BGH: Kündigungsschutzklausel in Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber einer Immobilie begründet eigene Schutzrechte des Mieters
Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Tobias Vogt veröffentlichen zu können. Der Autor war am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn tätig und ist derzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg.
Der BGH stärkt in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 14.11.2018, Az. VIII ZR 109/18) Mieterrechte und äußert sich dabei seit langem wieder einmal zu einem Vertrag zu Gunsten Dritter (VzD) i.S.d. § 328 BGB. Der Mieter kann sich gegenüber seinem Vermieter auf eine Kündigungsschutzklausel aus dem zwischen dem jetzigen Vermieter und dem vorherigen Eigentümer der Immobilie geschlossenen Kaufvertrag über die Immobilie berufen und sich so gegen eine Kündigung des Mietvertrags wehren, entschied der VIII Zivilsenat. Gerade aufgrund der enormen medialen Aufmerksamkeit in der Tagespresse liegt die Examensrelevanz auf der Hand. Zudem macht die Kombination aus Mietrecht, AGB-Kontrolle und VzD diese Entscheidung aus Prüfersicht attraktiv. Sie sollte daher jedem Examenskandidaten bekannt sein. Auch wenn die Entscheidung noch nicht im Volltext veröffentlicht wurde, ergeben sich die wesentlichen Gründe bereits aus der Pressemitteilung des BGH.
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Die Beklagten sind seit 1981 Mieter einer Wohnung in einem aus zwei Wohnungen bestehenden Siedlungshaus. Im Jahr 2012 erwarb die Klägerin das Hausgrundstück von der Stadt Bochum und bewohnt mittlerweile die zweite Wohnung des Hauses. Der Kaufvertrag zwischen der Stadt Bochum und der Klägerin enthält folgenden Klausel, die die Stadt Bochum für eine Vielzahl von Immobilienverträgen verwendete: „Die Mieter haben ein lebenslanges Wohnrecht. Der Käufer übernimmt das bestehende Mietverhältnis. Er darf insbesondere keine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder wegen der Behinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung aussprechen. Möglich ist lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen Verletzung der dem Mieter obliegenden vertraglichen Verpflichtungen […] Für den Fall, dass der Käufer ohne Zustimmung des Verkäufers oder ohne Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes das Mietverhältnis kündigt, ist der Verkäufer berechtigt, das Kaufgrundstück lasten- und schuldenfrei wiederzukaufen.“ Dennoch kündigte die Klägerin das Mietverhältnis unter Berufung auf § 573a Abs. 1 S. 1 BGB, der eine Kündigung von Seiten des Vermieters unter erleichterten Bedingungen vorsieht, wenn dieser im selben Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen die zweite Wohnung selbst bewohnt. Mit der anschließenden Räumungsklage scheiterte die Klägerin in den Vorinstanzen und nun auch vor dem BGH.
II. Kündigungsschutzklausel als echter Vertrag zugunsten Dritter, § 328 BGB
Zunächst sollte in einer Prüfung festgestellt werden, dass die Klägerin durch den Erwerb des Hausgrundstücks nach § 566 Abs. 1 BGB in das zuvor zu der Stadt Bochum bestehende Mietverhältnis eingetreten ist und eine ordnungsgemäße Kündigungserklärung vorliegt. Auch sollten die Voraussetzungen des § 537a BGB geprüft werden, die hier vorliegen. Dann ist die Kündigungsschutzklausel aus dem Grundstückskaufvertrag anzusprechen, die einer Kündigung nach § 573a BGB entgegenstehen könnte. Dazu müsste diese aber auch im Verhältnis der Mieter zur Vermieterin gelten. Der Grundstückskaufvertrag ist jedoch zwischen jetzigem und vorherigem Vermieter geschlossen worden. Verträge gelten grundsätzlich nur inter partes. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt das Konstrukt des Vertrags zugunsten Dritter nach § 328 BGB dar. Nach § 328 Abs. 1 BGB kann eine Leistung an einen Dritten derart bedungen werden, dass dieser unmittelbar das Recht erwirbt die Leistung zu fordern. Ob ein solches Recht bestehen soll, ist in Ermangelung einer besonderen Bestimmung gemäß § 328 Abs. 2 BGB aus den Umständen, insbesondere dem Zwecke des Vertrags, zu ermitteln. An dieser Stelle können Prüflinge mit einer umfassenden Auslegung der Klausel punkten, wobei insbesondere auf den Wortlaut und auch den von der Stadt Bochum bezweckten Mieterschutz aufgrund deren Verantwortung als kommunaler Eigentümer und Veräußerer eingegangen werden. So führte der BGH in seiner Pressemitteilung aus: „Schon der Wortlaut der Regelung, in der von einem bestehenden lebenslangen Wohnrecht der Mieter und einer Übernahme dieses Mietverhältnisses durch den Käufer die Rede ist, bringt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass den Mietern hiermit eine (eigene) gesicherte Rechtsposition auch gegenüber dem Käufer als neuem Vermieter eingeräumt wird. Ihren bisherigen Wohnraum sollen sie lediglich bei selbst zu vertretender (erheblicher) Verletzung ihrer Mieterpflichten verlieren können. Für diese naheliegende Auslegung der vertraglichen Regelungen sprechen zusätzlich auch die hohe Schutzbedürftigkeit der Beklagten als langjährige Mieter und die Verantwortung der Stadt Bochum als kommunaler Eigentümer und Veräußerer. Darüber hinaus unterstreicht das für den Fall einer unberechtigten Vermieterkündigung vereinbarte Wiederkaufsrecht der Stadt, dass diese mit den vertraglichen Regelungen erkennbar einen möglichst umfassenden Schutz der Mieter herbeiführen wollte.“ Daher handelt es sich also um einen echten Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB, sodass die Mieter die Kündigungsschutzklausel dem Vermieter entgegenhalten können.
III. Auslegung der Klausel: Auch Kündigung nach § 573a BGB ausgeschlossen
Fraglich ist zudem, ob die Klausel ihrem Inhalt nach auch eine Kündigung nach § 573a BGB ausschließen soll. Dies ist durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont §§ 133,157 BGB zu ermitteln. Zwar sind ausdrücklich nur die Kündigung wegen Eigenbedarf und wegen Behinderung einer angemessenen Verwertung ausgeschlossen. Jedoch lässt sich schon aus der Formulierung „insbesondere“ erschließen, dass dies keine abschließende Aufzählung darstellt. Vielmehr wird im nächsten Satz klargestellt, dass lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen Verletzung der vertraglichen Mieterpflichten möglich sein soll. Die Kündigung nach § 573a BGB erfordert jedoch – ebenso wie die in der Klausel ausdrücklich genannten Kündigungsgründe – weder eine Pflichtverletzung noch ein Verschulden des Mieters. Die Klausel umfasst daher auch eine Kündigung nach § 573a BGB.
IV. Keine Unwirksamkeit aufgrund AGB-Kontrolle
Die Kündigungsschutzklausel kann selbstverständlich aber nur dann der Kündigung entgegenstehen, wenn sie wirksam ist. Da die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und von der Stadt Bochum einseitig gestellt wurde, handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, § 305 BGB. Es ist daher zu prüfen, ob die Klausel gegen §§ 307 – 309 BGB verstößt. In Betracht kommt hier ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB. Dazu müsste die Klägerin durch die Klausel unangemessen benachteiligen. Zwar wird das Recht zur Kündigung in weiten Fällen ausgeschlossen. Jedoch ist das Kündigungsrecht nicht völlig ausgeschlossen, sondern es verbleibt dem Erwerber die Möglichkeit zur Kündigung wegen wesentlicher Pflichtverletzung des Mieters. Die Regelung dient dem berechtigten Interesse der langjährigen Mieter, ohne eigene erhebliche Pflichtverletzung nicht einer Kündigung ausgesetzt zu werden. Auch die Stadt Bochum hat als kommunalen Träger ein berechtigtes Interesse, durch eine Kündigungsschutzklausel die bislang in ihrem Eigentum wohnenden Mieter vor einer Kündigung durch den neuen Vermieter zu schützen. Daher benachteiligen die „kaufvertraglichen Bestimmungen, mit denen das Recht der Erwerber zur ordentlichen Kündigung für die Lebensdauer der aktuellen Mieter eingeschränkt wird, […] den Käufer einer entsprechenden Immobilie nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 und 2 BGB, sondern stellen vielmehr eine inhaltlich ausgewogene Regelung für den Verkauf eines im kommunalen Eigentum stehenden, von langjährigen Mietern bewohnten Siedlungshauses dar“, so der BGH in seiner Pressemitteilung.
V. Summa
Eine Klausel in dem Grundstückskaufvertrag zwischen Veräußerer und Erwerber, die das Kündigungsrecht des Erwerbers gegenüber den Mietern einschränkt, ist (jedenfalls bei ähnlicher Formulierung wie im konkreten Fall) als Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB auszulegen, so dass der Mieter sie dem (neuen) Vermieter entgegenhalten kann. Eine solche Vereinbarung stellt eine inhaltlich ausgewogene Regelung dar, die auch einer AGB-Kontrolle standhält.
Zumindest kann eventuell bereits eine Drittschutzwirkung vorliegen?