BGH: Höchstrichterliche Klärung der Frage des Erfüllungsortes bei Nacherfüllung im Fall von Mängeln im Kaufrecht
Der BGH hat sich gestern (13.04.2011 – VIII ZR 220/10) in einem Urteil mit dem Frage beschäftigt, an welchem Ort der Verkäufer einer mangelhaften Sache die zur Mangelbeseitigung geschuldete Nacherfüllung i.S.d. § 439 BGB vornehmen muss.
Bislang keine höchstrichterliche Entscheidung
Bei einer Beschäftigung mit dem Thema „Erfüllungsort bei Nacherfüllung im Kaufrecht“ fällt schnell auf, dass eine höchstrichterliche Entscheidung dazu bislang ausgeblieben war. Aus diesem Grund konnte sich eine Vielzahl an Meinungen zu diesem Thema herauskristallisieren.
Die Regierungsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung gab etwa Anlass zu der Annahme, dass nicht der ursprüngliche Erfüllungsort, sondern der momentane Belegenheitsort der Sache Erfüllungsort sein müsse. Der Gesetzgeber ging bei dieser Begründung davon aus, nur eine solche Auslegung mit Art 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar sei, so insb. BeckOK-BGB/Faust, § 439, Rn. 13, ebenso MüKo-BGB/Westermann, § 439, Rn. 7. Bei dieser Betrachtung spielt zudem die Regelung des § 439 Abs. 2 BGB eine bedeutende Rolle, da der Verkäufer hiernach die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen hat.
Andere Ansichten werden selbstredend auch vertreten. Skamel, DAR 2004, 565, 568 vertritt beispielsweise, Erfüllungsort bei der Nacherfüllung sei im Zweifel immer Wohnsitz des Verkäufers, dieser habe aber die Transportkosten, die für die Mängelbeseitigung entstehen, zu tragen.
Die o.g. Ansichten sind allesamt gut vertretbar, jedoch fehlt es diesen Vorgaben an Flexibilität. Der momentane Belegenheitsort der Sache erscheint eine probate Lösung zu Gunsten des Käufers – die Belange und Interessen des Verkäufers werden jedoch weitestgehend außer Acht gelassen. Eine interessengerechte Lösung durch den BGH wurde also erwartet.
Die Leitlinien des BGH
Der BGH hat entschieden, dass sich der Ort, an dem der Verkäufer die von ihm geschuldete Nacherfüllung zu erbringen hat, mangels spezieller Regelung im Kaufrecht nach § 269 Abs. 1 BGB richte. Hiernach ist grundsätzlich der Wohnsitz des Schuldners, also des Verkäufers, maßgeblicher Erfüllungsort. Wenn man also eine mangelhafte Sache in einem Kaufhaus erworben hat, hat die Nacherfüllung ebenfalls an diesem Ort zu erfolgen.
Der BGH schlussfolgert allerdings richtig, dass es bei dieser Grundsatzregelung nur solange bleiben kann, wie die Umstände des Einzelfalls oder eine Parteivereinbarung nichts anderes indizieren (vgl. den Wortlaut von § 269 BGB: „Ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen […]“). Zu diesen Umständen gehören nach der Entscheidung des BGH die Ortsgebundenheit und die Art der vorzunehmenden Leistung sowie das Ausmaß der Unannehmlichkeiten, welche die Nacherfüllung für den Käufer mit sich bringt. Letzteres Kriterium folge aus den Vorgaben der europäischen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, nach deren Art. 3 Abs. 3 die Nacherfüllung ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen muss. Es hat also für jeden Fall eine gesonderte Interessen- und Umstandsabwägung zu erfolgen. Ein pauschales Ergebnis ist durch die Vorgabe des § 269 Abs. 1 BGB nicht intendiert.
Das Ergebnis des BGH überzeugt. Der Verkäufer hat zwar nach § 439 Abs. 2 BGB die Kosten für den Transport zu tragen. Es kann aber in bestimmten Fällen erwartet werden, dass der Käufer der Sache wenigstens in Vorleistung tritt und die Sache zum Verkäufer hin transportiert. Hierbei dürfte auch der Gedanke eine Rolle spielen, dass der Verkäufer die Sache zuvor auf das tatsächliche Vorliegen von Mängeln hin überprüfen möchte und dann auf dieser Basis entscheiden kann, ob die Erstattung der Transportkosten gerechtfertigt war.
Der vom BGH entschiedene Fall
Im vom BGH entschiedenen Fall ging es um den käuflichen Erwerb eines Camping-Anhängers, der im Nachhinein mehrere Mängel aufwies. Der Anhänger ließ sich jedoch noch ohne Weiteres transportieren. Da die Reparatur in solch einem Fall den Einsatz von geschultem Personal und Werkstatttechnik erforderte und ein Transport des Anhängers für den Kläger nach Ansicht des BGH zumutbar erschien, lag der Erfüllungsort der Nachbesserung am Firmensitz des Verkäufers. Dies sogar, obwohl der Käufer, ein gebürtiger Franzose, den Anhänger bereits in seine Heimat nach Frankreich verschafft hatte. Die Einzelfallabwägung ergab in diesem Fall also, dass der Käufer den Anhänger zur Durchführung der Nacherfüllung nach Deutschland zum Verkäufer bringen musste. Solange dies nicht geschah, konnten weitere mängelgewährleistungsrechtliche Schritte, insbesondere der Rücktritt vom Vertrag, nicht eingeleitet werden.
Folgen der Rechtsprechung
Die Entscheidung des BGH lässt somit Raum für Interpretation im Einzelfall. Insbesondere die Frage, ob der Ort der Nacherfüllung beim Wohnsitz des Verkäufers für den Verbraucher zumutbar und ohne „erhebliche Unannehmlichkeiten“ erreicht werden kann, ist eine wertungsmäßige Entscheidung im Einzelfall. Für die Klausur bedeutet dies, dass das Auswendiglernen einer Definition nicht weiterhilft. Der „momentane Belegenheitsort der Sache“ ist nicht länger das Maß der Dinge, das für die Bestimmung des Ortes der Nacherfüllung herangezogen werden kann. Vielmehr hat eine differenziertere Betrachtung zu erfolgen, wobei eine Auslegung allerdings auch stets im Lichte des Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erfolgen muss.
Vielen Dank für die Mitteilung. Da kann man dann ja in Bälde Klausuren zu diesem Thema erwarten…
Im 5. Absatz ist wohl ein kleiner Fehler: Es sollte wohl heissen: „probate Lösung zu Gunsten des Käufers“
@Pete: Klausuren dazu gab es bereits vorher. Durch das Urteil wurde die Relevanz aber natürlich deutlich erhöht.
Der Fehler wurde korrigiert – danke!
Ich habe mal ne Frage
Sind die EU-Richtlinien eigentlich irgendwo in den für das Examen zugelassenen Gesetzessammlungen abgedruckt?
@Rieger: Grundsätzlich sind die Richtlinien nicht abgedruckt, sondern werden als Annex zum Klausursachverhalt ausgeteilt.
In einem Fall wie dem diesen ist das Austeilen der Richtlinie jedoch nicht zwingend notwendig, da eine Diskussion genauso auf Basis des nationalen Rechts geführt werden kann. Gleichwohl wird man in einer solchen Klausur enorm punkten, wenn man das Spezialwissen um die richtlinienkonforme Auslegung mit einbringt.
Dieses Urteil kann auch interessante Implikationen für die berühmten Ein-/Ausbaufälle haben. Auch hier (etwa Bodenfliesen-Entscheidung, VIII ZR 70/08) geht es um das Problem des Erfüllungsortes der Nacherfüllung – vgl.: Unberath/Cziupka, Der Leistungsort der Nacherfüllung, JZ 2008, 867 ff)
Insgesamt halte ich nach dem ersten Überfliegen die Lösung des BGH für problematisch. Natürlich ist es vernünftig, sich generell am Maßstab des § 269 zu orientieren. Aber fraglich ist schon, ob sich nicht aus dem gesamten Regelungszusammenhang der kaufrechtlichen Gewährleistung unter Beachtung der Richtlinie ergibt, dass der Ort der Nacherfüllung am Belegenheitsort der Sache sein sollte. Dies wird alleine an diesem Fall klar, bei dem einem Franzosen ein großer Aufwand zugemutet wird – dafür, dass es hier um die Behebung von Mängeln geht, die ja dem Verkäufer obliegt.
Problematisch kann dann auch werden welcher Sorgfaltsmaßstab bei Rückführung der Sache anzuwenden ist und was bei unverschuldetem Untergang der Sache passiert.
In der RÜ 2/2011 S.69 findet sich ein guter Überblick über den Streitstand, der sich noch auf das Urteil der Vorinstanz (OLG Koblenz 8 U 812/09 – 16.07.2010) bezieht.
Hier http://tinyurl.com/3cjexcq geht’s übrigens zum Volltext der obigen BGH Entscheidung.
Mal eine Frage bzgl. der Einordnung über bzw. unter der Erheblichkeitsschwelle der Unannehmlichkeiten…wie siehts aus bei einem Pferd, dessen Belegenheitsort in Münster und theor. Nacherfüllungsort (Sitz des Verkäufers/ Schuldners) in Bremen? Theoretisch lässt sich so ein Pferd ja leicht transportieren. Und 170 km sind jetzt auch nicht die Welt. Aber Tierärzte gibt es überall, oder nicht? Lg und danke für die Antwort!
achja, ist aber nicht privat, sondern für eine reitschule…
Toll, !!!!!!!!!! Als Verbraucher und Betroffener bin ich wohl eine Aussnahme. Scheinbar ist das ganze Blah Blah nur wieder Beschäftigungstherapie für angehende Anwälte.
ABer für uns Verbraucher und Betroffene ist das Blah Blah mal wieder kein Stück verständlich.!!!!!! Wie immer bei Gesetzten. Denn einfach mal nachgucken und Wissen was Sache ist geht mal wieder nicht.
Mir ist als Betroffener mitlerweile fast egal wo der Erfüllungsort ist, hauptsache ich verstehe das Gesetz mal
Wäre Gesetzte mal vernünftig und verständlich geschrieben bräuchten wir auch nicht so viel Anwaltskosten und hätte auch weniger Gerichtsstreitigkeiten weil man einfach durch nachlesen versteht ob man im Recht oder Unrecht ist und sich danach richten kann.
In Deutschland scheinbar unmöglich. Ich wollte genau wegen der Frage nachschauen habe aber nichts verstanden.
Somit ist das Gesetz nicht verständlich für den Bürger und nicht anwendbar.
Hätte der BGH nicht einfach mal Klartext reden können? Das Gesetzt somit anwendbar und verständlich machen können. Egal in welcher Richtung.!!!!
Gruss
Peter Lohmann
PS. Kann man in Deutschland sich nur noch an die Gesetze halten wenn man in der Grundschule 8 Semester Jura hatte????????
Man kann Gesetze befolgen, wenn man seinen klaren Menschenverstand nutzt.
Juristen können mit Gesetzestexten auch nur deshalb mehr anfangen, weil sie sich damit 5 Jahre und mehr auseinandersetzen und sich die Nächte damit um die Ohren schlagen Gesetzesmaterialien für sich zu „übersetzen“. Juristen haben auch während ihres Studiums mit einer sich ändernden Gesetzeslage zu kämpfen und müssen bereits Erlerntes neu lernen. Es gibt nicht x Bücher und wenn man alle x gelesen hat, dann kann man auch alles. Wer in der Juristerei alles gelernt haben möchte, bevor er Erlerntes mit Erfahrung anreichert, der wird sein Lebtag nie zu arbeiten beginnen können. Es hat also schon Gründe, warum in manch sensiblen Bereichen eben diese Erfahrung und das mühsam erarbeitete wissen nötig sind und nicht jedermann gleichberechtigt sich sein Urteil bilden und dieses umsetzen darf und kann.
Der Anwalt beschwert sich ja auch nicht, dass man sich heutzutage eigentlich kein Auto mehr kaufen kann, weil eine eventuelle Reparatur so aufwendig und kompliziert ist, dass man sie selbst nicht mehr durchführen kann.
Das ist der Grund dafür, dass einige Menschen Ausbildungen machen oder studieren gehen; dass tatsächlich jemand einmal „alles“ kann, dürfte wohl die Ausnahme sein.
Wenn also jeder sein Auto selbst reparieren, sein Haus selbst bauen und die Baupläne zuvor auch selbst zeichnen könnte, wäre dann das nächste große Problem über das sich alle beschweren, die Arbeitslosenquote…
Deswegen werden Gesetze geschrieben, wie sie nun mal eben geschrieben werden und deswegen gibt es auch Anwälte, die – Überraschung! – für eine Beratung auch Geld verlangen (dürfen) …
Und sollten in puncto eigener Recherche einmal alle stricke reißen, gibt es mittlerweile sogar einschlägige Portale. In denen man für 10-20 € qualifizierte rechtliche (Vorab-)Bewertungen bekommen kann.
Vielen Dank!