VG Köln: Eilantrag der ddp gegen „Wahl-O-Mat“ abgelehnt
Das VG Köln hat in seiner Entscheidung vom 18.3.2011 zu der Zulässigkeit des „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung Stellung genommen. Der Landesverband der „deutschen demokratischen partei (ddp) Die Einstein Partei “ (ddp) hatte in einem Eilantrag beantragt, den Wahl-O-Mat von der Internetseite der Bundeszentrale zu nehmen. Er machte u.a. geltend, dass die mit dem „Wahl-O-Mat“ bei den Nutzern abgefragten 38 Thesen zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 27.03.2011 einseitig an den Programmen der großen Parteien ausgerichtet seien. Darum verletzten sie die ddp in ihrem Recht auf Chancengleichheit nach Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Das VG Köln folgte dieser Argumentation nicht und verwies darauf, dass sämtliche antretende Parteien an der Ausarbeitung der Thesen beteiligt würden.
Im Folgenden wird der Versuch gemacht, den Inhalt der Pressemitteilung des VG Köln v. 18.3.2011 in eine klausmäßigen Aufbau zu bringen. Dazu mussten die Ausführungen an vielen Stellen ergänzt werden, so dass die hier präsentierte Lösung nicht in allen Punkten der Entscheidung des VG entsprechen muss.
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 Abs. 1 VwGO
(+), denn streitentscheidende Normen sind solche des öffentlichen Rechts; Art. 21 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG; ggf. § 5 ParteiG. Es handelt sich auch nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, da es an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit fehlt.
II. Statthafte Antragsart
Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO: § 80 Abs. 5 vorrangig, sonst § 123 Abs. 1 VwGO. Hier eindeutig § 123 Abs. 1 VwGO, weil ein Realakt begehrt wird und es daher um eine allgemeine Leistungsklage (in Form der Unterlassungsklage) in der Hauptsache ginge.
III. Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
Möglichkeitstheorie im Hinblick auf Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund.
1. Anordnungsanspruch:
§ 5 ParteiG? Nein, weil der Wahl-O-Mat zumindest keine Einrichtung ist, die den Parteien zur Verfügung gestellt ist. Er richtet sich an die Öffentlichkeit. Also Rückgriff unmittelbar auf die Verfassung: Kurz darlegen, dass aus Art. 21 Abs. 1 GG jedenfalls in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Gleichbehandlung (subjektiv-öffentliches Recht) folgt, der zumindest möglicherweise verletzt sein kann. Hier sollte man in der Klausur/Prüfung ein wenig argumentieren, dass ein solcher Anspruch zur Erfüllung der Aufgabe der Parteien, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 GG), erforderlich ist.
Was genau die Grundlage des Anspruchs der Parteien auf Gleichbehandlung ist, ist umstritten. Das BVerfG liest ihn in Art. 21 Abs. 1 GG selbst hinein (BVerfGE 1, 208, 241; BVerfGE 85, 264, 297), andere leiten ihn aus Art. 3 Abs. 1 GG ab, während wieder andere eine Ableitung aus Art 3 Abs 1 GG iVm dem Demokratieprinzip und Art 21 Abs 1 GG vertreten (genauer BeckOK-GG/Kluth, Art. 21 Rn. 125).
Die Bundeszentrale für politische Bildung ist eine nicht-rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl. § 1 Abs. 1 des Erlass zur Bundeszentrale) und daher als Teil der öffentlich-rechtlichen Körperschaft „Bund“ unmittelbar an die Grundrechte sowie an Art. 21 GG gebunden.
2. Anordnungsgrund:
Unproblematisch, weil die Wahl bis zur Hauptsacheentscheidung durchgeführt ist und daher eine mögliche Verletzung der Rechte der Partei perpetuiert wird. Es handelt sich um eine Regelungsanordnung (§ 123 Abs. S. 2 VwGO), da eine Veränderung des status quo angestrebt wird. In der Praxis wird hier allerdings selten differenziert.
[Ergänzung vom 25.3.2011]
Allerdings könnte einer Anordnung hier entgegenstehen, dass damit möglicherweise die Hauptsacheentscheidung vorweggenommen würde. Ein solche Vorwegnahme der Hauptsache ist grundsätzlich mit dem Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, die Entscheidung in der Hauptsach offenzuhalten, unvereinbar. Die „Aussetzung“ des Wahl-O-Mat stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar, weil der Wahl-O-Mat nur zeitlich begrenzt bis zur Wahl an diesem Wochenenden angeboten wird und bis dahin keine Hauptsachentscheidung getroffen werden wird. Durch bloßen Zeitablauf wird daher aus der vorläufigen Regelung zumindest eine endgültige, weil danach jedes Interesse am Rechtsschutz entfällt. Im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist anerkannt, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache dann zulässig ist, wenn ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung den Antragssteller er schwer und unzumutbar oder irreparabel belasten würde. Letzteres ist hier der Fall: Die gerügte Benachteiligung im Hinblick auf die Wahl wäre nicht mehr auszugleichen. Daher ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise sogar eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig.
[Ergänzung Ende]
IV. Antragsgegner
§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO: Da die Bundeszentrale eine nichtrechtsfähige Bundesanstalt ist und im Bereich des Bundes das Rechtsträgerprinzip gilt, ist Antragsgegner die Bundesrepublik Deutschland.
V. Beteiligten- und Prozeßfähigkeit, § 61f. VwGO
Eigentlich ist die Partei ein „nichtrechtsfähiger“ Verein (§ 54 BGB), so dass die Beteiligten- und Prozeßfähigkeit kurz begründet werden muss. Allgemein verweist man dann entweder auf die verfassungskonforme Auslegung (Art. 9 Abs. 1 GG!) des § 54 BGB, wonach der Verweis als Verweis auf die Vorschriften für den rechtsfähigen Verein zu lesen ist, so lange sie die Eintragung nicht voraussetzen oder begründet die Rechtsfähigkeit mit der Rechtsprechung des BGH zur GbR (§ 705 BGB). Für die Partei gilt hier jedoch die Sonderregelung des § 3 S. 2 ParteiG (für den Landesverband).
B. Begründetheit
Das Gericht erlässt die einstweilige Anordnung, wenn der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind, vgl § 123 Abs 3 VwGO iVm § 921 ZPO. Es handelt sich also im Hinblick auf die Tatsachenermittlung nur um eine summarische Prüfung: Eine Tatsache ist grundsätzlich bereits dann glaubhaft gemacht, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände mehr dafür als dagegen spricht, dass sie zutrifft (vgl. BeckOK-VwGO/Kuhla, § 123 Rn. 59ff.)
I. Anordnungsgrund
(+), s. oben, hier entscheiden. Prüfung vorgezogen, weil Anordnungsanspruch (-).
II. Anordnungsanspruch
Besteht der Anordnungsanspruch? Das ist zu bejahen, wenn durch den Wahl-O-Mat der Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.
1. Prüfungsmaßstab
Vorliegend kann man entweder nach der Willkürformel des BVerfG für Art. 3 Abs. 1 GG prüfen oder eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung („neue Formel“) vornehmen. Letztere ist hier überzeugender, da das BVerfG die neue Formel bei sensiblen Bereichen wie etwa personenbezogenen Differenzierungen anwendet. Von der Bedeutung ist die Gleichbehandlung der Parteien damit vergleichbar. Wie das BVerfG die Prüfung genau vornimmt, ist aber sehr unklar (ausführlich BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 24ff.)
2. Vorliegen einer Ungleichbehandlung
Hierüber kann man bereits streiten. Das VG Köln scheint schon dies zu verneinen. In der Pressemitteilung heißt es:
„[Das Gericht] stellte fest, dass die Bundeszentrale für politische Bildung im Zusammenwirken mit der Landeszentrale für politische Bildung in Rheinland-Pfalz mit dem „Wahl-O-Mat“ ihren verfassungsrechtlichen Informationsauftrag erfülle. Eine Verletzung der Chancengleichheit sei nicht erkennbar. Der mehrstufige Prozess der Erarbeitung und Auswahl der Thesen für den „Wahl-O-Mat“ erfolge unter Einbindung aller betroffenen Parteien – auch der ddp -, sodass die geschützten Rechtspositionen der Parteien gewahrt blieben.“
Zur Beurteilung dieser Frage braucht man relativ genaue Sachverhaltsangaben. Worin man z.B. jedoch eine Ungleichbehandlung sehen kann, ist, dass standardmäßig die größeren Parteien für den Abgleich der eigenen Entscheidungen mit dem jeweiligen Parteiprogramm ausgewählt werden. Ferner ist der Wahl-O-Mat wegen der Begrenzung auf bestimmte Thesen dann problematisch, wenn sich das Programm einer Partei so von denen der anderen Parteien so unterscheidet, dass es nicht unter die Thesen subsumiert werden kann bzw. diese es nur unvollständig abdecken.
3. Hilfsweise: Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung
a) Schranke: Verfassungsrechtlicher Informationsauftrag der Regierung. Vgl. dazu das BVerfG kürzlich:
„Hierbei handelt es sich um die der Bundesregierung zukommende Aufgabe der Staatsleitung, die, ohne dass es darüber hinaus einer besonderen gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedürfte, staatliches Informationshandeln legitimieren kann. Namentlich gestattet sie es der Bundesregierung, die Bürger mit solchen Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung bedürfen (vgl. BVerfGE 105, BVERFGE Jahr 105, 279, 302 = NJW 2002, 2626). Angesichts dessen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Bundesregierung eine Bundeszentrale für politische Bildung unterhält, die ihrerseits publizistische Foren für politische Debatten betreibt. Eingebunden in einen Bildungsauftrag ist diese auch nicht von vornherein darauf verwiesen, alle im Rahmen von Art. GG Artikel 5 GG Artikel 5 Absatz I GG geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende Unterscheidungen treffen, hat dabei aber Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren. Hierbei können insbesondere Kriterien wie Qualität und Repräsentativität eine maßgebliche Rolle spielen; insofern ist es der Bundeszentrale für politische Bildung nicht grundsätzlich verwehrt, Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums und solche, die von der Wissenschaft nicht ernst genommen werden, nicht zu berücksichtigen, sie als solche zu bezeichnen und sich demgegenüber auf die Präsentation von Hauptströmungen zu konzentrieren.“ (BVerfG NJW 2011, 511, Rn. 23)
b) Schranken-Schranke: Verhältnismäßigkeitsprüfung
Im Hinblick auf den Informationsauftrag (+). Der Informationsauftrag dient genau wie die Parteien selbst (vgl. Art. 21 Abs. 1 GG) dem Ziel, die politische Willensbildung zu ermöglichen bzw. zu fördern. Daher gehen die Rechte der Parteien ihm keinesfalls per se vor. Der Wahl-O-Mat ist ein bewährtes und effektives Mittel, politische Aufklärung zu betreiben. Diese Effektivität würde der Wahl-O-Mat einbüßen, wenn etwa alle Programmpunkte sämtlicher Parteien aufgeführt würden: Er würde völlig unübersichtlich und ein Vergleich der Programme wäre nicht mehr möglich, wenn in den Parteiprogrammen der anderen Parteien zu bestimmen Fragen keine Aussagen enthalten sind. Demgegenüber wiegt der Eingriff in die Gleichbehandlung der Parteien allenfalls sehr leicht. Sie werden an der Ausarbeitung des Wahl-O-Mats beteiligt und können so ihre Interessen vertreten. Ferner können Sie durch die entsprechende Gestaltung ihrer Programme zumindest erreichen, dass sie zu allen für den Wahl-O-Mat relevanten Fragestellungen auch Gehör finden.
Hält man sich vor Augen, dass auch die Parteien letztlich im Hinblick auf ihren Beitrag zu politischen Willenssbildung geschützt sind (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG), ist ein geringfügiger Eingriff, der gleichzeitig auf andere Weise ihren Daseinszweck fördert, hinzunehmen.
C. Ergebnis
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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