BGH: (Unzulässiger) Abbruch einer Internetauktion führt zu Schadensersatz
Der Bundesgerichtshof hatte sich in einem Urteil vom 12.11.2014 (Az. VIII ZR 42/14) mit den Folgen eines Abbruchs einer „Auktion“ auf dem Portal e-bay zu befassen. Zu klären war insbesondere, ob der zum Zeitpunkt des Abbruchs Höchstbietende einen vertraglichen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache (Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung) bzw. bei einer entsprechenden Weigerung des Verkäufers auf Schadensersatz hat. Obgleich naturgemäß die Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs noch nicht vorliegen, zeigt die Pressemitteilung sehr deutlich, auf welchen Pfaden sich das Gericht bewegt hat.
Letztlich geht es – auch für die Klausur äußerst relevant – um die bekannte Frage, ob und natürlich auch wie im konkreten Fall ein Kaufvertrag zustandegekommen sein kann.
I. Sachverhalt
Dem Urteil lag (verkürzt) folgenden Sachverhalt zu Grunde:
V bietet seinen Gebrauchtwagen bei eBay zum Kauf an und setzte ein Mindestgebot von 1 € fest. K bietet hierauf 1 € für den Pkw und setzt eine Preisobergrenze von 500 €. Wenig später bricht V die eBay-Auktion ab (ein Recht hierzu bestand nach den ebay-AGB nicht) und teilt dem K, der weiterhin mit seinem Anfangsgebot von 1 Euro Höchstbietender war, mit, er habe außerhalb der Auktion einen Käufer gefunden, der bereit sei, 5.000 € zu zahlen. Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen Nichterfüllung des nach seiner Ansicht wirksam zu einem Kaufpreis von 1 € geschlossenen Kaufvertrags und macht geltend, der Pkw habe einen Wert von 5.250 €.
Zu Recht?
II. Lösung
Entscheidend ist hier natürlich, ob durch die Abgabe des Gebots von 1 Euro bereits ein Kaufvertrag zwischen V und K zustandegekommen ist und ob dieser ggf. durch die Beendigung der Auktion nachträglich wieder beseitigt wurde.
Vorab sollte an dieser Stelle klargestellt werden, dass auch im Rahmen einer Versteigerung bei ebay ein Kaufvertrag durch die allgemeinen Grundsätze von Angebot und Annahme (§§ 145 ff BGB) und nicht etwa nach dem § 156 BGB durch Zuschlag zustandekommt. Es handelt sich nicht um eine Versteigerung in diesem Sinne.
1. Vertragsschluss bei ebay
An dieser Stelle ist dann zumindest eine Auseinandersetzung mit der Frage geboten, wie im konkreten Fall ein Vertrag zustandegekommen ist. Hier scheint es mittlerweile die klare Linie der Rechtssprechung zu sein, dass das Einstellen des Angebots auf die Plattform nicht allein eine invitatio ad offerendum sondern bereits ein Angebot (oder aber eine antizipierte Annahmeerklärung) darstellt und zwar auflösend bedingt bezogen auf jedes konkrete Angebot potentieller Käufer. Mit jedem Gebot kommt somit – sofern es aktuell das Höchstbietende ist – ein Kaufvertrag zustande, der aber auflösend bedingt ist (§ 158 Abs. 2 BGB) bzgl. eines höheren Gebotes.
Die Vorinstanz hat dies – im Examen sollte man dies auf jeden Fall vermeiden – nur kurz festgestellt.
Letztlich sind hier die genauen dogmatischen Begründungen weiterhin unklar; es steht lediglich fest, dass mit jedem Höchstbietenden zunächst ein Vertrag besteht.
Zur Vertiefung seien folgende Urteile empfohlen:
- BGH v. 8.6.2011 – VIII ZR 305/10
- OLG Hamm v. 10.01.2012 – I-4 U 145/11, siehe hierzu unsere Artikel: Artikel 1 und Artikel 2
- OLG Hamm v. 4.11.2013, 2 U 94/13, siehe hierzu unseren Artikel
Man darf gespannt sein, wie sich der BGH nun zu dieser spannenden Frage äußert.
2. Exkurs: Auswirkungen auf Widerrufsrecht
Allerdings hat diese Frage durch die Änderung des Verbraucherschutzrechts der §§ 355 ff BGB an Relevanz verloren. Nach dem bis Juli geltenden Recht musste nach § 355 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. die Widerrufsbelehrung unverzüglich nach Vertragsschluss erfolgen, da sich sonst die Widerrufsfrist von zwei Wochen auf einem Monat verlängerte (§ 355 Abs. 2 S. 3 BGB a.F.). Diese Regelung ist nicht mehr enthalten; die Frist beträgt jetzt stets zwei Wochen. Fristbeginn ist nunmehr nach § 355 Abs. 2 BGB der Zeitpunkt des Vertragsschlusses; dies wird aber von § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB insofern modifiziert, dass der Erhalt der Ware entscheidend ist, sodass es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ankommt. Selbstverständlich beginnt auch hier die Frist erst mit Zusendung einer entsprechenden Belehrung (nunmehr § 356 Abs. 3 BGB).
3. (Nachträgliche) Unwirksamkeit des Vertrags
Fraglich ist aber, ob der Kaufvertrag nicht (nachträglich) unwirksam geworden ist. Anknüpfungspunkt könnte hier zum einen die Beendigung der Auktion und zum anderen das Missverhältnis zwischen Kaufpreis (1 Euro) und Wert (5.000 Euro) sein.
Mit der Frage, ob der Kaufvertrag durch die Beendigung der Auktion beseitigt wurde, hat sich das Gericht wohl zurecht nicht befasst, da hier offensichtlich – auch nach den ebay-AGB – ein entsprechendes Recht nicht bestanden hat. Auch ein Anfechtungsrecht steht dem Verkäufer hier nicht zu; ein entsprechender zur Anfechtung berechtigender Irrtum ist nicht ersichtlich. Der Verkäufer hat die Auktion hier somit zu Unrecht beendet, sodass hieraus keine Änderungen für den Kaufvertrag erwachsen können.
Anders würde sich die Situation ggf. dann darstellen, wenn dem Verkäufer ein Anfechtungsrecht nach dem BGB zustehen würde. Letztlich bilden die ebay-AGB diese Anfechtungsgründe nach, sodass hierauf nicht zurückgegriffen werden muss. Anders hat dies noch das OLG Hamm gelöst (siehe hierzu unsere Besprechung). Dieser Fall darf nicht mit dem hiesigen verwechselt werden.
Es bleibt damit allein eine mögliche Unwirksamkeit nach dem § 138 Abs. 1 BGB. Ein wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB liegt bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dann vor, wenn eine verwerfliche Gesinnung hinzutritt. Eine solche wird dann vermutet, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Dies liegt dann vor, wenn der Wert der Leistung den der Gegenleistung um mindestens 100% übersteigt. Letzteres ist hier erfüllt. Im Rahmen von Online-Auktionen ist aber Abweichendes geboten, wie der BGH bereits mit Urteil vom 28.03.2012 (VIII ZR 244/10) festgestellt hat:
Der Schluss von dem besonders groben Äquivalenzmissverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten leitet sich aus dem Erfahrungssatz her, dass außergewöhnliche Leistungen in der Regel nicht ohne Not oder einen anderen den Benachteiligten hemmenden Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt (BGH, Urteile vom 19. Januar 2001 – V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 302 f.; vom 5. Oktober 2001 – V ZR 237/00, NJW 2002, 429 unter II 2 d bb (3); jew. mwN). Von einem solchen Beweisanzeichen kann indes bei einer Onlineauktion nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Denn die Situation einer Internetversteigerung unterscheidet sich grundlegend von den bisher entschiedenen Fällen, in denen sich in den Vertragsverhandlungen, die zu den Zugeständnissen der objektiv benachteiligten Seite führten, nur die Vertragspartner gegenüberstanden.
Dies wird im aktuellen Urteil laut der Pressemitteilung nochmals wiederholt:
Bei einer Internetauktion rechtfertigt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Maximalgebot des Käufers und dem Wert des Versteigerungsobjekts nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB. Es macht gerade den Reiz einer Internetauktion aus, den Auktionsgegenstand zu einem „Schnäppchenpreis“ zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt, einen für ihn vorteilhaften Preis im Wege des Überbietens zu erzielen. Besondere Umstände, aus denen auf eine verwerfliche Gesinnung des Klägers geschlossen werden könnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
Der Vertrag bleibt also wirksam, sodass der Kläger einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des PKW Zug-um-Zug gegen Zahlung von 1 Euro hat. Da sich der Verkäufer ernsthaft und endgültig weigert diesen Anspruch zu erfüllen, steht dem Käufer ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 4.999 Euro zu.
III. Examensrelevanz
Käufe im Internet insbesondere über Auktionshäuser bleiben – dies bedarf keiner näheren Darlegung – äußerst examensrelevant. Letztlich wiederholt das Urteil nur altbekanntes und ist damit wenig überraschend (auch wenn das Medienecho anderes vermuten lässt). Dennoch sollte das Urteil zwingend genutzt werden, um die hier aufgezeigten Fragen zu wiederholen. Hierzu empfiehlt sich die Lektüre der hier aufgezeigten Urteile und der entsprechenden Besprechungen auf unserer Seite.
Wenn das Einstellen einer Sache bei einem Internetverkaufsportal bereits verbindlich sein sollte, müsste ja – von der Theorie her – dann mit jedem einzelnen Bieter ein Vertrag zustandekommen, wenn, sagen wir mal, tausend Bieter o.ä. genau gleichzeitig bieten würden.
Oder es müsste dann noch eine willkürliche Sortierung vorzunehmen sein, für welche der Sortierende (die Internetplattform) wegen willkürlicher Diskriminierung o.ä. haften könnte.
Beides scheint eher weniger annehmbar. Was schon von der Theorie her weniger gewollt sein kann, kann allerdings kaum dem Willen des die Sache Einstellenden oder des Internetportals entsprechen.
Die dagegen einfachere, eher naheliegende, dem Gesetz gem. § 156 BGB mehr1entsprechende Möglichkeit eines Vertragschlusses erst bei Zuschlag will die Rspr. staatdessen hartnäckig umgehen. Sie scheint dabei in immer ausufernderen, mitunter eher fernliegenden notwenidgen Begründungsaufwand und immer größere Verstrickungen zu geraten, nur um die einmal vorgegebene Linie bei Internet-Käufen (Verbindlichkeit bereits des Einstellens einer Sache) nicht nochmals überdenken zu müssen.
Nein, es kommt kein Vertrag – auch nicht von der Theorie her – mit jedem einzelnen Bieter zustande: Denn das verbindliche Angebot des Verkäufers (oder dessen verbindliche, antizipierte Annahme, je nach Rechtsauffassung) steht unter der auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB), dass nur mit demjenigen kontrahiert wird, der bei Ablauf der Auktionszeit das Höchstgebot hält.
Auch § 156 BGB scheidet eindeutig aus, da dieser einen Vertragsschluss qua „Zuschlag“ fordert, bei Ebay-Auktionen aber der Vertrag durch Zeitablauf zustande kommt (vgl. auch MüKo/Busche, 6. Aufl. 2012, § 156 Rn. 3).
Gemeint war, dass mehrere (eventuell sogar nahezu unbegrenzt viele) Bieter jeweils ein Gebot in genau gleicher Höhe haargenau zur gleichen Zeit (was computertechnisch durch Vernetzung u.U. möglich schiene) abgegeben.
Man kann’s auch übertreiben
Sicher kann man es auch übetreiben.
Aber, was allein theoretisch zu wenig haltbaren Ergebnissen führen kann, kann dies eben theoretisch auch praktisch und daher objektiv kaum gewollt sein.
Im original Urteil des BGH wird der Schadensersatz über 437 Nr.3, 280 I, III, 281 I abgewickelt. Kann mir mal einer sagen, wieso die dort, eindeutig VOR Gefahrübergang, über 437 gehen?! Hier müsste doch Schuldrecht AT zur Anwendung kommen.