Ein Königreich für eine Gaststättenlizenz – OVG Münster zur Zulässigkeit der Schließung des Vereinslokals des „Königreichs Deutschland“
Mit Beschluss vom 12.08.2022 (Az.: 4 B 61/21) entschied das OVG Münster im Eilverfahren unter anderem über die Zulässigkeit der Schließung und Versiegelung einer Gaststätte. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Entscheidung lohnt sich nicht nur angesichts des ungewöhnlichen Sachverhalts: Denn der Fall führt quer durch das gesamte Öffentliche Recht, was ihn für Prüfungsämter besonders interessant machen dürfte. Der Kern des Falls liegt im Ordnungs- und Verwaltungsvollstreckungsrecht, daneben stellen sich prozessuale und sogar völkerrechtliche Fragen. Dass der Schwerpunkt einer Examensklausur im Völkerrecht liegt, ist zwar genauso unwahrscheinlich, wie dass hierin vertiefte Kenntnisse erwartet werden. Trotzdem sehen die Prüfungsordnungen der meisten Bundesländer vor, dass zumindest „völkerrechtliche Bezüge“ Teil des Pflichtfachstoffs sind, s. etwa § 18 Abs. 2 Nr. 5 lit. a JAPO (Bayern).
I. Der Sachverhalt
Die Antragstellerin betrieb in Köln eine Gaststätte, die sie als „Zweckbetrieb“ des „Königreichs Deutschland“ als Vereinslokal ohne gaststättenrechtliche Genehmigung führen wollte. Sie wies ihre Gäste darauf hin, dass das Lokal nur von „Staatsangehörigen und Zugehörigen des Königreichs Deutschland“ betreten werde dürfe, und dass die Gäste mit dem Betreten des Lokals temporär „Zugehörige des Königreichs Deutschland“ seien. Noch am Tag der Eröffnung kam es zu Verstößen gegen Hygienevorschriften zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Die Antragstellerin war der Ansicht, dass neben dem Recht des „Königreichs Deutschland“ keine weiteren Rechte und Pflichten – insbesondere nicht die Gesetze der Bundesrepublik – zu beachten seien. Nachdem es am Folgetag erneut zu Verstößen kam, schloss die Stadt Köln das Lokal und versiegelte es. Hiergegen ging die Antragstellerin um Eilverfahren vor. Im Rahmen des Eilverfahren beantragte sie „sinngemäß“, das „Königreich Deutschland“ beizuladen.
II. Die Entscheidung
Das OVG entsprach dem Antrag, das „Königreich Deutschland“ beizuladen nicht. Dafür hätten die rechtlichen Interessen des „Königreichs“ als Drittem nach § 65 Abs. 1 VwGO durch die Entscheidung berührt werden müssen. Ein rechtliches Interesse besteht, wenn der Dritte in einer solchen Beziehung zu einem Hauptbeteiligten des Verfahrens oder zu dem Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte. Nach den Feststellungen des Gerichts fehlte es hieran, denn Betreiberin der Gaststätte war allein die Antragstellerin selbst, ebenso war sie allein Mieterin der Räumlichkeiten. Zur Untervermietung der Räumlichkeiten an das „Königreich Deutschland“ war sie dagegen ausdrücklich nicht berechtigt. Auch für das Vorbringen der Antragstellerin, dass sie das Lokal als „Zweckbetrieb“ für das „Königreich Deutschland“ betreibe, sah das OVG Münster „keine nachvollziehbare Grundlage im geltenden Recht“: An dieser Stelle thematisierte das OVG, ob es sich beim „Königreich Deutschland“ um einen Staat im Sinne des Völkerrechts handele. Maßgeblich für das Bestehen eines Staates ist das Vorhandensein eines Staatsvolks, eines Staatsgebiets und einer souveränen Staatsgewalt. Erforderlich ist, dass sich ein auf einem bestimmten Gebiet sesshaftes Volk unter einer selbstgesetzten, von keinem Staat abgeleiteten, effektiv wirksamen und dauerhaften Ordnung organisiert hat. Da das „Königreich Deutschland“ weder völkerrechtlich als Staat anerkannt ist noch über ein eigenes Staatsgebiet verfügt, handelt es sich um keinen Staat im Sinne des Völkerrechts. Daneben könne sich das „Königreich Deutschland“ dafür, dass Zweckbetriebe durch abhängige Inhaber betrieben werden, nicht auf Art. 9 Abs. 1 GG berufen. Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG sei nicht eröffnet, weil keine „dem in Deutschland geltenden Recht entsprechende Organisationsform erkennbar“ sei, aus der das „Königreich Deutschland“ auf Grundlage von Art. 9 GG eigene Rechte ableiten könnte.
Nach Ansicht des OVG Münster war die Schließung und Versiegelung des Lokals als Zwangsmaßnahme durch die Stadt Köln rechtmäßig. Die Maßnahme stützte sich dabei auf §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62, 66, 69 VwVG NRW, es handelte sich also um eine Maßnahme des sofortigen Vollzuges, mit der einer Gefahr begegnet werden sollte, die aufgrund außergewöhnlicher Dringlichkeit des behördlichen Eingreifens ein gestrecktes Verfahren nicht zugelassen hätte. Die Voraussetzungen hierfür lagen vor, die Stadt Köln war zu der im Wege der Versiegelung vollstreckten Schließung des Gaststättenbetriebs nach § 31 GastG iVm. § 15 Abs. 2 S. 1 GewO befugt. Nach § 31 GastG iVm. § 15 Abs. 1 S. 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen Behörde verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne diese Zulassung betrieben wird. Nach § 2 Abs. 1 GastG bedarf der Betrieb eines Gaststättengewerbes einer Erlaubnis. Ob eine Gaststätte vorliegt, richtet sich nach § 1 GastG. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin eine genehmigungspflichtige Gaststätte betrieb. Eine Ausnahme ergebe sich nicht aus § 23 Abs. 2 S. 1 GastG: Denn hierfür hätte das Lokal einem Verein im Sinne des BGB überlassen sein müssen, was, wie eingangs festgestellt, nicht der Fall war. Damit wäre eine Genehmigung erforderlich gewesen, die – unstreitig – nicht vorlag.
Die Antragstellerin war auch richtige Adressatin der Maßnahme, da sie allein Betreiberin der Gaststätte war. Dem „Königreich Deutschland“ standen keine Rechte an dem Betrieb zu, stattdessen war die Antragstellerin wie gesehen Vertragspartnerin des Mietvertrags sowie Vertragspartnerin sämtlicher Lieferanten.
Auch war die Anwendung von Verwaltungszwang für die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Einerseits handelte es sich angesichts der fehlenden Genehmigung um einen formell rechtswidrigen Gaststättenbetrieb. Andererseits wäre der Betrieb einer Gaststätte durch die Antragstellerin auch materiell rechtswidrig, die Antragstellerin sei „unzuverlässig“ im Sinne des Gewerberechts. Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Eine Gaststättenbetreiberin, die sich nicht an geltendes Recht gebunden fühlt, bietet offenkundig nicht die Gewähr dafür, den Betrieb zukünftig in Übereinstimmung gerade mit diesem geltenden Recht zu führen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin im Verfahren wohl mehrfach erkennen ließ, ausschließlich die Gesetze des „Königreichs Deutschland“ zu achten.
III. Einordnung der Entscheidung
Erneut ist die Prüfungsrelevanz der Entscheidung hervorzuheben. Es handelt sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, wodurch sich prozessuale Schwierigkeiten stellen. Statthafte Antragsart gegen die Schließung und Versiegelung einer Gaststätte im Wege des Sofortvollzuges ist nach Ansicht des VG Köln und des OVG Münster § 80 Abs. 5 VwGO. Auch muss sich mit der Frage, ob das „Königreich Deutschland“ beizuladen ist, auseinandergesetzt werden. Im Klausuraufbau geschieht dies eleganterweise zwischen der Prüfung der Zulässigkeit und der Begründetheit des Antrags. Hier sind Grundkenntnisse des Völkerrechts gefragt, es muss sauber begründet werden, wieso das „Königreich Deutschland“ kein Staat im Sinne des Völkerrechts ist, was mithilfe der Sachverhaltsinformationen gelingen dürfte. Abhängig davon, wie breit das Problem im Sachverhalt angelegt ist, könnten auch Ausführungen dazu gemacht werden, ob die Antragstellerin überhaupt dem deutschen Recht unterworfen ist. Ebenfalls muss in diesem Zusammenhang auf Art. 9 GG eingegangen werden. Hier macht es sich das OVG Münster augenscheinlich zu leicht, wenn es zur Ablehnung von Art. 9 GG schlicht darauf verweist, dass das „Königreich Deutschland“ nicht in einer Weise dem in Deutschland geltenden Recht entsprechenden Form organisiert sei. Auch wenn zur Definition einer „Vereinigung“ (als Gedächtnisstütze) auf § 2 Abs. 1 VereinsG zurückgegriffen wird, kann das einfache Recht das Verfassungsrecht nicht verbindlich definieren. Art. 9 Abs. 1 schützt mit dem (formalen) Begriff der Vereinigung auch – aus der Sicht des einfach-gesetzlichen Vereins- und Gesellschaftsrechts – atypische Zusammenschlüsse; Voraussetzungen für deren verfassungsrechtlichen Schutz ist allein, dass sie die verfassungsrechtlichen Begriffsmerkmale einer Vereinigung erfüllen (Scholz in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 97. EL Januar 2022, Art. 9 GG Rn. 63). Soweit das Gericht darauf hinauswollte, dass Art. 9 GG einer Vereinigung kein Recht verleiht, in Gerichtsprozessen beigeladen zu werden, weil es hierfür auf die Rechtsfähigkeit der Vereinigung ankommt, wird dies dagegen nicht hinreichend deutlich. In einer Klausur sind solche Ungenauigkeiten zwingend zu vermeiden!
Zuzustimmen ist dem OVG Münster dagegen, soweit es im Rahmen der Frage, ob es sich um ein Vereinslokal handelt (§ 23 Abs. 2 S. 1 GastG), darauf hinweist, dass das „Königreich Deutschland“ nicht in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist. Denn hierfür kommt es tatsächlich darauf an, dass es sich um einen Verein nach Bürgerlichem Recht handelt. Auch im Übrigen ist die Entscheidung nachvollziehbar. Das Gewerbe- und Gaststättenrecht dürfte zwar in der Examensvorbereitung nur in Grundzügen behandelt werden, es lohnt sich aber, sich zumindest einen Überblick über das Rechtsgebiet zu verschaffen. Dabei ist im Rahmen der Prüfung, ob eine Gaststätte eröffnet bzw. geschlossen werden darf im Grundsatz nach dem aus dem Baurecht bekannten Schema vorzugehen. Einerseits sind die Genehmigungspflichtigkeit und -fähigkeit des Vorhabens zu prüfen, andererseits, sofern es um die Schließung geht, die formelle und materielle Illegalität der Gaststätte.
Die Erteilung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis richtet sich nach §§ 2, 4 GastG, Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis richten sich nach § 15 GastG. Im Grundsatz besteht ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis, sofern nicht ein Versagungsgrund nach § 4 GastG vorliegt. Auf eben diese Versagungsgründe kommt es auch im Rahmen des § 15 GastG an, wonach die Erlaubnis zurückzunehmen bzw. zu widerrufen ist, wenn nachträglich ein entsprechender Grund eintritt bzw. bekannt wird. § 31 GastG enthält schließlich eine wichtige Verweisungsklausel auf die GewO, nachdem der im Fall entscheidende § 15 Abs. 2 S. 1 GewO, der die Schließung eines Gewerbes regelt, anwendbar ist. Zentral wird es in Klausuren zum Gaststätten- und Gewerberecht zumeist auf die Frage ankommen, ob ein Betreiber „zuverlässig“ ist.
Ein Genehmigungsverstoß sollte zweifelhaft wirken, soweit eine gesetzlich genehmigungsfreie Organisation noch möglich scheint?
Dauerhafte Gesetzesverstöße und Unzuverlässigkeit sollten vielleicht noch etwas unklar problematisch wirken?
Vorgehen unter Umständen eher nach Infektionsschutzregeln zulässig möglich?