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Schlagwortarchiv für: Vereinigungsfreiheit

Dr. Maike Flink

BVerfG: „Kuttenverbot“ für Rocker verfassungsgemäß

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 9.7.2020 (Az. 1 BvR 2067/17, 1 BvR 424/19, 1 BvR 4423/18) die Verfassungsbeschwerden mehrerer lokaler Teilgruppierungen sowie einzelner Mitglieder verschiedener Motorradclubs (MC Gremium, Hells Angels und Bandidos) gegen das aus § 9 Abs. 3 VereinsG folgende „Kuttenverbot“ und die damit verbundene Strafnorm in § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG abgewiesen (vgl. unseren Bericht zur Erhebung der Verfassungsbeschwerden: Vereinsrecht: Verschärfung des Kennzeichenverbotes).
 
I. Sachverhalt
Der Gesetzgeber hatte mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes (VereinsG) vom 10.3.2017 den § 9 Abs. 3 VereinsG ins das Vereinsgesetz eingefügt und die damit verbundene Strafnorm in § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG verändert. § 9 Abs. 1 VereinsG regelte schon bislang ein Verbot öffentlich, in einer Versammlung oder medial die Kennzeichen eines verbotenen Vereins zu verwenden. Der neu gefasste § 9 Abs. 3 VereinsG erstreckt dieses in § 9 Abs. 1 VereinsG enthaltene Verbot nunmehr auch auf Kennzeichen, die in „im Wesentlichen gleicher Form“ von nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbstständigen Vereinen verwendet werden. Die Norm lautet:

„Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.“

Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot stellt § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG unter Strafe: Möglich sind eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe.
Die Beschwerdeführer richteten sich gegen die geänderten Normen: Ihre Mitglieder tragen typische Symbole wie den „Death Head“ der Hells Angels oder den „Fat Mexican“ der Bandidos als einheitlich genutztes Vereinslogo auf ihren „Kutten“ und haben dieses Logo nicht selten auch auf dem Körper tätowiert. Allerdings seien die Teilorganisationen, denen sie angehören – was insbesondere einzelne Ortsverbände betrifft –, nicht verboten, sodass das Kennzeichenverbot sich für sie als nachträglich ausgesprochene „Sippenhaft“ darstelle. Durch die Neuregelung sei das Kennzeichenverbot eben nicht mehr – wie bislang – streng akzessorisch zum Vereinsverbot, sondern erstrecke sich auch auf von dem Verbot nicht Betroffene. Dadurch sehen sich die Beschwerdeführer unter anderem in ihrem Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), in ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG) und ihrer Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) verletzt.
 
II. Die Entscheidung des Gerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grundrechtsverletzung der Beschwerdeführer jedoch abgelehnt. Dabei hat das Gericht bewusst offen gelassen, ob die vereinsrechtlichen Kennzeichenverbote vorrangig an der Versammlungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG oder an der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG zu messen sind, da die Eingriffe in diese Grundrechte ohnehin gerechtfertigt seien. Dennoch ließ das Gericht eine Tendenz erkennen, vorrangig Art. 9 Abs. 1 GG heranzuziehen, wozu es ausführt:

„Es spricht viel dafür, die Kennzeichenverbote in erster Linie an Art. 9 GG zu messen (vgl. BVerfGE 28, 295 <310>; 149, 160 <192 Rn. 98; 200 f. Rn. 113 f.>). Das gilt jedenfalls für die Rechte von Vereinigungen selbst und von deren Mitgliedern. Daneben kann die Verwendung von Kennzeichen durch nicht organisierte Einzelpersonen – wie bei § 86a StGB – auch als Ausdruck einer Meinung an Art. 5 Abs. 1 GG zu messen sein (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>), doch knüpft die Verbotsnorm weiter an das Verbot einer Vereinigung an, deren Symbole aus der Öffentlichkeit verbannt werden sollen (vgl. BTDrucks 14/7386 [neu], S. 49; BTDrucks 18/9758, S. 7).“

 
1.Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG
 Auf dieser Grundlage hat sich das Gericht zunächst mit einer möglichen Verletzung der Vereinigungsfreiheit auseinander gesetzt.
 
a) Eingriff in den Schutzbereich
Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Eine Vereinigung ist dabei ein freiwilliger Zusammenschluss mehrerer Personen, der auf eine gewisse Dauer angelegt ist und über eine gewisse organisatorische Festigkeit sowie eine gemeinsame Willensbildung verfügt und zu einem gemeinsamen Zweck erfolgt. Geschützt ist sowohl für die Mitglieder als auch für die Vereinigung selbst das Recht auf Entstehen und Bestehen in der gemeinsamen Form, aber auch die Mitgliederwerbung und die Selbstdarstellung sowie das Namensrecht. Die öffentliche Verwendung der Vereinskennzeichen stellt in diesem Zusammenhang einen Beitrag zur Erhaltung der Vereinigung dar, dient aber auch der Mitgliederwerbung und der Selbstdarstellung.

„Für die Identität der hier beteiligten Motorrad-Vereinigungen ist das öffentliche Verwenden der Kennzeichen auf ihren „Kutten“ sogar von grundlegender Bedeutung. Die für die jeweilige Dachorganisation stehenden „Top-Rocker“ und „Central Patches“ sind aus ihrer Sicht wie der Name der Vereinigung (vgl. BVerfGE 30, 227 <241 f.>) Ausdruck des Zusammenhalts und der gemeinsamen Identität; sie werden seit Jahrzehnten weitgehend unverändert genutzt, haben einen hohen Wiedererkennungseffekt und dienen auch der Anwerbung neuer sowie der Anbindung aktueller Mitglieder (dazu u.a. Bock, JZ 2016, S. 158 ff.).“

Durch die Neuregelung des § 9 Abs. 3 VereinsG sowie des § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG wird die Verwendung des Vereinskennzeichens verboten bzw. die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot unter Strafe gestellt, sodass sie als zwangsläufige Folge eines Vereinsverbots zu einer gezielten Verkürzung der Vereinigungsfreiheit führt. Sie stellt mithin einen Eingriff dar.
 
b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Dieser Eingriff ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts allerdings gerechtfertigt, da er insgesamt keine unverhältnismäßige Einschränkung der Vereinigungsfreiheit bedeutet:
Zunächst verfolgt der Gesetzgeber mit dem Kennzeichnungsverbot ein legitimes Ziel: Er möchte abstrakte Gefahren abwehren, die mit dem Kennzeichen verbunden sind und das Vereinsverbot tatsächlich durchsetzen. Daher ist auch nur die Verwendung solcher Kennzeichen verboten, die „in im Wesentlichen gleicher Form“ verwendet werden, bei denen also erkennbar ist, dass sich die Träger des Kennzeichens eindeutig mit der verbotenen Vereinigung identifizieren, die dieses Kennzeichen in ähnlicher Form ebenfalls verwendet. Entscheidend ist ein ähnliches äußeres Gesamterscheinungsbild. Davon ist – wie § 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG klarstellt ­– beispielsweise auszugehen, wenn die nicht verbotene Vereinigung das Kennzeichen der verbotenen Vereinigung lediglich mit einer abweichenden Ortsbezeichnung weiter verwendet.
Darüber hinaus ist das Kennzeichenverbot zur Erreichung dieser Ziele auch geeignet, wie das Gericht ausführt:

„Wären die Kennzeichen der im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 GG verbotenen Vereinigung mit einer abweichenden Ortsbezeichnung weiter präsent, liefe der Versuch, organisierte Aktivitäten zu unterbinden, die der Rechtsordnung fundamental zuwiderlaufen, weitgehend leer. Der Gesetzgeber darf insoweit davon ausgehen, dass eine Schwestervereinigung, die sich wie der verbotene Verein nach außen präsentiert, gleichermaßen für die strafbaren Aktivitäten oder verfassungswidrigen Bestrebungen des verbotenen Vereins steht (BTDrucks 18/9758, S. 8). Die hier angegriffenen Regelungen fördern jedenfalls den Zweck, die Kennzeichen verbotener Vereine effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen.“

Das Kennzeichenverbot ist auch erforderlich, um die verfolgten Ziele zu erreichen. Insofern steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, wobei nicht erkennbar ist, dass er diese mit seiner Einschätzung, dass weniger einschneidende, ebenso effektive Mittel nicht ersichtlich sind, überschritten hat. 
Das Kennzeichenverbot ist auch angemessen, die eintretenden Nachteile stehen nicht außer Verhältnis zu den erstrebten Vorteilen. Zwar stellt das Verbot für die Beschwerdeführer einen schweren Eingriff in ihre Vereinigungsfreiheit dar. Denn gerade das öffentliche Tragen der Vereinskennzeichen als Teil ihrer Selbstdarstellung ist für sie besonders wichtig, um ihre Zugehörigkeit zur Vereinigung zu verdeutlichen. Die besondere Bedeutung des Vereinskennzeichens zeigt sich bereits dadurch, dass die betroffenen Vereinigungen regelmäßig detailliert regeln, wer unter welchen Voraussetzungen ihre Kennzeichen in der Öffentlichkeit verwenden darf. Verschärft wird die Schwere des Verbots zudem dadurch, dass die Verwendung der Kennzeichen in der Öffentlichkeit, in einer Versammlung sowie ihre mediale Verbreitung nunmehr nach § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG strafbewehrt ist. Demgegenüber muss jedoch ebenfalls berücksichtigt werden, dass eben nicht jedwede Verwendung des Kennzeichens untersagt ist, sondern die private Verwendung weiterhin zulässig bleibt. Außerdem wird nur die Verwendung „in wesentlich gleicher Form“ verboten, sodass das Kennzeichenverbot nur dann eingreift, wenn das äußere Gesamterscheinungsbild dem Kennzeichen der verbotenen Vereinigung insgesamt erkennbar ähnelt. Zwar wirkt die Strafbewehrung des Verbots eingriffserhöhend, allerdings handelt es sich allein um ein Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt wird, wobei das Gericht nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG unter Umständen sogar ganz von einer Bestrafung absehen kann. Demgegenüber verfolgt der Gesetzgeber gewichtige Interessen:

„Insbesondere ist das Kennzeichenverbot untrennbar mit einem Vereinsverbot verknüpft, das als Instrument präventiven Verfassungsschutzes auf den Schutz von Rechtsgütern hervorgehobener Bedeutung zielt (vgl. BVerfGE 149, 160 <196 Rn. 104>). Nur in Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Gründe – der eine Vereinigung prägende, also organisierte Verstoß gegen Strafgesetze (a.a.O., Rn. 106), die kämpferisch-aggressive Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung (a.a.O., Rn. 108) und die Ausrichtung auf Gewalt in den internationalen Beziehungen oder vergleichbare völkerrechtswidrige Handlungen und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung (a.a.O., Rn. 112) – rechtfertigen ein Verbot. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Verwendung von Kennzeichen verboten werden, da dieses Verbot dem Vereinsverbot materiell folgt. Damit tragen die Rechtsgüter, zu deren Schutz eine Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich verboten werden kann, auch das Verbot ihre Kennzeichen, öffentlich, in einer Versammlung oder medial verbreitet zu verwenden.“

Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG gerechtfertigt.
 
2. Verletzung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG
 Diese Erwägungen überträgt das Gericht auch auf die Prüfung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var 1 GG: Auch ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist gerechtfertigt: Die angegriffenen Normen sind allgemeine Gesetze i.S.v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 GG, da sie die in Art. 9 Abs. 2 GG benannten Rechtsgüter schützen und nicht an den konkreten Inhalt des Kennzeichens, sondern allein an das formale Verbot der Vereinigung anknüpfen. Zudem kann dem Bedeutungsgehalt des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG bei der Auslegung und Anwendung von § 9 Abs. 3 VereinsG sowie § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ohne Weiteres Rechnung getragen werden, sodass auch kein Verstoß gegen die Wechselwirkungslehre vorliegt.
 
3. Verletzung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG
Letztlich lehnt das Gericht auch eine Verletzung der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ab. Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht an, dass die Kennzeichen, die auf den „Kutten“ der Vereinsmitglieder angebracht sind, ebenso wir die „Kutten“ selbst in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG fallen und sie damit durch das Verbot, diese in der Öffentlichkeit zu verwenden, in der Nutzung ihrer Eigentumsposition eingeschränkt werden. Diese Beeinträchtigungen seien jedoch gerechtfertigt, wie das Gericht knapp ausführt:

„Die angegriffenen Normen bewirken keine Enteignung (vgl. BVerfGE 20, 351 <359>), sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Verwendungsverbote sind insofern Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums und aus den für die Einschränkungen der Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG geltenden Gründen verhältnismäßig.“

Damit scheidet auch eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG aus.
 
III. Ausblick
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt nicht nur Anlass, sich erneut mit der in Klausuren immer wieder beliebten Meinungsfreiheit sowie der Eigentumsfreiheit auseinanderzusetzen, sondern sollte auch als Anknüpfungspunkt genutzt werden, um sich vertieft mit dem in der Prüfungsvorbereitung häufig stiefmütterlich behandelten Art. 9 Abs. 1 GG zu beschäftigen. Denn wie die Entscheidung zeigt, kann das Grundrecht nicht allein im Hinblick auf ein vollständiges Vereinsverbot, sondern auch für damit zusammenhängende Maßnahmen erhebliche Bedeutung gewinnen. Die dargestellte Entscheidung hat der Thematik erneut Aktualität verliehen, wodurch auch in Prüfungen jederzeit erwartet werden muss, dass sie aufgegriffen wird.
 
 

24.08.2020/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2020-08-24 08:40:122020-08-24 08:40:12BVerfG: „Kuttenverbot“ für Rocker verfassungsgemäß
Dr. Stephan Pötters

Notiz: OVG Bremen bestätigt Vereinsverbot gegen „Mongols MC Bremen“

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Das OVG Bremen hat in einer aktuellen Entscheidung ein Vereinsverbot gegen die „Mongols MC“ aus Bremen bestätigt (Urteil v. 10.06.2014 – 1 D 126/11).
Verbot gem. Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG
Der Senator für Inneres und Sport hatte mit Verfügung vom 19. Mai 2011 festgestellt, dass der Zweck und die Tätigkeit des Vereins „Mongols MC Bremen“ den Strafgesetzen zuwiderlaufen und der Verein deshalb verboten sei. Der Senator ist Verbotsbehörde i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG.
Der 1. Senat des OVG Bremen hat nun die dagegen gerichtete Klage des Vereins  abgewiesen. Zweck und Tätigkeit des Vereins liefen in der Tat den Strafgesetzen zuwider. Hierfür spreche die Gesamtwürdigung mehrerer Indizien. Der Verein rechne sich zur Dachorganisation der Mongols MC, die zu den „Outlaw Motorcycle Gangs“ zähle. Zu würdigen seien weiterhin die Vorstrafen der beiden Protagonisten des Vereins. Die Freude am Motorradfahren an sich könne jedenfalls kaum der Zweck des Vereins gewesen sein, da zum Verbotszeitpunkt nur ein Mitglied im Besitz einer Fahrerlaubnis für ein Motorrad gewesen sei. Besonderes Gewicht hätten schließlich zwei Vorgänge im Mai 2011 gehabt. Mitglieder des Vereins hätten sich am 07.05.2011 zum Vereinslokal der Hells Angels begeben. Dort sei es zu Tätlichkeiten gekommen. Auch wenn diese nach den Feststellungen des Landgerichts in einem Strafverfahren gegen den Präsidenten der Mongols eher von den Hells Angels ausgegangen seien, belege dieser Vorfall die Bereitschaft des „Mongols MC Bremen“, in einen Konkurrenzkampf mit den Hells Angels einzutreten. Am 13.05.2011 hätten Mitglieder des Vereins Mitglieder der Hells Angels überfallen. Es habe Körperverletzungen gegeben. Auch Unbeteiligte seien zu Schaden gekommen. Der Überfall sei von den Mongols ausgegangen. Das Verbot des Vereins sei nach Allem ein geeignetes Mittel gewesen, um einer weiteren Eskalation entgegenzuwirken.
Weiterführende Hinweise
Zum Kontext Vereinsverbot haben wir in letzter Zeit bereits mehrfach über aktuelle examensrelevante Probleme berichtet. Insofern sei noch einmal auf folgende Beiträge hingewiesen:

  • Hells Angels MC Charter Westend: https://www.juraexamen.info/vgh-kassel-hells-angels-vereinsverbot-rechtmasig-ms-charter-westend/
  • Hells Angels Köln: https://www.juraexamen.info/hells-angels-in-koln-verboten-rechtliche-implikationen/
  • Salafisten, Hells Angels und Co. – Übersicht: https://www.juraexamen.info/vereinsverbot-von-hells-angels-und-salafistenvereinen-der-rechtsstaat-zeigt-zahne/
  • Nationaler Widerstand Dortmund – Implikationen für das Versammlungsrecht: https://www.juraexamen.info/bverfg-bestatigt-versammlungsverbot-fur-neonazi-gruppe-nationaler-widerstand-dortmund/

 

12.06.2014/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2014-06-12 08:00:422014-06-12 08:00:42Notiz: OVG Bremen bestätigt Vereinsverbot gegen „Mongols MC Bremen“
Anna Ebbinghaus

IHK Zwangsmitgliedschaft und Art. 9, 12 I und 2 I GG

Aktuelles, Öffentliches Recht, Startseite, Verfassungsrecht

Industrie- und Handelskammern sind berufsständische Körperschaften des öffentlichen Rechts und bestehen aus Unternehmen einer Region. Alle Gewerbetreibenden und Unternehmen mit Ausnahme reiner Handwerksunternehmen, Landwirtschaften und Freiberufler gehören ihnen per Gesetz, zB IHK-Gesetz, an.
Es regt sich jedoch wiederholt Widerstand gegen eine solche Zwangsmitgliedschaft. Wie die SZ berichtet, werfen viele Mitglieder der IHK Misswirtschaft, überzogene Ausgaben für Bauvorhaben und Spitzenposten und nicht zuletzt einen undemokratischen Aufbau vor.
Nun wird sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Frage der Zwangsmitgliedschaft befassen, nachdem zwei Unternehmer Beschwerden eingereicht haben.
 
I. Überblick Art. 9 I GG
Art. 9 I GG schützt die Vereinigungsfreiheit.
1. Schutzbereich
Art. 9 I GG schützt das Recht, Vereine und Gesellschaften (=Vereinigung) zu bilden, also das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung.
Eine Vereinigung ist ein Zusammenschluss mehrerer (mind.  zweier Mitglieder) natürlicher oder juristischer Personen bzw. Personenvereinigungen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck auf freiwilliger Basis bei Unterwerfung unter eine organisatorische Willensbildung, Mannsen, § 22, Rn. 520.
Der Zweck der Vereinigung ist dabei unerheblich. Auch idielle oder wirtschaftliche Zwecke sind erfasst.
Anknüpfungspunkt ist der freie Vereinigungswille, weshalb gesetzlich angeordnete öffentlich-rechtliche Zusammenschlüsse (Rechtsanwaltskammern, Ärztekammern) nicht zu den von Art. 9 IGG geschützten Vereinigungen gehören, Mannsen, § 22, Rn. 520.
2. Eingriff
Die Vereinigungsfreiheit kann zB durch Entziehung der Rechtsfähigkeit oder durch ein Verbot der Vereinigung beeinträchtigt werden.
Sonstige Bestimmungen des Gesellschafts- und Vereinsrechts sind keine Grundrechtseingriffe, sondern lediglich Ausgestaltung des Grundrechts.
3. Verfassungsmäßige Rechtfertigung
Art. 9 I GG steht nach Art. 9 II GG unter Gesetzesvorbehalt (hM).
Die Verbotsgründe sind in Art. 9 II GG abschließend aufgezählt. Im Übrigen sind andere Eingriffe als das Verbot durch kollidierendes Verfassungsrecht zu rechtfertigen.
Eingriffe in Vereinigungsfreiheit bedürfen dabei einer formell-gesetzlichen Grundlage.
II. Urteil des BVerfG von 2001

Das BVerfG entschied 2001 u.a. über die Verhältnismäßigkeit der Zwangsmitgliedschaft in der IHK, BVerfG Beschluss vom 07.12.2001 (1 BvR 1806/98).
Beschwerdeführerin B war damals eine Versicherungsmaklerin. Sie richtete sich gegen ihre Zwangsmitgliedschaft in der IHK und vertrat die Auffassung, in ihrem negativen Grundrecht aus Art. 9 I GG und ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG verletzt zu sein. Nach ihrer Ansicht könne die IHK auch ohne eine Zwangsmitgliedschaft ihre ihnen übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben wahrnehmen.
Das BVerfG prüfte in seiner Entscheidung die Verletzung folgender Grundrechte:
1. Art. 9 I GG
Möglicherweise könnte die B durch die Zwangsmitgliedschaft in ihrem negativen Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit, also dem Recht, sich nicht vereinigen zu müssen, aus Art. 9 I GG verletzt sein.
a) Schutzbereich
Fraglich ist, ob der Schutzbereich eröffnet ist.
Dazu führt das BVerfG aus:

Der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG ist nicht berührt. […]

 Art. 9 Abs. 1 GG schützt nicht vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlichrechtliche Körperschaft. […]

Der Schutz der Vereinigungsfreiheit greift ein, wenn es um einen privatrechtlichen Zusammenschluss natürlicher oder juristischer Personen geht, der auf Dauer angelegt ist, auf der Basis der Freiwilligkeit erfolgt, zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks konstituiert ist und eine organisierte Willensbildung aufweist.[…]

 Damit ist das Element der Freiwilligkeit für den in Art. 9 Abs. 1 GG verwandten Vereinsbegriff konstituierend. Vereinigungen, die ihre Entstehung und ihren Bestand nicht grundrechtsinitiierter Freiwilligkeit verdanken – wie hier die Industrie- und Handelskammer -, unterfallen daher von vornherein nicht dem Vereinsbegriff des Art. 9 Abs. 1 GG.[…]

 Auch aus der Entstehungsgeschichte folgt, dass Art. 9 Abs. 1 GG nicht im Sinne eines umfassenden Fernbleiberechts gegenüber öffentlichrechtlichen Verbänden verstanden werden kann.[…]

 

Den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats war in dieser Diskussion die Existenz berufsständischer Zwangszusammenschlüsse bewusst. Diesen alten Traditionszusammenhang wollten sie weder unterbrechen noch aufheben, sonst hätte dies besonders zum Ausdruck gebracht werden müssen. […]

Wenn vom Bundesverfassungsgericht der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung auf das Recht ausgedehnt wird, einer Vereinigung fernzubleiben (vgl. BVerfGE 10, 89; 50, 290 ), so reicht dieser Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit daher nicht weiter als der Schutzbereich der positiven Gewährleistung. Den Bürgerinnen und Bürgern ist die Freiheit garantiert, sich auf freiwilliger Basis zusammenzuschließen, und der Staat darf nicht andere Bürger zwingen, sich diesem freiwilligen Zusammenschluss anzuschließen.

 
Das BVerfG stellt also klar, dass entscheidend für den Schutzbereich des Art. 9 I GG die Freiwilligkeit ist. Nur der Zusammenschluss von Vereinigungen auf freiwilliger Basis ist demnach geschützt. Als negatives Grundrecht schützt Art. 9 I GG also nur vor einer Zwangsmitgliedschaft bezüglich solcher freiwilligen Vereinigungen.
Begründet wird dies auch mit der Entstehungsgeschichte:  Dem Gesetzgeber waren damals schon die Mitgliedschaften in öffentlichen, verpflichtenden berufsständischen Zusammenschlüssen bekannt. Wenn er diese Tradition hätte aufbrechen wollen, so hätte er dies im GG berücksichtigen müssen, was unterblieben ist.
Folglich ist nach Ansicht des BVerfG der Schutzbereich des Art. 9 I GG nicht eröffnet.
b) Ergebnis
Mangels Schutzbereichseröffnung scheidet eine Verletzung der negativen Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 I GG aus.
2. Art 12 I GG
Das BVerfG prüfte eine Verletzung von Art. 12 GG in dieser Entscheidung nicht. Gleichwohl könnte die B in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG verletzt sein.
a) Schutzbereich
Es müsste der einheitliche Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnet sein.
Ein Beruf ist eine Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.Von Art. 12 I GG ist auch die Ausübung des Berufs geschützt.
Die Tätigkeit der B als Versicherungsmaklerin ist insoweit die Ausübung eines Berufs.
Folglich ist der Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnet.
b) Eingriff
Ein Eingriff in Art. 12 I GG könnte in der staatlichen Maßnahme der Anordnung der Zwangsmitgliedschaft liegen. Diese müsste insoweit berufsregelnde Tendenz aufweisen.
Bei der Zwangsmitgliedschaft in der IHK fehlt es an einer subjektiv berufsregelnden Tendenz, da diese nicht zielgerichtet die Wahl oder die Ausübung eines bestimmten Berufes betrifft.
Auch führt sie nicht zu einer besonderen Belastung der Mitglieder hinsichtlich der Wahl oder Ausübung ihres Berufes, so dass auch eine objektiv berufsregelnde Tendenz nicht vorliegt.
Aufgrund fehlender berufsregelnder Tendenz greift die Pflichtmitgliedschaft in der IHK nicht in Art. 12 I GG ein.
c) Ergebnis
Die B ist nicht in Art. 12 I GG verletzt.
3. Art. 2 I GG
Vielmehr sieht das BVerfG den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG für eröffnet an:

Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 10, 89). […]

Diese Vorschrift stellt ein hinreichendes Instrument zur Abwehr unnötiger Pflichtverbände dar und erlaubt damit auch, dem Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung, das Art. 9 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 38, 281; 50, 290) zugrunde liegt, gerecht zu werden. Zugleich lässt dieser Prüfungsmaßstab aber dem Staat genügende Gestaltungsfreiheit, damit er seine Aufgaben angemessen wahrnehmen kann. […]

 
a)  Schutzbereich des Art. 2 I GG
Der Schutzbereich des Art. 2 I GG müsste eröffnet sein.
 Zu beachten ist, dass Träger des Grundrechts zunächst jede persönliche Person ist. Ist eine juristische Person oder Vereinigung Beschwerdeführerin, so muss kurz angemerkt werden, dass dieses Grundrecht gem. Art. 19 III GG auch in diesem Fall anwendbar ist.
b) Eingriff
In das Grundrecht wird durch jede imperative Regelung der öffentlichen Gewalt eingegriffen (Mannsen). Dies schließt auch die Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wie der IHK ein.
c) verfassungsmäßige Rechtfertigung
Der Eingriff könnte jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Gem. Art. 2 I GG ist die allgemeine Handlungsfreiheit begrenzt durch die Rechte Anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz ( sog. Schrankentrias des Art. 2 I GG).
Das Verbot könnte als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung gerechtfertigt sein.
Verfassungsmäßige Ordnung isd Art. 2 I GG ist die Gesamtheit aller Rechtsnormen, die mit der Verfassung in Einklang stehen, d.h. formell und materiell verfassungsmäßig sind.
Ein Gesetz, welches die Zwangsmitgliedschaft anordnet, müsste insoweit formell und materiell verfassungsmäßig sein.
Materiell verfassungsmäßig wäre ein solches Gesetz  insbesondere dann, wenn es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.
Insoweit auch das BVerfG:

Zwangsverbände sind danach nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist.

 
aa) legitimer Zweck
Mit der Zwangsmitgliedschaft müsste ein legitimer Zweck verfolgt werden:

Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbands mit Zwangsmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche Aufgaben erfüllt.

Dazu gehören Aufgaben der Wirtschaftsförderung, die Vertretung der gewerblichen Wirtschaft und die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet. Nicht zuletzt soll durch die Kammern auch der Staat beraten werden.
bb) Geeignetheit
Weiterhin müsste die Zwangsmitgliedschaft ein geeignetes Mittel sein, um solche Ziele verfolgen zu können. Ausreichend ist hier die Möglichkeit der Zweckerreichung.
Im Übrigen steht dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum bei der Beurteilung der zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu.
Aus Sicht des BVerfG ist die Maßnahme geeignet:

Die Entscheidung des Gesetzgebers, Wirtschaftsförderung und -verwaltung mit Hilfe von Selbstverwaltungseinrichtungen zu organisieren, ist von diesen Grundsätzen gedeckt. […]

Aus der Sicht des Gesetzgebers ist die Erfüllung von Wirtschaftsverwaltungsaufgaben durch die Kammern sachnäher und wegen der Beteiligung der Betroffenen durch selbstgewählte Organe auch freiheitssichernder als durch staatliche Behörden. Die Interessenvertretung durch private Verbände ist in dieser Sicht nicht im gleichen Maße am Gesamtinteresse und am Gemeinwohl orientiert. […]

cc) Erforderlichkeit
Darüberhinaus müsste die Zwangsmitgliedschaft auch erforderlich für die Erreichung der gesetzgeberischen Ziele sein.
Sie ist erforderlich, wenn es kein anderes milderes Mittel gibt, das zur Erreichung des Ziels ebenso effektiv ist.
Bezüglich der Errichtung rein privater Verbände als milderes Mittel führt das BVerfG aus:

Rein private Verbände wären mangels Gemeinwohlbindung nicht in der Lage, die Aufgaben wahrzunehmen, die die Industrie- und Handelskammern mit Hilfe der Pflichtmitgliedschaft zu erfüllen befähigt sind. […]

 Auch kann der Staat so besser die besondere Sachnähe und Kompetenz der Kammern nutzen, BVerfGE 15, 235.

Die Wahrnehmung der Aufgabe durch den Staat könnte das zulässige rechtspolitische Ziel der Verlagerung auf die primären Träger wirtschaftlicher Interessen, deren Sachkompetenz der Staat zur Entfaltung volkswirtschaftlich sinnvoller Rahmenbedingungen für sich nutzbar machen will, nicht erreichen. […]

Wegen des Gemeinwohlauftrags der Industrie- und Handelskammern und ihrer vielfältigen Wirtschaftsverwaltungsaufgaben ist ein alle Branchen und Betriebsgrößen umfassender Mitgliederbestand vonnöten. Für die wirtschaftliche Selbstverwaltung bedarf es der Mitwirkung aller Unternehmen, gerade auch der mittleren und kleinen, damit die Kammern ihre Aufgaben umfassend erfüllen können. […]

 
Rein private Verbände stellen daher zwar ein milderes, aber  kein gleich geeignetes Mittel dar, mit der Folge, dass die Maßnahme mithin erforderlich ist.
dd) Angemessenheit/ Verhältnismäßigkeit ieS
Schließlich müsste die Anordnung der Zwangsmitgliedschaft auch angemessen, also zumutbar sein.
Dazu ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Das BVerfG bewertete die Interessen der Beschwerdeführerin wie folgt:

Die Beeinträchtigung des einzelnen Gewerbetreibenden durch die Pflichtmitgliedschaft bedeutet keine erhebliche Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit. Zu berücksichtigen ist dabei vor allem, dass die Pflichtmitgliedschaft den Kammerzugehörigen zum einen die Chance zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet, dabei aber zum anderen ihnen die Möglichkeit offen lässt, sich nicht aktiv zu betätigen. Zugleich hat die Pflichtmitgliedschaft eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort, wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und statt dessen auf die Mitwirkung der Betroffenen setzt.

Im Übrigen könnten etwaige Aufgabenüberschreitungen durch den Zwangsverband und seiner Organe im Klagewege abgweehrt werden.
Somit ist eine Zwangsmitgliedschaft auch angemessen.
ee) Ergebnis
Die Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft ist verhältnismäßig, ein dies anordnendes Gesetz wäre insoweit materiell verfassungsmäßig und würde der verfassungsmäßigen Ordnung entsprechen.
Das Verbot ist also verfassungsmäßig gerechtfertigt, so dass die B nicht in Art. 2 I GG verletzt ist.
III. Ausblick
Noch ist nicht abzusehen, ob das BVerfG von seiner ständigen Rechtsprechung abweicht.
Dagegen könnte die lange Rechtsprechungstradition sprechen. Entscheidend dürfte auch sein, ob das BVerfG ohne Zwangsmitgliedschaften die Interessen des Staates wirklich als ausreichend gewahrt sieht.
Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl von Vereinigungen existieren, die eine Zwangsmitgliedschaft verlangen. Nicht alle müssen per se die Mängel aufweisen, die der betreffenden IHK vorgeworfen werden.
Allerdings könnte die Möglichkeit bestehen, einen Austritt als ultima ratio dann zu ermöglichen, wenn die betreffende Vereinigung augenscheinlich keinen demokratischen Aufbau ermöglicht und so ggf. gegen das Demokratieprinzip aus Art. 20 I GG und das Rechtstaatlichkeitsprinzip aus Art. 20 III GG verstößt oder die auch durch das Grundgesetz geschützten Interessen und Rechtsgüter der Mitglieder durch eklatante Misswirtschaft innerhalb einer solchen Zwangsmitgliedschaft massivst beeinträchtigt werden und einzulegende Rechtsmittel gegen solche Beeinträchtigungen nicht mehr zumutbar sind.
Ebenso denkbar wäre es, nur eine Aussetzung der Zwangsmitgliedschaft ausnahmsweise zu ermöglichen, bis alle Mängel beseitigt sind oder sich die Vereinigung unter Wahrung der Interessen der Mitglieder neu konstituiert hat.
Ob aber die angegriffenen Zustände überhaupt in dem vorliegenden Fall zumindest für eine Aufweichung der Zwangsmitgliedschaft ausreichen würden, bleibt abzuwarten.
IV. Fazit
Die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 I GG, Art. 2 I GG ist sicherlich nicht das wichtigste Grundrecht, kann aber immer mal wieder Aktualität erlangen und in Verbindung mit einer Verfassungsbeschwerde leicht abgeprüft werden.
Die Entwicklung bzgl. der Zwangsmitgliedschaften in öffentlich- rechtlichen Vereinigungen sollte unbedingt weiter verfolgt werden. Wird sich tatsächlich eine Änderung der Rechtsprechung vollziehen, so ist dies nicht nur von Examenskandidaten unbedingt zu beachten.

08.05.2014/5 Kommentare/von Anna Ebbinghaus
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Anna Ebbinghaus https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Anna Ebbinghaus2014-05-08 09:00:432014-05-08 09:00:43IHK Zwangsmitgliedschaft und Art. 9, 12 I und 2 I GG
Dr. Christoph Werkmeister

Aktueller Gesetzesentwurf zum examensträchtigen Thema der Jagdgenossenschaft

Aktuelles

Juris berichtet über einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Jagdrechts.  Mit dem Gesetz reagiert die Regierung auf ein äußerst examensrelevantes Urteil des EGMR (Urteil vom 26.06.2012 – 9300/07). Da das Thema sowohl für Klausuren als auch für anstehende mündliche Prüfungen sehr examensrelevant ist, wird die Lektüre unseres Beitrags zu dem Thema, der die Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG aufbereitet, wärmstens ans Herz gelegt (zu dem Beitrag geht es hier).

24.01.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-01-24 09:15:352013-01-24 09:15:35Aktueller Gesetzesentwurf zum examensträchtigen Thema der Jagdgenossenschaft

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