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Schlagwortarchiv für: Verwaltungsrecht

Dr. Philip Musiol

Ein Königreich für eine Gaststättenlizenz – OVG Münster zur Zulässigkeit der Schließung des Vereinslokals des „Königreichs Deutschland“

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Beschluss vom 12.08.2022 (Az.: 4 B 61/21) entschied das OVG Münster im Eilverfahren unter anderem über die Zulässigkeit der Schließung und Versiegelung einer Gaststätte. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Entscheidung lohnt sich nicht nur angesichts des ungewöhnlichen Sachverhalts: Denn der Fall führt quer durch das gesamte Öffentliche Recht, was ihn für Prüfungsämter besonders interessant machen dürfte. Der Kern des Falls liegt im Ordnungs- und Verwaltungsvollstreckungsrecht, daneben stellen sich prozessuale und sogar völkerrechtliche Fragen. Dass der Schwerpunkt einer Examensklausur im Völkerrecht liegt, ist zwar genauso unwahrscheinlich, wie dass hierin vertiefte Kenntnisse erwartet werden. Trotzdem sehen die Prüfungsordnungen der meisten Bundesländer vor, dass zumindest „völkerrechtliche Bezüge“ Teil des Pflichtfachstoffs sind, s. etwa § 18 Abs. 2 Nr. 5 lit. a JAPO (Bayern).

I.             Der Sachverhalt

Die Antragstellerin betrieb in Köln eine Gaststätte, die sie als „Zweckbetrieb“ des „Königreichs Deutschland“ als Vereinslokal ohne gaststättenrechtliche Genehmigung führen wollte. Sie wies ihre Gäste darauf hin, dass das Lokal nur von „Staatsangehörigen und Zugehörigen des Königreichs Deutschland“ betreten werde dürfe, und dass die Gäste mit dem Betreten des Lokals temporär „Zugehörige des Königreichs Deutschland“ seien. Noch am Tag der Eröffnung kam es zu Verstößen gegen Hygienevorschriften zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Die Antragstellerin war der Ansicht, dass neben dem Recht des „Königreichs Deutschland“ keine weiteren Rechte und Pflichten – insbesondere nicht die Gesetze der Bundesrepublik – zu beachten seien. Nachdem es am Folgetag erneut zu Verstößen kam, schloss die Stadt Köln das Lokal und versiegelte es. Hiergegen ging die Antragstellerin um Eilverfahren vor. Im Rahmen des Eilverfahren beantragte sie „sinngemäß“, das „Königreich Deutschland“ beizuladen.

II.            Die Entscheidung

Das OVG entsprach dem Antrag, das „Königreich Deutschland“ beizuladen nicht. Dafür hätten die rechtlichen Interessen des „Königreichs“ als Drittem nach § 65 Abs. 1 VwGO durch die Entscheidung berührt werden müssen. Ein rechtliches Interesse besteht, wenn der Dritte in einer solchen Beziehung zu einem Hauptbeteiligten des Verfahrens oder zu dem Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte. Nach den Feststellungen des Gerichts fehlte es hieran, denn Betreiberin der Gaststätte war allein die Antragstellerin selbst, ebenso war sie allein Mieterin der Räumlichkeiten. Zur Untervermietung der Räumlichkeiten an das „Königreich Deutschland“ war sie dagegen ausdrücklich nicht berechtigt. Auch für das Vorbringen der Antragstellerin, dass sie das Lokal als „Zweckbetrieb“ für das „Königreich Deutschland“ betreibe, sah das OVG Münster „keine nachvollziehbare Grundlage im geltenden Recht“: An dieser Stelle thematisierte das OVG, ob es sich beim „Königreich Deutschland“ um einen Staat im Sinne des Völkerrechts handele. Maßgeblich für das Bestehen eines Staates ist das Vorhandensein eines Staatsvolks, eines Staatsgebiets und einer souveränen Staatsgewalt. Erforderlich ist, dass sich ein auf einem bestimmten Gebiet sesshaftes Volk unter einer selbstgesetzten, von keinem Staat abgeleiteten, effektiv wirksamen und dauerhaften Ordnung organisiert hat. Da das „Königreich Deutschland“ weder völkerrechtlich als Staat anerkannt ist noch über ein eigenes Staatsgebiet verfügt, handelt es sich um keinen Staat im Sinne des Völkerrechts. Daneben könne sich das „Königreich Deutschland“ dafür, dass Zweckbetriebe durch abhängige Inhaber betrieben werden, nicht auf Art. 9 Abs. 1 GG berufen. Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG sei nicht eröffnet, weil keine „dem in Deutschland geltenden Recht entsprechende Organisationsform erkennbar“ sei, aus der das „Königreich Deutschland“ auf Grundlage von Art. 9 GG eigene Rechte ableiten könnte.

Nach Ansicht des OVG Münster war die Schließung und Versiegelung des Lokals als Zwangsmaßnahme durch die Stadt Köln rechtmäßig. Die Maßnahme stützte sich dabei auf §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62, 66, 69 VwVG NRW, es handelte sich also um eine Maßnahme des sofortigen Vollzuges, mit der einer Gefahr begegnet werden sollte, die aufgrund außergewöhnlicher Dringlichkeit des behördlichen Eingreifens ein gestrecktes Verfahren nicht zugelassen hätte. Die Voraussetzungen hierfür lagen vor, die Stadt Köln war zu der im Wege der Versiegelung vollstreckten Schließung des Gaststättenbetriebs nach § 31 GastG iVm. § 15 Abs. 2 S. 1 GewO befugt. Nach § 31 GastG iVm. § 15 Abs. 1 S. 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen Behörde verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne diese Zulassung betrieben wird. Nach § 2 Abs. 1 GastG bedarf der Betrieb eines Gaststättengewerbes einer Erlaubnis. Ob eine Gaststätte vorliegt, richtet sich nach § 1 GastG. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin eine genehmigungspflichtige Gaststätte betrieb. Eine Ausnahme ergebe sich nicht aus § 23 Abs. 2 S. 1 GastG: Denn hierfür hätte das Lokal einem Verein im Sinne des BGB überlassen sein müssen, was, wie eingangs festgestellt, nicht der Fall war. Damit wäre eine Genehmigung erforderlich gewesen, die – unstreitig – nicht vorlag.

Die Antragstellerin war auch richtige Adressatin der Maßnahme, da sie allein Betreiberin der Gaststätte war. Dem „Königreich Deutschland“ standen keine Rechte an dem Betrieb zu, stattdessen war die Antragstellerin wie gesehen Vertragspartnerin des Mietvertrags sowie Vertragspartnerin sämtlicher Lieferanten.

Auch war die Anwendung von Verwaltungszwang für die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Einerseits handelte es sich angesichts der fehlenden Genehmigung um einen formell rechtswidrigen Gaststättenbetrieb. Andererseits wäre der Betrieb einer Gaststätte durch die Antragstellerin auch materiell rechtswidrig, die Antragstellerin sei „unzuverlässig“ im Sinne des Gewerberechts. Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Eine Gaststättenbetreiberin, die sich nicht an geltendes Recht gebunden fühlt, bietet offenkundig nicht die Gewähr dafür, den Betrieb zukünftig in Übereinstimmung gerade mit diesem geltenden Recht zu führen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin im Verfahren wohl mehrfach erkennen ließ, ausschließlich die Gesetze des „Königreichs Deutschland“ zu achten.

III.          Einordnung der Entscheidung

Erneut ist die Prüfungsrelevanz der Entscheidung hervorzuheben. Es handelt sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, wodurch sich prozessuale Schwierigkeiten stellen. Statthafte Antragsart gegen die Schließung und Versiegelung einer Gaststätte im Wege des Sofortvollzuges ist nach Ansicht des VG Köln und des OVG Münster § 80 Abs. 5 VwGO. Auch muss sich mit der Frage, ob das „Königreich Deutschland“ beizuladen ist, auseinandergesetzt werden. Im Klausuraufbau geschieht dies eleganterweise zwischen der Prüfung der Zulässigkeit und der Begründetheit des Antrags. Hier sind Grundkenntnisse des Völkerrechts gefragt, es muss sauber begründet werden, wieso das „Königreich Deutschland“ kein Staat im Sinne des Völkerrechts ist, was mithilfe der Sachverhaltsinformationen gelingen dürfte. Abhängig davon, wie breit das Problem im Sachverhalt angelegt ist, könnten auch Ausführungen dazu gemacht werden, ob die Antragstellerin überhaupt dem deutschen Recht unterworfen ist. Ebenfalls muss in diesem Zusammenhang auf Art. 9 GG eingegangen werden. Hier macht es sich das OVG Münster augenscheinlich zu leicht, wenn es zur Ablehnung von Art. 9 GG schlicht darauf verweist, dass das „Königreich Deutschland“ nicht in einer Weise dem in Deutschland geltenden Recht entsprechenden Form organisiert sei. Auch wenn zur Definition einer „Vereinigung“ (als Gedächtnisstütze) auf § 2 Abs. 1 VereinsG zurückgegriffen wird, kann das einfache Recht das Verfassungsrecht nicht verbindlich definieren. Art. 9 Abs. 1 schützt mit dem (formalen) Begriff der Vereinigung auch – aus der Sicht des einfach-gesetzlichen Vereins- und Gesellschaftsrechts – atypische Zusammenschlüsse; Voraussetzungen für deren verfassungsrechtlichen Schutz ist allein, dass sie die verfassungsrechtlichen Begriffsmerkmale einer Vereinigung erfüllen (Scholz in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 97. EL Januar 2022, Art. 9 GG Rn. 63). Soweit das Gericht darauf hinauswollte, dass Art. 9 GG einer Vereinigung kein Recht verleiht, in Gerichtsprozessen beigeladen zu werden, weil es hierfür auf die Rechtsfähigkeit der Vereinigung ankommt, wird dies dagegen nicht hinreichend deutlich. In einer Klausur sind solche Ungenauigkeiten zwingend zu vermeiden!

Zuzustimmen ist dem OVG Münster dagegen, soweit es im Rahmen der Frage, ob es sich um ein Vereinslokal handelt (§ 23 Abs. 2 S. 1 GastG), darauf hinweist, dass das „Königreich Deutschland“ nicht in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist. Denn hierfür kommt es tatsächlich darauf an, dass es sich um einen Verein nach Bürgerlichem Recht handelt. Auch im Übrigen ist die Entscheidung nachvollziehbar. Das Gewerbe- und Gaststättenrecht dürfte zwar in der Examensvorbereitung nur in Grundzügen behandelt werden, es lohnt sich aber, sich zumindest einen Überblick über das Rechtsgebiet zu verschaffen. Dabei ist im Rahmen der Prüfung, ob eine Gaststätte eröffnet bzw. geschlossen werden darf im Grundsatz nach dem aus dem Baurecht bekannten Schema vorzugehen. Einerseits sind die Genehmigungspflichtigkeit und -fähigkeit des Vorhabens zu prüfen, andererseits, sofern es um die Schließung geht, die formelle und materielle Illegalität der Gaststätte.

Die Erteilung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis richtet sich nach §§ 2, 4 GastG, Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis richten sich nach § 15 GastG. Im Grundsatz besteht ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis, sofern nicht ein Versagungsgrund nach § 4 GastG vorliegt. Auf eben diese Versagungsgründe kommt es auch im Rahmen des § 15 GastG an, wonach die Erlaubnis zurückzunehmen bzw. zu widerrufen ist, wenn nachträglich ein entsprechender Grund eintritt bzw. bekannt wird. § 31 GastG enthält schließlich eine wichtige Verweisungsklausel auf die GewO, nachdem der im Fall entscheidende § 15 Abs. 2 S. 1 GewO, der die Schließung eines Gewerbes regelt, anwendbar ist. Zentral wird es in Klausuren zum Gaststätten- und Gewerberecht zumeist auf die Frage ankommen, ob ein Betreiber „zuverlässig“ ist.

29.08.2022/1 Kommentar/von Dr. Philip Musiol
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Philip Musiol https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Philip Musiol2022-08-29 07:55:552022-10-24 14:43:38Ein Königreich für eine Gaststättenlizenz – OVG Münster zur Zulässigkeit der Schließung des Vereinslokals des „Königreichs Deutschland“
Dr. Lena Bleckmann

Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Soldaten und Soldatinnen dürfen bei Tinder nicht zu offensiv nach Sexualkontakten suchen. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.5.2022 über die Rechtsbeschwerde einer Bataillonskommandeurin der Bundeswehr entschieden. Bislang liegt allein die Pressemitteilung des Gerichts vor (PM. Nr. 34/2022 v. 25.5.2022). In der öffentlichen Debatte ist die Entscheidung aber bereits präsent – daher hier die wichtigsten Eckpunkte und Fragestellungen.

I. Worum geht es?

Die Bataillonskommandeurin (ein Bataillon ist nach der Definition des Dudens eine Truppenabteilung bzw. ein Verband mehrerer Kompanien oder Batterien, der Kommandeur bzw. die Kommandeurin führt diesen Verband) Anastasia B. ist innerhalb der Bundeswehr und darüber hinaus bekannt. Sie ist offen trans*. In ihrem privaten Tinder-Profil verwendete sie den Text „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“ Das Profil enthielt dabei ihren Vornamen und ein Bild, auf dem sie selbst deutlich zu erkennen war.  Hieran anknüpfend erhielt sie einen disziplinarrechtlichen Verweis. Der Verweis ist der förmliche Tadel eines bestimmten pflichtwidrigen Verhaltens eines Soldaten, siehe § 23 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung. Die Tinder-Nutzung in ihrer konkreten Ausgestaltung wurde mithin als Verletzung der Dienstpflichten gewertet. Diese Bewertung wurde durch das Truppendienstgericht und nunmehr auch – wenn auch mit leicht abweichender Begründung – durch das Bundesverwaltungsgericht gebilligt.

II. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts

Während das Truppendienstgericht noch  mit dem guten Ruf der Bundeswehr argumentierte, der durch ein entsprechendes Auftreten der Bataillonskommandeurin beeinträchtigt werden soll, geht das BVerwG davon aus, dass aus den privaten Aktivitäten der Soldatin auf dem Datingportal in der Öffentlichkeit keine Rückschlüsse auf die Bundeswehr als Ganzes gezogen werden können.

Auch betont das BVerwG das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Hierzu gehöre auch, dass der Einzelne über seine geschlechtlichen Beziehungen frei bestimmen und sich für ein promiskuitives Sexualverhalten entscheiden könne. Ein solches Verhalten muss auch nicht allein in der engsten persönlichen Lebenssphäre stattfinden: Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung besteht nach den Ausführungen des BVerwG über die Intimsphäre hinaus auch in der Privat- und ebenso in der Sozialsphäre des Einzelnen. Der Schutz erstrecke sich auch darauf, im Internet Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen. Dieser grundrechtliche Schutz war vom Truppendienstgericht nicht ausdrücklich berücksichtigt worden.

Das BVerwG gelangt am Ende aber trotzdem nicht zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz. Zur Begründung der Berechtigung des Verweises als disziplinarische Maßnahme verweist das Gericht auf die auch außerhalb des Dienstes bestehende Wohlverhaltenspflicht eines Soldaten. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 Soldatengesetz muss das Verhalten des Soldaten „dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert“. Das Auftreten der Bataillonskommandantin im Internet wird der Achtung und dem Vertrauen, die der Dienst erfordert, nach Ansicht des BVerwG nun wohl nicht gerecht. Aufgrund der „besonders hervorgehebenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen“ scheint das Gericht erhöhte Anforderungen an das Auftreten in der Öffentlichkeit auch im privaten Kontext zu stellen. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlange, dass die Betroffene bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nehme. Sie müsse daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Die von der Soldatin verwendete Profilbeschreibung erwecken nun aber nach Ansicht des Gerichts gerade Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität. Der Onlineauftritt stellt nach dieser Bewertung mithin einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und damit einen tauglichen Gegenstand einer Disziplinarmaßnahme, namentlich des Verweises als mildester Maßnahme dar.

 III. Ausblick

Die Pressemitteilung ist ausgesprochen kurz gehalten. Die wesentlichen Erwägungen des BVerwG lassen sich ihr zwar entnehmen, dennoch ist die ausführliche Entscheidungsbegründung mit Spannung zu erwarten. Der Verweis auf die dienstliche und außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht von Soldaten findet sich in der jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte insbesondere im Hinblick auf politische Äußerungen, die Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen lassen (siehe etwa BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385; Beschl. v. 10.10.2019 – 2 WDB 2/19, NVwZ-RR 2020, 694; OVG Münster, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 B 1756/21, BeckRS 2022, 1160; VG Stuttgart, Beschl. v. 9.3.2022 – 14 K 5778/21, BeckRS 2022, 5547) oder auf von Soldaten verübte Straftaten (BVerwG, Urt. v. 10.2.2022 – 2 WD 1.21, BeckRS 2022, 11476; Urt. v. 14.10.2021 – 2 WD 26.20, BeckRS 2021, 41961).

Ob die sexuelle Promiskuität sich hier ohne weiteres einreiht, etwa mit antisemitischen oder beleidigenden Äußerungen, Körperverletzungen oder anderen Straftaten gleichgesetzt werden kann, darf durchaus bezweifelt werden. Zwar erfordert ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nicht, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wird (BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385 (Rn. 40)). Ein Soldat müsse sich insbesondere dann in seinem privaten Verhalten mäßigen, wenn dabei ein besonderer Bezug zur Dienstausübung, d.h. zu seinem militärischen Auftrag, zu seinen Kameraden oder zur Bundeswehr besteht (siehe ebenda). Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ durch das BVerwG legt weiterhin nahe, dass ein besonderer Bezug zur Dienstausübung – der im hiesigen Fall gerade fehlt – keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht ist. In der Gesamtabwägung scheint es dennoch geboten, zu berücksichtigen, ob und inwiefern ein Bezug des privaten Verhaltens zum Dienst des Soldaten steht. Je weniger verwerflich das private Verhalten, desto höhere Anforderungen wird man an den Dienstbezug stellen müssen.

Ob das Verhalten der Bataillonskommandantin im vom BVerwG zu entscheidenden Fall nun überhaupt als verwerflich einzustufen ist und (bejahendenfalls) in welchem Maße dem so ist, ist eine Frage, deren Beantwortung sich ganz maßgeblich an den moralischen Wertvorstellungen des Betrachters orientiert. Anders als etwa im Hinblick auf rechtsradikale Äußerungen dürfte die Bewertung auch in der politischen Mitte hier je nach Kreis der Befragten ausgesprochen unterschiedlich ausfallen. Konservativere Beobachter mögen argumentieren, das mit der festen Partnerschaft zweier Personen einhergehende Wertekonzept sei ebenso in der Verfassung verankert, wie die freiheitlich demokratische Grundordnung. Offen ausgelebtes, sexuell promiskuitives Verhalten könnte dann als mit den geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen unvereinbar eingeordnet werden. Dann ist wohlgemerkt eine Abwägung dieser Verfassungswerte mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorzunehmen. Angehörige des progressiveren Lagers und insbesondere jüngere Personen, die mit der Nutzung von Dating-Apps womöglich eher vertraut und an einen promiskuitiven Lebensstil einiger Nutzer gewissermaßen gewöhnt sind – mag es auch nicht ihrem eigenen Lebensentwurf entsprechen –, werden hier wohl toleranter, jedenfalls gleichgültiger sein. Der Schluss vom Sexualleben auf die fehlende charakterliche Integrität wird gerade in diesen Kreisen eher verwundern und vielfach Anstoß finden. In den Ausführungen des BVerwG in der aktuellen Pressemitteilung wirkt dieser Schluss tatsächlich etwas eilig. Gerade in diesem Punkt sind jedoch die ausführlichen Entscheidungsgründe abzuwarten – sie werden zeigen, inwiefern die Erwägungen des Gerichts in verschiedenen Gesellschaftsgruppen anschlussfähig sind.

Entscheidungen wie die vorliegende, die von moralisch-sittlichen Wertvorstellungen geprägt sind, sind immer nur eine Momentaufnahme dahingehend, welche Vorstellungen zur Zeit der Entscheidung vorherrschend sind. Diese Problematik ist aus dem Zivilrecht im Hinblick auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit bekannt. Sittliche Vorstellungen unterliegen einem steten Wandel – ein Wandel in verschiedene Richtungen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach gesellschaftlicher Schicht. Es ist gut denkbar, dass die Einschätzung zutrifft, ein allzu öffentlich ausgelebter, sexuell promiskuitiver Lebensstil sei mit dem in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschenden Wertefundament nicht vereinbar, und dass die Anhänger dieser Wertvorstellung auch von einem solchen Lebensstil auf die Integrität und die Eignung des Betroffenen für bestimmte Tätigkeiten schließen. Es ist jedoch ebenso denkbar, dass die Bewertung in fünf oder auch zehn Jahren ganz anders ausfallen würde – dann müsste auch die Entscheidung in einem Fall wie dem hier besprochenen eine andere sein.

02.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-06-02 08:39:002022-08-03 08:31:47Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten
Gastautor

Zum Begriff von Religion und Weltanschauung: Kein Ausschluss von der Pedelec-Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology

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Wir freuen uns sehr, einen weiteren Gastbeitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu dürfen. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn und Wissenschaftlicher Beirat des Projekts Juraexamen.info. 

Das BVerwG (8 C 9.21 – Urteil vom 06. April 2022) urteilte grundrechtfreundlich: Eine Gemeinde darf die Bewilligung einer finanziellen Zuwendung, mit der umweltpolitische Zielsetzungen verfolgt werden, nicht davon abhängig machen, dass die Antragsteller eine Erklärung zur Distanzierung von der Scientology-Organisation abgeben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Erklärungen zur Weltanschauung einzufordern, sei keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, so dass es bereits an einer Zuständigkeit der Beklagten fehle. Werde eine solche Erklärung verlangt und an deren Verweigerung der Ausschluss von der Förderung geknüpft, greife dies gezielt in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Der Eingriff sei schon mangels einer gesetzlichen Grundlage verfassungswidrig. Schließlich verstoße die Vorgehensweise der Beklagten gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Sie stelle eine unzulässige Differenzierung dar, weil sie den Kreis der Förderberechtigten nicht sachgerecht abgrenze, sondern nach Kriterien, die mit dem Förderzweck in keinem Zusammenhang stehen.

Mit dem Ergebnis mag man leben können und das ist vielleicht auch richtig. Die Ausführungen zur Religion- und Weltanschauungsfreiheit lassen aufhorchen. Es wirft die ganz grundlegende Frage auf: Was ist eine Religion? Was ist eine Weltanschauung? Das BAG hat bereits vor vielen Jahren verneint, dass Scientology eine Religion ist (BAG, Beschl. v. 22.3.1995 – 5 AZB 21/94, NJW 1996, 143; Thüsing, ZevKR 2000, 592 – auch rechtsvergleichend). Das BVerwG hat schon in der Vergangenheit tendenziell großzügiger argumentiert: (BVerwG, Urt. v. 14.11.1980 – 8 C 12/79, NJW 1981, 1460; BVerwG, Beschl. v. 16.2.1995 – 1 B 205/93,  NVwZ 1995, 473; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.8.1994 – Bs III 326/93, NVwZ 1995, 498). Für die Religion gibt das Grundgesetz keine Legaldefinition. Das ist verständlich, eignet sich doch der Typus der Religion kaum für eine subsumtionsfähige Definition und wird man doch in den meisten Fällen intuitiv wissen, ob eine bestimmte Überzeugung und Weltsicht eine Religion ist oder nicht. In Bezug auf die Scientology Church versagt diese Intuition: Ob es sich hier um eine Religion handelt, ist fraglich. Deutsche und englische Gerichte verneinen, französische und US-amerikanische Gerichte bejahen dies (Regina v. Registrar General, Ex parte Segerdal (1970) 2 QB 697; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 – 7 C 20/04, NJW 2006, 1303; Hernandez v. Commissioner, 490 U.S. 680, 109 S.C. 2136 (1989); Lyon, 28.7.1997, D. 1997, IR, 197 f.).

Das BVerfG hat eine solche Definition ebenfalls nicht formuliert. Einiges ist heute vielleicht überholt. Das BVerfG stellte schon vor einiger Zeit fest, das Grundgesetz habe „nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf der Basis gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat“ (BVerfG, Beschl. v. 8.11.1960 – 1 BvR 59/56, NJW 1961, 211). Diese stark auf die christlich-abendländische Geschichte bezogene Beschreibung der Religionsausübungsfreiheit findet Entsprechungen in vereinzelten Äußerungen des älteren Schrifttums, die Religionsfreiheit wird allgemein als Schutz allein des christlichen Bekenntnisses verstanden. Das BVerfG hat sich jedoch schon 1975 von dem oben zitierten Diktum erkennbar distanziert (BVerfGE, Beschl. v. 17.12.1975 – 1 BvR 63/68, NJW 1976, 947) und auch im Schrifttum wird der ausschließliche Schutz des Christentums und christlicher Religionsgesellschaften nicht mehr vertreten. Allgemein anerkannt ist, dass das Grundgesetz keine unterschiedliche Wertigkeit der Religionen kennt; für den neutralen Staat und den Schutz der Religion ist es nicht entscheidend, was für eine Religion eine Gemeinschaft verkündet, sondern nur, dass sie eine verkündet. Dies schließt indes nicht aus, den Religionsbegriff vor dem Hintergrund der christlichen Gesellschaft zu sehen, in der die Idee der Religionsfreiheit entstand. Die ganz hL – in der heutigen Rspr. findet sich nichts Gegenteiliges – betont demgegenüber, dass der Religionsbegriff des Grundgesetzes nicht aus einem christlichen Blickwinkel bestimmt werden dürfe und verlangt eine Interpretation dieser verfassungsrechtlichen Begriffe nach allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten. Dementsprechend dürfe sich das Verfassungsrecht bei der Begriffsbestimmung auch nicht an den Aussagen einzelner Theologen über Wesen und Entstehung von Religion orientieren.

Vielleicht lassen sich aber doch Indizien einer Religion festmachen, die heute in ihrer Gesamtschau dann doch durch typologische Betrachtung eine Gemeinschaft Religion oder Nicht-Religion sein lassen (s. MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 1 Rn. 28-32):

Daneben steht die Weltanschauung: Religion und Weltanschauung liegen dicht beieinander und beides wird durch das Grundgesetz geschützt. Daher mag es müßig sein, beide Phänomene voneinander zu sondern. Dennoch: Klassisches Abgrenzungskriterium von Religion und Weltanschauung ist die Annahme, dass Religion sich auf Transzendenz bezieht, Weltanschauung dagegen ein rein diesseitig ausgerichtetes Phänomen ist. Liegen die Gründe für unser Geworfensein in diese Existenz in einer Wirklichkeit, die unserer wahrnehmbaren Welt vorgelagert ist, oder nicht? Diese Auffassung steht und fällt mit der Bestimmung eines nicht einfacheren Begriffes als des Religionsbegriffes, mit der Antwort auf die Frage, was Transzendenz ist. Hier hat gerade die Religionswissenschaft der letzten Jahrzehnte eine Aufweichung starrer Begriffe und Unterscheidungen bewirkt. Die Gedanken Emmanuel Lévinas und seine Idee von der Transzendenz in der Immanenz mögen hier nur beispielhaft angeführt werden. Daher wird heute verstärkt das rein subjektive Kriterium des Selbstverständnisses der jeweiligen Gemeinschaft als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal angesehen. (MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 1 Rn. 34). Fest steht damit jedoch: Auch die Weltanschauung braucht eine umfassende Seinsdeutung. Weltanschauung ist nicht jede Weltsicht säkularer Art, sondern sie muss sich am gleichen umfassenden Anspruch wie die religiöse Überzeugung messen lassen, und sie muss auf die grundlegenden Fragen des Woher und Wohin menschlicher Existenz antworten. Sie muss Konsequenzen haben für das Verhalten des Menschen in dieser Welt. Wo eine Lehre lediglich Teilaspekte des Lebens beleuchtet, mag diese eine Lebensmaxime sein, nicht aber Weltanschauung. Weltanschauung ist das Analogon zur Religion, wenn auch mit säkularen Wurzeln. Deshalb wäre Scientology aus den gleichen Gründen, warum sie keine Religion ist, auch keine Weltanschauung. Die in eine entgegengesetzte Richtung weisende verwaltungsgerichtliche Rspr. vermag nicht zu überzeugen und behandelt die Frage der Eingruppierung von Scientology nur am Rande (VGH München, Beschl. v. 14.2.2003 – 5 CE 02.3212, NVwZ 2003, 998; VGH Mannheim, Urt. v. 12.12.2003 – 1 S 1972/00, NVwZ-RR 2004, 904; OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2004 – 12 LA 410/03, NVwZ-RR 2004, 884).

Die Entscheidung ist also spannend. Wenn nicht nur die Pressemitteilung, sondern die Entscheidungsgründe veröffentlicht sind: Lesen!

11.04.2022/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-04-11 08:45:002022-08-03 08:34:37Zum Begriff von Religion und Weltanschauung: Kein Ausschluss von der Pedelec-Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology
Dr. Yannik Beden, M.A.

Verwaltungsrecht / Verwaltungsprozessrecht: Die 15 wichtigsten Definitionen für Klausur und Examen

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Wer das juristische Studium erfolgreich absolvieren will, muss Zusammenhänge verstehen und auch für Unbekanntes praktikable Lösungsansätze entwickeln können. Bloßes Auswendiglernen führt nicht zum Ziel. Trotzdem gilt, dass einige wesentliche Begrifflichkeiten in fast jedem Rechtsgebiet bekannt sein sollten – nicht zuletzt, um in der Klausur wertvolle Zeit einzusparen. Für die Klausur im Öffentlichen Recht ist eine überschaubare Anzahl an Begriffen, die jeder ambitionierte Student und Examenskandidat im Handumdrehen schnell abrufen können sollte, zu beherrschen. Die nachstehende Auflistung enthält diejenigen Definitionen, die für die Klausur im Verwaltungsrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht notwendig sind. Wer diese beherrscht, ist für den Ernstfall bestens gewappnet:
(1) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Nach der modifizierten Subjektstheorie liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, wenn die streitentscheidende Norm dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Eine Norm ist dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie einen Träger öffentlicher Gewalt in seiner Funktion als solcher in jedem Anwendungsfall berechtigt oder verpflichtet.
(2) Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art
Eine Streitigkeit ist jedenfalls dann nichtverfassungsrechtlicher Art, wenn die Streitbeteiligten nicht unmittelbar am Verfassungsleben teilnehmen und auch im Wesentlichen nicht um die Anwendung oder Auslegung von Verfassungsrecht gestritten wird (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit)
(3) Klagebefugnis Anfechtungsklage
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Die Rechtsverletzung muss tatsächlich möglich erscheinen (sog. Möglichkeitstheorie). Eine Rechtsverletzung kommt insbesondere bei einem Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts in Betracht (sog. Adressatentheorie), wobei im Einzelfall stets zu begründen ist, weshalb der Verwaltungsakt möglicherweise rechtswidrig sein und den Adressaten in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen könnte.  
(4) Klagebefugnis Verpflichtungsklage
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Das ist der Fall, wenn der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes hat, der Anspruch also nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.
(5) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO
Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht.
(6) Feststellungsinteresse
Der Kläger muss ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses haben. Ein berechtigtes Interesse kann dabei jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse, insbesondere rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein.
(7) Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern. Anerkannt ist ein solches Interesse jedenfalls für folgende Fälle: (1) Konkrete Wiederholungsgefahr, (2) Rehabilitationsinteresse, (3) präjudizielle Wirkung einer Feststellung und (4) tiefgreifende Grundrechtseingriffe.
(8) Erledigung eines Verwaltungsakts
Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Er verliert folglich seine Wirksamkeit, wenn eine der in § 43 Abs. 2 VwVfG genannten Voraussetzungen eingetreten ist. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist.
(9) Subsidiarität i.S.v. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO
Die Feststellung eines Rechtsverhältnisses kann gem. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Die Feststellungsklage ist demnach insbesondere gegenüber der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und allgemeinen Leistungsklage subsidiär.
(10) Rechtsschutzbedürfnis
Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses folgt dem allgemeinen Grundsatz, dass die begehrte Leistung bzw. Handlung zunächst bei der Behörde zu beantragen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt insbesondere, wenn der Kläger sein Ziel einfacher als durch Klageerhebung erreichen kann, die Klage keinen anzuerkennenden Zweck verfolgt, missbräuchlich ist oder der Kläger sein Klagerecht verwirkt hat.
(11) Sicherungsanordnung
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist statthaft, wenn der Antragsteller die vorläufige Sicherung eines von ihm behaupteten Rechts gegenüber einer drohenden tatsächlichen oder rechtlichen Änderung eines bereits bestehenden Zustands begehrt.
(12) Regelungsanordnung
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist statthaft, wenn der Antragsteller die vorläufige Erweiterung seines Rechtskreises begehrt, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder ein solche Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint.
(13) Anordnungsanspruch
Der Anordnungsanspruch im Verfahren nach § 123 VwGO bezieht sich auf den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Der Anordnungsanspruch entspricht folglich dem materiell-rechtlichen Anspruch, der im Hauptsacheverfahren geltend gemacht wird. Dies gilt sowohl für die Sicherungs- als auch Regelungsanordnung.
(14) Anordnungsgrund
Der Anordnungsgrund betrifft den Umstand, aus dem sich die Eilbedürftigkeit des Antragstellers ergibt, dieser mithin nicht bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren abwarten kann. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
(15) Objektive Klagehäufung
Nach § 44 VwGO können vom Kläger mehrere Klagebegehren in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist. Mehrere Klagebegehren liegen vor, wenn mehrere selbständige prozessuale Ansprüche in Rede stehen, mithin unterschiedliche Streitgegenstände in einer Klage adressiert werden.
 
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26.11.2020/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2020-11-26 15:54:022020-11-26 15:54:02Verwaltungsrecht / Verwaltungsprozessrecht: Die 15 wichtigsten Definitionen für Klausur und Examen
Dr. Lena Bleckmann

COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein

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Kaum ein Thema hat in der vergangenen Woche die Diskussion um neue Präventionsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 so dominiert wie die Beherbergungsverbote. Diese wurden von einigen Bundesländern aufgrund stark ansteigender Fallzahlen eingeführt, andere wiederum verweigerten vergleichbare Maßnahmen. Nicht nur diese Uneinheitlichkeit stand in der Kritik – auch die Wirksamkeit solcher Beherbergungsverbote zur Pandemiebekämpfung wurde bezweifelt.
Nun liegen erste Eilentscheidungen der zuständigen Gerichte vor, und es zeigt sich: Einheitlichkeit wird auch die Rechtsprechung hier vorerst nicht herbeiführen. Im Folgenden sollen die aktuellen Entscheidungen des VGH Mannheim, des OVG Lüneburg sowie des OVG Schleswig-Holstein in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Examensrelevanz – für Klausuren wie mündliche Prüfungen – liegt auf der Hand.
I. VGH Mannheim: Beherbergungsverbot außer Vollzug gesetzt
In Baden-Württemberg wurde die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land- oder Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik aufgehalten haben oder dort ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten wurde, durch § 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot untersagt. Eine Ausnahme sollte nur möglich sein, wenn die betroffenen Gäste einen negativen Coronatest vorlegen konnten, der nicht älter als 48 Stunden ist. Die Reisebeschränkung soll nach Angaben der Landesregierung der Eindämmung des Pandemiegeschehens dienen.
Hiergegen wendete sich eine Familie aus dem Kreis Recklinghausen, in dem die kritische Marke bereits überschritten wurde, mit einem Eilantrag. Die Familie hatte einen mehrtägigen Urlaub in Baden-Württemberg gebucht und wollte diesen auch antreten.

Anmerkung: Das Land Baden-Württemberg hat in § 4 AGVwGO von der Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht, die Normenkontrolle auch gegen im Rang unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschriften zuzulassen. Bei dem Eilantrag gegen die Verordnung handelt es sich daher um einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen.

Das Gericht gab dem Antrag statt. Dies begründete es vorwiegend mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG. Der Eingriff in den Schutzbereich steht hier außer Frage. Kernstück der Prüfung dürfte die Verhältnismäßigkeit eines Verbots sein. Zugunsten der Verordnung ist hier – wie so häufig zur Rechtfertigung von Präventionsmaßnahmen in Zeiten der Pandemie – anzuführen, dass das Beherbergungsverbot dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient, da es Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit einer Großzahl von Personen abwenden soll und der Bewahrung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems dient. Gegen die Verhältnismäßigkeit eines Beherbergungsverbots spricht jedoch nach der Argumentation des VGH Mannheim ganz entscheidend, dass innerdeutsche Urlaubsreisen sowie der Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben bisher kein Treiber der Pandemie gewesen sind. Dies seien vielmehr Feiern in größeren Gruppen sowie der Aufenthalt in engen Räumen. Ein Zusammenhang zwischen der Beherbergung und einem besonders hohen Infektionsrisiko bestehe nicht, zumal in Beherbergungsbetrieben nicht zwangsläufig eine größere Zahl von Menschen aufeinandertreffen würde. Dass daher gerade Beherbergungsbetriebe im Gegensatz zu Bars und Vergnügungsstätten Beschränkungen unterworfen werden sollen, erschließe sich nicht.
Hieran soll auch die Befreiungsmöglichkeit aufgrund eines negativen Coronatests nichts ändern: Ob ein solcher in der vorgegebenen Zeit überhaupt erlangt werden könne, sei nicht gesichert. Den Betroffenen sei es daher nicht zumutbar, sich auf diese Möglichkeit der Befreiung verweisen zu lassen.
Insgesamt wurde das baden-württembergische Beherbergungsverbot daher mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen: VGH Mannheim, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
II. OVG Lüneburg: Niedersächsisches Beherbergungsverbot ebenfalls außer Vollzug gesetzt
Ähnlich entschied das OVG Lüneburg zum niedersächsischen Beherbergungsverbot. Dieses war in § 1 der Niedersächsischen Corona-Berherbergungs-Verordnung vorgesehen. Der Betreiber eines Ferienparks wendete sich wiederum mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen das Verbot und hatte Erfolg.
Das niedersächsische Verbot ist nach Ansicht des OVG Lüneburg bereits zu unbestimmt, da es Personen „aus“ Risikoverbieten erfasse, ohne zu präzisieren, ob sie dort ihren Wohnsitz haben oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten.
Weiterhin bezweifelte das Gericht die Notwendigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme:

 „Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, „triftiger Reisegrund“ und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten.“ (OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020).

Im Übrigen argumentierte das Gericht vergleichbar dem VGH Mannheim mit dem fehlenden Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben und dem Infektionsgeschehen. Das Verbot stelle insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber nach Art. 12 GG dar, der auch nicht durch die geltenden Ausnahmen so abgemildert werde, dass eine Verhältnismäßigkeit der Regelung bestehe. Auch hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit, innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen negativen Coronatest zu erlangen, entspricht die Argumentation des Gerichts der das VGH Mannheim.
Auch das niedersächsische Beherbergungsverbot wurde daher vorläufig außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
III. OVG Schleswig-Holstein: Beherbergungsverbot bleibt in Kraft
Anders entschied demgegenüber das Schleswig-Holsteinsche Oberverwaltungsgericht. Vor dem Hintergrund der stark ansteigenden Infektionszahlen sah sich das Gericht nicht in der Lage, das dort geltende Beherbergungsverbot außer Vollzug zu setzen. Dies könnte zu einem unkontrollierten Anreisen von Touristen nach Schleswig-Holstein führen, was die öffentliche Gesundheit gefährden würde. Im Rahmen der Folgenabwägung müsse eine Entscheidung daher zugunsten des Beherbergungsverbots ausfallen.
(Siehe zum Ganzen die Zusammenfassung der FAZ , eine Pressemitteilung des Gerichts steht noch aus).
IV. Ausblick
Wie so oft zeigt sich: Mit guter Argumentation sind verschiedene Lösungen vertretbar. Die Entscheidungen sollten Studenten wie Examenskandidaten Anlass geben, die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie die Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu wiederholen. Ein Augenmerk sollte auch auf den Unterschieden, die sich aus der Situation des Antragstellers ergeben, liegen: Während das baden-württembergische Verbot an Art. 11 GG gemessen wurde, kam es in Niedersachsen auf die Vereinbarkeit mit Art. 12 GG an. 
Im Übrigen sollte im Hinblick auf anstehende Klausuren und mündliche Prüfungen die aktuelle Rechtsprechung zum Pandemiegeschehen im Blick gehalten werden – an den Beherbergungsverboten zeigt sich besonders deutlich, dass sich diese hervorragend in juristische Prüfungen einbinden lässt. 

16.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-10-16 09:15:592020-10-16 09:15:59COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein
Dr. Maike Flink

Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 4/2019 und 1/2020) – Teil 2: Verwaltungsrecht

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite

Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung von entscheidender Bedeutung. Der folgende Überblick ersetzt zwar keinesfalls die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Entscheidungen, soll hierfür aber Stütze und Ausgangspunkt sein. Dargestellt wird daher eine Auswahl der examensrelevanten Entscheidungen der vergangenen Monate anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen und ergänzender kurzer Ausführungen aus den Gründen, um einen knappen Überblick aktueller Rechtsprechung auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts zu bieten.
 
BVerwG (Urt. V. 30.10.2019 – 6 C 18.18): Einstufung von Bushido-Album als jugendgefährdend rechtmäßig
 Das BVerwG hat entschieden, dass die Einstufung des Bushido-Albums „Sonny Black“ als jugendgefährdend rechtmäßig ist:

„Zum einen erfüllt das Album die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Jugendgefährdung im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 JuSchG. Zum anderen ist dem berechtigten Interesse an der Indizierung aus Gründen des Jugendschutzes der Vorrang vor dem durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Interesse des Klägers an der uneingeschränkten Verbreitung des Albums einzuräumen. Die Kunstfreiheit rechtfertigt nicht, Minderjährigen das Album trotz seiner nachteiligen Auswirkungen auf deren Persönlichkeitsentwicklung ungehindert zugänglich zu machen.“

Denn § 18 I JuSchG soll im Rahmen des Möglichen die äußeren Bedingungen für eine charakterliche Entwicklung von Minderjährigen schaffen, die zu Einstellungen und Verhaltensweisen führt, die sich am Menschenbild des Grundgesetzes orientieren, was allerdings durch Medien gefährdet wird, die ein damit in Widerspruch stehendes Wertebild vermitteln. Es genügt, dass eine solche Gefährdung Minderjähriger zumindest ernsthaft möglich erscheint, was auf Grundlage der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse zu ermitteln ist. Maßstab sind insofern nicht sämtliche Minderjährige, sondern nur solche, die aufgrund ihrer Veranlagung, ihres Geschlechts ihrer Erziehung oder Lebensumstände als tatsächlich gefährdungsgeeignet erscheinen. Dennoch genügt die Erfüllung der Voraussetzungen des § 18 I JuSchG nicht, wenn es sich bei den Inhalten des Mediums um Kunstwerke handelt, wobei der Kunstbegriff des Art. 5 III 1 GG maßgeblich ist. Allerdings folgt aus der Kunstfreiheit kein generelles Indizierungsverbot, erforderlich ist vielmehr eine Abwägung von Jugendschutz und Kunstfreiheit. Da das fragliche Album „durch die offene Begehung schwerer Straftaten wie etwa Drogenhandel in Schulen, eine uneingeschränkte Gewaltbereitschaft und den skrupellosen Einsatz brutaler Gewalt aus beliebigen Anlässen gekennzeichnet“ sowie frauenfeindlich und homophob ist und insbesondere von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten gehört wird, die in der Hauptfigur „Sonny Black“ ein Vorbild erkennen könnten, hat das Album erheblich jugendgefährdende Wirkung. Es weist zudem keinen gesteigerten Kunstgehalt auf, sondern dient vorrangig der Unterhaltung. Daher kommt dem Jugendschutz eindeutig der Vorrang zu, sodass die Einstufung des Albums als jugendgefährdend rechtmäßig ist.
 
VGH München (Beschl. v. 5.11.2019 – 11 B 19.703): Kein Anspruch auf Entfernung von Parkmarkierungen
Das Recht auf Anliegergebrauch öffentlicher Straßen wird von  Art. 14 I GG nur in seinem Kernbereich geschützt und reicht daher nur so weit, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums eine Benutzung der Straße auch erfordert. Dies bestimmt sich stets anhand der konkreten Gegebenheiten, wobei grundsätzlich auch die Möglichkeit geschützt ist, das Grundstück mit Kraftfahrzeugen zu erreichen. Dabei genügt es aber regelmäßig – insbesondere in städtischen Gebieten –, dass die Zugänglichkeit für Lieferungen von Gegenständen des täglichen Gebrauchs erhalten bleibt. Können insbesondere Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen das Grundstück problemlos erreichen, wird durch eine Parkregelung regelmäßig nicht in das Recht auf Anliegergebrauch eingegriffen. Soweit nur Lastkraftwagen das Grundstück nicht erreichen können, fehlt i.d.R. es an einer Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Anliegers.

 „§ 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO regelt das Verhalten der Verkehrsteilnehmer an engen Straßenstellen, enthält aber keine Vorgabe an die Straßenverkehrsbehörde, durch Verkehrsregelungen die Entstehung von Engstellen durch parkende Fahrzeuge in schmalen Wohnstraßen zu verhindern. Erst wenn durch das Parkverhalten Gefahren für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO entstehen, muss die Straßenverkehrsbehörde Maßnahmen erwägen.“

 
OVG Hamburg (Beschl. v. 29.1.2020 – 1 Bs 6/20): Verbot der Vollverschleierung in der Schule
 Das OVG Hamburg hat festgestellt, dass eine an die Mutter einer vollverschleierten Schülerin gerichtete Anordnung, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter nur noch unverschleiert zum Unterricht erscheint, einer eindeutigen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, da es sich um einen grundrechtsrelevante Maßnahme handelt: Zwar bedarf nicht jede Regelung durch Lehrkräfte im Schulbetrieb einer expliziten gesetzlichen Grundlage. Insbesondere soweit Grundrechte der Schüler betroffen sind, ist jedoch die Wesentlichkeitstheorie zu beachten, nach der der parlamentarische Gesetzgeber insbesondere grundrechtsrelevante Fragestellungen selbst zu regeln hat. Dies ist bei einem Verschleierungsverbot der Fall:

 „Insoweit sind jedoch auch minder verbreitete religiöse Bekleidungsvorschriften zu beachten, die der oder die Betroffene für sich für verbindlich hält. Deshalb kann auch das Tragen einer Bedeckung in Form des Niqabs, d.h. eines Gesichtsschleiers, wie sie heute noch im Jemen und Saudi-Arabien verbreitet ist und von fundamentalistischen Muslimen gefordert bzw. empfohlen wird […] dem Schutz der Religionsfreiheit unterfallen.“

 Nicht ausreichend ist daher eine Regelung, die es lediglich ermöglicht, gegenüber den Erziehungsberechtigten bei mehrfacher Nichtteilnahme am Unterricht, eine Schulbesuchsverfügung zu erlassen. Zwar spricht viel dafür, dass die „Teilnahme am Unterricht“ (i.S.v. §§ 28 II, 41 I 1 HMbSG) über die rein physische Anwesenheit hinaus auch die Kommunikationsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler meint. Es kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass das Tragen eines Gesichtsschleiers im Unterricht die Kommunikation mit der Schülerin unmöglich macht.  Dazu führt das Gericht aus:

 „Infolge der beim Niqab noch freien Augen ist durchaus eine nonverbale Kommunikation über einen Augenkontakt möglich; auch eine Gestik (z.B. Melden, Nicken mit dem Kopf oder Schütteln des Kopfes) ist, wenn auch in eingeschränkter Weise, möglich […]. Im übrigen ist weder substantiiert geltend gemacht worden noch ersichtlich, dass eine NiqabTrägerin nicht verbal mit Gesprächspartnern, seien es Lehrer oder Mitschüler, kommunizieren könnte.“

S. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
 

15.04.2020/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2020-04-15 09:18:052020-04-15 09:18:05Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 4/2019 und 1/2020) – Teil 2: Verwaltungsrecht
Dr. Lena Bleckmann

OVG Hamburg: Verbot der Vollverschleierung in der Schule

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Die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG ist bei Klausurstellern stets beliebtes Prüfungsthema, nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Fallgestaltungen und der zumeist erforderlichen genauen Abwägung mit gegenläufigen Belangen. Neue Rechtsprechung zum Thema sollte daher besonders Examenskandidaten bekannt sein.
Doch auch für die jüngeren Semester lohnt sich die Lektüre des hier besprochenen Urteils des OVG Hamburg (Az. Beschl. v. 20.12.2019, Az. 1 Bs 6/20): Mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und Fragen der tauglichen Ermächtigungsgrundlage werden insbesondere Fragen des allgemeinen Verwaltungsrechts relevant.
Sachverhalt: (verkürzt und abgewandelt)
Eine 16-jährige Schülerin nahm am Schulunterricht ihrer Berufsschule in Hamburg nur vollverschleiert teil, d.h. sie trug während des Unterrichts einen Gesichtsschleier (Niquab), der nur die Augen ausspart. Auch nach mehrmaliger Aufforderung durch Lehrkräfte und Schulleitung, während der Unterrichtszeiten keinen Gesichtsschleier zu tragen, erschien die Schülerin mit unveränderter Bekleidung zum Unterricht.
Daraufhin forderte die Schulaufsichtsbehörde in einem Bescheid die Mutter der Schülerin dazu auf, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter künftig ohne Gesichtsschleier zur Schule erscheint. Ihre Tochter sei schulpflichtig und es sei Aufgabe der Mutter, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter regelmäßig am Unterricht teilnehme. Die Teilnahme erfordere aber, dass eine volle Kommunikation und aktive Mitwirkung am Unterrichtsgeschehen möglich sei, was der Gesichtsschleier aber verhindere. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Dies sei aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Erfüllung der Schulpflicht erforderlich.
Gegen diesen Bescheid legte die Mutter fristgerecht den (unterstellt) erforderlichen Widerspruch ein und stellte einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Sie trägt vor, das Tragen des Schleiers sei Ausdruck der religiösen Überzeugung ihrer Tochter und werde von ihr als verpflichtendes religiöses Gebot angesehen. Auch fehle eine gesetzliche Grundlage für das Verbot der Vollverschleierung im Rahmen des Schulunterrichts.
Wie wird das Gericht über den zulässigen Antrag entscheiden?
Entscheidung
Es handelt sich vorliegend um einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO. Dies folgt daraus, dass die Antragstellerin in der Hauptsache im Wege einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vorgehen müsste und der Widerspruch aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat.

Anm.: Ein Antrag nach § 123 VwGO ist demgegenüber subsidiär, § 123 Abs. 5 VwGO. In der Klausur sind die verschiedenen Möglichkeiten vorläufigen Rechtsschutzes kurz voneinander abzugrenzen, wobei in Fällen wie diesem die Zuordnung zu § 80 V VwGO recht eindeutig ist, sodass die Ausführungen nicht zu lang sein sollten.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere hinreichend begründet gemäß den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO.

Beachte: Für die formelle Rechtmäßigkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es nicht darauf an, dass die Begründung inhaltlich tragfähig ist. Entscheidend ist allein, dass die Beweggründe der Behörde in einer auf den Einzelfall bezogenen Art und Weise, d.h. nicht nur durch Wiederholung des Gesetzestextes oder Verwendung bloßer Floskeln, dargelegt sind.

Daher hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur Erfolg, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin dem Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache – d.h. kurzgefasst, der Antrag hat Erfolg, wenn der Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.

Anm.: In der Klausur sollte hier auf die richtige Terminologie geachtet werden: Geprüft wird nicht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Vielmehr nimmt das Gericht eine eigene Interessenabwägung vor und ist dabei nicht an die Angaben der Behörde gebunden.

Das OVG Hamburg verneint hier bereits das Bestehen einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage.Nach § 41 Abs. 1 S. 1 HmbSG sei es zwar möglich, an die Erziehungsberechtigten bei mehrfacher Nichtteilnahme am Unterricht durch schulpflichtige Schüler eine sog. Schulbesuchsverfügung zu erlassen. Nicht eindeutig ist hierbei aber, was unter „Teilnahme“ am Unterricht zu verstehen ist, insbesondere ob dies nur die körperliche Anwesenheit oder auch die aktive Mitwirkung am Unterricht erfordert (siehe hierzu Rz. 14 ff. der Entscheidung).
Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass schon eine Nichtteilnahme vorliegt, wenn der Schüler zwar körperlich anwesend ist, aber nicht aktiv am Unterrichtsgeschehen mitwirkt, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, wenn jemand einen Gesichtsschleier trägt: Die Antragsgegnerin trägt zwar vor, durch die Verschleierung sei eine Kommunikation nicht möglich, sodass schon von einer Nichtteilnahme am Unterricht auszugehen sei. Dem hält das OVG Hamburg entgegen:
„Infolge der beim Niqab noch freien Augen ist durchaus eine nonverbale Kommunikation über einen Augenkontakt möglich; auch eine Gestik (z.B. Melden, Nicken mit dem Kopf oder Schütteln des Kopfes) ist, wenn auch in eingeschränkter Weise, möglich (dieses – wohl aufgrund der Annahmen aus einem konkreten Bezugsfall – eher verneinend: Thorsten Anger, Islam in der Schule, Diss. jur., 2003, S. 199 ff.). Im übrigen ist weder substantiiert geltend gemacht worden noch ersichtlich, dass eine NiqabTrägerin nicht verbal mit Gesprächspartnern, seien es Lehrer oder Mitschüler, kommunizieren könnte.“ (Rz. 18)
Somit ist die Voraussetzung der mehrfachen Nichtteilnahme am Unterricht nicht erfüllt und § 41 Abs. 1 S. 1 HmbSG scheidet als Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid aus.

Anm: Das VG Hamburg war zusätzlich noch davon ausgegangen, dass hier die unzuständige Behörde gehandelt hatte. Ob dem tatsächlich so ist, wird in der Entscheidung des OVG Hamburg bezweifelt (Rz. 9 ff.), konnte aber offen bleiben, da inzwischen jedenfalls die zuständige Widerspruchsbehörde einen Widerspruchsbescheid erlassen hatte.

Die Antragsgegnerin stützte den Bescheid hilfsweise auf die polizeiliche Generalklausel (§ 3 Abs. 1 SOG) und sah in dem „Nichtgelingen einer schulischen Qualifikation“ und der Wahrscheinlichkeit der späteren Inanspruchnahme von Sozialleistungen eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Indes ist schon zu bezweifeln, ob die Voraussetzungen der Norm bei Nichterreichen eines Schulabschlusses überhaupt erfüllt wären. Jedenfalls würde dies jedoch gerade auf einem Ausschluss vom Unterricht aufgrund der Vollverschleierung beruhen – ob ein solcher möglich ist, ist aber gerade fraglich. Im Übrigen scheidet ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel auch aufgrund der Spezialität des HmbSG aus.
Weitere Reglungen kommen hier nicht in Betracht, sodass eine Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid nicht besteht.
In der Ausgangsentscheidung ist das VG Hamburg weiterhin darauf eingegangen, ob nach der jetzigen Rechtslage unmittelbar von der Tochter eine Teilnahme am Schulunterricht ohne Gesichtsschleier verlangt werden könnte. Dies wurde mit überzeugenden Argumenten verneint und auch vom OVG nicht beanstandet:
Zwar bedarf nicht jede Regelung durch Lehrkräfte im Schulbetrieb einer expliziten gesetzlichen Grundlage. Insbesondere soweit Grundrechte der Schüler betroffen sind, ist jedoch die Wesentlichkeitstheorie zu beachten, nach der der parlamentarische Gesetzgeber insbesondere grundrechtsrelevante Fragestellungen selbst zu regeln hat. (Anm: in der Klausur sollte hier kurz auf die Geltung von Grundrechten in Sonderstatusverhältnissen eingegangen werden)
„„Wesentliche Entscheidungen“ zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie den grundrechtsrelevanten Bereich betreffen und wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind (BVerfG, Beschluss vom 20.10.1981, a.a.O., juris Rn. 44). Insbesondere bedarf die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage“ (VG Hamburg, Az. 2 E 5812/19, Rz. 53).
Das Tragen des Gesichtsschleiers während des Unterrichts weist Grundrechtsrelevanz im Hinblick auf die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG der Schüler auf. In deren Schutzbereich wird eingegriffen, wenn der Betroffene gegen ein religiöses Verhaltensgebot, dass aus seiner Sicht zwingenden Charakter hat, verstoßen würde. Hierfür kommt es nicht darauf an, dass eine Vielzahl von Anhängern desselben Glaubens das Gebot für zwingend erachtet:
„Insoweit sind jedoch auch minder verbreitete religiöse Bekleidungsvorschriften zu beachten, die der oder die Betroffene für sich für verbindlich hält. Deshalb kann auch das Tragen einer Bedeckung in Form des Niqabs, d.h. eines Gesichtsschleiers, wie sie heute noch im Jemen und Saudi-Arabien verbreitet ist und von fundamentalistischen Muslimen gefordert bzw. empfohlen wird (…)dem Schutz der Religionsfreiheit unterfallen.“ (VG Hamburg, Az. 2 E 5812/19, Rz. 48).
Vorliegend war davon auszugehen, dass es sich bei den Bekleidungsvorschriften aus Sicht der 16-jährigen Schülerin um ein imperatives Gebot handelte. Verlangt man von ihr, ohne den Gesichtsschleier zum Unterricht zu erscheinen, um ihre Schulpflicht zu erfüllen, so handelt es sich um eine grundrechtsrelevante und damit wesentliche Entscheidung. Zu fordern ist daher eine spezielle Rechtsgrundlage, die im Hamburger Schulgesetz gegenwärtig nicht existiert. Nach jetziger Rechtslage wäre die Anordnung, ohne Gesichtsschleier zum Unterricht zu erscheinen, daher rechtswidrig.
Ob ein entsprechendes Gesetz verfassungskonform wäre, war hier nicht zu entscheiden.
Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin als Adressatin des Verwaltungsakts jedenfalls in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Anfechtungsklage wäre somit erfolgreich.Eine weitere Interessenabwägung ist nicht erforderlich – am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheids besteht kein schützenswertes Interesse. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt, das Gericht wird gem. § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen.
Was bleibt?
Das Urteil bietet einen idealen Ausgangspunkt für eine Klausur im Verwaltungsrecht, um die Grundlagen des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz zu prüfen. Besondere Schwierigkeiten insbesondere im Hinblick auf den Aufbau als auch auf die Ermächtigungsgrundlage ergeben sich daraus, dass die Mutter der Schülerin, nicht aber die Schülerin selbst Adressatin des Bescheids ist. Zuletzt werden auch grundrechtliche Fragestellungen relevant, sodass es sich in jedem Fall lohnt, sich mit der Entscheidung auseinanderzusetzen.

25.02.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-02-25 08:53:512020-02-25 08:53:51OVG Hamburg: Verbot der Vollverschleierung in der Schule
Dr. Maike Flink

BVerwG: Kein Anspruch auf Befreiung von der Motorrad-Helmpflicht aus religiösen Gründen

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

In seinem Urteil vom 4. Juli 2019  (Az.: 3 C 24.17) hat sich das BVerwG mit der höchst klausurrelevanten Frage beschäftigt, ob religiöse Gründe einen Anspruch auf eine Befreiung von der Schutzhelmpflicht im Straßenverkehr begründen können. Insofern werden Probleme aus dem Verwaltungs- und dem Verfassungsrecht kombiniert, sodass sich die Entscheidung hervorragend insbesondere für Examensklausuren, aber auch für die mündliche Prüfung eignet.
 I. Sachverhalt
K hat zwar ein Auto und verfügt auch über eine entsprechende Fahrerlaubnis, er fährt aber auch regelmäßig Motorrad, wobei er gem. § 21a Abs. 2 S. 1 StVO verpflichtet ist, einen Schutzhelm zu tragen. Allerdings ist K auch praktizierender Sikh. Bestandteil dieser Religion ist es – so führt K aus –, seine Haare zu bewahren, sie niemals zu schneiden und durch einen Turban zusammenzuhalten. Allenfalls zum Schlafen könne der Turban abgenommen werden, jedoch keinesfalls in der Öffentlichkeit. Indem K gezwungen sei, zum Motorradfahren seinen Turban abzunehmen, um stattdessen einen Helm zu tragen, müsse er gegen seine Religion verstoßen. Daher beantragt K bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO zur Befreiung von der beim Motorradfahren geltenden Schutzhelmpflicht. Dies lehnt die Straßenverkehrsbehörde ab. K erhebt daraufhin Klage. Er möchte, dass die Straßenverkehrsbehörde zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung verpflichtet wird.
 II. Rechtsausführungen
Die Klage des K ist begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Erteilung der Ausnahmegenehmigung rechtswidrig und der K dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dies ist der Fall, wenn K einen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung hat.
1. Anspruchsgrundlage
Dazu müsste K sein Begehren auf eine Anspruchsgrundlage stützen können. Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO kann die Straßenverkehrsbehörde im Einzelfall eine Ausnahme von der Pflicht zum Tragen von Schutzhelmen gem. § 21a StVO genehmigen. K kann sein Begehren damit auf eine taugliche Anspruchsgrundlage stützen.
 2. Formelle Anspruchsvoraussetzungen
K hat auch einen Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde gestellt. Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor.
3. Materielle Anspruchsvoraussetzungen
Zudem müssten auch die materiellen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. 
a) Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen
Dazu müssten zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO erfüllt sein. Die Norm bestimmt indes allein, dass die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall Ausnahmen von der Schutzhelmpflicht genehmigen können, ohne dies an besondere Voraussetzungen zu knüpfen. Ziel der Norm ist es, besonderen Ausnahmesituationen Rechnung zu tragen, in denen bei strikter Anwendung der Schutzhelmpflicht eine unbillige Härte für den Betroffenen entstehen würde. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, einen Motorradhelm zu tragen. Möglich erscheint es allerdings auch, eine derartige Ausnahmesituation anzunehmen, wenn der Betroffene aus religiösen Gründen gehindert ist, einen Schutzhelm aufzusetzen. Denn befolgt der Betroffene seine von ihm als verbindlich empfundenen Bekleidungsvorschriften, die das Tragen eines Schutzhelms unmöglich machen, so müsste er auf das Motorradfahren verzichten und wäre damit zumindest mittelbar in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt. Eine unbillige Härte liegt mithin wegen der eintretenden Grundrechtsbeeinträchtigung auch in einem solchen Fall vor. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO sind damit erfüllt.
b) Rechtsfolgen
Fraglich ist allerdings, welche Rechtsfolge dies nach sich zieht. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO bestimmt, dass die Straßenverkehrsbehörden eine Ausnahme von der Schutzhelmpflicht genehmigen können, es handelt sich mithin um eine Ermessensentscheidung. Der Betroffene hat dabei grundsätzlich lediglich einen Anspruch darauf, dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei erfolgt. In Betracht kommt allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null, die letztlich einen Anspruch des Betroffenen auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung begründet. Eine Ermessensreduzierung auf Null setzt dabei voraus, dass der Ermessensspielraum der Verwaltung aufgrund besonderer Umstände so weit reduziert ist, dass alle Entscheidungen – mit Ausnahme der durch den Betroffenen begehrten – ermessensfehlerhaft wären. Solche besonderen Umstände könnten sich vorliegend daraus ergeben, dass dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren nicht zugemutet werden kann.  K hat allerdings auch ein Auto und verfügt über eine entsprechende Fahrerlaubnis.  Er ist damit nicht zwingend auf die Nutzung des Motorrads angewiesen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass ihm ein Verzicht auf das Motorradfahren nicht zugemutet werden kann. Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt mithin nicht in Betracht.
Allerdings müsste die Entscheidung der Behörde, die Erteilung der beantragten Genehmigung abzulehnen, dennoch ermessensfehlerfrei sein. Dies wäre indes nur dann der Fall, wenn die Entscheidung nicht gegen die Religionsfreiheit des K gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG verstößt. Die Religionsfreiheit ist vorbehaltslos gewährleistet, sodass Einschränkungen nur zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts, d.h. zum Schutz von Grundrechten Dritter oder Gemeinschaftswerten mit Verfassungsrang zulässig sind. Dazu führt das BVerwG aus:
„Die in § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO angeordnete Verpflichtung, beim Motorradfahren einen Schutzhelm zu tragen, soll dazu beitragen, die Folgen von Kraftradunfällen zu mindern und die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen zu erhöhen (Amtliche Begründung, VkBl. 1975, 667 <676>). Die Vorschrift dient zwar primär dem Schutz des Motorradfahrers und seiner Mitfahrer vor schweren Kopfverletzungen. Sie hat aber auch den Schutz der Allgemeinheit im Blick und soll Gefährdungen anderer Unfallbeteiligter oder Dritter vermeiden.“
Denn ein Motorradfahrer wird nach einem Unfall eher in der Lage sein, Gefahren für Leib und Leben anderer Personen abzuwenden, wenn er selbst – gerade weil er einen Helm getragen hat – weniger schwer verletzt ist. Die Schutzhelmpflicht dient damit dem Schutz von Leib und Leben, die ihrerseits durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Erste Hilfe leisten oder einen Notarzt rufen kann steigt, wenn er einen Schutzhelm trägt. Außerdem kann er besser dazu beitragen, weitere Schäden zu vermeiden, indem er die Unfallstelle z.B. durch das Aufstellen eines Warndreiecks absichert.
Dies ist auch von der Reichweite des Art. 2 Abs. 2 S. 1 gedeckt:
„Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, in Ausübung seiner Schutzpflicht schon die Entstehung von Gefährdungslagen zu bekämpfen und auf eine Risikominimierung hinzuwirken. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; das Grundrecht stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründen. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen.“
4. Ergebnis
Damit stehen der Religionsfreiheit des K andere, ebenso schutzwürdige Interessen gegenüber. Diese in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen, gewährleistet das der Straßenverkehrsbehörde durch § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO eingeräumte Ermessen im Einzelfall. Der Religionsfreiheit kommt damit jedenfalls kein genereller Vorrang zu, die Entscheidung ist mithin nicht bereits aus diesem Grund ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. K hat keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Seine Klage ist unbegründet.
III. Fazit
Die Entscheidung des BVerwG macht deutlich, dass fundiertes verfassungsrechtliches Wissen auch im Rahmen verwaltungsrechtlicher Klausuren erhebliche Bedeutung zukommt. Dies sollte Ansporn sein, bereits im Studium besonderes Augenmerk auf die Erlangung solider Kenntnisse in diesem Bereich zu legen das Rechtsgebiet auch in der Examensvorbereitung keinesfalls zu vernachlässigen.
 
 

25.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-11-25 10:00:432019-11-25 10:00:43BVerwG: Kein Anspruch auf Befreiung von der Motorrad-Helmpflicht aus religiösen Gründen
Dr. Maike Flink

Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 2: Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite, Verwaltungsrecht

Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung von entscheidender Bedeutung. Der folgende Überblick ersetzt zwar keinesfalls die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Entscheidungen, soll hierfür aber Stütze und Ausgangspunkt sein. Dargestellt wird daher eine Auswahl der examensrelevanten Entscheidungen der vergangenen Monate anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen und ergänzender kurzer Ausführungen aus den Gründen, um einen knappen Überblick aktueller Rechtsprechung auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts zu bieten.
 
I. Verwaltungsrecht
BVerwG (Urt. v. 13.6.2019 – 3 C 28.16, 3 C 29.16) zur Rechtmäßigkeit des sog. „Kükenschredderns“
Das BVerwG hat sich mit einer rechtlich, aber auch gesellschaftlich brisanten Thematik beschäftigt, nämlich der Frage nach der Rechtmäßigkeit des „Schredderns“ männlicher Küken unmittelbar nach dem Schlüpfvorgang. Diese beurteilt sich anhand von § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG i.V.m. § 1 S. 2 TierSchG: Das Töten männlicher Küken ist nur dann zulässig, wenn es nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Ein solcher Verstoß liegt allerdings vor, wenn einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Inwiefern ein solcher „vernünftiger Grund“ für das Töten der Küken vorliegt, ergibt sich aus einer Abwägung zwischen dem menschlichen Nutzungsinteresses und dem Tierschutz. Dabei können rein wirtschaftliche Interessen allerdings nicht ausreichen, um ein überwiegendes menschliches Nutzungsinteresse zu begründen. So heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:

„Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten.“

Trotz der damit anzunehmenden grundsätzlichen Unzulässigkeit des „Kükentötens“ bleibt das Verfahren indes zumindest vorübergehend weiterhin zulässig:

„Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
OVG Koblenz (Beschl. v. 12.6.2019 – 10 B 10515/19.OVG) zur Gleichbehandlung bei der Benutzung einer kommunalen Einrichtung
Das OVG Koblenz hatte die Rechtmäßigkeit einer Regelung in der Badeordnung eines gemeindlichen Schwimmbads zu beurteilen, die das Tragen von sog. Burkinis im Schwimmbad untersagte. Betreibt eine Gemeinde ein Schwimmbad als öffentliche Einrichtung, so hat sie grundsätzlich zugleich die Befugnis, das Benutzungsverhältnis durch Sonderverordnung zu regeln. Allerdings findet diese Regelungsbefugnis ihre Grenze einerseits in den verfassungsrechtlichen Rechten der Nutzer, andererseits darin, dass die jeweilige Nutzungsvorschrift der Erfüllung des bestimmungsgemäßen Anstaltszweck dienen muss. Zwar mag dabei das Burkiniverbot als solches – das eine Kontrolle ermöglichen soll, ob bei den Nutzern des Schwimmbads gesundheitsgefährdende Krankheiten bestehen – dem Anstaltszweck dienen, da es zum Schutz der übrigen Badegäste zumindest beiträgt. Allerdings verstößt die Regelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, denn: Sie belastet Trägerinnen von Burkinis stärker als andere Badegäste, deren Badebekleidung den Körper ebenfalls weitgehend bedeckt. Dazu führt das Gericht aus:

„Neoprenanzüge können ebenso wie Burkinis den ganzen Körper bedecken und haben unter Umständen auch eine Kopfhaube, lassen daher zur Kontrolle durch das Badepersonal nicht weniger Körperteile frei als Burkinis. Dass Neoprenanzüge nur während des Schwimmtrainings zugelassen sind, vermag daran nichts zu ändern. Dadurch dürfte zwar die Zahl der Badegäste, die in einem solchen schwimmen (und folglich auch die von ihnen ausgehenden potentiellen Gesundheitsgefahren), eher gering sein. Dies gilt aber in gleicher Weise für die Trägerinnen von Burkinis, weil nach den Angaben der Antragsgegnerin die städtischen Schwimmbäder zur Zeit von nur fünf Burkini-Trägerinnen besucht werden. […] Nach alledem ist die ungleiche Behandlung von Burkini-Trägerinnen einerseits und Trägerinnen und Träger von Neoprenanzügen andererseits nach dem Regelungsprogramm der Antragsgegnerin sachlich nicht gerechtfertigt und verstößt gegen den Anspruch der Antragstellerin auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
II. Staatshaftungsrecht
BGH (Urt. v. 6.6.2019 – III ZR 124/18) zur Stellung als Verwaltungshelfer
Der BGH hat sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die zur Ausführung einer verkehrsbeschränkenden Anordnung der Straßenbaubehörde und des der Anordnung beigefügten Verkehrszeichenplans Verkehrsschilder nicht ordnungsgemäß befestigen, als Verwaltungshelfer und damit Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen sind. Dabei legte es folgende Kriterien zugrunde:

 „[Es] ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen […]. Hiernach können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden […] Dafür ist erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe bestehen, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes „Werkzeug“ oder „Erfüllungsgehilfe“ des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss […].“.

Vor diesem Hintergrund wurde der mit der Anbringung des Verkehrsschildes betraute Mitarbeiter als Verwaltungshelfer eingeordnet: Die getroffene Verkehrsregelung (§ 45 StVO) stellt eine Maßnahme der Eingriffsverwaltung dar: Das durch sie angeordnete Ge- oder Verbot ist ein für die Verkehrsteilnehmer bindender Verhaltensbefehl. Indes ist die Regelung ohne das Aufstellen des entsprechenden Verkehrsschildes nicht wirksam, sodass es sich auch bei dieser rein tatsächlichen Tätigkeit um eine hoheitliche Aufgabe handelt. Dabei hatte der Mitarbeiter die vorgegebene Verkehrsregelung an der vorgegebenen Stelle umzusetzen, einen eigenen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum hatte er daher nicht, er war allein „verlängerter Arm“ der zuständigen Behörde.

02.10.2019/0 Kommentare/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-10-02 10:00:292019-10-02 10:00:29Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 2: Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht
Dr. Maike Flink

OVG Koblenz: Burkini-Verbot verletzt Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zulassung zu kommunalen Einrichtungen

Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Das Kommunalrecht ist ein von vielen Examenskandidaten gefürchtetes und häufig nur lückenhaft beherrschtes Rechtsgebiet. Dennoch ist es immer wieder Gegenstand von Examensklausuren. Dabei ist insbesondere der Anspruch auf Zulassung zu kommunalen Einrichtung ein „Dauerbrenner“ aus dem Bereich des Kommunalrechts, da er zugleich die Möglichkeit bietet, Grundkenntnisse des Verfassungsrechts abzufragen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der folgenden Entscheidung des OVG Koblenz vom 12.6.2019 (10 B 10515/19.OVG) zur Zulässigkeit eines Burkini-Verbots für die Benutzung eines städtischen Schwimmbads ist daher ratsam.
 
I. Sachverhalt
Die Stadt S betreibt ein städtisches Schwimmbad. In diesem Rahmen hat sie eine Badeordnung erlassen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen der Nutzung des Schwimmbades festlegt. So bestimmt sie unter anderem, dass „Personen, die an anstoßerregenden Krankheiten oder an meldepflichtigen übertragbaren Krankheiten im Sinne des Bundesseuchenschutzgesetzes oder offenen Wunden bzw. Hautausschlägen leiden, der Zutritt zu den Bädern nicht gestattet ist.“ Diese Badeordnung enthält zudem seit dem 1.1.2019 eine Regelung über die im Schwimmbad zulässige Badekleidung. Demnach müssen Badegäste, die sich im Nassbereich aufhalten eine Badehose, einen Badeanzug, einen Bikini oder Badeshorts tragen. Andere Schwimmbekleidung ist nicht zulässig. Eine Ausnahme bilden Neoprenanzüge. Diese dürfen von Leistungsschwimmern und Triathleten im Rahmen ihres Schwimmtrainings getragen werden. M ist Einwohnerin von S und leidet – was zutrifft – aufgrund eines Bandscheibenvorfalls an starken Rückenschmerzen, zu deren Linderung der Besuch eines Schwimmbades dringend erforderlich ist. Allerdings ist M gläubige Muslima und kann aufgrund ihres Glaubens nur in einem sog. Burkini schwimmen gehen. Dieser bedeckt bis auf das Gesicht, die Hände und die Füße den gesamten Körper. M macht geltend, die Badeordnung, die ihr das Tragen eines Burkinis im Schwimmbad verbietet, verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Um schnellstmöglich wieder das Schwimmbad nutzen und ihre krankheitsbedingten Schmerzen lindern zu können, beantragt M beim zuständigen Oberverwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
 
II. Rechtliche Würdigung
 1. Zulässigkeit des Antrags
Zunächst müsste der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO zulässig sein. Dies ist der Fall, wenn die Überprüfung der Vorschriften der Badeordnung einen statthaften Antragsgegenstand darstellt und die Antragstellerin antragsbefugt ist.
a) Statthafter Antragsgegenstand
Die Überprüfung der Nutzungsvorschriften der Badeordnung müssten zunächst einen statthaften Antragsgegenstand darstellen. Dies richtet sich nach § 47 Abs. 1 VwGO. In Betracht kommt vorliegend ein Verfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 AGVwGO RP (Ausführungsgesetz zur VwGO des Landes Rheinland-Pfalz). Dazu müsste es sich bei der Badeordnung um eine öffentlich-rechtliche Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO handeln.
 aa) Öffentlich-rechtlich
Die Badeordnung müsste zunächst öffentlich-rechtlicher Natur sein. Grundsätzlich kann eine Gemeinde frei entscheiden, ob sie das Verhältnis zwischen der öffentlichen Anstalt und ihren Benutzern öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich regelt. Dies gilt auch dann, wenn eine Einrichtung eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 14 Abs. 2 GemO RP ist und den Einwohnern der Gemeinde daher ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Benutzung zusteht. Indes ist in einem solchen Fall regelmäßig von einer öffentlich-rechtlichen Regelung des Benutzungsverhältnisses auszugehen, sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen. So führt das Gericht aus:

„Eine Aufspaltung der Rechtsbeziehungen und eine Unterstellung des Benutzungsverhältnisses unter das Privatrecht trotz öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruchs kann nämlich nur dann vorgenommen werden, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen der öffentlichen Einrichtung und den Benutzern von der Gemeinde eine eindeutige privatrechtliche Ausgestaltung erfahren haben.“

Dies ist vorliegend nicht der Fall: Bereits die Bezeichnung „Badeordnung“ ist ein Indiz für den öffentlich-rechtlichen Charakter, da sie unterstreicht, dass die Stadt S die Regelungen für die Benutzung durch einseitigen Willensakt festsetzt und diese für die Benutzer verbindlich sind. Dies wird dadurch untermauert, dass die Badeordnung Bestimmungen über den Benutzerkreis und den Ausschluss von Badegästen trifft und damit den öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch nach § 14 Abs. 2 GemO RP näher ausgestaltet. Diese Bestimmungen sind letztlich Grundlage für den Erlass von entsprechenden Verwaltungsakten, welche die subjektiven Rechte der Gemeindeeinwohner auf Benutzung des städtischen Schwimmbades einschränken. Es handelt sich mithin mangels eindeutig privatrechtlicher Ausgestaltung durch S um eine öffentlich-rechtliche Regelung.
bb) Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO
Zudem trifft die Badeordnung eine verbindliche abstrakte Regelung mit Außenwirkung für die Nutzer des Schwimmbades. Es handelt sich mithin um eine unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Ein statthafter Antragsgegenstand liegt damit vor.
b) Antragsbefugnis der Antragstellerin
Die M müsste auch antragsbefugt sein. Dies ist der Fall, wenn sie geltend machen kann, durch die Bekleidungsvorschriften der Badeordnung in ihren Rechten verletzt zu sein oder eine entsprechende Rechtsverletzung in absehbarer Zeit eintreten wird. Die M ist Einwohnerin der Stadt S und als solche grundsätzlich gem. § 14 Abs. 2 GemO RP grundsätzlich berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Stadt zu nutzen. M leidet aufgrund eines Bandscheibenvorfalls an Rückenschmerzen, die durch Schwimmen gelindert werden können. M ist gläubige Muslima und kann ihrem Glauben entsprechend das Schwimmbad nur dann benutzen, wenn sie einen Burkini trägt. Dies ist ihr indes untersagt, wohingegen das Tragen von Neoprenanzügen zulässig ist. Daher besteht zumindest die Möglichkeit, dass M in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Sie ist mithin antragsbefugt.
c) Zwischenergebnis
Der Antrag der M ist zulässig.
2. Begründetheit
Der Antrag müsste jedoch auch begründet sein. Im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht eine einstweilige erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Entscheidend ist insofern eine Abwägung der Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte gegenüber denjenigen Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der spätere Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Entscheidende Bedeutung hat dabei, ob der spätere Normenkontrollantrag offensichtlich begründet oder unbegründet ist. Für die Überprüfung der durch S erlassenen Badeordnung ist das Verfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft. Diese hält der gerichtlichen Überprüfung nur dann stand, wenn die Stadt S sich bei Erlass der Badeordnung auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann und die Badeordnung formell wie materiell rechtmäßig ist.
a) Ermächtigungsgrundlage
Zunächst müsste die Stadt S den Erlass der Badeordnung auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen können. Zwar fehlt es insofern an einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage. Allerdings ist anerkannt, dass die Befugnis der Gemeinde zum Betrieb einer kommunalen Einrichtung zugleich die Ermächtigung umfasst, dass Benutzungsverhältnis generell zu regeln, um die Verwirklichung der verfolgten Anstaltszwecke zu gewährleisten, ohne dass es insofern einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf. Dies fußt auf dem Gedanken, dass es sich insofern nicht um eine Belastung des Bürgers im Rahmen der Eingriffsverwaltung handelt, sondern nur die Art und Weise einer Leistungsgewährung näher ausgestaltet wird.  Damit besteht eine ausreichende Rechtsgrundlage zum Erlass der Badeordnung.
b) Formelle Rechtmäßigkeit
An der formellen Rechtmäßigkeit der Badeordnung stehen mangels anderweitiger Anhaltspunkte keine Zweifel.
c) Materielle Rechtmäßigkeit
Fraglich ist allerdings, ob die Badeordnung auch materielle rechtmäßig ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die in der Badeordnung festgelegten Nutzungsvorschriften einerseits der Erfüllung des Anstaltszwecks dienen und andererseits kein Verstoß gegen höherrangiges Recht, insbesondere die verfassungsrechtlichen Rechte der Nutzer vorliegt.
aa) Badeordnung dient der Erfüllung des Anstaltszwecks
Zunächst müssten die Nutzungsvorschriften der Badeordnung dem Anstaltszweck dienen. In der Badeordnung ist festgelegt, dass Personen, die unter anstoßerregenden Krankheiten oder meldepflichtigen Krankheiten im Sinne des Bundesseuchenschutzgesetzes oder offenen Wunden bzw. Hausausschlägen leiden, der Zutritt zum Nassbereich des Schwimmbads untersagt ist. Um diese Regelung zu überwachen, müssen die Körper der Badegäste für das Badepersonal sichtbar sein, was bei einer vollständigen Bekleidung gerade nicht der Fall ist. Dies dient dem Schutz der Gesundheit anderer Badegäste. Wäre dieser nicht ausreichend gewährleistet, könnte das Schwimmbad insgesamt nicht betrieben werden. Damit dienen die in der Badeordnung vorgesehenen Bekleidungsvorschriften – und damit das Burkiniverbot – dem Anstaltszweck.
bb) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht
Allerdings dürften die Nutzungsvorschriften der Badeordnung, namentlich das Burkiniverbot auch nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Möglich erschiene ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar darf der Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung eingeschränkt werden, jedoch darf sich diese Einschränkung nicht nur gegen einen Teil der Gemeindeeinwohner richten, sondern muss auf sachlichen Kriterien beruhen, die für alle Gemeindeeinwohner gleichermaßen gelten. Das Verbot der vollständigen Bekleidung bei der Nutzung des Nassbereichs belastet allerdings Trägerinnen von Burkinis ohne ausreichende sachliche Gründe stärker als andere Badegäste, die ihren Körper ebenfalls weitgehend bedecken. Denn für Triathleten und Leistungsschwimmer ist das Tragen von Neoprenanzügen jedenfalls im Rahmen ihres Schwimmtrainings erlaubt, obwohl diese gleichfalls den Körper beinahe vollständig bedecken. Mit Blick auf den Gesundheitsschutz anderer Badegäste sind indes keine Gründe ersichtlich, sie insofern eine Unterscheidung zwischen Neoprenanzügen und Burkinis rechtfertigen.
Denn einerseits bedecken Neoprenanzüge den Körper ebenso weitgehend wie Burkinis: Auch die hüllen den ganzen Körper ein und haben regelmäßig eine Kopfhaube. Auch aus dem Umstand, dass Neoprenanzüge nur während des Schwimmtraining getragen werden dürfen, folgt keine andere Bewertung. Zwar handelt es sich insofern nur um eine kleine Anzahl von Badegästen, die einen Neoprenanzug tragen, aber auch die Zahl der Trägerinnen von Burkinis wird regelmäßig überschaubar sein. Zudem ist nicht ersichtlich, dass Trägerinnen von Burkinis weniger verantwortungsvoll handeln als Träger von Neoprenanzügen, wenn sie an ansteckenden Hautkrankheiten leiden. Darüber hinaus werden auch die Träger von Neoprenanzügen nicht vorab daraufhin überprüft, ob sie entsprechende Krankheiten aufweisen. Dies gilt weder im Rahmen eines professionellen, noch eines privaten Trainings. Denn weder wird der Schwimmtrainer die Verantwortung für die Kontrolle der Körper der Leistungsschwimmer übernehmen, noch wird das Badepersonal bei einem Training ohne Schwimmtrainer eine Kontrolle vor dem Anlegen des Neoprenanzugs durchführen. Beim Tragen von Neoprenanzügen besteht damit gleichermaßen die Gefahr, das Personen mit ansteckenden Hautkrankheiten das Schwimmbad nutzen. Es sind mithin keinerlei sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Trägerinnen von Burkinis und den Trägern von Neoprenanzügen ersichtlich. Die entsprechende Klausel in der Badeordnung verstößt erkennbar gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
c) Zwischenergebnis
Die Nutzungsvorschriften in der Badeordnung, die das Tragen eines Burkinis verbieten, aber zugleich das Tragen von Neoprenanzügen erlauben, sind materiell rechtswidrig.
3. Ergebnis
Der spätere Normenkontrollantrag gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist wegen der materiellen Rechtswidrigkeit der Nutzungsvorschriften der Badeordnung offensichtlich begründet. Damit ist der Erlass der einstweiligen Anordnung dringend geboten. Auch dieser Antrag ist mithin begründet.
III. Gesamtergebnis
Der Antrag der M auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet und hat daher Erfolg.
 
Anmerkung: In der Klausurbearbeitung müsste auch eine mögliche Verletzung von Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG angesprochen werden. Das Gericht hat sich vorliegend wegen des offensichtlichen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG begnügt, da  es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt und schon dieser Verstoß für sich genommen zur offensichtlichen Begründetheit des späteren Normenkontrollantrags in der Hauptsache führt.

17.09.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-09-17 10:00:202019-09-17 10:00:20OVG Koblenz: Burkini-Verbot verletzt Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zulassung zu kommunalen Einrichtungen
Dr. Lena Bleckmann

Wahl-O-Mat verfassungswidrig – Entscheidung des VG Köln

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Nur wenige Tage vor der Europawahl in Deutschland am 26. Mai 2019 entschied das Verwaltungsgericht Köln, der allseits viel genutzte „Wahl-O-Mat“, der von der Bundeszentrale für politische Bildung zur Verfügung gestellt wird, sei verfassungswidrig und dürfe daher vorerst nicht weiter betrieben werden.

Die Entscheidung gibt Anlass, die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO sowie den speziellen Anspruch politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 GG i.V.m. Art 3 GG zu wiederholen. Auch aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit kann von besonderer Prüfungsrelevanz der Entscheidung ausgegangen werden.
Was ist passiert?
Wie vor jeder größeren Wahl stellte die Bundeszentrale für politische Bildung auch zur Europawahl einen Wahl-O-Mat zur Verfügung. Hierbei kann der Nutzer zu insgesamt 38 Thesen Stellung beziehen und anschließend eine Gewichtung vornehmen, welche der Thesen ihm persönlich besonders wichtig sind. Sodann kann der Nutzer bis zu acht politische Parteien auswählen, mit denen seine Position verglichen werden soll. Das Ergebnis wird auf einer Übersichtsseite mit Zugang zu den detaillierten Antworten der einzelnen Parteien dargestellt.
Gegen dieses Anzeigeformat wendete sich nun die Partei Volt Deutschland. Diese ist seit März 2018 in Deutschland als Partei registriert und Teil der paneuropäischen Partei Volt Europa. Volt Deutschland ist – gerade im direkten Vergleich mit den etablierten Parteien – noch vergleichsweise unbekannt. Die Partei ist der Ansicht, die Auswahlmöglichkeiten und Anzeigepraxis benachteilige neue und kleine Parteien dadurch, dass lediglich acht Parteien in den direkten Vergleich miteinbezogen werden können. Es sei nicht einmal ein Vergleich mit allen zurzeit im Europaparlament vertretenen Parteien – 14 an der Zahl – möglich.
Wer sich mit mehr als acht Parteien vergleichen wolle, müsse den Vorgang mehrmals wiederholen und die jeweiligen Ergebnisse notieren. Hierunter litten in erster Linie kleinere Parteien, da Nutzer für eine schnelle Orientierung häufig nur die bereits bekannten Parteien auswählten, die auf der Anzeigeseite auch zuoberst angezeigt würden. Aufgrund der großen Bedeutung des Wahl-O-Mats für die politische Meinungsbildung begehrt Volt die Änderung dieses Anzeigeverfahrens. Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung selbst eine Änderung ablehnte, beantragte Volt am 15. Mai 2019 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Köln. (siehe zu den Gründen auch die Pressemitteilung von Volt Deutschland vom 15. Mai 2019).
Die Entscheidung des VG Köln
Das Verwaltungsgericht gab der Antragstellerin Recht: Kleinere Parteien seien durch den Anzeigemechanismus benachteiligt, wofür die Antragsgegnerin keine ausreichenden Rechtfertigungsgründe habe vorbringen können. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:
„Hierin sieht die Kammer eine faktische Benachteiligung kleinerer bzw. unbekannterer Parteien, zu denen auch die Antragstellerin gehöre. Dieser Anzeigemechanismus verletze jedenfalls mittelbar das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG.“
Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet gewesen, die Verletzung der Chancengleichheit zu rechtfertigen. Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Umsetzung der einstweiligen Anordnung sei technisch nicht möglich, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.“
(Siehe Pressemitteilung des VG Köln vom 20. Mai 2019)
 
Die Entscheidung in einer Klausur
Die Entscheidung bietet eine hervorragende Grundlage für eine Klausur im Verwaltungsrecht. Schwerpunkte dürften die Prüfung der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO sowie die Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG sein. Folgend soll ein Überblick über die wichtigsten Punkte gegeben werden. Es ist anzumerken, dass die Argumentation nicht unmittelbar der Pressemitteilung des Gerichts entnommen werden konnte, sodass in erster Linie auf die von den Parteien im Voraus vorgebrachten Argumente abgestellt wird.
Zulässigkeit
Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist beim Prüfungspunkt „Statthafte Antragsart“ stets zu einem Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO abzugrenzen, das nur einschlägig ist, sofern sich der Antrag gegen einen adressat-belastenden Verwaltungsakt richtet. Ein solcher liegt nicht vor, sodass nur § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. Hier ist wiederum zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung abzugrenzen. Die Partei begehrt hier nicht nur eine bloße Zustandssicherung, sondern eine vorläufige Regelung in der Form, dass der Bundeszentrale für politische Bildung das Betreiben des Wahl-O-Mats in der jetzigen Form untersagt wird.
Im Rahmen der besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen ist die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog sauber herauszuarbeiten – sie liegt grundsätzlich vor, wenn der Antragsteller auch in der Hauptsache klagebefugt ist, was inzident zu prüfen ist. Hier scheint eine Verletzung von Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht schlechterdings ausgeschlossen, sodass die Antragsbefugnis im Ergebnis zu bejahen ist. Bearbeiter können auch auf die Möglichkeit der Verletzung eines Anspruchs aus § 5 Abs. 1 PartG eingehen, der jedoch im Ergebnis nicht einschlägig sein dürfte, da Volt Deutschland nicht den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung begehrt.
Der richtige Antragsgegner entspricht ebenfalls dem Klagegegner in der Hauptsache. Eine Verpflichtungsklage in der Hauptsache scheidet aus, sodass sich der Klagegegner nicht aus § 78 VwGO analog, sondern aus dem Rechtsträgerprinzip als allgemeinem Prozessgrundsatz ergibt. Rechtsträger der Bundeszentrale für politische Bildung ist der Bund – mithin ist dieser auch im Rahmen des § 123 VwGO richtiger Antragsgegner.
Eine Antragsfrist ist nicht einzuhalten.
Siehe eine für ausführliche Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die klausurmäßige Aufbereitung einer früheren Entscheidung des VG Köln zum Wahl-O-Mat: https://www.juraexamen.info/vg-koln-eilantrag-der-ddp-gegen-wahl-o-mat-abgelehnt/
 
Begründetheit – Insbesondere: Der Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit
Der Antrag ist begründet, wenn der Antragsteller Tatsachen glaubhaft macht, die einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund begründen und wenn die gewünschte gerichtliche Entscheidung nicht über das hinausgeht, was der Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutzverfahren verlangen kann.
Schwerpunkt der Prüfung ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Dieser kann sich aus einer Verletzung des Rechts der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben.
Der sachliche Geltungsbereich dieses Rechts beschränkt sich nicht auf die Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen, sondern auf deren Tätigkeit schlechthin (vgl. Maunz/Dürig/Klein GG Art. 21 Rn. 297). Das Recht ergibt sich nach dem BVerfG „aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt“ (vgl. dazu. BVerfGE 85, 264 (297)). In der Klausur bietet es sich an, die Verletzung des Rechts anhand des bekannten Aufbaus für die Prüfung der Verletzung von Gleichheitsrechten zu prüfen.
Ungleichbehandlung
Alle Parteien müssen die gleichen Chancen auf das Gehört- und Gewähltwerden haben, um ihrem Mitwirkungsauftrag an der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG nachzukommen (vgl. Gröpl/Windhorst/von Coelln/von Coelln, Studienkommentar GG, Art. 21 Rn. 28). Der Staat soll keinen Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen.
Gerade im Zusammenhang mit Wahlen erlangt dieser Grundsatz besondere Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus:
„Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit hängt eng mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zusammen, die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren. Deshalb ist in diesem Bereich – ebenso wie bei der durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgten gleichen Behandlung der Wähler – Gleichheit in einem strikten und formalen Sinn zu fordern. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien verändern kann, sind ihrem Ermessen daher besonders enge Grenzen gezogen(…).“ (BVerfGE 120, 82 (105)).
Das bedeutet: Die Anforderungen an die Gleichbehandlung der Parteien durch die öffentliche Gewalt sind durch die sich aus Art. 38 Abs. 1 GG ergebenden Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verschärft – der Staat darf nichts tun, um die unterschiedlichen Wettbewerbschancen der Parteien bei Wahlen zu beeinflussen (siehe dazu BVerfGE 85, 264 (297)).
Die Anzeigepraxis des Wahl-O-Mats, bei der nur die Übereinstimmung mit jeweils acht Parteien in einem Durchgang verglichen werden kann, könnte indes eine Beeinflussung der Wettbewerbschancen darstellen. Die meisten Nutzer werden lediglich einen Vergleich vornehmen und dabei ihre Position mit den Parteien vergleichen wollen, die ihm bereits bekannt sind. Die Positionen unbekannterer Parteien bleiben dem Nutzer so unbekannt, sodass diese nicht die gleiche Chance des Gehörtwerdens erlangen. Dies wird dadurch verstärkt, dass die etablierten Parteien auf der Auswahlseite ganz oben angezeigt werden. Diese Einschätzung ändert sich nicht dadurch, dass der Nutzer die Möglichkeit hat, mehrere Vergleichsvorgänge durchzuführen. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Speicherung der Ergebnisse gestaltet sich dieses Vorgehen äußerst umständlich und dürfte nur in Einzelfällen tatsächlich stattfinden.
Mithin liegt eine Ungleichbehandlung kleinerer Parteien vor.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
An dieser Stelle ist besonders zu betonen, dass es sich bei dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit um eine streng formale Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes handelt, sodass die Ungleichbehandlung von Parteien nur aus zwingenden Gründen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann (siehe dazu ausführlich Maunz/Dürig/Klein GG Art. 21 Rn. 306 ff.).
Die Rechtfertigungsgründe, die die Bundeszentrale für politische Bildung hierzu vorgebracht hat, sind im Einzelnen nicht bekannt. Das VG Köln beschränkt sich darauf festzustellen, „die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet gewesen, die Verletzung der Chancengleichheit zu rechtfertigen. Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Umsetzung der einstweiligen Anordnung sei technisch nicht möglich, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden“(siehe Pressemitteilung des VG Köln vom 20. Mai 2019).
Volt Deutschland argumentierte insbesondere, dass dem Wahl-O-Mat vergleichbare Dienste gewährleisteten, dass die Positionen aller Parteien gleichermaßen zugänglich seien: „Denkbar wäre, dass den Nutzer*innen einfach alle 41 zur Wahl stehenden Parteien angezeigt werden. Das wäre wohl die fairste und beste Lösung, die auch bereits von anderen vergleichbaren Diensten genutzt wird“ (siehe Pressemitteilung von Volt Deutschland vom 15. Mai 2019).
Diese Argumentation scheint das VG Köln zu folgen. Ein zwingender Grund für die Ungleichbehandlung besteht nicht. Mithin ist das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG verletzt. Ein Anordnungsanspruch besteht.
Anordnungsgrund
Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich unproblematisch aus der unmittelbar bevorstehenden Europawahl.
Keine Vorwegnahme der Hauptsache
An dieser Stelle des Gutachtens sollte der Bearbeiter stets betonen, dass die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich nicht dazu führen soll, dass der Antragsteller bereits alles Erwünschte erreicht hat, sodass das Verfolgen der Hauptsache überflüssig würde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dort zu machen, wo dem Antragsteller bei Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare Nachteile drohen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. So gestaltet es sich hier: Wenngleich die Partei mit der Abschaltung bzw. Änderung des Anzeigeformats des Wahl-O-Mats bereits alles erreicht hat, was sie erreichen wollte, so würden ihr bei einem Verweis auf das Abwarten der Hauptsache unzumutbare Wettbewerbsnachteile bei der anstehenden Europawahl drohen. Insoweit ist die Untersagung des Betreibens des Wahl-O-Mats in der jetzigen Form keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.
Summa und Ausblick
Eine Fallgestaltung wie die vorliegende bietet dem Klausursteller die Möglichkeit, Grundlagen des Verwaltungs- und Verfassungsrechts abzuprüfen und dem Bearbeiter im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs Raum für eigene Überlegungen und Argumentation zu lassen. Fälle der Ungleichbehandlung von Parteien sind stets aktuell und ein beliebtes Prüfungsthema – sie sollten von Examenskandidaten keinesfalls vernachlässigt werden.
Insoweit ist auch auf die kürzlich ergangene Entscheidung des BVerfG zu einem Wahlwerbespot der NPD zu verweisen, siehe dazu: https://www.juraexamen.info/bverfg-keine-ausstrahlung-von-npd-wahlwerbespot/
Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung ursprünglich  angekündigt hatte, Beschwerde gegen den Beschluss des VG Köln einzulegen, haben sich die Beteiligten außergerichtlich geeinigt. Der Wahl-O-Mat ist nun wieder online. 

 

24.05.2019/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-05-24 08:10:302019-05-24 08:10:30Wahl-O-Mat verfassungswidrig – Entscheidung des VG Köln
Dr. Maike Flink

VGH Baden-Württemberg: Selbstbindung der Verwaltung durch jahrzehntelange Praxis

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Ein in Examensklausuren im Rahmen der Überprüfung von Ermessensentscheidungen häufig wiederkehrender Klassiker des allgemeinen Verwaltungsrechts ist die Frage nach der Selbstbindung der Verwaltung. Welche Anforderungen an das Bestehen einer derartigen Bindungswirkung zu stellen sind, hat nunmehr den VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluss v. 17.12.2018 – 6 S 2448/18 beschäftigt.
 
I. Sachverhalt (vereinfacht)
B betreibt seit Jahren eine Gaststätte in einem belebten Stadtteil der Gemeinde G, in dem sich auch eine Vielzahl anderer Gaststätten befindet. B hat sein Betriebskonzept auf ein Publikum abgestimmt, das bis in den frühen Morgen hinein ausgehen möchte. Daher beginnt B den Betrieb der Gaststätte erst um 23 Uhr und hat an Werktagen bis 5 Uhr, an den Wochenenden bis 7 Uhr geöffnet. Seit dem 12.2.1992 hatte G der B durchgehend eine jeweils auf sechs Monate befristete Sperrzeitverkürzung täglich auf 6 Uhr auf Grundlage von § 12 S. 1 GastVO BW erteilt. Gem. § 12 S. 1 GastVO kann bei „Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse (…) für einzelne Betriebe die Sperrzeit“ verkürzt werden. Eine Vielzahl anderer Gaststätten in diesem Stadtteil hatten in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls vergleichbare individuelle Sperrzeitverkürzungen erhalten. Folge dessen war, dass die allgemein durch § 9 GastVO BW festgelegte Sperrzeit im Ergebnis vollständig aufgehoben wurde. Nachdem die zuletzt an B erteilte Sperrzeitverkürzung am 10.11.2017 ausgelaufen war, lehnte die Gemeinde G die Erteilung einer weiteren Sperrzeitverkürzung ab. Dies begründete G damit, dass in den letzten Jahren vermehrt Beschwerden von Anwohnern registriert worden seien, die in den letzten sechs Monaten zudem stark zugenommen hätten. Dies beziehe sich auf den Betrieb des B, aber auch auf die Gesamtsituation im Stadtteil. Neben der lauten Musik aus den Gaststätten, störe die Anwohner insbesondere das Lärmen der Besucher auf den Straßen vor der Gaststätte. B wandte sich daraufhin gegen die ablehnende Entscheidung der G.
 
II. Lösung des VGH Baden-Württemberg
 
Im Ergebnis nahm der VGH Baden-Württemberg eine Selbstbindung der Gemeinde durch die in der Vergangenheit jahrzehntelang gewährte Sperrzeitverkürzung an. Dies hat zur Folge, dass sich das der Gemeinde durch § 12 GastVO BW grundsätzlich eingeräumte Ermessen in Bezug auf die Erteilung der Sperrzeitverkürzung auf Null reduziert hat, sodass die Versagung der erneuten Sperrzeitverkürzung letztlich rechtswidrig war. Dies stützt der VGH Baden-Württemberg auf folgende Erwägungen:
1. Grundsätzlich soll eine Sperrzeitverkürzung für einzelne Betriebe nach § 12 GastVO BW stets nur befristet und widerruflich erteilt werden. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der Vorschriften des § 11 GastVO BW und § 12 GastVO BW. Während § 11 GastVO BW allgemeine Ausnahmen von der Sperrzeit durch Rechtsverordnungen zulässt, betrifft § 12 GastVO BW den Fall einer Ausnahme für einzelne Betriebe durch Verwaltungsakt. Dies spricht grundsätzlich dagegen, dass allein eine wiederholte Erteilung einer Sperrzeitverkürzung über längere Zeit zu einem Anspruch auf eine Erteilung auch in Zukunft führt. Ein etwaiges Vertrauen auf die Beibehaltung der in der Vergangenheit gewählten Praxis ist im Hinblick auf den Zweck des § 12 GastVO BW, der gerade nur befristete Ausnahmen von der Sperrzeit ermöglichen soll, nicht schutzwürdig.

„Anders liegt es allerdings, wenn die Behörde mit der strittigen Entscheidung gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs 1 GG bzw. mit der Ablehnung einer beantragten Sperrzeitverkürzung gegen diesen Grundsatz verstößt. Anders (…) dürfte es auch dann liegen, wenn die Gaststättenbehörde durch jahrzehntelang wiederkehrende (allgemeine) Erteilung von Sperrzeitverkürzungen bzw. -aufhebungen an alle daran interessierten Gastronomen im Bereich eines näher bestimmten innerstädtischen Ausgehbezirks trotz Handelns in der Rechtsform der (individuellen) Ausnahme gemäß § 12 GastVO faktisch (…) für diesen Bereich die normative Wirkung einer Rechtsverordnung nach § 11 GastVO herbeiführt.“

In der Vergangenheit hatte G jahrzehntelang an B, aber auch an die übrigen im konkreten Stadtteil ansässigen Gastwirte, Sperrzeitverkürzungen erteilt und damit faktische eine normative Wirkung der durch sie festgelegten Sperrzeit herbeigeführt. Eine entsprechende Verwaltungspraxis war damit entstanden.
2. Möglicherweise konnte die G ihre Verwaltungspraxis jedoch zulässigerweise für die Zukunft abändern.

„Eine Ermessensbindung in Gestaltung einer rein tatsächlichen Verwaltungspraxis (kann) – ohne Verstoß gegen Vertrauensschutzaspekte – aus sachgerechten Erwägungen für die Zukunft geändert werden, auch wenn die Betroffenen gegenüber der bisherigen Praxis benachteiligt werden, sofern der zur Änderung der Verwaltungspraxis herangezogene Sachgrund konsequent umgesetzt wird.“

G hat allerdings keine individuelle Bewertung des Antrags der B auf Sperrzeitverkürzung vorgenommen. Insbesondere hat sie keine auf den konkreten Einzelfall bezogenen Ermessenserwägungen angestellt, sondern den Antrag allein unter Verweis auf den Beitrag der B zur Gesamtlärmbelastung abgelehnt, obwohl keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass B für sich genommen die maßgeblichen Lärmschutzwerte überschritten hat. Hinzu kommt, dass nicht sicher ist, ob durch die Versagung der Sperrzeitverkürzung gegenüber B eine Verbesserung der Lärmsituation für die Anwohner überhaupt erreicht werden kann. Im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der B erscheint die Versagung daher unverhältnismäßig. Weniger belastend wäre beispielsweise die Versagung der Sperrzeitverkürzung nur gegenüber solchen Gaststätten im fraglichen Stadtteil, die über eine Außenbewirtschaftung verfügen und daher eine höhere Lärmbelastung für die Anwohner erzeugen. Zumindest hätte der B jedoch ein angemessener Übergangszeitraum für eine Neuausrichtung ihres Betriebskonzepts gewährt werden müssen.
3. Erforderlich ist allerdings auch insofern, dass das Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Verwaltungspraxis schutzwürdig ist. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die B die tatsächlichen Gründe für die Änderung der Verwaltungspraxis kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Anhaltspunkte dafür, dass die B mit einer Änderung der Verwaltungspraxis rechnen musste, bestanden jedoch nicht.
 
III. Fazit
Auch wenn die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg für die Frage nach der Selbstbindung der Verwaltung keine grundlegend neuen Erkenntnisse beinhaltet, bietet sie doch Anlass zur Wiederholung der insofern bestehenden Voraussetzungen und auch der Rechtsfolgen, die sich aus der Bindung an eine bestehende Verwaltungspraxis ergeben können. In besonderem Maße zeigt die Entscheidung jedoch erneut auf, welche Bedeutung die genaue Arbeit mit dem Sachverhalt und eine saubere Subsumtion für eine erfolgreiche Klausurbearbeitung haben.

07.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-03-07 09:18:172019-03-07 09:18:17VGH Baden-Württemberg: Selbstbindung der Verwaltung durch jahrzehntelange Praxis
Dr. Matthias Denzer

Karteikarte Anfechtungsklage; § 42 VwGO

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04.02.2019/0 Kommentare/von Dr. Matthias Denzer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Matthias Denzer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Matthias Denzer2019-02-04 17:11:142019-02-04 17:11:14Karteikarte Anfechtungsklage; § 42 VwGO
Dr. Sebastian Rombey

Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 3/2018)

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Prüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, darf die Kenntnis aktueller Rechtsprechung nicht ausgespart werden. Im Gegenteil ist sie gerade dringend zu empfehlen. Der folgende Überblick soll für den Bereich des Öffentlichen Rechts hierbei eine Stütze sein.
I. Verfassungsrecht
1. BVerfG (Urt. v. 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15) zum Zensus 2011
Die Vorschriften über die Vorbereitung und Durchführung der zum 09.11.2011 erhobenen Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungszählung (Zensus 2011) sind verfassungsgemäß. Dazu das BVerfG:
Die betreffenden Vorschriften „verstoßen nicht gegen die Pflicht zur realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahlen der Länder und widersprechen insbesondere nicht dem Wesentlichkeitsgebot, dem Bestimmtheitsgebot oder dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch ein Verstoß gegen das Gebot föderativer Gleichbehandlung liegt nicht vor, da die Ungleichbehandlung von Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern gerechtfertigt ist, weil sie aus sachlichen Gründen erfolgte und zu hinreichend vergleichbaren Ergebnissen zu kommen versprach.“
Dabei hebt das BVerfG vor allem den Prognose-, Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Erhebungsverfahrens hervor.
2. BVerfG (Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR/15, 2 BvR 502/16) zur Fixierung eines Patienten in öffentlich-rechtlicher Einrichtung als Freiheitsentziehung
Die Fixierung eines Patienten stellt einen schweren Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person dar, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 104 GG. Daraus sowie aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgen strenge Anforderungen an die Rechtfertigung:
„Bei einer nicht nur kurzfristigen Fixierung handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, für die Art. 104 Abs. 2 GG den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung vorsieht. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt abermals auslöst, von einer richterlichen Unterbringungsanordnung also nicht gedeckt ist. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG folgt ein Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, verfahrensrechtliche Bestimmungen für die richterliche Anordnung freiheitsentziehender Fixierungen zu treffen.“
3. BVerfG (Urt. v. 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a.) zum Rundfunkbeitrag
Das BVerfG musste sich mit den Vorschriften über den Rundfunkbeitrag auseinandersetzen. Ein leidiges Thema, auch, da der Bruder des Vorsitzenden Kirchhof im Jahre 2010 ein Gutachten zum Rundfunkbeitrag veröffentlicht hatte, das aber nicht zur Befangenheit des Vizepräsidenten führte. Die Vorschriften zur Erhebung des Rundfunkbeitrages für die Erstwohnung sowie im nicht-privaten Bereich sieht das BVerfG als verfassungsgemäß an; mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei es allerdings, dass auch für Zweitwohnungen ein Rundfunkbeitrag zu leisten ist:
„Nach dem Urteil steht das Grundgesetz der Erhebung von Beiträgen nicht entgegen, die diejenigen an den Kosten einer öffentlichen Einrichtung beteiligen, die von ihr – potentiell – einen Nutzen haben. Beim Rundfunkbeitrag liegt dieser Vorteil in der Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen zu können. Auf das Vorhandensein von Empfangsgeräten oder einen Nutzungswillen kommt es nicht an. Die Rundfunkbeitragspflicht darf im privaten Bereich an das Innehaben von Wohnungen anknüpfen, da Rundfunk typischerweise dort genutzt wird. Inhaber mehrerer Wohnungen dürfen für die Möglichkeit privater Rundfunknutzung allerdings nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet werden.“
Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.

4. BVerfG (Urt. v. 12.06.2018 – 2 BvR 1738/12) zum Streikverbot für Beamte
Eine explizite Regelung, die verbeamteten Lehrern das Streikrecht versagen würde, fehlt im Grundgesetz. Deshalb könnte das Streikverbot eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG darstellen, soweit das Koalitionsrecht das Streikverbot umfasst und eine Rechtfertigung durch kollidierende Verfassungsgüter nicht möglich ist.
Dies lehnen die Karlsruher Richter in ihrer vielbeachteten Entscheidung jedoch kategorisch ab. Denn: „Das Streikverbot für Beamte stellt einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG dar. […] Es weist eine enge Verbindung auf mit dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, der Treuepflicht, dem Lebenszeitprinzip sowie dem Grundsatz der Regelung des beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisses einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber.“
Treibender Gedanke dieser Strukturprinzipien sei es, dass der Staat stets handlungsfähig bleiben müsse, was nur der Fall sei, wenn er sich auch in Krisenzeiten auf seine Beamten verlassen könne. Ein Streikverbot stünde dem jedoch diametral gegenüber. Zudem könne eine Ausnahme verbeamteter Lehrer vom Streikverbot mit der Begründung, nur auf „Kernbereichs-Beamten“ müsse sich der Staat in Krisenzeiten verlassen können, zu einem Ungleichgewicht der Grundsätze des Berufsbeamtentums führen. Ein solches System von Beamten erster und zweiter Klasse lehnt das BVerfG überzeugend ab und vermeidet damit auch unangenehme Abgrenzungsprobleme zwischen „Kernbereichs- und Randbereichsbeamten“. Zudem: „Könnte die Besoldung von Beamten […] erstritten werden, ließe sich die derzeit bestehende Möglichkeit des einzelnen Beamten, die verfassungsmäßige Alimentation gerichtlich durchzusetzen, nicht mehr rechtfertigen.“
Vgl. dazu näher sowie zu den Auswirkungen des Art. 11 Abs. 1 EMRK unsere Entscheidungsbesprechung.
5. BVerfG (Beschl. v. 23.05.2018 – 1 BvR 97/14, 1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14, erst am 09.08.2018 per PM Nr. 68/2018 veröffentlicht) zur Hofabgabepflicht für Landwirte
Die sog. Hofabgabeklausel des § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG (Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte), wonach Landwirte erst dann Anspruch auf Regelaltersrente haben, wenn sie ihr Unternehmen, besser gesagt ihren Hof, abgegeben haben, ist verfassungswidrig – so das BVerfG im Rahmen der Entscheidung über mehrere Verfassungsbeschwerden.
Denn darin liege eine nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eigentumsrelevante Maßnahme. Die Koppelung einer Rente an die Abgabe eines landwirtschaftlichen Hofs entfalte eingriffsgleiche Wirkung und greife faktisch in das Sacheigentum am Hof ein. § 11 Abs. 1 S. 3 ALG stelle insoweit zwar eine rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Die den Landwirt treffende Pflicht, zum Erhalt von Regelaltersrente seinen Hof abzugeben, sei jedoch dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn ihm dadurch in unzumutbarer Weise Einkünfte entzogen würden, die zur Ergänzung einer als Teilsicherung ausgestalteten Rente notwendig seien. Da zudem nicht alle Landwirte von den Änderungen der Norm im Jahre 2012 erfasst waren, liege ein gleichheitswidriger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, der im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen sei.
Darüber hinaus dürfe, damit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG vorliegt, die Gewährung einer Rente an den einen Ehepartner nicht von der Entscheidung des anderen Ehepartners über die Abgabe des Hofs abhängig gemacht werden.
S. eingehend zu dieser Entscheidung unseren Beitrag.
II. Verwaltungsrecht
1. BVerwG (Urt. v. 24.05.2018 – 3 C 25.16) zu einer kostenpflichtigen Abschleppmaßnahme bei kurzfristig aufgestellten Halteverbotsschildern
Für Halteverbotsschilder gelten die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze, und zwar selbst dann, wenn sie aus dringlichem Anlass aufgestellt werden. Nach der Judikatur des BVerwG zu Verkehrszeichen im ruhenden Bereich bestehen vergleichsweise geringe Anforderungen an die Sichtbarkeit und damit die Bekanntmachung des Verwaltungsaktes. Es genügt eine einfach Umschau nach dem Abstellen des Fahrzeugs im Hinblick auf etwaige Halte- oder Parkverbotsschilder, um als Verkehrsteilnehmer seinen Pflichten nachzukommen. Wird ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug dadurch zu einem verbotswidrig abgestellten Fahrzeug, dass erst nach dem Parkvorgang ein Halteverbotsschild aufgestellt wird, können die Kosten des Abschleppvorgangs erst nach Ablauf des dritten Tages als verhältnismäßig angesehen werden – jedenfalls wenn man der Ansicht des BVerwG folgt. Das OVG Münster als Vorinstanz war insoweit noch von einer 48-stündigen Frist zur Erfüllung der Obliegenheit von Verkehrsteilnehmern zur Prüfung des eigenen Fahrzeugs ausgegangen.
Um all dies mit den Worten des BVerwG zusammenzufassen: „Ist ein ursprünglich erlaubt geparktes Fahrzeug aus einer nachträglich eingerichteten Haltverbotszone abgeschleppt worden, muss der Verantwortliche die Kosten nur tragen, wenn das Verkehrszeichen mit einer Vorlaufzeit von mindestens drei vollen Tagen aufgestellt wurde. […].“
S. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
2. OVG Münster (Urt. v. 12.9.2018 – 6 A 2272/18) zur Ablehnung eines tätowierten Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst
Das OVG Münster hat in einem wichtigen Thema, das kontrovers diskutiert wurde, endlich Klarheit geschaffen. Die Ablehnung eines am Unterarm großflächig tätowierten Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst sei nur mittels gesetzlicher Grundlage rechtmäßig, so das nüchterne Urteil der Münsteraner Richter, das im Einklang mit der im letzten Jahr ergangenen Entscheidung des BVerwG steht. Frühere Entscheidungen hatten dagegen etwa noch darauf abgestellt, ob sich die Tätowierung bei Tragen der Uniform im Sichtbereich befindet oder aber mit dem Staatsdienst unvereinbare Elemente enthält.
Regelungen über die Zulässigkeit von Tätowierungen bedürften wegen ihrer Grundrechtsrelevanz einer hinreichend bestimmten Grundlage. Eine solche Relevanz für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Polizeivollzugsdienstbewerbers aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sei auch im Beamtenverhältnis im Rahmen des Art. 33 Abs. 2, 5 GG zu berücksichtigen. Deshalb müsse die grundsätzliche und vom Parlamentsvorbehalt erfasste Entscheidung über die Beschränkung grundrechtlich geschützter Positionen vom Gesetzgeber getroffen werden. Ein Verwaltungserlass des Landes reiche dagegen nicht aus.
Dazu die Pressemitteilung des OVG Münster v. 12.09.2018: „Zur Begründung führte der 6. Senat aus: Das Land habe die Einstellung des Klägers zu Unrecht wegen seiner Tätowierung versagt. […] Der parlamentarische Gesetzgeber müsse die für die Grundrechtsverwirklichung bedeutsamen Regelungen selbst treffen und dürfe dies nicht der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen. Zudem sei es Aufgabe des Gesetzgebers, gesellschaftliche Vorstellungen einzuschätzen und ihre rechtliche Relevanz festzulegen. Auch im Falle einer zulässigen Ermächtigung der Verwaltung, Näheres durch Verordnung zu regeln, müsse aus der parlamentarischen Leitentscheidung erkennbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein solle.“
Vgl. hierzu unsere Entscheidungsbesprechung.
III. Staatshaftungsrecht
BGH (Urt. v. 14.06.2018 – III ZR 54/17) zur analogen Anwendbarkeit des § 680 BGB auf den Amtshaftungsanspruch
Der BGH hat sich mit dem Haftungsmaßstab befasst, der beim Einsatz der Berufsfeuerwehr gilt. Da hier regelmäßig eine Geschäftsführung zur Gefahrenabwehr gegeben ist, stellt sich die Frage, ob die im Privatrechtsverhältnis anerkannte Haftungsprivilegierung des § 680 BGB hier nicht analog herangezogen werden kann, was der BGH aber mit überzeugenden Argumenten verneint und damit einen seit langem schwelenden Streit entscheidet.
Beide Voraussetzungen für eine Analogiebildung lägen im Falle des Handelns der Berufsfeuerwehr nicht vor. Zunächst mangele es an einer vergleichbaren Interessenlage, da einem berufsmäßigen Helfer ein höheres Haftungsrisiko zumutbar sei als einem freiwilligen Helfer, zumal für die Berufsfeuerwehr ohnehin nur die Anstellungskörperschaft hafte:
„Nach Sinn und Zweck von § 680 BGB soll der potenzielle Geschäftsführer in Augenblicken dringender Gefahr zur Hilfeleistung ermutigt werden, weil dies auch im allgemeinen Interesse erwünscht und nach § 323c StGB unter Umständen sogar gefordert ist. Die Vorschrift des § 680 BGB will also denjenigen schützen und in gewissem Umfang vor eigenen Verlusten bewahren, der sich zu spontaner Hilfe entschließt. Sie berücksichtigt, dass wegen der in Gefahrensituationen geforderten schnellen Entscheidung ein ruhiges und überlegtes Abwägen ausgeschlossen ist und es sehr leicht zu einem Sichvergreifen in den Mitteln der Hilfe kommen kann […]. Diese Situation entspricht nicht derjenigen von Amtsträgern, zu deren öffentlich-rechtlicher Pflicht die „berufsmäßige“ Abwehr einer dringenden Gefahr für Einzelne oder die Allgemeinheit gehört (vgl. § 2 Absatz I 1 BWFwG zur gesetzlichen Aufgabe der von der Bekl. unterhaltenen Feuerwehr). Die genannten Amtsträger sind auf die mit der Gefahrenabwehr häufig verbundenen Noteinsätze typischerweise vorbereitet und können auf entsprechende Erfahrungen aus dem Berufsalltag zurückgreifen, so dass das Risiko eines Fehlverhaltens deutlich geringer ist als bei zufällig hinzutretenden Personen […]. Zudem hat die hinter der Haftungsbeschränkung des § 680 BGB stehende Erwägung, den fremdnützig in einer Notsituation eingreifenden Helfer vor eigenen Verlusten zu bewahren, in Fällen der Gefahrenabwehr durch Behörden deutlich weniger Gewicht.“
Ebenso wenig könne eine planwidrige Regelungslücke angenommen werden. Dies zeigt sich fernab von den Erwägungen des Senats schon daran, dass der Gesetzgeber in § 839 BGB selbst verschiedene Haftungsprivilegierungen aufgenommen hat, zu denen eine § 680 BGB entsprechende Regelung gerade nicht zählt. Dieser gesetzgeberische Wille darf nicht konterkariert werden.
„Das Gesetz enthält auch keine planwidrige Regelungslücke […]. Würde […] für die gesamte öffentlich-rechtliche Gefahrenabwehr, soweit sie Notsituationen betrifft, ein reduzierter Haftungsmaßstab entsprechend § 680 BGB gelten, wären bedeutende Bereiche staatlicher Tätigkeit von der Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausgenommen. Eine derartige Haftungsprivilegierung ist weder mit den vorgenannten Grundsätzen der Amtshaftung nach § 839 BGB vereinbar noch ist sie erforderlich. Denn der besonderen Situation eines Noteinsatzes kann – unter Berücksichtigung der Ausbildung und der Erfahrung des Amtsträgers – auch im Rahmen der Prüfung des Vorwurfs der einfachen Fahrlässigkeit hinreichend Rechnung getragen werden. Ist die objektiv richtige Handlung für den Amtsträger angesichts der Verhältnisse am Einsatzort und in der Kürze der für die Entscheidungsfindung zur Verfügung stehenden Zeit nicht erkennbar, kann ihm jedenfalls kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. Unter Umständen liegt bereits keine Amtspflichtverletzung vor.“
Vgl. hierzu unsere Entscheidungsbesprechung, die auch der Frage nachgeht eingeht, ob das Urteil auch auf freiwillige Feuerwehren übertragbar ist.
[Unser Beitrag zur zivilrechtlichen Rechtsprechung dieses Quartals findet sich hier.]
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17.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-10-17 09:00:472018-10-17 09:00:47Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 3/2018)
Redaktion

Schema: Widerruf eines Verwaltungsakts, § 49 VwVfG

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Schema: Widerruf eines Verwaltungsakts, § 48 VwVfG

  • Gilt für die Aufhebung eines rechtmäßigen VAs.
  • Dagegen gilt § 48 VwVfG für die Aufhebung eines rechtswidrigen VAs.
  • Vorrangig sind speziellere Regelungen anzuwenden, insbesondere § 3 StVG, § 15 II, III GastG und § 45 II, III, IV WaffG.

I. Ermächtigungsgrundlage
§ 49 I VwVfG oder § 49 II VwVfG oder § 49 III VwVfG
II. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Zuständigkeit

– Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 49 V VwVfG iVm § 3 VwVfG
– Die sachliche Zuständigkeit liegt nach dem actus-contrarius-Gedanken bei derjenigen Behörde, die den ursprünglichen VA erlassen hat. Ausnahme:

– Es hat ursprüngliche eine unzuständige Behörde gehandelt oder
– Inzwischen wäre eine andere Behörde für den Erlass des Ausgangs-VAs sachlich zuständig.

2. Verfahren, insb. § 28 VwVfG

3. Form, insb. § 39 VwVfG

III. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage

a) § 49 I VwVfG

aa) Rechtmäßigkeit des widerrufenen VAs
bb) Aufzuhebender VA ist nicht begünstigend
cc) Widerruf ist nicht ausnahmsweise unzulässig oder ein VA gleichen Inhalts müsste erneut erlassen werden.

b) § 49 II VwVfG

aa) Rechtmäßigkeit des widerrufenen VAs
bb) Aufzuhebender VA ist begünstigend
cc) Widerrufsgrund gem. § 49 II Nr. 1-5 VwVfG
dd) Frist, §§ 49 II 2, 48 IV VwVfG

c) § 49 III VwVfG

aa) Rechtmäßigkeit des widerrufenen VAs
bb) Aufzuhebender VA ist begünstigend und zwar handelt es sich um eine Geld- oder Sachleistung
cc) Widerrufsgrund, § 49 III Nr. 1, 2 VwVfG
dd) Frist, §§ 49 III 2, 48 IV VwVfG

2. Rechtsfolge: Ermessen

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

10.11.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-11-10 10:00:042017-11-10 10:00:04Schema: Widerruf eines Verwaltungsakts, § 49 VwVfG
Redaktion

Schema: Allgemeine Feststellungsklage, § 43 I Fall 1 VwGO

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Schema: Allgemeine Feststellungsklage, § 43 I Fall 1 VwGO

A. Zulässigkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

1. Aufdrängende Sonderzuweisung

2. Generalklausel, § 40 I 1 VwGO

a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
b) Nichtverfassungsrechtlicher Art
c) Keine abdrängende Sonderzuweisung

II. Statthafte Klageart
Richtet sich nach dem Antrag bzw. Begehren des Klägers, § 88 VwGO.

1. Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines hinreichend konkreten öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses

2. Keine Subsidiarität, § 43 II 1 VwGO

III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO (analog)

Es muss zumindest die Möglichkeit bestehen, dass der Kläger in einem ihm zustehenden subjektiven Recht verletzt ist.

IV. Feststellungsinteresse, § 43 I VwGO
– Bei gegenwärtigen Rechtsverhältnissen genügt jedes berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung. Dies kann jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein.
– Bei bereits erledigen Rechtsverhältnissen ist ein qualifiziertes Feststellungsinteresse erforderlich. Fallgruppen: Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse, Präjudizität, tiefgreifender Grundrechtseingriff.
– Bei zukünftigen Rechtsverhältnissen bedarf es eines qualifizierten Feststellungsinteresses. Erforderlich ist, dass der Verweis auf nachgehenden Rechtsschutz für den Kläger unzumutbar ist.

V. Vorverfahren, § 68 VwGO
Grundsätzlich entbehrlich, ausnahmsweise erforderlich, wenn der Kläger aus einem Beamtenverhältnis klagt.

VI. Frist, § 74 VwGO

Grundsätzlich entbehrlich, ausnahmsweise erforderlich, wenn der Kläger aus einem Beamtenverhältnis klagt.

VII. Richtiger Beklagter
Rechtsträger zu dem das behauptete Rechtsverhältnis beseht.

VIII. Beteiligen- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

B. Begründetheit

(+), soweit das vom Kläger geltend gemachte Rechtsverhältnis besteht bzw. das von ihm verneinte Rechtsverhältnis nicht besteht.
Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

19.10.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-10-19 10:00:182017-10-19 10:00:18Schema: Allgemeine Feststellungsklage, § 43 I Fall 1 VwGO
Redaktion

Schema: Rücknahme eines Verwaltungsakts, § 48 VwVfG

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Schema: Rücknahme eines VAs, § 48 VwVfG

  • Gilt für die Aufhebung eines rechtswidrigen VAs.
  • Dagegen gilt § 49 VwVfG für die Aufhebung eines rechtmäßigen VAs.
  • Vorrangig sind speziellere Regelungen anzuwenden, insbesondere § 45 I WaffG und § 15 I GastG sind insofern zu beachten.

I. Ermächtigungsgrundlage ist § 48 I 1 VwVfG
II. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Zuständigkeit
– Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach § 48 V VwVfG iVm § 3 VwVfG.
– Die sachliche Zuständigkeit liegt nach dem actus-contrarius-Gedanken bei derjenigen Behörde, die den ursprünglichen VA erlassen hat. Ausnahme:

– Es hat ursprüngliche eine unzuständige Behörde gehandelt oder
– Inzwischen wäre eine andere Behörde für den Erlass des Ausgangs-VAs sachlich zuständig.

2. Verfahren
3. Form

II. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen VAs

 a) Formelle Rechtmäßigkeit
 b) MaterielleRechtmäßigkeit

2. Vertrauensschutz, § 48 I 2, II-III VwVfG

– Bei einem rechtswidrigen, nicht begünstigenden VA gelten keine weiteren Voraussetzungen (§ 48 I 1 VwVfG).

– Bei einem rechtswidrigen, begünstigenden VA, der eine einmalige oder laufende Geld- oder teilbare Sachleistung gewährt, darf keine Rücknahme erfolgen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des VAs vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 II 1 VwVfG).

– Wann das Vertrauen idR schutzwürdig ist, bestimmt sich nach § 48 II 2 VwVfG.
– Wann das Vertrauen keinesfalls schutzwürdig ist, bestimmt sich nach § 48 II 3 VwVfG.

– Bei einem rechtswidrigen, begünstigenden VA, der nicht unter Abs. 2 fällt, bestehen keine weiteren Voraussetzungen. Dem Betroffenen ist jedoch der entstandene Vermögensnachteil auszugleichen (§ 48 III 1 VwVfG).

3. Rücknahmefrist, § 48 IV VwVfG
Ein Jahr ab Kenntnis derjenigen Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen.
– Frist gilt auch, wenn die Behörde erst nachträglich Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des VAs erlangt (hM). 
Arg.: Andernfalls wäre in diesem Fall eine unbefristete Rücknahme möglich.
– Frist beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde Kenntnis von allen entscheidungserheblichen Tatsachen hat (hM).
IV. Rechtsfolge: Ermessen, § 48 I 1 VwVfG 
Exkurs: Rücknahme europarechtswidriger Subventionen

  • § 48 VwVfG ist auch einschlägig im Falle von europarechtswidrigen Subventionen, wenn die Rechtswidrigkeit der Beihilfe von der Kommission entsprechen der Art. 107, 108 AEUV festgestellt wurde. Eine spezielle europarechtliche Ermächtigungsgrundlage existiert nicht.
  • Insofern ist zu beachten, dass die Anwendung von § 48 VwVfG die Rücknahme nicht faktisch unmöglich machen darf, das europarechtliche Interesse muss voll berücksichtigt werden können (effet utile). Daher hat der Vertrauensschutz des Betroffenen in aller Regel zurückzutreten.
  • Im Falle europarechtswidriger Subventionen gilt die Jahresfrist des § 48 IV VwVfG grds. nicht, es ist eine unbegrenzte Rücknahme möglich.
  • Fall der Ermessensreduzierung auf Null.

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

26.05.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-05-26 10:00:432017-05-26 10:00:43Schema: Rücknahme eines Verwaltungsakts, § 48 VwVfG
Redaktion

Schema: Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes

Vorüberlegung: „VA-Befugnis“ vorhanden: Darf die Behörde überhaupt in Form eines VAs handeln?
I. Ermächtigungsgrundlage

1. Erforderlich
Es gilt der Grundsatz vom Vorbehalt das Gesetzes.

2. Auswahl der Ermächtigungsgrundlage

– Grds. ist die Prüfung auf die von der Behörde angegebene Ermächtigungsgrundlage zu stützen.

– (P) Kann das Gericht die von der Behörde angegebene Ermächtigungsgrundlage „austauschen“, wenn sich diese als nicht tragfähig erweist?

3. Die Ermächtigungsgrundlage muss ausreichend und wirksam sein.
Grds. kann von der Wirksamkeit der Ermächtigungsgrundlage ausgegangen werden. Eine vertiefte Prüfung ist jedoch insbesondere erforderlich, wenn es sich bei der Ermächtigungsgrundlage um eine Rechtsverordnung oder Satzung handelt.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Zuständigkeit

2. Verfahren, §§ 9ff. VwVfG

a) Anhörung, § 28 VwVfG
= Die Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern.

aa) Anhörung erforderlich (§ 28 I VwVfG)

– Grds. erforderlich bei Erlass eines VA, der in die Rechte eines Beteiligten (§ 13 VwVfG) eingreift.

– Str. ob Anhörung auch bei bloßer Ablehnung eines Antrags erforderlich ist (Rspr.: (-), Versagung einer Begünstigung ist kein Eingriff, h.L. (+), bloße Ablehnung kann ebenso schwer wiegen wie ein Eingriff).

– Unterbliebene Anhörung kann gem. § 45 I Nr. 3 VwVfG nachgeholt werden.

bb) Anhörung ausnahmsweise entbehrlich (§ 28 II VwVfG)

cc) Anhörungsverbot (§ 28 III VwVfG)

b) Mitwirkungsverbote, §§ 20f. VwVfG

c) Mitwirkung anderer Behörden

3. Form

a) Gem. § 37 II VwVfG grds. formfrei, etwas anderes kann sich aus Spezialgesetzen ergeben.

b) Begründung, § 39 VwVfG

– Es liegt nur dann ein Verstoß vor, wenn die Begründung völlig fehlt, unvollständig ist oder wahre Gründe verschwiegen werden.

– Ob die von der Behörde angegebenen Gründe geeignet sind, den Erlass des VAs zu rechtfertigen, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage 

2. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

a) Bestimmtheit, § 37 I VwVfG

b) Keine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit

3. Richtiger Adressat

4. Rechtsfolge: Ermessensentscheidung oder gebundene Entscheidung?

a) Gebundene Entscheidung: Anordnung der vorgesehenen Rechtsfolge
(P) Ausnahmsweise Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch bei gebundenen Entscheidungen?

b) Ermessensentscheidung:

aa) Ermessensfehler?

(1) Ermessensnichtgebrauch

(2) Ermessensunterschreitung

(3) Ermessensfehlgebrauch

(4) Ermessensüberschreitung

bb) Ggf. Ermessensreduzierung auf Null

cc) Ggf. intendiertes Ermessen

IV. Fehlerfolgen
– § 44 VwVfG Nichtigkeit
– § 45 VwVfG Heilung
– § 46 VwVfG Unbeachtlichkeit
– § 47 VwVfG Umdeutung
 
Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de

22.09.2016/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-09-22 10:00:402016-09-22 10:00:40Schema: Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes
Redaktion

Schema: Der Antrag nach §§ 80 Abs. 5 S. 1, 80a VwGO

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Antrag auf Anordnung/Wiederherstellung

der aufschiebenden Wirkung, § 80 V 1 VwGO, § 80a VwGO

A. Sachentscheidungsvoraussetzungen

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges, § 40 I 1 VwGO

II. Statthafte Antragsart

1. Antragsbegehren des Antragstellers, § 88 VwGO analog: Antragsteller muss die Suspendierung eines VA begehren

2. Statthafter Antrag

a)  Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 V 1 Alt. 1 VwGO) in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 1-3 VwGO oder

b)  Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 V 1 Alt. 2 VwGO) in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 4 VwGO oder

c)  Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung eines VA mit Drittwirkung durch den Begünstigten (§ 80a III 1, I Nr. 1 VwGO), falls der Nachbarrechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat oder

d)  Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung eines VA mit Drittwirkung durch den Nachbarn (§ 80a III 1, I Nr. 2 VwGO), falls der Nachbarrechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung (klassisch: § 212a I BauGB) oder

e)  Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung eines VA mit Drittwirkung des begünstigten Dritten (§ 80a III 1, II VwGO, falls der Rechtsbehelf des belasteten Adressaten aufschiebende Wirkung hat) oder

f)  Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 V VwGO analog

III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Antragsteller muss die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte geltend machen.

IV. Antragsgegner, § 78 VwGO analog

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

1. Erforderlichkeit eines vorherigen Rechtsbehelfes [(-), Wortlaut]

2.Vorheriger Antrag an die Behörde auf Aussetzung der Vollziehung [§ 80 IV VwGO, nur im Rahmen des § 80 VI iVm § 80 II 1 Nr. 1 VwGO erforderlich]

3.Rechtsbehelf in der Hauptsache nicht offensichtlich unzulässig (Frist)

B. Begründetheit

I. Nur bei Antrag nach § 80 V 1 Alt. 2  VwGO und § 80a III 1, I Nr. 2 VwGO: Formell ordnungsgemäße Anordnung der sofortigen Vollziehung

1. Zuständigkeit, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO

2. Verfahren [Str.: § 28 VwVfG]

3. Form: Schriftform und Begründung, § 80 III 1 VwGO

II. Interessenabwägung
Antrag begründet, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt

1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache

a) „Ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des VA (in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 1-3, 2 VwGO) oder offensichtliche Rechtswidrigkeit des VA (im Fall des § 80 II 1 Nr. 4 VwGO):  Antrag begründet

b) Offensichtliche Rechtmäßigkeit des VA

– Antrag i.d.R. unbegründet in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 1-3, 2 VwGO (gesetzliche Wertung: Vorrang des Vollzugsinteresses, Ausnahme: Unbillige Härte)

– Im Fall des § 80 II 1 Nr. 4 VwGO: Str. ob zusätzlich Interessenabwägung erforderlich

2. Bei offenen Erfolgsaussichten

– Antrag i.d.R. unbegründet in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 1-3, 2 VwGO (gesetzliche Wertung: Vorrang des Vollzugsinteresses)

– Im Fall des § 80 II 1 Nr. 4 VwGO: umfassende Abwägung der beteiligten Interessen


 
Das Schema ist entnommen von myjurazone.de.
Vertiefte Erörterungen zum Antrag nach § 80 V VwGO könnt ihr hier finden.

14.07.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-07-14 11:00:552016-07-14 11:00:55Schema: Der Antrag nach §§ 80 Abs. 5 S. 1, 80a VwGO
Gastautor

Jur:next Urteil: „Sicher ist sicher – wieder ein Abschleppfall!“

Examensvorbereitung, Lerntipps, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

In Kooperation mit juraexamen.info stellt jur:next (Dein Partner für juristischen Einzelunterricht, Nachhilfe & Coaching; www.jurnext.de) jeweils ein Urteil des Monats aus den drei Rechtsgebieten vor. Diskutiere im Kommentarfeld direkt mit anderen die Entscheidung.

Einführung in die Thematik

Probleme um das „Abschleppen“ finden sich nicht nur im Öffentlichen, sondern auch im Zivilrecht. Im Zivilrecht drehen sich die Fälle um das Auffinden der richtigen Anspruchsgrundlagen (der BGH wählt § 823 II iVm § 868 BGB) und die einzelnen Schadensposten (was bekommt der Kläger ersetzt?). Auch im Öffentlichen Recht gehören die Fälle längst zum Standardrepertoire eines angehenden Juristen. Entscheidend für eine gute Klausur ist der richtige Einstieg in den Fall. In welcher Station steckt das Verfahren? Danach geht es in das Landesrecht, dort insbesondere in die Vorschriften zur Vollstreckung. Die Entscheidung des Gerichts greift das Abschleppen aus einer anderen Richtung auf. Hier wurde zum Schutz des Eigentums abgeschleppt.

Entscheidung des Gerichts

Was war passiert, im Fall des SächsOVG (NJW 2016, 181 f.)?
Die Polizeidirektion hatte den PKW des Klägers von einem Abschleppunternehmen zum Zwecke der Eigentumssicherung abschleppen lassen, da auf der hinteren rechten Seite des Fahrzeugs das Fenster nicht verschlossen war. Zuvor hatten die Polizeibeamten erfolglos versucht, die Telefonnummer des Klägers zu ermitteln, um ihn zu benachrichtigen. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Kostenbescheid gerichtete Klage abgewiesen. Ebenso das OVG.
Im Grunde geht das Gericht davon aus, dass es sich um eine Sicherstellung handelt:

„Rechtsgrundlage für eine Sicherstellung nach dem Polizeigesetz ist § 26 Abs. 1 SächsPolG. Danach kann die Polizei eine Sache sicherstellen, wenn dies erforderlich ist, um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung der Sache zu schützen. Entstehen der Polizei durch die Sicherstellung, Verwahrung oder Notveräußerung Kosten, so ist der Eigentümer oder der rechtmäßige Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach § 29 Abs. 1 Satz 3 SächsPolG zum Ersatz verpflichtet.“

Soweit handelt es sich um keine neue Erkenntnis. Geübte Bearbeiter von „Abschleppkonstellationen“ erkennen schnell, dass es sich um einen Fall der Sicherstellung handelt. Dann wird unter die entsprechende Landesnorm subsumiert. Interessant sind aber die Parallelen, welche das Gericht zur Geschäftsführung ohne Auftrag zieht:

„Bei der Sicherstellung zum Schutz des Eigentums wird die Polizei für den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt tätig. Ihrem Wesen nach ist sie vergleichbar mit der Geschäftsführung ohne Auftrag i. S. v. § 677 ff. BGB. Die Sicherstellung zur Eigentumssicherung ist folglich zulässig, wenn sie dem objektivierten mutmaßlichen Willen des Berechtigten entspricht. Ob sie vom Betroffenen tatsächlich gebilligt wird, ist hingegen unerheblich. Ob diese Voraussetzungen für eine Sicherstellung vorliegen, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.“

Die Rechtsprechung behandelt die abschleppenden Staatsdiener großzügig:

„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Sicherstellung im Eigentümerinteresse schon dann erforderlich, wenn der Polizei andere Maßnahmen, die den Zweck der Sicherstellung ebenso erreichen würden, nicht ohne weiteres möglich sind. Demzufolge ist die Polizei regelmäßig nicht verpflichtet, zunächst den Halter oder für die Beseitigung des Fahrzeugs sonst Verantwortlichen zu ermitteln. Solche Ermittlungen führen meist zu nicht absehbaren zeitlichen Verzögerungen, die mit dem Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr durch die Polizei und zudem nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht vereinbar sind.“

Doch liegt eine solche Gefahr bei einem nicht abgeschlossenen Fenster tatsächlich vor? Stellt Euch die Frage mal selbst: Ihr vergesst das Fenster Eures Autos zu schließen. Die Polizei kommt und lässt abschleppen. Im Anschluss erhaltet ihr einen Leistungsbescheid in Höhe von 200 Euro. Was meint Ihr? Ist das gerecht?
Das Gericht rekurriert auf die Umstände des Einzelfalls:

„Ob die im Interesse des Eigentümers vorgenommene Sicherungsmaßnahme verhältnismäßig ist, hängt davon ab, wie hoch im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls des Fahrzeugs, eines Diebstahls von Gegenständen aus dem Fahrzeug oder einer Beschädigung des Fahrzeugs ist, wenn die Sicherstellung unterbleibt. Hierbei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. Sie ist auf der Grundlage der der Polizei zum Zeitpunkt ihres Handelns zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen, wobei unter anderem die voraussichtliche Dauer der die Möglichkeit eines Schadenseintritts erhöhenden Umstände, der Abstellort sowie der Wert eines Fahrzeuges zu berücksichtigen sind.“

Dazu fehlten hier die Angaben im Sachverhalt. Unter dem Strich zeigt sich aber auch hier eine Tendenz pro staatliche Fürsorge.
 
Auswirkungen auf das Examen
In einer Examensklausur wird gerne abgeschleppt. Die Verzahnungen zwischen Polizei- und Ordnungsrecht sowie Verwaltungsvollstreckungsrecht schaffen ansehnlichen Prüfungsstoff. Weil das allgemein bekannt ist, braucht jemand, der weiter hinaus will, Spezialkenntnisse. Diese werden durch das Studium der Rechtsprechung vermittelt. Die Entscheidung des OVGs fordert zweierlei: Aufzeigen des Spielraums für den Abschlepper samt Schlüsselwörter (Parallele GoA etc.) sowie eine saubere Subsumtion!
 
Du suchst Erfolg und Spaß im Jurastudium und hervorragenden juristischen Einzelunterricht (Nachhilfe & Coaching) auf Augenhöhe? Weitere Informationen dazu findest Du auf www.jurnext.de.

28.06.2016/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2016-06-28 11:00:432016-06-28 11:00:43Jur:next Urteil: „Sicher ist sicher – wieder ein Abschleppfall!“
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Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW

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Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die […]

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04.06.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-06-04 08:43:322025-06-04 08:44:08Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW
Miriam Hörnchen

Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

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Die vom VG Berlin zu beantwortende Frage, ob die Ablehnung einer Bewerbung für den Polizeidienst wegen sichtbarer Tätowierungen rechtswidrig erfolgt, wirft eine Vielzahl examensrelevanter Fragestellungen auf: Aufgrund der Eilbedürftigkeit im […]

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03.06.2025/0 Kommentare/von Miriam Hörnchen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2025-06-03 08:45:032025-06-06 10:50:46Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

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