Handwerker eines Schlüsselnotdienstes machen sich nach einer aktuellen BGH-Entscheidung strafbar, wenn sie mit Preisen, die das Doppelte des ortsüblichen Preises übersteigen, abrechnen – und das auch, wenn sich der Kunde in keiner das reine Ausgesperrtsein übersteigenden Notlage befindet. Diese Entscheidung hat nicht nur für die Juristenausbildung, sondern auch für die Praxis eine erhebliche Bedeutung. Denn in vielen Fällen, wo bisher auf Grundlage der OLG-Rechtsprechung eine Strafbarkeit verneint und Verfahren eigestellt wurden, ist nun eine Strafbarkeit zu bejahen. Für Prüfungen bietet sich diese Konstellation zudem an, da der BGH nicht nur eine Strafbarkeit wegen Wuchers, sondern auch wegen des von den JPAs deutlich öfter abgefragten Betrugs annimmt.
I. Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
A schließt sich aus seiner Wohnung aus, indem er die Tür beim Verlassen der Wohnung zuzieht, ohne seinen Schlüssel bei sich zu führen. Da er keinen anderen Weg sieht, zurück in seine Wohnung gelangen zu können, ruft er beim Schlüsselnotdienst des S an. Dieser entsendet nach einem kurzen Telefonat mit A den Handwerker H. H öffnet wie mit A vereinbart, die Wohnungstür. Ein Preis wurde dem A weder im Telefonat mit S noch durch den H vor Ausführung der Arbeiten genannt. Nach erfolgter Türöffnung füllt der H wie von vorneherein geplant eine Rechnung aus, die einen Preis aufweist, der das Doppelte des ortsüblichen Preises für eine Türöffnung eines Schlüsselnotdienstes übersteigt. A, der davon ausging, es handle sich um einen ortsüblichen Preis, zahlt den Preis sofort an H.
II. Strafbarkeit des H wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB
1) Der H müsste über Tatsachen getäuscht haben.
H könnte darüber getäuscht haben, seine Leistung nach einem ortsüblichen Preis abzurechnen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH mit Rücksicht auf das Prinzip der Vertragsfreiheit grundsätzlich kein Raum für die Annahme konkludenter Erklärungen über die Angemessenheit und Üblichkeit des Preises; es ist vielmehr Sache des Vertragspartners, abzuwägen und zu entscheiden, ob er das geforderte Entgelt aufwenden will. Dies gilt jedoch nur dann, wenn ein Preis auch vor Vertragsschluss vereinbart wird. Anderes als bei vom Verkäufer vorgegebenen oder aber auch ausgehandelten Kaufpreisen gilt indes, wenn die Parteien die Höhe der Gegenleistung für einen Vertragsabschluss mit allen wesentlichen Bestandteilen nicht ausdrücklich vereinbaren müssen, sondern etwa nach § 612 Abs. 2 BGB beim Dienstvertrag, nach § 653 Abs. 2 BGB beim Maklervertrag oder nach § 632 Abs. 2 BGB beim Werkvertrag eine taxmäßige oder übliche Vergütung als vereinbart gilt. Rechnet der Werkunternehmer nach Leistungserbringung ab, erklärt er konkludent, das geforderte Entgelt entspreche der üblichen Vergütung, die nach § 632 Abs. 2 BGB als vereinbart gilt, so der BGH in seiner aktuellen Entscheidung (BGH, Urt. v. 16.1.2020 – 1 StR 113/19).
Die Ortsüblichkeit kann nach der BGH Entscheidung anhand der Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall aus dem Jahr 2011 bestimmt werden (hier).Es müsse jedoch eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen berücksichtigt werden, sodass erst eine deutliche Erhöhung betrugsrelevant ist. In der zitierten Entscheidung bejahte der BGH eine solche deutliche Überhöhung bei einer Abrechnung in doppelter Höhe der üblichen Vergütung.
Es fanden bei Vertragsschluss keine Preisabsprachen statt. Somit war der ortsübliche Preis nach § 632 Abs. 2 BGB geschuldet. Indem H dem A im Folgenden einen Betrag in Höhe von mehr als dem Doppelten des ortsüblichen Preises in Rechnung stellte, täuschte er konkludent darüber, dass der von ihm geforderte Preis der nach § 632 Abs. 2 BGB geschuldete ortsübliche Preis sei.
Nach den Ausführungen des BGH kommt es somit für die Betrugsstrafbarkeit entscheidend darauf an, ob der Kunde bei Vertragsschluss über die Preise informiert wird. Einigen sich Kunde und Schlüsseldienst über die exorbitant hohen Preise, so kommt nur eine Strafbarkeit wegen Wuchers in Betracht. Nur wenn die Preise im Vorhinein dem Kunden nicht genannt werden, wird bei Abrechnung konkludent über die Ortsüblichkeit des Preises getäuscht.
2) Er erregte so bei A einen Irrtum über die Ortsüblichkeit des verlangten Preis.
3) Die Zahlung des A stellt eine Vermögensverfügung dar, die der A gerade aufgrund seines Irrtums darüber, dass der Preis ortsangemessen und somit von ihm geschuldet sei, getätigt hat.
4) In Höhe des nicht geschuldeten Betrags entstand dem A ein Vermögensschaden.
5) H handelte auch vorsätzlich und in der Absicht sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Ihm war schließlich bewusst, dass er jedenfalls keinen Anspruch in der in Rechnung gestellten Höhe hatte.
6) Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
H hat sich somit nach § 263 Abs. 1 BGB wegen Betrugs strafbar gemacht.
III. Strafbarkeit des H wegen Wuchers gemäß § 291 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 3 StGB
1) Zwangslage
Eine Zwangslage könnte bereits durch das Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung begründet sein. Darüberhinausgehende Umstände, wie eine Brandgefahr wegen eines nicht ausgestellten Herds, lebensnotwendige Medikamente in der Wohnung oder große finanzielle Schwierigkeiten, die drohen wenn der A nicht alsbald in die Wohnung gelangt sind nicht ersichtlich.
Die bisherige OLG-Rechtsprechung verneinte eine Zwangslage und damit eine Strafbarkeit wegen Wucher in solchen Fällen. Das bloße Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung stelle als solchen ohne weitere Umstände keine Zwangslage dar (OLG Köln, Urt. v. 22.11.2016 – 1 RVs 210/16 Rn 12, OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.11.2019 – [2] 53 Ss 119/19 [44/19]).
Dieser Rechtsprechung tritt nun der BGH entgegen und bejaht eine Zwangslage allein aufgrund des Ausgesperrtseins aus der Wohnung. Dies begründet der BGH wie folgt:
Zunächst bedient sich der BGH hier eines auf den Wortlaut bezogenen und zugleich gesetzeshistorischen Arguments in Bezug auf die Änderung des früheren Wuchertatbestands, der noch eine Notlage und nicht eine Zwangslage verlangte:
„Das Eingangstatbestandsmerkmal der „Zwangslage“ setzt – anders als der durch ihn ersetzte Begriff der „Notlage“ (§ 302 a I StGB aF; 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 [BGBl I 1976, S. 2034 ff.]), der sich als „zu eng erwiesen“ habe (BT-Dr. 7/3441, S. 40) – nach dem Willen des Gesetzgebers keine Existenzbedrohung voraus. Der weiter gefasste Wortlaut soll auch Konstellationen erfassen, in denen „nicht eine wirtschaftliche Bedrängnis, sondern Umstände anderer Art ein zwingendes Sach- oder Geldbedürfnis entstehen lassen“, und damit „strafwürdig erscheinende Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, die Schwächen anderer Personen wirtschaftlich auszubeuten, genügend wirksam … bekämpfen“ (BT-Dr. 7/3441, S. 20, 40). Der Gesetzgeber hat eine effektivere Anwendung des althergebrachten Wuchertatbestandes beabsichtigt, der sich bisher „als wenig praktikabel erwiesen habe“ (BT-Dr. 7/3441, S. 20), und offensichtlich den über § 138 II BGB gewährleisteten zivilrechtlichen Schutz des schwächeren Vertragspartners nicht für ausreichend erachtet.“
Auch die Gesetzessystematik spricht dafür, keine sonstigen Umstände wie eine wirtschaftliche Not des Opfers, für erforderlich zu halten:
„Folgerichtig ist nach der Gesetzessystematik das Erfassen einer existentiellen finanziellen Bedrohung dem Regelbeispiel der „wirtschaftlichen Not“ (§ 291 III 2 Nr. 1 StGB) mit der Indizwirkung für den – im Vergleich zum Ausgangstatbestand deutlich – erhöhten Strafrahmen eines besonders schweren Falles von 6 Monaten bis 10 Jahre Freiheitsstrafe (§ 291 III1 StGB) vorbehalten (BT-Dr. 7/3441, S. 40 f. zu § 302 a II 2 Nr. 1 StGB a. F.).“
Eine solche weite Auslegung verstoße auch nicht gegen das ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts. Einer Ausuferung des Tatbestandes werde ausreichend durch das Merkmal des auffälligen Missverhältnisses entgegengewirkt, sodass nicht jedes Ergreifen einer gewinnträchtigen Geschäftschance bei Erbringen eines handwerklichen Notdienstes pönalisiert werde.
In den Fällen eines Ausgesperrtseins aus der eigenen Wohnung ist nach der aktuellen Entscheidung des BGH nun stets eine Zwangslage i.S.d. § 291 Abs. 1 StGB zu bejahen:
„Der ausgesperrte Wohnungsnutzer befindet sich nahezu stets in einer misslichen Ausnahmesituation, die ihn wegen der Eilbedürftigkeit an der ihm sonst möglichen Auswahl eines Handwerkers hindert und zumeist den „Nächstbesten“ beauftragen lässt. Mit diesem wird er regelmäßig den Werklohn nicht aushandeln können; vielmehr ist er dessen Preisbestimmung „ausgesetzt“. Bereits das Ausgesperrtsein bringt den Wohnungsnutzer in eine Schwächesituation, die der Handwerker „ausbeuten“ kann. Diese Unterlegenheit muss nicht durch weitere – nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende – Gefahrenmomente (wie etwa einen eingeschalteten Herd, einen zurückgelassenen Säugling, Kälte) verschärft werden […]Solches wäre bereits als Not zu werten, die nach der Gesetzesänderung nicht mehr erforderlich ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass das Ausgesperrtsein keine wirtschaftliche Bedrängnis ist.“
2) Ausbeuten
Der BGH definiert Ausbeuten als Ausnutzen oder bewusstes Missbrauchen. Demnach genügt es, wenn das Ausnutzen der Schwächesituation (mit) ursächlich für das Vereinnahmen des überhöhten Werklohns ist; ein darüberhinausgehender funktionaler Zusammenhang zwischen der Zwangslage und der drastischen Überbewertung der Leistung des Wucherers ist nicht erforderlich. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich der Übervorteilte der Unangemessenheit seiner Gegenleistung bewusst ist.
3) Auffälliges Missverhältnis
Ein Auffälliges Missverhältnis zwischen Werkleistung und Gegenleistung liegt laut BGH jedenfalls dann vor, wenn die Gegenleistung das Doppelte der ortsüblichen Vergütung übersteigt. Auch im Rahmen des § 291 StGB stellt der BGH auf die Preisempfehlungen des Bundesverbandes Metall aus dem Jahr 2011 ab. Ein auffälliges Missverhältnis liegt somit vor.
4) H handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
H hat sich demnach auch wegen Wucher nach § 291 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht.
IV. Konkurrenzen
Auch wenn die Konkurrenzen von vielen Studenten eher stiefmütterlich behandelt werden, so sollte doch am Ende jedes Gutachtens etwas zu den Konkurrenzen der bejahten Straftatbestände gesagt werden. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung sogar etwas ausführlicher zu den Konkurrenzen geäußert und begründet, warum beide Delikte hier in Tateinheit stehen, § 52 StGB:
So liege kein Fall der Subsidiarität eines der durch dieselbe Handlung verwirklichten Delikte vor. Zum Erfassen der gegenüber dem Betrug anderen Angriffsart (der Unrechtsgehalt liegt hier nicht in der Täuschung, sondern in dem Ausnutzen einer Zwangslage) sei die tateinheitliche Verurteilung wegen Wuchers aus Klarstellungsgründen geboten.
Die Tatbestand des Wuchers nach § 291 StGB sei auch kein Privilegierungstatbestand des Betrugs. Keineswegs geht regelmäßig mit dem Ausnutzen der Zwangslage ein Irrtum einher; der Betrug sei damit auch nicht mitbestrafte Begleittat.
V. Strafbarkeit auch der Hintermänner bei organisiertem Vorgehen des Schlüsselnotdienstes – gewerbsmäßiger Bandenbetrug
In dem vom BGH entschiedenen Fall war nicht den Handwerker, sondern der Gesellschafter sowie der Geschäftsführer einer Schlüsselnotdienstfirma angeklagt. Beide wurden wegen gemeinschaftlichem, gewerbsmäßigen Bandenbetrug nach §§ 263 Abs. 1, 5, 25 Abs. 2 BGB verurteilt.
Die Täterschaft der Angeklagten kann mit Lehre von der funktionellen Tatherrschaft sowie nach der Rspr. aufgrund des sich aus den Gesamtumständen ergebenden Täterwillens begründet werden.
Sie schlossen sich mit einer Reihe von Call-Center Telefonistinnen und Handwerkern zusammen, um sich aus der Abrechnung mit deutlich überteuerten Preisen für Nottüröffnungen zu bereichern. Die Angeklagten schufen die dafür notwendige Organisationsstruktur, indem sie bundesweit in Telefonbüchern nicht existente Schlüsseldienstfirmen mit örtlichen Anschriften und dazu passenden Telefonnummern eintragen zu lassen. Beim Wählen dieser Nummern wurden die Anrufer, die sich ausgesperrt hatten, zum Callcenter der Schlüsseldienstfirma der Angeklagten geschaltet, ohne dies zu bemerken. Bezüglich der Kosten des Schlüsselnotdiensteinsatzes nannten die eingeweihten Mitarbeiter allenfalls die Pauschale für An- und Abfahrt; den endgültigen Preis könne der Monteur erst vor Ort bestimmen. So wollten sie die Kunden gezielt über die Abrechnung zu ortsüblichen Preisen täuschen. Die Monteure verwendeten von der Schlüsselnotdienstfirma zur Verfügung gestellte ʺAuftrags-/Rechnungsformulareʺ, auf denen die Bankverbindung der Firma angegeben war, ohne dass diese Zuordnung für die Kunden erkennbar gewesen wäre.
VI. Fazit
– Wird bei Vertragsschluss kein Preis für die Nottüröffnung vereinbart, so ist nach § 632 Abs. 2 BGB der ortsübliche Preis geschuldet. Bei der Abrechnung erklärt der Handwerker konkludent, der in Rechnung gestellte Betrag sei der geschuldete ortsübliche Preis.
– Eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen wird berücksichtigt. Jedenfalls dann, wenn der in Rechnung gestellte das Doppelte des ortsüblichen Preises übersteigt, liegt eine betrugsrelevante Täuschung vor.
– Das Ausgesperrtsein aus der Wohnung stellt für sich genommen eine Zwangslage iSd. § 291 StGB dar. Weitere Umstände, die eine besondere Notlage begründen, sind also nicht erforderlich.
Die Entscheidung des BGH wird erhebliche Folgen für die Praxis haben, da nun auf Grundlage dieser Rechtsprechung in wesentlich mehr Fällen von Nottüröffnungen eine Strafbarkeit zu bejahen sein wird.
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