BGH: Anspruch einer Wohnungsgemeinschaft auf Zustimmung zum Mieterwechsel?
In einer aktuellen Entscheidung äußert sich der BGH zu dem in der Praxis häufig auftauchenden aber höchstrichterlich bislang nicht geklärten Problem in einer Wohnungsgemeinschaft: Einige Zeit nachdem der Mietvertrag für die gemeinsame Wohnung unterzeichnet wurde, möchte einer der Mitbewohner ausziehen – die „WG“ soll jedoch Fortbestehen mit einem neuen Mitbewohner. Doch was ist, wenn diesem Austausch der Vermieter nicht zustimmen möchte? Im konkreten Fall verneinte der BGH einen Zustimmungsanspruch, gab jedoch gleichzeitig Hinweise, wann ein solcher – etwa in einer Studenten-WG – zu bejahen sein könnte. Aufgrund der Examensrelevanz des Mietrechts sowie der Vertragsauslegung ein nicht nur für WG-Bewohner, sondern auch für Studenten und Referendare äußerst interessantes Urteil.
I. Sachverhalt (vereinfacht) und bisheriger Verfahrensgang:
Im Jahr 2013 mieteten 6 Mieter eine gemeinsame 7-Zimmer Wohnung. Bereits vor Vertragsschluss wurde einvernehmlich einer der zunächst vorgesehenen Mieter durch eine andere Person ausgetauscht mittels handschriftlicher Anpassung des Vertrags. Im Februar 2017 kam es zu einem weiteren Austausch von Mietern. In einem Nachtrag vereinbarten die Parteien, dass fünf der bisherigen Mieter aus dem Mietverhältnis ausscheiden und dieses mit dem verbliebenden sowie 6 neuen Mietern – nun also insgesamt 7 Personen – fortgesetzt wird. In einem zweiten Nachtrag wurde im Mai 2017 vereinbart, dass einer der im Februar 2017 eingetretenen Mieter wieder ausscheidet und das Mietverhältnis stattdessen mit einer neu eintretenden Person fortgesetzt wird. Im weiteren Verlauf vermieteten 4 Mieter ihr jeweiliges WG-Zimmer an eine andere Person unter.
Im Oktober 2019 begehrten die Mieter den Austausch dieser 4 Mieter gegen ihre jeweiligen Untermieter. Dies lehnte die Vermieterin jedoch ab. Die Mieter sahen sich daher gezwungen, einen Anspruch auf Zustimmung zum Austausch der Mieter gegen die Vermieterin gerichtlich zu verfolgen. In der ersten Instanz gab ihnen das AG Berlin-Charlottenburg (Urt. v. 17.8.2020 – 237 C 134/20) noch Recht. Das Berufungsgericht LG Berlin (Urt. v. 18.8.2021 – 64 S 261/20) wies die Klage jedoch ab.
II. Entscheidung des BGH – Urt. V. 27.4.2022 – VIII ZR 304/21
Die Revision der Kläger gegen das ablehnende Berufungsurteil hatte keinen Erfolg. Der BGH lehnte einen Anspruch auf Zustimmung zum Mieterwechsel ab. Bei der Prüfung geht der 8. Senat schulmäßig vor und legt insbesondere den abgeschlossenen Mietvertrag aus. Hierzu der Reihe nach:
1) Der Mietvertrag wurde mit den einzelnen Mietern als Einzelpersonen und nicht etwa als rechtsfähige Personengesellschaft in Form einer Außen-GbR geschlossen. Dies ergibt sich aus dem Mietvertragsrubrum, in dem als Mieter die einzelnen Personen numerisch und namentlich sowie mit ihrer jeweiligen Anschrift und ihrem Geburtsdatum genannt sind sowie der Vereinbarung einer gesamtschuldnerischen Haftung. Dementsprechend bedarf es für einen Mieterwechsel eine vertragliche Vereinbarung zwischen den bisherigen und den neuen Vertragspartnern in Form einer (teilweisen) Vertragsübernahme.
2) Zunächst ist zu untersuchen, ob der konkrete Mietvertrag eine ausdrückliche Regelung zur Frage eines nachträglichen Mieterwechsels enthält. Dies war hier jedoch nicht der Fall.
3) Daher bedarf es einer interessengerechten Auslegung der auf den Abschluss des Mietvertrags und der Nachträge gerichteten Erklärungen der Parteien. Diese Auslegung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Parteien, dem Grundsatz von Treu und Glauben und der Verkehrssitte (§§ 133, 157 BGB). Entgegen dem Meinungsstand in der bisherigen Instanzrechtsprechung und Literatur verbietet sich hinsichtlich der Frage eines Anspruchs auf Zustimmung zum Mieterwechsel eine pauschale Lösung, wie der BGH nun klarstellt. Hinsichtlich der Interessenlage ist insbesondere folgendes zu beachten:
Bei einer WG dürfte regelmäßig ein großes Interesse der Mieter an einem Recht auf Zustimmung zum Mieterwechsel bestehen. Denn die ursprünglichen Mieter können hierdurch das Mietverhältnis flexibel, ohne größeren Aufwand und ohne die bei einer Untervermietung bestehende weitere Haftung jederzeit beenden und dadurch ihre wirtschaftliche Dispositionsfreiheit vollständig erhalten. Zugleich ersparen sie sich den Aufwand einer Kündigung sowie mögliche Streitigkeiten mit den (ehemaligen) Mitmietern oder mit Untermietern.
Die neuen Mieter erhalten die Vorteile einer gesicherten Stellung als (Haupt-)Mieter und profitiert bei einem Mietvertrag mit mehreren Mietern von den bereits geltenden verlängerten Kündigungsfristen, einer eventuell durch ein bereits länger andauerndes Mietverhältnis vergleichsweise günstigen Miete sowie den Grenzen für eine Mieterhöhung in einem laufenden Mietverhältnis (vgl. §§ 558 ff. BGB).
Zwar kann auch ein Interesse des Vermieters hieran bestehen, da sich so die Mieter selbst um einen Ersatz kümmern. Ein solches Interesse besteht indes nicht ohne Weiteres und kann der vorzunehmenden Vertragsauslegung ohne konkrete Anhaltspunkte auch nicht zugrunde gelegt werden, da dies mit erheblichen Nachteilen für den Vermieter verbunden wäre. Im Vergleich zu den von ihm ursprünglich ausgewählten Mietern kann sich die Solvenz deutlich verringern und eine anderweitige Nutzung oder Neuvermietung wird deutlich erschwert, was auch die Möglichkeit von Mieterhöhungen einschränkt.
Zu berücksichtigen ist auch, dass dem Interesse der Mieter in gewissen Umfang auch durch die Möglichkeit der Untervermietung oder von vorne herein durch eine vertragliche Gestaltung Rechnung getragen werden kann, etwa durch den Vertragsschluss als GbR auf Mieterseite, wodurch ein Mieterwechsel durch einen Gesellschafterwechsel erfolgt.
4) Aufgrund dieser entgegenstehenden Vermieterinteressen bedarf es konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Vermieter den Mietern ein derartiges Recht zugestehen wollte.
Allein die Tatsache, dass der Mietvertrag mit mehreren Personen abgeschlossen wird, die eine WG bilden, genügt nicht. Denn das stets bestehende Risiko, dass sich unvorhersehbar der Lebensmittelpunkt ändert oder ein Zusammenwohnen nicht (mehr) dem Wunsch der Mieter entspricht, ist grundsätzlich der Risikosphäre der Mieter zuzuordnen, die sich durch die gemeinsame Anmietung einer Wohnung in die Gefahr einer solchen Konstellation begeben haben. Es besteht laut BGH auch kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass WGs häufige Ab- und Zugänge zu verzeichnen haben.
In Betracht kommt eine derartige Auslegung indes nach den Umständen des Einzelfalls dann, wenn sowohl die Mieter als auch der Vermieter bei Vertragsabschluss ersichtlich davon ausgingen, dass sich häufig und in kurzen Zeitabständen ein Bedarf für eine Änderung der Zusammensetzung der in der Wohnung lebenden Personen ergeben kann, weil die Mieter voraussichtlich aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände bereits bei Vertragsabschluss absehbar nur für einen kurzen Zeitraum an dem jeweiligen Ort leben werden und eine vertragliche Bindung über diesen Zeitraum hinaus nicht eingehen wollen. Als potentielles Beispiel nennt der BGH – ohne weitere Begründung –eine Studenten-WG. Hierfür dürfte sprechen, dass Studenten oftmals nur für die Dauer ihres aktuellen, zeitlichen begrenzten Studienabschnitts eine Wohnung in der Universitätsstadt benötigen und sich in vielen Fällen danach ihr Lebensmittelpunkt aufgrund eines Studienortwechsels oder Berufseinstiegs verlagert.
Eine weitere Voraussetzung ist, dass dem Vermieter diese Umstände vor Vertragsabschluss bekannt sind und er sich bewusst und ohne Vorbehalt in Kenntnis der voraussichtlich zu erwartenden Fluktuation zu einem Mietvertrag mit mehreren derartigen Mietern entscheidet. In dieser Konstellation wird es regelmäßig dem durch eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung ermittelten Willen der Vertragsparteien entsprechen, dass den Mietern ein Anspruch auf Zustimmung zu einem Mieterwechsel zustehen soll. Dieser steht in aller Regel in Anlehnung an die Kriterien des § 553 I BGB unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit für den Vermieter.
Da es sich in dem vom BGH entschieden Fall nicht um Studenten handelte, und auch sonst kein für den Vermieter erkennbares besonderes Interesse an häufigen Mieterwechseln ersichtlich war, führte die Auslegung hier nicht zu einem Zustimmungsanspruch der Kläger.
5) Auch die Nachträge zum Mietvertrag können nicht dahingehend ausgelegt werden, dass hierdurch den Mietern ein Recht auf Zustimmung zu weiteren Mieterwechseln eingeräumt werden sollte. Denn daraus, dass der Vermieter mehrfach einem Mieterwechsel zugestimmt hat, kann in der Regel nicht abgeleitet werden, dass es ihm auf die Person des Mieters nicht ankommt und er deshalb auch mit künftigen Mieterwechseln einverstanden sein wird.
6) Ein Anspruch auf Zustimmung zu dem erneuten Mieterwechsel ergibt sich auch nicht aus § 242 BGB oder aus § 241 II BGB. Zwar ist in der Rspr anerkannt, dass hierauf gestützt ein Mieter im Einzelfall, wenn er dem Vermieter einen geeigneten und zumutbaren Ersatzmieter stellt und ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses hat, verlangen kann, vorzeitig aus dem Mietverhältnis entlassen zu werden. Ein Anspruch auf Abschluss eines Mietvertrags mit dem von ihm vorgeschlagenen Nachmieter resultiert hieraus aber aufgrund der Vertragsfreiheit des Vermieters nicht.
III. Fazit
Befindet sich im Mietvertrag keine ausdrückliche Regelung zur Frage der Zustimmung zu einem Mieterwechsel, ist eine ausführliche Auslegung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls von Nöten und entscheidend für die Punkteausbeute in einer Klausur.
Allein aus dem Umstand, dass es sich um eine WG handelt, kann regelmäßig nicht auf den Willen auch des Vermieters zur Gewährung eines Rechts der Mieter auf Zustimmung geschlossen werden.
Eine solche Auslegung läge jedoch nahe, wenn es sich um eine Studenten-WG handelt. Gerade da die Prüfer gerne Fälle aus aktueller Rechtsprechung leicht abwandeln, sollten Studenten und Referendare diese Konstellation im Blick behalten. Auch dann darf jedoch nicht pauschal aufgrund einer Studenten-WG der Anspruch ohne weitere Prüfung bejaht werden. Es sind stets die Umstände und Interessen der Parteien im Einzelfall zu würdigen.
Untervermietung sollte hier wohl grundsätzlich einer Zustimmung des Vermieters bedürfen.
Wenn Ersetzung der Mieter durch Untervermieter erwünscht ist, sollte der Vermieter dagegen genügend gewichtige Gründe vorbringen müssen, soweit er dies ablehnen können soll, obwohl er Untervermietung zugestimmt haben muss?