Zivilrecht ZI – Mai 2016 – 1. Staatsexamen NRW
Vielen Dank für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der ersten gelaufenen Klausur des 1. Staatsexamens im Zivilrecht im Mai 2016 in NRW. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Unsere Adresse lautet examensreport@juraexamen.info. Weitere nützliche Hinweise findet ihr auch hier.
Sachverhalt
Fall 1:
Der verwitwete Wilhelm Winter (W) hat folgendes Testament geschrieben und unterschrieben:
28.09.2015
Mein letzter Wille:
Ich Tod -> alles -> Paul und Sven
Wilhelm Winter
Bei dem P handelt es sich um einen Kollegen des W; der S ist der Sohn des P. Aus einer kurzen Affäre stammt die einzig noch lebende Verwandte des W, seine Tochter T. Als sie nach dem Tod des W von dem Testament erfährt, ist sie der Ansicht, dass dieses nicht wirksam sei. So könne man ein Testament nicht verfassen.
Frage 1: Ist die T Erbin des W geworden?
Abwandlung:
W hat kein Testament verfasst. Seine Tochter T hat keinen Kontakt zu ihm. Sie erfährt von der Erbschaft folgendermaßen:
Der beruflich als Erbensucher tätige E erfährt aus der Zeitung von dem Tod des W und stellt Nachforschungen an. Er wird tatsächlich fündig und ermittelt die T als Erbin. Als Honorar setzt er 10 Stunden à 150,00 € die Stunde, also 1.500,00 € an. Dies entspricht dem üblichen Stundenlohn eines Erbensuchers. Am 01.04.2016 schickt er der T folgendes Schreiben:
„(…) konnte ich Sie als Erbin eines beträchtlichen Vermögens ermitteln! Das Nachlassgericht sucht bereits nach Ihnen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen die vollständigen Informationen erst aushändigen kann, wenn Sie die anliegende Honorarvereinbarung unterschrieben an mich zurückschicken. (…)“
Die T antwortet darauf mit Schreiben vom 04.04.2016:
„(…) Mit dem Tod anderer Menschen verdient man kein Geld! Ich lehne Ihr Angebot ab! (…)“
Anschließend gelingt es der T, den Erblasser W zu ermitteln und tritt ihr Erbe an. E meint, die T könne nicht einerseits die Zahlung verweigern, andererseits aber die Rechercheergebnisse für sich nutzen.
Frage 2: Kann E von T Zahlung von 1.500,00 € verlangen?
Fall 2:
Der Briefmarkensammler M verstirbt. Zunächst wird ein Testament vom [Ende 1999] gefunden, in dem er seine Tochter H als Alleinerbin einsetzt. Diese lässt sich daraufhin vom Nachlassgericht einen Erbschein ausstellen, der sie als Alleinerbin ausweist. Sodann geht sie zum Antiquitätenhändler A und tauscht dort eine wertvolle Briefmarke aus dem Erbe gegen eine seltene Lederhandtasche ein. Dem A sagt sie, sie hätte die Briefmarke geerbt. Den Erbschein hat die schusselige H zu Hause vergessen, was sie dem A verschweigt. Später taucht ein Testament vom [Januar 2015] auf, in dem seine andere Tochter G als Alleinerbin bestimmt ist. G, die selber leidenschaftliche Briefmarkensammlerin ist, möchte die Briefmarke von A zurück. Aber auch die Lederhandtasche reizt sie.
Frage 3: Kann G von A Herausgabe der Briefmarke verlangen?
Frage 4: Kann G von H Herausgabe der Lederhandtasche verlangen?
Ansprüche aus §§ 1007, 861 und 812 BGB sind nicht zu prüfen.
Bearbeitervermerk:
Von der Testierfähigkeit von W und M ist auszugehen. Auf §§ 2018, 2019, 2365, 2366 BGB wird hingewiesen. Die aufgeworfenen Fragen sind unter allen rechtlichen Gesichtspunkten – notfalls hilfsgutachterlich – zu prüfen.
Testament Pfeildiagram: OLG Frankfurt :In einem Urteil vom 11.02.2013 (20 W 542/11) hat sich das OLG Frankfurt mit der Frage beschäftigt, welche Anforderungen an ein eigenhändiges Testament nach § 2247 BGB zu stellen sind
Der BGH lehnt einen Anspruch des Erbensuchers ab.
Vergütungsansprüche seien weder aus GoA noch
aus §§ 812 ff. BGB gerechtfertigt. Es fehle dem Erbensucher bereits der Fremdgeschäftsführungswille. Er will seine Kenntnisse vielmehr „verkaufen“. Derart auf den
Abschluß eines Vertrages zielende Tätigkeiten seien aber, falls der
Vertrag nicht zustande kommt, entweder kein Geschäft für den
potentiellen Vertragspartner oder nicht in dessen Interesse. Eigene
Aufwendungen im Vorfeld eines Vertragsschlusses blieben, sofern es nicht
zum Abschluß komme, nach den Regeln des Privatrechtes unvergütet. (BGH III ZR 322/98)
Erwägenswert kann bleiben, dass der die Information (über die Erbschaft) Annehmende damit eine GoA gegenüber dem Erbensucher vornehmen kann. Daraus kann ein möglicher Schadensersatzanspruch des Erbensuchers bedenkenswert erscheinen. Die Information kann jedenfalls durch eine „Annahme“ ohne Ausgleich für den Erbensucher ihren wirtschaftlichen Wert verlieren. Allerdings kann ein Mitverschulden des Erbensuchers quasi gegen sich selbst einen entsprechend denkbaren Anspruch mindern. Dies etwa um mehr als die Hälfte, wie etwa um 3/4 auf ein eine Höhe von 1/4 eine sgrundsätzlich möglichen Anspruches o.ä
Frage 1:
A. T ist Erbin geworden, soweit sie kraft gesetzlicher Erbfolge Erbin wurde und keine gewillkürte Erbfolge Vorrang genießt.
1. Kraft Gesetz, §§1922 Abs. I, 1923 Abs. I, 1924 Abs. I BGB
– T Tochter +
– T erbt im Rahmen der Universalsukzession
2. Vorrang einer gewillkürten Erbeinsetzung, §§2064, 2247 BGB
– Testament des W als gewillkürte Form
– P: eigenhändig? Sinn und Zweck: Zurechnung, Identifikation, Beweissicherung => Pfeildiagramme erfüllen dies in keinerlei Hinsicht
– i.E: –
3. Ergebnis
T ist Alleinerbin gemäß §1922 Abs. I BGB
Frage 2:
A. Anspruch entstanden
1. Vertragliche Ansprüche scheiden mangels kongruenter Willenserklärungen aus. Insbesondere keine Annahme konkludent durch Nutzung der Informationen, kein Fall von §151 S. 1 BGB.
2. Vertragsähnliche Ansprüche
– cic –
– GoA:
a. §§677, 683 S. 1, 670 BGB
– Geschäftsführung: Jedes tatsächliche Handeln genügt, P: Betätigung des E ist als zutiefst verwerflich anzusehen, kann ein solches überhaupt als Geschäftsbesorgung subsumiert werden? +/-
– für einen Anderen: auch fremdes Geschäft +
– Fremdgeschäftsführungswille: wird beim auch fremden Geschäft vermutet, dennoch den Einzelfall betrachten. Es gehört in die Sphäre der T, sich um ihr Erbe zu kümmern, aber vordergründig reine Profitinteresse und kein ,,Samariter“ +/-
– ohne Beauftragung: +
– Interesse und Wille: beides muss vorliegen, offenkundig fehlt der Wille der T, dass sie sich verbindlich von jemanden in Erbschaftsfragen beraten lässt, ob sie Erbe geworden ist: i.E: -, insb. auch kein §679 BGB
b. §§687 Abs. II S. 2, 684 S. 1 i.V.m §§812 BGB (wenn FGW verneint wurde)
P: Hat T das Geschäft nachträglich an sich gezogen und §681 S. 2 BGB geltend gemacht, indem sie durch die Recherche sich die Informationen zu Nutzen machte, 667: E wäre verpflichtet, Informationen herauszugeben +/- je nach Argumentation
– wenn weiter: §818 Abs. II BGB, Wert der Informationen? Evt 1.500 Euro? ,,üblicher Stundenlohn“
– P: Bereicherungsrecht gesperrt, wenn man sittenwidriges Verhalten des Erbensuchers annimmt, sonst Unterlaufen +/-
3. BereichR
a. §812 Abs. I S. 1 1. Alt BGB?
-P: Leistung? Information an T war nicht zweckgerichtet, weil auch kein Kausalvertrag vorlag, um eine etwaige Erfüllung herbeizuführen
– i.E –
b. §812 Abs. I S. 1 2. Alt
-P Hier wieder Sperrung diskutieren
– ,,auf dessen Kosten“ jedenfalls -, E hat nichts verloren, insbesondere ist die Erbenstellung nicht relevant für E
– i.E: –
Frage 3:
1: Kann G von H Herausgabe der Briefmarke verlangen?
1. §2018 BGB?
– Nein, A ist nicht Erbschaftsbesitzer
2. §985 BGB
– Vindikationslage?
Ursprünglich war M Eigentümer. Dann wurde H kraft gewillkürter Erbfolge Eigentümerin, §§2064, 2247 BGB. Dann wurde G kraft gewillkürter Erbfolge gemäß §§2064, 2247 i.V.m §2258 BGB Eigentümerin.
Könnte A gemäß §§929 BGB Eigentum erworben haben? Nur gem. §§, 929 S.1, 932 BGB möglich, aber guter Glaube an Erbschein setzt voraus, dass man sich diesen zeigen lässt, Sinn und Zweck §§2365, 2366 BGB. Vor allem als Antiquitätenhändler, welcher tagtäglich mit ,,Erbschaften“ zu tun hat.
Jedenfalls wäre die Sache aber auch gemäß §935 Abs. I BGB abhanden gekommen und G hätte aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse kein RzB aus §986 Abs. I BGB.
3. §§1007 Abs. I,II, 857 BGB +
4. §812 Abs. I S. 1 2. Alt BGB +, aber Vorrang der Leistungsbeziehung P: auch Vorrang, wenn §985 BGB durchgeht? strittig, beides vertretbar
2: G von H Herausgabe der Lederhandtasche?
1. §2018, 2019 Abs. I BGB
– H Erbschaftsbesitzer? ,,hat“, muss nicht im Zeitpunkt des Herausgabeverlangens sein +
– i.E +
2. §985 BGB
– Vindikationslage? i.E: -, G wurde nie Eigentümerin der Lederhandtasche
3. §812 Abs. I S. 1 2. Alt, hier Vorrang der Leistungsbeziehung +, daher i.E: –
Hallo, kurz zur Briefmarke:
G trat als Erbe in die Besitzposition des M ein (857); daher grds. 935, sodass 929, 932 (H an A) scheitert! Das stimmt. Aber: Der Erbschein überwindet das jedoch, denn er stellt den A so, als habe er vom wahren Erben erworben. Das ist bekanntlich G (Berechtigte), daher konnte er, der A, also „trotz 935“ Eigentum erwerben. Wichtig: Das abstrakte Vertrauen wird geschützt. Unerheblich ist, dass der Erbschein nicht vorgezeigt wurde. Parallele zum Grundbuch!
Daher hat A Eigentum erworben, Anspruch (-)
Bzgl Handtasche noch an 816 denken, geht auch durch.
Klausur war insgesamt ok, wobei ich mich gefragt habe, warum auf die Normen hingewiesen wurde.
Ich habe gerade einfach spontan meine Gedanken niedergeschrieben. Das Ganze mit dem Erbschein scheint ja doch streitig zu sein; Das war mir gar nicht bewusst. Naja, insoweit dürfte hoffentlich mal wieder, wie so oft, einiges vertretbar sein. Insbesondere das vorgebrachte Argument, der A sei Antiquitätenhändler und daher zur Prüfung verpflichtet, klingt für mich nach einer sehr brauchbaren Stütze gegen meine Aussage. So habe ich das noch nicht gesehen.
Ich habe den Anspruch in der Klausur jedenfalls abgelehnt und den A gutgläubig das ET erwerben lassen. Insbesondere schadet beim Erbschein ja nur positive Kenntnis.
briefmarken sind ueberdies auch kleine inhaberpapiere iSd 935 II
Weil – überraschenderweise – die Normen nicht zum Pflichtfachstoff gehören, auch wenn sie examensrelevant sind.
Ich finde es absolut mies von den Klausurerstellern, dass man den Faulen unter uns quasi die Lösung auf den Präsentierteller reicht, indem man auf diverse Normen und somit auf Problemfelder hinweist. ich wusste alle wichtigen Normen und meine Klausur wäre wohl besser ausgefallen, hätten die Faulen keine Hilfsstellung bekommen. Ist nicht arrogant gemeint, aber es geht nun mal um Relation, was die Benotung angeht. 30% Durchfallquote müssen halt immer erreicht werden.
Lieber Herr zu Hohenzolle,
bitte vergiss nicht, dass Erbrecht nur „im Überblick“ beherrscht werden soll. Ein bloßer Verweis auf vier Paragraphen sollte daher als legitim angesehen werden.
Darüber hinaus noch ein paar Anmerkungen…wer sind „die Faulen“? An meiner Uni (Münster) kenne ich keine faulen Examenskandidaten. Es mag den einen oder anderen geben, der nicht 12 Stunden am Tag in der Bib sitzt, es erscheint mir aber heutzutage die absolute (!) Ausnahme.
Zu der Relation: es gibt sie, auch wenn die Lösung nahezu vollständig abgedruckt wird. Es wird auch weiterhin mindestens 30 % Durchfallquote geben, egal wie „einfach“ oder „schwierig“ die Klausur sein mag. (Bsp. Fliesenfall). Lediglich der Maßstab verändert sich.
Jede Klausur wird relativ bewertet, von daher kann ich deine Argumentation nicht nachvollziehen, zumal du als besonders fleißiger Student sicherlich noch ein paar mehr Paragraphen im Kopf hattest…
Alles Gute
Naja, es ist ja schon so, dass diese Normen schon auch zum Überblick gezählt werden können. Sie sind aber jedenfalls ohne weitere Kenntnis ohne Mühe auffindbar, haben insbesondere zielführende Überschriften. Insoweit hätte jeder Examenskandidat mMn die Vorschriften auch so gefunden. Das ist ja auch nichts anderes als im ÖR.
Aber: Nicht wenige haben sich in der Tat unmittelbar nach dem Schreiben trotz dieser „Hilfestellung“ über die Klausur aufgeregt. Es gibt also wahrlich jene, die dennoch schlecht abgeschnitten haben. Leider.