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Schlagwortarchiv für: Fahrlässigkeit

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Versuch der Erfolgsqualifikation

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Mit Urteil vom 12.08.2021 (Az.: 3 StR 415/20) hat sich der BGH wieder einmal zur klausur- und examensrelevanten Konstellation des Versuchs bei erfolgsqualifizierten Delikten geäußert. Dabei hat der BGH klargestellt, dass ein Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts – konkret: der Brandstiftung mit Todesfolge gemäß § 306c StGB – auch dann gegeben sein kann, wenn das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken bleibt und auch die gewollte schwere Folge nicht eintritt. Die Entscheidung soll zum Anlass genommen werden, sich die verschiedenen Varianten des Versuchs beim erfolgsqualifizierten Delikt (erfolgsqualifizierter Versuch vs. Versuch der Erfolgsqualifikation) noch einmal zu vergegenwärtigen. Ihre sichere Kenntnis und Unterscheidung sind nicht nur für Examenskandidaten, sondern bereits für Studierende unterer Semester unerlässlich.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter (T) warf nachts das Schlafzimmerfenster des schlafenden Opfers (O) ein, um durch die so entstandene Öffnung einen sogenannten Molotowcocktail – eine mit Benzin gefüllte Glasflasche, versehen mit einer angezündeten Lunte – hineinzuwerfen. Dabei hielt T es für möglich und nahm billigend in Kauf, hierdurch einen Brand auszulösen, der wesentliche Gebäudeteile erfasst und den schlafenden O oder andere Bewohner des Mehrfamilienhauses zu Tode bringt. Wider Erwarten erlosch die Flamme jedoch kurz nach dem Hineinwerfen, bevor sich das Benzin entzünden konnte.
 
B) Rechtsausführungen
Der BGH sah hierin – wie auch das LG Mönchengladbach als Vorinstanz – unter anderem einen versuchten Mord gemäß §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit einer versuchten schweren Brandstiftung mit Todesfolge gemäß §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB.
Da sich bei der Prüfung des versuchten Mordes vorliegend keine Besonderheiten ergeben, soll sich die hiesige Darstellung auf die Besonderheiten der versuchten schweren Brandstiftung mit Todesfolge beschränken. Freilich müsste in einer entsprechenden Klausur auch eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Mordklassikern – Heimtücke bei Schlafenden und der Gemeingefährlichkeit des Inbrandsetzens – erfolgen.
 
I. Was ein erfolgsqualifiziertes Delikt kennzeichnet
Bei § 306c StGB handelt es sich um ein sogenanntes erfolgsqualifiziertes Delikt. Erfolgsqualifizierte Delikte sind in § 18 StGB erwähnt und beschreiben Fälle, in denen ein auch für sich allein betrachtet strafbares Vorsatzdelikt dadurch qualifiziert wird, dass durch die Tat zumindest fahrlässig ein im Gesetz näher beschriebener besonderer Erfolg (zurechenbar) verursacht wird (BeckOK StGB/Kudlich, 50. Ed. 1.5.2021, § 18 StGB Rn. 3). Im hiesigen Fall kommen als Grunddelikte die §§ 306-306b StGB in Betracht; die schwere Folge ist der durch die Brandstiftung verursachte Tod eines anderen Menschen.
Weitere klausurrelevante Beispiele für erfolgsqualifizierte Delikte finden sich in § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) und § 251 StGB (Raub mit Todesfolge).
 
II. Strafbarkeit des Versuchs bei erfolgsqualifizierten Delikten
Dass bei erfolgsqualifizierten Delikten auch der Versuch strafbar sein kann, folgt aus §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 StGB. Alle Erfolgsqualifikationen im derzeitigen Strafrecht sind Verbrechen, weshalb ihr Versuch stets strafbar ist. Ferner kennzeichnet den Versuch der auf die Verwirklichung eines Tatbestandes gerichtete Tatentschluss, d.h. der Täter muss Vorsatz in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale haben sowie etwaige subjektive Tatbestandsmerkmale aufweisen. § 11 Abs. 2 StGB bestimmt nun, dass eine Tat auch dann als vorsätzlich zu qualifizieren ist, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt und hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge Fahrlässigkeit ausreichen lässt. Dies beschreibt genau den Fall erfolgsqualifizierter Delikte. Daraus folgt, dass erfolgsqualifizierte Delikte als Vorsatzdelikte anzusehen sind und damit grundsätzlich im Versuch verwirklicht werden können.
 
III. Mögliche Versuchsvarianten
Denkbar sind grundsätzlich zwei Formen des Versuchs: der erfolgsqualifizierte Versuch und der Versuch der Erfolgsqualifikation.
1. Der erfolgsqualifizierte Versuch liegt vor, wenn die Verwirklichung des Grunddelikts im Versuchsstadium bleibt, die schwere Folge aber trotzdem eintritt. Dabei ist zum einen entscheidend, dass sich im Eintritt der schweren Folge die spezifische Gefahr des Grunddelikts realisiert. Zum anderen muss dem Täter in Bezug auf den Eintritt der schweren Folge wenigstens ein Fahrlässigkeits- (wie in § 227 Abs. 1 i.V.m. § 18 StGB) oder Leichtfertigkeitsvorwurf (etwa in § 251 StGB) zur Last zu legen sein.
Lesenswert ist hierzu der prominente Gubener Hetzjagd-Fall des BGH (Urt. v. 09.10.2002 – 5 StR 42/02, NStZ 2003, 149).
 
2. In Abgrenzung hierzu ist ein Versuch der Erfolgsqualifikation gegeben, wenn das Grunddelikt verwirklicht wird, die vom Täter billigend in Kauf genommene oder sogar beabsichtigte schwere Folge aber nicht eintritt. Diese Variante ist deshalb anzuerkennen, weil die schwere Folge zwar gemäß § 18 StGB „wenigstens“ fahrlässig verursacht werden muss, erst recht aber vorsätzlich herbeigeführt werden kann (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 20.10.1992 – GSSt 1/92, BGHSt 39, 100). Ein Beispiel macht es deutlich: Ein Versuch des § 251 StGB liegt vor, wenn der Täter mit Gewalt gegen eine Person dieser eine fremde bewegliche Sache mit Zueignungsabsicht wegnimmt und dabei billigend in Kauf nimmt, hierdurch den Tod der – letztlich überlebenden – Person zu verursachen.
Achtung: Der Versuch der Erfolgsqualifikation ist in der Klausur dann unerheblich und nicht ausführlich zu thematisieren, wenn die gewollte schwere Folge ihrerseits einen selbständig im Versuch verwirklichten Tatbestand darstellt. Denn dann wird der Versuch der Erfolgsqualifikation auf Konkurrenzebene verdrängt. Dies gilt etwa für § 227 StGB: Schießt der Täter auf das Opfer, um es zu töten, verletzt es aber nur, liegt eine verwirklichte gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Daneben ist grundsätzlich ein versuchter § 227 StGB (in Form des Versuchs der Erfolgsqualifikation) gegeben sowie ein versuchter Totschlag nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Da das Unrecht der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge vollständig vom versuchten Totschlag erfasst wird, bleibt allein letzterer (in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung) bei der Gesamtstrafbarkeit stehen. In einem solchen Fall in der Klausur bei § 227 StGB „ein Fass aufzumachen“, stellt eine verfehlte Schwerpunktsetzung dar.
 
IV. Die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation: ein Unterfall des Versuchs der Erfolgsqualifikation
Diese allgemeinen Grundsätze zugrunde legend wird offenbar, dass der hiesige Fall zunächst auf keine der beiden Konstellationen so eindeutig passen mag: Weder das Grunddelikt ist voll verwirklicht noch die schwere Folge eingetreten. Dass jedoch auch der Fall, in dem das Grunddelikt lediglich versucht und die schwere Folge nur gewollt ist, eine Variante des Versuchs der Erfolgsqualifikation darstellt, hat der BGH unmissverständlich klargestellt:

„Diese kann als Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts auch dadurch verwirklicht werden, dass der Täter zum Grunddelikt unmittelbar ansetzt, wobei er die schwere Folge beabsichtigt oder billigend in Kauf nimmt, hinsichtlich beider Tatbestände aber nicht zur Vollendung gelangt. Weder die Inbrandsetzung oder die durch die Brandlegung bewirkte – zumindest teilweise – Zerstörung noch der Tod müssen eingetreten sein.“ (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 7)

Der BGH argumentiert dabei wie folgt: 
1. Eine solche Annahme ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 StGB in Verbindung mit den jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikten: „Wer die Ausführung des Grunddelikts versucht und dabei zudem Vorsatz in Bezug auf die Herbeiführung der schweren Folge hat, setzt nach seiner Vorstellung von der Tat sowohl unmittelbar zum Grunddelikt als auch zur Verursachung der schweren Folge an.“ (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 11)
2. Systematische Erwägungen stützen dieses Verständnis: Wie dargelegt, sind erfolgsqualifizierte Delikte wegen § 11 Abs. 2 StGB insgesamt als Vorsatzdelikte einzuordnen. Dies hat zur Konsequenz, dass die allgemeinen Vorschriften zum Versuch Anwendung finden. Diese allgemeinen Vorschriften setzen jedoch nicht voraus, dass der Täter irgendein Tatbestandsmerkmal objektiv verwirklichen muss, sondern nur, dass er nach seiner Vorstellung von der Tat hierzu unmittelbar ansetzt. Auf dieser Grundlage wäre es nach Ansicht des BGH nicht gerechtfertigt, für den Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts stets die Vollendung des Grundtatbestands (dann Versuch der Erfolgsqualifikation) oder den Eintritt der schweren Folge (dann erfolgsqualifizierter Versuch) zu verlangen (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 12).
3. Schließlich sprechen auch der Sinn und Zweck des relevanten Normgefüges für eine solche Annahme: Wie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zeigt, liegt der Grund für die Versuchsstrafbarkeit die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns (sog. subjektive Versuchstheorie, vgl. etwa BGH, Urt. v. 29. 04.1958 – 5 StR 28/58, BGHSt 11, 324, 326 f.). Dieser subjektive Handlungsunwert tritt bei demjenigen, der mit seinem Verhalten die Verwirklichung des Grunddelikts und den Eintritt der hierin angelegten schweren Folge anstrebt, unabhängig davon zutage, ob er das Grunddelikt nur versucht oder vollendet. Ein wie auch immer gearteter objektiver Erfolgsunwert ist beim Versuch nicht gefordert. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob und inwieweit Teilabschnitte des erfolgsqualifizierten Delikts verwirklicht sind. Hieraus schließt der BGH, dass auch derjenige wegen des Versuchs eines erfolgsqualifizierten Delikts zu bestrafen ist, der Grunddelikt und Qualifikation intendiert und an beiden Zielen scheitert (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 13).
Damit hat sich T im hiesigen Fall nicht nur nach §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB, sondern auch nach §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt: Der Versuch kann bei erfolgsqualifizierten Delikten als erfolgsqualifizierter Versuch oder als Versuch der Erfolgsqualifikation vorliegen. Letztere Variante besteht aber nicht nur in dem Fall, in dem das Grunddelikt voll verwirklicht und die – nicht eingetretene – schwere Folge jedenfalls billigend in Kauf genommen wird. Vielmehr ist ein Versuch der Erfolgsqualifikation wie im vorliegenden Sachverhalt auch dann anzunehmen, wenn das Grunddelikt nur versucht ist, der Vorsatz des Täters aber auch auf die Herbeiführung der schweren Folge gerichtet war. Dass dies konsequent ist, folgt aus dem Wortlaut des § 22 StGB, der Systematik des Gesetzes und dem Sinn und Zweck der Versuchsvorschriften, die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns zu sanktionieren.
 

23.11.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-11-23 08:22:092021-11-23 08:22:09BGH: Neues zum Versuch der Erfolgsqualifikation
Dr. Christoph Werkmeister

BGH: Haftungsbeschränkungen in AGB von Reinigungen

AGB-Recht, Rechtsprechung, Zivilrecht

Erst vor einigen Tagen berichteten wir sehr ausführlich zu einem examensrelevanten Urteil, das sich mit dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen befasste (in der Sache ging es um die Zulässigkeit des Verkaufs von Miles&More-Punkten, siehe dazu hier). Der BGH äußerte sich aktuell erneut zu einer Fallgestaltung aus dem AGB-Recht (Urteil vom 04.07.2013 – VII ZR 249/12). Behandelt wurden dieses Mal bestimmte Haftungsbeschränkungsklauseln, die im Textilreinigungsgewerbe gebräuchlich sind.
Klassische AGB-Kontrolle
Die AGB von vielen Textilreinigern enthielten die folgende Klausel:

Der Textilreiniger haftet für den Verlust des Reinigungsgutes unbegrenzt in Höhe des Zeitwertes. Für Bearbeitungsschäden haftet der Textilreiniger nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit unbegrenzt in Höhe des Zeitwertes. Ansonsten ist die Haftung auf das 15fache des Bearbeitungspreises begrenzt. Achtung: Unsere Haftung kann auf das 15fache des Bearbeitungspreises begrenzt sein (siehe Nr. 5 AGB). Sie können aber unbegrenzte Haftung in Höhe des Zeitwertes, zum Beispiel durch Abschluss einer Versicherung, vereinbaren.

Insbesondere die ersten beiden Sätze der Klausel wurden vom BGH wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 7 b) BGB für unwirksam erklärt, da eine Beschränkung der Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit auf den Zeitwert der beschädigten Sache vorlag. Nach Auffassung des BGH musste indes der Wiederbeschaffungswert der Sache maßgeblich sein.
Im Übrigen stelle die Beschränkung auf das 15fache des Reinigungspreises einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB dar, da die Klausel den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Der Reinigungspreis, der im Vergleich zum Wert der Sache erheblich niedriger sein kann, stellt nach dem BGH keinen tauglichen Maßstab für die Begrenzung der Haftung dar. Es fehle jegliche Relation zur tatsächlichen Schadenshöhe.
Examensrelevanz
Das AGB-Recht muss zwingend für das erste sowie das zweite Staatsexamen beherrscht werden. Die hier genannten Aspekte, die zu einer Nichtigkeit der Klausel führten, stellen nur einen von vielen Aufhängern dar, um die Wirksamkeit der Klauseln zu Fall zu bringen. Für die Klausur ist eine ausschöpfende Argumentation bei der Bewertung der Klauseln und weniger das Ergebnis bedeutsam, um dem Korrektor zu zeigen, dass der Sinngehalt der Klausel und auch der wirtschaftliche Kontext nachvollzogen werden konnten.
Die Systematik und der Prüfungsaufbau einer AGB-Prüfung werden in einem anderen Beitrag erläutert (siehe dazu schematisch hier). Die wichtigsten Judikate aus der letzten Zeit zu diesem Thema findet ihr im Übrigen hier.

08.07.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-07-08 07:01:252013-07-08 07:01:25BGH: Haftungsbeschränkungen in AGB von Reinigungen
Christian Muders

LG Gießen: Keine Strafbarkeit des Arztes bei freiverantwortlichem Patientensuizid

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT

Anm. zu LG Gießen, Beschluss vom 28. 6. 2012 – 7 Qs 63/12 (= NStZ 2013, 43 ff.)
1. Um was geht es?
Der Sachverhalt nach dem Beschluss des LG Gießen: Am Nachmittag des 5. 11. 2010 brachten zwei Zeuginnen den Patienten A nach Überweisung durch den Arzt Dr. X wegen Suizidgefahr in eine Klinik für forensische Psychiatrie. Im Rahmen des Eingangsgesprächs erklärte der Patient gegenüber der Angeschuldigten, die dort als zuständige Ärztin tätig war, er wolle sich nicht umbringen, befürchte aber, er werde es tun. Auf seine Bitte hin wurde er stationär aufgenommen. Die Angeschuldigte stufte ihn als nicht suizidgefährdet ein und ordnete weder die Gabe sedierender Medikamente noch die Wegnahme von Gegenständen des Patienten an, die, wie etwa ein Gürtel, für einen Suizid geeignet waren. Am Morgen des 6. 11. 2010 fand man den A tot in seinem Zimmer auf. Er hatte sich mit seinem Gürtel im Bad erhängt.
2. Was sagt das Gericht?
Die StA warf der angeschuldigten Ärztin in der Anklageschrift vor, fahrlässig durch Unterlassen den Tod eines Menschen verursacht zu haben. Das AG hat die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Hiergegen richteten sich die sofortigen Beschwerden der StA und der Nebenklägerin. Das Gericht hat die Rechtsmittel verworfen.
a) Das LG Gießen begründet zunächst allgemein die Straflosigkeit der Beteiligung an einem eigenverantwortlichen Suizid:

Strafbar nach den §§ 211ff. StGB ist die Tötung eines anderen Menschen. Die Selbsttötung unterfällt demgegenüber nicht dem Tatbestand eines Tötungsdelikts (LK-Jähnke, 11. Aufl., vor § 211, Rn. 21). Die Mitverursachung eines Selbstmordes ist damit grundsätzlich ebenso straffrei wie die fahrlässige Ermöglichung der eigenverantwortlichen Selbsttötung (OLG Stuttgart, Beschl. v. 3. 2. 1997 – 4 Ws 230/96, juris Rn. 15; LK-Jähnke, aaO, Rn. 23). So kann derjenige, der mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mit verursacht, nicht bestraft werden. (…) Aus der Straflosigkeit von Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung folgt zwingend, dass der Garant, der nichts zur Verhinderung des freiverantwortlichen Suizids unternimmt, ebenfalls straffrei bleiben muss (LK-Jähnke, aaO, Rn 24). (…) Hätte die Angesch. durch aktives Tun Beihilfe zum eigenverantwortlichen Suizid des Patienten geleistet, indem sie ihm etwa in Kenntnis seiner Suizidabsicht den Gürtel gereicht hätte, käme eine Strafbarkeit wegen Beihilfe aufgrund der Straflosigkeit des Suizids von vornherein nicht in Betracht. Ausgehend hiervon würde es unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze einen unerträglichen Wertungswiderspruch darstellen, wollte man der Angesch. das bloße Untätigbleiben im Hinblick auf die Verabreichung sedierender Medikamente und der Wegnahme des Gürtels strafrechtlich zum Vorwurf machen.

b) Sodann stellt das Gericht fest, dass auch der Umstand, dass sich der Suizident in ärztliche Obhut begeben hatte, keinen Unterschied mache:

Dem steht auch nicht entgegen, dass sich aus dem vorliegenden ärztlichen Behandlungsvertrag besondere Sorgfaltspflichten der Angesch. ergaben. Die besondere Garantenstellung des Arztes gebietet es u.a. den Patienten im Rahmen der von ihm gewählten Therapie keinen vermeidbaren Risiken auszusetzen, wie sie etwa mit der erstmaligen Anwendung einer neuartigen Entziehungstherapie verbunden sind (BGH Urt. v. 18. 7. 1978 – StR 209/78, juris, Rn. 9). Da die Angesch. im vorliegenden Fall aber weder therapeutische Maßnahmen ergriffen, noch aktiv vermeidbare Risiken für den Patienten geschaffen hat, ist die dem Urteil vom 18. 7. 1978 zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation, die überdies keine eigenverantwortliche Selbsttötung zum Gegenstand hat, auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

c) Schließlich wird auch der Rspr. des BGH, wonach in Unterlassensfällen ein „Tatherrschaftswechsel“, weg von dem eigenverantwortlich handelnden Suizidenten hin auf den Garanten in Betracht kommt, sofern ersterer vor Todeseintritt bewusstlos wird, für den vorliegenden Sachverhalt eine Absage erteilt:

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BGH vom 4. 7. 1984 (3 StR 96/84), wonach das Eingreifen des anwesenden Garanten geboten ist, wenn der Lebensmüde nach Beendigung seines Selbsttötungsversuchs das Bewusstsein verloren hat. Auf die Frage, ob es ab dem Zeitpunkt der Bewusstlosigkeit zu einem strafbegründenden Tatherrschaftswechsel kommt, weil der Garant damit zum Herrn über Leben oder Tod avanciert, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Die Angesch. war bei dem Suizid des Patienten nicht anwesend und konnte so zu keinem Zeitpunkt Tatherrschaft über das Geschehen erlangen.

d) Schlussendlich geht die Kammer im Hinblick auf die Kardinalfrage des Falls, nämlich der Frage nach der Eigenverantwortlichkeit des A, jedenfalls – in dubio pro reo – von einem eigenverantwortlichen Suizid aus:

Eine straflose Beteiligung am Suizid kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die Willensbildung des Suizidenten einwandfrei ist und der Selbsttötungswille fortbesteht (LK-Jähnke, aaO, Rn. 25). Jedoch steht einem Freispruch der Angesch. bei den gegebenen Beweismöglichkeiten nach Aktenlage gemäß dem Grundsatz in dubio pro reo wahrscheinlich auch insoweit nichts entgegen. Zwar kann nach den Erkenntnissen der Suizidforschung von einem eigenverantwortlichen Handeln des Lebensmüden nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden. Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit können jedoch keine Strafbarkeit begründen, sondern wirken, wie stets, zugunsten des Angekl. (LK-Jähnke, aaO, Rn. 27, mwN, Rn. 31). (…) Da sich der Patient im Grenzbereich von eigenverantwortlicher Willensbildung und ausgeschlossener Eigenverantwortlichkeit befand, müssen sich die unüberwindbar bestehenden Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit seines Handelns notwendig zu Gunsten der Angesch. auswirken.

3. Warum ist die Entscheidung interessant?
a) Der Beschluss des LG Gießen bezieht sich auf die examensrelevante Abgrenzung der Strafbarkeit wegen Fremd- und der straflosen Beteiligung an einer Selbsttötung, wobei die gute Darstellung der Begründung einer Straflosigkeit bei bloßer Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und ihre Übertragung auf den Unterlassensbereich, die so auch in einer Prüfungsklausur verwendet werden könnte, besondere Aufmerksamkeit verdient.
b) In der Sache ist der Beschluss allerdings nicht vollständig überzeugend: So erscheint es fraglich, ob eine Vergleichbarkeit mit der von der Kammer zitierten Entscheidung BGH Urt. v. 18. 7. 1978 – StR 209/78 (= JR 1979, 429) bereits unter Hinweis darauf verneint werden kann, dass die Angeschuldigte im vorliegenden Fall nicht „aktiv“ vermeidbare Risiken für den Patienten geschaffen hat. Im vom BGH entschiedenen Fall ging es um die Strafbarkeit eines Arztes, der zwei Drogenabhängigen ein morphinhaltiges Medikament zur Selbstinjektion verordnet hatte, was sie sich in der Folge, entgegen seiner Anweisung, in einer tödlichen Überdosis injizierten. Der dort in Rede stehenden „aktiven“ Herbeiführung von (vermeidbaren) Risiken durch unkontrollierte Mitgabe der Drogen muss aber das Unterlassen gebotener Maßnahmen jedenfalls dann als gleichwertiger Vorwurf zur Seite gestellt werden, sofern eine Garantenstellung des Betroffenen besteht. Eine solche kann aber für den vorliegenden Fall durchaus angenommen werden, da sich der Patient A offensichtlich mit der Bitte um Hilfe an die Angeschuldigte als Ärztin gewandt hatte, welcher selbige mit Einweisung in die Klinik auch tatsächlich nachkam (sog. Garantenstellung kraft tatsächlicher Übernahme). Jedenfalls zum Zeitpunkt der Einlieferung wollte der Patient nach eigener Aussage auch nicht sterben, so dass von einer eigenverantwortlichen Entscheidung des A, sich das Leben zu nehmen, entgegen der Kammer in diesem Moment kaum gesprochen werden kann. Stellt man sich allerdings auf den Standpunkt, dass nicht auszuschließen ist, dass das spätere Opfer sich (nachträglich) eigenverantwortlich das Leben nahm, dürfe es vertretbar sein, insoweit jedenfalls einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang im Hinblick auf den letztendlich eingetretenen Erfolg abzulehnen: Denn wenn der Tod nicht mehr mit der in Anspruch genommenen Hilfe des Patienten in Verbindung steht, sondern dieser sich – in dubio pro reo – in freier Entscheidung dazu entschloss sich zu erhängen, erscheint der Schutzzweck der garantemäßigen Verhaltensanordnung, nämlich den Patienten durch die im Beschluss beschriebenen Maßnahmen gerade vor einem unfreiwilligen, da krankhaften Suizid zu bewahren, nicht mehr einschlägig. In diesen Kontext ist auch der Hinweis des Gerichts einzuordnen, dass es sich bei der vom BGH im Drogen-Fall behandelten Konstellation (schlussendlich) nicht um einen echten Fall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung handelte, was insoweit zutrifft, als der BGH in seinem eigenen Urteil betont, dass „Drogenabhängige im Zustand des Entzugs jede Kontrolle über sich verlieren und unberechenbar werden“. Dabei kann freilich in Frage gestellt werden, ob das Argument der Eigenverantwortlichkeit in einer Situation, in welcher sich ein Patient bewusst in die Obhut Dritter begibt, damit er vor sich selbst geschützt wird, noch eine zurechnungsbegrenzende Wirkung bezüglich solcher naheliegender Risiken entfalten kann, die (wie das Erhängen mit dem mitgebrachten Gürtel) vorhersehbar sind und damit zumutbar durch den Garanten verhindert werden könnten. Argumentieren ließe sich insofern, dass – ähnlich zur Rechtsfigur der „Übernahmefahrlässigkeit“ – bei (freiwilliger) Übernahme der beschriebenen Schutzposition von einem strengeren Maßstab der durch den Garanten zu kontrollierenden Risiken ausgegangen werden muss, so dass das Eigenverantwortlichkeitsprinzip durch die garantenmäßig übernommene Verpflichtung, die schutzbedürftige Person vor selbstverletzenden Maßnahmen zu schützen, überlagert würde. Insofern ergibt sich auch ein augenscheinlicher Unterschied zu Fällen, in denen ein zum Selbstmord Entschlossener von vornherein überhaupt keine Hilfe möchte und diesbezüglich potentielle Garanten wie etwa Ehegatten (jedenfalls konkludent) vollständig von ihrer Pflicht zur Rettung entbindet.
c) Zum Schluss noch einige wenige Worte zur prozessualen Situation: Wie aus der Sachverhaltsschilderung des Beschlusses hervorgeht, hatte die Eingangsinstanz in Gestalt des AG bereits im Zwischenverfahren die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen die Angeschuldigte abgelehnt, ist also – nach Anklage des Geschehens durch die StA – davon ausgegangen, dass es an einem „hinreichenden Tatverdacht“ fehlt (vgl. § 203 StPO). Gegen diese Entscheidung stand sowohl der StA (§ 210 Abs. 2 StPO) als auch der Nebenklage (§ 400 Abs. 2 S. 1 StPO) das Recht der sofortigen Beschwerde zu (§§ 304 ff., 311 StPO), über welche das LG als Rechtsmittelgericht zu entscheiden hatte (§ 73 Abs. 1 GVG). Aus dieser besonderen Situation heraus erklärt es sich, dass die Kammer des LG Gießen hier nicht von einem zu ihrer Überzeugung festgestellten Sachverhalt ausging, sondern es in ihrem Beschluss nur als „wahrscheinlich“ bezeichnet, dass dem Freispruch des Angeklagten nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ bei einer hypothetischen Hauptverhandlung nichts entgegenstehen würde und zudem die betroffene Ärztin nicht als „Angeklagte“, sondern lediglich „Angeschuldigte“ bezeichnet hat.

13.03.2013/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-03-13 10:00:332013-03-13 10:00:33LG Gießen: Keine Strafbarkeit des Arztes bei freiverantwortlichem Patientensuizid
Christian Muders

Strafrechts-Klassiker: Der Rötzel-Fall

Klassiker des BGHSt und RGSt, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht

BGH, Urteil v. 30.09.1970 – 3 StR 119/70 (= NJW 1971, 152 = JZ 1970, 788)

Für die Anwendung des § 226 StGB [a.F. = § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.] genügt es nicht, wenn der tödliche Ausgang letztlich erst durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt wurde; die Verletzungshandlung muß unmittelbar die Todesfolge bewirkt haben.

1. Der Sachverhalt
Der A griff im Obergeschoß des mütterlichen Hauses die Hausgehilfin Resi G tätlich an und brachte ihr eine tiefe Oberarmwunde sowie einen Nasenbeinbruch bei. Vor den fortdauernden Angriffen des A versuchte die verängstigte Frau durch das Fenster ihres Zimmers auf einen Balkon zu flüchten. Dabei stürzte sie ab und verletzte sich tödlich.
2. Die Kernfrage
Die Vorinstanz, das Schwurgericht beim Landgericht Krefeld, hatte den A wegen Körperverletzung mit Todesfolge (damals noch in § 226 StGB a.F. beheimatet) verurteilt. Hiergegen hat der A Revision beim BGH eingelegt und sich u.a. mit der Sachrüge gewehrt. Argumentiert werden könnte insoweit, dass der A zwar für die tödliche Folge im weiteren Sinne kausal war, da ohne seinen tätlichen Angriff die G nicht durch das Fenster geflüchtet wäre. Allerdings hat die G das letzte „Wirkglied“ für ihren tödlichen Sturz, den Ausstieg aus dem Fenster, selbst vorgenommen. Somit wäre zu fragen, ob aufgrund dieses Umstandes der tödliche Erfolg dem A tatsächlich noch (objektiv) als eigener zugerechnet werden kann.
3. Das sagt der BGH
Der BGH hat der Sachrüge des A stattgegeben, die Verurteilung des Landgerichts Krefeld aufgehoben und angenommen, dass der A lediglich wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu bestrafen sei.
a) Insofern hat er zunächst nach Maßgabe der Feststellungen des Ausgangsgerichts den Grundtatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 StGB bejaht, der zugleich auch die Basis für eine mögliche Erfolgsqualifikation nach § 227 StGB n.F. bildet:

Das Schwurgericht ist, wie es mit aller Deutlichkeit mehrfach betont, der sicheren Überzeugung, daß die Oberarmwunde und der Nasenbeinbruch nicht durch den Sturz aus dem Fenster entstanden sind (UA S. 22, 26 – 29). Diese Überzeugung schöpft es aus den Gutachten der Professoren Dr. Do, Dr. Sch und Dr. S und der Sachverständigen Dr. G und Dipl. Ing. L, die sich „eindeutig“ in diesem Sinne ausgesprochen haben, und weiteren Beweisanzeichen (UA S. 29). (…) Soweit das Urteil auf Seite 5/6 UA von einem „Stich oder Hieb mittels eines entsprechenden Gegenstandes“ spricht, stellt es mit den beiden nachfolgenden Sätzen klar, daß es nur von der Wahrscheinlichkeit der Verwendung eines Werkzeugs ausgeht, wie dies auch noch an anderer Stelle (UA S. 27) deutlich gesagt wird. Mit seinen weiteren, im Zusammenhang damit stehenden Ausführungen greift der Beschwerdeführer in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Schwurgerichts an.

b) Im Folgenden verneint der BGH allerdings das Vorliegen der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB und macht dies daran fest, dass es an einer spezifischen Verbindung zwischen Grunddelikt und eingetretenem tödlichen Erfolg fehle. Hierzu referiert der entscheidende Senat zunächst die Entwicklung der bisherigen Rechtsprechung des BGH zu § 227 StGB:

Der Tatbestand dieser Bestimmung erfordert, daß der Tod des Verletzten durch die Körperverletzung verursacht worden ist. Unter Körperverletzung in diesem Sinne hatte die frühere Rechtsprechung, von der vereinzelt gebliebenen Entscheidung RG DR 1945, 22 abgesehen, nur die Körperliche Beschädigung als solche verstanden; sie ließ die Ursächlichkeit des Verhaltens des Täters für den Tödlichen Erfolg nicht genügen (so RGSt 44, 137; OGHSt 2, 335, 337; BGH 4 StR 378/53 vom 3. Dezember 1953 bei Dallinger MDR 1954, 150). Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber in BGHSt 14, 110 die Anwendungsmöglichkeit des § 226 [= § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.] erweitert. Er stellt nunmehr maßgeblich darauf ab, ob die Körperverletzungshandlung zum Tode des Angegriffenen geführt, ob also der der Verletzung zugrunde liegende Tätigkeitsakt zugleich auch den Tod bewirkt hat, und hält einen so beschaffenen Ursachenzusammenhang für ausreichend. Auch nach dieser Ansicht muß es freilich zu einer Verletzung gekommen sein, und zwar nicht nur einer solchen, wie sie an sich, als Durchgangsstadium, in jeder Tötung eingeschlossen ist.

Dieser Ansicht stellt der BGH sodann Stellungnahmen aus der Literatur gegenüber:

Die Entscheidung ist auf Kritik gestoßen, die an der früheren Auffassung festhalten möchte (…). Noch weiter als der Bundesgerichtshof will andererseits Stree (GA 1960, 289, 292) gehen. Nach seiner Meinung soll § 226 StGB [= § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.] auch anwendbar sein, wenn ein Dritter oder, wie hier, das Opfer selbst die unmittelbare Todesursache setzen. Dieser Ansicht ist im Ergebnis auch das Schwurgericht.

Der BGH weist die zuletzt genannte, von seinem Standpunkt aus extensivere Auslegung des Zusammenhangs zwischen Grunddelikt und Erfolg im Folgenden allerdings als verfehlt zurück:

Einer Stellungnahme zu der Kritik an BGHSt 14, 110 bedarf es nicht. Denn auch vom Boden der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Auffassung aus läßt sich die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nicht rechtfertigen. Das Schwurgericht mißversteht sie, wenn es sich auf sie beruft. Auch wenn man an die Stelle der Körperverletzung im Sinne des Schädigungserfolgs die Verletzungshandlung treten läßt, so muß doch diese unmittelbar die Todesfolge bewirkt haben (…) Im gleichen, insoweit einschränkenden Sinne hat sich der Bundesgerichtshof in BGHSt 22, 362 (zu § 251 StGB) ausgesprochen. (…) Allerdings ist es nach der Einführung des § 56 StGB nicht mehr nötig, um eine nicht verschuldete Todesfolge von der Anwendbarkeit des § 226 StGB [= § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.] auszuschließen, mit der Forderung nach einem „typischen Kausalverlauf“ Elemente der Vorhersehbarkeit in die Prüfung des Ursachenzusammenhangs einzufügen. Von dort her besteht ein solches Bedürfnis nicht mehr. Indessen ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 226 StGB [= § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.], daß hier eine engere Beziehung zwischen der Körperverletzungshandlung und dem tödlichen Erfolg gefordert ist als sie ein Ursachenzusammenhang nach der Bedingungstheorie voraussetzt. Entgegengewirkt werden sollte mit der Schaffung der Vorschrift der der Körperverletzung anhaftenden spezifischen Gefahr des Eintritts des qualifizierenden Erfolges (vgl. Oehler ZStW 1969, 503, 513). In einem tödlichen Ausgang, der unmittelbar erst durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt wurde, hat sich aber nicht mehr die dem Grundtatbestand (§ 223 StGB) eigentümliche Gefahr niedergeschlagen (vgl. Ulsenheimer GA 1966, 257, 268), die der Gesetzgeber im Auge hatte. Auch die hohe Mindeststrafe des § 226 StGB [= § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.] spricht für eine einschränkende Auslegung.

c) Scheidet danach die Verurteilung wegen § 227 StGB aus, bleiben konsequenterweise nur noch die beiden vom Täter isoliert verwirklichten Teilelemente, nämlich einerseits der Grundtatbestand des § 223 StGB und andererseits eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB übrig, deren Vorliegen der BGH im weiteren Verlauf bejaht:

Kann hiernach die Verurteilung aus § 226 StGB [= § 227 StGB n.F., Anm. des Verf.] nicht bestehen bleiben, so ergibt sich doch aus den Feststellungen des Schwurgerichts ohne weiteres, daß sich der Angeklagte der leichten Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (§§ 223, 222, 73 StGB) schuldig gemacht hat. Der Todeserfolg war auch für ihn voraussehbar. Was das Schwurgericht dazu ausführt (UA S. 39), ist rechtlich nicht zu beanstanden und gilt auch im Rahmen des § 222 StGB.

4. Fazit
Der Rötzel-Fall ist ein Klassiker zum Problemkreis des erfolgsqualifizierten Delikts, welches gerade im Gewand der Erfolgsqualifikationen nach den §§ 223 ff. StGB zu den Dauerbrennern der juristischen Ausbildung zählt.
a) Ausgangspunkt für die rechtliche Problematik ist dabei die Überlegung, dass der Wortlaut des § 227 Abs. 1 StGB mit der Formulierung, dass der Täter mit einer Körperverletzung nach den §§ 223-226 StGB den Tod der verletzten Person „verursacht“ haben muss, auf eine innere Verbindung zwischen dem Körperverletzungsdelikt und dem Eintritt der Erfolgsqualifikation abstellt. Diese kann sich aber nicht in einer bloßen Kausalität (nach der q.s.q.n.-Formel) erschöpfen, was folgender hypothetischer Vergleich anschaulich macht: Würde man sich die Existenz des § 227 StGB wegdenken, würde der Täter nicht etwa straflos bleiben, vielmehr hätte er eine vorsätzliche Körperverletzung und eine fahrlässige Tötung begangen, beides durch dieselbe(n) Handlung(en) verwirklicht und also in Tateinheit zueinander stehend (§ 52 StGB). Insofern wird aber als möglicher Sanktionsrahmen „nur“ Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre (oder Geldstrafe) angeboten (vgl. § 52 Abs. 2 S. 1 StGB). Hierzu stehen die Sanktionsmöglichkeiten des § 227 Abs. 1 StGB in einem krassen Gegensatz, da hier der Strafrahmen erst ab drei Jahren beginnt (und selbst in einem minder schweren Fall gem. Abs. 2 noch bis zu zehn Jahre erreicht!). Die höhere Strafdrohung des § 227 StGB im Vergleich zur tateinheitlichen Verwirklichung der vorgenannten Delikte ist daher nur dann zu erklären, wenn man in § 227 StGB nicht nur die tateinheitliche Verwirklichung einer einfachen Körperverletzung plus fahrlässiger Tötung geregelt sieht, sondern einen spezifischen (engeren) Zusammenhang zwischen Grunddelikt und fahrlässiger Tötung fordert, der ein erhöhtes Unrecht generiert und folglich die schärfere Sanktionsmöglichkeit begründet.
b) Wie dieser spezifische Zusammenhang nun genau beschaffen sein muss, ist in Rechtsprechung und Literatur freilich umstritten. Der BGH zeichnet in der hier behandelten Entscheidung die Entwicklung der Rechtsprechung nach, wonach sich zunächst die schwere Folge des Todes unmittelbar aus dem vorsätzlich herbeigeführten Verletzungserfolg ergeben musste, wie dies heute noch die sog. Letalitätstheorie vertritt (vgl. dazu nur Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 10 Rn. 115 m.w.N.). Demgegenüber nimmt der BGH bereits im Rötzel-Urteil einen etwas weiter gefassten Standpunkt ein, indem es der entscheidende Senat ebenfalls für ausreichend erachtet, wenn zwar nicht der vorsätzliche Körperverletzungserfolg, wohl aber die vorsätzlich herbeigeführte Handlung unmittelbar zum Tode führt. Exemplarisch hierfür ist etwa der bekannte Pistolenschuss-Fall (BGH, Urteil v. 02.02.1960 – 1 StR 14/60 = BGHSt 14, 110 ff.), den das Gericht auch in der Rötzel-Entscheidung mehrfach zitiert: Hier hatte der Angeklagte mit einer ungesicherten Waffe auf den Kopf des Opfers eingeschlagen, wobei sich aus Versehen ein Schuss löste und das Opfer tödlich traf, was der Täter so keinesfalls gewollt hatte. Da der vorsätzlich ausgeführte Schlag mit der Pistole nichtsdestotrotz unmittelbar den Tod auslöste, bejahte der BGH in diesem Fall dennoch das Vorliegen des § 227 StGB. Demgegenüber soll eine Unmittelbarkeit nach der Rötzel-Entscheidung dann nicht mehr gegeben sein, wenn der Tod des Opfers zwar mit der Körperverletzungshandlung des Täters in Zusammenhang steht, aber schlussendlich erst durch das weitere Verhalten eines Dritten oder auch des Opfers selbst herbeigeführt wird, so dass dies nach Art eines „Regressverbots“ die Zurechnung desselben an die einfache Körperverletzung des Täters sperrt.
c) An diesem Punkt ist die Entwicklung der Rechtsprechung freilich nicht stehen geblieben. Vielmehr hat der BGH in weiteren Entscheidungen auch von dieser einschränkenden Betrachtung abgelassen und ebenfalls bei schädigenden Handlungen des Opfers selbst noch den Unmittelbarkeitszusammenhang bejaht. Bekanntestes Beispiel hierfür ist sicherlich der sog. Gubener-Hetzjagd-Fall (BGH, Beschluss v. 09.10.2002 – 5 StR 42/02 = BGHSt 48, 34 ff. = NJW 2003, 150 ff.), in welchem ein Ausländer von Skinheads durch eine Ortschaft gejagt wurde, bis dieser sich nicht mehr zu helfen wusste und aus Angst durch eine von ihm eingetretene Glastür in ein Anwesen sprang, wo er aufgrund von Schnittverletzungen verblutete. Hier hat der BGH – im Gegensatz zum früheren Rötzel-Fall – den Zurechnungszusammenhang auch aufgrund der eigenen Verletzungshandlung des Opfers nicht abgelehnt, da dessen Reaktion „eine naheliegende und nachvollziehbare Reaktion auf den massiven Angriff der Angeklagten“ gewesen sei, welche sich bei durch Gewalt und Drohung geprägten Straftaten geradezu als „deliktstypisch“ darstelle. Gleiches muss dann aber auch für das Opfer im vorliegenden Sachverhalt Geltung beanspruchen, da auch die G von Angst vor den Angriffen des A getrieben war, als sie versuchte, von ihrem Fenster aus den benachbarten Balkon zu erreichen und schlussendlich abstürzte. Der Rötzel-Fall würde daher nach aktueller Rechtsprechung wohl anders beurteilt werden als zum Zeitpunkt des tatsächlichen Urteils im September 1970. Mit den vorgestellten Weiterungen entfernt sich der BGH freilich von seiner ursprünglichen Intention, den Zurechnungszusammenhang bei der Körperverletzung mit Todesfolge enger zu bestimmen als bei einer „einfachen“ fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB, gegen deren Vorliegen er ja auch in der hiesigen Entscheidung keine Bedenken hegte. Wohin eine zu großzügige Aufweichung des Unmittelbarkeits-Kriteriums führen kann, ist dabei krass im sog. Hochsitz-Fall zu beobachten (BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82 = BGHSt 31, 96 ff. = NJW 1982, 2831 f.): Hier hatte der Angeklagte einen Hochsitz umgeworfen, auf dem sein Onkel, der später verstorbene D, saß, um die Jagd auszuüben. D fiel herunter und brach sich dabei den rechten Knöchel. Der Bruch wurde in einer Klinik operativ behandelt und der Verletzte sodann aus dem Krankenhaus entlassen, ohne dass ihm vorher blutverflüssigende Mittel gegeben oder eine gebotene Nachsorge vorgenommen worden wäre. Als D wenig später an einer Lungenembolie in Verbindung mit einer Lungenentzündung verstarb, die sich in Abhängigkeit zu dem verletzungsbedingten längeren Krankenlager entwickelt hatte, wurde dies vom BGH dem Angeklagten zugerechnet, obwohl die Komplikationen maßgeblich auf Fehlentscheidungen des Krankenhauses zurückzuführen waren. Inwiefern in diesem Fall aber noch „strengere“ Kriterien für die Zurechnung des Todeserfolgs im Vergleich zur „einfachen“ fahrlässigen Tötung angewendet wurden, ist nicht mehr ersichtlich.

13.12.2012/1 Kommentar/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-12-13 10:00:212012-12-13 10:00:21Strafrechts-Klassiker: Der Rötzel-Fall
Christian Muders

BGH: (Nochmal) zur Körperverletzung mit Todesfolge bei Brechmitteleinsatz

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Anm. zu BGH, Urteil v. 20.06.2012 – 5 StR 536/11 (= NJW 2012, 2453)
1. Um was geht es?
Die Polizeibeamten K und F nahmen den unbestraften, aus Sierra Leone stammenden C am 4. Dezember 2004 um 0.10 Uhr wegen des Verdachts des illegalen Kokainhandels vorläufig fest. Bevor C auf Aufforderung der Polizeibeamten den Mund öffnete, sahen sie dessen deutliche Schluckbewegungen und gingen aufgrund kriminalistischer Erfahrung mit „Kleindealern“ von einem Verschlucken von Kokainbehältnissen aus. Der Polizeibeamte K ordnete daher den sofortigen Brechmitteleinsatz (Exkorporation) der Drogenbehältnisse gemäß § 81a StPO an. Der Angeklagte A, ein im Beweismittelsicherungsdienst tätiger Arzt, führte diesen durch Legen einer Nasen-Magen-Sonde im Behandlungszimmer des Polizeigewahrsams aus, nachdem er den C zunächst oberflächlich körperlich untersucht hatte und keine Auffälligkeiten feststellen konnte. Da es in Folge der Durchführung des Brechmitteleinsatzes zunächst zu Komplikationen bei C kam, der nicht mehr ansprechbar war und erkennbar „eingetrübt“ wirkte, wurden ein Notarzt samt Rettungssanitäter benachrichtigt. Diese verabreichten dem C die Infusion eines Notfallmedikaments sowie eine Gabe Sauerstoff. Als der Verdächtige wieder einigermaßen stabil schien, wurde die Exkorporation sodann durch A nach einer oberflächlichen Überprüfung der Vitalfunktionen erneut fortgeführt, nachdem er den Notarzt vorab gebeten hatte, noch zu bleiben. Der C fiel bei dieser Fortsetzung der Maßnahme ins Koma und verstarb mehrere Wochen später.
Nachdem das LG Bremen den A zunächst freigesprochen hatte, hob der BGH mit Urteil v. 29.04.2010 – 5 StR 18/10 (= BGHSt 55, 121 ff. = BGH, NJW 2010, 2595 ff.) diese Entscheidung auf und verwies die Sache zurück an eine andere Schwurgerichtskammer des LG. Nachdem auch diese zu einem Freispruch des A kam, hatte der BGH nunmehr erneut zu entscheiden. Die zweite Schwurgerichtskammer hat ihren erneuten Freispruch u.a. darauf gestützt, dass die konkrete Todesursache des C nicht mit der für eine Verurteilung hinreichenden Sicherheit festgestellt werden könne. Zwar hielt es das Gericht für sehr wahrscheinlich, dass Todesursache bei C eine Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff als Folge von Ertrinken nach Eindringen des über den Magenschlauch zugeführten Wassers in die Lunge (Aspiration) bei forciertem Erbrechen war. Allerdings lasse es sich nicht ausschließen, dass bei dem Tod des C auch andere Faktoren, u.a. ein chronischer Herzmuskelschaden, jedenfalls im Sinne eines „multifaktoriellen Geschehens“ mitgewirkt haben könnten, was für A aber nicht vorhersehbar gewesen sei (Sachverhalt etwas vereinfacht).
2. Was sagt der BGH?
Der BGH hat das Urteil des LG Bremen erneut aufgehoben und die Sache wiederum an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts verwiesen. Er hat angenommen, dass aufgrund des durch die beiden Eingangsinstanzen festgestellten Sachverhalts (weiterhin) eine Verurteilung des A wegen Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 Abs. 1 StGB, in Betracht komme.
a) Vorliegen des § 223 Abs. 1 StGB
Die Körperverletzung mit Todesfolge ist eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination in Gestalt eines sog. erfolgsqualifizierten Delikts. Danach muss zunächst der Grundtatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB (ggf. auch qualifiziert nach §§ 224 Abs. 1, 225 Abs. 1 Alt. 1 StGB) vorliegen, was in der Klausur vorweg erörtert werden kann.
aa) Tatbestand
Der BGH ist zunächst ohne größere Problematisierung davon ausgegangen, dass der objektive und subjektive Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB durch das Verabreichen von Brechmitteln mittels einer Nasen-Magen-Sonde verwirklicht wurde. Dies ist insoweit unproblematisch, als dass das Setzen der Sonde einen substantiellen Eingriff in den Körper des C und das Auslösen von Erbrechen eine wesentliche Störung der körperlichen Funktionen darstellt, so dass sowohl eine körperliche Misshandlung als auch eine Gesundheitsschädigung bei C vorliegen.
bb) Rechtswidrigkeit
Sodann war zu entscheiden, ob die als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu bewertende Exkorporation nicht durch die strafprozessuale Eingriffsnorm des § 81a StPO gedeckt und also gerechtfertigt werden konnte. Dies war indes aus zwei Gründen ausgeschlossen:
(1) Zum einen stellt sich der körperliche Eingriff durch Brechmitteleinsatz in der vorliegenden Situation als unverhältnismäßig dar. Hierfür kann an eine (allerdings nach der maßgeblichen Tat ergangene) Entscheidung des EGMR (Urteil v. 11. 7. 2006 – 54810/00 [= NJW 2006, 3117 ff.]) angeknüpft werden, der das Einführen einer Nasen-Magen-Sonde zur Verabreichung von Brechmitteln als Verletzung der EMRK bewertet hatte, sofern hiermit nur einige wenige Drogenkügelchen zu Tage gefördert werden sollen; angesichts der damit einhergehenden Gesundheitsgefahren und der Tatsache, dass in solchen Fällen der Kleinkriminalität die Drogenkügelchen auch im Wege der natürlichen Ausscheidung erlangt werden können, verstoße eine solche Behandlung (u.a.) gegen das Folterverbot nach Art. 3 EMRK, so dass ein solcher Eingriff nicht auf § 81a StPO gestützt werden könne.
(2) Des Weiteren war vorliegend zu beachten, dass (jedenfalls) die Fortsetzung der Brechmittelverabreichung, nachdem der C hierauf bereits körperlich negativ reagiert hatte, auch gegen § 81a Abs. 1 S. 2 StPO verstieß, wonach bei einer körperlichen Untersuchung im Sinne der vorgenannten Norm kein Nachteil für die Gesundheit des Beschuldigten zu befürchten sein darf:

Es kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des § 81a StPO nicht ein engerer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist, als ihn das Landgericht verwendet hat (…). Jedenfalls hat die Schwurgerichtskammer den aktuellen Gesundheitszustand des Verstorbenen (vgl. Meyer-Goßner aaO) nicht hinreichend in seine – im Übrigen durch keinen der zahlreichen Sachverständigen gestützte – Wertung einbezogen, dass ein erfahrener Facharzt bei Fortsetzung der Exkorporation nicht mit Nachteilen für dessen Gesundheit habe rechnen müssen. Rechtsfehlerhaft hat sie ferner hinsichtlich der Voraussetzungen des § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO (…) darauf abgestellt, dass sich die Aspirationsgefahr aus der Sicht ex post nicht zu ihrer Überzeugung verwirklicht habe (u.a. S. 101). Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, ob bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage aus der Sicht ex ante bei Fortsetzung der Exkorporation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Nachteile zu erwarten waren (…). Das ist nach dem durch das Landgericht festgestellten Geschehen unzweifelhaft zu bejahen.

Diese Wertung des BGH ist überzeugend: Selbstverständlich kann es nicht darauf ankommen, ob sich im Nachhinein (ex post), gerade die Gefahren der Exkorporation tatsächlich im Tod des Opfers verwirklicht haben, vielmehr ist nach dem Wortlaut des § 81a StPO, wonach eine Gesundheitsgefahr nur „zu befürchten“ sein muss, ein Verstoß gegen Abs. 1 S. 2 der Norm bereits dann anzunehmen, wenn ex ante eine durch den körperlichen Eingriff bedingte Gesundheitsschädigung möglich erscheint – was nach der Wertung der Schwurgerichtskammer, die sogar eine schlussendliche Realisation der Gefahrenlage durch Ertrinken des C aufgrund der fortgeführten Exkorporation als „sehr wahrscheinlich“ einstufte, erfüllt war.
cc) Schuld
Entschuldigungsgründe im engeren Sinn sind für den vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Allerdings hat sich der BGH mit mehreren potentiellen Irrtümern des A befasst, die Auswirkung auf dessen Schuld haben könnten:
(1) Hierbei ist zunächst der Umstand zu bewerten, dass die Entscheidung des EGMR, die von der generellen Unverhältnismäßigkeit einer Exkorporation zur Erlangung verschluckter Kokainbehältnisse ausgeht, erst nach der Tat des A ergangen ist, während diese Praxis zuvor von mehreren deutschen Gerichten nicht beanstandet worden war. Insoweit hat bereits die erste Entscheidung des BGH v. 29.04.2010 – 5 StR 18/10 – die Möglichkeit eines schuldausschließenden Irrtums zugunsten des A erwogen, dessen Einstufung freilich offen gelassen wurde:

Dass der vom Angeklagten verantwortete und vollzogene Brechmitteleinsatz nach objektiven Maßstäben aus derzeitiger – im Anschluss an EGMR NJW 2006, 3117 geläuterter – Sicht eindeutig als Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zu werten ist, stellt das Ergebnis noch nicht in Frage; insoweit ist ihm angesichts zur Tatzeit anerkannter Rechtsprechung (OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270; KG JR 2001, 162) ein Erlaubnistatbestandsirrtum oder ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zuzubilligen.

Tatsächlich dürfte vorliegend insoweit allein ein (indirekter) Verbotsirrtum in Betracht kommen. Es ist davon auszugehen, dass der A die tatsächlichen Umstände, die eine Unverhältnismäßigkeit des Brechmitteleinsatzes begründen (nicht unwesentliche Gefahren für die Gesundheit des Opfers bei einer Exkorporation; Ausscheiden der Drogen auf natürlichem Wege), zutreffend erfasst hatte, lediglich die hieraus folgende (genuin strafrechtliche) Wertung, dass nach Abwägung dieser Umstände eine Rechtfertigung nach § 81a StPO nicht in Betracht kommt, verkannte. A hat also den existenten Rechtfertigungsgrund des § 81a StPO im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Anwendung zu eigenen Gunsten überdehnt, was, da ihm die deutsche Rechtsprechung in diesem Punkt damals noch Schützenhilfe leistete, zu einem indirekten, unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB führt.
(2) Dieser unvermeidbare Verbotsirrtum führt nach Auffassung des BGH aber nicht zur (endgültigen) Entlastung des A, da der fortgesetzte Einsatz des Brechmittels nach Eintreten der ersten Komplikationen und dem Eintreffen des Notarztes auch unabhängig von der damals noch angenommenen, generellen Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme im konkreten Fall (im Hinblick auf § 81a Abs. 1 S. 2 StPO) nicht vertretbar gewesen sei. Insofern sieht der BGH auch keinen Erlaubnistatbestandsirrtum bei A durch Verkennen des ernsten Zustandes des C als gegeben an:

Auch am Körperverletzungsvorsatz ist nicht zu zweifeln. Namentlich sind den Feststellungen nicht die Voraussetzungen für einen etwaigen vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 – 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384) infolge Verkennung der für den Verstorbenen bestehenden Gefahrenlage zu entnehmen. Die Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben (vgl. oben), läuft der Annahme einer in dieser Hinsicht bestehenden Fehlvorstellung des Angeklagten zuwider.

Demgemäß kann die Annahme des A, trotz der eingetretenen gesundheitlichen Komplikationen und unter Hinzuziehung des Notarztes mit dem Brechmitteleinsatz fortfahren zu dürfen, allenfalls als weiterer, diesmal jedoch vermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 S. 2 StGB klassifiziert werden, welcher eine Bestrafung des A jedenfalls „dem Grunde nach“ (anders ist ggf. für eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB zu entscheiden) nicht hindert.
(3) Im Ergebnis ergibt sich vorliegend also ein Fall des Doppelirrtums, der den Täter nicht entlastet, nur dass er nicht in der (bekannteren) Kombination von Erlaubnis- und (vermeidbarem) Verbotsirrtum, sondern in der etwas exotischeren Variante von unvermeidbarem und vermeidbarem Verbotsirrtum auftritt. Der A handelte demgemäß auch schuldhaft.
b) Vorliegen der Qualifikationsmerkmale des § 227 Abs. 1 StGB:
Nach Verwirklichung des Grunddelikts sind sodann die Voraussetzungen der Erfolgsqualifikation des § 227 Abs. 1 StGB zu prüfen.
aa) Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs
Der Tod des C wurde auch nach den Wertungen der zweiten Schwurgerichtskammer (zumindest auch) durch den fortgesetzten Brechmitteleinsatz bei C bedingt, so dass ein „einfacher“ Ursachenzusammenhang zwischen qualifiziertem Erfolg und Grunddelikt i.S.d. conditio-sine-qua-non-Formel zu bejahen ist.
bb) Zurechnungszusammenhang
Auch der bei den erfolgsqualifzierten Delikten zu fordernde „unmittelbare“ bzw. „besondere Schutzzweckzusammenhang“ zwischen Grunddelikt und eingetretener schwerer Folge liegt nach Auffassung des BGH vor.
(1) Dabei ist zunächst einmal zu betonen, dass es vorliegend nicht auf den bekannten Streit zwischen Letalitätstheorie und derjenigen Ansicht, die (auch) eine Verursachung des Todes durch die Körperverletzungshandlung ausreichen lässt, ankommt. Da hier der Tod durch das Einführen der Nasen-Magen-Sonde und Verabreichen des Brechmittels – als vorsätzlich herbeigeführter, tatbestandsmäßiger Körperverletzungserfolg – hervorgerufen wurde, scheidet vielmehr nach beiden Meinungen ein Zurechnungszusammenhang insofern nicht aus.
(2) Darüber hinaus führen auch die von der Schwurgerichtskammer festgestellten Besonderheiten in der Konstitution des Opfers, die den Tod des C jedenfalls (mit-)bedingt haben könnten, nach dem BGH nicht zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs:

Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte mit den in Fortsetzung der Exkorporation getroffenen Maßnahmen den Eintritt des Todeserfolgs verursacht hat. Auch bei angenommener Todesursache eines multifaktoriellen Geschehens ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang keinen Zweifeln ausgesetzt. Denn auch dann hat sich die der Verwirklichung des Grunddelikts eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr im tödlichen Ausgang verwirklicht (vgl. hierzu etwa BGH, Urteile vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96; vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1; vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05; BGHSt 51, 18, 21; und vom 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07 BGHR StGB § 227 Todesfolge 6). Die etwa mitwirkende unerkannte Herzvorschädigung des Verstorbenen führt dabei nicht zur Annahme eines außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegenden, als Verkettung außergewöhnlicher, unglücklicher Umstände anzusehenden und deshalb dem Angeklagten nicht anzulastenden Geschehens.

cc) Objektive Fahrlässigkeit des Täters
(Objektiv) fahrlässig handelt ein Täter bekanntermaßen dann, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt, obwohl der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für eine Person seines einschlägigen Verkehrskreises vorherseh- und vermeidbar war.
(1) Insofern ist zunächst einmal eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung des A zu bejahen. Im Bereich der erfolgsqualifizierten Delikte ergibt sich eine solche Sorgfaltspflichtverletzung regelmäßig bereits aus der von der Herbeiführung des erfolgsqualifizierten Delikts zu trennenden, vorsätzlichen Verwirklichung des Grunddelikts, wobei sich allerdings hier – da eine Rechtfertigung der unstr. als Körperverletzung zu wertenden Maßnahme nach § 81a StPO in Betracht kam – die Sorgfaltspflichtverletzung m.E. (auch) auf die Verkennung der Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes bezieht. Der BGH führt hierzu aus:

Im Rahmen des § 227 StGB ist, weil schon in der Begehung des Grunddelikts eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liegt, alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs (BGH, Urteile vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, und vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21).

Diese vom Gericht gewählte Formulierung ist freilich insofern unglücklich, als natürlich auch bei § 227 StGB eine Sorgfaltspflichtverletzung vonnöten ist, nur dass diese über die bereits festgestellte Verwirklichung des Grunddelikts hinaus keine weiteren Anforderungen stellt. Dennoch sollte in Klausuren natürlich trotzdem das Vorliegen dieses Merkmals kurz benannt werden. Auch wird die ebenfalls von der obenstehenden Definition geforderte Vermeidbarkeit des Erfolges vom BGH komplett ignoriert, aber wohl nur, weil eine solche bei Vorhersehbarkeit des Erfolgs grundsätzlich anzunehmen und dementsprechend nur dann näher zu problematisieren ist, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass in der konkreten Situation trotzdem eine Verhinderung des Erfolgs nicht möglich war.
(2) Sodann ist die (objektive) Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs zu prüfen, die vom Landgericht noch verneint wurde, was der BGH in seinem Urteil nunmehr korrigiert:

Für die Vorhersehbarkeit] (…) ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Todeseintritt vorausgesehen werden konnte oder ob aus dieser Sicht die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (BGHSt aaO mwN). (…) An diesen Grundsätzen gemessen steht die Vorhersehbarkeit des Todeseintritts auch auf der Basis des durch das Landgericht als todesursächlich unterstellten multifaktoriellen Geschehens nicht in Frage. Zwar konnte der Herzschaden im Zeitpunkt der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten ohne eingehende körperliche Untersuchung nicht diagnostiziert werden. Ebenso nimmt die Schwurgerichtskammer nachvollziehbar an, dass die Einzelheiten des tödlichen Ablaufs nicht absehbar gewesen sind. Das ist jedoch auch nicht erforderlich; denn die (…) Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs, mithin auch nicht auf die konkrete Todesursache erstrecken (…). Mit Komplikationen auch aufgrund nicht auf den ersten Blick erkennbarer Vorschädigungen muss der Fachkundige – zumal in Ermangelung einer gründlichen Untersuchung – bei einem so gearteten Zwangseingriff vielmehr stets rechnen. (…) Das Wissen um solche Risiken gehört naturgemäß auch zum beruflichen Erfahrungsbereich des nach den Feststellungen der nunmehr entscheidenden Schwurgerichtskammer überdies vielfach mit – wenngleich nicht zwangsweise durchgeführten – Exkorporationen befassten und über deren Risiken wohl informierten (vgl. UA S. 11, 14) Angeklagten.

Dieser Wertung des BGH ist zuzustimmen. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass dann, wenn bereits ein – i.Ü. auch vom LG angenommener! – „enger“ Zurechnungszusammenhang zwischen Körperverletzung und qualifizierten Erfolg bejaht wird, dies erst Recht auch für die (objektive) Vorhersehbarkeit im Rahmen der Fahrlässigkeit gelten muss. Das Urteil der Schwurgerichtskammer ist also in diesem Punkt als widersprüchlich anzusehen. Die Erforderlichkeit eines Erkennens des spezifischen Ursachenzusammenhangs in allen Einzelheiten, wie sie offenbar vom LG verlangt wird, ist dabei auch deswegen abzulehnen, weil gerade aufgrund der konkreten körperlichen Reaktionen des C, die dieser nach Durchführung der ersten Exkorporation zeigte, gem. der insoweit maßgeblichen Vorschrift des § 81a Abs. 1 S. 2 StPO bereits ein Verzicht des A auf weitere körperliche Eingriffe angezeigt war. Dass dieser sich im Anschluss darauf beschränkte, allein eine oberflächliche Prüfung der aktuellen Vitalfunktionen des C vorzunehmen, im Übrigen aber die Exkorporation erneut fortsetzte, kann ihm daher – i.S.e. Übernahmefahrlässigkeit – nicht zur Entlastung gereichen.
dd) Rechtswidrigkeit und Schuld, insb. individuelle Fahrlässigkeit
Auch im Hinblick auf den Qualifikationstatbestand des § 227 Abs. 1 StGB ist eine Rechtfertigung des Handelns des A („erst Recht“) abzulehnen. Bei der Schuld gilt zunächst bzgl. der fehlenden Relevanz der Fehlvorstellungen des Täters das oben Gesagte. Zusätzlich ist auch eine – nach dem herrschenden zweigliedrigen Fahrlässigkeitsbegriff hier zu prüfende – individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Geschehens zu Lasten des A anzunehmen.
3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
Bereits die Vorgängerentscheidung des BGH hat eine Welle von Aufmerksamkeit provoziert (vgl. nur die Anm. von Brüning, ZJS 2010, 549 ff.; Eidam, NJW 2010, 2599 f. sowie den Aufsatz von Krüger/Kroke, Jura 2011, 289 ff.), sodass das erneute Urteil in dieser Sache durchaus das Potential hat, den Sachverhalt im Hinblick auf anstehende Prüfungsleistungen wiederholt interessant zu machen. Relevant erscheint dabei insbesondere der Umgang des Prüflings mit den Voraussetzungen bzgl. der Vorhersehbarkeit des Todes von C (ex ante-, nicht ex post-Betrachtung entscheidend, keine Kenntnis der Einzelheiten erforderlich) – aber auch – sofern der Sachverhalt hierzu explizite Angaben macht – mit Fehlvorstellungen des A bzgl. der Rechtmäßigkeit des Brechmitteleinsatzes, die hier an zwei Anknüpfungspunkten festgemacht werden können.
Weiterhin ist aus Prüfersicht interessant, dass vorliegend nur die Mutter des Opfers als Nebenklägerin Revision eingelegt hatte, deren Geltendmachung sachlich-rechtlicher Gesetzesverletzungen jedoch beschränkt ist: So hätte sie etwa eine einfache, auch vorsätzliche Körperverletzung des A grundsätzlich nicht zur Revision berechtigt, da eine Nebenklage von nahen Angehörigen des unmittelbaren Opfers nur zulässig ist, wenn entweder ein Delikt mit zurechenbarer Todesfolge im Raum steht oder aber das Verfahren aufgrund eines Klageerzwingungsverfahrens eingeleitet wurde (§ 395 Abs. 2 StPO).
Im Hinblick auf die Prüfungsreihenfolge bei den Merkmalen des § 227 Abs. 1 StGB ist schließlich noch anzumerken, dass die objektive Fahrlässigkeitsprüfung natürlich auch, wie das einige Prüfschemata vorsehen, vor die Prüfung des Schutzzweckzusammenhangs gezogen werden kann. M.E. bietet sich aber zumindest dann, wenn dort das eigentliche Problem der Prüfung des § 227 Abs. 1 StGB liegt, ein Vorziehen der letztgenannten Voraussetzung an. Wenn nämlich bereits nach dem (strengen)  Zurechnungszusammenhang eine ausreichend enge Verbindung zwischen Grunddelikt und qualifiziertem Erfolg besteht, muss dies ebenso für den – regelmäßig geringere Anforderungen stellenden – Fahrlässigkeitszusammenhang gelten, wie auch die unterschiedlich hohen Strafrahmen der §§ 222, 223, 52 StGB einerseits und § 227 StGB andererseits belegen.

24.08.2012/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-08-24 14:00:172012-08-24 14:00:17BGH: (Nochmal) zur Körperverletzung mit Todesfolge bei Brechmitteleinsatz
Christian Muders

OLG Celle: (Nochmals) zur Erfolgszurechnung bei mittelbarer Verursachung einer fahrlässigen Tötung – 2 Fast 2 Furious

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Anm. zu OLG Celle, Urteil vom 25. 4. 2012 – 31 Ss 7/12 = NZV 2012, 345 ff.
1. Um was geht es?
Autofahrer A war mit seinem Wagen auf der Bundesstraße 442 nach B. unterwegs. Hinter einer Ortschaft versuchte er, vor einer nahenden, sich nach hinten verjüngenden Linkskurve mit seinem Pkw das Fahrzeug des Nebenklägers N zu überholen, in welchem sich neben diesen noch drei weitere Insassen befanden. Der N bemerkte die Absicht des A durch einen Blick in seinen Rückspiegel. Er wollte es sich aber nicht bieten lassen, von A überholt zu werden und beschleunigte seinen Wagen ebenfalls. A erkannte das Fahrmanöver des N, wollte aber seinen Überholvorgang unbedingt noch vor der Kurve zu Ende bringen. So beschleunigte auch er weiter, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch zwei Sekunden Zeit gehabt hätte, sein Fahrmanöver abzubrechen und gefahrlos hinter dem N einzuscheren. Dies wäre auch geboten gewesen, da sich von vorne die Zeugin Z mit ihrem Fahrzeug näherte. Die Erhöhung der Geschwindigkeit durch N reichte schlussendlich nicht aus, um dem A seinen Überholvorgang endgültig zu verwehren, der mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 20 km/h das rechts neben ihm fahrende Fahrzeug passierte. Die Zeugin Z wich mit ihrem Wagen auf den Seitenstreifen aus, um eine Kollision mit A zu vermeiden. Als sich der A etwa zwei Fahrzeuglängen noch auf der Gegenfahrbahn fahrend vor dem N befand, lenkte dieser zu spät sein Fahrzeug nach links in die Kurve ein, um diese gefahrlos durchfahren zu können. Er geriet mit seinen rechten Rädern auf das Bankett, kam in eine Dreh-Schleuderbewegung und stieß mit seiner rechten Fahrzeughälfte und einer Geschwindigkeit von 100-110 km/h gegen einen am Fahrbahnrand stehenden Baum. Die neben dem N im Fahrzeug sitzenden Insassen waren sofort tot. Während das AG den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt hatte, sprach ihn das LG von diesem Vorwurf frei.
2. Was sagt das OLG?
Das OLG hat die Entscheidung des LG aufgehoben und den A neben Straßenverkehrsdelikten auch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Dabei hat es sich auf eine vergleichbare Entscheidung des BGH vom November 2008 gestützt (BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 = BGHSt 53, 55 ff. – Aufbereitung hier) und ist andererseits einer abweichenden Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 19.04.2011 – 2 Ss 14/11) nicht gefolgt. Aber der Reihe nach:
a) Vorliegen eines fahrlässigen Verhaltens des A durch den Überholvorgang:
Das OLG Celle definiert zunächst geradezu schulmäßig die Voraussetzungen einer fahrlässigen Tathandlung gem. § 222 StGB:

Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (…).

Sodann bejaht das OLG Celle zunächst die objektive Pflichtverletzung des A. Hierbei rekurriert es auf diverse Normen der StVO, die der A bei seinem Überholvorgang nicht beachtet hat:

Seine Pflichten als Fahrzeugführer hat der Angeklagte verletzt, indem er den Überholvorgang vorschriftswidrig durchgeführt hat. Er hat nämlich zum einen überholt, obwohl er nicht übersehen konnte, ob während des ganzen Überholvorganges jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO). Zum anderen war das Überholen für ihn auch deshalb unzulässig, weil aufgrund des Beschleunigens des Nebenklägers und der Annäherung an die sich nach hinten verjüngende Kurve für den Angeklagten eine unklare Verkehrslage bestand (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Des Weiteren hat er seine Pflichten als Fahrzeugführer verletzt, indem er entgegen § 1 Abs. 2 StVO nicht alles unternommen hat, um die mit dem Überholvorgang verbundene Gefährdung zu vermeiden, und schließlich die im Bereich des Unfallorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erheblich überschritten hat.

Im Folgenden bejaht das Gericht sowohl die objektive und subjektive Vermeidbarkeit als auch eine entsprechende Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs für A. Dabei stellt es fest, dass der A, als er den Beschleunigungsvorgang des N bemerkte, das Überholmanöver noch hätte abbrechen können. Eine (generelle) Vorhersehbarkeit dergestalt, dass ein Beharren auf einen Überholvorgang unter den im Sachverhalt genannten Umständen (überhöhte Geschwindigkeit, nahender Kurvenbereich) zu einem Unfall, ggf. mit tödlichen Ausgang, führen kann, sieht das OLG ebenfalls als gegeben.
b) Zurechenbarkeit des Todes der Beifahrer des N:
Sodann stellt sich das Gericht allerdings die Frage, ob der fahrlässig herbeigeführte Erfolg dem A auch (objektiv) zurechenbar ist. Unter dem Begriff der „objektiven Zurechnung“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgruppen behandelt, welche die Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Erfolg ausschließen können. Dazu zählt auch der Fall, dass sich der Erfolg als Resultat einer Selbstgefährdung des Opfers oder einem, dieser gleichzustellenden, Einverständnis in eine Fremdgefährdung durch den Täter darstellt. Insofern sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden:
aa) Konstellation 1: Selbstgefährdung des Opfers.
Unstrittig keine Zurechnung des Erfolgs an eine fahrlässig handelnde Person ist nach der Rspr. dann möglich, wenn diese nur an einer Selbstgefährdung des Opfers teilnimmt. „Teilnahme“ ist dabei durchaus i.S.d. Begrifflichkeit der §§ 26 f. StGB zu verstehen, da eine von der Rpsr. anerkannte Selbstgefährdung des Opfers erst dann vorliegt, wenn nicht der potentielle Fahrlässigkeitstäter, sondern allein das spätere Opfer das unmittelbar zum Erfolg führende Geschehen i.S.d. Tatherrschaftslehre „beherrscht“ hat. Die Begründung für einen solchen Ausschluss der Verantwortung des „Teilnehmers“ ist freilich problematisch. Teilweise wird darauf verwiesen, dass bei vorsätzlicher Selbstverletzung des Opfers unstrittig keine teilnahmefähige Haupttat vorhanden ist, so dass eine Anstiftung bzw. Beihilfe ausscheidet. Dies müsse aber erst recht dann gelten, wenn eine Beteiligung nicht an einer vorsätzlichen Verletzung, sondern nur Gefährdung erfolgt (vgl. auch MK-Hardtung, 1. Aufl. 2003, § 222 Rn. 21 m.w.N.). Fraglich ist diese Argumentation indes insofern, als nicht die Strafbarkeit der Beteiligung an einer vorsätzlichen Gefährdung, sondern an einer fahrlässigen (Selbst-)Verletzung in Rede steht. Da der Begriff des Fahrlässigkeitstäters aber weit verstanden wird („Einheitstäterbegriff“), also grds. auch die Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe erfasst (dazu Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 25 Rn. 82), ist der Vergleich mit der Straflosigkeit bei vorsätzlicher Deliktsbegehung zumindest zweifelhaft. Eine variierende Argumentationslinie stützt sich daher vornehmlich auf die autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers, die es zu respektieren gelte: Selbstschädigendes Verhalten ist danach Ausdruck einer unantastbaren Autonomie des Schädigers, die nicht nur seine eigene Strafbarkeit nach dem einschlägigen Delikt sperrt, sondern auch die Strafbarkeit eines hieran nicht täterschaftlich Beteiligten hindert (MK-Duttge, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 151).
bb) Konstellation 2: Gefährdung durch den Täter.
Der vorliegende Fall war indes anders gelagert, da es nicht um Gütereinbußen des Fahrers des letztendlich verunfallten Pkw (also des Nebenklägers N) ging, der sich mit seinem Fahrmanöver ebenfalls pflichtwidrig verhalten hatte und jedenfalls eine dem A entsprechende Tatherrschaft über das Geschehen aufwies. Vielmehr bildete der Tod seiner Mitinsassen den Anknüpfungspunkt für ein strafrechtliches Unwerturteil gegen A. Das OLG führt insofern überzeugend aus, dass diese gerade keine Tatherrschaft über das Geschehen gehabt hätten, und zwar weder im Hinblick auf die Steuerung des zu überholenden Fahrzeugs, welches allein der N führte, noch (erst Recht) im Hinblick auf den überholenden Pkw des A. Das OLG verweist dabei auf die bereits oben benannte Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., in der es um die Strafbarkeit für ein illegales Autorennen ging, bei dem ebenfalls ein Beifahrer eines der beiden Rennteilnehmer zu Schaden kam. Das OLG nimmt an, dass der vorliegende Fall mit dem Fall des illegalen Autorennens durchaus vergleichbar ist:

Dass es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um ein zwischen den Fahrzeugführern vorher vereinbartes Rennen gehandelt hat, steht der Übertragung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn die Zurechnung beruhte dort nicht allein auf der Absprache des illegalen Rennens, sondern auch auf den während der Fahrt konkret begangenen Pflichtverletzungen beider Fahrer. Abgesehen davon handelte es sich im vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt, als der Nebenkläger beschleunigte, um den Angeklagten am Überholen zu hindern, und der Angeklagte dieses erkennend sein Fahrzeug umso mehr beschleunigte, um den Nebenkläger unbedingt zu überholen, faktisch um ein spontanes Rennen bzw. eine diesem gleichzustellende „Kraftprobe“.

cc) Konstellation 3: Gefährdung durch den Täter, aber mit Einwilligung des Opfers („einverständliche Fremdgefährdung“).
Eine der Selbstgefährdung der Opfer gleichzustellende Einwilligung in eine Fremdgefährdung sieht das OLG im vorliegenden Fall ebenfalls (anders als offenbar die Vorinstanz, Rn. 40 des Urteils) als nicht gegeben an. Eine solche wird im Rahmen des Straßenverkehrs insbesondere in Fällen angenommen, in denen ein Beifahrer trotz erkannter Alkoholisierung des Pkw-Führers bei diesem einsteigt und mitfährt. Diese Konstellation führt dann nach der h.L. dazu, dass es zu einem Zurechnungsausschluss kommt, wenn der Mitinsasse bei einem durch den Fahrer aufgrund des Alkohols verschuldeten Unfalls verletzt oder getötet wird, da eine solche Einwilligung in die Gefährdung durch den Fahrzeugführer einer Selbstgefährdung des Opfers gleichstehe (vgl. nur – mit Unterschieden in der Konstruktion – Wessels/Beulke, AT, 32. Aufl. 2002, Rn. 191; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11/121). Zu einer solchen Einwilligung in eine Fremdgefährdung durch die getöteten Mitinsassen des überholten Wagens bot der Sachverhalt des OLG indes keine Anhaltspunkte: Dass die Mitfahrer in das sorgfaltswidrige Verhalten des N noch gar des A eingewilligt hätten, ist nicht ersichtlich. Daran wäre etwa dann zu denken, wenn sie den N angefeuert hätten, sich den Überholvorgang des A nicht „bieten“ zu lassen und mittels Beschleunigung des Pkw zu zeigen, wer „Herr der Straße“ ist. Näher lag eine einverständliche Fremdgefährdung hingegen in der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., da der tödlich verunglückte Beifahrer hier vorsätzlich an dem illegalen Autorennen teilgenommen und dieses sogar gefilmt hatte. Indes hat der BGH in diesem Fall einer Einwilligung in die Gefährdung unter Hinweis auf § 216 StGB eine Abfuhr erteilt: Jedenfalls dann, wenn sich eine konkrete Todesgefahr abzeichne, sperre die vorgenannte Norm eine solche Zustimmung des Opfers. Fraglich erscheint, ob dann, wenn man mit Stimmen in der Literatur annimmt, dass auf die einverständliche Fremdgefährdung die Einwilligungssperren der §§ 216, 228 StGB, die vornehmlich auf die Zustimmung zu Rechtsgutsverletzungen zugeschnitten sind, nicht angewendet werden können (dazu Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar StGB, 5. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 224), zu einer Straflosigkeit des mittelbaren Unfallverursachers kommt. Indes dürfte die „einverständliche Fremdgefährdung“ auch dann nur den Tatbeitrag des Fahrers neutralisieren, in dessen Wagen die zustimmenden Mitfahrer sitzen; auf die Verantwortung für das pflichtwidrige Verhalten des „Gegners“, in das die Mitfahrer ja gerade nicht eingewilligt haben, sollte eine solche Zustimmung hingegen keine Auswirkungen haben.
dd) Konstellation 4: Beendete Gefährdung des Täters
Bleibt zuletzt im Hinblick auf den vorliegenden Fall noch die gegenteilige Ansicht des OLG Stuttgart aufzuarbeiten, die sich die Vorinstanz des OLG Celle, das LG Bückeburg, zur Begründung einer Straflosigkeit des A nach § 222 StGB ausdrücklich zu eigen gemacht hatte: Nach Meinung des OLG Stuttgart kann die Zurechnung eines Unfallerfolges an den mittelbaren Verursacher dann ausgeschlossen sein, wenn der unmittelbare Verursacher eigenverantwortlich handelt. Der Sachverhalt des Gerichts scheint dabei auf den ersten Blick durchaus Parallelen zu dem vom OLG Celle verhandelten Geschehen aufzuweisen: Auch dort ging es um ein pflichtwidriges Fahrverhalten des Angeklagten, der den späteren unmittelbaren Unfallverursacher zunächst beim Überholen behinderte. In der Folge fuhr dieser, nachdem er den Angeklagten überholt hatte, mit beschleunigter Geschwindigkeit in eine Kurve und erfasste einen Passanten, der am Wegesrand ging, tödlich. Indes war die dortige Entscheidung etwas anders gelagert, so dass nach Ansicht des OLG Celle eine Vorlage an den BGH wegen Divergenz nicht angezeigt ist:

Einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG bedarf es nicht. Denn der vorliegende Einzelfall liegt anders als der, welchen das Oberlandesgericht Stuttgart durch seinen Beschluss vom 19. April 2011 – 2 Ss 14/11 – entschieden hat. Dort war der Tod eines Passanten deshalb nicht dem Angeklagten zugerechnet worden, weil der unmittelbar den Unfall verursachende Fahrzeugführer, der sich durch den Angeklagten bei einem vorangegangenen Überholvorgang provoziert gefühlt hatte, erst „über einen Kilometer nach Abschluss des Überholvorgangs und damit 36 Sekunden später aus einem autonomen Entschluss heraus“ mit nicht angepasster Geschwindigkeit in eine scharfe Kurve gefahren war, dadurch die Beherrschung über sein Fahrzeug verloren und einen tödlichen Unfall verursacht hatte. Der andere Fahrzeugführer befand sich währenddessen hinter ihm und war zu diesem Zeitpunkt bereits zur verkehrsgerechten Fahrweise zurückgekehrt. Hier war indes der Überholvorgang des Angeklagten noch nicht beendet, als der Nebenkläger den zum Unfall mit tödlichem Ausgang führenden Fahrfehler machte; das Fahrzeug des Angeklagten befand sich vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch auf der Gegenfahrbahn und hatte lediglich einen Abstand von zwei Fahrzeuglängen zum Fahrzeug des Nebenklägers. Das Fahrverhalten des Angeklagten war auch nicht ohne Auswirkungen auf den Nebenkläger. So hat das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt: „Während seiner Beschleunigung wusste der Nebenkläger den Angeklagten neben sich und fuhr auf die ihm bekannte sich nach hinten verjüngende Kurve zu. Unter diesen Bedingungen brauchte der Nebenkläger seine volle Konzentration, um sein Fahrzeug weiter zu beherrschen und zu überblicken, welche Fahrmanöver der Angeklagte neben ihm vollziehen würde.“

Da in der Entscheidung des OLG Stuttgart das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten beim Unfall seines „Gegners“ bereits seinen Abschluss gefunden hatte und selbiger auf einem gänzlich neuen Tatentschluss des unmittelbaren Unfallverursachers (erneutes Beschleunigen des Fahrzeugs nach Abschluss des Überholvorgangs) beruhte, ist es gut vertretbar, hier einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang mit dem Tod des Passanten zu verneinen. Denn das vorangegangene „Sperren“ des Überholvorgangs des unmittelbaren Unfallverursachers durch den Angeklagten stellt zwar einen Pflichtverstoß dar; eine „Herrschaft“ bezüglich des dann neu ansetzenden Geschehens, welches unmittelbar zum Zusammenstoß mit dem Passanten führte, kann ihm aber kaum unterstellt werden.
3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
a) Die Entscheidung des OLG Celle setzt die Rspr. des BGH, die durch die mehrmals erwähnte Leitentscheidung begründet wurde, fort und bietet insofern nichts „bahnbrechend Neues“. Unabhängig davon wird mit dem Urteil allerdings die wichtige Frage der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen beim Fahrlässigkeitsdelikt erneut auf die Tagesordnung gesetzt, was die Prüfungsämter durchaus zu einem erneuten Abprüfen dieser Konstellation in einer Examensklausur animieren, aber auch zu entsprechenden Fallgestaltungen in der mündlichen Prüfung führen kann. Dies gilt gerade im Hinblick auf die zumindest im Leitsatz abweichende Entscheidung des OLG Stuttgart, auch wenn diese bzgl. des zu beurteilenden Sachverhalts etwas anders gelagert war.
b) Bzgl. der Bearbeitung eines entsprechenden Falles in der Klausur ist anzumerken, dass die vom OLG Celle in „einem Rutsch“ durchgeführte Fahrlässigkeitsprüfung in der Klausur selbstverständlich aufzuteilen ist, sofern man dem herrschenden zweiaktigen Fahrlässigkeitsaufbau folgt. Demgemäß sind allein der objektive Sorgfaltspflichtverstoß des Täters sowie die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit im Tatbestand zu prüfen, während die subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit Elemente der Schuld darstellen, also erst nach Bejahung einer objektiven Zurechenbarkeit des Taterfolgs anzusprechen sind.
c) Zuletzt sei im Hinblick auf die Terminologie ausdrücklich angemerkt, dass die Rechtsfigur der „einverständlichen Fremdgefährdung“ nichts mit dem Begriff des Einverständnisses zu tun hat, welches bekanntermaßen nur bei Tatbestandsmerkmalen, die explizit ein Handeln gegen bzw. ohne den Willen des Opfers voraussetzen, eingreifen kann. Vielmehr steht sie im Hinblick auf ihren dogmatischen Ursprung der Einwilligung nahe, nur dass sie nicht auf die Verletzung, sondern lediglich Gefährdung des tatbestandlichen Rechtsguts abzielt, der das spätere Opfer zustimmt. Dabei ist freilich zu beachten, dass die Einordnung der „einverständlichen Fremdgefährdung“ in den Straftataufbau umstritten ist, so dass sie teils bei der objektiven Zurechnung, teils aber auch als „echte“ Einwilligung erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft wird (vgl. dazu Roxin a.a.O. einer-, Wessels/Beulke a.a.O. andererseits). Diese Unsicherheiten hinsichtlich der dogmatischen Verortung werden i.Ü. auch bei der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff. sichtbar, die zunächst eine „einverständliche Fremdgefährdung“ bzgl. des Beifahrers des verunfallten Rennwagens im Rahmen der objektiven Zurechnung ablehnt, bevor sie sich im Anschluss noch mit der „Einwilligung“ desselben in den „Tod oder in das Risiko seines Todes“ beschäftigt. Wo der Unterschied zwischen dem Einverständnis in eine Fremdgefährdung und der Einwilligung in das Risiko des Todes liegen soll, erschließt sich dabei nicht recht. In der Klausurbearbeitung erscheint es m.E. vorzugswürdig, die „einverständliche Fremdgefährdung“ im Rahmen der objektiven Zurechnung zu verorten, da eine Rechtfertigung qua Einwilligung sich stets auf das Rechtsgut des Delikts beziehen muss. Dieses ist bei den §§ 222, 229 StGB aber nun einmal die Verletzung des Körpers bzw. Lebens, nicht allein die Gefährdung derselben. Demgegenüber enthält die Kategorie der objektiven Zurechnung keine vergleichbar trennscharfe Funktionsbeschreibung, so dass hier die mit der Einwilligung in eine Gefährdung verbundenen Fragen leichter untergebracht werden können.

17.07.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-07-17 10:00:072012-07-17 10:00:07OLG Celle: (Nochmals) zur Erfolgszurechnung bei mittelbarer Verursachung einer fahrlässigen Tötung – 2 Fast 2 Furious

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