Versäumnisurteil wegen Teilnahme an Videoverhandlung ohne Bild
Das Versäumnisurteil gegen den Beklagten gem. §§ 331 ff. ZPO ist eine gute Möglichkeit eine Examensklausur im Zivilrecht prozessual einzukleiden, ohne den Fall mit Problemen des Prozessrechts zu überladen. Denn im Gutachten ist für die materielle Prüfung das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden anzunehmen. Dennoch können auch beim Versäumnisurteil kleine Hürden zu nehmen sein. Dies veranschaulicht die Entscheidung des LG Bielefeld vom 25.9.2023 (3 O 219/20), in der es zwar um ein Versäumnisurteil gegen den Kläger ging, durch das die Klage schlicht abgewiesen wird (§ 330 ZPO) – die Konstellation lässt sich jedoch ebenso auf das Versäumnisurteil gegen den Beklagten gem. § 331 ZPO übertragen.
Die Entscheidung
Die Parteien des Rechtsstreits waren für den 25.9.2023 zur öffentlichen Sitzung geladen, die als Videoverhandlung (§ 128a ZPO) stattfinden sollte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte dabei das Gericht und den Prozessbevollmächtigten der Beklagten videotechnisch sehen. Allerdings war dies andersherum nicht der Fall – der Prozessbevollmächtigte des Klägers war lediglich per Audio zugeschaltet und konnte nicht visuell wahrgenommen werden.
Das LG Bielefeld hat aus diesem Grund Säumnis des Klägers angenommen:
„Säumnis tritt nach den §§ 330 ff. ZPO ein, wenn die Partei im Gerichtssaal nicht erscheint, zwar physisch erscheint, aber nicht verhandelt (§ 333 ZPO) oder die Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a ZPO) nicht zustande kommt (vgl. Windau, NJW 2020, 2753 (2757); Prütting, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 330 Rn. 10). Bei einer Verhandlung nach § 128a ZPO ist Säumnis bereits dann anzunehmen, wenn eine Partei zwar eine Tonverbindung herstellen, aber von Anfang an kein Bild in den Sitzungssaal übertragen kann (vgl. Gomille/ Frenzel, NJOZ 2022, 1185 (1187) m.V.a. Reuß, JZ 2020, 1135 (1136)).“ (LG Bielefeld, Vers-Urt. v. 25.9.2023 – 3 O 219/20, Rn. 4)
Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten wird dem Kläger gem. §§ 78, 85 Abs. 1 S. 1 ZPO zugerechnet.
Auch eine Vertagung von Amts wegen aufgrund fehlenden Verschuldens (§ 337 S. 1 aE ZPO) hat das LG Bielefeld abgelehnt, denn der Prozessbevollmächtigte habe fahrlässig i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB gehandelt. Der Sorgfältigkeitsmaßstab richtet sich nach dem Verhalten einer ordentlichen Prozesspartei bzw. eines ordentlichen Prozessbevollmächtigten. Nach Auffassung des Gerichts hätte ein solcher Prozessvertreter die notwendige Videoausstattung sichergestellt:
„Entscheidet sich eine Partei dafür, nicht physisch zu erscheinen und von § 128a ZPO Gebrauch zu machen, so wird es zu der erforderlichen Sorgfalt jedenfalls gehören, dass der jeweilige Beteiligte alle notwendigen Vorbereitungen trifft, um eine Bild- und Tonübertragung im Termin sicherzustellen. Demnach müssen die zumutbaren und möglichen technischen Vorkehrungen getroffen werden (vgl. Windau, NJW 2020, 2753 (2757); Gomille/ Frenzel, NJOZ 2022, 1185 (1188)). In technischer Hinsicht dürfen allerdings keine überzogenen Anforderungen für die Parteien gelten. Dies würde dem Zweck des § 128a ZPO, Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung infolge des Gesichtspunkts der Verfahrensbeschleunigung zu fördern, gerade zuwiderlaufen (vgl. Windau, NJW 2020, 2753 (2757), Fritsche, in: MüKo zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 128a Rn. 1).“ (LG Bielefeld, Vers-Urt. v. 25.9.2023 – 3 O 219/20, Rn. 10).
Fazit
Aus dieser Entscheidung sind für die Examensklausur also zwei Dinge zu beachten:
- Säumnis i.S.v. §§ 330 ff. ZPO tritt bei einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO bereits dann ein, wenn zwar eine Tonverbindung jedoch von Anfang an keine Bildübertragung besteht.
- Es gehört zu den Sorgfaltspflichten des Prozessvertreters für die notwendige technische Ausstattung zu sorgen und sicherzustellen, dass die Übertragung funktioniert. Anderenfalls handelt er (zumindest) fahrlässig, sodass eine Vertagung von Amts wegen gem. § 337 S. 1 aE ZPO nicht stattfindet.
Da das Gericht darauf abstellt, dass die Videoübertragung auf Seiten des Prozessbevollmächtigten des Klägers von Anfang an nicht stattgefunden hat, lässt dies Raum dafür, die Frage des Verschuldens anders zu beurteilen, wenn Bild- und Ton zunächst problemlos übertragen werden konnten und erst später Hindernisse auftreten. Es gilt wie immer die im Sachverhalt geschilderten Umstände des Einzelfalls angemessen zu würdigen und zu berücksichtigen.
Wie schon oben geschildert, wird es in einer Examensklausur um die Konstellation eines Versäumnisurteils gegen den Beklagten und nicht gegen den Kläger gehen, aber auch dieser bzw. dessen Prozessbevollmächtigter kann in derselben Weise (schuldhaft) säumig werden. Das Prüfungsschema zum Versäumnisurteil gegen den Beklagten als Karteikarte zum Lernen findet ihr hier.
Muss Säumnis ebenfalls in Betracht kommen können, wenn bei einer Videoverhandlung auf der Seite einer Partei nur eine Tonübertragung und keine Bildaufzeichnung vorliegt und wenn auf der Gegenseite bei Vertreter und Partei wenigstens nahezu Blindheit der Augen im Sinne von fehlendem Sehvermögen vorliegt?