § 826 BGB auseinander. § 826 BGB erfordert eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt meistens beim Merkmal der Sittenwidrigkeit. So verhält es sich auch im Fall: Der BGH befasste sich im Wesentlichen damit, ob das oben beschriebene Verhalten der beklagten Herstellerin sittenwidrig war.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das sich also durch eine besondere Verwerflichkeit auszeichnet. Um dies zu beurteilen, ist das gesamte Verhalten des Schädigers zwischen der ersten Schädigungshandlung und dem Schadenseintritt in den Blick zu nehmen.
 
a. Sittenwidrigkeit bei Kauf vor Bekanntwerden der Manipulation
Der BGH hatte bereits im Mai entschieden (BGH, Urt. v. 25. Mai 2020 – Az. VI ZR 252/19 = NJW 2020, 1962 Rn. 13-28), dass das Inverkehrbringen der Fahrzeuge mit einer illegalen Abschalteinrichtung zur Manipulation von Abgastests sittenwidrig ist. Der Hersteller habe zum Zweck der Gewinnerzielung seine arglosen Kunden in großem Umfang vorsätzlich, systematisch und langjährig darüber getäuscht, dass die Fahrzeuge die gesetzlichen Vorgaben einhielten. Dabei habe er die Gefahr in Kauf genommen, dass den Kunden der Betrieb der Fahrzeuge untersagt wird.
 
b. Keine Sittenwidrigkeit bei Kauf nach Bekanntwerden der Manipulation
Diese Bewertung beschränkte der BGH nun im Juli jedoch auf Kunden, die ihre Fahrzeuge vor Bekanntwerden der Manipulationen gekauft haben. Bei Kunden, die ihre Wagen erst später erworben haben, sei eine abweichende Beurteilung geboten, weil bei diesen ein größerer Zeitraum in den Blick genommen werden könne.
Durch die Offenlegung des Vorfalls habe die Beklagte zum einen das Vertrauen der Kunden in die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge zerstört, also deren Arglosigkeit beseitigt. Zum anderen habe sie es aufgegeben, die Manipulation zu verschleiern. Stattdessen habe sie sich – wenn auch nur begrenzt freiwillig – um deren Aufklärung bemüht. Zudem habe sie eine Lösung entwickelt, um in Zukunft einen rechtmäßigen Betrieb der Fahrzeuge zu ermöglichen, um also die Folgen der Manipulation zu minimieren.
Wegen dieser Umstände sei das Verhalten der Beklagten insgesamt als nicht mehr sittenwidrig zu bewerten.
 
c. Zusammenfassung
Kunden, die ihr manipuliertes Fahrzeug vor Bekanntwerden der Manipulation erworben haben, wurden hierzu durch arglistige Täuschung, also durch ein sittenwidriges Verhalten der Herstellerin bewegt. Sittenwidrigkeit liegt vor, weil die Aufklärungs- und Verbesserungsbemühungen der Herstellerin für diese Kunden erst nach Schadenseintritt (Vertragsschluss) kamen, also zu spät, um im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung berücksichtigt zu werden. Deshalb können diese Kunden über § 826 BGB die Rückabwicklung ihrer Verträge erwirken.
Kunden, die ihr Fahrzeug demgegenüber erst nach Bekanntwerden der Manipulation erworben haben, haben keine Ansprüche aus § 826 BGB, weil hier auch die Aufklärungs- und Reparaturbemühungen der Herstellerin zu berücksichtigen sind, die den Sittenwidrigkeitsvorwurf insgesamt entfallen lassen.
 
d. Kritik und Alternativlösung
Es ist gut nachvollziehbar, dass der BGH nach dem Erwerbszeitpunkt unterscheidet. Jedoch tut er dies an einer fragwürdigen Stelle. Aus seiner Sicht hängt es vom Zeitpunkt des Kaufs ab, ob ein und dasselbe Verhalten, das Täuschen über die Manipulation, sittenwidrig ist oder nicht. Dies ist widersprüchlich und überspannt die bei § 826 BGB vorzunehmende Gesamtbetrachtung aller Fallumstände.
Treffender wäre eine Lösung über die Kausalität: Kauft jemand in Kenntnis der Manipulationsfälle ein Fahrzeug, kann er keinen Anspruch auf § 826 BGB darauf stützen, dass er das Fahrzeug gekauft hat, weil er auf das Nichtvorliegen einer Manipulation vertraut hat. Es fehlt also nicht an der Sittenwidrigkeit, sondern an der Kausalität zwischen Täuschung und Schaden (zutr. Arnold JuS 2020, 1076; Heese NJW 2019, 257, 262; Petzold NJW 2020, 1326, 1327).
 
4. Zusammenfassung
Wer einen Gebrauchtwagen nach Bekanntwerden der Dieselmanipulation kauft, kann hieraus keine Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2, 826 BGB ableiten.
Bei § 823 Abs. 2 sieht der BGH das Problem bei den Schutzgesetzen: Weder §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schützen das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht. § 263 Abs. 1 StGB scheitere an der Stoffgleichheit. Bei § 826 BGB fehle es an der Sittenwidrigkeit, weil beim Kauf erst nach Bekanntwerden der Manipulation die Aufklärungs- und Reparaturbemühungen zugunsten der Herstellerin zu würdigen seien.

25.01.2021/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-01-25 09:00:382021-01-25 09:00:38BGH: Schadensersatz bei Kauf eines gebrauchten VW-Diesels nach Bekanntwerden der Abgasmanipulation
Carlo Pöschke

Alles auf Anfang: (Doch) kein Verbraucherwiderrufsrecht des Bürgen

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Mit Urteil vom 22.09.2020 (Az.: XI ZR 219/19, BeckRS 2020, 27470) hat der BGH entschieden, dass einem Bürgen kein Widerrufsrecht gemäß §§ 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312 Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB zusteht. Die Frage der Widerruflichkeit von Bürgschaftserklärungen ist seit jeher zwischen Rechtsprechung und Literatur hoch umstritten. Mit seinem aktuellen Urteil haben die Karlsruher Richter nun zum zweiten Mal eine Hundertachtzig-Grad-Wende hingelegt: 1991 hat der BGH die Widerruflichkeit einer Bürgschaftserklärung zunächst abgelehnt, da eine Bürgschaft kein auf eine entgeltliche Leistung gerichteter Vertrag i.S.d. § 1 Abs. 1 des damals geltenden Haustürwiderrufsgesetzes darstelle (BGH NJW 1991, 2905). Diese Rechtsprechung hat der BGH später mit Blick auf die Haustürgeschäfterichtlinie 85/577/EWG, die eine Beschränkung auf entgeltliche Verträge nicht vorsah, und Erwägungsgrund 1 der Präambel, wonach auch einseitige Verpflichtungserklärungen erfasst werden sollten, korrigiert. Im Anschluss an den EuGH (NJW 1998, 1295) forderte der BGH jedoch zunächst das Vorliegen einer sog. „doppelten Haustürsituation“ (NJW 1998, 2356). Die Literatur hat das doppelte Haustürgeschäftserfordernis zu Recht massiv kritisiert: Denn die Schutzbedürftigkeit des Bürgen hängt nicht von der Lage des Hauptschuldners bei dessen Vertragsschluss ab. In der Folge gab der BGH auch das doppelte Haustürgeschäftserfordernis auf (NJW 2006, 845). Mit seiner Entscheidung vom 22.09.2020 hat der BGH nun alles wieder auf Anfang gesetzt: Mangels Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 312 Abs. 1 BGB können Bürgschaftserklärungen nicht nach Verbraucherwiderrufsrecht widerrufen werden.
„How puzzling all these changes are!” schrieb bereits Lewis Caroll in dem 1865 erstmals erschienen weltberühmten Kinderbuch Alice’s Adventures in Wonderland. Dass diese zickzack verlaufende rechtliche Entwicklung für den ein anderen oder anderen „verwirrend“ sein mag, werden auch die Justizprüfungsämter erkennen. Insbesondere weil sowohl Bürgschafts- als auch Verbraucherwiderrufsrecht beliebte Examensthemen sind, ist es nur eine Frage der Zeit, wann diese Entscheidung auch im Examen geprüft wird.
 
A. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Die G-Bank (im Folgenden: G) hat der S-GmbH (im Folgenden: S) ein Darlehen über 100.000 € gewährt. B war geschäftsführender Alleingesellschafter der S und übernahm zugunsten der G eine selbstschuldnerische Bürgschaft, die sämtliche Aspekte aus dem Kreditvertrag sicherte. Die Bürgschaftserklärung unterzeichnete B in Anwesenheit eines Mitarbeiters der G am 22.12.2015 in den Geschäftsräumen der S. Über ein Widerrufsrecht wurde er nicht belehrt. Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Hauptschuldnerin gestellt worden war, kündigte die G wirksam mit Schreiben vom 26.04.2016 den Darlehensvertrag fristlos und stellte die 100.000 € zur Rückzahlung fällig. B wiederum widerrief seine auf den Abschluss des Bürgschaftsvertrags gerichtete Willenserklärung mit Schreiben vom 21.09.2016.
Die G fordert B zur Zahlung von 100.000 € auf. Zu Recht?
 
B. Gutachterliche Falllösung
Der G könnte gegen den B ein Anspruch auf Zahlung von 100.000 € aus einem wirksamen Bürgschaftsvertrag (§ 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 488 Abs. 1 S. 1 BGB) zustehen.
 
I. Anspruch entstanden
Dann müsste ein solcher Anspruch zunächst entstanden sein. Dies setzt aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft (§ 767 Abs. 1 S. 1 BGB) neben dem Abschluss eines wirksamen Bürgschaftsvertrags auch den Bestand der Hauptverbindlichkeit voraus.
 
1. Wirksamer Bürgschaftsvertrag
G und B müssten einen Bürgschaftsvertrag geschlossen haben. Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstimmenden, in Bezug aufeinander abgegebenen Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme. Vorliegend ist in dem Unterzeichnen der Bürgschaftserklärung ein Angebot des B auf Abschluss des Vertrags zu sehen. Dabei wurde auch das Schriftformerfordernis des § 766 S. 1 i.V.m. § 126 Abs. 1 BGB eingehalten, sodass die Willenserklärung des B nicht nach § 125 S. 1 BGB nichtig ist. Schließlich hat die G das Angebot des B jedenfalls konkludent angenommen. Somit wurde zwischen B und G ein wirksamer Bürgschaftsvertrag geschlossen.
 
2. Bestand der Hauptverbindlichkeit
Darüber hinaus müsste die G eine wirksame Hauptverbindlichkeit gegen die S haben. G und S haben einen Darlehensvertrag (§ 488 Abs. 1 BGB) über 100.000 € geschlossen, an dessen Wirksamkeit mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt keine Zweifel bestehen. Diesen Darlehensvertrag hat die G durch fristlose Kündigung gem. § 490 Abs. 1 BGB fällig gestellt. Es besteht eine Hauptverbindlichkeit aus dem Darlehensvertrag.
 
3. Zwischenergebnis
Der Anspruch der G gegen den B auf Zahlung von 100.000 € ist entstanden.
 
II. Anspruch nicht erloschen
Der Anspruch könnte jedoch durch wirksamen Widerruf gem. §§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB mit ex nunc-Wirkung erloschen sein. Dazu müsste dem B ein Widerrufsrecht zustehen, welches er fristgerecht ausgeübt hat.
 
1. Bestehen eines Widerrufsrechts
Zu prüfen ist somit zunächst, ob dem B ein Widerrufsrecht zusteht. Im vorliegenden Fall könnte sich ein gesetzliches Widerrufsrecht aus §§ 312g Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB ergeben. Das Bestehen eines Widerrufsrechts setzt zunächst voraus, dass dessen Anwendungsbereich eröffnet ist.
 
a) Persönlicher Anwendungsbereich, § 312 Abs. 1 BGB
In persönlicher Hinsicht erfasst § 312 Abs. 1 BGB Verbraucherverträge i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB.
Nach der Legaldefinition des § 310 Abs. 3 BGB sind unter Verbraucherverträgen Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher zu verstehen.
Die G handelte bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit und damit als Unternehmerin i.S.d. § 14 BGB.
Fraglich ist indes, ob auch B als Verbraucher zu qualifizieren ist. Nach der Legaldefinition des § 13 BGB ist Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Dies ist vorliegend insoweit zweifelhaft, als dass B geschäftsführender Alleingesellschafter der S ist. Es ist daher davon auszugehen, dass B den Bürgschaftsvertrag nur eingegangen ist, um sicherzustellen, dass die G „seiner“ S-GmbH das Darlehen gewährt. Es könnte daher argumentiert werden, dass der Bürgschaftsvertrag der selbständigen Tätigkeit des B zuzurechnen ist. Dagegen spricht jedoch, dass die Verwaltung eigenen Vermögens, wozu auch das Halten eines GmbH-Anteils gehört, grds. keine gewerbliche Tätigkeit darstellt. Dies gilt selbst dann, wenn die Person geschäftsführender Alleingesellschafter der GmbH ist. Das Motiv der Bürgschaftsübernahme, durch Übernahme der persönlichen Haftung für die Rückzahlung des Darlehens den Fortbestand des Unternehmens und die eigene wirtschaftliche Existenzgrundlage zu sichern, ist dabei unerheblich (BGH NJW 2006, 431; OLG Hamburg WM 2020, 1066; MüKo-BGB/Micklitz, 8. Aufl. 2018, § 13 Rn. 57 m.w.N.). V handelte als Verbraucher, sodass der Bürgschaftsvertrag als Verbrauchervertrag zu qualifizieren ist und der persönliche Anwendungsbereich nach § 312 Abs. 1 BGB eröffnet ist.
 
b) Sachlicher Anwendungsbereich
In sachlicher Hinsicht verlangt § 312 Abs. 1 BGB – anders als noch § 312 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. –, dass der Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Erforderlich ist, dass der Unternehmer aufgrund eines Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat.
 
aa) Enges Verständnis des Wortlauts des § 312 Abs. 1 BGB
Bei einem Bürgschaftsvertrag handelt es sich um einen einseitig den Bürgen verpflichtenden Vertrag. Eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers fällt ihrem eindeutigen Wortlaut nach jedoch nicht unter die Vorschrift des § 312 Abs. 1 BGB. Legt man dieses enge Verständnis des Wortlauts des § 312 Abs. 1 BGB an, bestünde mangels Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs gem. § 312 Abs. 1 BGB kein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB.
 
bb) Weites Verständnis des Wortlauts des § 312 Abs. 1 BGB
Das ganz überwiegende Schrifttum legt das Erfordernis, dass der Unternehmer die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat, hingegen sehr weit aus. Es wird argumentiert, ein Bürgschaftsvertrag verpflichte zwar nur den Bürgen. Dieser leiste die Sicherheit aber gerade im Hinblick auf die Kreditgewährung durch den Sicherungsnehmer, sodass eine ausreichende Verknüpfung zur Leistung des Unternehmers bestehe (Staudinger/Thüsing, Neubearb. 2019, § 312 Rn. 9; BeckOK BGB/Martens, 55. Ed. 2020, § 312 Rn. 12; vgl. auch MüKo-BGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2019, § 312 Rn. 35; Erman/Koch, 16. Aufl. 2020, § 312 Rn. 19).
Diese weite Auslegung hat der BGH allerdings nun abgelehnt: Die entgeltliche Leistung des Unternehmers müsse aus dem Verbrauchervertrag geschuldet werden, für welchen das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB in Anspruch genommen wird. Dazu führt der BGH weiter aus:

Dies ergibt sich aus § 312 Abs. 1 BGB, der einen Verbrauchervertrag nach § 310 Abs.  3 BGB als Rechtsgrund für die Leistung voraussetzt. Dass die Leistung des Unternehmers aufgrund eines separaten, nicht dem § 310 Abs. 3 BGB unterfallenden Vertrags an einen Dritten erbracht wird, reicht danach nicht […].

 
cc) Analogie
Das Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312b Abs. 1, 312 Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB könnte jedoch im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden. Eine analoge Anwendung des § 312 Abs. 1 BGB kommt dann in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage besteht.
Somit gilt es zunächst zu untersuchen, ob der § 312 Abs. 1 BGB eine planwidrige Regelungslücke aufweist. In diesem Zusammenhang stellt der BGH auf den aus den Gesetzgebungsmaterialien hervortretenden Willen des Gesetzgebers ab, wonach die Neuregelung der §§ 312 ff. BGB ausschließlich Verbraucherverträge erfassen sollte, die als Austauschvertrag mit einer Gegenleistungspflicht des Verbrauchers ausgestaltet sind. Verträge, in denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung schuldet, sollten demgegenüber ausdrücklich nicht erfasst werden (BT-Drucks. 17/12637, S. 45; BT-Drucks. 17/13951, S. 72; BR-Drucks. 817/12, S. 73).
Ebenfalls könne man nicht davon ausgehen, dass der Gesetzgeber schlichtweg vergessen habe, die Widerruflichkeit auf den Bürgschaftsvertrags zu erstrecken. Denn:

Die Diskussion über die Widerruflichkeit von Bürgschaften war aufgrund der Entscheidung des EuGH […] [in der Rs. Dietzinger] […], die einen jahrelangen Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur nach sich zog […], allgemein bekannt. Zudem ist der Gesetzgeber während des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich auf die Gefahr einer Wiederholung dieser Diskussion für den Fall hingewiesen worden, dass das Gesetz eine entgeltliche Leistung des Unternehmers als Vertragsgegenstand des Verbrauchervertrages fordere […]. Der Gesetzgeber hat dies bei der Neufassung des § 312 Abs. 1 BGB nicht zum Anlass genommen, das Widerrufsrecht auf den einseitig den Verbraucher verpflichtenden Bürgschaftsvertrag zu erstrecken […].

Somit ist § 312 Abs. 1 BGB mangels planwidriger Regelungslücke nicht analog auf Verbraucherbürgschaftsverträge anzuwenden.
 
dd) Richtlinienkonforme Auslegung / Rechtsfortbildung
§ 312 ff. BGB setzen die RL 2011/83/EU um. Insoweit könnte daher eine richtlinienkonforme Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB bzw. eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs im Wege der Rechtsfortbildung geboten sein. Dafür spricht der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU, wonach die RL für „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden“ gilt. Das Erfordernis, dass der Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat, findet sich in der RL hingegen nicht. Allerdings erfordere – so der BGH – der der RL zugrundeliegende Schutzzweck eine einschränkende Auslegung des Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU:

Mit dem Widerrufsrecht zum Außergeschäftsraumvertrag sollte der Nachteil ausgeglichen werden, dass die Initiative zu den Vertragsverhandlungen in der Regel vom Gewerbetreibenden ausgeht und der Verbraucher auf die Verhandlungen außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden nicht vorbereitet ist oder psychisch unter Druck steht. Dies birgt die Gefahr, dass der Verbraucher Waren kauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die er ansonsten nicht kaufen oder in Anspruch nehmen würde, beziehungsweise Verträge über Waren und Dienstleistungen zu überhöhten Preisen schließt, weil er keine Möglichkeit hat, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu vergleichen […]. Mit dem Widerrufsrecht zum Fernabsatzgeschäft wurde dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt, damit er die gekaufte Ware prüfen und ausprobieren bzw. die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis nehmen kann. Alle Überlegungen stellen danach auf eine Leistung des Unternehmers ab. Hieran knüpfen die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 6 und die Pflichten des Verbrauchers nach Art. 14 der Richtlinie an […].

Somit erfordert die RL 2011/83/EU nach Ansicht des BGH keine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 312g Abs. 1 BGB auf Bürgschaftsverträge.
 
ee) Zwischenergebnis
Mithin handelt es bei dem Bürgschaftsvertrag nicht um einen Verbrauchervertrag, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Der persönliche Anwendungsbereich nach § 312 Abs. 1 BGB ist nicht eröffnet.
 
c) Zwischenergebnis
Mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs des  nach § 312 Abs. 1 BGB steht B kein Widerrufsrecht gem. §§ 312g I, 312b I BGB zu.
 
2. Zwischenergebnis
Der Anspruch ist nicht durch wirksamen Widerruf erloschen.
 
III. Anspruch durchsetzbar
Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs steht auch nicht die Einrede der Vorausklage gem. § 771 BGB entgegen. Einerseits hat sich der B selbstschuldnerisch verbürgt (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB), andererseits wurde über das Vermögen der S bereits das Insolvenzverfahren eröffnet (§ 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB).
 
IV. Ergebnis
G steht gegen B ein Anspruch auf Zahlung von 100.000 € aus einem wirksamen Bürgschaftsvertrag (§ 765 Abs. 1 BGB i.V.m. § 488 Abs. 1 S. 1 BGB) zu.
 
C. Stellungnahme
Die Entscheidung des BGH enthält viel Kluges: Die Karlsruher Richter argumentieren sauber am Wortlaut des § 312 Abs. 1 BGB entlang und schließen nicht – wie Teile der Literatur –  vorschnell von der Schutzbedürftigkeit eines Bürgen auf das Bestehen eines Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312g Abs. 1, 312 Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB. Des Weiteren wird mustergültig dargelegt, weshalb das Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312g Abs. 1, 312 Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB nicht im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften auszuweiten ist.
Der BGH ist davon überzeugt, dass sich die RL 2011/83/EU ihrem Telos nach nicht auf Verbraucherbürgschaftsverträge beziehen kann. Dabei ist sich der BGH seiner Sache ganz sicher: Schließlich hat es der XI. Senat nicht einmal für nötig empfunden, den Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV anzurufen. Aufgrund „des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Richtlinie“ bleibe nämlich kein Raum für Zweifel, sodass es sich um einen sog. acte clair, der eine Vorlagepflicht entfallen lässt, gehandelt habe.
Angesichts der zahlreichen Gegenstimmen in der Literatur und des eindeutigen Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU erscheint die Annahme eines acte clair verwunderlich: Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU verlangt nämlich keine entgeltliche Leistung des Unternehmers, sondern lediglich einen Verbrauchervertrag. Auch der Schutzzweck der Richtlinie erfordert keine teleologische Reduktion seines Wortlauts. Denn Zweck der Richtlinie ist es, wie der BGH richtig dargelegt hat, Verbraucher vor Verhandlungen außerhalb von Geschäftsräumen zu schützen, auf die sie nicht vorbereitet sind und bei denen sie unter Umständen psychisch unter Druck stehen. Wenn Verbraucher davor geschützt werden sollen, Waren zu kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, dann muss erst recht der Bürge geschützt werden, der eine Verbindlichkeit eingeht, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten. Auch das Argument, die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 6 RL 2011/83/EU sowie die Pflichten des Verbrauchers nach Art. 14 RL 2011/83/EU knüpfen an eine Leistung des Unternehmers an, vermag nicht zu überzeugen. Richtig ist zwar, dass sich sowohl die Informationspflichten des Unternehmers als auch die Pflichten des Verbrauchers vorwiegend auf Waren und Dienstleistungen beziehen. Allerdings umfasst die Richtlinie laut Art. 3 Abs. 1 S. 2 ausdrücklich auch die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme. Teile der Informationspflichten des Unternehmers und der Pflichten des Verbrauchers passen aber beispielsweise auch nicht auf die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme: So würde es weder Sinn machen, dem Verbraucher Informationen zu den wesentlichen Eigenschaften (Art. 6 Abs. 1 lit. a) RL 2011/83/EU) von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme zur Verfügung zu stellen, noch können Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme an den Anbieter zurückgesendet werden (Art. 6 Abs. 1 lit. i), Art. 14 Abs. 1 RL 2011/83/EU). Die in Art. 6 und Art. 14 RL 2011/83/EU aufgezählten Pflichten finden also nur Anwendung, soweit sie für den konkreten Vertrag einschlägig sind; sie schließen die Einbeziehung von einseitig den Verbraucher verpflichtenden Verträgen in den Anwendungsbereich des Verbraucherwiderrufsrecht jedoch nicht aus.
All dies zeigt: Es spricht viel dafür, dass die vom deutschen Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung in § 312 Abs. 1 BGB gegen die RL 2011/83/EU verstößt (so auch Maume, NJW 2016, 1041). Dies hätte zur Folge, dass aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts die Beschränkung in § 312 Abs. 1 BGB auf Verbraucherverträge, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben, unangewendet bleiben müsste. Jedenfalls aber hätte der BGH den EuGH um Auslegung des Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2011/83/EU ersuchen müssen.
 
D. Summa
In einem Satz lässt sich diese bemerkenswerte Entscheidung des BGH wie folgt zusammenfassen: Bürgschaftsverträge fallen nicht in den Anwendungsbereich des Verbraucherwiderrufsrechts nach § 312 Abs. 1 BGB – weder unmittelbar, noch analog oder aufgrund richtlinienkonformer Auslegung. Nun muss man diese Entscheidung nicht für richtig halten, vertieft auseinandersetzen sollte sich der Examenskandidat mir ihr dennoch. Bei dieser Gelegenheit ist es ratsam, sich die Grundsätze des Bürgschaftsrechts noch einmal vor Augen zu führen. Denn es ist ein Leichtes, diese Entscheidung mit typischen Problemen aus dem Bürgschaftsrecht – von der Form des Bürgschaftsversprechens, über die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft bis hin zur formularmäßigen Vereinbarung von Globalbürgschaften (Stichwort: Anlassrechtsprechung) – zu einem Examensfall „anzufetten“.
Um die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des Verbraucherwiderrufsrechts ging es auch in BAG NZA 2019, 688. Das BAG hat die Widerrufbarkeit von arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen nach §§ 312g I, 312b I BGB abgelehnt und gleichzeitig das Gebot fairen Verhandelns, das in der Literatur zuvor bereits vereinzelt Anklang gefunden hat, ausdrücklich anerkannt. Eine Besprechung dieser ebenfalls examensrelevanten Entscheidung findet ihr hier.

09.11.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-11-09 08:35:002020-11-09 08:35:00Alles auf Anfang: (Doch) kein Verbraucherwiderrufsrecht des Bürgen
Christian Muders

Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen

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Im Folgenden eine Übersicht über im Dezember veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung des drohenden Verlustes des Rechtsguts (hier: Tod der eine unverdünnt giftigen BtM-Substanz des Garanten konsumierenden Person) entwickelt. Entgegen der in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 385/15
Zwischen den Tatbeständen des § 249 StGB (Raub) und des § 252 StGB (räuberischer Diebstahl) besteht zwar Gesetzeseinheit in der Weise, dass § 249 StGB grundsätzlich § 252 StGB verdrängt. Anders ist es allerdings, wenn die Nötigungshandlung in der Beendigungsphase schwerer wiegt, weil erst nach der Vollendung der Wegnahme ein Qualifikationstatbestand der §§ 250 oder 251 StGB verwirklicht wurde. In diesem Fall verdrängt der zur Sicherung der Beute aus dem vorhergehenden Raub begangene, besonders schwere räuberische Diebstahl den Tatbestand des § 249 StGB (ständige Rspr.).
III. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 199/15
Lehrfall zu Fragen rund ums Notwehrrecht: Derjenige, der bei der Flucht von Räubern aus seinem Haus mit seiner Pistole zielgerichtet auf einen der Fliehenden, der ihm unbemerkt bereits sein Portemonnaie gestohlen hat, schießt und ihn dadurch tötet, ist nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Ein Angriff auf Leib und Leben fand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr statt, bezüglich des gestohlenen Eigentums fehlte es an einem Verteidigungswillen. Selbst wenn man insofern die Regeln zum untauglichen Versuch anwenden wollte, fehlte es am objektiven Tatbestand der Notwehrlage, da der Täter im Hinblick auf den (nur noch in Rede stehenden) Angriff auf sein Eigentum auf einen Schuss in die Beine des Fliehenden zu verweisen gewesen wäre. Auch im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Hausrechts wäre der Schuss jedenfalls nicht mehr geboten gewesen, da die Räuber bereits flohen und damit diese Beeinträchtigung zeitnah beendet gewesen wäre. Die Annahme eines Notwehrexzesses scheitert daran, dass kein Verteidigungswille vorlag bzw. – im Hinblick auf Leib und Leben – eine nur vorgestellte Notwehrlage („Putativnotwehrexzess“) im Rahmen des § 33 StGB nicht ausreichend ist.
IV. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 218/15
Wer sich als Zivilperson in einem ausländischen Staat, auf dessen Gebiet ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen und Widerstandsgruppen bzw. terroristischen Organisationen – aber auch unter diesen – ausgetragen wird, bei einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung (hier: dem Ehemann nach islamischen Recht) aufhält und sich von diesem im Gebrauch von Schusswaffen zu dem Zweck unterweisen lässt, sich und seine Angehörigen im Falle eines Angriffs auch staatlicher Streitkräfte verteidigen zu können, bereitet in der Regel auch dann keine schwere staatsgefährdende Gewalttat im Sinne von § 89a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, wenn er mit der betreffenden terroristischen Vereinigung sympathisiert (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
V. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15
Derjenige, welcher ein Opfer durch heimtückische Schläge mit einer Metallstange auf den Kopf bewusstlos macht und hierbei tödlich verletzt begeht, wenn er später zum Tatort zurückkehrt und, da das Opfer wider erwarten noch nicht verstorben ist, sodann durch Messerstiche in den Hals tötet, einen vollendeten Heimtückemord (§ 211 StGB) und nicht einen lediglich versuchten Mord in Tatmehrheit mit vollendetem Totschlag (so die Vorinstanz). Denn die Schläge mit der Metallstange, die auch ohne die späteren Messerstiche zum Tod des Opfers geführt hätten, sind weiterhin kausal für dessen Tod gewesen. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat. Danach waren die mit Tötungsabsicht geführten Schläge mit der Metallstange unbeschadet des Umstands, dass das Tatopfer unmittelbar an den Folgen der späteren Messerschnitte verstarb, für den Tod des Opfers ursächlich. Denn der Einsatz des Messers gegen das bewusstlose, bereits tödlich verletzte Opfer, um es endgültig zu töten, knüpfte an das vorausgegangene Geschehen an und wäre ohne die durch die Schläge mit der Metallstange geschaffene Lage nicht möglich gewesen. Der Tod des Opfers als Folge der mit der Metallstange geführten Schläge ist dem Angeklagten auch subjektiv als von dem die Ausführung der Schläge tragenden Vorsatz mitumfasst zuzurechnen, da es sich um eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf handelt.
– – –
Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, wobei sich die eine mit der Frage einer Beschwer des Angeklagten trotz freisprechendem Urteil beschäftigt (Fall „Mollath“), während die andere die Reichweite des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach § 338 Nr. 6 StPO, §§ 169 ff. GVG im Zusammenhang mit einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO zum Thema hat:
VI. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15
Die Revision gegen ein (allein) aufgrund nicht erwiesener Schuldfähigkeit freisprechendes Urteil ist grundsätzlich unzulässig, da der Angeklagte hierdurch nicht beschwert wird. Es genügt nicht, dass nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgend einer Weise belastend ist. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in extrem gelagerten Ausnahmefällen zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes führen können, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Für den Angeklagten schlicht unangenehme Aussagen reichen hierzu nicht aus. Auch aus der Medienwirksamkeit des Strafverfahrens kann sich eine Beschwer im genannten Sinne nicht ergeben, denn diese ist nicht Folge des Urteils und der Entscheidungsgründe selbst. Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung in der Rechtsprechung des EGMR ist ebenfalls nicht verletzt. Zwar kann es hierfür nicht nur auf den Tenor der freisprechenden Entscheidung, sondern auch auf die Urteilsbegründung ankommen. Dies gilt aber vor allem dann, wenn das nationale Gericht im Fall eines Freispruchs aus sachlichen Gründen durch die Urteilsgründe zum Ausdruck bringt, es sei von der Schuld des Angeklagten tatsächlich überzeugt. Dies ist im vorliegenden Fall, in dem es um einen Freispruch aus Rechtsgründen ging, nicht gegeben.
VII. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15
Es liegt keine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit vor, wenn auf Antrag des Angeklagten durch Gerichtsbeschluss die Öffentlichkeit für die Dauer seiner Vernehmung gemäß § 171b Abs. 1 GVG wegen der aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommenden Umstände ausgeschlossen wird und in dieser Phase eine Erörterung gemäß § 257b StPO erfolgt, mit der Strafmaßerwartungen thematisiert und Fragen einer Verständigungsmöglichkeit geklärt werden sollen. Beschränkt sich der Ausschluss der Öffentlichkeit auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson, so umfasst er nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören. Dies war vorliegend der Fall. Denn zum Verfahren einer Verständigung nach § 257c StPO hätte auch die Klarstellung gehört, von welchem Sachverhalt, auf den sich ein Geständnis beziehen könnte, das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten ausgehen. Die Einlassung des Angeklagten, für deren Dauer die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, war mithin zwangsläufig Gegenstand einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO.

01.01.2016/1 Kommentar/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2016-01-01 15:00:162016-01-01 15:00:16Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Christian Muders

Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen

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Im Folgenden eine Übersicht über im August veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 18. März 2015 – 2 StR 656/13
Vorlagebeschluss des 2. Strafsenats nach § 132 Abs. 2 GVG an den Großen Senat für Strafsachen bezüglich der Frage, ob die Einführung und Verwertung der vormaligen Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der früheren richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig ist, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern in Form einer „qualifizierten Belehrung“ auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte (s. bereits Anfragebeschluss vom 4. Juni 2014 – 2 StR 656/13; eingehende Auseinandersetzung mit den abweichenden Stellungnahmen anderer Senate [Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 ARs 21/14; Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 ARs 20/14; Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 4 ARs 21/14; Beschluss vom 27. Januar 2015 – 5 ARs 64/14] unter Rn. 24 ff.).
II. BGH, Urteil vom 13. Mai 2015 – 3 StR 498/14
Der Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) entfaltet bei fehlender Verwirklichung keine Sperrwirkung für die Strafbarkeit wegen sonstiger (Vorsatz-)Delikte wie z.B. die Urkundenfälschung. Dies gilt jedenfalls, nachdem die Vorschrift im Jahr 1974 dahingehend geändert wurde, dass anstatt direktem Vorsatz bereits Eventualvorsatz ausreichend ist. Denn der Zweck der vormals angenommenen Sperrwirkung, zu verhindern, dass ein Richter, dem keine direkt vorsätzliche Rechtsverletzung anzulasten ist, wegen einer durch seine Entscheidung bedingt vorsätzlich oder auch nur fahrlässig begangenen Verwirklichung eines anderen Straftatbestandes zur Verantwortung gezogen werden kann, ist durch die Gesetzesänderung obsolet geworden. Zudem fordert es die verfassungsrechtlich gewährleistete richterliche Unabhängigkeit nicht, das Haftungsprivileg auch auf ein Handeln des Richters zu erstrecken, das nicht erst im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung, Anordnung oder Maßnahme der Verhandlungsleitung zur Erfüllung eines Straftatbestands führt, sondern bereits für sich alleine gegen Strafgesetze verstößt (hier: nachträgliche Abänderung einer bereits verlesenen Urteilsformel).
III. BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 – 1 StR 606/14
Der 1. Senat hält an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest, wonach sich die Rechtmäßigkeit des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt bezüglich § 32 Abs. 2 StGB (wie auch § 113 Abs. 3 StGB) weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht richtet. Vielmehr hängt die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind, „er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein ihm ggf. eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausübt. Lediglich bei einem schuldhafter Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung und bei missbräuchlichen oder willkürlichen Amtshandlungen ist sein Handeln rechtswidrig (hier im konkreten Fall – versuchte Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers, der noch eine zeitlich über den Abschiebezeitpunkt hinausreichende Bescheinigung über die Aussetzung seiner Abschiebung hatte und sich mit einem Messer gegen die Vollstreckungsbeamten wehrte – verneint; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 171/15
Eine gefährliche Körperverletzung in Gestalt einer mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB liegt dann nicht vor, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden. Denn in diesem Fall stehen dem jeweiligen Opfer die Beteiligten gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber. Damit fehlt es an dem Grund für die Strafschärfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der in der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Tat liegt, weil einem Geschädigten mehrere Angreifer körperlich gegenüber stehen und er deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist.
V. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 193/15
Das Tatbestandsmerkmal „bei der Tat“ bei der schweren räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) in Verbindung mit §§ 253, 255 StGB bezieht sich auf die finale Verknüpfung der Gewalt in Form einer schweren körperlichen Misshandlung und der Vermögensverfügung des Opfers, durch die die Erpressungsdelikte geprägt sind. Es ist daher nur dann erfüllt, wenn die schwere körperliche Misshandlung zur Erzwingung der Vermögensverfügung oder zumindest zur Sicherung der Beute verübt wird. Ein schlichter räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen einer räuberischen Erpressung und einer schweren Misshandlung genügt hierfür hingegen nicht, was sowohl dann gilt, wenn die Misshandlung der Erpressung nachfolgt, als auch dann, wenn sie ihr – wie hier im Fall einer mit körperlichen Misshandlungen verübten Vergewaltigung – unmittelbar vorangeht.
– – –
Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, die sich mit der Besetzung der großen Strafkammer eines Landgerichts bei Beschlüssen über die Eröffnung der Hauptverhandlung bzw. die Entscheidung über die konkrete Besetzung bei der Hauptverhandlung gemäß § 76 GVG sowie der Frage der zulässigen Unterbrechungszeit einer Hauptverhandlung nach § 229 StPO auseinandersetzen:
VI. BGH,Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 45/14
Beschließt die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen, dass das Hauptverfahren hinsichtlich einer weiteren Anklage eröffnet wird, die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist und das Verfahren hinzuverbunden wird, sind der Eröffnungsbeschluss und die Besetzungsentscheidung unwirksam. Ersteres führt zu einem Verfahrenshindernis für den neuen Verfahrensgegenstand. Im Übrigen kann die Besetzung der Strafkammer mit einer Verfahrensrüge beanstandet werden (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; Fortführung von BGHSt 50, 267).
VII. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 202/15
Eine Hauptverhandlung ist entgegen der Regelung des § 229 Abs. 1 StPO auch dann länger als drei Wochen unterbrochen, wenn während dieses Zeitraums ein Termin für eine Zeugenvernehmung vorgesehen war, diese jedoch wegen Vorlage eines ärztlichen Attests des Zeugen nicht durchgeführt werden konnte und im Termin lediglich auf diesen Umstand hingewiesen und die Hauptverhandlung sodann erneut unterbrochen wird. Zwar kann auch in der Befassung lediglich mit Verfahrensfragen eine Förderung des Verfahrens in der Sache und damit eine Fortsetzung der Hauptverhandlung liegen, wenn deren Ziel die Klärung ist, durch welche Untersuchungshandlungen der Aufklärung des Sachverhalts Fortgang gegeben werden kann. Nicht ausreichend hierfür ist jedoch allein die in der Sache selbst nicht weiterführende Prüfung und Erörterung, ob eine – weitere – Unterbrechung der Hauptverhandlung notwendig ist und wann diese gegebenenfalls fortgesetzt werden kann. Insofern ist auch keine Ausnahme wegen eines unvorhersehbaren Ereignisses zu gewähren. Denn welche Auswirkungen es auf den Lauf der höchstzulässigen Unterbrechungsfrist hat, wenn ein Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit nicht zur Hauptverhandlung erscheinen kann, ist allein Gegenstand der besonderen und abschließenden Regelung in § 229 Abs. 3 StPO. Eine Hemmung der Unterbrechungsfrist wegen Erkrankung eines Zeugen ist dort nicht vorgesehen. Dies kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Bekanntgabe einer Erkrankung als Sachverhandlung im Sinne einer Fortsetzung der Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO gewertet wird, durch die die Unterbrechungsfrist gewahrt wird.

06.09.2015/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2015-09-06 13:00:422015-09-06 13:00:42Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Gastautor

Jur:Next Urteil: Über den Wolken

Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Wir freuen uns, heute wieder einen Beitrag aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next veröffentlichen zu können. Nachfolgend wird ein Beschluss des Bundesgerichtshofs besprochen, der sich in einer neuartigen und spannenden Fallkonstellationen mit dem strafrechtlichen Rücktritt beschäftigt.
 
Besprechung von BGH, Beschluss vom 09.09.2014 – 4 StR 367/14
Der Angeklagte schlug dem Piloten des Flugzeuges unvermittelt mit einem Stein mehrmals auf die linke Kopfhälfte. Als er merkte, dass die Schläge nicht zur Besinnungslosigkeit des Opfers führten, umklammerte er mit beiden Händen dessen Kopf und fuhr mit seinen Daumen in dessen Augenhöhlen hinein, um die Augen einzudrücken.[1]
Was sich liest wie der Beginn eines Action-Thrillers, stellt einen Ausschnitt des Sachverhaltes dar, mit dem sich der 4. Strafsenat des BGH auseinander setzen musste. Dabei befasste sich dieser mit einem elementaren Aspekt des allgemeinen Teils des Strafrechts; dem Rücktritt.
I. Sachverhalt
Der Angeklagte fasste den Entschluss, sich während einer Flugstunde durch einen herbeigeführten Flugzeugabsturz zu töten und dabei den Anschein eines Flugunfalls zu erwecken. Am Tattag befand sich der Angeklagte mit seinem Ausbilder im Schulungsflugzeug auf einer Flughöhe von 1.500 Metern. Er führte, ohne Wissen des Piloten, einen etwa 1.100 Gramm schweren Stein und ein 21 cm langes Küchenmesser mit sich. Mit diesen Hilfsmitteln wollte er den Ausbilder zumindest handlungsunfähig machen, um sich durch den Absturz der Maschine selbst zu töten. Der damit einhergehende Tod des Piloten war ihm gleichgültig. Es ging dem Angeklagten lediglich darum seinen Selbstmord als aufsehenerregenden Flugunfall zu inszenieren.
Trotz der oben genannten Angriffe, schaffte es der Fluglehrer den Angeklagten von sich weg zu drücken, wobei er aber die Steuerung loslassen musste. Das Flugzeug ging daraufhin in den Sturzflug, welcher durch den Angeklagten noch beschleunigt wurde, da dieser das Steuerhorn nach vorn drückte. Dieses wurde daraufhin vom Fluglehrer übernommen und schaffte es durch sein Eingreifen einen Absturz zu verhindern. Der Angeklagte saß während dieses Vorgangs schweigend neben ihm.
 II. Problemaufriss
Dieser recht drastische Fall eröffnet die Gelegenheit sich nochmals mit dem Umgang des Versuchs und des Rücktritts zu beschäftigen. Wird ersterer als gegeben festgestellt, muss letzterer zwingend angedacht werden. Sodann ist dieser schematisch sauber darzustellen. Hierbei sollte sich an den Punkten des Fehlschlages, der Beendigung oder Nichtbeendigung des Versuches und der Freiwilligkeit des Rücktritts orientiert werden.
Vorliegend hatte das Landgericht Frankfurt (Oder) erstinstanzlich den Angelkaten des versuchten Mordes (Heimtücke/niederer Beweggrund) für schuldig befunden, da es der Ansicht war der Versuch sei fehlgeschlagen und ein Rücktritt somit nicht möglich.[2]
Dabei ist von einem Fehlschlag des Versuchs auszugehen, wenn nach der Vorstellung des Täters das konkrete Handlungsprojekt nicht mehr zu Vollendung gebracht werden kann, sei es hinsichtlich des Handlungserfolges oder des Handlungsmittels.[3] Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzen bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zensur und einer Unterbrechung des andauernden Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag des Versuches vor, von dem ein Rücktritt denknotwendigerweise nicht mehr möglich ist.[4]
Beachtenswert ist dabei, dass im Rahmen einer mehraktigen Handlung der Fehlschlag nicht zwingend mit dem misslingen eines oder mehrerer Ansätze eintritt. Denn auch hier entscheidet die subjektive Sicht des Täters. Hält dieser nach dem letzten Akt den gewollten Taterfolg zuerst für möglich (Taterfolg wird eintreten), erkennt sodann aber, dass er sich geirrt hat (Taterfolg wird doch nicht eintreten), so wird diese Sicht die entscheidende für die Umstände des Rücktritts. Dies stellt die sogenannte Korrektur des Rücktrittshorizontes dar. [5] Hält der Täter die Ausführung der Tat immer noch, sei es auch mit anderen Mitteln, für möglich, kann der freiwillige Verzicht der weiteren Tatausführung zum straffreien Rücktritt führen, wenn die weiteren Bedingungen gemäß § 24 StGB vorliegen.
Dies hatte das Landgericht nicht ausreichend berücksichtig, da es keine Feststellungen traf, ob der Angeklagte es noch für möglich hielt den Taterfolg herbei zu führen, nachdem der Ausbilder den Flugzeugabsturz verhinderte.[6]
III. Bedeutung für die Ausbildung
Versuch und Rücktritt stellen grundlegendes Rüstzeug für die strafrechtliche Klausur dar. Zeigen sich hier größere Mängel, wird es für den jeweiligen Bearbeiter schwer in einen positiven Notenbereich vorzustoßen. Hierzu ist es unerlässlich den Prüfungsaufbau und die dazugehörigen Definitionen sicher zu beherrschen. Auch sollten die wesentlichen Problemfelder, wie z. B. die oben aufgeführte ,,Korrektur des Rücktrittshorizontes‘‘, bekannt sein.
Zudem sollte stets darauf geachtet werden, dass dieser Prüfungsabschnitt aus der Sicht des handelnden Täters zu bearbeiten ist. Das Gegenteil ist leider immer wieder in den Klausuren der Studenten zu finden und führt zu unnötigen Punktverlusten.
[1] 4 StR 367/14, Rn. 3.
[2] 4 StR 367/14, Rn. 4.
[3] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB § 24 Rn.20.
[4] NStZ 2007, 399.
[5] NStZ-RR 2003, 40.
[6] 4 StR 367/14, Rn. 8.

10.03.2015/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-03-10 09:00:362015-03-10 09:00:36Jur:Next Urteil: Über den Wolken
Christian Muders

Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht

Im Folgenden eine Übersicht über im Oktober veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht):
I. BGH, Urteil vom 20. August 2014 – 2 StR 605/13
Ob im Rahmen der Frage eines Heimtückemordes (§ 211 StGB) die Arglosigkeit des Opfers auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Kontrahenten ausdrücklich oder zumindest konkludent einen Faustkampf ohne Waffen verabredet haben, aber der Täter abredewidrig und überraschend mit Tötungsvorsatz eine Waffe einsetzt, kann offen gelassen werden, wenn dem Täter aufgrund einer Persönlichkeitsstörung sowie drogen- und alkoholbedingter Enthemmung jedenfalls nicht bewusst gewesen ist, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.
II. BGH, Beschluss vom 21. August 2014 – 3 StR 203/14
Fährt die Täterin den Mitangeklagten nach vorheriger Ankündigung, dieser werde ihren Vater töten, mit ihrem Auto zum Tatort und unternimmt sie dann nichts, um den Mitangeklagten von seinem Tatplan abzuhalten, liegt ein Töten durch Unterlassen vor, bei dem die Garantenstellung aufgrund eines vorangehenden, gefahrerhöhenden Vorverhaltens besteht.
III. BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13
1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen nach einer ohne richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung – unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten – die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte (Fall „Oury Jalloh“; Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, jedoch nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge [§ 239 Abs. 4 StGB]; Leitsätze des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Urteil vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13
§ 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG begründet kraft Gesetzes eine Garantenstellung des Rechtsanwalts, der vor Abschluss einer Erfolgshonorarvereinbarung seinen Mandanten über die voraussichtliche gesetzliche Vergütung – als verlässlicher und transparenter Vergleichsmaßstab – aufzuklären hat. Unterlässt er dies, macht er sich gemäß §§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB wegen Betruges durch Unterlassen strafbar, wenn der Mandant daraufhin irrig annimmt, es gäbe zu der aufgezeigten Möglichkeit der Abrechnung keine Alternative (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
– – –
Zum Schluss noch eine prozessuale Entscheidung zur Reichweite der Mitteilungspflicht im Hinblick auf Verständigungsgespräche nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO:
V. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 4 StR 126/14
An der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO über Verständigungserörterungen im Sinne des §§ 202a, 212 StPO im Zwischenverfahren ändert sich auch durch die zwischen dem Vorgespräch und der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgte vollständige Neubesetzung der Strafkammer nichts. Schon aus dem Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergeben sich keine Hinweise darauf, dass Verständigungsgespräche, die mit dem Gericht in anderer Besetzung geführt worden sind, nicht von der Mitteilungspflicht erfasst wären. Ein Wechsel der Gerichtsbesetzung im Zeitraum zwischen Eingang der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist gesetzlich zulässig und insbesondere bei länger andauernden Zwischenverfahren keine Seltenheit. Schon im Hinblick auf die Regelung des § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG (reduzierte Besetzung der Strafkammern) und im Hinblick auf die fehlende Beteiligung der Schöffen bei Vorgängen außerhalb der Hauptverhandlung (§76 Abs. 1 Satz 2 GVG) besteht zwischen der Besetzung der Kammer im Zwischenverfahren einerseits und im Hauptverfahren andererseits regelmäßig keine Identität.

01.11.2014/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2014-11-01 12:00:542014-11-01 12:00:54Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Unangemessene Benachteiligung durch vertragliches Aufrechnungsverbot

AGB-Recht, Schuldrecht, Werkvertragsrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

In einer aktuellen Entscheidung des BGH (VII ZR 209/09 – Urteil vom 07.04.2011) geht es um eine Vertragsbedingung in einem Architektenvertrag (Werkvertrag), in der die Aufrechnung des Bestellers mit eigenen Forderungen gegen den Honoraranspruch des Architekten spezifisch geregelt wird. Der BGH äußert sich vorliegend dazu, in welchem Fall eine solche Klausel unwirksam ist.
Sachverhalt
Bauherr B hat mit Architekt A einen Vertrag über die Errichtung eines Gebäudes geschlossen. In den dem Vertrag beigefügten „Allgemeinen Vertragsbestimmungen“ findet sich folgende Klausel:

§ 4
Eine Aufrechnung gegen den Honoraranspruch ist nur mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung zulässig.

In der Folgezeit zahlt B die vereinbarten Raten nicht. A kündigt wirksam und verlangt das vereinbarte Honorar. B ist damit nicht einverstanden. Aufgrund mangelhafter Bauplanung und -überwachung durch A hätten sich – was zutrifft – Risse im Kellerbereich des Hauses und Feuchtigkeit gebildet. A rechne daher mit seiner Schadensersatzforderung wegen der mangelhaften Leistung gegen den Honoraranspruch des A auf.
A beruft sich auf die § 4 der allgemeinen Vertragsbestimmungen. B könne demnach nicht aufrechnen. Rechtslage? (Es ist davon auszugehen, dass eine Nacherfüllung durch A nicht in Betracht kommt und das Schadensersatzverlangen des B begründet ist)
Keine „Verrechnung“ der gegenseitigen Ansprüche
Von der gesetzlichen Aufrechnung zu unterscheiden ist die „Verrechnung“. Bei der Verrechnung oder auch „Abrechnung“ werden gegenseitige offene Forderungen innerhalb ausgeglichen. Die Modalitäten der Verrechnung bestimmen sich nach dem jeweiligen Verkehrsbereich oder anhand gesetzlicher Regelungen. Eine Verrechnung der gegenseitigen Ansprüche ist im konkreten Fall aber unzulässig.

[…] eine Verrechnung mit der Werklohnforderung des Klägers findet nicht statt. Die Verrechnung ist kein gesetzlich vorgesehenes Rechtsinstitut in den Fällen, in denen sich nach der Gesetzeslage Werklohn und Anspruch wegen Nichterfüllung oder andere Ansprüche wegen Schlechterfüllung des Vertrages aufrechenbar gegenüber stehen. In diesen Fällen sind die vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen zur Aufrechnung anwendbar (BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 – VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274, 278). Diese vom Bundesgerichtshof bereits für einen Werkvertrag unter Vereinbarung der VOB/B entschiedenen Grundsätze finden ebenso auf einen Architektenvertrag Anwendung, der als Werkvertrag zu qualifizieren ist.

„Unangemessene Benachteiligung“ des Bestellers nach § 307 I BGB
Die Generalklausel des § 9 Abs.1 AGBG ist heute in § 307 I BGB aufgegangen. Eine unangemessene Benachteiligung ist folglich dann gegeben, wenn eine AGB-Klausel das Gleichgewicht zwischen den Vertragsparteien erheblich beeinträchtigt und der Verwender einen unzulässigen Vorteil aus der Schlechterstellung des Vertagspartners gewinnt.

Diese Bestimmung ist entgegen einer vielfach in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vertretenen Auffassung (OLG Hamm, BauR 2004, 1643, 1645 m.w.N.)gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam. Denn sie benachteiligt den Vertragspartner des verwendenden Architekten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Eine solche Benachteiligung liegt vor, wenn der Besteller durch das Verbot der Aufrechnung in einem Abrechnungsverhältnis eines Werkvertrages gezwungen würde, eine mangelhafte oder unfertige Leistung in vollem Umfang zu vergüten, obwohl ihm Gegenansprüche in Höhe der Mängelbeseitigungs- oder Fertigstellungskosten zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 – 7 – – VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274, 279; OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2008, 665; H.-D. Hensen in Ulmer/Brander/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 309 Nr. 3 BGB Rn. 7 m.w.N.; Kessen, BauR 2005, 1691, 1693 ff.). Denn hierdurch würde in das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung in für den Besteller unzumutbarer Weise eingegriffen. Die synallagmatische Verknüpfung der Werklohnforderung mit der Forderung auf mangelfreie Erfüllung des Vertrages findet zunächst ihren Ausdruck in einem Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers im Falle einer mangelhaften oder nicht fertig gestellten Leistung, § 320 Abs. 1 BGB. Der Besteller kann sich im Prozess mit dem Leistungsverweigerungsrecht verteidigen mit der Folge, dass die Werklohnforderung ganz oder teilweise nicht durchsetzbar ist. Dies kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ausgeschlossen werden (§ 11 Nr. 2a AGBG, § 309 Nr. 2a BGB). Es wäre ein nicht hinnehmbares Ergebnis, wenn eine aus dem Leistungsverweigerungsrecht erwachsene auf Zahlung gerichtete Gegenforderung dazu führen würde, dass der Werklohn nunmehr durchsetzbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2005 – VII ZR 304/04, BGHZ 165, 134, 137). […]

So steht es auch hier: Durch die § 4 der „Allgemeinen Vertragsbestimmungen“ wird B dazu gezwungen, in jedem Fall dem Honoraranspruch des A nachzukommen. Einen Schadensersatzanspruch wegen des Mangels könnte er erst später geltend machen. Dies käme aber im Ergebnis einem Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts aus § 320 Abs.1 BGB gleich, dem § 309 Nr. 2a BGB ausdrücklich entgegensteht. Durch das Aufrechnungsverbot (bzw. der Beschränkung der Aufrechnung auf festgestellte oder unbestrittene Gegenforderungen) B hätte dem Honoraranspruch des A  nichts entgegenzuhalten, obwohl letzterer objektiv pflichtwidrig gehandelt hat. Honoraranspruch und Schadensersatzforderung dürfen daher nicht völlig voneinander isoliert werden, wie durch die Klausel angestrebt. Die zugrunde liegende, synallagmatische Beziehung gilt (auch) dem Schutz der Vertragsparteien.
Verbot der geltungserhaltenden Reduktion
Der BGH stellt klar, dass die Bestimmung auch nicht im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion zumindest zum Teil wirksam bleibt.

Es kann dahinstehen, ob der Ausschluss der Möglichkeit der Aufrechnung mit Ansprüchen, die nicht auf die Fertigstellungsmehrkosten oder die Mängelbeseitigungskosten des Architektenwerkes gerichtet sind, zulässig wäre. Denn jedenfalls umfasst die Klausel alle Gegenansprüche unterschiedslos. Sie kann nicht hinsichtlich des Ausschlusses der Aufrechnung von unbedenklichen Gegenforderungen aufrechterhalten werden (vgl. Kessen, BauR 2005, 1691, 1695 f.). Dies ist wegen des für Allgemeine Geschäftsbedingungen allgemein zu beachtenden Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – VIII ZR 86/10, NJW 2011, 597 Rn. 16) unmöglich. Somit fehlt es in jedem Fall an einem wirksam vereinbarten Ausschluss der Aufrechnung auch insoweit, als es um solche Schadensersatz-ansprüche geht, wie sie hier von den Beklagten geltend gemacht werden.

Fazit
B kann mit seiner Schadensersatzforderung gegen die Honorarforderung des A aufrechnen, die § 4 der allgemeinen Vertragsbestimmungen ist unwirksam. Der Vertrag bleibt im übrigen wirksam, § 306 Abs.1 BGB. Je nach Klausursachverhalt lassen sich noch weitere Probleme aus dem Bereich der AGB-Prüfung mit dem vorliegenden Problem verbinden. Bei der Inhaltskontrolle anhand der Generalklausel sollte man erkennen, dass es „nicht sein kann“, dass ein Unternehmer ausnahmslos (durch AGB) den vollen Vergütungsanspruch geltend machen kann, selbst wenn vertragliche Mängelansprüche des Bestellers entgegenstehen. Stichwort: Vertragsparität. Der Besteller wäre der Werklohnforderung schutzlos ausgeliefert.

05.05.2011/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-05-05 09:13:322011-05-05 09:13:32BGH: Unangemessene Benachteiligung durch vertragliches Aufrechnungsverbot
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Betrug mittels Gewinnspiel im Internet – „Hausverlosung“

Strafrecht, Strafrecht BT

In einer aktuellen Entscheidung des BGH (1 StR 529/10 – Beschluss vom 15.03.2011) geht es um die Frage, ob sich jemand wegen Betrugs gemäß § 263 Abs.1 StGB strafbar macht, wenn er die Verlosung eines Hauses im Internet veranstaltet, obwohl die erforderliche Erlaubnis der zuständigen Behörde fehlt.
Sachverhalt
T ist Eigentümer eines Hauses. Im Oktober 2008 veranstaltet er im Internet ein „Gewinnspiel“, bei dem die Teilnehmer zunächst ein Quiz absolvieren müssen, bevor sie an der Verlosung des Hauses des T teilnehmen können. Die zuständige Glücksspielbehörde teilt dem T daraufhin mit, dass die Verlosung unter § 3 GlüStV falle und daher erlaubnispflichtig sei.
T will das Gewinnspiel dennoch weiterhin durchführen. Hierfür sollen die Teilnahmebedingungen so abgewandelt werden, dass die Erlaubnispflicht entfällt. Eine anwaltliche Beratung ergibt, dass dies grundsätzlich möglich und „vertretbar, die Rechtslage jedoch „unklar“ sei. T solle sich jedenfalls mit den Behörden abstimmen, um ein rechtswidriges Verhalten zu vermeiden. In der Folge weist die Behörde den T mehrfach darauf hin, dass eine Erlaubnispflicht fortbestehe. Einem Antrag des T auf Bestätigung der Erlaubnisfreiheit wird nicht entsprochen.
Gleichwohl und in Kenntnis dieser Umstände nimmt T den Spielbetrieb auf. Auf seiner Internetseite und auch in den Teilnahmebedingungen wird wiederholt darauf hingewiesen, dass die Verlosung „auf jeden Fall zulässig“ sei und „den gesetzlichen Bestimmungen“ entspreche. Die Anmeldung erfolgt vollautomatisiert durch ein Computerprogramm. In der Folgezeit nehmen 18.294 Personen an der Verlosung teil. Insgesamt erhält T 404.833 Euro an Teilnahmegebühren. Der höchste überwiesene Einzelbetrag liegt bei 190 Euro. Einige Teilnehmer überweisen bis zu 874 Euro in mehreren Zahlungen, um ihre Gewinnchancen zu steigern. T verbraucht das Geld, lediglich ca. 4000 Euro werden insgesamt später an die Teilnehmer zurückgezahlt.
Die Glücksspielbehörde erlässt einen Bescheid, in dem auf die Rechtswidrigkeit der Verlosung nach § 4 Abs.4 GlüStV hingewiesen und die Untersagung des Spielbetriebs angedroht wird. T beendet daraufhin die Verlosung. Strafbarkeit von T? § 287 StGB ist nicht zu prüfen.
Objektiver Tatbestand von § 263 Abs.1 StGB erfüllt
Der BGH erkennt, dass T durch sein Handeln einen Irrtum bei den Teilnehmern des „Gewinnspiels“ hervorgerufen hat. Durch das Vorspiegeln, die Verlosung sei zulässig, wurden die Teilnehmer dazu veranlasst, einen zur Teilnahme einen bestimmten Geldbetrag zu überweisen. Dem stand aber kein vermögenswertes Äquivalent gegenüber, das zu einer Kompensation der Vermögenseinbuße geführt hätte.

Durch die wahrheitswidrigen Ausführungen auf seiner Internetseite rief der Angeklagte bei den Spielteilnehmern die Fehlvorstellung hervor, dass er die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit des von ihm angebotenen Gewinnspiels abschließend geklärt habe und dass seinem Vorhaben von Seiten der zuständigen Behörden keine rechtlichen Bedenken entgegenstünden. Eine solche Klärung der Rechtslage war vor Aufnahme des Spielbetriebes aber gerade nicht erfolgt. Aufgrund des vorangegangenen Schriftverkehrs mit den Behörden, die den Angeklagten mehrfach auf ihre rechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit des Gewinnspiels hingewiesen hatten, und der von ihm eingeholten Auskünfte von Rechtsanwälten, die die Rechtslage ebenfalls als „unklar“ bezeichnet und ein weiteres Vorgehen nur im Einvernehmen mit den Behörden angemahnt hatten, musste er vielmehr damit rechnen, dass ihm die weitere Durchführung seines Vorhabens einschließlich der Verlosung der von ihm als Hauptgewinn ausgelobten Immobilie umgehend untersagt werden wird, wie dies dann auch tatsächlich geschehen ist.
Im Vertrauen auf die Zusicherung des Angeklagten erbrachten die Teilnehmer ihre Spieleinsätze und erlitten insoweit auch einen Vermögensschaden. Die Gegenleistung des Angeklagten blieb infolge der drohenden Untersagung des Gewinnspiels hinter der vertraglich geschuldeten Leistung zurück, denn der Angeklagte war grundsätzlich weder willens noch in der Lage, den überwiegenden Teil der vereinnahmten Gelder, den er schon für eigene Zwecke verbraucht hatte, im Fall einer vorzeitigen zwangsweisen Einstellung des Spielbetriebes durch die Behörden an die Spielteilnehmer zurückzuzahlen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1983 – 3 StR 300/83; BGH, Urteil vom 3. November 1955 – 3 StR 172/55, BGHSt 8, 289, 291). Dass er einen geringen Teil der Einsätze an einige der Spielteilnehmer – die ihm zum Teil mit einer Strafanzeige gedroht hatten – zurück erstattet hat, steht dabei der Annahme eines Betrugsschadens nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009- 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 204). Das Landgericht hat die Teilrückzahlung zu Recht als bloße Schadenswiedergutmachung gewertet und bei der Strafzumessung berücksichtigt.

T handelt bedingt vorsätzlich
T hat es nach Ansicht des Gerichts billigend in Kauf genommen, dass es zum Eintritt des Vermögensschaden bei den Betroffenen kommen würde. T konnte im konkreten Fall nicht ernsthaft darauf vertrauen, dass die Glücksspielbehörde die Verlosung noch genehmigen bzw. deren Erlaubnisfreiheit bestätigen würde.

Der Angeklagte, der dies alles erkannt und gewollt hat, handelte vorsätzlich. Da es ihm zudem darauf ankam, seinen eigenen Gewinn durch die Einsätze der getäuschten Spielteilnehmer zu steigern, ist bei ihm auch die Absicht gegeben, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der Umstand, dass er bei der Tatbegehung möglicherweise darauf hoffte, dass die zuständigen Behörden letztlich keine Einwände erheben und ihm die Durchführung des Gewinnspiels einschließlich der Verlosung gestatten würden, lässt die Annahme eines (bedingten) Betrugsvorsatzes nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2002 – 2 StR 332/02, NStZ 2003, 264 mwN).

Keine Herbeiführung eines „Vermögensverlusts großen Ausmaßes“, § 263 Abs.3 Nr.2 1.Alt StGB
Der BGH bezieht Stellung dazu, ob ein Regelbeispiel gemäß § 263 Abs.3 Nr.2 1.Alt StGB erfüllt ist, da T über 400.000 Euro eingenommen und eine Vielzahl von Personen geschädigt hat.

Allerdings ist die Annahme des Landgerichts rechtsfehlerhaft, der Angeklagte habe im Hinblick auf den von ihm verursachten Gesamtschaden das Regelbeispiel der Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) verwirklicht. Das Landgericht verkennt hierbei, dass sich das Regelbeispiel nicht auf den erlangten Vorteil des Täters, sondern allein auf die Vermögenseinbuße beim Opfer bezieht (NK-Kindhäuser, StGB, 3. Aufl., § 263 Rn. 394). Das Ausmaß der Vermögenseinbuße ist daher auch bei Betrugsserien, die nach den Kriterien der rechtlichen oder natürlichen Handlungseinheit eine Tat bilden, opferbezogen zu bestimmen. Eine Addition der Einzelschäden kommt insoweit nur in Betracht, wenn die tateinheitlich zusammentreffenden Betrugstaten dasselbe Opfer betreffen (vgl. hierzu LK-Tiedemann, StGB, 11. Aufl., § 263 Rn. 298; MüKo-Hefendehl, StGB, § 263 Rn. 777; NK-Kindhäuser aaO). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Auch die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB liegen hier nicht vor, da sich die Vorstellung des Täters auf die fortgesetzte Begehung mehrerer rechtlich selbständiger Betrugstaten richten muss (MüKo-Hefendehl aaO Rn. 779; NK-Kindhäuser aaO Rn. 395).

Dies ändert vorliegend jedoch nichts am verhängten Strafrahmen durch die Vorinstanz, da T jedenfalls „gewerbsmäßig“ im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB gehandelt hat.
Nur „eine Tat“ in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fälle

Nicht zu beanstanden ist weiterhin die vom Landgericht vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung, wonach sich der Angeklagte nur wegen einer Tat des Betruges in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen strafbar gemacht hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren wesentliche Teile der Tatausführung „vollautomatisiert“, d.h. die Anmeldung der Spielteilnehmer, die Aufforderung zur Zahlung nach der Anmeldung, die Überwachung des Zahlungseingangs und die Übermittlung der Quizfragen erfolgten automatisch über das Internet durch den Einsatz eines Computerprogramms, ohne dass es eines weiteren Zutuns des Angeklagten bedurfte. Da seine Tathandlung im Wesentlichen in der Einrichtung und Überwachung der Internetseite bestand, über die das Gewinnspiel abgewickelt wurde, ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die an sich selbständigen zahlreichen Abschlüsse der Spielverträge mit den Teilnehmern hier als Tateinheit verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2003 – 2 StR 74/03 mwN).

Fazit
T hat sich nach § 263 Abs.1 StGB strafbar gemacht. Zu denken wäre ferner an eine Strafbarkeit nach § 287 StGB („Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung“), welches aber im vorliegenden Fall mangels entsprechender Feststellungen nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden war (vgl. 1 StR 529/10 Rz.6).
Der Fall lässt sich auch ohne genaue Kenntnis der zugrunde liegenden Entscheidung gut lösen. Die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen von § 263 Abs.1 StGB sollten bekannt sein. Wichtig ist zu erkennen, dass der Vermögensschaden darin liegt, dass trotz der unmittelbar drohenden behördlichen Untersagung eine Rückzahlung durch T nicht möglich und auch nicht beabsichtigt gewesen war, da T das Geld schon frühzeitig verbraucht hatte. Weiterhin ist das Merkmal der „Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes“ zu diskutieren und nach den oben genannten Kriterien abzulehnen, wobei auf das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit zur Bejahung eines besonders schweren Falls des Betrugs in der Prüfung zurückgegriffen werden kann.

27.04.2011/2 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-04-27 15:35:342011-04-27 15:35:34BGH: Betrug mittels Gewinnspiel im Internet – „Hausverlosung“

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