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Schlagwortarchiv für: Sachmangel

Dr. Yannick Peisker

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 2: Der Nacherfüllungsanspruch

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Tagesgeschehen, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem zweiten Teil der Reihe steht der Nacherfüllungsanspruch des Käufers im Fokus.
I. Anforderungen der Richtlinie (EU) 2019/771 an die Nacherfüllung
Genuin unionsrechtliche Vorgaben und Anforderungen an die Nacherfüllung in Gestalt der Nachbesserung oder Nachlieferung trifft die Richtlinie (EU) 2019/771 in Art. 14.
Art. 14 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/771 beschreibt die Art und Weise der Erfüllung von Nachbesserung und Nachlieferung. Dies habe unentgeltlich (lit. a); innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher den Verkäufer über die Vertragswidrigkeit unterrichtet hat (lit. b) und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen, wobei die Art der Waren sowie der Zweck, für den der Verbraucher die Waren benötigt, zu berücksichtigen sind (lit. c).
Abs. 2 regelt nunmehr die Frage, wie mit der mangelbehafteten Ware zu verfahren ist. Sofern die Vertragswidrigkeit durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung beseitigt wird, stellt der Verbraucher die Ware dem Verkäufer zur Verfügung. Der Verkäufer muss diese ersetzten Waren auf seine Kosten zurücknehmen.
Abs. 3 betrifft die Problematik der Nacherfüllung bei eingebauten Waren. Erfordert die Nachbesserung deren Entfernung, umfasst die Nacherfüllungspflicht nunmehr ausdrücklich die Entfernung der mangelbehafteten Ware sowie Montage oder Installierung nach Nachbesserung oder Nachlieferung, oder aber auch eine entsprechende Kostenübernahme.
Zuletzt regelt Abs. 4, dass der Verbraucher für eine normale Verwendung der ersetzten Waren für die Zeit vor der Ersetzung nicht zu zahlen braucht.
Um diese in der Richtlinie (EU) 2019/771 getroffenen Anforderungen in nationales Recht umzusetzen, hat der Gesetzgeber einige Anpassungen des § 439 BGB vorgenommen.
II. Die Umsetzung in deutschen Recht
Textliche Änderungen hat der Gesetzgeber durch Gesetz v. 25.6.2021 (BGBl. I S. 2133) durch Anpassung des Abs. 3 S. 1, durch Streichung des Abs. 3 S. 2, durch Einfügen eines neuen Abs. 5 und die Verschiebung des bisherigen Abs. 5 in Abs. 6 verbunden mit der Einführung eines neuen Abs. 6 S. 2 vorgenommen. Nachfolgend sollen die einzelnen Änderungen untersucht und ihre Auswirkung auf die bisher geltende Rechtslage beurteilt werden.
1. Aufwendungen für den Aus- und Einbau, § 439 Abs. 3 BGB nF.
439 Abs. 3 BGB betrifft die klassischen Einbaufälle, in denen der Käufer die gekaufte Sache in eine andere Sache eingebaut, oder an eine andere Sache angebracht hat. Abs. 3 S. 1 verpflichtet in diesem Fällen, sofern der Einbau oder die Anbringung der Art der gekauften Sache und ihrem Verwendungszweck entspricht, den Verkäufer dazu, die erforderlichen Aufwendungen für das Entfernen der mangelhaften Sache und den Einbau oder das Anbringen der mangelhaften Sache zu tragen.
Wichtig ist: Diese Pflicht wird durch die Neuregelung des Abs. 3 im Grundsatz nicht angerührt.
Lediglich der Ausnahmetatbestand ist betroffen. So verwies § 439 Abs. 3 S. 2 BGB aF. auf § 442 Abs. 1, wobei es für die Kenntnis des Käufers auf den Zeitpunkt des Einbaus/Anbringens ankam. Dies hatte nach früherer Rechtslage zur Folge, dass der Anspruch des Käufers auf Aufwendungsersatz nach Abs. 3 S. 1 in den Fällen ausgeschlossen war, in denen er bereits bei Einbau oder Anbringen der gekauften Sache Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von ihrer Mangelhaftigkeit besaß. Mit dieser Vorschrift setzte der nationale Gesetzgeber seinerseits (überschießend, also nicht nur für Verbraucher, sondern für alle Käufe geltend) die Rechtsprechung des EuGH um, nach der ein Ersatz von Aus- und Einbaukosten nur bei Gutgläubigkeit des Verbrauchers bestehen könne (BT-Drs. 19/27424, 26).
Dieser Ausnahmetatbestand des S. 2 fällt nunmehr weg.
Stattdessen wurde Abs. 3 S. 1 dergestalt angepasst, dass ein Aufwendungsersatzanspruch nur besteht, wenn die Sache eingebaut oder angebracht wurde „bevor der Mangel offenbar wurde“. Was genau unter dieser Begrifflichkeit zu verstehen ist, bleibt ungeklärt. Die Richtlinie (EU) 2019/771 selbst verhält sich hierzu nicht, ebenso wenig die nationalen Regelungen.
Vertreten lässt sich sowohl eine objektive Sichtweise, sodass es auf die Erkenntnismöglichkeit eines Durchschnittskäufers ankomme (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067), jedoch scheint auch eine Betrachtungsweise aus Sicht des Käufers nicht ausgeschlossen.
Darüber hinaus ist fraglich, ob die positive Kenntnis entscheidend und erforderlich ist, oder ob bereits grob oder einfach fahrlässige Unkenntnis ausreichend ist. Mit Blick auf die EuGH Entscheidung zur Richtlinie (EG) 1999/44, der die Gutgläubigkeit des Käufers forderte (EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – C-65/09, C-87/09, NJW 2011, 2269) und die frühere Umsetzung in nationales Recht durch Verweis auf § 442 BGB, ist davon auszugehen, dass auch vorliegend bereits grob fahrlässige Unkenntnis schädlich ist. Sofern der nationale Gesetzgeber eine anderweitige Regelung hätte treffen wollen, hätte er dies in der Gesetzesbegründung wohl deutlicher hervorgehoben.
Rechtlich bringt die Änderung des § 439 Abs. 3 BGB nach hier vertretener Auffassung daher keine Änderungen, das letzte Wort ist hier jedoch juristisch noch nicht gesprochen.
In dem Zusammenhang soll kursorisch erwähnt werden, dass die bisherige Regelung des § 475 Abs. 4 BGB aF. ersatzlos gestrichen wurde. Der dortige S. 2 sah die Möglichkeit des Verkäufers vor, den Aufwendungsersatz nach Abs. 3 S. 1 auf einen angemessenen Betrag zu beschränken, sofern die andere Art der Nacherfüllung wegen der Höhe der Aufwendungen nach § 439 Abs. 2 oder Abs. 3 S. 1 BGB unverhältnismäßig ist. Diese Vorschrift galt aufgrund ihrer Verortung in § 475 BGB ausschließlich für den Kauf einer Ware eines Verbrauchers von einem Unternehmer. Diese Schlechterstellung des Verbrauchers im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufes gegenüber anderen Käufern wird nunmehr aufgehoben. Eine Beschränkung auf einen angemessenen Betrag ist daher nicht mehr möglich.
2.Verweigerung der Nacherfüllung, § 439 Abs. 4 BGB nF.
§ 439 Abs. 4 BGB selbst bleibt unverändert. An dieser Stelle soll jedoch erneut auf den ersatzlosen Wegfall des § 475 Abs. 4 BGB aF. hingewiesen werden. Nach alter Rechtslage stand dem Unternehmer als Verkäufer, wenn die eine Art der Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen war oder der Unternehmer sie nach § 275 Abs. 2 oder 3 BGB oder § 439 Abs. 4 S. 1 BGB verweigern konnte, in Bezug auf die andere Art der Nacherfüllung nicht der Einwand des § 439 Abs. 4 S. 1 BGB zu. Es bestand daher nur ein relatives Verweigerungsrecht des Verkäufers (BeckOK BGB/Faust, 60. Ed. Stand 1.11.2021, § 475 Rn. 33 ff.).
Mit der Abschaffung dieser Regelung kann sich der Verkäufer daher auch im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs auf eine Totalverweigerung berufen (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2069).
3. Pflicht des Käufers, dem Verkäufer die Sache zur Verfügung zu stellen, § 439 Abs. 5 BGB nF.
§ 439 Abs. 5 BGB regelt nunmehr ausdrücklich die Pflicht des Käufers, dem Verkäufer die Sache zum Zwecke der Nacherfüllung zur Verfügung zu stellen.
Dies stellt im Grundsatz eine Kodifikation bisher geltender Rechtsprechungsgrundsätze dar. Denn nach bisheriger Judikatur des BGH liegt kein taugliches Nacherfüllungsverlangen vor, solange der Käufer dem Verkäufer keine Gelegenheit biete, die Ware zu begutachten und sie ihm hierfür nicht am Erfüllungsort der Nacherfüllung zur Verfügung stelle (BGH, Urt. v. 19.7.2017 – VIII ZR 278/16, NJW 2017, 2758 Rn. 21). Nach bisher geltender Rechtslage handelt es sich bei der Überlassung der mangelbehafteten Kaufsache an den Verkäufer um eine Obliegenheit des Käufers. Ohne ein taugliches Nacherfüllungsverlangen liegt keine ordnungsgemäße Fristsetzung innerhalb der §§ 281, 323 BGB vor, sodass die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Rücktritts, Schadensersatz und Minderung regelmäßig ausgeschlossen ist (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067).
Wohingegen einige Autoren die nunmehr ausdrückliche Kodifikation weiterhin als Obliegenheit einordnen wollen (so wohl Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067), spricht vieles dafür, nunmehr von einer erzwingbaren rechtlichen Pflicht auszugehen.
So wird in der Begründung zum Gesetzentwurf wie folgt formuliert:

„Mit § 439 Absatz 5 BGBE wird dies nunmehr gesetzlich geregelt. Systematik und Wortlaut der unionsrechtlichen Vorgabe deuten indes darauf hin, dass es sich nicht bloß um eine Obliegenheit des Käufers handelt, sondern um eine erzwingbare Pflicht.“

Eine rechtliche Pflicht genießt gegenüber einer Obliegenheit den Vorteil, dass sie vom Verkäufer (Schuldner) dem Käufer (Gläubiger) des Nacherfüllungsanspruches als Einrede gemäß § 273 BGB entgegengehalten werden kann – bereits dieser ist somit nicht durchsetzbar (Wilke, VuR 2021, 283, 289). Darüber hinaus ist ein Nacherfüllungsverlangen zur Geltendmachung der Rechte aus § 437 BGB insbesondere im Verbrauchsgüterkauf nicht immer notwendig (siehe § 475d BGB). Diese Rechte aus § 437 BGB, insbesondere § 323 und § 281 BGB, setzen jedoch einen fälligen und einredefreien Anspruch voraus, welcher im Falle der Einordnung als Pflicht – und damit nicht als Obliegenheit – aufgrund von § 273 BGB gerade nicht besteht. Dies zeigt die rechtliche Schwäche einer Einordnung als Obliegenheit auf.
4. Erfüllungsort der Nacherfüllung
Zum Erfüllungsort selbst verhält sich die Richtlinie (EU) 2019/771 oder auch das BGB nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass auch in Zukunft die bisherige Rechtsprechung des BGH Geltung entfacht (nachzulesen in BGH, Urt. v. 19.7.2017 – VIII ZR 278/16, NJW 2017, 2758 Rn. 21 ff.). Danach gilt auch im Kaufrecht grundsätzlich die allgemeine Vorschrift des § 269 BGB. Bei einem Verbrauchsgüterkauf kommt es somit entscheidend darauf an, ob die Nacherfüllung mit solchen Unannehmlichkeiten verbunden ist, dass der Erfüllungsort ausnahmsweise am Wohnsitz des Verbrauchers liegt. Das Abstellen auf die mit der Nacherfüllung verbundenen Unannehmlichkeiten in diesem Rahmen findet in Art. 14 Abs. 1 lit. d Richtlinie (EU) 2019/771 erneut eine brauchbare Stütze im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 269 BGB.
5. Rücknahmepflicht des Verkäufers, § 439 Abs. 6 S. 2 BGB nF.
Korrespondierend zur Überlassungspflicht des Käufers regelt § 439 Abs. 6 S. 2 BGB nF. die Pflicht des Verkäufers, die ersetzte Sache zurückzunehmen. Dieser S. 2 steht in Zusammenhang mit Abs. 6 S. 1. Es handelt sich hierbei um den § 439 Abs. 5 BGB aF. Nach dieser Norm kann der Verkäufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 BGB verlangen, sofern er zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert.
Abs. 6 S. 2 betrifft damit die Konstellation, dass der Verkäufer eine neue Sache im Wege der Nachlieferung bereitstellt, er aber die alte Sache nicht zurücknimmt. Aus der Praxis dürfte dies insbesondere bei großen Versandhändlern der Fall sein, die den mit der Rücknahme einer defekten Sache verbundenen Aufwand nicht tragen wollen.
Bereits ohne ausdrückliche Normierung der Pflicht des Verkäufers, die ersetzte Sache zurückzunehmen, war jedoch nach alter Rechtslage anerkannt, dass die Rücknahmepflicht einer mangelhaften Sache Kehrseite der aus § 433 Abs. 2 BGB folgenden Abnahmeverpflichtung des Käufers darstellt (OLG Köln, Urt. v. 21.12.2005 – 11 U 46/05, NJW-RR 2006, 677; BeckOK BGB/Faust, 60 Ed. Stand 1.11.2021, § 439 Rn. 28). Nichtsdestotrotz tendierte der BGH bisher dazu, eine entsprechende Rücknahmeverpflichtung des Verkäufers nur bei einem berechtigten oder besonderen Interesse des Käufers anzunehmen (BGH, Urt. v. 9.3.1983 – VIII ZR 11/82, NJW 1983, 1479, 1480). Diese Position hat sich jedenfalls mit der ausdrücklichen Kodifizierung der Rücknahmeverpflichtung des Verkäufers erledigt.
6. Summa: Kaum rechtliche Änderungen
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die rechtliche Beurteilung des Nacherfüllungsanspruches sich auch nach dem 1.1.2022 größtenteils nicht ändern wird. Für das Examen bedarf es hier daher nur kaum einer inhaltlichen Auffrischung.
Neu sein dürfte die Einordnung der Überlassung der Kaufsache an den Verkäufer bei ihrer Mangelhaftigkeit als rechtliche Pflicht des Käufers sein, mit den oben dargestellten Folgen in Bezug auf die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Frage des tauglichen Nacherfüllungsverlangens. Hier lohnt es sich, auch in der Klausur präzise zu arbeiten und den Unterschied zwischen Obliegenheit und rechtlicher Pflicht herauszuarbeiten.
Zur Rechtssicherheit trägt die Kodifikation der Verkäuferpflicht zur Rücknahme der mangelhaften Kaufsache bei Neulieferung bei, hier kommt es nun nicht mehr auf das Vorliegen eines berechtigten Käuferinteresses an.
Rechtsunsicherheit wird durch die Richtlinie (EU) 2019/771 und die mit ihr verbundenen Änderungen im nationalen Recht lediglich im Rahmen der klassischen Einbaufälle geschaffen. So bedarf es in Zukunft der gerichtlichen Klärung, wann der Mangel „offenbar“ wird. Einer Problematisierung bedarf es hier daher in jedem Falle auch in der Prüfungssituation.

03.01.2022/0 Kommentare/von Dr. Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannick Peisker2022-01-03 09:00:112022-01-03 09:00:11Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 2: Der Nacherfüllungsanspruch
Dr. Lena Bleckmann

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Kaufrecht, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem ersten Teil der Reihe steht neben allgemeinen Informationen zur Richtlinie der neue Sachmangelbegriff im Fokus.
I. Warum eine Kaufrechtsreform?
Doch zunächst einige Hintergrundinformationen zum Grund für die doch recht umfangreichen Änderungen im BGB. Man mag sich fragen, was den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst hat, grundlegende Fragen das Kaufrechts neu zu regeln. Wie so oft steckt hierhinter eine Umsetzungsverpflichtung aus dem Europarecht (Art. 288 Abs. 3 AEUV).
Die Richtlinie (EU) 2019/771 hat es sich ausweislich ihres Art. 1 zum Ziel gesetzt, „zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und gleichzeitig für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Kaufverträge zwischen Verkäufern und Verbrauchern festgelegt werden, insbesondere Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit, die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieser Abhilfen sowie über gewerbliche Garantien.“
Die Mitgliedsstaaten wurden zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 1. Juli 2021 verpflichtet, ab dem 1. Januar 2022 sollen die neuen Regelungen gelten (Art. 26 Richtlinie (EU) 2019/771). Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzungsfrist mit dem Erlass des Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags v. 25. Juni 2021 (BGBl. 2021, I, S. 2133) haarscharf eingehalten. Viel Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie blieb ihm nicht – anders als noch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 umgesetzt wurde, ist die aktuelle Warenkaufrichtlinie vollharmonisierend. Dies geht aus Art. 4 der Richtlinie hervor: „Sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden Vorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Vorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.“ Die Mitgliedsstaaten dürfen das von der Richtlinie vorgegebene Schutzniveau mithin nicht nur nicht unter- sondern ebenso nicht überschreiten – die Vorgaben sollen im gesamten europäischen Binnenmarkt gleichermaßen gelten.
Die zentralen Begrifflichkeiten werden in Art. 2 der Richtlinie (EU) 2019/771 definiert, ihr Anwendungsbereich ist mit Kaufverträgen zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer (Art. 3 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/771) grundsätzlich weit gefasst, wobei die Einschränkungen der Abs. 3-7 zu berücksichtigen sind.
II. Anforderungen der Richtlinie (EU) 2019/771 an die Vertragsmäßigkeit von Waren
Nun zum Sachmangel. Ein Sachmangel liegt nach allgemeinem Verständnis vor, wenn die Ist-Beschaffenheit der Kaufsache von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Ganz maßgeblich ist daher, welche Anforderungen an die Soll-Beschaffenheit der Kaufsache zu stellen sind bzw. wie diese zu bestimmen ist. Hierzu machen die Art. 5 ff. der Richtlinie (EU) 2019/771 nähere Vorgaben. Nach Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 liefert der Verkäufer dem Verbraucher Waren, die – soweit anwendbar – die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 der Richtlinie erfüllen. Ausweislich der Überschrift des Artikels ist dies als Definition dessen zu verstehen, was die Vertragsgemäßheit von Waren voraussetzt. Art. 6 Richtlinie (EU) 2019/771 bezieht sich auf subjektive Anforderungen an die Vertragsgemäßheit von Waren, Art. 7 Richtlinie (EU) 2019/771 demgegenüber auf objektive Anforderungen, sowie schließlich Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 auf die Vertragswidrigkeit der Waren aufgrund unsachgemäßer Montage oder Installation. Da Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 kumulativ als Anforderungen nennt, ist eine Ware nur dann als vertragsgemäß anzusehen, wenn die Vorgaben aller drei Artikel erfüllt sind, soweit nicht Ausnahmen greifen.
III. Die Umsetzung im deutschen Recht
So hat auch der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie verstanden. Aus diesem Grund nennt § 434 Abs. 1 BGB in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung drei kumulative Voraussetzungen für die Freiheit der Kaufsache von Sachmängeln: „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.“
Zu betonen ist auch hier wieder das Wörtchen „und“ – dass die genannten Anforderungen alternativ erfüllt sind, genügt für die Sachmangelfreiheit nicht, sie müssen vielmehr kumulativ vorliegen. Wohlgemerkt gilt dieser neue Mangelbegriff nicht nur für Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern, sondern für das Kaufrecht im Allgemeinen. In den Absätzen 2, 3 und 4 des § 434 BGB n.F. präzisiert das Gesetz, wann eine Sache den subjektiven, objektiven sowie Montageanforderungen entspricht. Hierauf wird näher einzugehen sein.
Zunächst jedoch ein Vergleich mit dem (noch) geltenden Recht. Bislang geht der strukturiert arbeitende Klausurkandidat auf der Suche nach einem Sachmangel in mehreren Schritten vor: Ausgehend vom subjektiven Fehlerbegriff prüft er, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Ist das der Fall, ist allein diese ausschlaggebend. Die Anforderungen an das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung sind jedoch nicht zu niedrig anzusetzen: Erforderlich ist mindestens eine konkludente Einigung, wobei nicht bereits die übliche Beschaffenheit als konkludent vereinbart gilt (BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 41). Die übliche Beschaffenheit als objektives Kriterium ist vielmehr erst später in der Prüfung unter § 434 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen. Vorher noch ist bei Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung zu fragen, ob sich die Kaufsache gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Man arbeitete sich mithin vom subjektiven Fehlerbegriff, von der spezifischen Parteivereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, über die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung erst hin zu objektiven Anhaltspunkten nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Weiterhin konnte sich die Mangelhaftigkeit aus abweichenden Werbeangaben (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB), aus Montagefehlern (§ 434 Abs. 2 BGB) oder aber aus Aliud- oder Mankolieferungen (§ 434 Abs. 3 BGB) ergeben.
Ist all das bislang Gelernte nun hinfällig, wenn subjektive und objektive sowie Montageanforderungen kumulativ erfüllt sein müssen? Ganz so ist es wohl nicht.
1. Zu den subjektiven Anforderungen
Zum einen findet sich auch im neuen § 434 BGB viel Bekanntes wieder. So entspricht eine Sache nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. den subjektiven Anforderungen, wenn sie (1) die vereinbarte Beschaffenheit hat, (2) sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und (3) mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird – vieles ist insoweit bereits aus dem bisherigen § 434 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 sowie Abs. 2 S. 2 BGB geläufig.
Über die vorausgesetzte Verwendung müssen sich die Parteien einigen – Art. 6 lit. b Richtlinie (EU) 2019/771 setzt insoweit die Zustimmung des Verkäufers voraus, die Vollharmonisierung verbietet hier jedenfalls im Anwendungsbereich der Richtlinie eine zugunsten des Verbrauchers günstigere Interpretation, die eine übereinstimmend unterstellte Verwendung genügen lässt (vgl. Wilke, VuR 2021, 283).
Ob die fehlende Montageanleitung bislang unter § 434 Abs. 2 S. 2 BGB fiel, war umstritten (hierfür BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 102 m.W.N.; für die Anwendung des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Palandt/Weidenkaff, § 434 Rn. 48), in der neuen Fassung der Norm ist die Zuordnung nunmehr eindeutig. Damit das Fehlen von Zubehör und Montageanleitung einen Sachmangel im subjektiven Sinne darstellen kann, ist erforderlich, dass ihr Vorhandensein vereinbart wurde – insoweit ergibt sich keine Änderung in der Rechtslage, auch nach dem bisherigen § 434 BGB hätte ein solches Fehlen vereinbarter Lieferbestandteile einen Sachmangel begründet (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
§ 434 Abs. 2 S. 2 n.F. präzisiert weiter, dass zu der Beschaffenheit nach S. 1 Nr. 1 auch die Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben, gehört. Die Begriffe der Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität sind in Art. 2 Nr. 8, 9 und 10 Richtlinie (EU) 2019/771 definiert.
Dass die Art der Sache Merkmal der Beschaffenheit ist, könnte ein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachmangels bei Aliud-Lieferungen sein. Andererseits regelt § 434 Abs. 5 BGB n.F. ausdrücklich, dass die Lieferung einer anderen Sache als die vertraglich geschuldete einem Sachmangel gleichsteht. Anwendungsfälle, in denen die Art der Sache nicht der Vereinbarung entspricht, zugleich aber nicht bereits ein Aliud geliefert wird, sind jedenfalls auf den ersten Blick nicht ersichtlich (ähnlich Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Die Rechtsprechung wird hier zeigen müssen, ob sich die Regelungsbereiche des § 434 Abs. 5 n.F. und § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BGB n.F. tatsächlich vollständig decken. Sollte dem so sein, wäre § 434 Abs. 5 n.F. überflüssig – dass das Aliud als Sachmangel gilt, ist dann unerheblich, wenn die Abweichung in der Art der Sache bereits ein Sachmangel ist.
Die Aufnahme des Merkmals der Menge in § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BGB n.F. könnte bislang bestehende Fragen hinsichtlich der Zuviel-Lieferung klären – oder aber weitere aufwerfen. Während § 434 Abs. 3 BGB in der aktuellen Fassung dem Wortlaut nach nur die zu geringe Menge umfasst, ist § 434 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB n.F. insoweit offener formuliert. Da das Äquivalenzinteresse durch eine Zuviellieferung allerdings nicht beeinträchtigt wird, kann durchaus bezweifelt werden, ob eine solche trotz der nun möglichen Subsumtion unter den Wortlaut erfasst sein soll (Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Gegen eine Einbeziehung auch der Zuviellieferung spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 434 Abs. 5 BGB n.F.: Der deutsche Gesetzgeber bezieht sich hier ausdrücklich nur auf zu geringe Liefermengen (BT-Drucks. 19/27424, S. 25). Ob dies dem Verständnis des europäischen Richtliniengebers entspricht, ist damit natürlich nicht gesagt.
Die Aufzählung der Beschaffenheitsmerkmale ist nicht abschließend, wie der Zusatz „oder sonstige Merkmale“ zeigt. Die Parteien können also weitere Merkmale als Bestandteile der Beschaffenheit vereinbaren.
2. Zu den objektiven Anforderungen
Die objektiven Anforderungen an die Kaufsache stellt § 434 Abs. 3 n.F. auf. Hierzu gehört, dass die Kaufsache (1) sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, (2) eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann unter Berücksichtigung a) der Art der Sache und b) der öffentlichen Äußerungen, die von dem
Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden, sowie (3) der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, und (4) mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.
Die erstgenannten Punkte sind weitgehend aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a.F. bekannt. Dass die Sache einer zur Verfügung gestellten Probe oder einem Muster entsprechen muss, ist als ausdrückliche Regelung neu, inhaltlich dürfte dies indes kaum eine Erweiterung des Mangelbegriffs bedeuten. Bislang ging man insoweit von einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aus (Wilke, VuR 2021, 283 (284)). Ebenfalls nicht neu ist, dass das Fehlen zu erwartenden Zubehörs oder zu erwartender Verpackung oder Montage- oder Installationsanleitungen oder anderen Anleitungen zu einem Mangel führt (bislang über § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, vgl. Wilke, VuR 2021, 283 (284), zu vereinbarten Bestandteilen der Lieferung siehe bereits oben 1.).
In S. 2 werden wiederum, wie schon für die subjektiven Anforderungen, Merkmale aufgeführt, die zur Beschaffenheit – diesmal der üblichen Beschaffenheit – gehören. Überwiegend kann hier auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Zu den objektiven Merkmalen der Beschaffenheit zählt allerdings insbesondere auch die Haltbarkeit der Sache. „Haltbarkeit“ ist dabei die Fähigkeit der Sache, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten, Art. 2 Nr. 13 Richtlinie (EU) 2019/771. In Erwgr. 32 der Richtlinie (EU) 2019/771 heißt es hierzu:

„Damit Waren vertragsgemäß sind, sollten sie eine Haltbarkeit haben, die für Waren derselben Art üblich ist und die der Verbraucher in Anbetracht der Art der spezifischen Waren, einschließlich der möglichen Notwendigkeit einer vernünftigen Wartung der Waren, wie etwa der regelmäßigen Inspektion oder des Austausches von Filtern in einem Auto, und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette abgegeben wurden, vernünftigerweise erwarten kann. Bei der Beurteilung sollten auch alle anderen maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Preis der Ware und die Intensität oder Häufigkeit der Verwendung seitens des Verbrauchers“

Mithin geht es insbesondere darum, welche berechtigten Erwartungen der Käufer an die Haltbarkeit einer Sache haben darf, wobei Preis sowie übliche Nutzung der Sache zu berücksichtigen sind. Hingegen begründet § 434 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. keine Haltbarkeitsgarantie, wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt:

„Daraus folgt, dass der Verkäufer dafür einzustehen hat, dass die Sache zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs die Fähigkeit hat, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten. § 434 Absatz 3 BGB-E begründet hingegen keine gesetzliche Haltbarkeitsgarantie. Der Verkäufer haftet nach § 434 Absatz 3 BGB-E nicht dafür, dass die Sache tatsächlich ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung behält.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 24)

Insgesamt sind die nun geregelten, objektiven Anforderungen für sich genommen nicht neu. Die genannten Merkmale waren auch nach bisheriger Rechtslage bereits zu berücksichtigen, soweit es auf die objektive Beschaffenheit der Kaufsache ankam. Neu ist allerdings das Rangverhältnis der objektiven Beschaffenheitsmerkmale zu den subjektiven Anforderungen an die Kaufsache – hierzu sogleich unter 3.
3. Zu den Montageanforderungen
Schnell abgehandelt werden können die Montageanforderungen, die in § 434 Abs. 4 BGB n.F. geregelt sind. Die dortige Umsetzung des Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 entspricht dem Regelungsgehalt nach dem bisherigen § 434 Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 25; Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
4. Zur Gleichrangigkeit der objektiven und subjektiven Anforderungen
So steht nun fest, was unter den in § 434 Abs. 1 BGB n.F. genannten Anforderungskategorien zu verstehen ist. Zeit, sich mit der dort angeordneten und für das deutsche Recht neuen Gleichrangigkeit dieser Anforderungen auseinanderzusetzen.
Wenn Mangelfreiheit nur dann vorliegt, wenn die Kaufsache den subjektiven und objektiven Anforderungen entspricht, kann sie dann wegen objektiver Mängel vertragswidrig sein, obwohl die Parteien sich zuvor über diese verständigt hatten? Das ginge zu weit. In einem solchen Fall könnte etwa ein gebrauchtes Auto, das stärkere Abnutzungen aufweist, als es bei Fahrzeugen desselben Alters üblicherweise zu erwarten ist, kaum noch verkauft werden. Das entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Neuregelungen. Einem solchen Ergebnis beugt § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. vor: Dort heißt es „Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache den objektiven Anforderungen, wenn sie (…)“. Die Parteien können die Bedeutung der objektiven Anforderungen mithin durch eine negative Beschaffenheitsvereinbarung zurücktreten lassen. Soweit es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, kann eine solche auch konkludent abgeschlossen werden, was bei Kenntnis und Billigung der Abweichungen von der objektiven Beschaffenheit durch den Käufer regelmäßig der Fall sein dürfte.
Nicht so allerdings im Verbrauchsgüterkaufrecht. Der negativen Beschaffenheitsvereinbarung sind insoweit durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. Grenzen gesetzt. Dort heißt es:

„Von den Anforderungen nach § BGB § 434 Absatz BGB § 434 Absatz 3 oder § BGB § 475b Absatz BGB § 475B Absatz 4 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn 1.) der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und 2.) die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.“

Soweit die objektiven Anforderungen (siehe oben 2.) nicht eingehalten sind, muss der kaufende Verbraucher eigens, dürfte heißen mittels individueller Information (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2073)), und vor Abgabe seiner Vertragserklärung, sei es nun Angebot oder Annahme, hierüber informiert werden. Selbst die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages nach entsprechender Information genügt jedoch nicht für die Annahme einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung, vielmehr muss zusätzlich (siehe Wortlaut „und“ in § 476 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.) ausdrücklich und gesondert vereinbart werden, dass die Abweichung von der objektiven Beschaffenheit keine Mangelhaftigkeit der Kaufsache bedeutet.
Sind diese Anforderungen beim Verbrauchsgüterkauf nicht eingehalten, ist die Abweichung von den objektiven Anforderungen nicht i.S.d. § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. wirksam vereinbart worden und kann daher einen Sachmangel begründen. Nun mag man denken, die praktischen Auswirkungen könnten nicht allzu groß sein – kennt der Käufer den Mangel oder kennt er ihn grob fahrlässig nicht und hat der Verkäufer ihn weder arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen, sind doch seine Rechte wegen des Mangels nach Maßgabe des durch die Reform unberührten § 442 BGB ausgeschlossen. Auf diesem Wege sollen die Grenzen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. jedoch nicht ausgehebelt werden können (vgl. Lorenz, NJW 2021, 2065 (2068)). Die Anwendung des § 442 BGB ist im Verbrauchsgüterkaufrecht nach § 475 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. ausgeschlossen. Soll mithin eine nicht den objektiven Anforderungen nach § 434 Abs. 3 BGB n.F. entsprechende Sache im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs verkauft werden, kann der Ausschluss der Mängelgewährleistung wegen dieser Abweichung von den objektiven Anforderungen nur erreicht werden, indem der Verbraucher eigens und vor Abgabe seiner Vertragserklärung unterrichtet wird und die Abweichung ausdrücklich und gesondert vereinbart wird.
III. Summa
Damit kommt diese erste Betrachtung des „neuen Kaufrechts“ zu einem Ende. Die Änderungen hinsichtlich des Sachmangelbegriffs sind im Wortlaut durchaus umfangreich, wie schon die im Vergleich zur bisherigen Fassung des § 434 BGB erheblich gewachsene Länge der Norm zeigt. Die inhaltlichen Auswirkungen sind letztlich jedoch nicht so gravierend, wie es die erste Lektüre insbesondere des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. befürchten lassen mag. Mit einer sauberen und gewissenhaften Arbeit anhand des Gesetzestextes dürften sich hier schon viele Probleme lösen lassen. Aufmerksamkeit ist indes insbesondere im Verbrauchsgüterkaufrecht geboten. Hier dürfte die Gleichrangigkeit von subjektiven und objektiven Anforderungen für die Mangelfreiheit aufgrund der erschwerten Möglichkeit negativer Beschaffenheitsvereinbarungen größere Bedeutung erlangen.

21.12.2021/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-21 08:00:252021-12-21 08:00:25Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich

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Mit Urteil vom 26.08.2020 hat sich der BGH (Az.: VIII ZR 351/19) abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret wurden die Anforderungen an einen Rücktritt vom Kaufvertrag und Schadensersatzansprüche nach einem erfolglosen Nachbesserungsversuch präzisiert: Wurde eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt, innerhalb derer der Verkäufer voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann, und ist diese Frist erfolglos verstrichen, so muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen, bevor er sekundäre Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Der Fall eignet sich hervorragend, um systematische Feinheiten des Mängelrechts abzuprüfen, und kann problemlos Einzug in Klausuren ab dem Grundstudium finden – eine Auseinandersetzung mit den Grundzügen der Entscheidung ist angesichts dessen nicht nur für Examenskandidaten dringend zu empfehlen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.09.2017 bei V einen Neuwagen zum Preis von 18.750 Euro. Mit Schreiben vom 14.05.2018 rügte K Mängel an der Lackierung des Fahrzeugs im Bereich der Motorhaube, der A-Säule und am Heckdeckel. Hierbei setzte er V eine Frist zur Nachbesserung bis zum 30.05.2018. Mit Anwaltsschreiben vom 28.05.2018 bot V dem K an, einen Vertragshändler seiner Wahl zum Zwecke der Besichtigung des Fahrzeugs und der Nachbesserung aufzusuchen. Hiervon machte K Gebrauch und überstellte das Fahrzeug am 03.07.2018 einer Vertragswerkstatt zur Untersuchung. Im Anschluss hieran fand die Nachbesserung im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 statt. Indes wurden die beanstandeten Mängel im Zuge dieser ersten Nachbesserung nicht vollständig beseitigt und die Neulackierung nicht fachgerecht ausgeführt, weshalb der K das Fahrzeug einige Tage später erneut bei der Werkstatt vorstellte und einen zweiten Nachbesserungstermin vereinbarte. Diesen Termin nahm er jedoch nicht wahr, sondern erklärte mit Anwaltsschreiben vom 24.09.2018 den Rücktritt vom Kaufvertrag gegenüber V. Er verlangt nun unter anderem – unter Anrechnung gezogener Nutzungen – Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 17.437,50 Euro nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.
 
B) Rechtsausführungen
Nach Abweisung der Klage vor dem Landgericht Hanau ist auch die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG Frankfurt erfolglos geblieben. In der Revision hat der BGH nunmehr festgestellt, dass ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB nicht verneint werden kann, und die Sache an das OLG Frankfurt zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
 
I. Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts
Der Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts ist zweifellos eröffnet: Angesichts der genannten Mängel ist der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag zur mangelfreien Verschaffung der Sache gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB nicht nachgekommen. Es liegen also Sachmängel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB vor, die nach den gerichtlichen Feststellungen auch bereits im Zeitpunkt der Übergabe i.S.v. § 446 S. 1 BGB, also bei Gefahrübergang, bestanden.
 
II. Rücktrittsvoraussetzungen
Die Voraussetzungen des Rücktritts wegen – wie hier vorliegender – behebbarer Mängel richten sich nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB.
Der zunächst erforderliche gegenseitige Vertrag besteht in dem von den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag; die zuvor festgestellten Sachmängel bei Gefahrübergang bedeuten eine nicht vertragsgemäße Leistung i.S.v. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB.
Damit liegt der Schwerpunkt der Prüfung – parallel zum Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB – auf der Frage, ob eine angemessene Frist zur Nacherfüllung erfolglos abgelaufen ist. Denn § 323 Abs. 1 BGB zufolge kann der Gläubiger dem Grundsatz nach nur dann zurücktreten, wenn er dem Schuldner gegenüber zuvor ergebnislos eine angemessene Frist zur Erbringung der ausstehenden Leistung bzw. Nacherfüllung bestimmt hat. Mit anderen Worten: Sobald die angemessene Frist fruchtlos verstrichen ist, der Schuldner also vor ihrem Ablauf nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß geleistet hat, steht dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht zu. Welche konkrete Zeitspanne objektiv angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, § 323 Rn. 72).
 
Anmerkung: Erweist sich die konkret gesetzte Frist als unangemessen kurz, ist die Rechtsfolge jedoch nicht ihre Unwirksamkeit, sondern es wird eine längere (angemessene) Frist in Gang gesetzt (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 13.07.2016 – VIII ZR 49/15, NJW 2016, 3654, 3655 Rn. 31).
 
1. Berufen auf Verstreichen der ursprünglich gesetzten Frist als Verstoß gegen Treu und Glauben
Nach diesen Maßstäben hat der BGH zunächst – im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – festgestellt, dass ein Rücktrittsrecht nicht schon deswegen besteht, weil die Nachbesserungsarbeiten nicht innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist (bis zum 30.05.2018), sondern erst im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 durchgeführt worden sind. Anders als das Berufungsgericht ausgeführt hat, ergebe sich dies allerdings noch nicht daraus, dass ein vor Ablauf der Nachbesserungsfrist eingegangenes Angebot des Verkäufers auf Untersuchung des Fahrzeugs für eine fristwahrende Nachbesserung ausreiche. Unabhängig davon, dass das vor Fristablauf erfolgte Angebot auf Vorstellung des Fahrzeugs beim Vertragshändler als bloß vorgeschalteter Schritt zur Nacherfüllung, mithin nicht als Leistungshandlung selbst zu werten sei, komme es nämlich bei der Nacherfüllung auf das Ausbleiben des Leistungserfolgs innerhalb der Frist an. Allein die fristgerechte Erbringung der Leistungshandlung könne weitergehende Rechte des Käufers nicht ausschließen; dies folge bereits aus dem Sinn und Zweck der Nacherfüllung, die Durchsetzung und Ermöglichung der Erfüllung der Verkäuferpflichten sicherzustellen, und stehe auch nur nach diesem Verständnis im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben:

„Das erfolglose Verstreichen der vom Käufer gesetzten (angemessenen) Frist führt dazu, dass der Käufer, der eine mangelhafte Sache erhalten hat, nun sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadens- oder Aufwendungsersatz) geltend machen kann. Es ist weder ein Bedürfnis des Verkäufers erkennbar, dem Käufer bereits bei einer fristgerecht vorgenommenen Leistungshandlung den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten zu verwehren, noch würde dies den Interessen des Käufers gerecht. Denn die vom Käufer zu setzende Frist ist so zu bemessen, dass der Verkäufer bei ordnungsgemäßem Vorgehen vor Fristablauf voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann.“ (Rn. 28)

Ob die konkret gesetzte Frist bis zum 30.05.2018 als angemessen einzustufen sei, könne gleichwohl dahinstehen. Denn angesichts der Tatsache, dass sich der Käufer freiwillig auf eine Nachbesserung im August eingelassen habe, wurde damit entweder die gesetzte Frist verlängert oder jedenfalls kein Widerspruch dagegen erhoben, dass die Mängelbeseitigung erst später vorgenommen wurde – sodass ein Berufen auf die nicht erfolgte Nachbesserung bis zum 30.05.2018 nach dem Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu werten sei.
 
2. Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Dennoch: Die Geltendmachung sekundärer Gewährleistungsrechte sei nicht an die Einräumung einer zweiten Chance zur Nachbesserung gekoppelt. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass eine Fristsetzung zur Nachbesserung nicht erst dann erfolglos im Sinne des § 323 Abs. 1 BGB verstrichen sei, wenn – wie in § 440 S. 2 BGB für den Fall einer ausnahmsweise entbehrlichen Fristsetzung infolge einer fehlgeschlagenen Nacherfüllung vorgesehen – zwei Nachbesserungsversuche des Verkäufers nicht zur Beseitigung des Mangels geführt hätten. Im Gegenteil sei § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, wonach die Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt und die Fristsetzung in der Konsequenz für den Übergang zu sekundären Gewährleistungsrechten ausnahmsweise entbehrlich ist, angesichts seines Ausnahmecharakters gerade keine allgemeine Wertung zu entnehmen:

„Das Gesetz unterscheidet konsequent zwischen dem Fristsetzungserfordernis nach den Regeltatbeständen (§ 323 Abs. 1 BGB [Rücktritt und Minderung [iVm § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB]], § 281 Abs. 1 BGB [Schadensersatz statt der Leistung]) und den Fallgestaltungen, in denen eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 323 Abs. 2, 3, § 281 Abs. 2 BGB, § 440 Satz 1 BGB). Der grundsätzlich gebotenen Fristsetzung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers bereits dann genügt, wenn der Käufer einmalig fruchtlos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Die gesetzlichen Vorschriften, die einen Rücktritt, eine Minderung oder ein Verlangen auf Schadensersatz statt der Leistung in Ausnahmefällen auch ohne Fristsetzung erlauben, zeichnen sich jeweils dadurch aus, dass sie den Verzicht auf dieses einmalige Erfordernis durch andere (gleichwertige) Anforderungen ersetzen. Weiter verkennt das Berufungsgericht den Sinn und Zweck des § 440 Satz 2 BGB, der dem Käufer die Geltendmachung eines Fehlschlagens der Nachbesserung in praktischer Hinsicht erleichtern (BT-Drucks. 14/6040, S. 234), nicht aber den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten erschweren soll.“ (Rn. 38 f.)

Anders gesagt: Einem Schuldner, der eine fällige Leistung nicht erbracht hat, wird durch das einmalige Setzen einer angemessenen Frist hinreichend deutlich gemacht, dass ein weiteres Ausbleiben der Leistung Rechtsfolgen nach sich zieht – so die Grundkonzeption der Mängelrechte. In bestimmten Fällen muss der Käufer aber ausnahmsweise keine Frist setzen, weil dies keinen Erfolg versprechen würde oder ihm aus anderen Gründen nicht zugemutet werden kann (§§ 323 Abs. 2, 440, 281 Abs. 2 BGB). Aus diesen Ausnahmetatbeständen und den ihnen zugrunde liegenden Wertungen lassen sich aber keine Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände ziehen:

„Denn dies würde das vom Gesetzgeber als Regelfall ausgestaltete Fristerfordernis obsolet machen. Wenn der Käufer dem Verkäufer trotz Fristsetzung regelmäßig zweimal eine Nachbesserungsmöglichkeit einräumen müsste, ist nicht zu erkennen, warum der Käufer überhaupt noch eine Frist setzen und nicht stattdessen ein Fehlschlagen der Nachbesserung im Sinne von § 440 BGB geltend machen sollte. Zugleich wären dem Käufer die Vorteile einer Fristsetzung abgeschnitten. Er könnte sich – entgegen dem Willen des Gesetzgebers – nicht mehr darauf verlassen, dass bei Ablauf einer von ihm gesetzten angemessenen Frist zur Nachbesserung ein Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten möglich ist.“ (Rn. 50)

Der Käufer muss dem Verkäufer also grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen, bevor er zurücktreten oder Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Das Recht zur Nachbesserung ist mit dem erfolglosen Versuch, den Wagen zu lackieren, abgegolten gewesen; die Frist ist mithin erfolglos abgelaufen.
 
Ferner dürfte der Mangel nicht unerheblich gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 5 S. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 1 S. 3 BGB sein. Hierzu bedarf es gleichwohl weiterer Feststellungen seitens des Berufungsgerichts. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob dem Käufer eine Berufung auf den erklärten Rücktritt wegen widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB verwehrt ist. Daher hat der BGH die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
III. Letztlich kann ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB daher nicht mit der Begründung verneint werden, dass ein zweiter Nachbesserungsversuch nicht stattgefunden hat.  
 
C) Zusammenfassung
Kurz zusammengefasst gilt:

  • Damit sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadensersatz statt der Leistung) geltend gemacht werden können, bedarf es dem Grundsatz nach der Setzung einer angemessenen Frist durch den Käufer, die erfolglos ablaufen muss.
  • Innerhalb dieser Frist muss es dem Verkäufer voraussichtlich möglich sein, nicht nur die Leistungshandlung vorzunehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeizuführen.
  • Ist diese Frist verstrichen, ohne dass der Leistungserfolg herbeigeführt wurde, muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen. Dem Ausnahmetatbestand nach § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, dem zufolge die Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt, ist keine allgemeine Wertung zu entnehmen, die Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände zulassen könnte.

 

22.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-10-22 08:50:242020-10-22 08:50:24BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rechtsmangel beim Autokauf

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In einer aktuellen Entscheidung vom 26.02.2020 (Az.: VIII ZR 267/17) hat sich der BGH abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret ging es um die Haftung eines Gebrauchtwagenverkäufers bei der Eintragung des Fahrzeugs in die Fahndungsliste des Schengener Informationssystems (SIS) nach Gefahrübergang. Der Fall, der sich hervorragend eignet, um die Feinheiten des Mängelrechts aufzuzeigen und daher problemlos Einzug in Klausuren finden kann, hat zwei Schwerpunkte: Zum einen geht es um die Abgrenzung des Sach- vom Rechtsmangel im Falle öffentlich-rechtlicher Beschränkungen; vor allem aber – und das ist das Neue an der vorliegenden Entscheidung – stellt sich die Frage, ob ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang dann angenommen werden kann, wenn zwar nicht der Rechtsmangel an sich, aber die Umstände, die kausal zum Rechtsmangel geführt haben, im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlagen.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.07.2011 von V einen gebrauchten Pkw. Noch am selben Tag wurde der Kaufpreis entrichtet und das Fahrzeug, zusammen mit einer rechtmäßig ausgestellten Zulassungsbescheinigung II, die den V als Eigentümer auswies, an den K übergeben. Am 06.03.2013 wurde der K mit dem Fahrzeug bei der Rückkehr aus der Türkei an der serbischen Grenze angehalten. Das Fahrzeug wurde dort auf der Grundlage einer Interpol-Meldung mit der Begründung beschlagnahmt, es werde in Rumänien als Gegenstand einer Straftat gesucht. Über das Polizeipräsidium Dortmund erhielt der Kläger in der Folgezeit zudem die Mitteilung, dass das Fahrzeug seit dem 22.05.2014 im Schengener Informationssystem (SIS) zwecks Sicherstellung ausgeschrieben sei. Als Fahrzeughalter sei in Rumänien seit dem 22.12.2008 das Unternehmen U und die B als Besitzerin gemeldet. An dieses Unternehmen wurde das beschlagnahmte Fahrzeug in der Folge herausgegeben. Der K ist empört und wendet sich an V: Er begehre die Verschaffung von Eigentum und Besitz an dem Fahrzeug, hilfsweise sofortige Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises, abzüglich einer Nutzungsentschädigung, nebst Zinsen.
In erster Instanz wurde die Klage vollständig abgewiesen. Das LG Köln hat es für erwiesen erachtet, dass das Fahrzeug nicht abhandengekommen war; deshalb habe der K gutgläubig das Eigentum erwerben können, sodass weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel anzunehmen sei (LG Köln, Urt. v. 26.10.2016 – 12 O 254/14, n.v.). Das OLG Köln hat in der Berufung das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den V auf den Hilfsantrag zur Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen verurteilt (OLG Köln, Urt. v. 09.11.2017 – 18 U 183/16, n.v.). In der Revisionsinstanz verfolgte der V nunmehr die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
 
B) Rechtsausführungen
Damit stellte sich für den BGH die Frage, ob dem V ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB zustand.
 
I. Kaufvertrag
Ein Kaufvertrag zwischen den Parteien besteht ohne Zweifel. Da aus dem Sachverhalt nicht hervorgeht, ob dem V eine Strafbarkeit, etwa wegen Hehlerei (§ 259 StGB), anzulasten ist, ist insbesondere nicht von der Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 134 BGB oder § 138 BGB auszugehen (zur Unwirksamkeit eines Kaufvertrags bei Verstoß gegen § 259 StGB s. MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, § 138 Rn. 42).
 
II. Rechtsmangel bei Gefahrübergang
Weiterhin dürfte der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB zur Verschaffung der Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln nicht nachgekommen sein. Es müsste also – wie der K vorträgt – ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang vorliegen.
 
1. Rechtsmangel
Bei der Eintragung des Fahrzeugs in das SIS müsste es sich also zunächst um einen Rechtsmangel handeln. Gemäß § 435 S. 1 BGB ist eine Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Zur vollständigen Erfüllung seiner vertraglichen Pflicht obliegt es dem Verkäufer also nicht nur, das Eigentum als solches zu übertragen. Er muss vielmehr auch sicherstellen, dass dem Käufer die Sache frei von Rechten Dritter verschafft wird, damit dieser als Eigentümer – wie es § 903 S. 1 BGB vorsieht – mit der Sache nach Belieben verfahren kann (BT-Drucks. 14/6040, S. 218). Hiervon ausgehend ist ein Rechtsmangel dann gegeben, wenn Rechte eines Dritten eine individuelle Belastung des Käufers darstellen, indem sie geeignet sind, ihn an der ungestörten Ausübung der ihm nach § 903 S. 1 BGB zustehenden Rechtsposition zu hindern (MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 4; BeckOK BGB/Faust, 53. Edt., Stand: 01.02.2020, § 435 Rn. 6). In Betracht kommen dabei grundsätzlich alle dinglichen Rechte (beispielsweise (Grund-)Pfandrechte, Dienstbarkeiten wie Nießbrauch), aber auch obligatorische Rechte eines Dritten, soweit ihre Ausübung den Käufer in seiner aus § 903 BGB folgenden Eigentümerstellung beeinträchtigt (MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 7). Erfasst werden hiervon auch solche Eingriffsbefugnisse, Einschränkungen und Bindungen, welche auf öffentlichem Recht beruhen (hierzu MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 10). Öffentlich-rechtliche Einschränkungen können indes auch einen Sachmangel bedeuten. Denn für die Qualifikation eines Umstandes als Sachmangel ist nicht allein seine physische Beschaffenheit maßgeblich. Vielmehr können auch Umstände, die sich letztlich als Nutzungs- oder Verwendungsbeeinträchtigungen auswirken, als Sachmangel einzuordnen sein. Daher ist an dieser Stelle eine Abgrenzung des Rechtsmangels vom Sachmangel erforderlich.
 
Anmerkung: Die Abgrenzung des Rechts- vom Sachmangel ist nicht nur theoretischer Natur. Die Einordnung als Rechtsmangel hätte unter anderem zur Folge, dass der auf Sachmängel zugeschnittene § 477 BGB (Beweislastumkehr bei Verbraucherverträgen) keine Anwendung findet.  
 
Als Faustformel lässt sich festhalten, dass solche Mängel, die an die Beschaffenheit der Sache anknüpfen, Sachmängel darstellen, auch wenn sie dazu führen, dass Dritte Rechte gegen den Käufer geltend machen können, die ihn in der ungestörten Ausübung der Eigentümerbefugnisse beeinträchtigen (BeckOK BGB/Faust, 53. Edt., Stand: 01.02.2020, § 435 Rn. 10 m.w.N.). Das heißt: Solche öffentlich-rechtlichen Beschränkungen (beispielsweise Enteignungen, Beschlagnahmen), die ihre Grundlage in der Beschaffenheit der Sache (also ihrer Zusammensetzung, ihrem physischen Zustand) haben, sind als Sachmangel einzuordnen (BGH, Urt. v. 26.2.2020 – VIII ZR 267/17, BeckRS 2020, 4703, Rn. 13; Urt. v. 18.01.2017 – VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666 Rn. 18 ff.). In der Vergangenheit wurde dies beispielsweise für Beschränkungen der Bebaubarkeit, die an die Beschaffenheit (insbesondere die Lage) eines Grundstücks anknüpfen, angenommen (hierzu BGH, Urt. v. 11.12.1992 – V ZR 204/91, NJW-RR 1993, 396; Urt. v. 17.03.1989 – V ZR 245/87, NJW 1989, 2388). Auch gilt dies konsequenterweise für Beschlagnahmen, wenn sich das Recht zur Beschlagnahme aus der Zusammensetzung bzw. dem Zustand der Kaufsache ergibt, so etwa bei Lebensmitteln, bei denen der Verdacht des Salmonellenbefalls besteht (BGH, Urt. v. 14.06.1972 – VIII ZR 75/71, NJW 1972, 1462). Anders ist dagegen zu urteilen – also ein Rechtsmangel anzunehmen – wenn das Recht zum öffentlich-rechtlichen Eingriff aus „äußeren“ Umständen, die zwar eine Beziehung zur Sache aufweisen, ihr aber nicht unmittelbar anhaften, herrührt, wie beispielsweise aus der Nichtzahlung von Abgaben für die Sache. Wie aber ist in Bezug auf die SIS-Ausschreibung eines Fahrzeugs zu urteilen? Die SIS-Ausschreibung bedeutet, dass das betreffende Fahrzeug zwecks Sicherstellung oder Beweissicherung in einem Strafverfahren gesucht wird. Damit gründet der dem Fahrzeug anhaftende Mangel (Gefahr der Beschlagnahme) nicht auf der physischen Beschaffenheit (beispielsweise technischen Aspekten), sondern auf dem äußeren Umstand, dass das Fahrzeug im Kontext einer Straftat verwendet wurde. Wendet man konsequent die Faustformel an, kommt man auf dieser Basis unzweifelhaft zur Annahme eines Rechtsmangels. Denn – so der BGH:

„[M]it der SIS-Ausschreibung eines Kraftfahrzeugs zur Fahndung ist die konkrete, im gesamten Schengen-Raum bestehende Gefahr verbunden, dass das Fahrzeug bei einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen Kontrolle von staatlichen Behörden rechtmäßig sichergestellt oder beschlagnahmt wird (Senatsurteil vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/15, aaO Rn. 24) mit der Folge, dass es der Käufer – unabhängig von einem etwaig bestehenden, für die Beurteilung eines Rechtsmangels nicht maßgebenden Eigentumsherausgabeanspruch eines (Vor-)Eigentümers – nicht mehr ungestört im In- und Ausland nutzen kann.“ (Rn. 13).

Ein Rechtsmangel liegt damit vor.
 
Anmerkung: Lesenswert – und zur Vertiefung des Verständnisses empfehlenswert – ist auch das Urteil vom 18.01.2017, in dem der BGH ausführlich erörtert hat, dass die bei Gefahrübergang vorhandene und im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung fortbestehende Eintragung eines Kraftfahrzeugs in dem SIS zum Zwecke der Sicherstellung und Identitätsfeststellung einen erheblichen Rechtsmangel bedeutet, der den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt. Im Zuge dessen hat der BGH eine ausführliche Abgrenzung des Rechts- vom Sachmangel bei öffentlich-rechtlichen Beschränkungen in Bezug auf die Kaufsache vorgenommen (BGH, Urt. v. 18.01.2017 – VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666).
 
2. Bei Gefahrübergang
Der Rechtsmangel muss aber auch im Zeitpunkt des Gefahrübergangs – und hierin liegt die Krux des Falls – vorgelegen haben. Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist hier gemäß § 446 Abs. 1 BGB nach den Ausführungen des BGH der Zeitpunkt der Übergabe, also im konkreten Fall der 12.07.2011. Die SIS-Ausschreibung erfolgte aber erst am 22.05.2014, weshalb man vor diesem Hintergrund – ganz simpel – das Vorliegen eines Rechtsmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs verneinen müsste.
 
Anmerkung: Die – soweit erkennbar – allgemeine Meinung in der Literatur sieht das bei Rechtsmängeln gleichwohl anders. Hiernach soll der maßgebliche Zeitpunkt anders als beim Sachmangel nicht die Übergabe, sondern der Zeitpunkt sein, in dem sich der Erwerb vollziehen soll, also regelmäßig der Zeitpunkt des Eigentumserwerb (der zugegebenermaßen oftmals mit der Übergabe zusammenfallen wird), s. hierzu MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 6 m.w.N. Hierauf soll jedoch nicht näher eingegangen werden, dient der Beitrag der Besprechung der BGH-Entscheidung, in der bei der Beurteilung konsequent auf den Zeitpunkt der Übergabe abgestellt wurde.
 
Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass zwar der unmittelbare Rechtsmangel erst am 22.05.2014 begründet wurde, der Sachverhalt, der zu der Eintragung in das SIS geführt habe, aber schon am 12.07.2011 vorgelegen habe. Dass dies zur Annahme eines Mangels bei Gefahrübergang aber nicht genüge, hat der BGH in seiner Entscheidung ausführlich dargelegt:

„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang nicht schon dann vor, wenn die letztlich zur späteren Eintragung in das SIS führende Ausgangslage […] bereits bei der nach § 446 Satz 1 BGB den Gefahrübergang herbeiführenden Übergabe des Fahrzeugs bestanden hat. Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage, ob in der Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste ein Rechtsmangel liegt, darauf abgestellt, dass diese Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand (Senatsurteile vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/15, aaO Rn. 14; vom 26. April 2015 – VIII ZR 233/15, aaO). Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der Aufnahme des Fahrzeugs in die SISFahndungsliste in der ungestörten Nutzung der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm – nach Übergabe – gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers (§ 903 BGB) konkret beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter – hier in Gestalt strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug – so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest mit der Folge, dass allein das Vorliegen eines tatsächlichen Geschehens, das wegen seiner erst nach Gefahrübergang erkannten strafrechtlichen Bedeutung für eine spätere SISFahndung – und in deren Folge für eine etwaige Beschlagnahme – in irgendeiner Weise kausal geworden ist […] für die Annahme eines Rechtsmangels nicht genügt.“ (Rn. 14 ff.)

Eine andere Sichtweise würde die Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers in unzumutbarer Weise überdehnen:

„Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.“ (Rn. 17).

Dies hatte der BGH indes schon einmal anders gesehen: In einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 hatte es der BGH bei einer nach § 111b StPO rechtmäßig durchgeführten Beschlagnahme eines im Ausland als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs für die Annahme eines Rechtsmangels bei Gefahrübergang als ausreichend erachtet, dass der Sachverhalt, aufgrund dessen die spätere Beschlagnahme erfolgte, bereits bei Gefahrübergang vorlag (BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 unter II 1). Die diesem Sachverhalt zugrunde liegende Konstellation unterscheide sich jedoch derart vom vorliegenden Fall, dass nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden könnten. Konkret:

„Der in dem Senatsurteil vom 18. Februar 2004 (VIII ZR 78/03, aaO) zu beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine Diebstahlsanzeige vorlag und strafrechtliche Ermittlungen – auch gegen den Käufer des Fahrzeugs – wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden, in deren Folge es 16 Tage nach der Übergabe zu einer (rechtmäßigen und danach richterlich bestätigten) Beschlagnahme durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden kam (Senatsurteil vom 18. Februar 2004 – VIII ZR 78/03, aaO). Somit drohte in jenem Fall bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine alsbaldige behördliche Beschlagnahme, die die Annahme eines bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtsmangels begründen konnte. Eine derartig „verdichtete“ Situation einer unmittelbar drohenden behördlichen Beschlagnahme bestand angesichts der vom Berufungsgericht zum zeitlichen Ablauf hier getroffenen Feststellungen bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger jedoch nicht. Somit kann […] auch insoweit ein bei Gefahrübergang vorhandener Rechtsmangel nicht bejaht werden.“ (Rn. 19).

Im vorliegenden Fall kann die Tatsache, dass der Sachverhalt, der zu der Eintragung in das SIS geführt habe, also nur deswegen nicht zur Annahme eines Sachmangels „bei Gefahrübergang“ führen, weil sich die Situation zum Zeitpunkt der Übergabe noch nicht hinreichend verdichtet hatte im Sinne eines unmittelbar drohenden behördlichen Einschreitens.
 
III. Ergebnis
Letztlich scheitert nach Auffassung des BGH ein Anspruch auf Rückabwicklung aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB, dass im Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch kein Rechtsmangel vorlag.
 
C) Fazit
Die wichtigsten Aussagen des BGH können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Ein Sachmangel liegt in Abgrenzung zum Rechtsmangel immer dann vor, wenn der betreffende Umstand an die Beschaffenheit der Sache anknüpft, auch wenn er dazu führt, dass Dritte Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Hiervon ausgehend liegt in der SIS-Ausschreibung eines Fahrzeugs zur Fahndung ein Rechtsmangel.
  • Ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang liegt nicht bereits dann vor, wenn die Umstände, die zur späteren Ausschreibung führen, bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen haben. Denn eine konkrete Beeinträchtigung der Eigentümerposition ist erst mit der Eintragung in das SIS zu befürchten, denn erst dann verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss. Anders geurteilt werden kann allenfalls dann, wenn im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine „alsbaldige“ behördliche Maßnahme droht, wenn sich die Situation also bereits so verdichtet hat, dass die der Maßnahme zugrunde liegenden Umstände in engem zeitlichem Abstand zur Durchführung (hier: Eintragung in das SIS) führen.

Die Entscheidung des BGH ist in Bezug auf die Äußerungen zum Gefahrübergang mehr als zweifelhaft, aber für die Praxis hinzunehmen. Aus streng dogmatischer Sicht hat der BGH freilich recht – der Rechtsmangel und nicht die für ihn irgendwie kausalen Umstände müssen im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorliegen. Gleichwohl erscheint das Urteil gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung aus dem Jahre 2004, in der der BGH ausdrücklich anerkannt hat, dass bereits dem Rechtsmangel zugrunde liegende Umstände genügen können, nahezu willkürlich. Denn wann ist der zeitliche Zusammenhang noch gewahrt, dass von einem unmittelbar bevorstehenden behördlichen Eingriff ausgegangen werden kann? Als Eckpunkte kann man sich allenfalls – wenn auch wenig hilfreich – merken, dass eine Beschlagnahme, die 16 Tage nach Gefahrübergang folgt, wohl bereits hinreichend „drohte“; sind dagegen nach Übergabe drei Jahre vergangen, bevor es zur Eintragung ins SIS kommt, kann dies zur Annahme des erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs nicht genügen – auch wenn die Umstände, die zur Maßnahme geführt haben, bereits in diesem Zeitpunkt abschließend vorlagen. In einer Klausur kommt es daher auf die Argumentation an: Wichtig ist, dass sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt wird, ob die öffentlich-rechtliche Beschränkung bereits hinreichend drohte. Nur dann kann ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang angenommen werden.

20.04.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-04-20 09:00:362020-04-20 09:00:36BGH: Neues zum Rechtsmangel beim Autokauf
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Mängelgewährleistung beim Kauf von Anteilen an einer GmbH (share deal)

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In seinem Urteil vom 26.09.2018 (Az.: VIII ZR 187/17, NZG 2018, 1305) hat sich der BGH mit dem Mängelgewährleistungsrecht beim Kauf von Mitgliedschaftsrechten an einer GmbH auseinandergesetzt. Die Entscheidung betrifft schwerpunktmäßig den Klassiker, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen bei einem Anteilskauf (share deal), der als solcher einen Rechtskauf i.S.v. § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB darstellt, die für einen Sachkauf geltenden Gewährleistungsrechte der §§ 434 ff. BGB gelten können. Thematisiert wird außerdem das Verhältnis des Mängelgewährleistungsrecht zur Störung der Geschäftsgrundlage. Flankiert wird dabei die Problematik, ob die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB herangezogen werden können, wenn bei dem Kauf der Mitgliedschaftsrechte die Vertragsparteien irrtümlich von der Solvenz der Gesellschaft ausgehen. Die hohe Examensrelevanz liegt damit auf der Hand: Kombiniert werden kann klassisches Mängelgewährleistungsrecht, das durch die Grundsätze des Unternehmenskaufs den Studierenden auf regelmäßig unvertrautem Terrain begegnet und insofern auf erhöhtem Schwierigkeitsgrad abgeprüft werden kann, mit dem Schuldrecht AT-Institut der Störung der Geschäftsgrundlage.
 

Anmerkung: Dass die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB den Rechtsanwender regelmäßig vor Probleme stellt, liegt schon in der Fassung der Norm begründet, die eine Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen und Wertungsgesichtspunkten enthält. Empfohlen wird daher unser Grundlagenbeitrag, der die Grundzüge der Störung der Geschäftsgrundlage darstellt und typische Fallkonstellationen aufzeigt.

 
A. Sachverhalt (vereinfacht und abgewandelt):
A und B sind beide zu je 50% an der C-GmbH beteiligt. Nach Meinungsverschiedenheiten vereinbaren die beiden, dass der A die vom B gehaltenen Anteile kaufen soll. Um den Wert der C-GmbH zu ermitteln, gibt der A bei einer Wirtschaftsprüfgesellschaft ein Gutachten in Auftrag, dem die Werte des Jahresabschlusses 2009 zugrunde gelegt werden und das unter Berücksichtigung von Einwänden des B ergänzt wird. Ausgehend von diesen Berechnungsgrundlagen veräußert der B seine Anteile an der C-GmbH durch notariellen Vertrag vom 5.10.2011 zu einem Kaufpreis von 4 Mio. Euro an den A. Der Kaufvertrag enthält dabei detaillierte Regelungen, zum Beispiel verschiedene Garantievereinbarungen im Hinblick auf das rechtswirksame Bestehen der Geschäftsanteile sowie die nicht vorhandene Belastung mit Rechten Dritter. Auch sollen gesetzliche Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen sein, „soweit dies rechtlich möglich ist“. Vereinbart wird zudem, dass der Vertrag hinsichtlich dessen Gegenstandes das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend regeln soll. Nicht thematisiert wird jedoch, ob die finanzielle Lage des Unternehmens als Beschaffenheit der Anteile anzusehen ist. Nachdem A den Kaufpreis gezahlt hat, kommen ihm allerdings Zweifel, ob er ein gutes Geschäft gemacht hat. Für den Prüfbericht zum Jahresabschluss für das Jahr 2011 beauftragt er ein anderes Wirtschaftsprüfunternehmen, das feststellt, dass in den Jahren 2008-2010 massive Abgrenzungsfehler unterlaufen sind. Insbesondere der Jahresabschluss 2009, an dem sich die Parteien schwerpunktmäßig im Rahmen der Kaufpreisfindung orientiert haben, weist deutlich zu hohe Umsatzerlöse aus. Hätten die Parteien die zutreffenden Unternehmenszahlen zugrunde gelegt, hätte sich der Kaufpreis „auf allenfalls Null“ belaufen.
A ist empört und verlangt von B Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Zahlung weiterer 4 Mio. Euro zur Sanierung der C-GmbH, gestützt auf Ansprüche auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage sowie hilfsweise auf Gewährleistungsansprüche. Zu Recht?
 
B. Lösung
Fraglich ist, ob der A einen Zahlungsanspruch hat.
 
I. Anwendbarkeit der Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage
Ein solcher könnte sich aus einem Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1, 2 BGB ergeben. Damit ein Anspruch auf Vertragsanpassung bestehen kann, müssen die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage aber überhaupt anwendbar sein. Die Norm kommt nämlich erst dann in Betracht, wenn keine spezielleren Regelungen, deren Wertungen nicht unterlaufen werden dürfen, einschlägig sind. Insbesondere ist nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass § 313 BGB nicht zur Anwendung gelangt, wenn die Störung der Geschäftsgrundlage auf einem Mangel der Kaufsache beruht und die Vorschriften über die Mängelhaftung gemäß §§ 434 ff. BGB einschlägig sind. Denn – und so führt es der BGH in der vorliegenden Entscheidung aus –
 
„nach § 313 Abs. 1, 2 BGB kommt die Anpassung eines Vertrags wegen wesentlicher Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind und sich als falsch herausstellen, nur in Betracht, wenn und soweit die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie dieser Fehlvorstellung nicht erlegen wären (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16. September 2008 – VI ZR 296/07, VersR 2008, 1648 Rn. 23; MünchKomm-BGB/Finkenauer, 7. Aufl., § 313 Rn. 58), und einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. In diesem Verweis auf die gesetzliche Risikoverteilung kommt zum Ausdruck, dass eine Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage auszuscheiden hat, wenn und soweit es um Fehlvorstellungen geht, deren Auswirkungen auf den Vertrag der Gesetzgeber bereits durch Aufstellung bestimmter gesetzlicher Regeln zu erfassen versucht hat (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2015 – VIII ZR 266/14, BGHZ 208, 18 Rn. 23). Dementsprechend kann § 313 BGB im Anwendungsbereich der kaufrechtlichen Sach- und Rechtsmängelhaftung grundsätzlich nicht herangezogen werden, da andernfalls die den Bestimmungen der §§ 434 ff. BGB zugrunde liegende Risikoverteilung durch die Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage verändert werden würde. Das gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen einer Mängelhaftung im Einzelfall– etwa aufgrund eines wirksamen Haftungsausschlusses, wie ihn das Berufungsgericht vorliegend angenommen hat – nicht gegeben sein sollten.“ (Rn. 15 f.)
 
Mit anderen Worten: Selbst, wenn – wie hier – vertraglich vereinbart wird, dass gesetzliche Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen sein sollen, können die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage nicht herangezogen werden, soweit es sich bei den Fehlvorstellungen der Parteien um einen Mangel handelt.
 
II. Mangel der Kaufsache
Daher ist vorrangig zu prüfen, ob das hohe negative Eigenkapital der C-GmBH denn überhaupt einen Mangel der Kaufsache darstellt. Wichtig ist dabei, dass es sich gerade um einen Kauf von Anteilen an einer GmbH – also einen Rechtskauf – handelt, der als solcher nach § 453 BGB beurteilt wird. Ein Rechtsmangel liegt vor, „wenn das verkaufte Recht nicht in dem vertraglich festgelegten Umfang besteht oder ihm andere Rechte entgegenstehen“ (BeckOK/Faust, 48. Edt., Stand: 01.11.2018, § 453 BGB Rn. 10). Das ist etwa der Fall, wenn der Gesellschaftsanteil mit Rechten Dritter belastet ist. Problematisch ist indes, ob die Überschuldung des Unternehmens einen Rechtsmangel bedeuten kann. Hier gilt der Grundsatz, den vermutlich jeder Examenskandidat schon einmal gehört hat: Der Verkäufer haftet grundsätzlich nur für die Verität, nicht aber für die Bonität. Das bedeutet konkret, dass die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Rechts oder der Zustand der Sache, auf den sich das Recht bezieht, nicht erfasst ist; beim share deal ist also nur maßgeblich, dass der Anteil in entsprechender Höhe besteht, gehaftet wird aber nicht für den Wert des Anteils oder etwaige Mängel des von der GmbH betriebenen Unternehmens (Jauernig/Berger, 17. Aufl. 2018, § 453 BGB Rn. 4), soweit keine entsprechenden Garantien vereinbart wurden. Laut Sachverhalt haben die Parteien hinsichtlich der finanziellen Lage des Unternehmens aber keine Garantie vereinbart. Hiervon ausgehend müsste man das Vorliegen eines Mangels mithin verneinen.
 
Etwas anderes könnte sich aber aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Unternehmenskauf ergeben: Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass der
 
„Kauf von Mitgliedschaftsrechten an einer GmbH zwar als Rechtskauf angesehen und die Gewährleistung gemäß den hierfür in § 433 Abs. 1 Satz 2, §§ 437 ff. BGB aF vorgesehenen Regelungen – die eine Haftung grundsätzlich nur für den Bestand des Rechtes (Verität) vorsahen – bemessen  [wird], auf Mängel des von der GmbH betriebenen Unternehmens jedoch die Vorschriften über die Sachmängelhaftung für die Fälle entsprechend herangezogen [werden], in denen sich der Erwerb dieses Rechts sowohl nach der Vorstellung der Parteien als auch objektiv als Kauf des Unternehmens selbst und damit bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Sachkauf darstellte […]. Ein solcher Unternehmenskauf wurde insbesondere dann bejaht, wenn der Käufer von seinem Verkäufer sämtliche oder nahezu sämtliche Geschäftsanteile (vgl. hierzu Senatsurteile vom 2. Juni 1980 – VIII ZR 64/79, NJW 1980, 2408 unter II 2 a; vom 4. April 2001 – VIII ZR 32/00, aaO [jeweils zu §§ 459 ff. BGB aF]) erwarb und damit, ohne durch die Befugnisse von Mitgesellschaftern beeinträchtigt zu sein, uneingeschränkt über das Unternehmen verfügen konnte, obgleich formell die GmbH Trägerin des Unternehmens und Eigentümerin der Sachwerte desselben blieb.“ (Rn. 19 f.)
 
Das heißt, dass, auch wenn ein Rechtskauf stattgefunden hat, das Sachmängelgewährleistungsrecht beim Unternehmenskauf Anwendung finden kann, sodass unter Umständen auch Mängel des „Substrats“ des Unternehmens geltend gemacht können. Der share deal wird insoweit dem asset deal– dem Kauf der einzelnen Unternehmensgegenstände – gleichgestellt. Die Voraussetzung ist aber, dass es sich aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise sowohl aus Sicht der Vertragsparteien als auch nach den objektiven Umständen um einen Kauf des ganzen Unternehmens, also faktisch um einen Sachkauf, handelt – wobei im Einzelnen umstritten ist, ab welcher Grenze der Kauf des ganzen Unternehmens angenommen werden kann. Unabhängig davon, ob denn überhaupt das hohe negative Eigenkapital der GmbH als Sachmangel des Unternehmens angesehen werden kann, muss daher zunächst die Frage beantwortet werden, ob im vorliegenden Fall bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein Kauf des gesamten Unternehmens anzunehmen ist.
 
Das hat der BGH im Gegensatz zur Berufungsinstanz mit der Begründung verneint, dass der Käufer vorliegend nur einen Anspruch auf Übertragung der Hälfte der Anteile hatte: Es fehle damit „nach der Parteivorstellung und der Verkehrsanschauung an einem – gemäß den dargestellten Grundsätzen für die entsprechende Anwendung der Sachmängelhaftung entscheidenden – auf den Erwerb des Unternehmens insgesamt gerichteten Ziel des Vertrags“ (Rn. 26). Die Berufungsinstanz habe missverstanden, dass es nicht darum gehe, dass der A nunmehr 100% der Anteile halte; vielmehr sei lediglich der konkrete Kaufgegenstand entscheidend – und das seien eben nur 50% der Anteile. Denn die Anwendung der §§ 434 ff. BGB könne nicht von Umständen außerhalb des Vertrags abhängen, auch wenn der A dadurch, dass er zuvor schon 50% der Anteile gehalten hat, nunmehr im Ergebnis die alleinige Verfügungsgewalt über das Unternehmen hat. Damit bleibt es bei den Grundsätzen des Rechtskaufs – und dabei, dass die von A behauptete schlechtere finanzielle Lage des Unternehmens keinen Rechtsmangel i.S.v. § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB darstellt. Gesetzliche Gewährleistungsansprüche können damit, unabhängig davon, dass diese im vorliegenden Fall nach der vertraglichen Vereinbarung ohnehin ausgeschlossen sind, nicht bestehen.
 
III. Ansprüche aus § 313 Abs. 1, 2 BGB möglich
Mangels Eingreifens spezieller Regelungen kommt daher ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1, 2 BGB in Betracht. Inwieweit der Anspruch gegeben ist, bedarf allerdings weiterer Feststellungen, sodass der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat, § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO. Denn die Parteien seien zwar davon ausgegangen, dass das Unternehmen fortführungsfähig sein; ob und in welchem Umfang allerdings sich relevante Umstände nachträglich als falsch herausgestellt hätten und inwieweit dem A das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden könne, sei offengelassen worden. Allein darauf, dass die Parteien im Kaufvertrag den Ausschluss gesetzlicher Gewährleistungsrechte vereinbart hätten, könne man die Zuweisung des Risikos an den A nicht stützen: „Der zwischen den Parteien geschlossene Anteilkaufvertrag enthält […]gerade – wie auch das Berufungsgericht mehrfach hervorgehoben hat – keine näheren Angaben zur wirtschaftlichen Lage der GmbH und trifft dementsprechend auch keine Aussagen darüber, wer insoweit das Risiko einer Störung des angestrebten Äquivalenzverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung tragen sollte.“ (Rn. 45) Insoweit mag man also die Entscheidung des Berufungsgerichts abwarten. Ob dem A ein Zahlungsanspruch zusteht, kann nicht abschließend beurteilt werden.
 
C. Fazit
Eine Entscheidung, die unter Billigkeitsgesichtspunkten etwas unbefriedigend erscheint, dogmatisch aber überzeugt. Zutreffend stellt der BGH fest, dass „der von den Parteien übereinstimmend und im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit bestimmte Kaufgegenstand eben keine Sache, sondern ein Recht ist“ (Rn. 32) und der Verkäufer daher nach allgemeinen Grundsätzen nur für die Verität, nicht aber für die Bonität und dementsprechend eben nicht für die Werthaltigkeit der Sache, auf die sich das Recht bezieht, haftet. Zur Vertiefung ist ein Blick in die ausführliche Begründung des BGH lohnenswert. Das Urteil ist auch interessant im Hinblick auf die Feststellungen zum Verhältnis des Mängelrechts zur Störung der Geschäftsgrundlage: Dass, wenn das Gewährleistungsrecht nicht einschlägig ist, die subsidiären Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage herangezogen werden können, darf in einer Klausur nicht übersehen werden – ob der Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1, 2 BGB dann bejaht oder verneint wird, ist zweitrangig; wichtig ist hier eine gute Argumentation.
 

07.01.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-01-07 09:30:072019-01-07 09:30:07BGH: Mängelgewährleistung beim Kauf von Anteilen an einer GmbH (share deal)
Dr. Yannik Beden, M.A.

Sachmangel bei Kauf von Doppelbett: Kein Rücktritt aufgrund von „Kuhlenbildung“

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Liegt ein Sachmangel i.S.v. § 434 Abs. 1 BGB vor, wenn sich bei einem zwei Jahre alten Boxspringbett mit doppeltem Matratzenuntergestell eine Kuhle in der Mitte des Bettes bildet? Mit dieser Rechtsfrage durfte sich das LG Koblenz in seinem Beschluss vom 17.8.2018 – 6 S 92/18 beschäftigen. Die Entscheidung beleuchtet das Verständnis des kaufrechtlichen Mangelbegriffs speziell für den Kauf von Betten und bietet dabei gleichzeitig Gelegenheit, die grundlegende Systematik des § 434 BGB zu rekapitulieren:
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)
„Der Kläger, alleinstehend und Alleinschläfer, interessierte sich für die Anschaffung eines neuen Bettes. Nach kurzem Probeliegen kaufte er bei dem später beklagten Möbelhaus ein Boxspringbett in der Größe 1,60m*2,00m zum Preis von 2.000,00 €. Das Boxspringbett bestand – entsprechend des unterschriebenen Kaufvertrages – aus einem gefederten Untergestell als Basis, zwei aufgelegten Matratzen in den Größen 0,8m*2,00m in einem durchgehenden Bezug und einem noch aufgelegten, durchgehenden sog. Topper. Nach nicht ganz zweijähriger Nutzung hatte sich eine Kuhle in der Mitte des Bettes gebildet, der Schlafkomfort war beeinträchtigt. Der Kläger verlangte daher vom Möbelhaus, diesen Mangel zu beseitigen. Das Möbelhaus verweigerte die Mangelbeseitigung mit dem Hinweis, das Bett sei zur Alleinnutzung nicht geeignet, beim Schlafen in der Mitte des Bettes bilde sich zwangsläufig wegen der zwei Matratzen eine Kuhle, es liege ein bestimmungswidriger Gebrauch vor. Dies wollte der Kläger nicht akzeptieren, schließlich habe er bei den Verkaufsverhandlungen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das Bett alleine nutzen werde. Er reichte daher Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrages beim Amtsgericht Mayen ein.“
II. Überblick zur Regelungssystematik des § 434 Abs. 1 BGB
Wann ist der Kaufgegenstand frei von Sachmängeln i.S.v. § 434 Abs. 1 BGB? Im Ausgangspunkt bedarf es stets einer negativen Abweichung der „Ist-Beschaffenheit“ von der vertraglich geschuldeten „Soll-Beschaffenheit“ (vgl. BeckOK/Faust, BGB, 46. Ed. Stand 1.5.2018, § 434 Rn. 12). Welchen Zustand die Sache aufweisen soll, können die Vertragsparteien im Rahmen einer Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB selbst festlegen, wobei dies nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erfolgen kann. Welche Umstände als „Eigenschaften“ einer Sache zu qualifizieren sind ist mitunter umstritten: Diskutiert wird vor allem, inwieweit eine Beschaffenheit der Sache physisch anhaften muss bzw. ob auch Umweltbeziehungen des Kaufgegenstands zur Bestimmung der Beschaffenheit heranzuziehen sind (ausführlich MüKo/Westermann, BGB, 7. Auflage 2016, § 434 Rn. 9).
Besteht keine (explizite oder stillschweigende) Vereinbarung über die Beschaffenheit der Sache, kann ein Mangel auch vorliegen, wenn sich die Sache nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine vertraglich vorausgesetzte Verwendung anzunehmen, sofern beide Parteien eine solche übereinstimmend unterstellen, wobei es keiner vertraglichen Vereinbarung bedarf (BGH Urteil v. 16.3.2012 – V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078). Gibt es keine Beschaffenheitsvereinbarung und wurde keine Verwendungsmöglichkeit vorausgesetzt, ist nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB auf die Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung bzw. die verkehrsübliche Beschaffenheit des Gegenstands abzustellen. Mangelfrei ist die Sache dabei nur, wenn sie die übliche Beschaffenheit und Eignung zur gewöhnlichen Verwendung kumulativ aufweist (BeckOK/Faust, BGB, 46. Ed. Stand 1.5.2018, § 434 Rn. 53).   
III. Wie entschied das Gericht?
Das LG Koblenz schloss sich der Vorinstanz an und verneinte eine Mangelhaftigkeit des Bettes, sodass kein Rücktrittsgrund bestand. Eine Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB zog das Gericht von vornherein nicht in Erwägung. Auch eine vertragliche vorausgesetzte Verwendungsmöglichkeit i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB nahm das Gericht nicht an. Es entspreche darüber hinaus nicht der üblichen Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB) eines Doppelbettes, dass der Bereich zwischen den für jeweils eine Person vorgesehenen Liegeflächen zum Schlafen genutzt werde. Auch der Aufbau des Boxspringbettes bestehend aus zwei Matratzen, die als Untergestell für den Topper fungieren, mache dies deutlich. Ebenso wenig bestehe – so das Gericht – eine Pflicht des Verkäufers des Bettes zur Aufklärung über etwaige Nutzungsmöglichkeiten der Liegefläche. Zuletzt verwies der Käufer noch auf eine Werbung des Möbelhauses, in der eine Frau abgebildet war, die allein und diagonal auf einem großen Boxspringbett lag und ein Prospekt durchblätterte. Doch auch dieser Einwand überzeugte die Zivilkammer nicht: Es sei ersichtlich, dass in der Werbung des Verkäufers keine typische Schlafsituation dargestellt werde. Auch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ist den Ausführungen des Gerichts zufolge deshalb nicht einschlägig. Der Käufer musste sich letztlich also mit der Kuhle in der Mitte seines Bettes abfinden.
Die Wertung des LG Koblenz lässt sich durchaus bestreiten. Auch bei Nutzung des Doppelbettes durch zwei Personen kann – etwa durch unruhigen Schlaf o.ä. – eine Kuhle in der Bettmitte auftreten, insbesondere wenn beide Personen zur Mitte des Toppers rücken. Die Argumentation des Gerichts verfängt insofern nicht vollständig. Allerdings wird man auch bei bestimmungsgemäßer Nutzung des Bettes durch zwei Personen keinen Sachmangel bejahen können: Der Topper eines Boxspringbettes ist üblicherweise in verschiedenen Härten erhältlich, sodass für verschiedene Belastungen unterschiedliche Härtegrade geeignet sind. Zudem müssen auch die unterliegenden Matratzen auf die individuelle Belastung angepasst sein. Die richtige Zusammensetzung des Boxspringbetts liegt jedoch nicht zwangsläufig in der Risikosphäre des Verkäufers, sondern regelmäßig nur dann, wenn ein dahingehender Parteiwille ersichtlich ist.  
IV. Kurzes Resümee
Legt sich ein Alleinstehender ein Boxspringbett mit Doppelunterlage zu, hat er zwei Möglichkeiten: Auf einer Seite des Bettes schlafen oder eine Partnerin bzw. eine Partner finden. Mittiges Schlafen stellt jedenfalls nach der instanzgerichtlichen Rechtsprechung einen bestimmungswidrigen Gebrauch dar, sodass eine Kuhlenbildung hinzunehmen ist. Ob dieses Ergebnis überzeugt, mag dahinstehen. Nicht zuletzt ist das Entstehen einer Vertiefung in der Mitte des Bettes auch denkbar, wenn zwei Personen das Boxspringbett nutzen und während des Schlafens näher zur Mitte des Toppers rücken. Ungeachtet dessen bietet die Entscheidung eine gute Gelegenheit, den kaufrechtlichen Sachmangelbegriff zu vergegenwärtigen und eigene Argumentationsstränge für unbekannte Rechtsfragen zu entwickeln.    

05.09.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-09-05 10:00:512018-09-05 10:00:51Sachmangel bei Kauf von Doppelbett: Kein Rücktritt aufgrund von „Kuhlenbildung“
Dr. Yannik Beden, M.A.

BGH: Neues zum Sachmangel beim Pferdekauf

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Neben dem Gebrauchtwagenkauf ist der Kauf von (Dressur-)Pferden einer der absoluten Examensklassiker. Üblicherweise finden sich in der Klausur Problemstellungen zum Mangelbegriff, zur Vertragsauslegung sowie zur Beweislastverteilung. Zu diesen Punkten hat sich der BGH nunmehr mit Urteil vom 18.10.2017 – VIII ZR 32/16 erneut geäußert und seine bisherige Rechtsprechung zur Frage des Sachmangels bei Abweichen eines Tieres von der „physiologischen Idealnorm“ bestätigt. Die Entscheidung bietet Gelegenheit zur Wiederholung und Vertiefung des in Klausuren regelmäßig behandelten Systems der Sachmängelgewährleistung im Kaufrecht. Sie verdient deshalb eine genauere Betrachtung.
I. Der Sachverhalt
Die Parteien schlossen im Jahr 2010 einen mündlichen Kaufvertrag über einen damals 10 Jahre alten Hannoveraner Wallach zum Preis von 500.000 €. Der Käufer beabsichtigte, den Wallach als Dressurpferd bei Grand-Prix-Prüfungen einzusetzen. Der Verkäufer, ein selbständiger Reitlehrer und Pferdetrainer, hatte das Pferd zuvor für eigene Zwecke erworben und zum Dressurpferd ausgebildet. Nach zwei Proberitten und einer „großen Ankaufsuntersuchung“, in der sich keine erheblichen Befunde ergeben hatten, wurde das Pferd dem Käufer am 30.11.2010 übergeben. Am 15. Juni 2011 wurde dann jedoch im Rahmen einer tierärztlichen Untersuchung ein Röntgenbefund an einem Halswirbel des Pferdes festgestellt – der Gelenkfortsatz des vierten Halswirbels des Tieres war deutlich verändert. Das Pferd lahmt und hat Schmerzen, sodass es sich einer reiterlichen Einwirkung widersetzt. Ob die schwerwiegenden Rittigkeitsprobleme auf die durch den Röntgenbefund festgestellte Veränderung des Halswirbels zurückzuführen sind, ließ sich nicht feststellen. Der Käufer erklärt – nach vergeblicher Fristsetzung zur Nacherfüllung – den Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrt dessen Rückabwicklung.
II. Rechtliche Würdigung des Bundesgerichtshofs
Der Käufer könnte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB haben. Die zentrale Fragestellung ist insofern, ob bei Gefahrübergang ein Sachmangel vorgelegen hat:
Der BGH stellt zunächst Überlegungen zu einer etwaigen Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB an. Das Berufungsgericht entschied zuvor, dass es sich bei dem Röntgenbefund um einen Sachmangel i.S. der genannten Norm handele, und zwar unabhängig davon, ob die klinischen Erscheinungen des Pferdes auf den Befund kausal zurückgeführt werden können. Dafür wäre allerdings das Vorhandensein einer – ausdrücklichen oder konkludenten – Beschaffenheitsvereinbarung notwendig, der zufolge das Pferd einen Röntgenbefund im Bereich des Facettengelenks nicht haben dürfte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH setzt eine Beschaffenheitsvereinbarung voraus, dass der Verkäufer in vertragsbindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (hierzu bereits BGH Urteil v. 4.6.1997 – VIII ZR 243/96). Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden – der BGH stellt hier jedoch strenge Anforderungen, sodass eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht im Zweifel, sondern nur bei eindeutigen Fällen in Betracht kommt (so bereits BGH Urteil v. 15.6.2016 – VIII ZR 134/15 und 29.6.2016 – VIII ZR 191/15). Da auch hinsichtlich einer stillschweigenden Vereinbarung keine Anhaltspunkte für einen darauf gerichteten Willen in irgendeiner Form vorlagen, verneinte das Gericht im Ergebnis den Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung über den streitgegenständlichen Röntgenbefund am Halswirbel des Tieres.
Fraglich ist jedoch, ob ein Mangel i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB vorliegt. Zentraler Problempunkt ist insofern, dass der Hannoveraner Wallach ein hochklassiges Dressurpferd ist, das aufgrund der Veränderung des Halswirbels nicht mehr der „Idealform“ entspricht. Der BGH setzt diesbezüglich seine bisherige Rechtsprechung zu Mängeln bei Pferden fort: Die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd ist nicht bereits dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen in der physiologischen Norm eine (lediglich) geringere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung künftiger klinischer Symptome besteht. Dem BGH zufolge gehört es nicht zur üblichen Beschaffenheit eines Tieres, „dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen „Idealnorm“ entspricht“.
Dieser Wertung ist umfassend beizupflichten: Tiere unterliegen als Lebewesen einer ständigen biologischen Entwicklung, sodass es bereits äußerst schwer sein dürfte, einen Maßstab für eine derartige „Idealphysiologie“ zu bilden. Darüber hinaus handelt es sich beim Kauf eines Tieres nicht um ein industrielle hergestelltes Produkt, bei dem weitaus höhere Anforderungen an die physische und maschinelle Beschaffenheit gestellt werden können. Die individuellen Anlagen eines Tieres sind also im Rahmen der Bestimmung des Mangelbegriffs umfassend zu berücksichtigen.  Das Gericht entschied in diesem Zusammenhang auch noch, dass es auf die Häufigkeit bzw. Üblichkeit der morphologischen Veränderung nicht ankomme. Dies gelte sogar für erstmalig auftretende physiologische Abweichungen von der „Idealform“.
Da weder eine Beschaffenheitsvereinbarung über das Ausbleiben eines Röntgenbefunds am Halswirbel vorliegt, noch die Abweichung von der physiologischen Idealnorm einen eigenständigen Mangel zu begründen vermag, verbleibt die Frage, ob die „Rittigkeitsprobleme“ bereits bei Gefahrübergang vorhanden waren. Fest steht zwar, dass die Änderung des Halswirbels zu diesem Zeitpunkt schon bestand, jedoch ist nicht feststellbar, ob Lahmheit, Schmerzen und Widersetzlichkeit des Pferdes hierauf zurückzuführen sind. Fraglich ist demzufolge, ob dem Käufer die Vermutungswirkung des § 476 BGB zu Gute kommt. Problematisch und in der Klausur zu diskutieren wäre hier die Reichweite der Vermutungswirkung – Stichwort „Grundmangel“. Dafür müsste allerdings zunächst ein Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB vorliegen, der Verkäufer mithin als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB gehandelt haben. Mit Blick auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Kaufs kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Verkäufer nicht in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat. Zwar kann auch der erstmalige Abschluss eines Vertrags auf zukünftiges unternehmerisches Handeln gerichtet sein (vgl. zur Unternehmereigenschaft bei Startup-Unternehmen BGH Beschluss v. 24.2.2005 – III ZB 36/04). Hierfür bedarf es jedoch entsprechender Anhaltspunkte, die im zu entscheidenden Fall nicht ersichtlich waren. Darüber hinaus wurde das Pferd zuvor vom Verkäufer zu eigenen Zwecken ausgebildet und trainiert, sodass eine private Nutzung bestand. Da es auch keine Vermutung dafür, dass von Unternehmern getätigte Rechtsgeschäfte im Zweifel dem geschäftlichen bzw. beruflichen Bereich zuzuordnen sind, besteht, handelte der Verkäufer im Ergebnis nicht als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB. Mangels Verbrauchsgüterkaufs kommt dem Käufer also die Vermutungsregelung aus § 476 BGB nicht zu Gute, sodass auch die diversen „Rittigkeitsprobleme“ keinen bei Gefahrübergang nachweisbar bestandenen Mangel begründen. Summa summarum fehlt es also an einem Sachmangel i.S.v. § 434 BGB. Einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB hat der Käufer nicht.
III. Fazit
Die Entscheidung des BGH setzt die bisherige Rechtsprechung zum Mangelbegriff bei Tieren konsequent fort. Auch bei hochpreisigen Dressurpferden kann der Käufer grundsätzlich keine Beschaffenheit erwarten, die der – wie auch immer zu bestimmenden – Idealphysiologie entspricht. In der Klausur muss vor allem zwischen den verschiedenen Bezugspunkten für die Bestimmung eines etwaigen Mangels unterschieden werden. Hier ist eine präzise Differenzierung notwendig. Im Ergebnis handelt es sich um einen Fall, der sich für die juristische Staatsprüfung sehr gut eignet – der Pferdekauf bleibt ein echter „Dauerbrenner“.

04.12.2017/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2017-12-04 10:00:482017-12-04 10:00:48BGH: Neues zum Sachmangel beim Pferdekauf
Redaktion

Der Dieselskandal in der Klausur: Möglichkeiten des Rücktritts vom Kaufvertrag

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Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Julian Götz, derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln, veröffentlichen zu können. 
Der sogenannte Dieselskandal schlägt derzeit hohe Wellen und hat sich nahezu auf die gesamte Automobilbranche ausgeweitet.
Im Kern geht es darum, dass die betroffenen Fahrzeuge mit einer Software zur Optimierung / Manipulation der Abgaswerte ausgestattet sind. Die Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Straßenverkehr befindet. Stellt die Software fest, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, manipuliert bzw. optimiert die Software die Stickoxid-Emissionswerte, sodass die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm eingehalten werden. Im normalen Straßenverkehr greift die Software nicht ein. Das bedeutet, dass die Grenzwerte im Alltag auf der Straße nicht eingehalten werden und der Stickoxid Grenzwert teilweise bis zum 30-fachen überschritten wird.
Viele der betroffenen Kfz Eigentümer fühlen sich von den Automobilherstellern hintergangen und möchten ihre Fahrzeuge zurückgeben. Dies hat zu unzähligen Verfahren vor deutschen Gerichten geführt. In diesem Zusammenhang sollen nachfolgend insbesondere die Probleme bei einem erklärten Rücktritt näher beleuchtet werden (zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung siehe LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15).
I. Gegenseitiger Vertrag
Für einen etwaigen Rücktritt muss natürlich zunächst ein wirksamer Kaufvertrag über das Auto zustande gekommen sein.
II. (Nicht-) oder Schlechtleistung
Der Schuldner, in diesem Fall der Verkäufer, müsste seine Leistung nicht vertragsgemäß erbracht haben (§§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 Var. 2 BGB). Das ist der Fall, wenn das Fahrzeug mangelhaft ist, also die Ist- von der Sollbeschaffenheit negativ abweicht.
Dass Käufer und Verkäufer die Erfüllung einer bestimmten Abgasnorm vereinbart haben, dürfte in den wenigsten Fällen vorkommen (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Die Fahrzeuge mit der sogenannten „Schummelsoftware“ eignen sich zudem für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB). Sie lassen sich ganz normal, ohne Einschränkungen im Straßenverkehr bewegen.
Die Gerichte gehen aber weit überwiegend davon aus, dass ein Mangel gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vorliegt (hierzu ausführlich LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16). Danach ist eine Sache frei von Mängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Der Ausstoß von Emissionen und die damit verbundene Einstufung in eine Abgasnorm zählen zur Beschaffenheit eines Fahrzeugs (LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16). Die Mangelhaftigkeit liegt darin, dass die betroffenen Fahrzeuge die Abgasnorm nur auf dem Prüfstand und nur mit Hilfe der Schummelsoftware einhalten. Das LG Münster stellte hierzu in einem Urteil vom 14. März 2016 (Az. 11 O 341/15) fest:

Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.

Die Tatsache, dass die Emissionswerte im Straßenverkehr regelmäßig über denen auf dem Prüfstand liegen, steht dem nicht entgegen, denn „die Abweichungen beruhen im Falle der Umschaltlogik der Software gerade nicht auf den dem Kunden bekannten Unterschieden zwischen synthetischem Prüfstandsbetrieb und realem Alltagsbetrieb“ (LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16). Sollten tatsächlich punktuelle Fahrverbote für entsprechende Dieselfahrzeuge, etwa wie diskutiert in einigen Innenstädten, erlassen werden, könnte allein dieser Umstand zur Mangelhaftigkeit des PKW führen – dann wohl schon als Mangel mit Blick auf die vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB).
III. Erfolgloser Fristablauf
Grundsätzlich muss der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Leistung bzw. Nacherfüllung setzen (§ 323 Abs. 1 BGB). In Betracht kommt jedoch eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, wegen Vorliegens besonderer Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Verschweigt der Verkäufer einen Mangel der gekauften Sache arglistig, so ist er nicht schutzwürdig und eine Fristsetzung für den Käufer entbehrlich. Dass die Hersteller die Software vorsätzlich und nicht nur aus Versehen eingebaut haben, dürfte außer Frage stehen. Unklar ist jedoch, wer etwas davon wusste, insbesondere bei den Automobilhändlern. Denn diese sind meist die Vertragspartner der Käufer und diesen müsste das Wissen der Hersteller zugerechnet werden. Die Frage der Wissenszurechnung wird von den Gerichten bislang unterschiedlich beurteilt (Zurechnung ja: LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15; LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017, Az. 3 O 139/16; Zurechnung nein: LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16; LG Frankenthal, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 8 O 208/15; LG Dortmund, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 25 O 6/16; LG Ellwangen, Urteil vom 19. Oktober 2016, Az. 3 O 55/16).
Manche Gerichte gehen auch von einer Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB aus, welche eine Fristsetzung ebenso entbehrlich macht (hierzu ausführlich LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16). Hier spielen Dinge eine Rolle, wie beispielsweise der Vertrauensbruch zwischen Käufer und Automobilhersteller und die Frage, wie sich eine etwaige Nachbesserung auf Spritverbrauch, Abgasemission, Fahrverhalten, Haltbarkeit und Wert des Fahrzeugs auswirkt. All diese Fragen sind weder gerichtlich noch wissenschaftlich endgültig geklärt, sodass hier mit entsprechender Begründung wohl noch alles vertreten werden kann. Es kommt in der Klausur auf den Einzelfall an.
IV. Kein Ausschluss
Der Rücktritt dürfte nicht ausgeschlossen sein. Im Kontext der Schummelsoftware kommt hier § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB besondere Bedeutung zu. Demnach kann der Käufer bei einer Schlechtleistung des Verkäufers nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. Bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist auch jeder noch so kleine Mangel erheblich. Der Bundesgerichtshof unterscheidet regelmäßig zwischen behebbaren und unbehebbaren Mängeln (BGH, Urteil vom 29. Juni 2011, Az. VIII ZR 202/10).
Bei behebbaren Mängeln kommt es für die Erheblichkeit auf das Verhältnis zwischen den Kosten der Mängelbeseitigung und dem Kaufpreis an. Liegen die Kosten der Mängelbeseitigung unter fünf Prozent des Kaufpreises, so ist der Mangel geringfügig und damit unerheblich.
Ist der Mangel nicht behebbar, kommt es für die Frage der Erheblichkeit im Wesentlichen auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an.
Die Gerichte gehen größtenteils davon aus, dass der Mangel behebbar ist. Zu lesen ist von einem Aufwand von ca. einer Stunde und Kosten in Höhe von ca. 100 Euro. Dies dürfte in allen Fällen unter fünf Prozent des Kaufpreises eines Neuwagens liegen, sodass gemessen an der „fünf Prozent Hürde“ des Bundesgerichtshofs der Mangel unerheblich und der Rücktritt ausgeschlossen ist (so im Ergebnis LG Münster, Urteil vom 14. März 2016, Az. 11 O 341/15; LG Bochum, Urteil vom 16. März 2016, Az. I-2 O 425/15; LG Dortmund, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 25 O 6/16). Die fünf Prozent Marke stellt jedoch keine starre Grenze dar, sondern dient lediglich als eine „in eine Interessenabwägung und eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls eingebettete Erheblichkeitsschwelle“, durch welche „die Interessen der Kaufvertragsparteien zu einem sachgerechten Ausgleich gebracht“ werden sollen (BGH, Urteil vom 28. Mai 2014, Az. VIII ZR 94/13). Das heißt, dass auch bei Geringfügigkeit des Mangels im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu erörtern ist, ob die Pflichtverletzung unerheblich ist.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung lassen sich unter anderem wieder die o.g. Argumente zur Unzumutbarkeit der Nacherfüllung aufführen. Hier sind insbesondere die momentan noch unklaren Folgen einer Mangelbeseitigung zu berücksichtigen. Niemand weiß oder kann voraus sagen, welche Auswirkungen eine Mangelbeseitigung auf die betroffenen Fahrzeuge hat. Steigender Spritverbrauch, verändertes Fahrverhalten, sinkende Haltbarkeit und ein merkantiler Minderwert könnten die Folge sein. Auch der Vertrauensverlust bezüglich der Automobilhersteller findet immer wieder Erwähnung in der Rechtsprechung (Erheblichkeit bejahend LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16; LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16; LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15; LG Dortmund, Urteil vom 29. September 2016, Az. 25 O 49/16).
V. Fazit
Der Dieselskandal weitet sich aus und wird Politik, Justiz, Wirtschaft und viele Autofahrer wohl noch lange in Atem halten. Die Problematiken des Dieselskandals lassen sich mühelos in Klausuren wie auch in mündliche Prüfungen einbauen, sodass diesbezüglich eine Wiederholung und Vertiefung der ohnehin examensrelevanten Themen Rücktritt, Anfechtung und Wissenszurechnung empfohlen wird.

14.08.2017/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-08-14 10:25:532017-08-14 10:25:53Der Dieselskandal in der Klausur: Möglichkeiten des Rücktritts vom Kaufvertrag
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Fehlen noch laufender Herstellergarantie ist Sachmangel bei Gebrauchtwagenkauf

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Der BGH hat mit Urteil vom 15.06.2016 – VIII ZR 134/15  entschieden, dass das Fehlen einer nach den Angaben des Verkäufers noch laufenden Herstellergarantie beim Kauf eines Gebrauchtwagens ein Sachmangel ist, der den Käufer zum Rücktritt berechtigen kann.
I. Sachverhalt (aus der Pressemitteilung des BGH)

Der Kläger kaufte vom Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, einen Gebrauchtwagen, den dieser zuvor auf einer Internetplattform zum Verkauf angeboten und dort mit einer noch mehr als ein Jahr laufenden Herstellergarantie beworben hatte. Kurz nach dem Kauf mussten infolge von Motorproblemen Reparaturen durchgeführt werden, die für den Kläger aufgrund der Herstellergarantie zunächst kostenfrei blieben. Später verweigerte der Hersteller mit der Begründung, im Rahmen einer Motoranalyse seien Anzeichen für eine Manipulation des Kilometerstandes – vor Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger – festgestellt worden, weitere Garantieleistungen; die Kosten der bereits durchgeführten Reparaturleistungen und des während der letzten Reparatur zur Verfügung gestellten Ersatzfahrzeugs wurden dem Kläger nunmehr teilweise in Rechnung gestellt. Daraufhin trat dieser unter Verweis auf die fehlende Herstellergarantie vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises sowie den Ersatz ihm entstandener Aufwendungen.

II. Lösung des BGH
Ein notwendiger Rücktrittsgrund konnte sich allein aus der Mangelhaftigkeit des PKW ergeben. Der Sachmangel bei einem Kaufvertrag ist bekanntlich in § 434 BGB geregelt und liegt vor, wenn die Soll- von der Ist-Beschaffenheit abweicht. Zu bestimmen ist zunächst die Soll-Beschaffenheit, die sich entweder aus einer vertraglichen Vereinbarung (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) oder aus den Umständen ( § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 BGB) ergeben kann. Hinsichtlich der Beschaffenheit wurde vor der Schuldrechtsmodernisierung weitgehend davon ausgegangen, dass dies grundsätzlich nur Faktoren sein können, die der Sache selbst anhaften.  Nach 2001 nahm der BGH einen erweiterten Beschaffenheitsbegriff an und führt diesen in der vorliegenden Entscheidung fort:

Der BGH – so auch der Senat – habe seit der Schuldrechtsmodernisierung bereits mehrfach entschieden, dass als Beschaffenheitsmerkmale einer Kaufsache nicht nur die Faktoren anzusehen seien, die ihr selbst unmittelbar anhafteten, sondern vielmehr auch all jene Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache hätten.

Maßgeblich ist also nicht, ob der Faktor gleichsam Teil der Sache selbst ist, sondern ob er – auch durch seine Beziehung zur Umwelt – wertbildenden Charakter hat. Somit kommt es vor allem auf das wirtschaftliche Gewicht des vereinbarten oder vorausgesetzten Umstandes an. Bei einer Herstellergarantie liegt ein solch wertbildender Faktor klar vor: Reparaturen von PKW sind teuer, und wenn der Hersteller diese ohne weitere Kosten vornehmen muss, ist dies ein ganz entscheidendes Kaufargument:

Das Bestehen einer Herstellergarantie für ein Kraftfahrzeug erfülle diese Voraussetzungen. Ihr komme beim Autokauf regelmäßig sogar ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht zu. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen könne das Fehlen der beworbenen Herstellergarantie deshalb – bei Vorliegen der weiteren, vom Berufungsgericht nicht geprüften Voraussetzungen des § 434 Abs. 1 BGB – auch im vorliegenden Fall einen Mangel des verkauften Gebrauchtwagens begründen und den Kläger zum Rücktritt berechtigen.

Hieran ändert auch der Umstand, dass nicht direkt vom Hersteller erworben wird, sondern es sich um einen Gebrauchtwagen handelt, nichts. Zwar handelt es sich um einen der Sache nicht mehr unmittelbar anhaftenden Faktor, doch ist eine Herstellergarantie, also die Eintrittspflicht des Herstellers selbst und nicht bloß des Verkäufers des Gebrauchtwagens, wirtschaftlich von besonderer Bedeutung. Letztlich kann man die Frage stellen: Wäre der Vertrag zu den Konditionen auch ohne die vereinbarte Herstellergarantie zustande gekommen? Nein – und daher ist diese Teil der Beschaffenheit der Kaufsache. Der BGB geht insoweit sogar davon aus, dass nach allen Tatbestandsvarianten des § 434 Abs. 1 BGB ein Beschaffenheitsmerkmal gegeben ist.
III. Fazit
Für die Klausur bedeutet dies: Der Beschaffenheitsbegriff des § 434 Abs. 1 BGB muss weit sowie unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen ausgelegt werden und erfasst daher auch Beziehungen der Kaufsache zur Umwelt.

17.06.2016/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2016-06-17 10:29:522016-06-17 10:29:52BGH: Fehlen noch laufender Herstellergarantie ist Sachmangel bei Gebrauchtwagenkauf
Dr. Melanie Jänsch

Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal

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Ein halbes Jahr ist es her – am 22.9.2015 hatte der VW-Konzern bekanntgegeben, dass sich die Software zur Manipulation der Abgaswerte in weltweit 11 Millionen Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 befinde. Diese ermögliche, dass iRv Testverfahren ein weitaus geringerer Abgasausstoß verzeichnet wird als unter tatsächlichen Fahrbedingungen. Für Käufer eines Pkw mit manipuliertem Abgassystem stellte sich schnell die Frage nach Gewährleistungsrechten gegenüber dem Verkäufer (dem Autohaus). Besteht ein Anspruch auf Nacherfüllung, Minderung oder Schadensersatz? Ist ggf. sogar ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich? Diese Fragen sind auch sehr gut für eine mündliche Prüfung oder für das Examen selbst geeignet.
Mittlerweile gibt es erste Rechtsprechung:

  • Das LG Münster hat mit Urteil v. 14.3.2016 entschieden, „dass der Käufer eines von der manipulierten Abgassoftware betroffenen VW keinen Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages hat, sondern von dem Autohändler lediglich die Nachbesserung des Abgassystems verlangen kann.“ (Pressemitteilung)
  • Auch das LG Bochum hat mit seinem Urteil v. 16.3.2016 (Az. I-2 O 425/15) ein Rücktrittsrecht eines betroffenen Kunden verneint. Ferner stellte es fest, dass das beklagte Autohaus, den Verkäufer, wegen des Mangels kein Verschulden treffe, da ihm das Verhalten des Herstellers nicht zugerechnet werden könne (s. auch hier).

Die Entscheidungen sollen in diesem Beitrag zum Anlass genommen werden, noch einmal die allgemeinen Grundsätze der hier in Betracht kommenden Gewährleistungsrechte – angewandt auf den konkreten Fall – darzustellen. Die aktuelle Thematik der Mangelhaftigkeit der Abgassysteme lässt sich hervorragend in Fallkonstellationen integrieren, in denen Gewährleistungsrechte, deren Prüfung für jeden Examenskandidaten sowieso zum Standardrepertoire gehören sollte, abgeprüft werden.

A. Sachverhalte
(leicht abgewandelt)

In beiden Fällen hat der Kläger, Käufer eines VW Tiguan, in dem der Motortyp EA 189 verbaut ist, gegen sein Autohaus geklagt. Nach den Feststellungen des Gerichts steht der Motor des betroffenen VW in Verbindung mit einer manipulierten Abgassoftware, welche Stickoxidwerte im Prüfstandlauf in gesetzlich unzulässiger Weise optimiere. Nur aufgrund der manipulierten Software, die erkenne, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen werde oder sich auf der Straße befinde, halte der genannte Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Der Kläger will nun Gewährleistungsrechte geltend machen.


B. Lösung


I. Anspruch auf Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB

Der Käufer könnte einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Hierbei handelt es sich um eine Modifikation des ursprünglichen Anspruchs auf Lieferung einer mangelfreien Sache, § 433 I 2 BGB. Grds. kann der Käufer gem. § 439 I BGB wählen, ob er die Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache (Nachlieferung) oder die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) verlangt. Der Verkäufer kann allerdings die gewählte Art der Nacherfüllung gem. § 439 III BGB verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Angesichts des hohen Preises eines Neuwagens kommt vorliegend demnach nur die Nachbesserung in Betracht.

1. Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages

Die Parteien haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen.

2. Vorliegen eines Sachmangels
(§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§ 446 BGB)
Zentrale Voraussetzung der kaufrechtlichen Gewährleistung ist das Vorliegen eines Sach- oder Rechtsmangels bei Gefahrübergang. Im vorliegenden Fall kommt ein Sachmangel in Betracht. Ein solcher liegt gem. § 434 I BGB vor, wenn der Kaufgegenstand bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat oder sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte oder übliche Verwendung eignet. Zugrunde zu legen ist der subjektive Fehlerbegriff, nach dem ein Mangel jede für den Käufer nachteilige Abweichung der tatsächlich geschuldeten Beschaffenheit (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) ist (BGH v. 30.7.2015 – VII ZR 70/14, MDR 2015, 1359). Nach hM beschränkt sich der Begriff der Beschaffenheit nicht nur auf Eigenschaften, die der Sache physisch anhaften; vielmehr werden auch außerhalb liegende Umstände, insb. Beziehungen der Sache zu ihrer Umwelt, erfasst (vgl. Beck-OK/Faust, § 434 BGB Rn. 22; MüKo/Westermann, § 434 BGB Rn. 9 f.). Die etwa in einem Prospekt angegebenen Emissionswerte werden im vorliegenden Fall nur durch die manipulierte Software in Testverfahren eingehalten. Im regulären Fahrbetrieb weichen sie allerdings erheblich von den Angaben des Herstellers ab. Dass das Fahrzeug also tatsächlich einen viel höheren Schadstoffausstoß hat, als dies im Kaufvertrag, in Prospekten oder Werbung angegeben ist, stellt eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit dar, die darauf zurückzuführen ist, dass eine manipulierte Software eingebaut wurde. Ob die Emissionswerte als Beschaffenheit konkret zwischen den Parteien vereinbart wurden (§ 434 I 1 BGB), ist im jeweiligen Einzelfall zu klären. In den heutigen Zeiten, in denen ökologische Eigenschaften des Fahrzeugs immer weiter in den Vordergrund rücken, trägt der angegebene Emissionswert sicherlich in vielen Fällen zum Kaufentschluss bei – womit den Kunden umso wichtiger wäre, ob dieser mit dem tatsächlichen Schadstoffausstoß übereinstimmt. Vor dem Hintergrund, dass Einzelheiten des Sachverhalts noch nicht klar sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Sache jedenfalls durch den von den angegebenen Werten abweichenden Schadstoffausstoß, der seinerseits auf dem Vorhandensein eines manipulierten Abgassystems beruht, gem. § 434 I Nr. 2 BGB nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Das LG Münster argumentiert,

„[…] der Käufer eines Neufahrzeuges dürfe davon ausgehen, dass dessen Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur aufgrund der manipulierten Software im Prüfstandlauf einhalte.“ (s. Pressemitteilung).

Ein Sachmangel, welcher bei Gefahrübergang vorlag, ist also gegeben.

3. Ergebnis
: Der Käufer kann mithin gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB Nachbesserung verlangen. In der Praxis soll hierfür ein Software-Update bzw. der Einbau eines Zusatzteils genügen, welches je nach genauem Motortyp zwischen einer halben und einer Stunde dauert, und etwa 100 € kostet (s. hier). Hierbei soll ein Verfahren angewendet werden, das wohl weder Motor- und Fahrleistung beeinträchtigt noch den Verbrauch erhöht, sodass der Mangel damit vollständig beseitigt werden kann.
Hinweis: Die Bearbeitung geht hier aufgrund entsprechender Medienberichte davon aus, dass durch die Nachbesserung der erhöhte Schadstoffausstoß vollständig beseitigt wird.

II. Rücktrittsrecht, §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB

Fraglich ist indes, ob dem Käufer auch ein Rücktrittsrecht gem. §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB zusteht. Ist dies der Fall, könnte er gegen Rückgabe des Wagens Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Wertersatz für die gefahrenen Kilometer verlangen, §§ 346 I, 437 Nr. 2, 440, 323 I BGB. § 437 Nr. 2, 1. Alt. BGB verweist bei Vorliegen eines Sachmangels auf die den Rücktritt von gegenseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB.

1. Kaufvertrag als gegenseitiger Vertrag, § 323 I BGB

Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag über den Pkw ist ein gegenseitiger Vertrag, aus dem dem Käufer gegen Entrichtung des Kaufpreises ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Wagens frei von Sach- und Rechtsmängeln zusteht, § 433 BGB.

2. Nicht vertragsgemäße Leistung, § 323 I BGB = Sachmangel iSd § 434 BGB

Die Leistung einer mangelhaften Kaufsache iSd § 434 BGB stellt eine nicht vertragsgemäße Leistung (§ 323 I, 2. Alt. BGB) dar (s.o.).

3. Notwendigkeit der Fristsetzung
, § 323 I BGB
Zunächst müsste der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich eine angemessene Frist einräumen, den Mangel zu beseitigen. Die Angemessenheit der Frist muss so bemessen sein, dass der Verkäufer die Nacherfüllung bewirken kann (MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 72 f.). Da die Nachbesserung in höchstens einer Stunde durchgeführt werden kann und auch sonst nicht die Notwendigkeit komplizierter Verfahren ersichtlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine Frist von wenigen Wochen wohl angemessen wäre. U.U. kann die Fristsetzung auch nach § 323 II BGB oder § 440 BGB entbehrlich sein; dies muss dann im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

4. Keine unerhebliche Pflichtverletzung
, § 323 V 2 BGB
Der Rücktritt könnte allerdings wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 V 2 BGB ausgeschlossen sein. Da die Pflichtverletzung in der mangelhaften Leistung besteht, ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein unerheblicher Mangel vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH erfordere die Beurteilung des Kriteriums der Erheblichkeit

„eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.“ (BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229)

Vorliegend ist zwar ein Mangel gegeben; die Fahrtauglichkeit des Pkw wird hierbei aber in keiner Weise beeinträchtigt. Zudem kann der Mangel wohl durch das Software-Update unter geringem finanziellem Aufwand von etwa 100 € behoben werden, was jedenfalls unter einem Prozent des Kaufpreises liegt (s.o.). Man könnte zwar argumentieren, der Skandal erschwere dem Kunden die Möglichkeit, den Wagen anderweitig zu verkaufen. Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Bagatellklausel des § 323 V 2 BGB, dass geringfügige Pflichtverletzungen nicht den Rücktritt als schärfsten Eingriff in das Vertragsverhältnis rechtfertigen, erschiene ein Rücktrittsrecht in dem Fall aber wohl unverhältnismäßig.
So auch die Tendenz der Rechtsprechung – das LG Bochum sowie das LG Münster führen an, eine Rückabwicklung des Kaufvertrags könne der Käufer vor diesem Hintergrund nicht verlangen.
Anders könnte sich der Fall allerdings darstellen, wenn – was vorliegend noch unklar ist – ein bestimmter Emissionswert als Beschaffenheit explizit zwischen den Parteien vereinbart wurde. Eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB indiziert im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (vgl. MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 251; BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229; v. 6.2.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365). Mit einer guten Argumentation wäre hier also sicherlich auch ein anderes Ergebnis vertretbar.

III. Minderung, §§ 437 Nr. 2, 441 BGB

Möglicherweise könnte der Käufer auch den Kaufpreis gem. §§ 437 Nr. 2, 441 BGB mindern. Dafür müssen die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen. Jedoch ist der Ausschlussgrund des § 323 V 2 BGB gem. § 441 I BGB auf die Minderung nicht anwendbar. Da der Rücktritt hier an der Bagatellklausel gescheitert ist, kommt eine Minderung (ggf. nach erfolglosem Ablauf einer Nacherfüllungsfrist) also grds. in Betracht.
Als Rechtsfolge wird der Kaufpreis hierbei in dem Verhältnis herabgesetzt, in welchem zur Zeit des Verkaufs der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand gestanden hätte, § 441 III BGB. Vorliegend wurde der Kaufpreis bereits entrichtet, weswegen der Käufer gem. § 441 IV BGB Rückzahlung des Mehrbetrags verlangen könnte. Allerdings ist auch hier die Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB vorrangig, da durch das Software-Update der Mangel behoben werden kann. Zudem ist nicht ganz klar, in welchem Maß der Wert des PKW gemindert ist.

IV. Schadensersatz, §§ 437 Nr. 3 BGB iVm 280 ff. BGB

Weiterhin ist fraglich, ob der Käufer auch Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3 iVm 280 ff. BGB verlangen kann.

1. Kaufvertrag als Schuldverhältnis

Das Schuldverhältnis besteht in dem von den Parteien geschlossenen Kaufvertrag.

2. Pflichtverletzung

Wird – wie vorliegend – das Bestehen eines Sachmangels bejaht, steht fest, dass der Verkäufer seine Pflicht aus § 433 I 2 BGB verletzt hat.

3. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB iVm §§ 276, 278 BGB

Einzig problematisch erscheint hierbei die Frage, ob der Verkäufer die Pflichtverletzung zu vertreten hat, § 280 I 2 BGB. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den §§ 276, 278 BGB. Nach § 276 BGB hat er grds. Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Das manipulierte Abgassystem war für den Verkäufer ebenso wenig erkennbar wie für den Käufer, mithin scheidet eigenes Vertretenmüssen aus. Möglicherweise ist dem Verkäufer allerdings das Verhalten des Herstellers, die Manipulation des Systems, hier des VW-Konzerns, zuzurechnen, § 278 BGB. Das setzt voraus, dass der Hersteller als Erfüllungsgehilfe des Autohauses iSd § 278 BGB tätig geworden ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Hersteller einer Kaufsache jedoch nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache dem Kunden verkauft (s. z. B. BGH v. 19.6.2009 – V ZR 93/08, BGHZ 181, 317). Auch das LG Bochum entschied in seinem Urteil, dass dem beklagten Autohaus, welches das Fahrzeug lediglich verkauft habe, das Verhalten des Herstellers VW nicht zugerechnet werden könne.
Mithin hat der Verkäufer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten und ein Anspruch auf Schadensersatz scheidet aus. Darüber hinaus ist offen, welcher Schaden dem Käufer entstanden sein soll. In Betracht käme hierbei die Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes.

V. Verjährung gem. § 438 BGB

Grds. verjähren Mängelansprüche 2 Jahre nach Ablieferung der Sache, §§ 438 I Nr. 3, II BGB. Da viele Kunden ihr Auto bereits vor einigen Jahren gekauft haben, könnte sich der Verkäufer u. U. auf die Verjährung berufen. Angesichts dessen erscheint eine Klage gegen den VW-Konzern direkt um einiges attraktiver, da hierbei die Verjährung 3 Jahre beträgt, §§ 438 III, 195 BGB, und frühestens mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Käufer von den mangelbegründenden Umständen erfahren hat, § 199 I BGB, also frühestens Ende 2015.

C. Fazit und Ausblick

Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Käufer also lediglich Nachbesserung verlangen; ein Rücktrittsrecht oder Anspruch auf Schadensersatz bestehen nicht. Sofern zutreffend ist, dass durch das Software-Update der Mangel ohne Beeinträchtigung der Motor- und Fahrleistung oder der Erhöhung des Verbrauchs behoben werden kann, ist den Urteilen des LG Bochum und des LG Münster also i. E. zuzustimmen. Angesichts der Tatsache, dass Einzelheiten der Sachverhalte noch unklar sind, ist auch ein anderes Ergebnis gut vertretbar.
Im Bochumer Fall wird wohl nach Aussage des Klägeranwalts Berufung eingelegt werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das OLG Hamm erst im Jahr 2015 (Urteil v. 9.6.2015 – 28 U 60/14) ein Urteil des LG Bochum abänderte und einen Rücktritt wegen eines Mangels an der Rückfahrkamera zuließ, wäre eine Befassung des Gerichts mit dem Fall sicherlich aufschlussreich.
Derzeit sind auch noch weitere Klagen gegen Autohäuser oder den VW-Konzern selbst anhängig. Abzuwarten bleibt, ob der Fall (oder ein ähnlicher) irgendwann vor dem BGH landet. So lange ist die Entwicklung der Rechtsprechung auf jeden Fall zu beobachten.
Ferner ist auch an Ansprüche gegen den Konzern VW selbst zu denken. Diese wurden hier bewusst ausgespart. Relevant sind hierbei insbesondere deliktsrechtliche Ansprüche.

23.03.2016/8 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2016-03-23 09:00:562016-03-23 09:00:56Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal
Nicolas Hohn-Hein

LG Ansbach: Geringe Farbabweichung bei Neuwagen ist Sachmangel

Rechtsprechung

Das LG Ansbach hat sich kürzlich (Urteil v. 09.07.2014 – Az. 1 S 66/14) mit der Frage beschäftigt, inwiefern lediglich geringe Farbabweichungen bei einem Neuwagen einen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB darstellen. Sachmängelhaftung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Erwerb von Kraftfahrzeugen, ist ein absoluter Dauerbrenner in allen Examina.
Sachverhalt (stark vereinfacht)
A bestellt bei Händler B ein Fahrzeug, Modell Seat Altea in der Farbe „Track-Grau-Metallic“. Die Farbe wird im Kaufvertrag vermerkt. In dem Kaufvertrag finden sich u.a. folgende formularvertragliche Klauseln:

§ 12
Abweichungen im Farbton bleiben dem Verkäufer vorbehalten, wenn die Änderung nicht erheblich und für den Käufer zumutbar ist.
§ 13
Modelländerungen sowie Ausstattungsänderungen durch den Hersteller gehen zu Lasten des Käufers.

Einige Zeit später wird das Fahrzeug geliefert, allerdings nicht wie bestellt in „Track-Grau-Metallic“, sondern in „Pirineos Grau“. A ist nicht begeistert und verlangt die Umlackierung des Pkw. B verweist auf die AGB und weigert sich, zu zahlen. Hat A gegen B einen Anspruch auf Zahlung der notwendigen Kosten in Höhe von 3500 Euro für die Umlackierung des PKW?
Farbabweichung stellt Sachmangel dar
A kann von B nur dann die Kosten der Umlackierung fordern, wenn er einen Nacherfüllungsanspruch, § 437 Nr. 1, 439 I BGB. Dem Käufer geht es hier offenbar in erster Linie darum, das Fahrzeug zu behalten und umlackieren zu lassen, d.h. um Nachbesserung, und nicht um die Lieferung eines neuen Fahrzeugs in der korrekten Farbe (Nachlieferung). Da die gelieferte Farbe von der ursprünglich bestellten Farbe objektiv abweicht, dürfte ein Sachmangel wegen Abweichung von einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I BGB zu bejahen sein (siehe auch dieser BGH-Fall).
Ausschlussgründe für die Geltendmachung des Nachbesserungsanspruchs gemäß § 439 III BGB hat das Landgericht hier offenbar nicht gesehen. Kosten für die Umlackierung in Höhe von 3500 Euro für ein Fahrzeug mit einem Wert von ca. 20.000 Euro erscheinen weder unverhältnismäßig, noch bedeutet die Umlackierung an sich eine unzumutbare Belastung für den Verkäufer.
„Abweichungsklauseln“ vorliegend unwirksam
Das Gericht musste sich jedoch mit der Frage auseinandersetzen, ob trotz Vorliegens eines Sachmangels möglicherweise entsprechende Mängelrechte wegen der AGB-Klauseln im Kaufvertrag ausgeschlossen waren. Denn nach § 12 der AGB sollten Farbabweichungen nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sie „nicht erheblich“ und „zumutbar“ sind. Im Wege der Klauselkontrolle nach §§ 305 ff. BGB war demnach zu überprüfen, ob die Regelung wirksam war.
Das Landgericht kam hier zu der Auffassung, dass beide Klauseln nach § 307 I BGB unwirksam sind, da sie den Verkäufer unangemessen benachteiligen. Hinsichtlich § 12 wird auf die Begriffe „erheblich“ und „zumutbar“ abgestellt:

Die Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verkäuferin, dass Abweichungen im Farbton vorbehalten blieben, wenn die Änderung nicht erheblich und für den Käufer zumutbar sei, sei unwirksam, weil für den Kunden nicht erkennbar sei, von welchen Kriterien die Erheblichkeit der Änderung und deren Zumutbarkeit für den Kunden abhänge.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung:

Zudem sei die vorgenommene Leistungsänderung im konkreten Fall dem Käufer nicht zumutbar, da es sich bei einem Neuwagenkauf um ein wirtschaftlich bedeutendes Geschäft handele, bei dem der Käufer üblicherweise eine bestimmte, individualisierte Farbwahl getroffen habe und nur deswegen bereit sei, den vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen. Demgegenüber habe es die Verkäuferin in der Hand, noch vor Abschluss des Kaufvertrags die Verfügbarkeit des konkret bestellten Fahrzeugs zu prüfen und sich vor einer etwaigen vom Hersteller vorgenommenen Farbänderung zu schützen.

Aus den gleichen Gründen kommt das Landgericht hinsichtlich § 13 zu eine ähnlichen Ergebnis. Da die Klauseln somit unwirksam waren, war der Weg frei für den Anspruch auf Nachbesserung.

Fazit
Das Urteil erinnert stark an diesen Fall des BGH, bei dem es ebenfalls um Farbabweichungen beim Neuwagenkauf ging. Allerdings betraf der dortige Fall insbesondere die Frage, ob eine solche Farbabweichung eine „erhebliche Pflichtverletzung“ im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 BGB darstellt und den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt. Wenngleich es in unserem Fall nicht auf die Erheblichkeit der Pflichtverletzung ankommt, lassen sich beide Fälle doch prima kombinieren (z.B. statt Nachbesserung zu verlangen, möchte der Käufer in der Fallabwandlung sich ganz vom Kaufvertrag lösen).

Weitere lesenswerte Fälle:
– https://red.ab7.dev/bgh-zweimaliger-fehlschlag-nachbesserung-beweislast-ursache-sachmangel/
– https://red.ab7.dev/bgh-zur-positiven-begutachtung-eines-pkw-als-beschaffenheitsvereinbarung/
– https://red.ab7.dev/bgh-rucktrittsrecht-ohne-nachfristsetzung-bei-vielzahl-einzelner-mangel-montagsauto/
– https://red.ab7.dev/bgh-viii-zr-2870-beschaffenheitsvereinbarung-434-abs-1-satz-1-bgb/

 

22.09.2014/3 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2014-09-22 15:41:462014-09-22 15:41:46LG Ansbach: Geringe Farbabweichung bei Neuwagen ist Sachmangel
Zaid Mansour

Rechtsprechungsübersicht in Zivilsachen

AGB-Recht, BGB AT, Deliktsrecht, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

In den letzten Wochen ist eine Vielzahl von – in materiell-zivilrechtlicher Hinsicht – examensrelevanten Gerichtsentscheidungen ergangen, die im Folgenden überblicksartig dargestellt werden sollen. Da in den meisten Fällen die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht wurden, sei insoweit auf die entsprechenden Pressemitteilungen verwiesen.
I. BGH, Urteil v. 20.03.2013 – VIII ZR 168/12 (Examenstipp!)
Die Entscheidung darf als besonders examensverdächtig eingestuft werden, da sich zum einen mit ihr zivilrechtliches Standardwissen (wie etwa die AGB-Kontrolle) vortrefflich abfragen lässt und sie zum anderen einen Sachverhalt zum Gegenstand hat, dem aufgrund der Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle, eine erhebliche Praxisrelevanz beigemessen werden kann.

 Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Allgemeine Geschäftsbedingung des Vermieters, welche die Haltung von Hunden und Katzen in der Mietwohnung generell untersagt, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Sie benachteiligt den Mieter unangemessen, weil sie ihm eine Hunde- und Katzenhaltung ausnahmslos und ohne Rücksicht auf besondere Fallgestaltungen und Interessenlagen verbietet. Zugleich verstößt sie gegen den wesentlichen Grundgedanken der Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters in § 535 Abs. 1 BGB. Ob eine Tierhaltung zum vertragsgemäßen Gebrauch im Sinne dieser Vorschrift gehört, erfordert eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall. Eine generelle Verbotsklausel würde – in Widerspruch dazu – eine Tierhaltung auch in den Fällen ausschließen, in denen eine solche Abwägung eindeutig zugunsten des Mieters ausfiele.
Die Unwirksamkeit der Klausel führt nicht dazu, dass der Mieter Hunde oder Katzen ohne jegliche Rücksicht auf Andere halten kann. Sie hat vielmehr zur Folge, dass die nach § 535 Abs. 1 BGB** gebotene umfassende Abwägung der im Einzelfall konkret betroffenen Belange und Interessen der Mietvertragsparteien, der anderen Hausbewohner und der Nachbarn erfolgen muss. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht eine Zustimmungspflicht der Klägerin zur Hundehaltung rechtsfehlerfrei bejaht. (Pressemiteilung)

II. BGH, Urteil v. 20.03.2013 – VIII ZR 233/12
Der BGH hat in diesem Fall entschieden, dass die Kündigung eines Wohnraumietvertrages wegen eines bei Abschluss des Vertrages noch nicht absehbaren Eigenbedarfs, kein rechtsmissbräuchliches Verhalten begründet.

Die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages beabsichtigt oder zumindest erwägt, die Wohnung alsbald selbst zu nutzen oder sie einem Angehörigen seiner Familie oder seines Haushalts zu überlassen. Dies war nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hier nicht der Fall, weil bei Abschluss des Mietvertrages für die Klägerin noch nicht absehbar war, dass ihr Enkel seine Lebensplanung ändern würde und das vermietete Einfamilienhaus zusammen mit seiner zwischenzeitlich schwangeren Partnerin und späteren Ehefrau und dem gemeinsamen Kind würde bewohnen wollen. (Pressemitteilung)

III. BGH, Urteil v. 13.03.2013 – VIII ZR 186/12
Der BGH hat sich im Rahmen dieses Verfahrens mit der Frage beschäftigt, ob der Käufer eines mit einer gelben Umweltplakette versehenen Gebrauchtfahrzeugs den (privaten) Verkäufer auf Gewährleistung in Anspruch nehmen kann, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Plakette mangels Einstufung des Fahrzeugs als „schadstoffarm“ nicht erfüllt sind und es deshalb in Umweltzonen nicht bestimmungsgemäß genutzt werden kann. (Pressemitteilung)
 IV. OLG Hamm, Urteil v. 23.01.2013 – I-8 U 281/11
Das OLG Hamm hatte sich im vorliegenden Fall mit der Frage der Zulässigkeit des Widerrufs eines Haustürgeschäfts zu beschäftigen und dabei entschieden, dass die 14-tägige Widerrufsfrist nicht gilt, wenn ein Anleger im Rahmen eines Haustürgeschäfts einem geschlossenen Investmentfond beitritt und dabei unzutreffend über das ihm zustehende gesetzliche Widerrufsrecht belehrt wurde.

Der Kläger und seine Ehefrau hatten im Januar 2008 nach mehrfachen, in ihrem Wohnhaus in Detmold durchgeführten Beratungsgesprächen entschieden, sich zum Zwecke der Kapitalanlage mit einer Einlage an einem Investmentfonds der Beklagten zu beteiligen. Nachdem sie über 22.000 Euro eingezahlt hatten, erklärten sie im Dezember 2009 den Widerruf ihrer Beteiligungen. Die Beklagte hat gemeint, der Beitritt beruhe nicht auf einem Haustürgeschäft. Die Beitrittserklärung sei zudem im Dezember 2009 nicht mehr zu widerrufen gewesen, weil die dafür vorgesehene Frist zuvor abgelaufen sei. Die Anleger seien bei Abgabe ihrer Beitrittserklärung ordnungsgemäß belehrt worden. Der Kläger und seine Ehefrau klagten auf Feststellung seit Dezember 2009 nicht mehr als Gesellschafter an der beklagten Fondsgesellschaft beteiligt zu sein.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts haben der Kläger und seine Ehefrau ihren im Januar 2008 erklärten Beitritt gemäß §§ 355, 312 BGB wirksam widerrufen. Auf den Beitritt zu einem Fonds in der Form einer Personengesellschaft seien die Regeln über den Haustürwiderruf anzuwenden. Ein Haustürgeschäft liege vor. Dem Beitritt seien fünf Verhandlungen vorausgegangen, bei denen zusammenhängende Inhalte besprochen worden seien. Deswegen habe eine fortwirkende Überraschungssituation vorgelegen.
Der Widerruf sei im Dezember 2009 möglich gewesen, weil beim Beitritt keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt worden sei. In der hierzu verfassten Erklärung sei versäumt worden, den Anleger darauf hinzuweisen, dass er im Falle eines Widerrufs lediglich Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben habe, da sich seine Rechte nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft richteten. Diese Folge gelte auch für den Kläger und seine Frau, nachdem ihr Beitritt zu der Fondsgesellschaft in Vollzug gesetzt worden sei. Sie hätten keinen Anspruch auf Rückzahlung der Einlage, sondern auf ein ihnen nach gesellschaftsvertraglicher Abwicklung möglicherweise zustehendes Abfindungsguthaben, das aber noch geklärt werden müsse. (Pressemitteilung – juris).

V. OLG Hamm, Urteil v. 15.01.2013 – I-9 U 84/12
Das Judikat betrifft die Reichweite der Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters einer Treibjagd gegenüber den Eigentümern und Pächtern von nahe zum Jagdgebiet gelegenen Grundstücken. Danach trifft den Jagdveranstalter gegenüber den Inhabern nicht unmittelbar angrenzender Grundstücke keine anlassunabhängige Informations- bzw. Hinweispflicht hinsichtlich des bevorstehenden Jagdgeschehens und damit einhergehender Schussgeräusche.

Der Kläger aus Hamm hielt auf in der Nähe von Ahlen gepachteten Weideflächen mehrere Pferde. Er hat vom beklagten Arzt aus Ahlen Schadensersatz aus Anlass einer Treibjagd vom 04.10.2004 verlangt. Diese Jagd hatte der Beklagte in einem von den gepachteten Weideflächen ca. 100 m entfernt liegenden Waldgebiet veranstaltet. Nach der Behauptung des Klägers soll das Jagdgeschehen – insbesondere durch die von diesem ausgehenden Schussgeräusche – drei seiner Pferde auf der Weide in Panik versetzt haben. Hierdurch hätten sich die Tiere erhebliche Verletzungen zugezogen, eines habe notgetötet werden müssen. Für den hierdurch entstandenen Schaden in Höhe von ca. 23.500 Euro habe der Beklagte, so der Kläger, aufzukommen, weil weder er noch der Grundstückeigentümer von der bevorstehenden Jagd unterrichtet worden seien. Insoweit habe der Beklagte ihm obliegende Verkehrssiche-rungspflichten verletzt. […]
Nach Auffassung des Oberlandesgerichtes ist der Beklagte als Veranstalter der Jagd zwar grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu schaffen, um eine Schädigung anderer durch das Jagdgeschehen zu verhindern. Der Beklagte sei deswegen aber nicht verpflichtet gewesen, den Kläger als anliegenden Pächter über die bevorstehende Treibjagd zu unterrichten. Auf die mit einer Jagd verbundenen Schussgeräusche habe nicht hingewiesen werden müssen. Schussgeräusche gehörten für sich genommen zu einer waldtypischen Geräuschkulisse und seien insoweit als Lärmbeeinträchtigungen hinzunehmen. Sie seien nur unter besonderen Umständen schadensträchtig, etwa wenn ein Schuss in unmittelbarer Nähe eines Reiters abgegeben werde. Derartige Umstände seien im vorliegenden Fall nicht feststellbar. Die vom Kläger gepachtete Weide habe außerhalb des bejagten Waldgebietes gelegen, ohne unmittelbar an dieses anzugrenzen. Nach dem Jagdkonzept des Beklagten hätten auch keine Schüsse in unmittelbarer Nähe der Pferde abgegeben werden sollen. Selbst wenn sich einzelne Jagdteilnehmer hieran nicht gehalten hätten, was der Kläger bereits nicht dargelegt habe, sei der Beklagte für ein solches vom Jagdkonzept abweichendes Verhalten nicht einstandspflichtig, weil es für ihn nicht vorhersehbar gewesen sei. (Pressemitteilung-juris, Hervorhebung durch d. Autor)

Da die Entscheidung nicht rechtskräftig ist und das Verfahren derzeit unter dem Az. VI ZR 91/13 beim BGH anhängig ist, erscheint es ratsam den Fall künftig im Auge zu behalten.
 
 
 

30.03.2013/0 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2013-03-30 09:00:262013-03-30 09:00:26Rechtsprechungsübersicht in Zivilsachen
Dr. Gerrit Forst

BGH: § 444 BGB setzt nicht voraus, dass arglistiges Verschweigen für Kaufentschluss kausal war

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Am 23.9.2011 hat der BGH unter www.bundesgerichtshof.de eine Entscheidung im Volltext veröffentlicht, die zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist und sowohl für Klausuren als auch für die mündliche Prüfung sehr hohe Relevanz besitzt (Urt. v. 15.7.2011 – V ZR 171/10).
I. Sachverhalt
Die Kläger erwarben von dem Beklagten unter Ausschluss jeder Gewährleistung eine Eigentumswohnung, die mit einer öffentlich-rechtlichen Veränderungsbeschränkung belastet war. Dies war dem Beklagten und dessen Stellvertreter bekannt. In dem Kaufvertrag wurde auf die Belastung nicht hingewiesen. Auch wurden die Kläger nicht anderweitig aufgeklärt (gerichtlich unterstellt). Die Kläger verlangten Rückabwicklung des Kaufvertrages.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, der Rückabwicklung stehe jedenfalls der Gewährleistungsausschluss entgegen. Es fehle am arglistigen Verschweigen eines Mangels, weil die Käufer die Eigentumswohnung auch in Kenntnis der Belastung erworben hätten.
II. Entscheidung
Der BGH stuft die Baulast zunächst unter Verweis auf sein Urt. v. 10.3.1978 – V ZR 69/76, NJW 1978, 1429 als Sachmangel ein. Hinsichtlich dieses Sachmangels habe den Beklagten bzw. dessen Stellvertreter auch eine Aufklärungspflicht getroffen, weil der Verkäufer eines Grundstücks über verborgene wesentliche Mängel stets aufzuklären habe.
Entscheidend sei, ob der Gewährleistungsausschluss eingreife. Dies verneint der BGH unter Verweis auf § 444 BGB: Auch wenn ein arglistig verschwiegener Sachmangel für den Willensentschluss des Käufers nicht ursächlich gewesen sei, sei dem Verkäufer die Berufung auf den vereinbarten Haftungsausschluss gemäß § 444 BGB verwehrt. Es sei Aufgabe des Verkäufers, zu erkennen, ob ein Mangel potentiell für den Käufer von Bedeutung sei und über diesen bejahendenfalls aufzuklären.
 
 
 

27.09.2011/0 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2011-09-27 11:04:302011-09-27 11:04:30BGH: § 444 BGB setzt nicht voraus, dass arglistiges Verschweigen für Kaufentschluss kausal war
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Gesetzliches Rauchverbot kein Sachmangel der Gaststätte

Mietrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Zivilrecht, Zivilrecht

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung des BGH (Az. XII ZR 189/09- Urteil vom 13.07.2011) geht es um die Frage, ob ein gesetzliches Rauchverbot nach dem Nichtraucherschutzgesetz Rheinland-Pfalz (im Fall nach § 7 Abs.1 NRauchSchG RP) einen Sachmangel darstellt, wenn der Pachtgegenstand im Anwendungsbereich des Gesetzes belegen ist.
Sachverhalt
P ist Pächterin einer Gaststätte des V. Kurz nach Abschluss des Pachtvertrags tritt in Land L das Nichtraucherschutzgesetz in kraft. Da die Gaststätte aus zwei voneinander nicht getrennten Räumen besteht, darf ab sofort in der gesamten Lokalität nicht mehr geraucht werden.
Die Aufforderung der P, für entsprechende Umbaumaßnahmen zu sorgen, kommt V nicht nach.  Mit Verweis auf den dadurch sich ergebenden Umsatzrückgang der Gaststätte, verlangt P von V Ersatz für den entgangenen Gewinn. Zu Recht?
 
Konkrete Beschaffenheit der Sache ausschlaggebend
Der BGH setzt sich zunächst mit dem herrschenden Sachmangelbegriff auseinander. Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse oder –beschränkungen sind demnach nur dann als Sachmangel anzusehen, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Sache beruhen und ihre Ursache nicht in der Sphäre des Pächters liegt.

Unter einem Mangel im Sinne von §§ 581 Abs. 2, 536 Abs.1 Satz 1 BGB ist die für den Pächter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Pachtsache von dem vertraglich geschuldeten zu verstehen, wobei sowohl tatsächliche Umstände als auch rechtliche Verhältnisse in Bezug auf die Pachtsache als Mangel in Betracht kommen können. Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Gebrauchsbeschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines Pachtobjekts entgegenstehen, begründen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings nur dann einen Sachmangel im Sinne der §§ 536 ff. BGB, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Pachtsache beruhen und nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Pächters ihre Ursache haben. Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Pachtverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Pachtobjekts, kann dies nachträglich einen Mangel iSv §§ 581 Abs. 2, 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Pachtobjekts in Zusammenhang steht. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fallen dagegen in den Risikobereich des Pächters. Denn der Verpächter von Gewerberäumen ist gemäß §§ 581 Abs. 2, 535 Abs. 1 Satz 2 BGB lediglich verpflichtet, den Pachtgegenstand während der Vertragslaufzeit in einem Zustand zu erhalten, der dem Pächter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht. Das Verwendungsrisiko bezüglich der Pachtsache trägt bei der Gewerberaummiete dagegen grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört vor allem das Risiko, mit dem Pachtobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Pächters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Pächters. Das gilt auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Pächters kommt. 

 Rauchverbot an betriebliche Verhältnisse des Pächters geknüpft
Im konkreten Fall ist es im Grunde P überlassen ist, ob er eine „Raucher-Gaststätte“ betreiben möchte oder sein Geschäftskonzept ein rauchfreies Lokal vorsieht, welches folglich nicht vom NRSG betroffen wäre.  Der Mangel liegt damit nicht in der konkreten Beschaffenheit der Sache („zwei nicht voneinander getrennte Räume“), sondern in den betrieblichen Verhältnisses des P, denn

[d]as Nichtraucherschutzgesetz Rheinland-Pfalz unterstellt bestimmte Gebäude und Gebäudeteile einem Rauchverbot und stellt dabei nicht auf die konkreten baulichen Gegebenheiten, sondern auf die Nutzungsart der betroffenen Baulichkeiten ab. Zweck des Gesetzes ist der Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Belastungen durch das Passivrauchen (§ 1 Abs. 1 NRauchSchG RP). Um diesen Schutz zu erreichen, ordnet das Gesetz für öffentliche Gebäude (§ 2 NRauchSchG RP), Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen (§ 3 NRauchSchG RP), Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe (§§ 4, 5 NRauchSchG RP), Alten- und Pflegeheime (§ 6 NRauchSchG RP) und für Gaststätten (§ 7 Abs. 1 NRauchSchG RP) ein Rauchverbot für alle Personen an, die sich in diesen Einrichtungen aufhalten
(vgl. § 1 Abs. 2 NRauchSchG RP). Die baulichen Gegebenheiten der betroffenen Gebäude oder Gebäudeteile sind für die Geltung des gesetzlichen Rauchverbots unerheblich. Maßgeblich sind allein die Art der Nutzung der Gebäude und der Umstand, dass in den Einrichtungen Publikumsverkehr stattfindet. Das gesetzliche Rauchverbot bezieht sich folglich auf die Art und Weise der Betriebsführung des Mieters oder Pächters, betrifft also nur dessen betriebliche Verhältnisse. Für die Betriebsbezogenheit der Gebrauchseinschränkung spricht zudem, dass sich das Verbot primär an die Personen richtet, die sich in den betroffenen Einrichtungen aufhalten (vgl. § 1 Abs. 2 NRauchSchG RP) und der Betreiber der Einrichtung nur als mittelbarer Adressat des Verbots für dessen Umsetzung und Einhaltung verantwortlich ist, vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 NRauchSchG RP. 
Bei dem Erlass des Nichtraucherschutzgesetzes Rheinland-Pfalz handelt es sich daher um eine Gesetzesänderung, die, vergleichbar einer nachträglichen Änderung der Sperrzeit allein in das wirtschaftliche Risiko des Pächters fällt.

Keine Beseitigungspflicht des Verpächters
Vermieter und Verpächter sind regelmäßig dazu verpflichtet, die Sache während der Miet- oder Pachtzeit im vertragsgemäßen Zustand zu erhalten. Dies gilt grundsätzlich auch bei nachträglicher Änderung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, soweit der Sachmangel in der konkreten Beschaffenheit der Sache liegt (s.o.), allerdings

[…] ist auch im Rahmen der §§ 581 Abs. 2, 535 Abs. 1 Satz 2 BGB die gesetzliche Risikoverteilung zwischen Verpächter und Pächter zu berücksichtigen. Deshalb darf auf diesem Weg das Verwendungsrisiko des Pächters nicht auf den Verpächter abgewälzt werden. Handelt es sich bei der Gebrauchsbeschränkung um die Folge einer Gesetzesänderung, die – wie im vorliegenden Fall – an die betrieblichen Verhältnisse des Pächters anknüpft, ist der Verpächter für die aufgetretene Störung schon deshalb nicht verantwortlich, weil diese ihre Ursache dann nicht in dem Zustand oder der Beschaffenheit der Pachtsache hat

Damit umfasst die dem Verpächter obliegende Instandhaltungspflicht nicht die Umbaumaßnahmen, die sich aus der Anwendung des NRSG ergeben.
Fazit
Mangels Verpflichtung des V zum Umbau der Räumlichkeiten, kann P keinen Schadensersatz für entgangenen Gewinn verlangen. Anknüpfungspunkt für den Sachmangel ist stets die konkrete Beschaffenheit der Sache. Dagegen reicht nicht aus, dass eine öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkung aus betrieblicher Sicht die vom Mieter oder Pächter vorgesehene Nutzung beeinträchtigt. Solange der vertragsgemäße Gebrauch (hier: Betrieb einer Gaststätte) weiterhin  möglich bleibt, liegt die Gebrauchsbeschränkung in der Risikosphäre des P. Denn die Aufteilung der Räumlichkeiten steht nicht in Beziehung zur Nutzbarkeit der Gaststätte als solche.
Anders wäre es wohl, wenn V dem P ausdrücklich ein „Raucherlokal“ oder „Raucherclub“ o.ä. verpachtet hätte, sodass die Möglichkeit, in den Räumen zu rauchen, vertragsmäßig vorausgesetzt worden wäre. Allerdings wäre es wohl fraglich, ob es sich dann noch um eine Gaststätte im Sinne des Gaststättengesetztes handeln würde und das NRauchSchG RP überhaupt zur Anwendung käme.
§ 581 BGB (Vertragstypische Pflichten beim Pachtvertrag)
(2) Auf den Pachtvertrag mit Ausnahme des Landpachtvertrags sind, soweit sich nicht aus den §§ 582 bis 584 b etwas anderes ergibt, die Vorschriften über den Mietvertrag entsprechend anzuwenden.
§ 536a BGB (Schadens- und Aufwendungsersatzanspruch des Mieters wegen eines Mangels)
Ist ein Mangel im Sinne des § 536 bei Vertragsschluss vorhanden oder entsteht ein solcher Mangel später wegen eines Umstands, den der Vermieter zu vertreten hat, oder kommt der Vermieter mit der Beseitigung eines Mangels in Verzug, so kann der Mieter unbeschadet der Rechte aus § 536 Schadensersatz verlangen.
§ 536 BGB (Mietminderung bei Sach- und Rechtsmängeln)
Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit auf-gehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht.
§ 7 Nichtraucherschutzgesetz Rheinland-Pfalz (Rauchfreie Gaststätten)
(1) Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes sind rauchfrei. Dies gilt für alle Schank- oder Speiseräume sowie für alle anderen zum Aufenthalt der Gäste dienenden Räume einschließlich der Tanzflächen in Diskotheken und sonstigen Tanzlokalen in Gebäuden oder Gebäudeteilen.
(3) Die Betreiberin oder der Betreiber einer Gaststätte mit mehreren, durch ortsfeste Trennwände voneinander getrennten Räumen kann das Rauchen in einzelnen Nebenräumen erlauben; dies gilt nicht für Räume mit Tanzflächen. Voraussetzungen für eine Raucherlaubnis sind, dass die Grundfläche und die Anzahl der Sitzplätze in den Nebenräumen mit Raucherlaubnis nicht größer sind als in den übrigen rauchfreien Gasträumen und über die Raucherlaubnis durch deutlich wahrnehmbare Hinweise insbesondere im Eingangsbereich der Nebenräume informiert wird.
 


26.08.2011/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-08-26 10:24:002011-08-26 10:24:00BGH: Gesetzliches Rauchverbot kein Sachmangel der Gaststätte
Nicolas Hohn-Hein

EuGH: Ausbau mangelhafter und Neu-Einbau mangelfreier Fliesen von Nacherfüllung erfasst

BGH-Klassiker, Europarecht, Europarecht Klassiker, Schon gelesen?, Schuldrecht, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

In einem aktuellen Urteil des EuGH (Az. C-65/09 und C-87/09) geht es um die Frage, ob im Rahmen der Nacherfüllung der Verkäufer (Unternehmer) dem Käufer (Verbraucher) sowohl den Ausbau der mangelhaften Sache, als auch den Einbau der neuen mangelfreien Sache schuldet. Die Rechtssache C-65/09 ist auf eine Vorlagefrage des BGH an den EuGH im Rahmen des bekannten Bodenfliesen-Falls (BGH VII ZR 70/08 – Beschluss vom 14.02.2009) zurückzuführen. In dem verbundenen Verfahren geht es um Ein- bzw. Ausbau einer mangelhaften Waschmaschine, auf die die unten stehenden Ausführungen übertragen werden können. Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Wendung der Streit mit der Entscheidung des EuGH genommen hat.
Hinweis: Zur Frage, an welchem Ort die Nacherfüllung stattfinden muss („Belegenheitsort der Sache“ oder Wohnsitz bzw. Niederlassung des Verkäufers) wird aus Gründen der Lesbarkeit hier nicht Stellung bezogen. Christoph hat sich bereits hier zur aktuellen Entwicklung in der Rechtsprechung ausführlich geäußert.
Ausgangslage
Bereits im Jahr 1983 hatte der BGH mit einer ähnlichen Konstellation zu tun. In der sog. Dachziegel-Entscheidung war die Frage zu klären, ob der Käufer verlangen kann, dass der Verkäufer die mangelhaften Dachziegeln nach wirksamen Rücktritt zurücknimmt, d.h. vom Dach des Käufers herunterholt. Da diese nur „lose“ verlegt waren, war die Rücknahme nicht mit Demontagekosten verbunden. Der BGH hatte – damals noch nach altem Recht – eine verschuldensunabhängige (!) Rücknahmeverpflichtung damit begründet, dass der Käufer nach erfolgtem Rücktritt ein schützenswertes Interesse daran habe, die mangelhafte Kaufsache „loszuwerden“. Zum Rücknahmerecht des Verkäufers korrespondiere eine entsprechende Rücknahmepflicht (krit. S. Lorenz NJW 2009 S.1634).
Diese Problemstellung wurde im Parkettstäbe-Fall (BGH NJW 2008, 2837) dahingehend erweitert, dass der Käufer im Zuge der Nacherfüllung nicht nur die Kosten des Einbaus der mangelhaften Parkettstäbe, sondern auch die Kosten für den Neu-Einbau der nachgelieferten Parkettstäbe ersetzt haben wollte. Der BGH hatte dies mit der Begründung abgelehnt, der Nachlieferungsanspruch könne nicht weiter gehen  als der Erfüllungsanspruch. Die Kosten des Neu-Einbaus seien demnach über einen Schadensersatzanspruch neben der Nacherfüllung nach § 437 Nr. 3, 280 Abs.1 BGB zu ersetzen, nicht dagegen die Kosten des Ersteinbaus, die auch ohne Pflichtverletzung des Verkäufers (§ 249 I BGB) dem Käufer entstanden wären (z. d. Einzelheiten und Folgen eines Rücktritts s. S. Lorenz NJW 2009 S.1634).
Bei den mangelhaften Bodenfliesen ging es vornehmlich um die Kosten des Ausbaus der mangelhaften Fliesen. Auch hier enthalte die Nacherfüllung nicht denknotwendig eine Pflicht zum Ausbau der Kaufsache. Der BGH begründet das so: Dem Verkäufer geht es nicht in erster Linie darum, die Bodenfliesen „loszuwerden“, sondern um die Wiederherstellung der Integrität seiner sonstigen Rechtsgüter (Integritätsinteresse), die durch den Einbau der mangelhaften Fliesen beeinträchtigt worden sind. Dies sei aber nicht im Bereich der Nacherfüllung (Leistungsinteresse!) anzusiedeln, sondern im Sinne von § 249 I BGB ein ersetzbarer (Mangelfolge-) Schaden, der im Wege eines vom Vertretenmüssen des Verkäufers abhängigen Anspruchs nach §§ 437 Nr.3, 280 I BGB geltend gemacht werden müsse. Demnach fehle ein entsprechender Sachzusammenhang zur Nacherfüllung, die die Herstellung des Zustands der Kaufsache im Zeitpunkt der ursprünglichen Lieferung zum Gegenstand hat. Der Ersatz der Ausbaukosten ist hingegen auf die Schadloshaltung des Käufers im Hinblick auf seine sonstigen Rechtsgüter gerichtet, die von der Nacherfüllung gerade nicht umfasst sind. Mit anderen Worten: Der Ausbau ist nach dieser Auffassung schlichtweg nicht erforderlich, um eine mangelfreie Kaufsache zu erhalten.
Überdies bestand hier eine Rücknahmepflicht (wie im Dachziegel-Fall) nach Ansicht des BGH schon deswegen nicht, weil der Käufer die Fliesen bereits fest verbaut hatte und wegen der § 439 IV BGB i.V.m. § 346 II Nr.2, III Nr.3 BGB seiner Herausgabe- bzw. Wertersatzpflicht frei geworden war. Fragwürdig, wenn man bedenkt, dass das Entfallen der Wertersatzpflicht wegen Verbrauchs der Sache gerade den Käufer schützen soll.
Die Vorlage an den EuGH soll daher im Wesentlichen klären, wie weit die Nacherfüllung nach § 439 BGB reicht und wann der Verkäufer diese verweigern kann. Maßstab ist die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (VerbrGKRL), insbesondere Art. 3 VerbrGKRL bezüglich des Nacherfüllungsanspruchs des Käufers (Verbrauchers).

„Unentgeltlichkeit“ der Nacherfüllung
Unabhängig vom Inhalt des konkreten Schuldverhältnisses beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, welcher Gedanke hinter dem Konstrukt der Nacherfüllung steht und macht dies am Merkmal der Unentgeltlichkeit nach Art. 3 der Richtlinie fest. Grenzen sind dort, wo die Erfüllung der Forderung des Verbrauchers unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Denn

[w]ie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, geht demnach aus dem Wortlaut von Art. 3 der Richtlinie wie auch im Übrigen aus den einschlägigen Vorarbeiten der Richtlinie hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes machen wollte. Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, sei es durch Nachbesserung, sei es durch Austausch des vertragswidrigen Verbrauchsguts, soll den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen (vgl. Urteil vom 17. April 2008, Quelle, C 404/06, Slg. 2008, 2685, Randnrn. 33 und 34).
Wenn aber der Verbraucher im Fall der Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut vom Verkäufer nicht verlangen könnte, dass er den Ausbau des Verbrauchsguts aus der Sache, in die es gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in dieselbe Sache oder die entsprechenden Kosten übernimmt, würde diese Ersatzlieferung für ihn zu zusätzlichen finanziellen Lasten führen, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Wenn dieser nämlich von vornherein ein vertragsgemäßes Verbrauchsgut geliefert hätte, hätte der Verbraucher die Einbaukosten nur einmal getragen und hätte keine Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts tragen müssen.
Würde Art. 3 der Richtlinie dahin ausgelegt, dass er den Verkäufer nicht verpflichtet, den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts oder die entsprechenden Kosten zu übernehmen, hätte dies somit zur Folge, dass der Verbraucher, um die ihm durch den genannten Artikel verliehenen Rechte ausüben zu können, diese zusätzlichen Kosten tragen müsste, die sich aus der Lieferung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verkäufer ergeben.

Im letzteren Fall würde dies nach Ansicht des Gerichts gegen Art. 3 Abs.2 und 3 der Richtlinie verstoßen.
Kein Verschulden des Verkäufers erforderlich
Der Nacherfüllungsanspruch nach § 439 I BGB ist verschuldensunabhängig. Fallen Ein- und Ausbau nicht in den Pflichtenkreis der Nacherfüllung, ist lediglich ein verschuldensabhängiger Anspruch nach dem Gewährleistungsrecht auf Ersatz der Kosten einschlägig. Der Verkäufer wird aber nicht selten den Gegenbeweis führen können, dass er den Mangel, der letztendlich zu den Kosten geführt hat, nicht zu vertreten hat. Der EuGH nimmt hingegen an, dass sich die Nacherfüllung auch auf den Ausbau der alten und den Einbau der neuen Fliesen erstreckt, sodass es auf ein Verschulden bezüglich des Mangels auch an dieser Stelle nicht ankommen kann.

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass eine solche Auslegung auch nicht zu einem ungerechten Ergebnis führt. Selbst wenn nämlich die Vertragswidrigkeit des Verbrauchsguts nicht auf einem Verschulden des Verkäufers beruht, hat dieser doch aufgrund der Lieferung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts die Verpflichtung, die er im Kaufvertrag eingegangen ist, nicht ordnungsgemäß erfüllt und muss daher die Folgen der Schlechterfüllung tragen. Dagegen hat der Verbraucher seinerseits den Kaufpreis gezahlt und damit seine vertragliche Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil Quelle, Randnr. 41). Zudem kann der Umstand, dass der Verbraucher im Vertrauen auf die Vertragsmäßigkeit des gelieferten Verbrauchsguts das mangelhafte Verbrauchsgut vor Auftreten des Mangels gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut hat, kein Verschulden darstellen, das dem betreffenden Verbraucher zur Last gelegt werden könnte.
In einem Fall, in dem keine der beiden Vertragsparteien schuldhaft gehandelt hat, ist es demnach gerechtfertigt, dem Verkäufer die Kosten für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts aufzuerlegen, da diese Zusatzkosten zum einen vermieden worden wären, wenn der Verkäufer von vornherein seine vertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt hätte, und zum anderen nunmehr notwendig sind, um den vertragsgemäßen Zustand des Verbrauchsguts herzustellen.

Im Übrigen würden die Interessen des Verkäufers aufgrund einer angemessenen Verjährungsfrist von 2 Jahren (vgl. § 438 Abs.1 Nr. 3 BGB) und durch die Möglichkeit des Unternehmers, Regress gegen den Lieferanten zu nehmen (vgl. § 478 BGB), ausreichend geschützt.
In der Klausur wären die Ein- und Ausbaukosten nach § 280 I, 281 I BGB als Schadensersatz statt der Leistung zu ersetzen, wobei das Vertretenmüssen sich allein auf die Nichterbringung der geschuldeten Leistung (Ein- und Ausbau) im Rahmen der Nacherfüllung beziehen muss.
Pflicht zum Aus- und Einbau aus den Vorschriften über den Verbraucherschutz und Art. 3 der Richtlinie
Es lässt sich argumentieren, der Nacherfüllungsanspruch könne nur solche Leistungspflichten begründen, die auch ursprünglich Gegenstand des Vertrages gewesen waren (so der BGH im Fall der Bodenfliesen). Der Ausbau der mangelhaften, bzw. der Einbau der mangelfreien Ersatzsache sei bei Fehlen ausdrücklicher Abreden gerade nicht geschuldet. Der EuGH sieht das anders, indem er den Verbraucherschutz und die Art. 3 der Richtlinie als Auslegungshilfe heranzieht und hieraus Pflichten des Verkäufers ableitet.

Diese Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie ist unabhängig davon, ob der Verkäufer nach dem Kaufvertrag zum Einbau des gelieferten Verbrauchsguts verpflichtet war. Zwar wird nämlich nach Art. 2 der Richtlinie durch den Kaufvertrag der vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts festgelegt und damit insbesondere bestimmt, was eine Vertragswidrigkeit darstellt, doch ergeben sich im Fall einer solchen Vertragswidrigkeit die Verpflichtungen des Verkäufers, die aus der Schlechterfüllung des Vertrags folgen, nicht nur aus diesem, sondern vor allem aus den Vorschriften über den Verbraucherschutz und insbesondere aus Art. 3 der Richtlinie, die Verpflichtungen auferlegen, deren Umfang unabhängig von den Bestimmungen des genannten Vertrags ist und die gegebenenfalls über die dort vorgesehenen Verpflichtungen hinausgehen können.
Die den Verbrauchern damit in Art. 3 der Richtlinie verliehenen Rechte, die nicht bezwecken, die Verbraucher in eine Lage zu versetzen, die vorteilhafter ist als diejenige, auf die sie nach dem Kaufvertrag Anspruch erheben könnten, sondern lediglich die Situation herstellen sollen, die vorgelegen hätte, wenn der Verkäufer von vornherein ein vertragsgemäßes Verbrauchsgut geliefert hätte, sind nach Art. 7 der Richtlinie für den Verkäufer unabdingbar. Zudem ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie, dass die Richtlinie einen Mindestschutz vorsieht und dass die Mitgliedstaaten zwar strengere Bestimmungen erlassen können, aber nicht die vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Garantien beeinträchtigen dürfen (vgl. Urteil Quelle, Randnr. 36).
Nimmt der Verkäufer den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Gutes nicht selbst vor, ist es Sache des nationalen Gerichts, die für den Ausbau und den Einbau notwendigen Kosten zu ermitteln, deren Erstattung der Verbraucher verlangen kann.
Nach alldem ist Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertragswidrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen.

Einzige Art der Nacherfüllung kann nicht abgelehnt werden, aber Beschränkung der Kostentragungspflicht möglich
Zweifel bestanden beim BGH auch darüber, wann die Nacherfüllung durch den Verkäufer wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert werden kann.

Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie gilt eine Abhilfe als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die angesichts des Wertes, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit und nach Erwägung der Frage, ob auf die alternative Abhilfemöglichkeit ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zurückgegriffen werden könnte, verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.
Daher ist festzustellen, dass zwar Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie an sich so offen gefasst ist, dass er auch Fälle der absoluten Unverhältnismäßigkeit erfassen kann, dass aber Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 den Begriff „unverhältnismäßig“ ausschließlich in Beziehung zur anderen Abhilfemöglichkeit definiert und damit auf Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit eingrenzt. Im Übrigen geht aus dem Wortlaut und der Systematik von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie eindeutig hervor, dass sich dieser auf die beiden Arten der in erster Linie vorgesehenen Abhilfe bezieht, d. h. die Nachbesserung des vertragswidrigen Verbrauchsguts und die Ersatzlieferung.
Diese Feststellungen werden durch den elften Erwägungsgrund der Richtlinie gestützt, wonach unverhältnismäßig Abhilfen sind, die im Vergleich zu anderen unzumutbare Kosten verursachen, und bei der Beantwortung der Frage, ob es sich um unzumutbare Kosten handelt, entscheidend sein sollte, ob die Kosten der einen Abhilfe deutlich höher sind als die Kosten der anderen Abhilfe.
[…]
In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf die besonderen Situation, die das vorlegende Gericht prüft, in der die Ersatzlieferung für das vertragswidrige Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe deswegen zu unverhältnismäßigen Kosten führen würde, weil das vertragswidrige Verbrauchsgut aus der Sache, in der es eingebaut wurde, ausgebaut und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut eingebaut werden muss, darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie nicht ausschließt, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts, falls erforderlich, auf einen Betrag beschränkt wird, der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen ist. Eine solche Beschränkung lässt das Recht des Verbrauchers, Ersatzlieferung für das vertragswidrige Verbrauchsgut zu verlangen, nämlich unberührt.
In diesem Rahmen ist zu unterstreichen, dass Art. 3 einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Verbrauchers und denen des Verkäufers herstellen soll, indem er dem Verbraucher als schwächerer Vertragspartei einen umfassenden und wirksamen Schutz dagegen gewährt, dass der Verkäufer seine vertraglichen Verpflichtungen schlecht erfüllt, und zugleich erlaubt, vom Verkäufer angeführte wirtschaftliche Überlegungen zu berücksichtigen.[…]
Schließlich ist dem Verbraucher im Fall einer Herabsetzung des Anspruchs auf Erstattung der genannten Kosten die Möglichkeit zu gewähren, statt einer Ersatzlieferung für das vertragswidrige Verbrauchsgut gemäß Art. 3 Abs. 5 letzter Gedankenstrich der Richtlinie eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung zu verlangen, da der Umstand, dass der Verbraucher die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des mangelhaften Verbrauchsguts nur erlangen kann, indem er einen Teil der Kosten selber trägt, für ihn eine erhebliche Unannehmlichkeit darstellt.

Fazit
Der EuGH hat damit die Rechte des Verbrauchers gestärkt und damit vorerst die Bodenfliesen-Fall vertretenden Rechtsauffassung für unzutreffend erklärt. Was sich in der Dachziegel-Entscheidung bereits angedeutet hat, nämlich dass der Verkäufer gehalten ist, im Rahmen der Nacherfüllung dafür zu sorgen, die mangelhafte Kaufsache wieder zurückzunehmen und auch für diese Kosten aufzukommen, wird vom EuGH umfassend, in Erweiterung auf Ausbau der mangelhaften und Einbau der mangelfreien Sache, bestätigt. Kurios daran ist, dass der BGH im Ansatz bereits 1983 diese Auffassung vertreten hat, als § 439 BGB noch lange nicht in Sicht war. Die Auslegung des Art. 3 VerbrGKRL ist insofern konsequent, als dass der Gedanke des Verbraucherschutzes deutlich in den Vordergrund gerückt wird: Der Verbraucher soll nicht an der Ausübung seiner Gewährleistungsrechte gehindert werden, nur weil er mit der Sache bestimmungsgemäß und im Vertrauen auf deren Mangelfreiheit verfahren hat und nunmehr deren Ausbau bzw. Neu-Einbau erforderlich geworden ist. Kritikwürdig daran erscheint hingegen, dass entscheidende dogmatischen Überlegungen des BGH über den Haufen geworfen werden. Aus den Überlegungen des EuGH ergibt sich, dass zwischen der Nacherfüllung und dem ursprünglichen Erfüllungsanspruch keine Deckungsgleichheit („modifizierter Erfüllungsanspruch“) bestehen muss. Insbesondere wird zwischen der Herstellung des geschuldeten Zustands der Sache zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs („Nacherfüllung“) und dem Ersatz der im Zusammenhang mit der Mangelhaftigkeit der Sache entstandenen Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Käufers nicht differenziert. Wie die Rücknahmepflicht im Dachziegel-Fall existiert folglich auch die Pflicht zum Aus- bzw. Neu-Einbau, ohne dass es auf ein Verschulden des Verkäufers oder auf vertragliche Abreden diesbezüglich ankäme. Damit ändert auch der erfolgreiche Entlastungsbeweis im  Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung nach § 280 I, 281 I BGB nichts an dem Umstand, dass der Verkäufer in jedem Fall die Kosten zu tragen hat. Dass der Verkäufer seit der Lieferung der Kaufsache in der Regel keinen Einfluss auf deren konkreten Art der Verwendung hat und der Zeitpunkt des Einbaus (z.B. bei Fliesen) und der Zeitpunkt der Entdeckung des Mangels ggf. vom Zufall abhängen, wird keine besondere Bedeutung zugemessen. Ihm verbleibt nur noch der Regress gegen den Lieferanten und die Einrede der Verjährung.
Für die Klausur merken:
1. Der Käufer kann im Fall der Bodenfliesen die Abholung der alten und die Lieferung der mangelfreien Fliesen verlangen. Dies umfasst auch den Aus- und Einbau. Die Nacherfüllung muss insgesamt „unentgeltlich“ im Sinne von Art. 3 VerbrGKRL erfolgen, d.h. dem Verbraucher dürfen keine zusätzlichen Kosten entstehen, um den vertragsgemäßen Zustand herbeizuführen. Anders gesagt: Der Verkäufer muss grundsätzlich alles (!) dafür tun, dem Käufer im Rahmen der Nacherfüllung zu einer „vertragsgemäßen Situation“ zu verhelfen, soweit ein Sachzusammenhang zum Mangel besteht.
2. Kommt der Verkäufer dieser Pflicht nicht nach, muss er die Ein- und Ausbaukosten dem Käufer ersetzen. Dies gilt selbst dann, wenn keine entsprechenden Abreden im Kaufvertrag getroffen wurden (effektiver Verbraucherschutz). Der Verbraucher darf nicht in der Ausübung seiner Verbraucherrechte beeinträchtigt werden.
3. Die Pflicht des Verkäufers zum Ausbau bzw. Einbau ist verschuldensunabhängig und besteht nach § 439 I BGB. Bei Verletzung dieser Pflicht kann der Käufer die entstandenen Kosten nach § 280 I, 281 I BGB (Schadensersatz statt der Leistung) verlangen. Anknüpfungspunkt für das Vetretenmüssen ist nicht der Sachmangel (wie beim Mangelfolgeschadens nach §§ 437 Nr.3, 280 I BGB), sondern die Nichterbringung des Ein- und Ausbaus im Rahmen der Nacherfüllung.
4. Der Verkäufer kann die einzige Art der Nacherfüllung nicht mit dem Hinweis darauf verweigern, sie sei unverhältnismäßig. Die Abwägung der Verhältnismäßigkeit ist nur anhand zwei möglicher Arten der Nacherfüllung zu treffen („relative Unverhältnismäßigkeit“). Gleichwohl kann die Höhe des zu ersetzenden Betrags beschränkt werden. Ist dies im Einzelfall zulässig, kann der Verbraucher immer noch den Kaufpreis mindern oder zurücktreten.
5. Der Erst-Einbau der mangelhaften Fliesen ist nicht zu ersetzen, da dem Käufer diese Kosten ohnehin entstanden wären.
In der Klausur ist Art. 3 VerbrGKRL (dann abgedruckt) auszulegen. Zusätzlich werden im Sachverhalt einige Hinweise auf die jeweilige Rechtsauffassung der Beteiligten verstreut sein, wobei fraglich ist, ob man ohne Kenntnis der Rechtsprechung auf die richtigen Argumentationswege gelangt. Auf die Folgen eines Rücktritts bzw. auf einen Schadensersatzes statt der Leistung wurde der Übersicht halber nicht eingegangen. Für eine ausführliche Darstellung, vgl. auch S.Lorenz NJW 2009, 1633 und online RUBRR „Fliesen-Fall“.
 

05.07.2011/35 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-07-05 09:28:252011-07-05 09:28:25EuGH: Ausbau mangelhafter und Neu-Einbau mangelfreier Fliesen von Nacherfüllung erfasst
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Käufer trifft auch bei zweimaligen Fehlschlagen der Nachbesserung keine Beweislast für die Ursache des Sachmangels

Schuldrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

In einer aktuellen Entscheidung des BGH (VIII ZR 266/09 – Urteil vom 09.03.2011) geht es um die die Frage, ob ein Käufer bei zweimaliger erfolgloser Nachbesserung beweisen muss, dass die Ursache für den Mangel (und nicht nur lediglich das erkennbare Mangelsymptom) weiterhin fortbesteht.
Sachverhalt
Die Leasing GmbH K hat von V ein Cabriolet erworben und und den Kaufpreis in Höhe von 68.000 Euro an V gezahlt. Daraufhin schließt die K mit dem L, der das Fahrzeug zu Geschäftszwecken benötigt, im Mai 2004 einen Leasingvertrag über das Cabriolet unter Abtretung aller ihr zustehenden Mängelrechte aus dem Kaufvertrag gegen V. Die Lieferung des Fahrzeugs an L erfolgt bereits Anfang Juni 2004.
Schon nach kurzer Zeit zeigen sich erste Mängel an dem Kfz. Der Motor läuft nicht „rund“, während der Fahrt treten Rüttelgeräusche auf und insgesamt lässt sich ein erheblicher Leistungsverlust feststellen. Dazu kommen unregelmäßige „Verbrennungsaussetzer“, die jeweils einen Neustart des Cabrio notwendig machen. Bei zwei Reparaturen im Juli und im September 2004 werden von V verschiedene Einzelteile ausgetauscht, die er für die Ursache der Störung hält. Als im Oktober 2004 die Probleme erneut auftreten, hat L genug. Er tritt von dem Kaufvertrag in Ausübung der an ihn abgetretenen Mängelrechte zurück und verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises an die K abzüglich der ihm entstandenen Gebrauchsvorteile, Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs an V. V ist der Ansicht, es ließe sich nicht klären, ob die Nachbesserungsversuche tatsächlich erfolglos waren und ob die auftretenden Probleme nicht möglicherweise auf andere Ursachen zurückzuführen seien, die nicht von seiner Pflicht zur Nacherfüllung umfasst sind. Jedenfalls müsse L die Erfolglosigkeit der Nachbesserung darlegen und beweisen. Kann L gemäß §§ 437 Nr. 2, 440, 439, 323 BGB zurücktreten?
Käufer muss nicht die Ursache für den Fehlschlag der Nachbesserung beweisen
Grundsätzlich gilt, dass sich der Verkäufer nicht mehr auf die Mangelfreiheit der Sache bei Gefahrübergang berufen kann, sobald er den Kaufgegenstand zur Nachbesserung angenommen hat. Nach Ansicht des Berufungsgericht gelte dementsprechend, dass die Empfangnahme der Sache durch den Käufer nach dem Nachbesserungsversuch zu einer Umkehr der Beweislast führe (vgl. auch § 363 BGB zur Beweislast bei Annahme als Erfüllung). Wer sich als Käufer auf eine Nachbesserung einlasse, müsse die Beweislast bei einem Fehlschlag bezüglich dessen Ursachen tragen. Der BGH tritt dem entgegen:

Das Berufungsgericht verkennt, dass der Käufer grundsätzlich nicht die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, auf welche Ursache ein Sachmangel der verkauften Sache zurückzuführen ist.Etwas anderes gilt nur, wenn nach einer vorausgegangenen Nachbesserung durch den Verkäufer ungeklärt bleibt, ob das erneute Auftreten des Mangels auf der erfolglosen Nachbesserung oder auf einer unsachgemäßen Behandlung der Kaufsache nach deren erneuter Übernahme durch den Käufer beruht(Senatsurteil vom 11. Februar 2009 – VIII ZR 274/07, NJW 2009, 1341 Rn. 23). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Der Käufer ist beweisbelastet dafür, dass ein Mangel bei Übergabe der Kaufsache (§ 434 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 446 Satz 1 BGB) vorlag und dieser trotz Nachbesserungsversuchen des Verkäufers weiter vorhanden ist. Die aus § 363 BGB folgende Beweislastverteilung gilt gleichermaßen, wenn der Käufer die Kaufsache nach einer erfolglosen Nachbesserung wieder entgegengenommen hat. In diesem Fall muss der Käufer das Fortbestehen des Mangels, mithin die Erfolglosigkeit des Nachbesserungsversuchs, beweisen.
Daher kommt es auch nicht darauf an, auf welche Ursache der Mangel konkret zurückzuführen ist. Ob möglicherweise ein anderer Defekt ursächlich für den erkennbaren Mangel geworden ist, ist nicht ausschlaggebend.Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts obliegt es dem Kläger dagegen nicht nachzuweisen, dass die vom Sachverständigen bestätigten Verbrennungsaussetzer auf derselben Ursache wie die kurz nach der Übergabe des Fahrzeugs aufgetretenen Motorstörungen beruhen. Das Berufungsgericht verkennt, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Sachmangel möglicherweise auf eine neue Mangelursache zurückgeführt werden kann, wenn die Mangelursache allein im Fahrzeug zu suchen ist und nicht auf einer unsachgemäßen Behandlung seitens des Käufers oder eines Dritten beruhen kann. So ist es hier.

Da eine unsachgemäße Behandlung des Fahrzeugs durch den Käufer im vorliegend Fall nicht erkennbar ist, trifft L diesbezüglich auch keine Beweispflicht. Dass das Fahrzeug weiterhin die gleichen Motorstörungen aufzeigt, genügt.
Auswirkung der (Nicht-) Anwendbarkeit von § 476 BGB auf die Rechtslage
Da es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf nach § 474 BGB handelt, kann sich L zwar insgesamt nicht auf die Beweislastregel gem. § 476 BGB berufen, nach der Art des Mangels (Motorenstörung) hat dieser – nach Meinung des BGH – unzweifelhaft schon bei Gefahrübergang vorgelegen. Die darauf folgende, streitige Sachlage im Zuge der Nachbesserung (Mangelsymptome sind die gleichen geblieben) knüpft hieran an. Dass Beweisschwierigkeiten bestehen und die Vermutung des § 476 BGB nicht greift, darf nicht – im Umkehrschluss – zu Lasten des Käufers gehen bzw. zu einer strengeren Betrachtung der Sach- und Rechtslage führen.

Bei dieser Sachlage kann, auch wenn mangels Vorliegens der Voraussetzungen eines Verbrauchsgüterkaufs nicht die Vermutung des § 476 BGB zugunsten des Klägers eingreift, kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass der Sachmangel – die Ursache der damals aufgetretenen Mangelsymptome – bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs des Fahrzeugs vorlag. […] Diese Ungewissheit [bezüglich der genauen Ursache – Anm.] geht indessen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu Lasten des Klägers. Der Käufer genügt seiner Beweislast für das Fehlschlagen der Nachbesserung durch den Nachweis, dass das Mangelsymptom – hier: zeitweiliger Leistungsverlust, Rütteln und unrunder Lauf des Motors – weiterhin auftritt. Anders verhält es sich nur dann, wenn das erneute Auftreten des Mangelsymptoms möglicherweise auf einer unsachgemäßen Behandlung der Kaufsache nach deren erneuter Übernahme durch den Käufer beruht. […]Dafür bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.

Keine Unwirksamkeit des Rücktritts wegen Unerheblichkeit des Mangels gemäß § 323 Abs.5 S.2 BGB

Durch die vom Berufungsgericht festgestellten Verbrennungsaussetzer wird die Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Nach den Angaben des Kraftfahrzeugsachverständigen W. in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2008, auf die das Berufungsgericht sich stützt, traten bei einer von dem Sachverständigen durchgeführten Probefahrt mehrmals in kurzer Folge Verbrennungsaussetzer auf, die zur Folge hatten, dass das Fahrzeug jeweils angehalten und neu gestartet werden musste. Derartige Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit, die nicht nur den Fahrkomfort schmälern, sondern je nach der Verkehrssituation, in der sie auftreten, darüber hinaus die Verkehrssicherheit beeinträchtigen können, stellen, auch wenn sie nur sporadisch auftreten, einen erheblichen Mangel dar.

Fazit
L kann von dem Vertrag zurücktreten. Der BGH stärkt damit die Mängelrechte des Käufers, indem auch nach zweimaliger Nachbesserung der Käufer nicht gehalten ist, die Ursache für den Mangel (bzw. für das Fehlschlagen der Nachbesserung) darzulegen. Es genügt somit, dass der Kaufgegenstand weiterhin einen erkennbaren Mangel aufweist, der sich mit dem bis dahin festgestellten Mangel deckt. Der Verkäufer kann sich gerade nicht damit entlasten, er habe die Ursachen für den Defekt beseitigt. Diese Wertung erscheint sachgerecht. Der Käufer würde ansonsten durch Geltendmachung seines Anspruchs auf Nacherfüllung schlechter gestellt werden, wenn er bei einem Rücktritt nach einem Fehlschlag der Nachbesserung nunmehr (auch) die Ursache des Mangels erforschen müsste. Es liegt jedoch regelmäßig in der Verantwortung und im Pflichtenkreis des Verkäufers, dass die Nachbesserung zu dem gewünschten Ergebnis (Beseitigung des Mangels) führt. Warum bei einem zweimaligen Fehlschlag der Verkäufer einen Vorteil bei der Beweisführung erhalten soll, ist nicht ersichtlich. Für diese Auffassung spricht auch die Vorschrift des § 440 S.2 BGB, die regelmäßig zu Lasten des Verkäufers geht (Palandt/Weidenkoff § 440 Rz. 11). Lediglich bei einem nicht ordnungsgemäßen Gebrauch der Sache durch den Käufer, ist eine andere Beweislastverteilung gerechtfertigt, wenn nicht auszuschließen ist, dass der auftretende Mangel auf eine Handlung des Käufers zurückzuführen ist. Es bleibt damit dabei, dass der Käufer stets nur zu beweisen hat, dass an dem Kaufgegenstand ein Mangel erkennbar wird (Palandt/Weidenkaff § 434 Rz. 59).

04.04.2011/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-04-04 19:49:142011-04-04 19:49:14BGH: Käufer trifft auch bei zweimaligen Fehlschlagen der Nachbesserung keine Beweislast für die Ursache des Sachmangels
Dr. Stephan Pötters

Neues vom Autohändler: „Vorführwagen“ muss nicht neu sein

Schuldrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Dauergast im Schuldrecht
Der Autohändler – und darunter natürlich vor allem die Subspecies der Gebrauchtwagenhändler – ist Dauergast bei deutschen Gerichten. Im Allgemeinen gilt dabei für die Schuldrechtsklausur eine zentrale Wertung: „Autohändler sind idR nicht schutzwürdig.“ Dass es aber auch manchmal anders kommen kann und der Käufer nicht obsiegt, zeigt nun ein neuer BGH-Fall.
„Vorführwagen“ muss nicht neu sein
Der BGH hat (Urteil v.15.09.2010 – VIII ZR 61/09) nun entschieden, dass der Begriff „Vorführwagen“ keine Aussage über das Alter des Fahrzeugs beinhaltet. Deswegen stelle es auch keinen Sachmangel dar, wenn es sich bei dem gekauften Auto um ein älteres Modell handele.
Diese Entscheidung reiht sich ein in eine ganze Palette ähnlicher Urteile, die sich mit typischen Ausdrücken der Autoverkäuferwelt beschäftigen. die Stichworte lauten „Bastlerfahrzeug“, „Neuwagen“, „unfallfrei“ etc.

17.09.2010/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2010-09-17 11:32:542010-09-17 11:32:54Neues vom Autohändler: „Vorführwagen“ muss nicht neu sein

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