Zivilrecht ZIII – Januar 2013 – 1. Staatsexamen NRW
Vielen Dank für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls zu der im Januar 2013 gelaufenen dritten Klausur im Zivilrecht in NRW. Ergänzungen oder Korrekturanmerkungen sowie Lösungsansätze sind wie immer gern gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Sachverhalt
Die Rechtsanwälte A, B und C sowie der Steuerberater D haben sich zu der A-GmbH & Co. KG zusammen geschlossen und wollen anwaltliche sowie steuerliche Beratung anbieten.
A hat zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft die A-GmbH gegründet, deren einziger Gesellschafter er ist. Die A-GmbH ist die einzige persönlich haftende Gesellschafterin der A-GmbH & Co. KG. A, B, C und D haben ihre Hafteinlage in Höhe von 10.000 € erbracht. Alle Gesellschafter sind zur Geschäftsführung befugt.
Im Januar kommt der M in die Geschäftsräume der Sozietät und berichtet dem A von einem Vollstreckungsbescheid, den er erhalten habe. Diesen hat der G aufgrund einer Unterlassungsabrede mit Vertragsstrafe in Höhe von 50.000 € erwirkt. Der Absprache lagen geschäftsschädigende Äußerungen des M hinsichtlich des G zugrunde. Sollten sich solche Äußerungen wiederholen, sollte die Vertragsstrafe in Höhe von 50.000 € eingreifen.
M hat jedoch, was zutrifft, nicht gegen die Vereinbarung verstoßen. A und M vereinbaren, dass der A in der Angelegenheit tätig wird und Einspruch einlegen wird. Er übergibt den Vorgang seiner seit kurzer Zeit beschäftigten Rechtsanwaltsgehilfin R, die jedoch die Akte verlegt und den Einspruch nicht fristgerecht einlegt.
Nach Ablauf der Einspruchsfrist wird dem M mit der Zwangsvollstreckung gedroht. Dieser wendet sich daraufhin an den A und erfährt von den Vorkommnissen. Er verlässt die Sozietät und zahlt die 50.000 € an G ohne Anerkennung einer Verpflichtung.
Nun wundert er sich, dass die Sozietät in der Form einer GmbH & Co. KG geführt wird. Anwälte übten doch einen freien Beruf aus.
Frage 1a: Kann M von G die Rückzahlung der 50.000 € verlangen?
Frage 1b: Welche prozessualen Möglichkeiten hat der M gegen den Vollstreckungsbescheid vorzugehen?
Frage 2: Hat der M Ansprüche gegen die A-GmbH & Co. KG, ihre Gesellschafter oder gegen R?
Bearbeitervermerk: Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und eine Verfassungsbeschwerde sowie eine Anrufung des (entweder EuGH oder EGMR) sind nicht zu prüfen. Es ist davon auszugehen, dass A Vertretungsmacht hatte.
Anmerkung: § 2 BRAO wurde abgedruckt.
Lösungsvorschläge?
Frage 1a)
Anspruch denkbar nur aus 812 I 1 1. Fall.
Der Vollstreckungsbescheid steht aber nach § 700 I ZPO einem vorläufig vollstreckbarem Versäumnisurteil gleich und bildet daher ungeachtet des Bestehens eines Anspruchs im materiellen Sinne einen Rechtsgrund für die Zahlung des M dar.
Frage 1b)
Normalerweise Einspruch, aber Frist abgelaufen.
Daher denkbar § 767 ZPO. Hier aber m.E. nicht einschlägig, da M die 50.000 Euro schon gezahlt hat und daher § 767 gerichtet auf Unterbindung der ZV ins Leere gehen. Der Vollstreckungsbescheid existiert ja außerdem losgelöst von einer tatsächlichen, materiellen Verpflichtung.
Daher passt m.E. besser § 767 analog (sog. prozessuale Gestaltungsklage sui generis) auf Unwirksamerklären des Titels.
§ 826 nur bei sittenwidriger Vollstreckung aus einem falschen Titel, dafür gibt der SV nichts her.
Frage 2)
Wie Judge Dredd.
Zu klären wäre noch, mit wem genau M den Beratungsvertrag schließt. Denkbar wäre, dass er explizit A beauftragt und nicht die Gesellschaft. Aufgrund des äußerlich geschlossenen Auftretens und der besseren Haftungssituation für M dürfte aber ein Vertragsschluss mit der Gesellschaft anzunehmen sein. Das Verschulden der R ist über § 278 dem A und dessen über § 31 BGB analog (str. a.A. § 278 BGB) der GbR zuzurechnen.
B und C haften dann § 128 HGB analog für die Verbindlichkeit (ob Doppelverpflichtung oder Ankzessorietät ist hier unerheblich) und zwar in voller Höhe und nicht begrenzt auf ihre EInlage! (oder § 254 BGB/242 BGB wenn M den Zusatz GmbH & Co. KG zur Kenntnis nahm?)
Ist denn A neben seiner Stellung als GmbH-Gesellschafter auch Kommanditist der KG? Wenn nicht würde ja nur die GmbH als Komplementärin, nicht aber A selber haften.
R haftet selbstverständlich gegenüber M nicht.
Miese Klausur… Also zumindest schonmal:
Frage 1b:
Vollstreckungsgegenklage 767 ZPO
A. Zulässigkeit
Zuständigkeit: Weil aus Titel vollstreckt wird, ist nicht das Prozessgericht zuständig, sondern 12ff ZPO sind einschlägig.
B. Begründetheit
Problem hier ist die materielle Präklusion nach 767 II ZPO.
Eigentlich nicht anwenbar, weil keine „letzte mündliche Verhandlung“, aber
796 II ZPO, also Einwendungen präkludiert.
Frage 2:
A. Ansprüche gegen die Gesellschaft
I. Vorüberlegung
Ist RA-GmbH & Co KG möglich?
Nein, weil eine KG ein Handelsgewerbe ist, was die BRAO ja gerade ausschließt. Darum sind die Anwälte A, B, C und D einfach Gesellschafter einer GbR.
II. Rechtsfähigkeit der GbR
Das Problem ist bekannt.
III. Gesellschaftsverbindlichkeit 280 I, 675 BGB (+)
Anmerkung: Der BGH sagt, daß einem Rechtsanwalt das Verschulden seiner Anwaltsgehilfin nicht zugerechnet wird, wenn sie diese Tätigkeit routiniert macht und bisher zuverlässig war. 278 ist dann nicht anzuwenden. Das habe ich noch nie verstanden, vielleicht kann mir das ja jemand erklären.
Hier aber: 278 (+), weil die Gehilfin erst kurze Zeit dort beschäfigt war.
B. Ansprüche gegen die Gesellschafter
Problem:
Akzessorietätstheorie (hM) oder Theorie der Doppelverpflichtung.
hM = 128 analog
C. Ansprüche gegen R
I. Vertraglich (-)
2. 823 I
Nein, weil Vermögen des M nicht geschützt wird.
Judge Dredd, wo kann man was zu dieser RA-GmbH & Co KG nachlesen?
Welche Rechtsmittel kommen denn gegen die verfristeten Einspruch in Betracht? Wiedereinsetzung soll ja nicht geprüft werden…..?
Fraglich wäre auch, wie sich eine etwaige Eintragung der GmbH&Co. KG in das Handelsregister darauf auswirken würde?
Zu 1b) M.E. wäre hier wohl an eine Titelgegenklage nach § 826 BGB zu denken gewesen, die nach Auffassung des BGH die materielle Rechtskraft auch von Urteilen – und damit erst recht von Vollstreckungsbescheiden – durchbrechen soll.
Zu 2) Ob das dann wirklich eine GbR ist? Hier könnte – auch wenn das abwegig klingt, vielleicht eine Haftung nach § 179 I analog in Betracht kommen, denn wo schon kein Rechtsträger existiert, der Vollmacht erteilen kann, besteht die gleiche Interessenlage wie bei einem vollmachtlosen Vertreter.
Zu 1) Hier wohl 814, und dann diskutieren ob die Äußerung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ ausreicht, um den § 814 rauszukegeln als Zahlung unter Vorbehalt – mE. nicht.
Das mit der Verschuldenszurechnung bei ner Anwaltsgehilfin ist so wie ich das verstanden hab folgendermaßen: Dem Mandanten kann nur das Verschulden seines RA’s zugerechnet werden, gemäß §85 II ZPO. Ist nun also eine Anwaltsgehilfin verantwortlich für ne Fristversäumung o.ä. so hat der Mandant einen AS gegen seinen Anwalt auf SE nur, wenn dem Anwalt ein Organisationsverschulden vorgeworfen werden kann, was vorliegt, wenn er bspw. eine frisch angestellte Gehilfin mit dem eigenverantwortlichen Verwalten des Fristenkalenders beauftragt.
Mir schwebt im Hinterkopf, dass man bedenken muss, dass die Anwaltsgehilfin R Erfüllungsgehilfin des A gem. § 278 S. 1 BGB war. Ihr Verschulden müsste sich A zurechnen lassen und M dann über § 85 II ZPO. Hab in einer mündlichen Prüfung einen Fall mitbekommen, der so ähnlich funktioniert hat.
Hat irgendjemand eine Quelle, bei der man diese Problematik der Unwirksamkeit von Rechtsanwalts GmbH & co KG nachlesen kann?