Zivilrecht ZII – Januar 2013 – 1. Staatsexamen NRW
Vielen Dank für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls zu der im Januar 2013 gelaufenen zweiten Klausur im Zivilrecht in NRW. Ergänzungen oder Korrekturanmerkungen sowie Lösungsansätze sind wie immer gern gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Sachverhalt
J ist Student und schließt mit V einen unbefristeten Mietvertrag über eine Eigentumswohnung des V zum 01.04.2012 ab. Der vereinbarte Mietzins beträgt 1.000 € pro Monat.
Auf Verlangen des V erklärt der Vater (M) des J, er, der M, bürge für alle aus dem Mietverhältnis folgenden Verbindlichkeiten des J. Der adelige M hatte die Erklärung, wie dies in Adelskreisen so üblich ist, lediglich mit seinem Vornamen handschriftlich unterschrieben. Der Briefkopf enthielt den vollständigen Namen des M sowie seine Adresse.
Ab August zahlt der J keine Miete mehr. Aus Verärgerung über die ausbleibenden Mietzahlungen zersticht der V eines Nachts die Reifen des Porsche des J. J lässt die Reifen des Porsche für 1.500 € erneuern.
Auch bei einem Möbelhaus ist der J mit Zahlungen im Rückstand. Dieses hatte ihm die Wohnungseinrichtung verkauft. Sämtliche Lieferungen fanden wie üblich unter Eigentumsvorbehalt statt. Bei der auf Verlangen des Möbelhauses durchgeführten Zwangsvollstreckung konnte einzig ein Fernseher (Wert 10.000 €) gepfändet werden. Der zweite in der Wohnung befindliche Fernseher war wertlos.
Den Porsche hatte der J bereits zur Tilgung anderer Verpflichtungen verkauft. Weitere pfändbare Wertgegenstände und sonstiges Vermögen gab es nicht. Im Dezember kündigt der V dem J schriftlich außerordentlich und fristlos. Er beruft sich dabei auf die Zahlungsrückstände.
J möchte die Wohnung nur gegen Erstattung der Reparaturkosten räumen. Des Weiteren möchte er den M in Anspruch nehmen. J, der sich als Jurastudent ein wenig auskennt, meint sich daran erinnern zu können, dass eine Inanspruchnahme höchstens in Höhe von drei Monatsmieten möglich sei.
Frage 1: Kann V von J die Herausgabe der Wohnung verlangen?
Frage 2: Kann V von M Zahlung in Höhe von 5.000 € verlangen?
lösungsvorschläge?
Frage 1:
A.Anspruch gegen J aus 546 I
I. Beendigung eines Mietverhältnisses
1. Mietvertrag
2. Wirksame Kündigung
– 543 II Nr 3 a), 569
– Hätte erst aus sozialen Gesichtspunkten der Bürge in Anspruch genommen werden müssen bevor Mietverhältnis gekündigt wird und der J wohlmöglich auf der Straße landet?
(Keine Ahnung, mein Gefühl sagt nein. Aber es könnte interessant sein darüber nachzudenken.)
II. Einreden aus 273
1. Anspruch des J vs V gem. 823 iHv 1500€ (+)
2. Konnexität mit dem Anspruch gegen J aus 546 (+)
3. Seinerseits einredebehaftet und daher nicht fällig?
– V vs J Anspruch auf Mietzahlung iHv 5000€
– Jedoch: Wertung des 393
– Also: nicht Einredebehaftet.
III. Rechtsfolge
Herausgabe der Wohnung gegen 1500€.
B. 985
C. 812
D. 823, 249 (-)
Hinsichtlich der sozialen Gesichtspunkte denke ich auch eher, dass das nicht zu thematisieren ist, schließlich haftet der Bürger ja gerade nicht als Gesamtschuldner, sondern subsidiär!
Bei § 273 BGB fehlt es wohl schon an der Konnexität, da der Anspruch aus § 823 nicht aus dem gleiches SV (Miete) herrührt. Man könnte insoweit allenfalls an einen Anspruch aus §§ 280 I, III, 282, 241 II BGB denken, der aber iE ausscheidet.
Im Übrigen kann ein Zurückbehaltungsrecht gegen das Herausgabeverlangen des Vermieters gem. § 570 BGB nicht geltend gemacht werden.
Den § 823 I, II BGB iVm § 303 StGB ist daher m.A.n. im Rahmen der analogen Anwendung des § 770 I BGB (hier Aufrechnungslage J-V ), und mit der Wertung des § 393 BGB bei § 770 II BGB zu thematisieren.
Ach ja der 570…
Aber für die Konnexität braucht es gerade kein schuldverhältnis, sondern einen einheitlichen Lebenssachverhalt.
Also prüfst Du die Aufrechnung dann im Rahmen von Frage 2?
Kannst du mal nen Aufbau machen?
Ich hätte es jetzt so geprüft:
I. Anspruch entstanden (Bürgschaft) (+)
II. Anspruch erloschen (-)
III. Anspruch durchsetzbar
1. § 770 I BGB
Dem Wortlaut nach nur Anfechtbarkeit, aber hM § 770 I BGB auf sämtliche Gestaltungsrechte. Hier kommt Aufrechnungslage im Verhältnis J V in Betracht.
a) Aufrechungslage, § 387 (+)
aa) Gegenseitige Forderungen
(1) Ansperuch des V aus Miete (+)
(2) Anspruch des J aus § 823 I (+), § 823 II BGB iVm § 303 II StGB (+)
bb) […] Rest auch (+)
b) § 393 BGB?
–> (-) da nicht gegen, sondern mit einer Forderung aus unerlaubter Handlung aufgerechnet wird.
c) ZwiE: § 770 I (+)
2. § 770 II BGB
Aufrechnung des Gläubigers V ? –> wegen § 393 BGB (-)
3. § 771 BGB (+)
a) VSS (+)
b) Ausschluss, § 773 BGB
Hier § 773 I Nr. 4 BGB, da bereits vollstreckt wurde und kein pfändbares Vermögen vorhanden.
Aber: § 773 II BGB. Wenn V ein Pfandrecht hat, ist die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen.
aa) Vermieterpfandrecht, § 562 BGB
am Fernseher (+)
Problem: Wurde vom Versandhaus gepfändet.
Gem. § 804 ZPO wurde Pfändungspfandrecht erworben, das Vermieterpfandrecht des V geht aber nach dem Prioritätsprinzip, § 803 IV ZPO vor.
Beim Vermieterpfandrecht wäre wohl auch noch kurz der Porsche zu thematisieren, der aber nicht in die Mietsache eingebracht wurde.
Oh, kleiner Fehler oben:
Aber: § 773 II BGB. Wenn V ein Pfandrecht hat, ist die Einrede der Vorausklage NICHT ausgeschlossen.
Warum hast du denn § 770 I analog auf das Gestaltungsrecht „Aufrechnung“ angewandt, wo doch genau dieser Fall in Absatz 2 geregelt ist. Im Ergebnis unterwanderst du doch hier die Wertung von § 393, die über § 770 II Einzug findet.
Zu § 773 I Nr.4:Zunächst gilt für die Einrichtung, dass kein Vermieterpfandrecht erworben wurde, weil das erfordern würde, dass es sich um Sachen des J handelt, also Alleineigentum. Man könnte lediglich kurz einen gutgläubigen Erwerb gesetzlicher PR andenken, was die ganz h.M. aber bei § 572 ablehnt, da es sich um ein besitzloses Pfandrecht handelt!
Versteh ich den SV richtig, dass der Fernseher nicht vom Möbelhaus kam und J gehörte? Dann würde in der Tat das VermieterPR vorgehen.
Damit wird § 393 BGB nicht unterwandert:
§ 770 II BGB betrifft den Fall, dass der Gläubiger die Aufrechnung erklären kann. Dies ist hier wegen § 393 BGB nicht der Fall.
§ 770 I BGB wird nach ganz h.M. analog auf sämtliche Gestaltungsrechte angewendet. Hier steht dem die Wertung des § 393 BGB nicht im Wege, denn J kann MIT der Forderung aus der unerlaubten Handlung aufrechnen. Es besteht daher insoweit kein Wertungswidrspruch, im Verhältnis J -V besteht schließlich unzweifelhaft eine Aufrechnungslage. Ein sachlicher Grund, warum der Bürge diese nicht einwenden könnte besteht indes nicht.
Bezüglich deines zweiten Teil war es tatsächlich so, dass der Fernseher laut Sachverhalt im Alleineigentum des J stand.
wo prüft man den §551 und ist der einschlägig?
§ 551 BGB ist auf jeden Fall einschlägig. Würde das im Rahmen der Bürgschaft ansprechen. Da keine AGB vorliegen (hier keine geltungserhaltende Reduktion) wird die Auslegung ergeben, dass die Parteien zumindest 3 Monatsmieten vereinbaren wollten, sodass die Bürgschaft auf diese beschränkt ist.
§551 BGB ist im Verhältnis Bürge- Vermieter uninteressant laut neuerer BGH Rechtsprechung. Weiß gar nicht, wie man in der Literatur je darauf kommen konnte, dies analog anzuwenden…der Wortlaut ist eindeutig nur auf den Mieter beschränkt.